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== BEDEUTUNG DER ENGEL FÜR UNS MENSCHEN == | |||
''Welche Bedeutung haben Engel für uns Menschen?'' | |||
''Was ist ihre Aufgabe?'' | |||
''Was sagen Engeldarstellungen über ihr Wesen und Wirken aus?'' | |||
''Wie kann der Mensch ihnen gegenübertreten?'' | |||
=== ''Engel als Begleiter der Menschen'' === | |||
Engel sind keine unbekannten Wesen. Es gibt wohl kaum einen Menschen, der nicht zumindest ihren Namen kennte und der nicht auch wüsste, was dieser Name bedeutet. Engel (Angelos) heißt: der Bote. Ein Bote ist ein vermittelndes und wissendes Wesen, er bringt eine Botschaft. Er weiß etwas, was man selbst noch nicht weiß. So hat man auch den Engeln immer ein umfassendes Wissen zuerkannt. Schon in den frühen christlichen Jahrhunderten finden sich Engeldarstellungen in der bildenden Kunst, die dieses zum Ausdruck bringen: der wissende Blick, die weisende Geste, die schicksalswendende Handlung, die vollkommene Gestalt. Auch in den Evangelien begleiten Engel mit ihren Botschaften das Leben des Christus: die Verkündigung, die Freudenbotschaft bei der Geburt, die Stärkung im Todeskampf in Gethsemane. | |||
Engel erscheinen immer dann, wenn Menschen in Grenzsituationen kommen, in Augenblicken höchster innerer oder äußerer Not. Da werden sie auch von Menschen angerufen, die sonst vielleicht gar nicht an sie denken. In solchen Augenblicken werden sie auch am ehesten wahrgenommen und erkannt. | |||
=== ''Aussehen und Wesen von Engeln'' === | |||
Viele Maler haben sich bis in die Gegenwart in der Darstellung von Engeln versucht. Sie stimmen dabei alle in den Hauptmerkmalen überein, wenn auch das eine oder das andere stärker betont sein kann: Manchmal übermittelt die Fingerhaltung die deutlichste Botschaft, ein anderes Mal die bewegte Gestalt, die zeigt, dass es sich hier um einen Entwicklungsprozess handelt, dass ein Woher und ein Wohin vorliegt. Auf nahezu allen Engeldarstellungen fällt der überaus wache Blick auf. Wach, ernst und wissend richtet er sich auf den Betrachter des Bildes. In der Ikonenkunst werden auch Erzengel, Cherubime und Seraphime dargestellt. Je höher die hierarchische Ordnung ist, desto mehr Augen werden diesen Wesen zuerkannt. Die Augen werden nicht nur im Gesicht, sondern auch an den Händen, an den Flügeln, ja zuweilen am ganzen Leib dargestellt, um zum Ausdruck zu bringen, dass diese Wesen alles wahrnehmen, alles wissen. | |||
Engel haben Flügel. Auch sie finden wir auf fast allen Darstellungen. Leichtigkeit, die der Erdenschwere nicht unterliegt, spricht sich darin aus, aber auch eine starke Kraft und Beweglichkeit. Oft halten Engel Musikinstrumente in den Händen. Die vollkommene Harmonie, die sich in großen Musikwerken ausspricht, nennen wir gern „himmlisch“. Auch sagen wir, wenn wir eine schöne Stimme hören: Er oder sie sang wie ein Engel! Überhaupt wird das Wort „Engel“ in der Umgangssprache häufig gebraucht. Wie oft wird gesagt: „Du bist wirklich ein Engel“, selbst wenn vielleicht nur im richtigen Moment eine Briefmarke zur Hand ist. Wenn das Richtige zum richtigen Zeitpunkt geschieht, empfinden wir dies wie eine überirdische Gnade, wie ein Geschenk des Himmels, wie ein Engelereignis. Ähnlich ist es mit den moralischen Qualitäten des Menschen. Wir sprechen von Engelsgeduld, Engelsgüte, warten können wie ein Engel. | |||
=== ''Solveighs Engelsgeduld'' === | |||
In ''Ibsens'' Drama ''„Peer Gynt“'' wartet Solveigh auf Peer Gynt, während er in der Welt die verschiedensten Abenteuer besteht, zahlreiche Affären durchlebt, immer rastlos auf der Suche ist nach irgendetwas. Er weiß jedoch, dass im hohen Norden seine Solveigh auf ihn wartet. Sie wird im weißen Kleid dargestellt, weil ihr Verhalten mit menschlichen Begriffen nur schwer zu beschreiben ist. Andere Frauen reagieren anders in entsprechenden Situationen, sie stürzen in Verzweiflung oder gehen eine neue Beziehung ein, wenn sie verlassen werden. Solveigh jedoch gelingt es, die innere Ruhe nicht zu verlieren. Sie kann auf ihn warten, weil sie weiß, dass in der Beziehung zwischen Menschen nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine ewige Dimension lebt und gepflegt werden kann. So singt sie denn auch mit einer Engelsstimme: ''„Ich will deiner harren, bis du mir nah, und harrest du dort oben (das heißt, wenn du schon gestorben bist), dann treffen wir uns da.“'' Ihr ist es gleichgültig geworden, wo sie Peer Gynt wieder treffen wird. Für sie ist nur noch entscheidend, dass sie die Nähe, die innere Anwesenheit des geliebten Wesens erahnen kann und durch ihre unerschütterliche Liebe die Verbundenheit mit ihm empfindet. | |||
Menschen, die solche Eigenschaften entwickeln, sind der Welt der Engel näher. Sie finden die Brücke zwischen der sinnlichen und der übersinnlichen Welt, in deren Grenzbereich die Engel als vermittelnde Boten wirken. | |||
=== ''Schutzengel und Vermittler beim Gebet'' === | |||
In ähnlicher Weise wird Anwesenheit und Wirksamkeit von Engeln im Alten Testament geschildert, zum Beispiel im 91. Psalm: | |||
''„Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einem Stein stoßest.“'' | |||
Schilderungen dieser Art haben zu dem Begriff des „Schutzengels“ geführt, auf den wir später noch zu sprechen kommen werden. | |||
Engel wirken als Vermittler, wenn der Mensch betet. Darauf weist auch das Hochamt der katholischen Kirche hin. Die Engel, insbesondere der Erzengel Michael, helfen, damit Gott die Opfergedanken und Gefühle der Menschen wahrnehmen kann. Es ist uns nicht gegeben, Gott unmittelbar zu schauen. Die Unvollkommenheit des Menschen ist zu groß. Die Engel treten hier vermittelnd ein. Wenn wir beten, werden unsere eigenen schwachen Worte und Gedanken wie auf den Schwingen des Engels vor den Thron der Gottheit hingetragen und durch sie dort hörbar gemacht. Dies lebt auch in dem Bilde der Offenbarung des Johannes, wo gezeigt wird, dass Engel zu den Gebeten der Menschen Weihrauch hinzutun: ''„Und der andere Engel kam und trat mit einem goldenen Rauchgefäß an den Altar. Ihm wurde viel Räucherwerk gereicht, damit er es zu den Gebeten aller Geist-Ergebenen spendete auf dem goldenen Altare angesichts des Thrones.“'''[1]''''' | |||
Die Engel nehmen sich der Gebete der Menschen an und „machen etwas daraus“, „substantiieren“ sie, legen ihnen Substanz bei, „bringen sie vor Gott“. | |||
Nicht zu unserem Engel beten wir, sondern mit ihm. Und es ist von weitreichender Bedeutung für das Verhältnis zu unserem Engel, ob wir das Gebet üben oder es nicht tun. Deshalb ist es gut, wenn schon Kinder das Beten lernen dürfen und die andächtige Stimmung erleben, in der die Engel anwesend sind. | |||
''Vgl. Kapitel „Vom Wirken der Engel im Leben von Kindern und Erwachsenen“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart'' | |||
----[1] Neues Testament, ''Apokalypse'' 8, 3. | |||
== DEN ENGEL SEHEN == | |||
''Können Kinder Engel sehen?'' | |||
''Warum geht den Menschen mit zunehmendem Alter das Wissen von den Engeln verloren?'' | |||
''Kann der Erwachsene wieder lernen, die Engel zu sehen?'' | |||
=== ''Kinder erleben die Engel noch'' === | |||
Für Kinder sind die Engel etwas Selbstverständliches. Wenn ein Kind auf die Straße vor ein Auto läuft und dieses gerade noch anhalten konnte, benützen wir gerne Worte wie: ''„Da hat der Schutzengel aber gut aufgepasst!“'' Das entspricht dem Empfinden, das Kinder von Engeln haben. | |||
