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Christus heute: Unterschied zwischen den Versionen
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Auszüge aus Büchern und Vorträgen von [[Michaela Glöckler]]; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/ | Auszüge aus Büchern und Vorträgen von [[Michaela Glöckler]]; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/ | ||
== DAS MYSTERIUM VON GOLGATHA ALS ZENTRALEREIGNIS == | |||
''Inwiefern ist das Mysterium von Golgatha die höchste Inspirationsquelle der Anthroposophie?'' | |||
''Welche Erneuerung erfährt es im Jahreslauf?'' | |||
''Wie sollen wir umgehen mit der Botschaft des Christus Jesus?'' | |||
''Was meint Steiner mit „Schule der Selbstlosigkeit“?'' | |||
=== ''Sich ständig erneuerndes Mysterium von Golgatha'' === | |||
Die größte, höchste, alles umfassende Inspirationsquelle der Anthroposophie ist das Mysterium von Golgatha. Rudolf Steiner spricht gegen Ende seines Wirkens auf Erden, dass es nicht bloß ein einmaliges Ereignis war: | |||
„''Aber jetzt, wo der Mensch in die Freiheit aufgerückt ist, jetzt soll er gerade unter dem Einfluss seiner Freiheit dieses Bedrohliche aus der Welt schaffen, dass ihn Ahriman an die Erdenverhältnisse kettet. Dieses Bedrohliche steht als eine Perspektive der Zukunft vor ihm. Und da sehen wir denn, wie ein Objektives in der Erdenentwickelung geschehen ist: das Mysterium von Golgatha.'' | |||
''Das Mysterium von Golgatha ist nicht als einmaliges Ereignis bloß geschehen. Wohl musste es sich als einmaliges Ereignis hinstellen in das Erdengeschehen, aber es wird dieses Ereignis, dieses Mysterium von Golgatha, jedes Jahr in einer gewissen Weise für den Menschen erneuert. Wer ein Gefühl dafür entwickelt, wie da oben das Luziferische im Kohlensäuredampf ersticken will die physische Menschheit, wie da unten das Ahrimanische im astralischen Regen die ganze Erde so beleben will in ihren Kalkmassen, dass der Mensch sich in ihr zunächst sklerotisiert, auflöst, wer das durchschaut, für den ersteht zwischen dem Luziferischen und dem Ahrimanischen die Gestalt des Christus, die Gestalt des sich von der Materie befreienden Christus, der den Ahriman zu seinen Füßen hat, sich heraus entwickelt aus dem Ahrimanischen, nicht berücksichtigend das Ahrimanische, es überwindend, wie es hier [im Goetheanum, Anm. MG] malerisch und plastisch dargestellt worden ist. Und er sieht diesen Christus, wie er auf der anderen Seite überwindet, was nur eben das Obere des Menschen wegziehen will von der Erde. Es erscheint der Kopf jener Gestalt, die über den Ahriman siegt, es erscheint der Christus-Kopf in einer solchen Physiognomie, in einem solchen Blick, in einer solchen Antlitzgebärde, dass dieser Blick, diese Antlitzgebärde abgerungen ist den verflüchtigenden Kräften des Luzifer. Hereingezogen die luziferische Gewalt in das Irdische, hineingestellt in das Irdische, das ist die Gestalt des Christus, wie er jedes Jahr im Frühling erscheint, wie wir ihn uns vorstellen müssen: Stehend auf dem Irdischen, das zum Ahrimanischen gemacht werden soll, siegend über den Tod, auferstehend aus dem Grab, sich hinauferhebend als Auferstandener zur Verklärung, zur Verklärung, die da kommt durch das Hinüberführen des Luziferischen in die irdische Schönheit des Christus-Antlitzes.'''[1]''''' | |||
=== ''Schule der Selbstlosigkeit'' === | |||
An anderer Stelle spricht er über die Botschaft des Christus Jesus als etwas, das wir uns „einverleiben“, völlig in uns hineinnehmen müssen: ''„Das Höchste, das uns gegeben werden kann, ist die Botschaft von Christus Jesus. Wohl müssen wir sie aufnehmen, und nicht bloß mit dem Verstand. Wir müssen sie in unser Innerstes aufnehmen, wie man die Nahrung im physischen Leibe aufnimmt.“''[2] | |||
Im Zyklus über die vier Christusopfer[3] findet sich die zentrale Stelle, in der Rudolf Steiner über die drei Vorstufen des Mysteriums von Golgatha spricht. In der Einleitung sagt er: ''„Den Christus erkennen heißt, die Schule der Selbstlosigkeit durchmachen.“'' Keine Christuserkenntnis ohne das Durchmachen der Schule der Selbstlosigkeit. ''„Christus erkennen heißt, sich bekannt machen mit all denjenigen Impulsen der Menschheitsentwicklung, die so in unsere Seele hineinträufeln, dass sie alles, was in dieser Seele zur Selbstlosigkeit veranlagt ist, durchglühen, durchwärmen und aufrufen zum aktiven Seelensein. Zur Selbstlosigkeit.“'' | |||
Unter dem Einfluss des Materialismus geht die Selbstlosigkeit in einer Weise verloren, wie es in zukünftigen Zeiten erst in seiner vollen Tragweite erkannt werden wird. Aber durch die Vertiefung in das Mysterium von Golgatha, durch die Durchdringung der Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha mit unserem ganzen Gefühl, unserem ganzen seelischen Wesen, können wir wieder einen Zugang zur Kultur der Selbstlosigkeit bekommen. Denn was Christus für die Erdenentwicklung getan hat, ist beschlossen im Grundimpuls der Selbstlosigkeit. Was das bedeutet für die bewusste Entwicklung der menschlichen Ziele, werden wir am besten gewahr, wenn wir das Mysterium von Golgatha in seinem großen Zusammenhang betrachten lernen. | |||
=== ''Bedeutung des 2. Siegels der Apokalypse'' === | |||
Das 2. Siegel der Apokalypse fasst ins Bild, dass sich die Menschen in den vergangenen Entwicklungsepochen über die Erde hin konstitutionell unterschiedlich entwickelten. Das Zentralereignis des Mysteriums von Golgatha, das „Opfer aller Weisheit und aller Wahrheit“, stellt diesbezüglich einen Wendepunkt dar: Die Christustat war notwendig, damit es in Zukunft ''allen'' Menschen möglich würde, nach höherer Erkenntnis zu streben, aus freiem Entschluss nach der Wahrheit dieser Welt und des eigenen Wesens zu suchen. Kein Mensch hätte aus eigener Kraft soweit kommen können. Allein durch sein freiwilliges Opfer konnte Christus Jesus uns den Sinn des Mysteriums von Golgatha zugänglich machen. Doch muss jeder seinen eigenen Zugang zu diesen Entwicklungsgeheimnissen finden, muss aus eigenem freiem Willen heraus tätig werden. | |||
Wenn wir Menschen uns in ferner Zukunft zu einem neuen Bruderbund der Menschheit vereinigen werden, wird sich das zweite Siegelbild der Apokalypse erfüllt haben. Rudolf Steiner beschreibt in ''„Wie erlangt man Erkenntnisse der Höheren Welten?“''[4] in Gedankenform, was Johannes uns in der Apokalypse in Bildform vor Augen führt: wie der Mensch sich zuerst als individuelles Wesen entwickelt, um schließlich ein soziales „menschheitliches“ Wesen zu werden. | |||
''Vgl. Vortrag über Mobbing an der Schulärztetagung 2012'' | |||
----[1] Rudolf Steiner, ''Das Miterleben des Jahreslaufes in vier kosmischen Imaginationen. Vortrag vom 7. Oktober 1923'', GA 229, Dornach 1999. | |||
[2] Rudolf Steiner, ''Die Apokalypse des Johannes'', GA 104, Dornach 1985, S. 173. | |||
[3] Rudolf Steiner, ''Die Vier Christus-Opfer. Die drei Vorstufen des Mysteriums von Golgatha,'' gehalten in Basel, 1. Juni 1914. | |||
[4] Rudolf Steiner, ''Wie erlangt man Erkenntnisse der Höheren Welten?,'' GA 10. | |||
== CHRISTUSERFAHRUNG IM SPANNUNGSFELD VON KRIEG UND FRIEDEN == | |||
''Warum zerfallen heute so viele Gemeinschaften, die früher Bestand hatten?'' | |||
''Was bedeuten die Christusworte über die von IHM verursachte Entzweiung?'' | |||
=== ''Ursache und Sinn von Entzweiung durch den Christus'' === | |||
Das Zerbrechen gemeinschaftlicher Zusammenhänge, das uns überall begegnet, gehört zu den sozialen Problemen der Gegenwart. Es hat aber auch einen tiefen Sinn, der mit der Menschheitsentwicklung zusammenhängt. Ich möchte das anhand einer Szene aus dem Lukas-Evangelium verdeutlichen.[1] Dort spricht Jesus zu den Jüngern: | |||
''„Ich bin gekommen, um ein Feuer auf die Erde zu werfen; ich habe keinen anderen Wunsch, als es in Flammen zu sehen. Aber ich habe zuvor eine Taufe durchzumachen, und es bedrängt mich sehr, bis sie vollendet ist. Meint ihr, ich sei gekommen, um auf Erden Frieden zu stiften? Nein, ich sage euch: Lauter Trennung wird durch mich bewirkt. Von jetzt an werden sich fünf, die in einem Hause beisammen sind, voneinander trennen. Drei werden sich trennen von zweien und zwei von dreien, der Vater vom Sohne und der Sohn vom Vater, die Mutter von der Tochter und die Tochter von der Mutter, die Schwiegermutter von der Braut und die Braut von der Schwiegermutter.'' | |||
''Und zu der Menge sprach er: Wenn ihr im Westen eine Wolke heraufziehen seht, so saget ihr sogleich: Es wird Regen geben, und das trifft auch ein. Und wenn ihr merkt, dass Südwind weht, so sagt ihr: Es wird heiß werden, und auch das trifft ein. Welch falschen Sinnes seid ihr! Das Antlitz der Erde und des Himmels wisst ihr zu deuten; die Zeichen unserer Zeit jedoch, warum deutet ihr die nicht? Und warum traut ihr euch nicht selbst ein Urteil zu über das, was Recht und Unrecht ist? Wenn du mit deinem Widersacher vor den Gerichtshof gehst, so gib dir Mühe, dich mit ihm zu verständigen, solange ihr noch auf dem Wege seid. Sonst möchte es dir geschehen, dass er dich vor den Richter schleppt und der Richter dich dem Schergen übergibt und der Scherge dich in den Kerker wirft. Ich sage dir, du wirst aus dem Kerker nicht herauskommen, bis du den letzten Heller deiner Schuld bezahlt hast."'' | |||
=== ''Sprengkraft des Willens zur Selbständigkeit'' === | |||
Diese Belehrung kann erst in unserer Zeit in ihrer ganzen Bedeutung erfasst werden. Denn heute erleben wir, wie stark die sprengende Kraft ist, die durch das Streben nach Selbstständigkeit und Selbstverwirklichung entstanden ist, über das „Sich-selber-Zutrauen, was Recht und Unrecht ist“. | |||
* Wie verletzlich ist der einzelne Mensch doch geworden! | |||
* Wie viele Möglichkeiten gibt es, in Missverständnisse zu geraten, sich unverstanden, hintergangen, übervorteilt oder ausgenützt zu fühlen! | |||
* Wie leicht hat jeder etwas gegen jeden vorzubringen, sodass schließlich nur ganz wenige Menschen übrigbleiben, denen man noch vertraut oder die man ehrlichen Herzens wertschätzen kann. | |||
Mit eben dieser Entwicklung identifiziert sich der Jesus-Christus, indem er von sich sagt, dass ER dieses bewirkt. Diese Episode aus dem Lukasevangelium steht in krassem Widerspruch zu fast allem, was sonst in den Evangelien von IHM gesagt ist, wo von Heilung, Verwandlung, von Frieden und vom Heil der Menschheit die Rede ist. | |||
=== ''Biologische Wurzeln unseres kriegerischen Potentials'' === | |||