Je kleiner Kinder sind, desto weniger besitzen sie die Fähigkeit, das Erleben von sinnlicher und übersinnlicher Welt zu trennen. Erst in dem Maße, in dem ihr Denken abstrakt wird, verlieren sie den unmittelbaren Zugang zu dieser höheren Daseinsebene. Deshalb brauchen und genießen kleine Kinder in bestimmten Stunden eine religiöse, andächtige Stimmung zu Hause, im Kindergarten oder in der Schule. Sie fühlen sich darin geborgen und wie selbstverständlich aufgehoben. | |||
Wenn man einmal von dem Gebrüll absieht, in dem sich der menschliche Eigenwille ankündigt, erleben wir an kleinen Kindern noch viele jener moralischen Qualitäten, die wir Engeln zuschreiben: | |||
· den offenen, hellen, wachen, manchmal außerordentlich prüfenden Blick, den schon Säuglinge haben können; | |||
· die Leichtigkeit, mit der sie sich bewegen, wenn sie das Laufen gelernt haben. Manchmal springen sie wirklich so, als hätten sie Flügel; | |||
· die instinktive Wahrnehmung der Wahrheit – Kinder durchschauen die Lüge eines Erwachsenen, ohne es benennen oder sich bewusst machen zu können. | |||
Kinder sind den Engeln noch näher als Erwachsenen. | |||
=== ''Zugang zum Übersinnlichen durch das Denken'' === | |||
In dem Maße, in dem sich das selbständige Denken entwickelt, das ganz auf die äußeren Verhältnisse der Welt bezogen ist, geht die Fähigkeit verloren, Geistiges wahrzunehmen. Denn die geistige Fähigkeit des Menschen, das Denken selbst, heftet sich ausschließlich an die sinnliche Erfahrung. Man denkt nur, was man sehen kann, und erklärt sich mit Hilfe des Denkens den ganzen Umfang der Sinneserfahrungen. Dadurch verliert das Denken die Fähigkeit, Übersinnliches zu erfassen und zu schauen. Unser Denken ist aber das einzige übersinnliche „Wahrnehmungsorgan“, mit dem wir normalerweise umgehen. Wenn wir es nicht zum Innewerden geistiger Tatsachen benützen, können wir eben nichts von ihnen wissen. Zwischen Steinen und Blumen können wir Übersinnliches nicht wahrnehmen. Sinnliche Augen können sich eben nur auf Sinnliches richten. | |||
Wir können geistige Tatsachen und Zusammenhänge aber in Selbstgesprächen finden: Wenn wir uns mit uns selbst über unsere inneren Entwicklungsmotive verständigen, können wir Übersinnliches in der Denkbetätigung ahnen. Trotzdem wird man wieder und wieder die Frage haben: | |||
''Warum wird es dem Menschen so schwer gemacht?'' | |||
Es wäre doch viel einfacher, wenn das alles selbstverständliche Realitäten wären, wenn man wüsste, von wo, von welchen geistigen Wesen, die Gedanken ausgehen: von Engeln – oder von anderen Wesen. | |||
Könnten wir die übersinnliche Natur unseres Denkens unmittelbar erleben und die Wahrheit schauen, so müssten wir uns nicht in einem mühsamen Lernprozess Gedanken erarbeiten. Wir wüssten dann schon alles und müssten nicht mehr lernen. Damit würde aber das Menschenleben, so wie es sich in der Gegenwart gestaltet, seinen Sinn verlieren. | |||
''Wenn uns nichts mehr schrecken könnte, wenn wir wüssten, was auf uns zukommt und wir uns unserer ewigen Natur immer bewusst wären — in welche Richtung müssten wir uns dann entwickeln?'' | |||
''Welchen Wert hätte Entwicklung?'' | |||
''Was könnten wir dann noch lernen?'' | |||
=== ''Liebe als Brücke zum Engel'' === | |||
Wir müssten uns eine andere Aufgabe suchen. Wir wären eben keine Menschen mehr, sondern Engel. Engel haben andere Entwicklungsbedingungen und andere Aufgaben als Menschen. Für den Menschen ist charakteristisch, dass er sich selbst erst suchen muss; dass er sucht, was er noch nicht hat und sehr oft etwas überwinden oder verlassen muss, was er hat, z.B. eine Eigenschaft wie „Angst“. | |||
Es gibt nur eine menschliche Eigenschaft, die wir schon haben und die wir nie überwinden werden müssen, die wir jedoch durch eigene Anstrengung noch unvorstellbar steigern können: die Liebe. Diese Kraft im Menschen hat teil an der zeitlichen Entwicklung und ist gleichzeitig durch ihren überzeitlichen, ewigen Charakter über diese erhaben. | |||
Die Liebe bringt uns daher auch dem Engel am nächsten. In Augenblicken der Liebe können selbst Menschen, die ganz diesseitig und materialistisch erzogen wurden und nichts mit Religion zu tun haben wollen, Äußerungen tun wie die: ''„Jetzt kann ich mir vorstellen, was andere Leute meinen, wenn sie von einer geistigen oder göttlichen Welt sprechen.“'' Sie erfahren etwas, das sie mit Begriffen des äußeren materiellen Lebens nicht beschreiben können. Solche Augenblicke machen verständlich, warum die Begegnung mit geistigen Wesen, insbesondere mit dem Christus, immer mit dem Bild der Hochzeit, der Liebe, dargestellt wird. Wirklich Mensch zu werden und den Christus zu finden, heißt lieben zu lernen. | |||
Diese Erfahrung kann uns auch verständlich machen, warum man Engel nicht „sehen“ kann. Denn ihre Eigenschaften – Wachsamkeit, Treue, umfassendes Wissen – sind moralische Qualitäten, die man weder mit Händen greifen noch mit Augen schauen kann. Man kann sie nur seelisch erfahren, fühlen oder in Form von Idealen denken. Den Engel „sehen“ heißt: ihn denkend erleben können. Das kann jeder lernen, der es will. | |||
''Vgl. Kapitel „Vom Wirken der Engel im Leben von Kindern und Erwachsenen“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart'' | |||
== ENGEL IN DER DICHTUNG == | |||
''Welche Engelqualitäten spiegeln sich in den Werken von Dichtern wieder?'' | |||
''Welche Wirkung haben solche Dichtungen?'' | |||
=== ''Engel in Grenzsituationen'' === | |||
Dichter, die sich des Engelthemas annehmen, beschreiben ebenfalls die Motive, die wir bereits angesprochen haben: die Grenzsituationen des Lebens, die Qualität der Wachsamkeit, des Schützens, des Geleitens, des Behütens, des Belehrens, des Helfens, aber auch des Erschreckens. So schreibt Rainer Maria Rilke: | |||
''„Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? Und gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch gerade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.“'' | |||
Die Übermacht des Engels, das unglaubliche Wissen, die unsägliche Reinheit und Ruhe können einen Menschen vernichten, wenn sie ihn unvorbereitet treffen. Das liegt an der gewaltigen Spannung zwischen der Unvollkommenheit des Menschen und der erahnten moralischen Vollkommenheit des Engels.[1] Sie ist nur zu ertragen, wenn man bereit ist, sich zu verwandeln. Es bringt Freiheit für die menschliche Entwicklung, dass der Engel es verschmäht, den Menschen zu nahe zu kommen. Er lässt dem Menschen die nötige Zeit, sich nach eigenen Kräften und Möglichkeiten auf die Begegnung mit ihm vorzubereiten. | |||
=== ''Tröstliche Nähe in Verzweiflung empfinden'' === | |||
Noch zwei weitere dichterische Zeugnisse möchte ich erwähnen, die mir in Bezug auf unsere heutige Zeit besonders charakteristisch erscheinen. Das eine ist von Novalis, der im Zusammenhang mit seinen geistlichen Liedern öfter auch die Engel erwähnt. Er beschreibt eine Situation, die jeder von uns kennt – die Situation der Verzweiflung, in der man keinen Ausweg mehr zu finden glaubt. In solch einem Augenblick, wenn das Hadern sich ausgetobt hat, wenn alles gesagt ist, was man sagen wollte, kann mit einem Male eine tiefe Ruhe im Inneren erlebt werden, in der man erkennt, dass man als Mensch ein Wesen ist, das durch schöne und tragische Situationen hindurchgehen kann und nicht dazu verurteilt ist, in der einen oder anderen Lage steckenzubleiben. In diesen Augenblicken der Ruhe kann dann auch die tröstliche Nähe und Anwesenheit einer hilfreichen Macht empfunden werden, die einen fühlen lässt: Es geht ganz bestimmt weiter, habe nur noch weiter Geduld mit dir. | |||
Wem es gelingt, aus der Verzweiflung heraus in diese Ruhe einzutreten, der erkennt die Möglichkeit, in Gedanken eine Art Selbstgespräch zu führen. Man empfindet sich wie im Gespräch mit seinem Höheren Selbst – man kann sich selbst Trost zusprechen. Solange Emotionen den Menschen hin- und herwerfen, taucht diese Möglichkeit nicht auf. Erst in der inneren Stille können tröstliche Gedanken erscheinen und ihre hilfreiche Kraft entfalten. | |||
''Wer sendet solche Einfälle?'' | |||
''Wer vermittelt solche Gedanken?'' | |||
=== ''Novalis Lied an den Engel'' === | |||
Wenige Augenblicke vorher fühlte man in der Seele nur schwarze Zerrissenheit – plötzlich aber ist es hell und warm geworden. Solch einen Moment beschreibt Novalis in einem seiner geistlichen Lieder: | |||
''„Es gibt so bange Zeiten, es gibt so trüben Mut,'' | |||
''wo alles sich von weitem gespenstisch zeigen tut.'' | |||
''Es schleichen wilde Schrecken so ängstlich leise her,'' | |||
''und tiefe Nächte decken die Seele zentnerschwer.'' | |||
''Die sicheren Stützen schwanken, kein Halt der Zuversicht:'' | |||
''der Wirbel der Gedanken gehorcht dem Willen nicht.'' | |||
''Der Wahnsinn naht und locket unwiderstehlich hin.'' | |||
''Der Puls des Lebens stocket und stumm ist jeder Sinn.'' | |||
''Wer hat das Kreuz erhoben zum Schutz für jedes Herz?'' | |||
''Wer wohnt im Himmel droben und hilft in Angst und Schmerz?'' | |||
''Geh zu dem Wunderstamme, gib stiller Sehnsucht Raum.'' | |||
''Aus ihm geht eine Flamme und zehrt den schweren Traum.'' | |||
''Ein Engel zieht dich wieder gerettet auf den Strand.'' | |||
''Und schaust voll Freuden nieder in das gelobte Land.“'' | |||
=== ''Worte an den Schutzengel'' === | |||
Eine andere Lebenssituation hat Rudolf Steiner beschrieben. Während des Ersten Weltkrieges hat er alle seine Vorträge begonnen mit einem Spruch, der sich an den Engel wendet. Er gedachte zunächst derjenigen, die in der Extremsituation an der Front waren, bereit, dem Tod ins Auge zu sehen. Dann sprach er für die Menschen, die im Kampf bereits gefallen waren. Es sind Worte, die sich an den Schutzengel sowohl der Lebenden als auch der Verstorbenen wenden: | |||
''„Die ihr wachet über Erdenseelen, die ihr webet an den Erdenseelen,'' | |||
''Geister, die ihr über Menschenseelen schützend aus der Weltenweisheit liebend wirkt, höret unsre Bitte, schauet unsre Liebe, die mit euren helfenden Kräftestrahlen sich erfüllet, geistergeben, Liebe sendend.“'''[2]''''' | |||
Für die Verstorbenen sagte er: | |||
''„Die ihr wachet über Sphärenseelen, die ihr webet an den Sphärenseelen, Geister, die ihr über Seelenmenschen schützend aus der Weltenweisheit liebend wirkt, höret unsere Bitte, schauet unsere Liebe, die mit euren helfenden Kräfteströmen sich einen möchte, geisterahnend, Liebe strahlend.“'''[3]''''' | |||
Man kann sich vorstellen, was in solchen Augenblicken an innerer Bewegung bei den Zuhörern entstand, wusste doch keine Frau, die in einem solchen Vortrag saß, ob ihr Mann in dieser Stunde noch lebte. Wir leben heute in einer Zeit, in der man zwar durch Krankheiten und im Straßenverkehr auch vom Tod bedroht ist, in der wir aber doch relativ sicher unseren Tag durchleben. In solchen Zeiten empfinden wir die Engel nur, wenn wir sie aktiv suchen. | |||
Wer jedoch Worte dieser Art hört, wird erleben, dass die Empfindungen, die da ausgesprochen sind, einem nicht fremd, sondern vielmehr vertraut sind. Auch ohne an Engel zu glauben, kennt man dieses Getröstet-Werden, wenn man selber still wird, und erlebt auch das Gegenteil in der Trostlosigkeit, wenn man innerlich laut bleibt. | |||
=== ''Beziehung zwischen Mensch und Engel'' === | |||
Christian Morgenstern hat diese Situation in einem Gedicht aufgegriffen, das ich nun als letztes noch anführen möchte. Es beschreibt die Beziehung, die Engel und Menschen während des Lebens miteinander haben. Der Engel sagt: | |||
''„Oh, wüsstest du, wie sehr dein Antlitz sich verändert, wenn du mitten in dem Blick, dem stillen, reinen, der dich mir vereint, dich innerlich verlierst und von mir kehrst! Wie eine Landschaft, die noch eben hell, bewölkt es sich und schließt mich von dir aus. Dann warte ich. Dann warte schweigend ich oft lange. Und wäre ich ein Mensch wie du, mich tötete verschmähter Liebe Pein.'' | |||
''So aber gab unendliche Geduld der Vater mir und unerschütterlich erwarte ich dich, wann du immer kommst. Und diesen sanften Vorwurf selber nimm als Vorwurf nicht, als keusche Botschaft nur.“'' | |||
''Vgl. Kapitel „Vom Wirken der Engel im Leben von Kindern und Erwachsenen“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart'' | |||
----[1] Siehe auch H. W. Schroeder, “Mensch und Engel”, Stuttgart 1979. | |||
[2] Rudolf Steiner, ''Die geistigen Hintergründe des Ersten Weltkrieges''. GA 174 b. | |||
[3] Rudolf Steiner, ''Erdensterben und Weltenleben''. GA 181. | |||
== ENGEL, ERZENGEL UND ARCHAI == | |||
''Welche Bedeutung haben Beziehungen zwischen Mensch und Engel aus anthroposophischer Sicht?'' | |||
''Welche Engel haben direkten Einfluss auf die menschliche Entwicklung?'' | |||
=== ''Mit Christus verbundene Wesen lassen uns frei'' === | |||
An dieser Stelle möchte ich den engen Zusammenhang des Christentums mit der Qualität der Freiheit erwähnen. Die geistigen Wesen, mit denen der Christus verbunden ist, lassen uns frei, so wie auch ER uns frei lässt. Das erleben wir an der Tatsache, dass wir so unendlich viele Probleme haben, dass wir uns orientierungslos fühlen, so isoliert im Denken, beziehungslos oder gefangen in der Schwere einer Beziehung, unglücklich und unzufrieden in dem, was wir wollen. Das weist direkt darauf hin, dass es von uns abhängt, ob wir höhere Kräfte in die verschiedenen Bereiche unseres Lebens hereinlassen wollen oder nicht. | |||
Kinder, die aus der vorgeburtlichen Welt kommen, stehen noch ganz unter dem Schutz der dritten Hierarchie. Sie sind noch ganz in der Aura der Christuswesenheit und lernen den Weg, die Wahrheit und das eigene Leben durch das Erlernen des Gehens, Sprechens und Denkens kennen. Sie erleben eine unbewusste Christusbegegnung, indem sie diese drei menschlichen Fähigkeiten erlernen. Sie fühlen sich ganz anders angenommen, wenn der Erwachsene als Entsprechung dazu bewusst die Beziehung zu dem Höheren Selbst sucht. | |||
Dieses gesamte Thema, diese Fragen und Zusammenhänge haben direkte Auswirkungen auf die Gesundheit in allen Lebensabschnitten. Sie wirken sich nicht nur im Erwachsenenleben aus, sondern auch im Leben der Kinder und Jugendlichen. | |||
=== ''Worauf die Engelhierarchien warten'' === | |||
Rudolf Steiner schildert uns diesen Zusammenhang in den Vorträgen, die er am 28. und 29. April 1923 in Prag[1] hielt. Er schildert da, wie die Engel, die Erzengel und die Archai nachts warten, was der Mensch, wenn er eingeschlafen ist, mitbringt in die geistige Welt. Doch nicht nur höhere Wesen warten auf das Einschlafen des Menschen, es warten aber auch unterschiedliche Klassen ahrimanischer Elementarwesen. | |||
==== 1. Engel und Denken ==== | |||
Jeder Gedanke, der sich nur auf rein Materialistisch-Sinnliches bezieht, der die übersinnliche Natur des Denkens und den Geist verleugnet, jeder derartige Gedanke kann sich nur in Beziehung zu den ahrimanischen Elementarwesen setzen und wird von ihnen gierig aufgesaugt. Jeder Gedanke hingegen, der sich zu einem höheren Geistigen in Beziehung setzt – das betrifft jeden idealistischen Gedanken – kann aufgenommen werden von den Engeln und wird dankbar angenommen. Denn Ideale sind eine rein geistige Angelegenheit. Die Engel können dadurch den Menschen in der Nacht mit ihrer Kraft beschenken, einer Kraft, die das Menschen-Ich in seinem Denken erweckt und festigt. | |||
==== 2. Erzengel und Sprache ==== | |||