Aufgrund unserer heutigen biologischen Kenntnisse wissen wir, dass das Jesus-Wort vom Krieg auf der physiologischen Ebene absolute Gültigkeit hat. Denn die immunologische Forschung hat klar zutage gefördert, dass jeder Mensch sein eigenes artspezifisches Eiweiß hat und auf dieser Ebene jeder gegen jeden ist. Selbst wenn man im Falle der Organtransplantation Spender und Empfänger von möglichst großer Ähnlichkeit aussucht, ist dennoch der Einsatz von Medikamenten nötig, die das Immunsystem und seine Reaktionen unterdrücken, um die Abwehrreaktion des Körpers gegenüber fremdem Eiweiß zu neutralisieren. Auf der Eiweiß- und Blutebene ist jeder des anderen Feind – es würde zum Tode führen, wenn es zur Vermischung von Eiweißbestandteilen auf der Blutebene käme. In einem solchen Falle könnte nur eine sofortige intensivmedizinische Schockbehandlung das Leben retten. | |||
So ist auf der körperlichen Ebene tatsächlich jeder gegen jeden – nur ist uns das nicht bewusst. Diese physiologische „Feindschaft“ war früher viel weniger stark ausgeprägt, da man innerhalb einer Familien-, Volks- bzw. Blutsgemeinschaft heiratete und sich so auch auf biologischer Ebene ähnlicher war, als dies heute der Fall ist. In diesen älteren Zeiten war man sich auch bewusstseinsmäßig ähnlicher. Die Tendenz, sich als einzelner zu fühlen, der sich von anderen unterscheidet, hat seither stark zugenommen. | |||
=== ''Auf dem Weg zur Selbständigkeit'' === | |||
Das heute immer stärker werdende individuelle Selbstbewusstsein stützt sich einerseits auf die von Mensch zu Mensch sehr unterschiedliche individuelle körperliche Konstitution. Andererseits ist der Wille „selbst urteilen zu lernen“ unumkehrbar in der Menschenseele veranlagt. Das ist ein zentrales Motiv der Prophetie des Johannesevangeliums:[2] ''„Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen.“'' | |||
Damit der einzelne Mensch jedoch im Zuge der Menschheitsentwicklung durch Erkenntnis der Wahrheit zur Freiheit gelangen kann, setzt das zugleich eine Entwicklung zur Selbstständigkeit voraus. Diese jedoch ist nur möglich, wenn wir die Gegensätze und Meinungsunterschiede unter den Menschen erkennen, annehmen und respektieren lernen. | |||
Typisch für unsere Zeit ist, dass man äußere Autoritäten immer weniger anerkennt und immer mehr darauf aus ist, selbst zu entscheiden und aus eigener Einsicht heraus zu handeln. Die ungeheure Informationsflut heute hängt auch damit zusammen, dass im Prinzip jeder den Anspruch erhebt, mit seinen Anliegen und seinen Interessen gehört zu werden. Doch genau das kurbelt die Informationsflut an und mündet in die Überforderung. Wir laufen Gefahr, immer weniger verarbeiten zu können, was an Informationen auf uns einstürmt. | |||
Schon ein Blick in die Zeitung, aufs Handy oder die Nachrichten im Fernsehen genügen, um uns mit Informationen zu überschütten, die wir längst nicht alle sinnvoll einordnen können. Hinzu kommen Fachzeitschriften mit dem Neusten aus Wissenschaft und Technik, und wenn man dann noch die anthroposophischen Bücher hinzunimmt, die alles von geisteswissenschaftlicher Seite aus beleuchten, ist es nur zu verständlich, dass viele Menschen sagen: Ich muss erst einmal mich selbst finden und dann langsam lernen, mit dieser Fülle an Informationen zurecht zu kommen. So wird der Weg in die Eigenständigkeit beschritten. | |||
=== ''Die menschliche Ich-Natur – ein zweischneidiges Schwert'' === | |||
Zu Beginn der Apokalypse schildert der Evangelist Johannes, wie ihm der Christus als gewaltige Lichtgestalt erscheint, aus deren Munde ein zweischneidiges Schwert hervorgeht. Dieses Bild charakterisiert die beiden Seiten des Ich am Treffendsten: | |||
* Es kann sich mit allem verbinden. | |||
* Es ist dabei aber ganz auf sich selbst zurückgeworfen und auf sich gestellt. | |||
So wenig der Mensch auf die Vereinzelung und das Auf-sich-zurückgeworfen-Sein verzichten kann, wenn er eine eigenständige Persönlichkeit entwickeln will und sich seines Ich und seiner Schöpferkräfte bewusstwerden möchte, so wenig kann er darauf verzichten zu kommunizieren, sich zu verbinden und sich damit auch der umfassenden, weltumspannenden Natur seines Ich bewusst zu werden. | |||
Urbildlich erscheint dies auch im Prolog des Johannes-Evangeliums: | |||
* Zum einen wird die weltumspannende Ich-Natur des Christus als der weltenschöpferische Logos angesprochen, aus dem alles hervorgegangen ist und der deswegen auch mit allem verbunden ist. | |||
* Zum anderen wird Christus als derjenige begriffen, der in jeden einzelnen Menschen einziehen möchte, um ihn durch die Vereinzelung hindurch zur Erkenntnis der Wahrheit und zur Verbindung mit dem Vater zu führen. | |||
Um die Schöpfung des Ich „zu vollenden", musste der Weltenschöpfer – der vom Vater gesandte Sohn – sich eine Zeit lang in einem ganz besonders vorbereiteten Menschenleib verkörpern, um den Bewusstseinsdurchgang durch das einzelne Menschen-Ich und damit auch die Erfahrung des Todes machen zu können. Nur so konnte er erkennen und erfahren, was er mit dem ICH BIN erschaffen hat. Aufgrund dieser tief menschlichen Erfahrung kann er nun als das umfassende Menschheits-Ich jedem Einzelnen in seiner Entwicklung beistehen: freilassend, abwartend, begleitend. Und so wird verständlich, warum er sowohl das Schwert bringt als auch den Frieden. Denn im Ich liegt die Möglichkeit, einerseits ein Individuum zu sein und andererseits gemeinschaftsbildend zu wirken. Das Ich ist sogar nur dann ganz es selbst, wenn es zugleich allein und in Gemeinschaft sein kann. | |||
=== ''Zwei Stadien der Gemeinschaftsbildung'' === | |||
Ergebnis des Zerbrechens von Gemeinschaften ist das durch Schmerz gestärkte, erwachte, individuell und sich seiner Eigenheiten bewusst gewordene Selbst. Doch je mehr dieses Selbst von sich Kenntnis hat, desto deutlicher stellt sich ihm auch die Frage, was es nun in der Welt anfangen möchte. | |||
Gemeinschaften, die heute Bestand haben, treten in zwei Formen auf, die zwei Entwicklungsstadien entsprechen: | |||
* Das eine Gemeinschaftsstadium liegt noch vor Kampf und Auseinandersetzung. Es hat eine fraglos-familiäre, sympathisch-selbstverständliche, eher paradiesisch träumende Qualität – die Gemeinschaft ist den Beteiligten wie „geschenkt" worden. | |||
* Das zweite Gemeinschaftsstadium wird in ganz bewusster Weise angestrebt und aufgebaut, nachdem man die Dramatik von Kampf, Zersplitterung und Vereinzelung kennengelernt hat und diese Erfahrung nun nicht mehr braucht. Jetzt ist das Selbstbewusstsein stark genug geworden ist, sich für ein neues konstruktives Miteinander zu engagieren. | |||
''Vgl. „Wie ist Entwicklung zur Selbständigkeit und Gemeinschaftsbildung vereinbar?“ aus „Die Heilkraft der Religion“, Stuttgart 1997'' | |||
----[1] Neues Testament, ''Lukas 12, 49 – 59.'' | |||
[2] Neues Testament, ''Johannes'', Kapitel 8. | |||
== JESUS-CHRISTUS UND DER TEMPEL DES LEIBES == | |||
''Was versteht Jesus unter dem „Tempel seines Leibes“?'' | |||
=== ''Tempel im Außen versus Tempel des Leibes'' === | |||
Anders als das Wort „Kirche“, das für das Gotteshaus ''und'' die Menschengemeinschaft stehen kann, stand der Begriff „Heiligtum“ oder „Tempel“ in der Antike nur für den Ort der Gottesverehrung. Tempel standen weithin sichtbar auf Anhöhen und in Ebenen und waren verschiedenen Göttern geweiht. Diese Gottheiten verkörperten jeweils einen Bereich der Welt oder des menschlichen Wesens: | |||
· So war ''Athene'' im antiken Griechenland die Göttin der Vernunft, des Verstandes, | |||
· ''Zeus'' das väterlich Herrschende, | |||
· ''Hera'' das Mütterliche als Göttin der Häuslichkeit, der Gewohnheiten, der Sitten und des Brauchtums. | |||
· ''Poseidon'' war der Herrscher des Meeres, | |||
· ''Hades'' der Gott der Unterwelt. | |||
Himmel und Erde, die Natur und alles Menschliche wurden als göttlichen Ursprungs angesehen, zugleich aber auch als Wohnstatt der Götter. | |||
Jesus jedoch bezieht das Wort Tempel auf sich selbst – auf den „Tempel seines Leibes“.[1] Das wird verständlicher, wenn wir noch das wegweisende Wort hinzunehmen: ''„Das Reich Gottes ist inwendig in euch."'''[2]''''' Nicht draußen in der Natur, am Himmel oder in der Erde sollen wir die göttlichen Gewalten jetzt primär suchen und verehren, sondern in uns selbst, in unserer eigenen seelisch-geistigen Erfahrung. Die Wohnung Gottes, in der der Mensch IHM begegnen kann, kann jetzt der individuelle Menschenleib werden. Geschöpf und Schöpfer werden in Jesus eins – und wir werden von ihm aufgefordert, ihm auch in dieser Hinsicht nachzufolgen. | |||
=== ''Der Mensch als Abbild dieser Welt'' === | |||
Der Mensch ist nach Form und Funktion ein Abbild dieser Welt, ist eingebettet und integriert in die große geschaffene Welt. Unter diesem Aspekt kann man auch das Wort Jesu tiefer verstehen, wenn er sagt, dass die ganze Erde sein Leib ist. In seinem Innern lebte das Bewusstsein darüber, welche Gesetze den menschlichen Leib erschufen und mit welchen Weltenrhythmen und -erscheinungen er unmittelbar zusammenhängt. | |||
==== '''·''' Naturverbundenheit unseres Körpers ==== | |||
Nahezu alle Substanzen der Natur sowie die Naturgesetze sind an unserem Körperaufbau beteiligt, d.h. dass sich die wesentlichen Gesetzmäßigkeiten und Eigenschaften des Mineral-, Pflanzen- und Tierreiches im menschlichen Körper wiederfinden. Selbst Umweltgifte, die durch Industrie und Landwirtschaft in den Naturkreislauf geraten sind, gelangen in den menschlichen Organismus und können, wie z.B. das DDT, im Fettgewebe abgelagert oder wie das beim radioaktiven Zerfall auftretende Strontium 90 in die Knochen eingebaut werden. Diese Stoffe können auch wieder mobilisiert werden – der Körper ist also in der Lage, die Substantialität der gewordenen Welt zu verarbeiten. Selbst Substanz von anderen Menschen in Form von Bluttransfusionen oder Organspenden kann von uns zu einem gewissen Grad verarbeitet bzw. integriert werden. | |||
=== '''·''' Kosmische Anbindung unseres Körpers === | |||
Unser Körper hat aber auch einen engen Bezug zum Kosmos. So folgen alle Stoffwechsel-funktionen den 24-Stunden-Rhythmen unserer sogenannten biologischen Uhr, und halten sich dabei an den Tag-Nacht-Rhythmus. Ein direkter Einfluss des Sonnenlichtes wurde von der Rhythmusforschung der letzten Jahrzehnte wiederholt nachgewiesen. Schirmt man einen Menschen vom Sonnenlicht ab und bringt ihn in einen Bunker, wo auch andere Geräusche und Einflüsse des Tageslebens vollständig ausgeschaltet sind, werden seine Körperrhythmen zeitlich auseinandergezogen und pendeln sich auf einen Tag-Nacht-Rhythmus von 25 Stunden ein, der dem täglichen Mondumlauf entspricht: Der Mond geht ja täglich fünfzig Minuten später auf. Die Anwesenheit der Sonne als äußerer Zeitgeber und Impulsator verhilft dem Menschen also, sich auf den 24-Stunden-Tag des mittleren Sonnentages zu synchronisieren. So wirken auch die Gesetzmäßigkeiten der Planetenbewegungen mit ihren Rhythmen und Verhältnissen insbesondere auf die zeitlichen Funktionsabläufe des Organismus. | |||
In der Flugmedizin macht man sich diese Tatsache zunutze, indem man den Passagieren, die Flüge mit größeren Zeitverschiebungen zu absolvieren haben, empfiehlt, sich am Zielort möglichst bald für einige Stunden dem dortigen Sonnenlicht auszusetzen. Das erleichtert die Anpassung an die neue Zeitrhythmik in ganz erstaunlicher Weise und beugt dem „Jetlag", der Flugmüdigkeit, vor. | |||
Jesus wusste um den engen Zusammenhang zwischen dem Schöpfungsprozesses und seinem Leib. Wenn wir diesen Zusammenhang zu verstehen versuchen und an uns selbst zu erleben, beginnen wir uns als „Gotteskinder" kennenzulernen. | |||
''Vgl. „Integration - Aufgabe der Kirche heute“ aus „Die Heilkraft der Religion“, Stuttgart 1997'' | |||
----[1] Neues Testament, ''Johannes 2, 19 - 20.'' | |||
[2] Neues Testament, ''Lukas 17, 20 - 21.'' | |||
== CHRISTUSBEWUSSTSEIN ENTWICKELN LERNEN == | |||
''Was ist unter Christusbewusstsein zu verstehen?'' | |||
''Wie können wir diese Art von Bewusstsein entwickeln?'' | |||
=== ''Wach für das Zusammenspiel kosmisch-irdischer Prozesse'' === | |||
Jesus verfügte über eine Wachheit, die ihn befähigte, in jedem Augenblick bewusst zu verfolgen, welche Weltgesetze an Bau und Erhaltung seines physischen Leibes – des Tempels seines Leibes – beteiligt waren und welche Weltenrhythmen und Sternengesetze in seinen Organfunktionen wirkten. Auch nahm er wahr, wie in jedem Augenblick die Himmels-verhältnisse und die Erdenverhältnisse im Menschen zusammenspielen. Er erlebte mit vollem Bewusstsein bestimmte Sternkonstellationen, deren Bedeutung wir als Horoskope zu erklären versuchen. Im Tempel seines Leibes waren äußerlich und innerlich, physisch und geistig Weltall, Erde und Mensch vereinigt. | |||
Es würde sich schon viel an unserem Selbst- und Weltverständnis ändern, wenn wir anfingen darüber nachzudenken, woher im Einzelnen der Inhalt unseres wöchentlichen großen Einkaufskorbes kommt. | |||
''Aus welchen Weltgegenden kommen die verschiedenen Nahrungsmittel, die wir im Laufe einer Woche durch uns bzw. den Leib hindurchgehen lassen?'' | |||
''Wer war daran beteiligt, dass sie zu uns gelangen konnten?'' | |||
=== ''Interesse am Zusammenspiel von Mensch und Welt'' === | |||
Wenn wir ein Bewusstsein entwickeln, dem nichts entgeht und das an allem interessiert ist, was unter den Menschen und in der Welt geschieht, werden wir besser verstehen, warum die besondere Hinwendung des Jesus denjenigen galt, die „nicht selig" waren: Die Verachteten, die Kranken, die Armen, eben all diejenigen, die Hilfe brauchten. Gerade sie wollte er ansprechen und ihnen ihre Beziehung zu ihm aufzeigen. Zu Levi, dem späteren Jünger Matthäus, den er als Zöllner sitzen sah und auffordert, ihm zu folgen, sagte er: ''„Die Gesunden bedürfen keines Arztes, wohl aber die Kranken. Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten, sondern um die Verirrten zur Sinnesänderung zu rufen."''[1] | |||
Wer in dieser Weise beginnt, über den „Tempel des Leibes" nachzudenken, empfindet eine zunehmende Dankbarkeit für alles, womit er verbunden ist und wodurch er als Mensch zu dem geworden ist, der er heute ist. Christian Morgenstern hat aus einem solchen Bewusstsein heraus sein Gedicht „Die Fußwaschung" geschrieben: | |||
'''''Die Fußwaschung''''' | |||
''Ich danke dir, du stummer Stein,'' | |||
''Und neige mich zu dir hernieder:'' | |||
''Ich schulde dir mein Pflanzensein.'' | |||
''Ich danke euch, ihr Grund und Flor'' | |||
''Und bücke mich zu euch hernieder:'' | |||
''Ihr halft zum Tiere mir empor.'' | |||
''Ich danke euch, Stein, Kraut und Tier'' | |||
''Und beuge mich zu euch hernieder:'' | |||
''Ihr halft mir alle drei zu Mir.'' | |||
''Wir danken dir, du Menschenkind'' | |||
''Und lassen fromm uns vor dir nieder:'' | |||
''Weil dadurch, dass du bist, wir sind.'' | |||
''Es dankt aus aller Gottheit Ein-'' | |||
''Und aller Gottheit Vielfalt wieder.'' | |||
''In Dank verschlingt sich alles Sein.'' | |||
''Vgl. „Integration - Aufgabe der Kirche heute“ aus „Die Heilkraft der Religion“, Stuttgart 1997'' | |||
----[1] Neues Testament, ''Markus 2, 17.'' | |||
== CHRISTUSWAHRNEHMUNG UND LUZIFERISCHE UND AHRIMANISCHE TÄUSCHUNG == | |||
''Wie sind Christuswahrnehmungen im Umfeld des Todes zu verstehen?'' | |||
''Gibt es nicht auch Täuschungen seitens Luzifer und Ahriman?'' | |||
=== ''Christusbegegnung im Todesaugenblick'' === | |||
Menschen, die dem Tode nah waren, aber auch Drogenabhängige und andere, die sich das Leben nehmen wollten, jedoch wieder reanimiert wurden, sprechen oft von einer Christuswahrnehmung. Handelte es sich tatsächlich um eine Christuswahrnehmung, so sind die Betreffenden, nachdem sie wieder zu sich gekommen sind, äußerst motiviert, ihr Leben zu ändern und sich z.B. für eine Therapie zu entscheiden. Schilderungen von sogenannten Nahtodeserlebnissen drücken weltweit im Wesentlichen das Gleiche aus. Sie decken sich auch mit den Ausführungen Rudolf Steiners über den Todesaugenblick und die ersten Schritte in das jenseitige Leben. | |||
Der Todesaugenblick – ob scheinbar oder wirklich – ist ein Augenblick größter Geistes-helligkeit, die, wenn der Tod wirklich eintritt, immer mit einer Christusbegegnung verbunden ist. Menschenkundlich ist das so zu verstehen, dass sich im Todesaugenblick der Ätherleib vom physischen Leib löst und in leuchtender Gedankenklarheit, vom Stoff befreit, den Menschen als Gedankenorganismus, als reines Wahrheitslicht umgibt. Und da der Christus seit seiner Auferstehung in die Ätherwelt bzw. die Gedankenwelt rund um die Erde eingezogen ist, steht er auch zum Ätherleib jedes Menschen in unmittelbarer Beziehung und kann so im Ätherischen unmittelbar wahrgenommen werden. | |||
=== ''Mögliche Täuschungen'' === | |||
Oft wird gefragt, ob es sich dabei nicht auch um luziferische Erlebnisse handeln könnte. Solange der Mensch mit seinem Erdenleib verbunden ist, sind Täuschungen und Trübungen möglich. Dann können die Stimmen von Luzifer, Ahriman und Christus durchaus verwechselt werden. Sie sind nicht immer leicht voneinander zu unterscheiden, denn alle drei sind an der Schwelle zur geistigen Welt zu vernehmen. Im Tode verlieren Luzifer und Ahriman jedoch ihre verführerische Macht, da diese an die Verkörperung im physischen Leib gebunden ist. Jenseits der Schwelle empfängt jeder Mensch das Geschenk der unmittelbaren Christusbegegnung. | |||
''Bernhard Lievegoed'', der inzwischen verstorbene holländische Psychiater und Sozial-Entwicklungsforscher, erzählte einmal einer Gruppe junger Ärzte aus seinem Leben. Da kam er auch auf ein Kriegsereignis zu sprechen, als er im 2. Weltkrieg an der Front im Schützengraben lag und miterleben musste, wie sein Freund und Kriegskamerad neben ihm tödlich getroffen wurde. Im Schock lockerte sich sein physisch-ätherisches Wesensglieder-gefüge und er sah, wie vom fernen Horizont her eine Lichtgestalt herannahte, seinen Freund liebevoll umfing und mitnahm in die Welt des Lichtes. Dieser Eindruck war so stark, dass Lievegoed lebenslang jedwede Furcht vor dem Tode verlor. | |||
=== ''Täuschung durchschauen lernen'' === | |||
In dem Zyklus von Rudolf Steiner ''„Die okkulten Bewegungen im 19. Jahrhundert“'''[1]''''' findet sich die Frage, ob man lernen kann, die Stimmen von Luzifer, Ahriman und Christus während des Erdenlebens zu unterscheiden. Dort führt Rudolf Steiner aus, dass man sich gegenüber okkulten Angriffen und Gefährdungen schützen kann, indem man seine gesunde Urteilskraft gebraucht und sich in Situationen, in denen man nicht sicher ist, fragt, „wes Geistes Kind“ die Stimme ist. Und zwar dadurch, dass man an das Ereignis oder an den betreffenden Menschen, von dem die mögliche Versuchung ausgeht, zwei Fragen stellt: | |||
''Lässt mich die Botschaft frei oder übt sie, wenn auch noch so sublim, moralischen Druck oder Zwang aus?'' | |||
''Kann ich die Verlautbarungen oder Botschaften mit meinem gesunden Menschenverstand begreifen?'' | |||
Was Luzifer und Ahriman gemeinsam haben, ist ihr fehlendes Verständnis für menschliche Entwicklung. Luzifer hätte gerne, dass wir mit uns zufrieden sind und uns moralisch gut finden. Ahriman hingegen ist der Inspirator der Bequemlichkeit. Er liebt es, den Menschen durch Sachzwänge und Funktionalität von außen zu dirigieren. Beide Haltungen lähmen die Eigentätigkeit und die „Lust auf Entwicklung“. Christus hingegen lässt uns frei, indem er unsere eigene Entwicklungsbereitschaft stärkt. | |||
''Vgl. „Welchen Auftrag hat die Religion in Erziehung und Heilkunst?“ aus „Die Heilkraft der Religion“, Stuttgart 1997'' | |||
----[1] Rudolf Steiner, ''Die okkulten Bewegungen im 19. Jahrhundert'', GA 254. | |||
== CHRISTUSOPFER UND WESENSGLIEDER == | |||
''Welche Bedeutung haben die Christusopfer im Zuge der Weltenentwicklung für die Wesensglieder des Menschen?'' | |||
=== ''Christusopfer in der lemurischen, der früh- und der spätatlantischen Zeit'' === | |||
Rudolf Steiner hielt acht Monate nach der Grundsteinlegung die wunderbaren Vorträge über die Christusopfer[1] in der lemurischen und der früh- und spätatlantischen Zeit und über das Mysterium von Golgatha. Diese Opfer wurden gebracht, damit die menschliche Konstitution gesund veranlagt werden konnte in Bezug | |||
# auf die Sinne ('''physischer Leib''') – in der ''lemurischen Zeit'' | |||
# auf den Lebensorganismus ('''Ätherleib''') – in der ''frühatlantischen Zeit'' | |||
# auf die Seelenfähigkeiten von Denken, Fühlen und Wollen ('''Astralleib''') – in der ''spätatlantischen Zeit'' | |||
# und mit dem ''Mysterium von Golgatha'' auch im Hinblick auf das '''Ich''' | |||
Dank dieser Christusopfer wurde in vierfacher Weise Gesundheit veranlagt: In Bezug auf den physischen Leib, die Sinnesorgane, den Astralleib und den Ätherleib hat Christus das ''für uns'' vollbracht. Im Hinblick auf das Ich hat er es auch veranlagt, doch kann der Gesundungsprozess nur vollendet werden, wenn jeder Mensch freiwillig dieses Christusopfer ''im Ich'' ''selber'' auch darbringt und es so in Freiheit und Liebe vollendet, damit es voll wirksam werden kann. | |||
=== ''Bedeutsame Selbstlosigkeit'' === | |||
Rudolf Steiner sagt nun über den Christus und über die Art, wie wir ihn in allen Lebensgebieten suchen und finden können, etwas Großartiges. Das möchte ich gerne vorlesen:[2] | |||
''„Für unsere gegenwärtige Kultur ist vor allen Dingen nötig, dass wir immer mehr und mehr gewinnen, indem wir die Ergebnisse der Geisteswissenschaft auf uns wirken lassen, eine neue Christuserkenntnis. Und den Christus erkennen heißt, die Schule der Selbstlosigkeit durchmachen. Christus erkennen heißt, sich bekannt machen mit all denjenigen Impulsen der Menschheitsentwicklung, die so in unsere Seele hineinträufeln, dass sie alles, was in dieser Seele zur Selbstlosigkeit veranlagt ist, durchglühen, durchwärmen und aufrufen zum aktiven Seelensein, zur Selbstlosigkeit. Diese Schule der Selbstlosigkeit kann der Mensch nach den Bedingungen des gegenwärtigen Zeitenzyklus nur durchmachen, wenn er sich ein durch-dringendes Verständnis erwirbt für wirkliche Selbstlosigkeit. Nun können wir, wenn wir die Weltenevolution, die Weltenentwicklung durchgehen, kein tieferes Verständnis finden für Selbstlosigkeit als dasjenige, was uns durch die Erscheinung des Christus auf Erden gegeben worden ist.“'' | |||