Jedes böse, ungnädige, verurteilende Wort, das wir sprechen, tritt in der Nacht in Beziehung zu ahrimanischen Elementarwesen, die noch stärker sind als die zuvor genannten. Jedes Wort, das aus einer gütigen menschlichen Gesinnung heraus gesprochen wurde und einen heilsamen, tröstlichen oder erhellenden Charakter hat, kann aufgenommen werden von den Erzengeln, die sich mit ganzen Menschengruppen beschäftigen. Sie helfen den Menschen, Qualitäten in ihr Fühlen aufzunehmen, die sie bei Tage befähigen, das richtige soziale Klima zu schaffen, die sie inspirieren zu den richtigen Einfällen, zum richtigen Wort zur richtigen Zeit. | |||
''Wie kommt es, dass dem einen immer das richtige Wort einfällt und der andere ständig „daneben redet“, sodass das Unheil noch vergrößert wird?'' | |||
Die Erzengelwesen helfen uns in diesem Bereich – oder können es eben nicht. Sie spinnen Fäden von Mensch zu Mensch. Ihr Aufgabenbereich liegt in dem „Sprachweben“ zwischen Menschen und in der menschlichen Gefühlswelt. Sie wollen die Menschen in diesen Bereichen unterstützen, aber nur im christlichen Sinne, d.h. wenn die Menschen es wollen. Und wenn sie bei Tage von sich aus daran arbeiten. | |||
==== 3. Archai und globales Handeln ==== | |||
Als Drittes warten die Archai Nacht für Nacht auf die tagsüber vollbrachten Taten der Menschen. Das sind die „Boten des Anfangs“ oder die Ur-Kräfte. Sie haben die ganze Menschheit „im Blick“. Das weist uns auf die schwere Aufgabe hin, die wir erfüllen müssen, wenn unser Handeln in allen Einzelheiten menschenfreundlich werden soll. Es geht dabei um gewaltige Ideale, die die Menschheit als Ganzes betreffen: | |||
* Solange wir nur etwas '''für uns selbst tun''', ist es noch lange nicht für die Menschheit getan. | |||
* Solange wir etwas nur '''aus Liebe zu unseren Familienmitgliedern tun''', ist es auch noch nicht für die Menschheit getan. | |||
* Erst wenn wir einen Gesichtspunkt finden, der '''unser Handeln mit der Menschheit als Ganzes verbindet''', können uns diese Ur-Kräfte ihren Segen und ihre Kraft geben. | |||
Das äußert sich in einer existenziellen Lebenssicherheit, einer tiefen Hoffnungskraft, die im Willen wirkt und von den Wesen des Anfangs kommt, in denen wir fest und ursprünglich verwurzelt sind. Wenn wir unsere Handlungen bei Tage auf die oben genannte Weise in Beziehung setzen zum Menschheitsganzen, bestärken sie uns jede Nacht in dieser Verwurzelung. | |||
Wenn uns die Beziehung zur Engelwelt fehlt, haben wir als Folge mit Isolation, Beziehungsstörungen und existenziellen Angstzuständen zu kämpfen. Diese Probleme sind jedoch direkter Ausdruck unserer heutigen Freiheit. Deswegen sollten wir sie auch nicht wegwünschen: Wir brauchen den Zweifel, die Angst und die Unsicherheit, um uns unserer Freiheit mehr und mehr bewusst zu werden. Nur in der Einsamkeit der Isolation, wenn niemand mehr nach uns fragt, werden wir ganz selbstständig. | |||
''Vgl. Vortrag „Der therapeutisch-heilende Auftrag der Mutter“, Dornach 1992'' | |||
----[1] In: Rudolf Steiner, ''Die menschliche Seele in ihrem Zusammenhang mit göttlich-geistigen Individualitäten'', GA 224. | |||
== ENGEL UND DAS WIRKEN VON GEDANKEN, WORTEN UND TATEN == | |||
''Mit welchen geistigen Wesen verbinden uns unsere Gedanken, Gefühle und Taten?'' | |||
''Welche Verantwortung geht damit einher?'' | |||
=== ''Unbewusstes Überschreiten der Schwelle'' === | |||
Gedanken und Worten haben eine Wirkung. Jedes Wort trägt das Potential einer Tat in sich. Gedanken- und Wortmeditationen sind also immer willensstärkende Meditationen. Wenn ich z.B. lese – ''„Das Schöne bewundern“''[1] –, bin ich bereit zur Tat, fühle ich mich ermutigt, Schönes um mich zu entdecken. Bei der anthroposophischen Meditation geht es immer um das Tun: in Gedanken, im Fühlen, durch Handlungen. Es geht um Eigenaktivität im Geist. | |||
Wir müssen uns klar darüber sein, dass wir bereits ein Leben außerhalb des Körpers führen, dass wir bereits unbewusst die Schwelle zur geistigen Welt überschritten haben, dass wir je nach unserem Denken bereits eingeweiht sind: | |||
* von '''Ahriman''', wenn unser Denken sich auf das Materialistische beschränkt | |||
* von '''Luzifer''', wenn wir eine überhöhte Selbsteinschätzung haben | |||
* von '''Christus''', wenn wir uns um den christlichen Weg bemühen. | |||
Jeder ist in diesem Sinne eingeweiht, aber nicht jeder weiß, durch wen, noch ist man sich bewusst, wie sich diese Einweihung auswirkt. Wir Menschen müssen uns oft erst dafür sensibilisieren, dass es nicht egal ist, was wir denken, fühlen und tun. | |||
* Gedanken sind Schwellen zu geistigen Wesen. | |||
* Gefühle sind Schwellen, diese Wesen zu erfahren. | |||
* Unsere Handlungen dienen diesen Wesen. | |||
Jedes Leben dient einer Sache, führt zu Erfahrungen und wird von Gedanken motiviert. Es ist wichtig, das zu wissen. | |||
=== ''Leben mit den Hierarchien in Gedanken, Gefühlen und Taten'' === | |||
==== 1. In Gedanken mit den Engeln leben ==== | |||
Rudolf Steiner sagt, dass wir in Gedanken mit der Engelwelt und den Verstorbenen leben. Die ätherische Welt ist der Begegnungsraum zwischen unserem Schutzengel und uns – während des Lebens, aber auch nach dem Tod. Wenn wir Engelabbildungen betrachten, sehen wir, dass man ihnen die Qualitäten von Gedanken zuschreibt: Beide sind schwerelos, haben Flügel, sind durchsichtig-leuchtend, farbig, mächtig und schön. Engelbilder sind farbige Abbilder von Gedanken mit bestimmten Qualitäten. Doch besonders die Qualität des Erhoben-Seins bis zu den Wolken, des Aufsteigens oder Absteigens gibt Aufschluss über unser geistiges Leben: Es hat kein Gewicht, beansprucht keinen Raum, geht durch alles hindurch. Das Einzige, was wir brauchen für unsere Erdenerfahrung, ist Zeit. | |||
==== 2. In Gefühlen mit den Erzengeln leben ==== | |||
Rudolf Steiner sagt auch, dass wir in unseren Gefühlen mit den Erzengeln leben. Sie haben weitere Schwingen als die Engel und sind für viele Menschen zuständig: für ein ganzes Volk. Sie wirken über die Sprache, das Volkstum, das Blut, Territorium und Nationales: ''„Viva patria!“'' Das Thema Heimat und Heimweh ist nichts Persönliches, es hat mit den Erzengeln zu tun. | |||
Wenn ich als Deutsche in Südamerika in einem Restaurant neben Deutschen sitze, fühle ich mich zuhause. Doch wenn sie sich schlecht benehmen, wenn sie viel Bier trinken und laut singen, schäme ich mich, weil ich im Fühlen mit ihnen verbunden bin. Ich schäme mich dann ''für mein Volk''. Ich bin sicher, Ihnen hier in England geht es ebenso: Sie freuen sich, wenn England sich Ehre macht. Das ist etwas nur halb Bewusstes, Emotionales! | |||
Wir müssen lernen, eine bewusste Beziehung zu den Erzengeln aufzubauen – wie ich das in Bezug auf Engel und Gedanken bereits ausgeführt habe. Folgende Fragen sind hilfreich, wenn man bewusster mit diesem Thema umgehen möchte: | |||
''Welchen Kräften folgen meine Gefühle?'' | |||
''Möchte ich diese Gefühle wirklich haben?'' | |||
''Wie geht man damit um, wenn man erkennt, dass man ein eingeschworener Nationalist ist oder ein fanatischer Katholik?'' | |||
''Wenn jemand so empfindet – will er das wirklich?'' | |||
===== ''Christliche und dämonische Engel und Erzengel'' ===== | |||
Wer sich darüber Rechenschaft ablegt, beginnt bewusst mit der Welt der Erzengel zu arbeiten. Man bemerkt auf der Gedankenebene wie auch auf der Gefühlsebene, dass die christlichen Engel und Erzengel den Frieden achten. Die nicht christianisierten, dämonischen, gefallenen, dunklen Erzengel fördern dagegen Nationalismus, Chauvinismus und Fanatismus. | |||
Wir haben mit alledem zu tun und müssen damit umgehen in unserem Gefühlsleben. Es liegt an uns, christliche Erzengel herbeizurufen, die Frieden ermöglichen in Gruppen und Gemeinschaften, sodass wir uns nicht bekriegen, sondern voneinander lernen, indem wir uns mit vielen Sprachen und unterschiedlichen Kulturen und Gruppenmissionen befassen und sie schätzen lernen. | |||