''Vgl. Michaeli-Vortrag am Goetheanum, Sept. 2013'' | |||
----[1] Rudolf Steiner, ''Die Vier Christus-Opfer. Die drei Vorstufen des Mysteriums von Golgatha,'' gehalten in Basel, 1. Juni 1914. | |||
[2] Ebenda. | |||
== CHRISTENTUM UND MARTYRIUM == | |||
''Warum gehen Christentum und Martyrium Hand in Hand?'' | |||
=== ''Aufwachen für das Böse'' === | |||
Das Christentum hat von Anfang an mit Martyrium zu tun, mit der Offenbarung des Bösen, vom Kindermord bis zur Kreuzigung. Diese Nähe zum Bösen und zum Leid im Martyrium war undenkbar für die vorchristliche Spiritualität. Der gemarterte, gefolterte Mensch wird als Gottes Sohn und die „Mater dolorosa“, die ihren Sohn am Kreuz hängen sieht, als Mutter Gottes verehrt. Das Böse spielt in dem ganzen Geschehen eine zentrale Rolle. Der Christus am Kreuz sagt: ''„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.“'' [1] | |||
In der nachchristlichen Zeit wurden wir uns unseres Tuns zunehmend bewusst. Deswegen sind wir heute auch in der Lage, das Böse zu erkennen und zu benennen. Wir können zwischen Gut und Böse unterscheiden. In der nachchristlichen Zeit, geht es darum, dass wir immer mehr aufwachen und unsere Augen nicht vor dem Bösen verschließen. Wir brauchen einen Schulungsweg, der nicht in der alten vatergöttlichen Spiritualität wurzelt. | |||
=== ''Das Böse in und um sich erkennen'' === | |||
Ich kann jeden gut verstehen, der das Martyrium vermeiden will, der sich lieber nur an das Gute hält. Aber die Zukunft gehört denen, die zur Entwicklung „Ja“ sagen – was bedeutet, dass sie bereit sind, das Böse in und um sich zu erkennen und durch Erkenntnis zu überwinden. | |||
Der Ort, wo ich das Böse am besten erkennen kann, bin ich selbst. ''Goethe'' sagte sinngemäß von sich: ''„Es gibt nichts Böses draußen in der Welt, wozu ich nicht auch die Veranlagung in mir selbst entdeckt habe. Und ich danke meinem gütigen Geschick, dass es mich immer davor behütet hat, dieses Böse auszuleben. Dass es mir die Kraft gegeben hat, die bösen Neigungen in mir zu halten und zu verwandeln.“'' | |||
''Goethe'' befasste sich von seinem 14. Lebensjahr an bis zum Alter von über 80 Jahren mit dem Thema „Faust“ – mit dem Menschen, der sich mit dem Bösen „zusammentut“ und es in jeder Lebensetappe auf einer anderen Stufe erkennen und überwinden muss. | |||
=== ''Das Böse als Bedingung für Freiheit'' === | |||
Deswegen wird in Rudolf Steiners Buch über die innere Entwicklung[2] das Böse klar benannt. Da wird vom Doppelgänger gesprochen, von den bösen Neigungen, die man erkennen muss. Ich kann gut verstehen, dass das den einen oder anderen abstößt, weil man denkt, Spiritualität müsse lieb und gut sein. Das ist auch so, aber wer die Freiheit begreift, versteht, dass man das Gute auch missbrauchen kann, dass man Gutes am falschen Platz tun kann. | |||
Die Freiheitsfähigkeit des Menschen gibt dem Bösen Raum und ermöglicht damit auch die freie Entscheidung für das Gute. Nur weil uns die Freiheit als Entwicklungsauftrag für die Zukunft gegeben wurde, haben wir eine Religion, die uns das Martyrium zeigt. Denn Leid macht nur Sinn im Hinblick auf die Freiheit, weil man dadurch lernen kann, Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen. | |||
''Vgl. Ausführungen vom IPMT in Santiago di Chile 2010'' | |||
----[1] Neues Testament, ''Lukas 23, 34''. | |||
[2] Rudolf Steiner, ''Wie erlangt man Erkenntnisse der Höheren Welten?'' GA 10. | |||
== MICHAELSSCHULE UND SCHULE DES CHRISTUS (RAPHAEL) == | |||
''Was sind die Aufgaben der Michaelschule?'' | |||
''Und was ist Ziel der Schule des Christus?'' | |||
''Inwiefern ist Raphael mit ihr verbunden?'' | |||
=== ''Ringen um Selbstlosigkeit zwischen Macht und Zwang'' === | |||
In „''Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“'' sagt Rudolf Steiner am Ende des 1. Kapitels: ''„Wie man den gesunden Menschen nur durchschauen kann, wenn man erkennt, wie sich die höheren Glieder der Menschenwesenheit des Erdenstoffes '''bemächtigen''', um ihn in ihren Dienst zu '''zwingen'''. Und wenn man auch erkennt, wie der Erdenstoff sich '''wandelt''', indem er in dem Bereich der Wirksamkeit der höheren Glieder der Menschennatur tritt, so kann man auch den kranken Menschen nur verstehen, wenn man einsieht, in welche Lage der gesamte Organismus oder ein Organ oder eine Organreihe kommen, wenn die Wirkungsweise der höheren Glieder in Unregelmäßigkeit verfällt.“'''[1]''''' | |||
Ich habe die drei Worte bemächtigen, zwingen und wandeln hervorgehoben. Sie zeigen den michaelischen Kampf der Überwindung von Macht und Zwang in der menschlichen Natur, die der Freiheit entgegenstehen, und das christlich-raphaelische Ringen um Selbstlosigkeit zwischen Macht und Zwang. | |||
==== '''·''' Michaelische Schule der Selbstüberwindung ==== | |||
Michael bekämpft aktiv das zweifache Böse, das ahrimanische Machtprinzip und die luziferischen Zwangsgewalten, den „zweiköpfigen Drachen“. Er will den Menschen Wege weisen, wie er Macht und Zwang überwinden kann in der menschlichen Natur. Rudolf Steiner nennt das Goetheanum ja die ''Michaelschule'', in der wir aus freier Einsicht bestmöglich lernen sollen, wie das Geistige und das Materielle miteinander zusammenhängen – michaelische Kultur im Sinne einer menschlichen Kultur, die wir üben sollen und so erlernen dürfen. | |||
==== '''·''' Christlich-raphaelische Schule der Selbstlosigkeit ==== | |||
Rudolf Steiner hat aber auch von einer zweiten unsichtbaren Schule gesprochen: von der ''Schule des Christus'', die Schule reinster Selbstlosigkeit.[2] Die Botschaft des Christus ist Wandlung aus Freiheit durch die selbstbestimmte Möglichkeit zur Gestaltung der eigenen Entwicklung wie auch des Weltgeschehens – das entspricht auch der raphaelischen Gesinnung, die uns im Grunde helfen will, das Prinzip der Selbstlosigkeit, das der ätherischen Welt eigen ist, zu verstehen: | |||
* wie die Substanzen sich wandeln, wie Schicksal sich wandelt, wie Menschen sich verwandeln, | |||
* aber auch, dass das michaelische und das raphaelische Prinzip sich gegenseitig unterstützen können. | |||
Wenn man das erste Kapitel in ''„Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“'''[3]''''' liest, hat man einen Schulungsweg vorliegen, über den man sich rein medizinisch anhand von Substanzbetrachtungen und Gedankenüberlegungen ganz exakt in die Welt der Selbstlosigkeit einarbeiten kann. Rudolf Steiner bezeichnete die Medizin im ''Jungmedizinerkurs'''[4]''''' als Schule der Selbstlosigkeit. Das ist ''unsere'' Schule! Das Schöne ist, dass es auch Freude macht, sich dort weiterzubilden und dass diese Schule nicht neben dem Leben herläuft, sondern voll ins Leben integriert ist. | |||
''Vgl. Vortrag „Vom Zusammenwirken der Erzengel Michael und Raphael“ an der JK 2017'' | |||
----[1] Rudolf Steiner und Ita Wegman, ''Grundlegendes zu einer Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen'', GA 27, Dornach 2007. | |||
[2] Rudolf Steiner, Die Vier Christus-Opfer. Die drei Vorstufen des Mysteriums von Golgatha, gehalten in Basel, 1. Juni 1914. | |||
[3] Sie FN 1 | |||
[4] Rudolf Steiner, ''Jungmedizinerkurs'', GA 316. | |||
== CHRISTUSIMPULS ALS SCHULE DER SELBSTLOSIGKEIT == | |||
''Was ist mit „Schule der Selbstlosigkeit“ gemeint?'' | |||
''Was wollte Rudolf Steiner damit erreichen?'' | |||
''Was will die Waldorfpädagogik?'' | |||
=== ''Ein Gegenmittel zum Materialismus'' === | |||
1913 wurde hier in Dornach der Grundstein für das Goetheanum[1] gelegt. Ein knappes Jahr später, als die die riesige Baugrube gerade ausgehoben wurde und die Bauarbeiten in vollem Gange waren, sagte Rudolf Steiner sinngemäß: ''Den Christus zu erkennen heißt, die Schule der Selbstlosigkeit durchzumachen''. Der Goetheanumbau war als ein Ort gedacht, wo man üben würde, den Christus zu erkennen. Im Zyklus über die drei Vorstufen des Mysteriums von Golgatha[2] spricht Steiner gleich in der Einleitung von der ''„Schule des Christus“.'' | |||
Bei der Begründung der Waldorfschule 1919 sagte er, unsere Zeit sei viel zu sehr vom Egoismus geprägt. Er wolle mit dieser Schulgründung eine Pädagogik anbieten, die als Gegenmittel zu Egoismus und Materialismus wirkt. Unter dem Einfluss des Materialismus werde der Menschheit der Wert die Selbstlosigkeit verlorengehen. Die Auswirkungen davon würden erst in zukünftigen Zeiten in vollem Ausmaß erkannt werden. | |||
=== ''Veranlagung zur Selbstlosigkeit wecken'' === | |||
Durch die Vertiefung in das Mysterium von Golgatha, das Empfinden seiner Bedeutung mit unserem ganzen Gefühl, unserem ganzen seelischen Wesen, bekommen wir wieder Zugang zur Kultur der Selbstlosigkeit. Christuserkenntnis zu erlangen bedeutet, die Schule der Selbstlosigkeit zu durchlaufen. Wenn wir Christus erkennen, machen wir uns mit allen Impulsen der Menschheitsentwicklung bekannt, die unsere seelische Veranlagung zur Selbstlosigkeit wecken. Sie träufeln gleichsam in unsere Seele hinein und durchglühen, durchwärmen alles, was zur Selbstlosigkeit veranlagt ist, und rufen es auf, in unserer Seele aktiv zu werden. | |||
Man könnte sagen, was Christus für die Erdenentwicklung getan hat, ist beschlossen in dem Grundimpuls der Selbstlosigkeit. Er bildet die Voraussetzung dafür, sich bewusst in Richtung der Menschheitsziele entwickeln zu können. Das erkennen wir am besten, wenn wir das Mysterium von Golgatha in seinem großen Zusammenhang betrachten. | |||
Wenn man die Schule der Selbstlosigkeit durchmacht, wird man den schwierigsten Menschen als Lernpartnern begegnen. Dieses Paradoxon darf man gerne weitersagen. Ich sage immer: Wenn man es bei den Anthroposophen aushält, kann einem nichts mehr passieren. Dann ist man absolut sozial krisenfest und aufgestellt. | |||
''Vgl. Vortrag an der Schulärztetagung 2012'' | |||
----[1] Das Goetheanum ist ein Gebäude in Dornach in der Schweiz, das als Tagungsort der Allg. Anthroposophischen Gesellschaft und der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft sowie als Festspielhaus und Theater fungiert (wikipedia). | |||
[2] Rudolf Steiner, ''Die Vier Christus-Opfer. Die drei Vorstufen des Mysteriums von Golgatha,'' gehalten in Basel, 1. Juni 1914. |
Aktuelle Version vom 24. März 2025, 11:34 Uhr
Christus heute – von Michaela Glöckler
Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
DAS MYSTERIUM VON GOLGATHA ALS ZENTRALEREIGNIS
Inwiefern ist das Mysterium von Golgatha die höchste Inspirationsquelle der Anthroposophie?
Welche Erneuerung erfährt es im Jahreslauf?
Wie sollen wir umgehen mit der Botschaft des Christus Jesus?
Was meint Steiner mit „Schule der Selbstlosigkeit“?
Sich ständig erneuerndes Mysterium von Golgatha
Die größte, höchste, alles umfassende Inspirationsquelle der Anthroposophie ist das Mysterium von Golgatha. Rudolf Steiner spricht gegen Ende seines Wirkens auf Erden, dass es nicht bloß ein einmaliges Ereignis war:
„Aber jetzt, wo der Mensch in die Freiheit aufgerückt ist, jetzt soll er gerade unter dem Einfluss seiner Freiheit dieses Bedrohliche aus der Welt schaffen, dass ihn Ahriman an die Erdenverhältnisse kettet. Dieses Bedrohliche steht als eine Perspektive der Zukunft vor ihm. Und da sehen wir denn, wie ein Objektives in der Erdenentwickelung geschehen ist: das Mysterium von Golgatha.
Das Mysterium von Golgatha ist nicht als einmaliges Ereignis bloß geschehen. Wohl musste es sich als einmaliges Ereignis hinstellen in das Erdengeschehen, aber es wird dieses Ereignis, dieses Mysterium von Golgatha, jedes Jahr in einer gewissen Weise für den Menschen erneuert. Wer ein Gefühl dafür entwickelt, wie da oben das Luziferische im Kohlensäuredampf ersticken will die physische Menschheit, wie da unten das Ahrimanische im astralischen Regen die ganze Erde so beleben will in ihren Kalkmassen, dass der Mensch sich in ihr zunächst sklerotisiert, auflöst, wer das durchschaut, für den ersteht zwischen dem Luziferischen und dem Ahrimanischen die Gestalt des Christus, die Gestalt des sich von der Materie befreienden Christus, der den Ahriman zu seinen Füßen hat, sich heraus entwickelt aus dem Ahrimanischen, nicht berücksichtigend das Ahrimanische, es überwindend, wie es hier [im Goetheanum, Anm. MG] malerisch und plastisch dargestellt worden ist. Und er sieht diesen Christus, wie er auf der anderen Seite überwindet, was nur eben das Obere des Menschen wegziehen will von der Erde. Es erscheint der Kopf jener Gestalt, die über den Ahriman siegt, es erscheint der Christus-Kopf in einer solchen Physiognomie, in einem solchen Blick, in einer solchen Antlitzgebärde, dass dieser Blick, diese Antlitzgebärde abgerungen ist den verflüchtigenden Kräften des Luzifer. Hereingezogen die luziferische Gewalt in das Irdische, hineingestellt in das Irdische, das ist die Gestalt des Christus, wie er jedes Jahr im Frühling erscheint, wie wir ihn uns vorstellen müssen: Stehend auf dem Irdischen, das zum Ahrimanischen gemacht werden soll, siegend über den Tod, auferstehend aus dem Grab, sich hinauferhebend als Auferstandener zur Verklärung, zur Verklärung, die da kommt durch das Hinüberführen des Luziferischen in die irdische Schönheit des Christus-Antlitzes.[1]
Schule der Selbstlosigkeit
An anderer Stelle spricht er über die Botschaft des Christus Jesus als etwas, das wir uns „einverleiben“, völlig in uns hineinnehmen müssen: „Das Höchste, das uns gegeben werden kann, ist die Botschaft von Christus Jesus. Wohl müssen wir sie aufnehmen, und nicht bloß mit dem Verstand. Wir müssen sie in unser Innerstes aufnehmen, wie man die Nahrung im physischen Leibe aufnimmt.“[2]
Im Zyklus über die vier Christusopfer[3] findet sich die zentrale Stelle, in der Rudolf Steiner über die drei Vorstufen des Mysteriums von Golgatha spricht. In der Einleitung sagt er: „Den Christus erkennen heißt, die Schule der Selbstlosigkeit durchmachen.“ Keine Christuserkenntnis ohne das Durchmachen der Schule der Selbstlosigkeit. „Christus erkennen heißt, sich bekannt machen mit all denjenigen Impulsen der Menschheitsentwicklung, die so in unsere Seele hineinträufeln, dass sie alles, was in dieser Seele zur Selbstlosigkeit veranlagt ist, durchglühen, durchwärmen und aufrufen zum aktiven Seelensein. Zur Selbstlosigkeit.“
Unter dem Einfluss des Materialismus geht die Selbstlosigkeit in einer Weise verloren, wie es in zukünftigen Zeiten erst in seiner vollen Tragweite erkannt werden wird. Aber durch die Vertiefung in das Mysterium von Golgatha, durch die Durchdringung der Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha mit unserem ganzen Gefühl, unserem ganzen seelischen Wesen, können wir wieder einen Zugang zur Kultur der Selbstlosigkeit bekommen. Denn was Christus für die Erdenentwicklung getan hat, ist beschlossen im Grundimpuls der Selbstlosigkeit. Was das bedeutet für die bewusste Entwicklung der menschlichen Ziele, werden wir am besten gewahr, wenn wir das Mysterium von Golgatha in seinem großen Zusammenhang betrachten lernen.
Bedeutung des 2. Siegels der Apokalypse
Das 2. Siegel der Apokalypse fasst ins Bild, dass sich die Menschen in den vergangenen Entwicklungsepochen über die Erde hin konstitutionell unterschiedlich entwickelten. Das Zentralereignis des Mysteriums von Golgatha, das „Opfer aller Weisheit und aller Wahrheit“, stellt diesbezüglich einen Wendepunkt dar: Die Christustat war notwendig, damit es in Zukunft allen Menschen möglich würde, nach höherer Erkenntnis zu streben, aus freiem Entschluss nach der Wahrheit dieser Welt und des eigenen Wesens zu suchen. Kein Mensch hätte aus eigener Kraft soweit kommen können. Allein durch sein freiwilliges Opfer konnte Christus Jesus uns den Sinn des Mysteriums von Golgatha zugänglich machen. Doch muss jeder seinen eigenen Zugang zu diesen Entwicklungsgeheimnissen finden, muss aus eigenem freiem Willen heraus tätig werden.
Wenn wir Menschen uns in ferner Zukunft zu einem neuen Bruderbund der Menschheit vereinigen werden, wird sich das zweite Siegelbild der Apokalypse erfüllt haben. Rudolf Steiner beschreibt in „Wie erlangt man Erkenntnisse der Höheren Welten?“[4] in Gedankenform, was Johannes uns in der Apokalypse in Bildform vor Augen führt: wie der Mensch sich zuerst als individuelles Wesen entwickelt, um schließlich ein soziales „menschheitliches“ Wesen zu werden.
Vgl. Vortrag über Mobbing an der Schulärztetagung 2012
[1] Rudolf Steiner, Das Miterleben des Jahreslaufes in vier kosmischen Imaginationen. Vortrag vom 7. Oktober 1923, GA 229, Dornach 1999.
[2] Rudolf Steiner, Die Apokalypse des Johannes, GA 104, Dornach 1985, S. 173.
[3] Rudolf Steiner, Die Vier Christus-Opfer. Die drei Vorstufen des Mysteriums von Golgatha, gehalten in Basel, 1. Juni 1914.
[4] Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der Höheren Welten?, GA 10.
CHRISTUSERFAHRUNG IM SPANNUNGSFELD VON KRIEG UND FRIEDEN
Warum zerfallen heute so viele Gemeinschaften, die früher Bestand hatten?
Was bedeuten die Christusworte über die von IHM verursachte Entzweiung?
Ursache und Sinn von Entzweiung durch den Christus
Das Zerbrechen gemeinschaftlicher Zusammenhänge, das uns überall begegnet, gehört zu den sozialen Problemen der Gegenwart. Es hat aber auch einen tiefen Sinn, der mit der Menschheitsentwicklung zusammenhängt. Ich möchte das anhand einer Szene aus dem Lukas-Evangelium verdeutlichen.[1] Dort spricht Jesus zu den Jüngern:
„Ich bin gekommen, um ein Feuer auf die Erde zu werfen; ich habe keinen anderen Wunsch, als es in Flammen zu sehen. Aber ich habe zuvor eine Taufe durchzumachen, und es bedrängt mich sehr, bis sie vollendet ist. Meint ihr, ich sei gekommen, um auf Erden Frieden zu stiften? Nein, ich sage euch: Lauter Trennung wird durch mich bewirkt. Von jetzt an werden sich fünf, die in einem Hause beisammen sind, voneinander trennen. Drei werden sich trennen von zweien und zwei von dreien, der Vater vom Sohne und der Sohn vom Vater, die Mutter von der Tochter und die Tochter von der Mutter, die Schwiegermutter von der Braut und die Braut von der Schwiegermutter.
Und zu der Menge sprach er: Wenn ihr im Westen eine Wolke heraufziehen seht, so saget ihr sogleich: Es wird Regen geben, und das trifft auch ein. Und wenn ihr merkt, dass Südwind weht, so sagt ihr: Es wird heiß werden, und auch das trifft ein. Welch falschen Sinnes seid ihr! Das Antlitz der Erde und des Himmels wisst ihr zu deuten; die Zeichen unserer Zeit jedoch, warum deutet ihr die nicht? Und warum traut ihr euch nicht selbst ein Urteil zu über das, was Recht und Unrecht ist? Wenn du mit deinem Widersacher vor den Gerichtshof gehst, so gib dir Mühe, dich mit ihm zu verständigen, solange ihr noch auf dem Wege seid. Sonst möchte es dir geschehen, dass er dich vor den Richter schleppt und der Richter dich dem Schergen übergibt und der Scherge dich in den Kerker wirft. Ich sage dir, du wirst aus dem Kerker nicht herauskommen, bis du den letzten Heller deiner Schuld bezahlt hast."
Sprengkraft des Willens zur Selbständigkeit
Diese Belehrung kann erst in unserer Zeit in ihrer ganzen Bedeutung erfasst werden. Denn heute erleben wir, wie stark die sprengende Kraft ist, die durch das Streben nach Selbstständigkeit und Selbstverwirklichung entstanden ist, über das „Sich-selber-Zutrauen, was Recht und Unrecht ist“.
- Wie verletzlich ist der einzelne Mensch doch geworden!
- Wie viele Möglichkeiten gibt es, in Missverständnisse zu geraten, sich unverstanden, hintergangen, übervorteilt oder ausgenützt zu fühlen!