Steiners Worte – ''„O Mensch, erkenne dich selbst!“'' – sollte heute in Bezug auf die Volksseelen angewandt werden: O Mensch, erkenne dich selbst als jemand, der einer bestimmten Volksseele angehört. Erkenne, welche Aufgabe dahintersteckt, warum du diese Eigenschaften hast und keine anderen. Lerne, diese Qualitäten wie ein Werkzeug zu handhaben: Sie sollen nichts sein, was dich treibt. | |||
==== 3. In Taten mit den Archai leben ==== | |||
Die Archai sind die Zeitgeister. Der christliche Zeitgeist kann nur mit uns arbeiten, wenn wir ihn herbeirufen. Wenn wir das nicht tun, kommen dämonische Zeitgeister zum Zug. | |||
''Wie können wir uns mit ihnen verbinden?'' | |||
Sie arbeiten mit dem Wollen, dem leibgebunden Wollen, aber auch dem Wollen, das wir in unser Fühlen und Denken legen. Jede Tat im Physischen ist von den Archai inspiriert – von den dunklen oder von denjenigen, die wir herbeigerufen haben. Wir müssen uns selbst in Christi Namen fragen: | |||
''Wem will ich dienen?'' | |||
''Welchem Archai überlasse ich die Lenkung meiner Biographie?'' | |||
Wir müssen uns entscheiden, wem wir dienen wollen in unserer Zeit und in der Zukunft: | |||
* mit unserer '''persönlichen Biographie''', | |||
* mit unserer '''professionellen Biographie''', | |||
* aber auch im Hinblick auf die '''Menschheitsbiographie'''. | |||
Rudolf Steiner sagt, wenn wir uns in unserem Denken um Wahrheit bemühen, in unserem Fühlen um Liebe und in unserem Tun um Freiheit und Autonomie, wenn wir also diese drei christlichen Ideale im Alltag umzusetzen versuchen, werden die Engel der 3. Hierarchie uns Tag für Tag zur Seite stehen. Denn Ideale sind Brücken zur geistigen Welt, über die unser Schutzengel jeden Morgen zu uns gelangen kann. | |||
''Vgl. Vortrag an der Tagung „International Conference Biographywork", England 2013'' | |||
----[1] In: Rudolf Steiner, ''Wahrspruchworte'', GA 40, S. 84 (Ausgabe 1991, die auch der Online-GA zugrunde liegt). | |||
== GRUPPEN UND IHRE VERBINDUNG MIT DEN ENGELSSPHÄREN == | |||
''Wie kommt eine Menschengruppe mit welcher Engelsphäre in Verbindung?'' | |||
=== ''Gruppendenken und Engel'' === | |||
Heute sind wir, wo wir auch hinschauen, im sozialen und politischen Leben mit Situationen konfrontiert, in denen sich Gruppen bilden, in denen Konkurrenz und Feindschaft entsteht, in denen aus einem Gruppendenken heraus Kriege der unterschiedlichsten Art entfesselt werden: religiös, ideologisch, politisch oder nationalistisch motiviert. Die verschiedensten Gründe können vorliegen, warum eine Gruppe gegen eine andere aufsteht. | |||
==== - Engel und rein persönliches Interesse ==== | |||
Wenn Menschen sich in ihrem persönlichen Leben und vom sozialen Umfeld nur nehmen, was sie wollen und brauchen und sie darüber hinaus nichts interessiert und bewegt, wenn sie in ihren gegenwärtigen Lebensbedürfnissen und Lebensnotwendigkeiten aufgehen, können sie nur aus der Kraft der Engelsphäre heraus wirken. | |||
==== - Erzengel und rein geistiges Interesse ==== | |||
Ein Erzengel, und insbesondere ein Erzengel, der sich der Christuswesenheit unterstellt, kann nur wirken, wenn Menschen sich aus freiem Entschluss, ohne Blutsgebundenheit, ohne einseitige karmische Verbundenheit, zusammenfinden, aus rein geistigen Interessen heraus. | |||
=== ''Frieden stiften durch überpersönliches soziales Engagement'' === | |||
Der Entschluss, eine Gruppe zu bilden, die nicht nur den persönlichen und örtlich gegebenen Zwecken dient, sondern die zugleich eine soziale Aufgabe erfüllt, ist die einzige Möglichkeit, um höhere, Menschen verbindende, Frieden stiftende Kräfte in die soziale Gegenwart hereinzurufen. | |||
Gruppenegoistische Zwecke werden immer auch mitschwingen, denn jeder Ort, jeder Mensch, jede Gruppe hat auch individuelle schicksalhafte Aufgaben. Aber wenn Menschen allein darin aufgehen, gibt es an den Grenzen zu anderen und an bestimmten Schnittstellen und Knotenpunkten der Entwicklung notwendigerweise immer Krieg. Das heißt, eine Gruppe zu bilden, die nicht durch gruppenegoistische Zwecke allein motiviert ist, muss mit aller Kraft bewusst geübt werden. | |||
''Vgl. Vortrag „Aufgaben und Ziele heutiger Zweigarbeit“, 25.08.1993 in Farrach, Wurzerhof, Österreich'' | |||
== BOTSCHAFTEN DER BRÜDERLICHKEIT AN DIE MENSCHHEIT == | |||
''Inwiefern sind diese Botschaften wichtig für die Menschheit?'' | |||
''Wovon zeugt diese Brüderlichkeit?'' | |||
Ich möchte an dieser Stelle zwei Botschaften erwähnen, die Johannes, der Apokalyptiker, den Menschen übermittelte, eine vom Anfang der Apokalypse und eine vom Ende. | |||
=== ''Die Botschaft des Schicksalsgefährten Johannes'' === | |||
Im ersten Kapitel, sagt er zu uns: | |||
''„Ich, Johannes, euer Bruder und Schicksalsgefährte, sowohl in allen Prüfungen als auch im inneren Königtum und in der ausharrenden Kraft, die wir als die mit Jesus Verbundenen besitzen, war auf der Insel Patmos.“'' | |||
Diese Worte sagte Johannes ganz bewusst – er stellt sich uns vor als Bruder und Weggefährte in den Prüfungen des Lebens, aber auch in den inneren festlich-königlichen Momenten der Aufrichtung, Vergewisserung und ausharrenden Kraft, in denen unsere Fähigkeit weiterzugehen und nicht aufzugeben wurzelt. In alledem will er unser Bruder und Weggefährte sein. Die Botschaft des Johannes, hinter allem, was in der Apokalypse geschildert wird, lautet: Wenn ihr meine Worte ernst nehmt, bin ich immer bei euch als euer Bruder und Weggefährte. | |||
=== ''Die Botschaft des Erzengels Michael'' === | |||
Am Ende der Apokalypse sagt Johannes: | |||
''„Ich, Johannes bin es, der dies gehört und geschaut hat und als ich es hörte und schaute, fiel ich anbetend zu Füßen des Engels nieder. Und er sprach zu mir: ‚Das sollst du nicht tun‘.“'' | |||
Er meinte den wunderbaren Erzengel Michael, der ihm alles zeigte. Dieser Engel wollte nicht, dass Johannes vor ihm niederkniete und ihn anbetete, obwohl er ihm die ganze Apokalypse mitsamt den Michaelsbildern, diesen Zukunftssiegeln, gezeigt hatte. Michael sagte zu ihm: | |||
''„Du sollst nicht vor mir niederfallen. Ich bin dein Mitknecht und der deiner Brüder, derer, die von der Zukunft künden und derer, die dieses Buches Worte in ihr Herz aufnehmen. Dem Vatergott allein gelte deine Anbetung.“'' | |||
Am Ende der Apokalypse entsteht ein Begriff von Freiheit, der so weit geht, dass der Engel, dieser starke Engel, nicht möchte, dass der Mensch vor ihm niederkniet. Er verweist vielmehr auf die brüderliche Qualität, die auch im Evangelium angesprochen wird: ''„Ihr sollt nicht meine Knechte sein, sondern meine Freunde.“'' | |||
=== ''Das Entwicklungsziel der Menschheit'' === | |||
Man ahnt, welches Entwicklungsziel hinter all den Leiden und Schmerzen steht, die Menschen durchmachen müssen auf der Erde: Sie entwickeln dadurch Wahrhaftigkeit, Freiheit und Liebe in einer Qualität, die sie zu brüderlichen Souveränen macht im Umgang mit den geistigen Wesen. Sie entwickeln eine ganz und gar selbstlose Identität. Dadurch entsteht eine Brüderlichkeit, angesichts derer selbst ein so erhabener Engel sinngemäß sagt: | |||
''„Knie nicht vor mir nieder, sondern erkenne, dass das, was du entwickelt hast und was wir Engel entwickelt haben, sich gemeinsam orientiert hin zu der großen Gottheit dieser Welt, die will, dass wir uns ihr gemeinsam als uns entwickelnde Wesen in brüderlicher Liebe nahen.“'' | |||
Das ist eine berührende, tief zu Herzen gehende Botschaft am Ende der Apokalypse – das Bild einer völlig neuen Menschheit, einer völlig neuen kosmischen Kultur in Himmel und Erde. | |||