- Wie leicht hat jeder etwas gegen jeden vorzubringen, sodass schließlich nur ganz wenige Menschen übrigbleiben, denen man noch vertraut oder die man ehrlichen Herzens wertschätzen kann.
Mit eben dieser Entwicklung identifiziert sich der Jesus-Christus, indem er von sich sagt, dass ER dieses bewirkt. Diese Episode aus dem Lukasevangelium steht in krassem Widerspruch zu fast allem, was sonst in den Evangelien von IHM gesagt ist, wo von Heilung, Verwandlung, von Frieden und vom Heil der Menschheit die Rede ist.
Biologische Wurzeln unseres kriegerischen Potentials
Aufgrund unserer heutigen biologischen Kenntnisse wissen wir, dass das Jesus-Wort vom Krieg auf der physiologischen Ebene absolute Gültigkeit hat. Denn die immunologische Forschung hat klar zutage gefördert, dass jeder Mensch sein eigenes artspezifisches Eiweiß hat und auf dieser Ebene jeder gegen jeden ist. Selbst wenn man im Falle der Organtransplantation Spender und Empfänger von möglichst großer Ähnlichkeit aussucht, ist dennoch der Einsatz von Medikamenten nötig, die das Immunsystem und seine Reaktionen unterdrücken, um die Abwehrreaktion des Körpers gegenüber fremdem Eiweiß zu neutralisieren. Auf der Eiweiß- und Blutebene ist jeder des anderen Feind – es würde zum Tode führen, wenn es zur Vermischung von Eiweißbestandteilen auf der Blutebene käme. In einem solchen Falle könnte nur eine sofortige intensivmedizinische Schockbehandlung das Leben retten.
So ist auf der körperlichen Ebene tatsächlich jeder gegen jeden – nur ist uns das nicht bewusst. Diese physiologische „Feindschaft“ war früher viel weniger stark ausgeprägt, da man innerhalb einer Familien-, Volks- bzw. Blutsgemeinschaft heiratete und sich so auch auf biologischer Ebene ähnlicher war, als dies heute der Fall ist. In diesen älteren Zeiten war man sich auch bewusstseinsmäßig ähnlicher. Die Tendenz, sich als einzelner zu fühlen, der sich von anderen unterscheidet, hat seither stark zugenommen.
Auf dem Weg zur Selbständigkeit
Das heute immer stärker werdende individuelle Selbstbewusstsein stützt sich einerseits auf die von Mensch zu Mensch sehr unterschiedliche individuelle körperliche Konstitution. Andererseits ist der Wille „selbst urteilen zu lernen“ unumkehrbar in der Menschenseele veranlagt. Das ist ein zentrales Motiv der Prophetie des Johannesevangeliums:[2] „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen.“
Damit der einzelne Mensch jedoch im Zuge der Menschheitsentwicklung durch Erkenntnis der Wahrheit zur Freiheit gelangen kann, setzt das zugleich eine Entwicklung zur Selbstständigkeit voraus. Diese jedoch ist nur möglich, wenn wir die Gegensätze und Meinungsunterschiede unter den Menschen erkennen, annehmen und respektieren lernen.
Typisch für unsere Zeit ist, dass man äußere Autoritäten immer weniger anerkennt und immer mehr darauf aus ist, selbst zu entscheiden und aus eigener Einsicht heraus zu handeln. Die ungeheure Informationsflut heute hängt auch damit zusammen, dass im Prinzip jeder den Anspruch erhebt, mit seinen Anliegen und seinen Interessen gehört zu werden. Doch genau das kurbelt die Informationsflut an und mündet in die Überforderung. Wir laufen Gefahr, immer weniger verarbeiten zu können, was an Informationen auf uns einstürmt.
Schon ein Blick in die Zeitung, aufs Handy oder die Nachrichten im Fernsehen genügen, um uns mit Informationen zu überschütten, die wir längst nicht alle sinnvoll einordnen können. Hinzu kommen Fachzeitschriften mit dem Neusten aus Wissenschaft und Technik, und wenn man dann noch die anthroposophischen Bücher hinzunimmt, die alles von geisteswissenschaftlicher Seite aus beleuchten, ist es nur zu verständlich, dass viele Menschen sagen: Ich muss erst einmal mich selbst finden und dann langsam lernen, mit dieser Fülle an Informationen zurecht zu kommen. So wird der Weg in die Eigenständigkeit beschritten.
Die menschliche Ich-Natur – ein zweischneidiges Schwert
Zu Beginn der Apokalypse schildert der Evangelist Johannes, wie ihm der Christus als gewaltige Lichtgestalt erscheint, aus deren Munde ein zweischneidiges Schwert hervorgeht. Dieses Bild charakterisiert die beiden Seiten des Ich am Treffendsten:
- Es kann sich mit allem verbinden.
- Es ist dabei aber ganz auf sich selbst zurückgeworfen und auf sich gestellt.
So wenig der Mensch auf die Vereinzelung und das Auf-sich-zurückgeworfen-Sein verzichten kann, wenn er eine eigenständige Persönlichkeit entwickeln will und sich seines Ich und seiner Schöpferkräfte bewusstwerden möchte, so wenig kann er darauf verzichten zu kommunizieren, sich zu verbinden und sich damit auch der umfassenden, weltumspannenden Natur seines Ich bewusst zu werden.
Urbildlich erscheint dies auch im Prolog des Johannes-Evangeliums:
- Zum einen wird die weltumspannende Ich-Natur des Christus als der weltenschöpferische Logos angesprochen, aus dem alles hervorgegangen ist und der deswegen auch mit allem verbunden ist.
- Zum anderen wird Christus als derjenige begriffen, der in jeden einzelnen Menschen einziehen möchte, um ihn durch die Vereinzelung hindurch zur Erkenntnis der Wahrheit und zur Verbindung mit dem Vater zu führen.
Um die Schöpfung des Ich „zu vollenden", musste der Weltenschöpfer – der vom Vater gesandte Sohn – sich eine Zeit lang in einem ganz besonders vorbereiteten Menschenleib verkörpern, um den Bewusstseinsdurchgang durch das einzelne Menschen-Ich und damit auch die Erfahrung des Todes machen zu können. Nur so konnte er erkennen und erfahren, was er mit dem ICH BIN erschaffen hat. Aufgrund dieser tief menschlichen Erfahrung kann er nun als das umfassende Menschheits-Ich jedem Einzelnen in seiner Entwicklung beistehen: freilassend, abwartend, begleitend. Und so wird verständlich, warum er sowohl das Schwert bringt als auch den Frieden. Denn im Ich liegt die Möglichkeit, einerseits ein Individuum zu sein und andererseits gemeinschaftsbildend zu wirken. Das Ich ist sogar nur dann ganz es selbst, wenn es zugleich allein und in Gemeinschaft sein kann.
Zwei Stadien der Gemeinschaftsbildung
Ergebnis des Zerbrechens von Gemeinschaften ist das durch Schmerz gestärkte, erwachte, individuell und sich seiner Eigenheiten bewusst gewordene Selbst. Doch je mehr dieses Selbst von sich Kenntnis hat, desto deutlicher stellt sich ihm auch die Frage, was es nun in der Welt anfangen möchte.
Gemeinschaften, die heute Bestand haben, treten in zwei Formen auf, die zwei Entwicklungsstadien entsprechen:
- Das eine Gemeinschaftsstadium liegt noch vor Kampf und Auseinandersetzung. Es hat eine fraglos-familiäre, sympathisch-selbstverständliche, eher paradiesisch träumende Qualität – die Gemeinschaft ist den Beteiligten wie „geschenkt" worden.
- Das zweite Gemeinschaftsstadium wird in ganz bewusster Weise angestrebt und aufgebaut, nachdem man die Dramatik von Kampf, Zersplitterung und Vereinzelung kennengelernt hat und diese Erfahrung nun nicht mehr braucht. Jetzt ist das Selbstbewusstsein stark genug geworden ist, sich für ein neues konstruktives Miteinander zu engagieren.
Vgl. „Wie ist Entwicklung zur Selbständigkeit und Gemeinschaftsbildung vereinbar?“ aus „Die Heilkraft der Religion“, Stuttgart 1997
[1] Neues Testament, Lukas 12, 49 – 59.
[2] Neues Testament, Johannes, Kapitel 8.
JESUS-CHRISTUS UND DER TEMPEL DES LEIBES
Was versteht Jesus unter dem „Tempel seines Leibes“?
Tempel im Außen versus Tempel des Leibes
Anders als das Wort „Kirche“, das für das Gotteshaus und die Menschengemeinschaft stehen kann, stand der Begriff „Heiligtum“ oder „Tempel“ in der Antike nur für den Ort der Gottesverehrung. Tempel standen weithin sichtbar auf Anhöhen und in Ebenen und waren verschiedenen Göttern geweiht. Diese Gottheiten verkörperten jeweils einen Bereich der Welt oder des menschlichen Wesens:
· So war Athene im antiken Griechenland die Göttin der Vernunft, des Verstandes,
· Zeus das väterlich Herrschende,
· Hera das Mütterliche als Göttin der Häuslichkeit, der Gewohnheiten, der Sitten und des Brauchtums.
· Poseidon war der Herrscher des Meeres,
· Hades der Gott der Unterwelt.
Himmel und Erde, die Natur und alles Menschliche wurden als göttlichen Ursprungs angesehen, zugleich aber auch als Wohnstatt der Götter.
Jesus jedoch bezieht das Wort Tempel auf sich selbst – auf den „Tempel seines Leibes“.[1] Das wird verständlicher, wenn wir noch das wegweisende Wort hinzunehmen: „Das Reich Gottes ist inwendig in euch."[2] Nicht draußen in der Natur, am Himmel oder in der Erde sollen wir die göttlichen Gewalten jetzt primär suchen und verehren, sondern in uns selbst, in unserer eigenen seelisch-geistigen Erfahrung. Die Wohnung Gottes, in der der Mensch IHM begegnen kann, kann jetzt der individuelle Menschenleib werden. Geschöpf und Schöpfer werden in Jesus eins – und wir werden von ihm aufgefordert, ihm auch in dieser Hinsicht nachzufolgen.
Der Mensch als Abbild dieser Welt
Der Mensch ist nach Form und Funktion ein Abbild dieser Welt, ist eingebettet und integriert in die große geschaffene Welt. Unter diesem Aspekt kann man auch das Wort Jesu tiefer verstehen, wenn er sagt, dass die ganze Erde sein Leib ist. In seinem Innern lebte das Bewusstsein darüber, welche Gesetze den menschlichen Leib erschufen und mit welchen Weltenrhythmen und -erscheinungen er unmittelbar zusammenhängt.
· Naturverbundenheit unseres Körpers
Nahezu alle Substanzen der Natur sowie die Naturgesetze sind an unserem Körperaufbau beteiligt, d.h. dass sich die wesentlichen Gesetzmäßigkeiten und Eigenschaften des Mineral-, Pflanzen- und Tierreiches im menschlichen Körper wiederfinden. Selbst Umweltgifte, die durch Industrie und Landwirtschaft in den Naturkreislauf geraten sind, gelangen in den menschlichen Organismus und können, wie z.B. das DDT, im Fettgewebe abgelagert oder wie das beim radioaktiven Zerfall auftretende Strontium 90 in die Knochen eingebaut werden. Diese Stoffe können auch wieder mobilisiert werden – der Körper ist also in der Lage, die Substantialität der gewordenen Welt zu verarbeiten. Selbst Substanz von anderen Menschen in Form von Bluttransfusionen oder Organspenden kann von uns zu einem gewissen Grad verarbeitet bzw. integriert werden.