''Vgl. Vortrag „Die apokalyptischen Siegel und das Geheimnis der menschlichen Entwicklung“, gehalten in München, im Mai 2007'' | |||
== ENGELHIERARCHIEN UND SCHÖPFUNGSPROZESS == | |||
''Wie hängen die Engelhierarchien mit dem Schöpfungsprozess zusammen?'' | |||
''Welche Rolle spielen sie dabei?'' | |||
=== ''Was wir den Hierarchien verdanken'' === | |||
Rudolf Steiner zeigt, wie der Schöpfungsprozess vom Spirituellen her aussieht, was wir den Hierarchien und der Heiligen Trinität alles verdanken: | |||
* Das ''Denken'' verdanken wir den '''Engeln'''. | |||
* Das ''Fühlen'', und mit ihm auch unsere Ausdrucks- und Sprachfähigkeit, verdanken wir den '''Erzengeln''', die an anderer Stelle auch „Sprachgeister“ genannt werden. | |||
* Den '''Archai''', den „Zeitgeistern“, verdanken wir unser ''Wollen'', damit wir in der Zeit etwas schaffen können für die weitere Entwicklung unserer selbst und der Welt. | |||
* Den '''Exusai''' oder '''Elohim''', den „Geistern der Form“, verdanken wir, ''dass wir uns selbst als Eigenwesen erleben'', als „Ich“, das sich zu allem in Beziehung setzen und geistig urteilen kann. | |||
* Den '''Dynamis''', den „Geistern der Bewegung“, verdanken wir, ''dass wir uns überhaupt bewegen und verwandeln können''. | |||
* Den '''Kyriotetes''', den „Geistern der Weisheit“, verdanken wir unsere ''Fähigkeit, weisheitsvolle Zusammenhänge zu erleben''. Die Anthroposophie, die „Weisheit vom Menschen“, ist ein Geschenk dieser Kyriotetes. | |||
* Den '''Thronen''', den „Geistern des Willens“, verdanken wir den ''Willen, Mensch zu werden'': Lernbegierde, Lerntrieb, Entwicklungswille. | |||
* Den '''Cherubim''', den „Geistern der Harmonie“, verdanken wir unser ''Gewissen'', das bestrebt ist, alles Problematische wiederum ins Gleichgewicht zu bringen, Frieden zu stiften – auch wenn dies manchmal erst in einem nächsten Leben möglich ist. | |||
* Den '''Seraphim''', den „Geistern der Liebe“, verdanken wir das ''Urvertrauen, dass die ganze Schöpfung mit Liebe durchdrungen ist'' und dass wir ein persönliches Schicksal haben, das uns nie verlässt – das uns umgibt als Möglichkeit, aus allem, was uns zustößt, zu lernen, immer das Beste daraus zu machen und nie zu verzagen. Diese höchste Hierarchie steht unmittelbar vor dem Angesicht Gottes. | |||
=== ''Was uns die Trinität ermöglicht'' === | |||
Nun noch einen Blick auf die Heilige Trinität, den Vater, den Sohn, den Geist: | |||
# Im '''Vatergöttlichen''' gründet alles, was der Schöpfung und unserer Existenz im Weltzusammenhang zugrunde liegt. Der Vatergott will, dass wir uns freuen. Die Tugend, die das Gehenlernen und die Bewegungsentwicklung fördert, ist Freude, Bewegungsfreude. | |||
# Dem '''Sohnesprinzip''' entspringt die Möglichkeit der Weiterentwicklung der Welt. Der Sohn will, dass wir beim Sprechen ehrlich, freilassend und liebevoll zueinander sind. Aber entscheidend ist das Bemühen um Wahrhaftigkeit, denn ohne Wahrheit sind Freiheit und Liebe nicht viel wert. | |||
# Dem '''Geistprinzip''' verdanken wir die Möglichkeit, die eigene Entwicklung individuell und selbständig in die Hand zu nehmen. Im Denken sind wir geistig zu Hause: Es trägt uns aus dem Vorgeburtlichen durch das Erdenleben in das Nachtodliche. Es ist die unzerstörbare ätherische Welt, in die wir vertrauen dürfen. Wir erleben unseren Willen im Denken als das Wesenhafte, das unsere geistige Existenz begründet und das fähig ist, uns selbst und anderen zu helfen und uns zu heilen. | |||
''Vgl. „Die Würde des kleinen Kindes – Was erhält das kleine Kind gesund?“, Persephone 2012, Vereinigung der Waldorfkindergärten e.V. in Deutschland'' | |||
== WEGE ZUM ENGEL == | |||
''Wie können wir mit den Engeln in Verbindung treten?'' | |||
=== ''Die Botschaft der Engel hören'' === | |||
Engel sind Boten. Selbstlos vermitteln sie die Botschaft der höheren Welten durch das Denken. Das Gedankenleben der Menschen wird dabei als Brücke zwischen der sinnlichen und der übersinnlichen Welt zum Haupttätigkeitsfeld der Engel. Wem es einleuchtet, dass es diese Engelwelten gibt und dass uns über unser Gedankenleben die geistige Welt immer zugänglich ist, bei dem erwacht der Wille, durch das Denken die geistige Wirklichkeit zu finden. | |||
''Wie kann man vom Erfassen der Ideale zum Erleben der Wesen vordringen und lernen, die Botschaft der Engel zu hören?'' | |||
Das Denken allein genügt nicht. Entscheidend ist, dass das Ideal ''gefühlt'' wird und durch dieses gefühlsmäßige Erleben die Begeisterung erwacht, dieses Ideal im täglichen Leben verwirklichen zu wollen. | |||
Indem man Gefühle wie „Vertrauen“ und „Dankbarkeit“ in sich zu wecken versucht, schafft man die Voraussetzung für die Identifikation mit einem Ideal: Man kann sich anfangs Begebenheiten in Erinnerung rufen, in denen man Vertrauen und Dankbarkeit empfand und sollte dann keinen Tag verstreichen lassen, ohne für irgendetwas Dankbarkeit gefühlt zu haben. Viele Menschen verschlafen gleichsam die Momente des Tages, in denen Dankbarkeit und Vertrauen hätten erwachen können. | |||
Rudolf Steiner beschreibt in einem Vortrag[1] Engel nicht nur in ihrer Rolle als Boten, sondern auch in ihrer Eigenschaft als Wächter. Sie umfassen die aufeinanderfolgenden menschlichen Erdenleben mit ihrem Bewusstsein und verfolgen wach jeden Schritt unserer Entwicklung. Wer sich nun bemüht, in Wachheit die eigene Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen, schafft sich eine Eigenschaft, die der der Engel verwandt ist und die damit auch zur Wahrnehmung von Engeln führt. Er wird auf die verborgenen, stillen Seiten des Lebens aufmerksam und findet viele Gründe für Dankbarkeit und Vertrauen. Dadurch erwacht die innere Ruhe, die nötig ist, um einer Begegnung mit Engeln gewachsen zu sein. | |||
=== ''Organ zur Wahrnehmung von Engeln'' === | |||
Das geistige Organ zur Wahrnehmung von Engeln können wir ausbilden, indem wir an den Eigenschaften arbeiten, die ein Engel hat: Wachsamkeit, mildes, selbstloses Begleiten, weisheitsvolles Schützen, furchtloses durch Tod und Geburt Hindurchgehen, im Bewusstsein eines größeren Zusammenhanges leben – diese Eigenschaften machen uns unserem Engel ähnlich und helfen uns, seine Nähe zu empfinden und seine Hilfe zu empfangen. So wie wir ein lichtempfindliches Organ brauchen, um das Licht wahrzunehmen, und ein schallempfindliches Ohr, um zu hören, so müssen wir uns Seelenstimmungen aneignen, die uns für die Engelwelt empfänglich machen. Durch Dankbarkeit und Vertrauen wird die Seele dieser Welt gegenüber aufgeschlossen. Denn unser Engel behütet unser Schicksal und kann uns daher im Schicksalsvertrauen begegnen. Das wird jeder bestätigen können, der es versucht hat. | |||
Eine weitere Möglichkeit liegt darin, am Abend einen Rückblick auf das Tagesleben zu machen und sich zu fragen: | |||
''An welcher Stelle im Ablauf des heutigen Tages hätte ich sterben können?'' | |||
Wer mit dieser Frage lebt, dem wird schnell bewusst werden, dass unser Leben bei vielen Gelegenheiten hätte ein Ende finden können. Dann empfindet man die Tatsache des Beschütztseins mit einer neuen Kraft und Zuversicht. | |||
=== ''Für andere beten lernen'' === | |||
Eine andere Möglichkeit, dem Engel nahe zu kommen, eröffnet sich, wenn man für andere Menschen zu beten lernt. Andere Menschen mit guten Gedanken und Wünschen zu begleiten, ruft Kräfte in der Seele wach, die dem Engel eigen sind. Wer sich fragt – ''Was kann ich zum Wohl meiner Mitmenschen beitragen? Was kann ich zu einer positiven Veränderung der Weltverhältnisse beitragen?'' – nähert sich seinem Engel an, denn dieser rechnet mit dem Mut zur Entwicklung und vertraut auf den Menschen, mit dem er geht. | |||
Man kann sich auch ein Gedicht vornehmen, wie das nachfolgende von ''Christian Morgenstern'', und sich bemühen, die dort angesprochene Seelenstimmung in sich wachzurufen. Christian Morgenstern blickte zu seinem Engel auf als zu dem Wesen, das ihn zu vollkommener Menschlichkeit führen möchte. Daher spricht er seinen Engel an als Weisheit seines höheren Ich, das noch nicht Wirklichkeit geworden ist, dem er aber entgegen strebt: | |||
''„Du Weisheit meines höheren Ich,'' | |||
''die über mir den Fittich spreitet,'' | |||
''und mich von Anfang her geleitet,'' | |||
''wie es am besten war für mich,'' | |||
''wenn Unmut oft mich anfocht, nun,'' | |||
''es war der Unmut eines Knaben,'' | |||
''des Mannes reife Blicke haben die Kraft'' | |||
''voll Dank auf dir zu ruhen.“'' | |||
Wenn Kinder spüren, dass ein Erwachsener sich um die Nähe zu ihrem Engel bemüht, kann es hin und wieder geschehen, dass sie anfangen, von ihrem Engel zu erzählen. Kinder sind taktvoll: Wenn sie den Eindruck haben, ihre Eltern haben keinen Bezug zu dem Thema, dann erzählen sie auch nichts davon. Sie werden an Ihren Kindern ganz neue Erfahrungen machen, wenn Sie sich um diese Welt kümmern, und Sie werden merken, dass Ihre Kinder darin wie selbstverständlich leben. Sie fühlen sich bei Ihnen als Eltern umso wohler, je mehr sie nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich bei Ihnen zu Hause sind. | |||
''Vgl. Kapitel „Vom Wirken der Engel im Leben von Kindern und Erwachsenen“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart'' | |||
----[1] Rudolf Steiner, ''Der Tod als Lebenswandlung'', GA 182. | |||
== MICHAEL ALS INSPIRATIONSQUELLE FÜR DAS ICH == | |||
''Inwiefern ist der Erzengel Michael eine Inspiration für das Ich?'' | |||
''Was verhalf ihm zum Sieg über den Drachen?'' | |||
=== ''Michaels Sieg über den Drachen und seine Folgen'' === | |||
Rudolf Steiner schrieb auf seinem Krankenlager die sogenannten ''Michael-Briefe,'''[1]''''' die in der Wochenschrift des Goetheanum publiziert wurden. Dort beschreibt er, wie sich die Aufgabe des Erzengels Michael nach seinem Sieg über den Drachen mit Anfang der fünften Kulturepoche verändert hatte. Bis zum Ende der vierten Kulturepoche war Michael der Verwalter der kosmischen Intelligenz gewesen, die in der Apokalypse mit dem Drachen gleichgesetzt wird. Nach seinem Sieg über diesen verlor er diese Aufgabe, da der Drache danach auf die Erde geworfen wurde, wo er seither seinen Wohnplatz hat.[2] | |||
Seitdem steht die ehemals kosmische Intelligenz nicht mehr unter der Führung der göttlichen Wesen, die die Menschheitsentwicklung begleiten, was sich im Aufkommen des Materialismus zeigt. Jetzt will die erdgebundene Intelligenz die Menschen materialistisch inspirieren und vom göttlichen Ursprung abschnüren. | |||
=== ''Spiritualisierung des Denkens als Ur-Impuls'' === | |||
Deshalb versammelt Michael seit dem 15. Jahrhundert Menschen in einer Schule im Vorgeburtlichen, um sie über das Geheimnis dieses intellektuellen Sündenfalls aufzuklären. Diejenigen, die diesen Impuls vorgeburtlich aufnehmen konnten, suchen dann auf der Erde nach Wegen, ihr Denken zu spiritualisieren. Das befähigt sie dazu, geistig Wesenhaftes unmittelbar im eigenen Denken zu erleben. | |||
Das von Michael inspirierte Anliegen der Spiritualisierung des Denkens ist der Ur-Impuls der anthroposophischen Bewegung und der von Rudolf Steiner begründeten anthroposophischen Geisteswissenschaft. Mit der Neubegründung der ''„Freien Hochschule für Geisteswissenschaft“'' konnte sie als ''„Michael-Schule auf der Erde“'' das soziale Gefäß werden, das durch die Arbeit der Sektionen die Spiritualisierung der verschiedenen Berufsfelder und Lebensgebiete in eine weite Zukunft hinein anstrebt. | |||
=== ''Michael als Inspirator für das Ich'' === | |||
Das Ich des Menschen kann als männlicher Pol angesehen werden und das Seelische als weiblicher Pol. Der Michaels-Impuls wirkt seit der 5. Kulturepoche in der Ich-Sphäre, wo jetzt der Drachenkampf stattfindet. Der Drachenkampf ist das treffendste Bild für das, was das Ich zu tun hat: Es muss gegen die Drachen der niederen Menschennatur kämpfen und sie besiegen. Das bedeutet, es muss alle möglichen biografischen Altlasten aufarbeiten – und dabei seine Lebensfreude behalten. Das ist lebenslang die Aufgabe des Ich. Denn man ist als Mensch ständig mit kleinen Drachen konfrontiert, die das Ich gefährden und es verführen wollen. Dabei tun sich diverse Kriegsschauplätze auf. Es braucht sozusagen eine Ritternatur, für die der Erzengel Michael steht. | |||
Dabei ist es enorm hilfreich, sich seine Taktik anzueignen. Im Kampf mit dem Drachen blickte er immer auf das Gute, schaut nie den Drachen selbst an. Den Sieg über denselben errang er, weil er sich am Guten orientierte, weil er das Antlitz Christi schaute. Man kann sogar sagen: Michael lebt im Antlitz Christi. Er ist der Erzengel des Erkenntnisweges, der leuchtende Gedankenfürst. | |||
''Vgl. Seminargruppe „Die fünf Inspirationsquellen der Anthroposophie“, Witten 2010'' | |||
----[1] Rudolf Steiner, ''Anthroposophische Leitsätze. Der Erkenntnisweg der Anthroposophie. Das Michael-Mysterium, GA 26.'' | |||
[2] Neues Testament'', Apokalypse 12. Kapitel.'' |
Aktuelle Version vom 29. März 2025, 11:23 Uhr
Engel – von Michaela Glöckler
Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
BEDEUTUNG DER ENGEL FÜR UNS MENSCHEN
Welche Bedeutung haben Engel für uns Menschen?
Was ist ihre Aufgabe?
Was sagen Engeldarstellungen über ihr Wesen und Wirken aus?
Wie kann der Mensch ihnen gegenübertreten?
Engel als Begleiter der Menschen
Engel sind keine unbekannten Wesen. Es gibt wohl kaum einen Menschen, der nicht zumindest ihren Namen kennte und der nicht auch wüsste, was dieser Name bedeutet. Engel (Angelos) heißt: der Bote. Ein Bote ist ein vermittelndes und wissendes Wesen, er bringt eine Botschaft. Er weiß etwas, was man selbst noch nicht weiß. So hat man auch den Engeln immer ein umfassendes Wissen zuerkannt. Schon in den frühen christlichen Jahrhunderten finden sich Engeldarstellungen in der bildenden Kunst, die dieses zum Ausdruck bringen: der wissende Blick, die weisende Geste, die schicksalswendende Handlung, die vollkommene Gestalt. Auch in den Evangelien begleiten Engel mit ihren Botschaften das Leben des Christus: die Verkündigung, die Freudenbotschaft bei der Geburt, die Stärkung im Todeskampf in Gethsemane.
Engel erscheinen immer dann, wenn Menschen in Grenzsituationen kommen, in Augenblicken höchster innerer oder äußerer Not. Da werden sie auch von Menschen angerufen, die sonst vielleicht gar nicht an sie denken. In solchen Augenblicken werden sie auch am ehesten wahrgenommen und erkannt.
Aussehen und Wesen von Engeln
Viele Maler haben sich bis in die Gegenwart in der Darstellung von Engeln versucht. Sie stimmen dabei alle in den Hauptmerkmalen überein, wenn auch das eine oder das andere stärker betont sein kann: Manchmal übermittelt die Fingerhaltung die deutlichste Botschaft, ein anderes Mal die bewegte Gestalt, die zeigt, dass es sich hier um einen Entwicklungsprozess handelt, dass ein Woher und ein Wohin vorliegt. Auf nahezu allen Engeldarstellungen fällt der überaus wache Blick auf. Wach, ernst und wissend richtet er sich auf den Betrachter des Bildes. In der Ikonenkunst werden auch Erzengel, Cherubime und Seraphime dargestellt. Je höher die hierarchische Ordnung ist, desto mehr Augen werden diesen Wesen zuerkannt. Die Augen werden nicht nur im Gesicht, sondern auch an den Händen, an den Flügeln, ja zuweilen am ganzen Leib dargestellt, um zum Ausdruck zu bringen, dass diese Wesen alles wahrnehmen, alles wissen.