· Kosmische Anbindung unseres Körpers
Unser Körper hat aber auch einen engen Bezug zum Kosmos. So folgen alle Stoffwechsel-funktionen den 24-Stunden-Rhythmen unserer sogenannten biologischen Uhr, und halten sich dabei an den Tag-Nacht-Rhythmus. Ein direkter Einfluss des Sonnenlichtes wurde von der Rhythmusforschung der letzten Jahrzehnte wiederholt nachgewiesen. Schirmt man einen Menschen vom Sonnenlicht ab und bringt ihn in einen Bunker, wo auch andere Geräusche und Einflüsse des Tageslebens vollständig ausgeschaltet sind, werden seine Körperrhythmen zeitlich auseinandergezogen und pendeln sich auf einen Tag-Nacht-Rhythmus von 25 Stunden ein, der dem täglichen Mondumlauf entspricht: Der Mond geht ja täglich fünfzig Minuten später auf. Die Anwesenheit der Sonne als äußerer Zeitgeber und Impulsator verhilft dem Menschen also, sich auf den 24-Stunden-Tag des mittleren Sonnentages zu synchronisieren. So wirken auch die Gesetzmäßigkeiten der Planetenbewegungen mit ihren Rhythmen und Verhältnissen insbesondere auf die zeitlichen Funktionsabläufe des Organismus.
In der Flugmedizin macht man sich diese Tatsache zunutze, indem man den Passagieren, die Flüge mit größeren Zeitverschiebungen zu absolvieren haben, empfiehlt, sich am Zielort möglichst bald für einige Stunden dem dortigen Sonnenlicht auszusetzen. Das erleichtert die Anpassung an die neue Zeitrhythmik in ganz erstaunlicher Weise und beugt dem „Jetlag", der Flugmüdigkeit, vor.
Jesus wusste um den engen Zusammenhang zwischen dem Schöpfungsprozesses und seinem Leib. Wenn wir diesen Zusammenhang zu verstehen versuchen und an uns selbst zu erleben, beginnen wir uns als „Gotteskinder" kennenzulernen.
Vgl. „Integration - Aufgabe der Kirche heute“ aus „Die Heilkraft der Religion“, Stuttgart 1997
[1] Neues Testament, Johannes 2, 19 - 20.
[2] Neues Testament, Lukas 17, 20 - 21.
CHRISTUSBEWUSSTSEIN ENTWICKELN LERNEN
Was ist unter Christusbewusstsein zu verstehen?
Wie können wir diese Art von Bewusstsein entwickeln?
Wach für das Zusammenspiel kosmisch-irdischer Prozesse
Jesus verfügte über eine Wachheit, die ihn befähigte, in jedem Augenblick bewusst zu verfolgen, welche Weltgesetze an Bau und Erhaltung seines physischen Leibes – des Tempels seines Leibes – beteiligt waren und welche Weltenrhythmen und Sternengesetze in seinen Organfunktionen wirkten. Auch nahm er wahr, wie in jedem Augenblick die Himmels-verhältnisse und die Erdenverhältnisse im Menschen zusammenspielen. Er erlebte mit vollem Bewusstsein bestimmte Sternkonstellationen, deren Bedeutung wir als Horoskope zu erklären versuchen. Im Tempel seines Leibes waren äußerlich und innerlich, physisch und geistig Weltall, Erde und Mensch vereinigt.
Es würde sich schon viel an unserem Selbst- und Weltverständnis ändern, wenn wir anfingen darüber nachzudenken, woher im Einzelnen der Inhalt unseres wöchentlichen großen Einkaufskorbes kommt.
Aus welchen Weltgegenden kommen die verschiedenen Nahrungsmittel, die wir im Laufe einer Woche durch uns bzw. den Leib hindurchgehen lassen?
Wer war daran beteiligt, dass sie zu uns gelangen konnten?
Interesse am Zusammenspiel von Mensch und Welt
Wenn wir ein Bewusstsein entwickeln, dem nichts entgeht und das an allem interessiert ist, was unter den Menschen und in der Welt geschieht, werden wir besser verstehen, warum die besondere Hinwendung des Jesus denjenigen galt, die „nicht selig" waren: Die Verachteten, die Kranken, die Armen, eben all diejenigen, die Hilfe brauchten. Gerade sie wollte er ansprechen und ihnen ihre Beziehung zu ihm aufzeigen. Zu Levi, dem späteren Jünger Matthäus, den er als Zöllner sitzen sah und auffordert, ihm zu folgen, sagte er: „Die Gesunden bedürfen keines Arztes, wohl aber die Kranken. Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten, sondern um die Verirrten zur Sinnesänderung zu rufen."[1]
Wer in dieser Weise beginnt, über den „Tempel des Leibes" nachzudenken, empfindet eine zunehmende Dankbarkeit für alles, womit er verbunden ist und wodurch er als Mensch zu dem geworden ist, der er heute ist. Christian Morgenstern hat aus einem solchen Bewusstsein heraus sein Gedicht „Die Fußwaschung" geschrieben:
Die Fußwaschung
Ich danke dir, du stummer Stein,
Und neige mich zu dir hernieder:
Ich schulde dir mein Pflanzensein.
Ich danke euch, ihr Grund und Flor
Und bücke mich zu euch hernieder:
Ihr halft zum Tiere mir empor.
Ich danke euch, Stein, Kraut und Tier
Und beuge mich zu euch hernieder:
Ihr halft mir alle drei zu Mir.
Wir danken dir, du Menschenkind
Und lassen fromm uns vor dir nieder:
Weil dadurch, dass du bist, wir sind.
Es dankt aus aller Gottheit Ein-
Und aller Gottheit Vielfalt wieder.
In Dank verschlingt sich alles Sein.
Vgl. „Integration - Aufgabe der Kirche heute“ aus „Die Heilkraft der Religion“, Stuttgart 1997
[1] Neues Testament, Markus 2, 17.
CHRISTUSWAHRNEHMUNG UND LUZIFERISCHE UND AHRIMANISCHE TÄUSCHUNG
Wie sind Christuswahrnehmungen im Umfeld des Todes zu verstehen?
Gibt es nicht auch Täuschungen seitens Luzifer und Ahriman?
Christusbegegnung im Todesaugenblick
Menschen, die dem Tode nah waren, aber auch Drogenabhängige und andere, die sich das Leben nehmen wollten, jedoch wieder reanimiert wurden, sprechen oft von einer Christuswahrnehmung. Handelte es sich tatsächlich um eine Christuswahrnehmung, so sind die Betreffenden, nachdem sie wieder zu sich gekommen sind, äußerst motiviert, ihr Leben zu ändern und sich z.B. für eine Therapie zu entscheiden. Schilderungen von sogenannten Nahtodeserlebnissen drücken weltweit im Wesentlichen das Gleiche aus. Sie decken sich auch mit den Ausführungen Rudolf Steiners über den Todesaugenblick und die ersten Schritte in das jenseitige Leben.
Der Todesaugenblick – ob scheinbar oder wirklich – ist ein Augenblick größter Geistes-helligkeit, die, wenn der Tod wirklich eintritt, immer mit einer Christusbegegnung verbunden ist. Menschenkundlich ist das so zu verstehen, dass sich im Todesaugenblick der Ätherleib vom physischen Leib löst und in leuchtender Gedankenklarheit, vom Stoff befreit, den Menschen als Gedankenorganismus, als reines Wahrheitslicht umgibt. Und da der Christus seit seiner Auferstehung in die Ätherwelt bzw. die Gedankenwelt rund um die Erde eingezogen ist, steht er auch zum Ätherleib jedes Menschen in unmittelbarer Beziehung und kann so im Ätherischen unmittelbar wahrgenommen werden.
Mögliche Täuschungen
Oft wird gefragt, ob es sich dabei nicht auch um luziferische Erlebnisse handeln könnte. Solange der Mensch mit seinem Erdenleib verbunden ist, sind Täuschungen und Trübungen möglich. Dann können die Stimmen von Luzifer, Ahriman und Christus durchaus verwechselt werden. Sie sind nicht immer leicht voneinander zu unterscheiden, denn alle drei sind an der Schwelle zur geistigen Welt zu vernehmen. Im Tode verlieren Luzifer und Ahriman jedoch ihre verführerische Macht, da diese an die Verkörperung im physischen Leib gebunden ist. Jenseits der Schwelle empfängt jeder Mensch das Geschenk der unmittelbaren Christusbegegnung.
Bernhard Lievegoed, der inzwischen verstorbene holländische Psychiater und Sozial-Entwicklungsforscher, erzählte einmal einer Gruppe junger Ärzte aus seinem Leben. Da kam er auch auf ein Kriegsereignis zu sprechen, als er im 2. Weltkrieg an der Front im Schützengraben lag und miterleben musste, wie sein Freund und Kriegskamerad neben ihm tödlich getroffen wurde. Im Schock lockerte sich sein physisch-ätherisches Wesensglieder-gefüge und er sah, wie vom fernen Horizont her eine Lichtgestalt herannahte, seinen Freund liebevoll umfing und mitnahm in die Welt des Lichtes. Dieser Eindruck war so stark, dass Lievegoed lebenslang jedwede Furcht vor dem Tode verlor.
Täuschung durchschauen lernen
In dem Zyklus von Rudolf Steiner „Die okkulten Bewegungen im 19. Jahrhundert“[1] findet sich die Frage, ob man lernen kann, die Stimmen von Luzifer, Ahriman und Christus während des Erdenlebens zu unterscheiden. Dort führt Rudolf Steiner aus, dass man sich gegenüber okkulten Angriffen und Gefährdungen schützen kann, indem man seine gesunde Urteilskraft gebraucht und sich in Situationen, in denen man nicht sicher ist, fragt, „wes Geistes Kind“ die Stimme ist. Und zwar dadurch, dass man an das Ereignis oder an den betreffenden Menschen, von dem die mögliche Versuchung ausgeht, zwei Fragen stellt:
Lässt mich die Botschaft frei oder übt sie, wenn auch noch so sublim, moralischen Druck oder Zwang aus?
Kann ich die Verlautbarungen oder Botschaften mit meinem gesunden Menschenverstand begreifen?
Was Luzifer und Ahriman gemeinsam haben, ist ihr fehlendes Verständnis für menschliche Entwicklung. Luzifer hätte gerne, dass wir mit uns zufrieden sind und uns moralisch gut finden. Ahriman hingegen ist der Inspirator der Bequemlichkeit. Er liebt es, den Menschen durch Sachzwänge und Funktionalität von außen zu dirigieren. Beide Haltungen lähmen die Eigentätigkeit und die „Lust auf Entwicklung“. Christus hingegen lässt uns frei, indem er unsere eigene Entwicklungsbereitschaft stärkt.
Vgl. „Welchen Auftrag hat die Religion in Erziehung und Heilkunst?“ aus „Die Heilkraft der Religion“, Stuttgart 1997
[1] Rudolf Steiner, Die okkulten Bewegungen im 19. Jahrhundert, GA 254.
CHRISTUSOPFER UND WESENSGLIEDER
Welche Bedeutung haben die Christusopfer im Zuge der Weltenentwicklung für die Wesensglieder des Menschen?
Christusopfer in der lemurischen, der früh- und der spätatlantischen Zeit
Rudolf Steiner hielt acht Monate nach der Grundsteinlegung die wunderbaren Vorträge über die Christusopfer[1] in der lemurischen und der früh- und spätatlantischen Zeit und über das Mysterium von Golgatha. Diese Opfer wurden gebracht, damit die menschliche Konstitution gesund veranlagt werden konnte in Bezug
- auf die Sinne (physischer Leib) – in der lemurischen Zeit
- auf den Lebensorganismus (Ätherleib) – in der frühatlantischen Zeit
- auf die Seelenfähigkeiten von Denken, Fühlen und Wollen (Astralleib) – in der spätatlantischen Zeit
- und mit dem Mysterium von Golgatha auch im Hinblick auf das Ich
Dank dieser Christusopfer wurde in vierfacher Weise Gesundheit veranlagt: In Bezug auf den physischen Leib, die Sinnesorgane, den Astralleib und den Ätherleib hat Christus das für uns vollbracht. Im Hinblick auf das Ich hat er es auch veranlagt, doch kann der Gesundungsprozess nur vollendet werden, wenn jeder Mensch freiwillig dieses Christusopfer im Ich selber auch darbringt und es so in Freiheit und Liebe vollendet, damit es voll wirksam werden kann.
Bedeutsame Selbstlosigkeit
Rudolf Steiner sagt nun über den Christus und über die Art, wie wir ihn in allen Lebensgebieten suchen und finden können, etwas Großartiges. Das möchte ich gerne vorlesen:[2]
„Für unsere gegenwärtige Kultur ist vor allen Dingen nötig, dass wir immer mehr und mehr gewinnen, indem wir die Ergebnisse der Geisteswissenschaft auf uns wirken lassen, eine neue Christuserkenntnis. Und den Christus erkennen heißt, die Schule der Selbstlosigkeit durchmachen. Christus erkennen heißt, sich bekannt machen mit all denjenigen Impulsen der Menschheitsentwicklung, die so in unsere Seele hineinträufeln, dass sie alles, was in dieser Seele zur Selbstlosigkeit veranlagt ist, durchglühen, durchwärmen und aufrufen zum aktiven Seelensein, zur Selbstlosigkeit. Diese Schule der Selbstlosigkeit kann der Mensch nach den Bedingungen des gegenwärtigen Zeitenzyklus nur durchmachen, wenn er sich ein durch-dringendes Verständnis erwirbt für wirkliche Selbstlosigkeit. Nun können wir, wenn wir die Weltenevolution, die Weltenentwicklung durchgehen, kein tieferes Verständnis finden für Selbstlosigkeit als dasjenige, was uns durch die Erscheinung des Christus auf Erden gegeben worden ist.“
Vgl. Michaeli-Vortrag am Goetheanum, Sept. 2013
[1] Rudolf Steiner, Die Vier Christus-Opfer. Die drei Vorstufen des Mysteriums von Golgatha, gehalten in Basel, 1. Juni 1914.
[2] Ebenda.
CHRISTENTUM UND MARTYRIUM
Warum gehen Christentum und Martyrium Hand in Hand?
Aufwachen für das Böse
Das Christentum hat von Anfang an mit Martyrium zu tun, mit der Offenbarung des Bösen, vom Kindermord bis zur Kreuzigung. Diese Nähe zum Bösen und zum Leid im Martyrium war undenkbar für die vorchristliche Spiritualität. Der gemarterte, gefolterte Mensch wird als Gottes Sohn und die „Mater dolorosa“, die ihren Sohn am Kreuz hängen sieht, als Mutter Gottes verehrt. Das Böse spielt in dem ganzen Geschehen eine zentrale Rolle. Der Christus am Kreuz sagt: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.“ [1]
In der nachchristlichen Zeit wurden wir uns unseres Tuns zunehmend bewusst. Deswegen sind wir heute auch in der Lage, das Böse zu erkennen und zu benennen. Wir können zwischen Gut und Böse unterscheiden. In der nachchristlichen Zeit, geht es darum, dass wir immer mehr aufwachen und unsere Augen nicht vor dem Bösen verschließen. Wir brauchen einen Schulungsweg, der nicht in der alten vatergöttlichen Spiritualität wurzelt.
Das Böse in und um sich erkennen
Ich kann jeden gut verstehen, der das Martyrium vermeiden will, der sich lieber nur an das Gute hält. Aber die Zukunft gehört denen, die zur Entwicklung „Ja“ sagen – was bedeutet, dass sie bereit sind, das Böse in und um sich zu erkennen und durch Erkenntnis zu überwinden.
Der Ort, wo ich das Böse am besten erkennen kann, bin ich selbst. Goethe sagte sinngemäß von sich: „Es gibt nichts Böses draußen in der Welt, wozu ich nicht auch die Veranlagung in mir selbst entdeckt habe. Und ich danke meinem gütigen Geschick, dass es mich immer davor behütet hat, dieses Böse auszuleben. Dass es mir die Kraft gegeben hat, die bösen Neigungen in mir zu halten und zu verwandeln.“
Goethe befasste sich von seinem 14. Lebensjahr an bis zum Alter von über 80 Jahren mit dem Thema „Faust“ – mit dem Menschen, der sich mit dem Bösen „zusammentut“ und es in jeder Lebensetappe auf einer anderen Stufe erkennen und überwinden muss.
Das Böse als Bedingung für Freiheit
Deswegen wird in Rudolf Steiners Buch über die innere Entwicklung[2] das Böse klar benannt. Da wird vom Doppelgänger gesprochen, von den bösen Neigungen, die man erkennen muss. Ich kann gut verstehen, dass das den einen oder anderen abstößt, weil man denkt, Spiritualität müsse lieb und gut sein. Das ist auch so, aber wer die Freiheit begreift, versteht, dass man das Gute auch missbrauchen kann, dass man Gutes am falschen Platz tun kann.
Die Freiheitsfähigkeit des Menschen gibt dem Bösen Raum und ermöglicht damit auch die freie Entscheidung für das Gute. Nur weil uns die Freiheit als Entwicklungsauftrag für die Zukunft gegeben wurde, haben wir eine Religion, die uns das Martyrium zeigt. Denn Leid macht nur Sinn im Hinblick auf die Freiheit, weil man dadurch lernen kann, Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen.
Vgl. Ausführungen vom IPMT in Santiago di Chile 2010
[1] Neues Testament, Lukas 23, 34.
[2] Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der Höheren Welten? GA 10.
MICHAELSSCHULE UND SCHULE DES CHRISTUS (RAPHAEL)
Was sind die Aufgaben der Michaelschule?
Und was ist Ziel der Schule des Christus?
Inwiefern ist Raphael mit ihr verbunden?
Ringen um Selbstlosigkeit zwischen Macht und Zwang
In „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“ sagt Rudolf Steiner am Ende des 1. Kapitels: „Wie man den gesunden Menschen nur durchschauen kann, wenn man erkennt, wie sich die höheren Glieder der Menschenwesenheit des Erdenstoffes bemächtigen, um ihn in ihren Dienst zu zwingen. Und wenn man auch erkennt, wie der Erdenstoff sich wandelt, indem er in dem Bereich der Wirksamkeit der höheren Glieder der Menschennatur tritt, so kann man auch den kranken Menschen nur verstehen, wenn man einsieht, in welche Lage der gesamte Organismus oder ein Organ oder eine Organreihe kommen, wenn die Wirkungsweise der höheren Glieder in Unregelmäßigkeit verfällt.“[1]
Ich habe die drei Worte bemächtigen, zwingen und wandeln hervorgehoben. Sie zeigen den michaelischen Kampf der Überwindung von Macht und Zwang in der menschlichen Natur, die der Freiheit entgegenstehen, und das christlich-raphaelische Ringen um Selbstlosigkeit zwischen Macht und Zwang.
· Michaelische Schule der Selbstüberwindung
Michael bekämpft aktiv das zweifache Böse, das ahrimanische Machtprinzip und die luziferischen Zwangsgewalten, den „zweiköpfigen Drachen“. Er will den Menschen Wege weisen, wie er Macht und Zwang überwinden kann in der menschlichen Natur. Rudolf Steiner nennt das Goetheanum ja die Michaelschule, in der wir aus freier Einsicht bestmöglich lernen sollen, wie das Geistige und das Materielle miteinander zusammenhängen – michaelische Kultur im Sinne einer menschlichen Kultur, die wir üben sollen und so erlernen dürfen.
· Christlich-raphaelische Schule der Selbstlosigkeit
Rudolf Steiner hat aber auch von einer zweiten unsichtbaren Schule gesprochen: von der Schule des Christus, die Schule reinster Selbstlosigkeit.[2] Die Botschaft des Christus ist Wandlung aus Freiheit durch die selbstbestimmte Möglichkeit zur Gestaltung der eigenen Entwicklung wie auch des Weltgeschehens – das entspricht auch der raphaelischen Gesinnung, die uns im Grunde helfen will, das Prinzip der Selbstlosigkeit, das der ätherischen Welt eigen ist, zu verstehen:
- wie die Substanzen sich wandeln, wie Schicksal sich wandelt, wie Menschen sich verwandeln,
- aber auch, dass das michaelische und das raphaelische Prinzip sich gegenseitig unterstützen können.
Wenn man das erste Kapitel in „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“[3] liest, hat man einen Schulungsweg vorliegen, über den man sich rein medizinisch anhand von Substanzbetrachtungen und Gedankenüberlegungen ganz exakt in die Welt der Selbstlosigkeit einarbeiten kann. Rudolf Steiner bezeichnete die Medizin im Jungmedizinerkurs[4] als Schule der Selbstlosigkeit. Das ist unsere Schule! Das Schöne ist, dass es auch Freude macht, sich dort weiterzubilden und dass diese Schule nicht neben dem Leben herläuft, sondern voll ins Leben integriert ist.
Vgl. Vortrag „Vom Zusammenwirken der Erzengel Michael und Raphael“ an der JK 2017
[1] Rudolf Steiner und Ita Wegman, Grundlegendes zu einer Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen, GA 27, Dornach 2007.
[2] Rudolf Steiner, Die Vier Christus-Opfer. Die drei Vorstufen des Mysteriums von Golgatha, gehalten in Basel, 1. Juni 1914.
[3] Sie FN 1
[4] Rudolf Steiner, Jungmedizinerkurs, GA 316.
CHRISTUSIMPULS ALS SCHULE DER SELBSTLOSIGKEIT
Was ist mit „Schule der Selbstlosigkeit“ gemeint?
Was wollte Rudolf Steiner damit erreichen?
Was will die Waldorfpädagogik?
Ein Gegenmittel zum Materialismus
1913 wurde hier in Dornach der Grundstein für das Goetheanum[1] gelegt. Ein knappes Jahr später, als die die riesige Baugrube gerade ausgehoben wurde und die Bauarbeiten in vollem Gange waren, sagte Rudolf Steiner sinngemäß: Den Christus zu erkennen heißt, die Schule der Selbstlosigkeit durchzumachen. Der Goetheanumbau war als ein Ort gedacht, wo man üben würde, den Christus zu erkennen. Im Zyklus über die drei Vorstufen des Mysteriums von Golgatha[2] spricht Steiner gleich in der Einleitung von der „Schule des Christus“.
Bei der Begründung der Waldorfschule 1919 sagte er, unsere Zeit sei viel zu sehr vom Egoismus geprägt. Er wolle mit dieser Schulgründung eine Pädagogik anbieten, die als Gegenmittel zu Egoismus und Materialismus wirkt. Unter dem Einfluss des Materialismus werde der Menschheit der Wert die Selbstlosigkeit verlorengehen. Die Auswirkungen davon würden erst in zukünftigen Zeiten in vollem Ausmaß erkannt werden.
Veranlagung zur Selbstlosigkeit wecken
Durch die Vertiefung in das Mysterium von Golgatha, das Empfinden seiner Bedeutung mit unserem ganzen Gefühl, unserem ganzen seelischen Wesen, bekommen wir wieder Zugang zur Kultur der Selbstlosigkeit. Christuserkenntnis zu erlangen bedeutet, die Schule der Selbstlosigkeit zu durchlaufen. Wenn wir Christus erkennen, machen wir uns mit allen Impulsen der Menschheitsentwicklung bekannt, die unsere seelische Veranlagung zur Selbstlosigkeit wecken. Sie träufeln gleichsam in unsere Seele hinein und durchglühen, durchwärmen alles, was zur Selbstlosigkeit veranlagt ist, und rufen es auf, in unserer Seele aktiv zu werden.
Man könnte sagen, was Christus für die Erdenentwicklung getan hat, ist beschlossen in dem Grundimpuls der Selbstlosigkeit. Er bildet die Voraussetzung dafür, sich bewusst in Richtung der Menschheitsziele entwickeln zu können. Das erkennen wir am besten, wenn wir das Mysterium von Golgatha in seinem großen Zusammenhang betrachten.
Wenn man die Schule der Selbstlosigkeit durchmacht, wird man den schwierigsten Menschen als Lernpartnern begegnen. Dieses Paradoxon darf man gerne weitersagen. Ich sage immer: Wenn man es bei den Anthroposophen aushält, kann einem nichts mehr passieren. Dann ist man absolut sozial krisenfest und aufgestellt.
Vgl. Vortrag an der Schulärztetagung 2012
[1] Das Goetheanum ist ein Gebäude in Dornach in der Schweiz, das als Tagungsort der Allg. Anthroposophischen Gesellschaft und der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft sowie als Festspielhaus und Theater fungiert (wikipedia).
[2] Rudolf Steiner, Die Vier Christus-Opfer. Die drei Vorstufen des Mysteriums von Golgatha, gehalten in Basel, 1. Juni 1914.