Engel haben Flügel. Auch sie finden wir auf fast allen Darstellungen. Leichtigkeit, die der Erdenschwere nicht unterliegt, spricht sich darin aus, aber auch eine starke Kraft und Beweglichkeit. Oft halten Engel Musikinstrumente in den Händen. Die vollkommene Harmonie, die sich in großen Musikwerken ausspricht, nennen wir gern „himmlisch“. Auch sagen wir, wenn wir eine schöne Stimme hören: Er oder sie sang wie ein Engel! Überhaupt wird das Wort „Engel“ in der Umgangssprache häufig gebraucht. Wie oft wird gesagt: „Du bist wirklich ein Engel“, selbst wenn vielleicht nur im richtigen Moment eine Briefmarke zur Hand ist. Wenn das Richtige zum richtigen Zeitpunkt geschieht, empfinden wir dies wie eine überirdische Gnade, wie ein Geschenk des Himmels, wie ein Engelereignis. Ähnlich ist es mit den moralischen Qualitäten des Menschen. Wir sprechen von Engelsgeduld, Engelsgüte, warten können wie ein Engel.
Solveighs Engelsgeduld
In Ibsens Drama „Peer Gynt“ wartet Solveigh auf Peer Gynt, während er in der Welt die verschiedensten Abenteuer besteht, zahlreiche Affären durchlebt, immer rastlos auf der Suche ist nach irgendetwas. Er weiß jedoch, dass im hohen Norden seine Solveigh auf ihn wartet. Sie wird im weißen Kleid dargestellt, weil ihr Verhalten mit menschlichen Begriffen nur schwer zu beschreiben ist. Andere Frauen reagieren anders in entsprechenden Situationen, sie stürzen in Verzweiflung oder gehen eine neue Beziehung ein, wenn sie verlassen werden. Solveigh jedoch gelingt es, die innere Ruhe nicht zu verlieren. Sie kann auf ihn warten, weil sie weiß, dass in der Beziehung zwischen Menschen nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine ewige Dimension lebt und gepflegt werden kann. So singt sie denn auch mit einer Engelsstimme: „Ich will deiner harren, bis du mir nah, und harrest du dort oben (das heißt, wenn du schon gestorben bist), dann treffen wir uns da.“ Ihr ist es gleichgültig geworden, wo sie Peer Gynt wieder treffen wird. Für sie ist nur noch entscheidend, dass sie die Nähe, die innere Anwesenheit des geliebten Wesens erahnen kann und durch ihre unerschütterliche Liebe die Verbundenheit mit ihm empfindet.
Menschen, die solche Eigenschaften entwickeln, sind der Welt der Engel näher. Sie finden die Brücke zwischen der sinnlichen und der übersinnlichen Welt, in deren Grenzbereich die Engel als vermittelnde Boten wirken.
Schutzengel und Vermittler beim Gebet
In ähnlicher Weise wird Anwesenheit und Wirksamkeit von Engeln im Alten Testament geschildert, zum Beispiel im 91. Psalm:
„Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einem Stein stoßest.“
Schilderungen dieser Art haben zu dem Begriff des „Schutzengels“ geführt, auf den wir später noch zu sprechen kommen werden.
Engel wirken als Vermittler, wenn der Mensch betet. Darauf weist auch das Hochamt der katholischen Kirche hin. Die Engel, insbesondere der Erzengel Michael, helfen, damit Gott die Opfergedanken und Gefühle der Menschen wahrnehmen kann. Es ist uns nicht gegeben, Gott unmittelbar zu schauen. Die Unvollkommenheit des Menschen ist zu groß. Die Engel treten hier vermittelnd ein. Wenn wir beten, werden unsere eigenen schwachen Worte und Gedanken wie auf den Schwingen des Engels vor den Thron der Gottheit hingetragen und durch sie dort hörbar gemacht. Dies lebt auch in dem Bilde der Offenbarung des Johannes, wo gezeigt wird, dass Engel zu den Gebeten der Menschen Weihrauch hinzutun: „Und der andere Engel kam und trat mit einem goldenen Rauchgefäß an den Altar. Ihm wurde viel Räucherwerk gereicht, damit er es zu den Gebeten aller Geist-Ergebenen spendete auf dem goldenen Altare angesichts des Thrones.“[1]
Die Engel nehmen sich der Gebete der Menschen an und „machen etwas daraus“, „substantiieren“ sie, legen ihnen Substanz bei, „bringen sie vor Gott“.
Nicht zu unserem Engel beten wir, sondern mit ihm. Und es ist von weitreichender Bedeutung für das Verhältnis zu unserem Engel, ob wir das Gebet üben oder es nicht tun. Deshalb ist es gut, wenn schon Kinder das Beten lernen dürfen und die andächtige Stimmung erleben, in der die Engel anwesend sind.
Vgl. Kapitel „Vom Wirken der Engel im Leben von Kindern und Erwachsenen“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart
[1] Neues Testament, Apokalypse 8, 3.
DEN ENGEL SEHEN
Können Kinder Engel sehen?
Warum geht den Menschen mit zunehmendem Alter das Wissen von den Engeln verloren?
Kann der Erwachsene wieder lernen, die Engel zu sehen?
Kinder erleben die Engel noch
Für Kinder sind die Engel etwas Selbstverständliches. Wenn ein Kind auf die Straße vor ein Auto läuft und dieses gerade noch anhalten konnte, benützen wir gerne Worte wie: „Da hat der Schutzengel aber gut aufgepasst!“ Das entspricht dem Empfinden, das Kinder von Engeln haben.
Je kleiner Kinder sind, desto weniger besitzen sie die Fähigkeit, das Erleben von sinnlicher und übersinnlicher Welt zu trennen. Erst in dem Maße, in dem ihr Denken abstrakt wird, verlieren sie den unmittelbaren Zugang zu dieser höheren Daseinsebene. Deshalb brauchen und genießen kleine Kinder in bestimmten Stunden eine religiöse, andächtige Stimmung zu Hause, im Kindergarten oder in der Schule. Sie fühlen sich darin geborgen und wie selbstverständlich aufgehoben.
Wenn man einmal von dem Gebrüll absieht, in dem sich der menschliche Eigenwille ankündigt, erleben wir an kleinen Kindern noch viele jener moralischen Qualitäten, die wir Engeln zuschreiben:
· den offenen, hellen, wachen, manchmal außerordentlich prüfenden Blick, den schon Säuglinge haben können;
· die Leichtigkeit, mit der sie sich bewegen, wenn sie das Laufen gelernt haben. Manchmal springen sie wirklich so, als hätten sie Flügel;
· die instinktive Wahrnehmung der Wahrheit – Kinder durchschauen die Lüge eines Erwachsenen, ohne es benennen oder sich bewusst machen zu können.
Kinder sind den Engeln noch näher als Erwachsenen.
Zugang zum Übersinnlichen durch das Denken
In dem Maße, in dem sich das selbständige Denken entwickelt, das ganz auf die äußeren Verhältnisse der Welt bezogen ist, geht die Fähigkeit verloren, Geistiges wahrzunehmen. Denn die geistige Fähigkeit des Menschen, das Denken selbst, heftet sich ausschließlich an die sinnliche Erfahrung. Man denkt nur, was man sehen kann, und erklärt sich mit Hilfe des Denkens den ganzen Umfang der Sinneserfahrungen. Dadurch verliert das Denken die Fähigkeit, Übersinnliches zu erfassen und zu schauen. Unser Denken ist aber das einzige übersinnliche „Wahrnehmungsorgan“, mit dem wir normalerweise umgehen. Wenn wir es nicht zum Innewerden geistiger Tatsachen benützen, können wir eben nichts von ihnen wissen. Zwischen Steinen und Blumen können wir Übersinnliches nicht wahrnehmen. Sinnliche Augen können sich eben nur auf Sinnliches richten.
Wir können geistige Tatsachen und Zusammenhänge aber in Selbstgesprächen finden: Wenn wir uns mit uns selbst über unsere inneren Entwicklungsmotive verständigen, können wir Übersinnliches in der Denkbetätigung ahnen. Trotzdem wird man wieder und wieder die Frage haben:
Warum wird es dem Menschen so schwer gemacht?
Es wäre doch viel einfacher, wenn das alles selbstverständliche Realitäten wären, wenn man wüsste, von wo, von welchen geistigen Wesen, die Gedanken ausgehen: von Engeln – oder von anderen Wesen.
Könnten wir die übersinnliche Natur unseres Denkens unmittelbar erleben und die Wahrheit schauen, so müssten wir uns nicht in einem mühsamen Lernprozess Gedanken erarbeiten. Wir wüssten dann schon alles und müssten nicht mehr lernen. Damit würde aber das Menschenleben, so wie es sich in der Gegenwart gestaltet, seinen Sinn verlieren.
Wenn uns nichts mehr schrecken könnte, wenn wir wüssten, was auf uns zukommt und wir uns unserer ewigen Natur immer bewusst wären — in welche Richtung müssten wir uns dann entwickeln?
Welchen Wert hätte Entwicklung?
Was könnten wir dann noch lernen?
Liebe als Brücke zum Engel
Wir müssten uns eine andere Aufgabe suchen. Wir wären eben keine Menschen mehr, sondern Engel. Engel haben andere Entwicklungsbedingungen und andere Aufgaben als Menschen. Für den Menschen ist charakteristisch, dass er sich selbst erst suchen muss; dass er sucht, was er noch nicht hat und sehr oft etwas überwinden oder verlassen muss, was er hat, z.B. eine Eigenschaft wie „Angst“.
Es gibt nur eine menschliche Eigenschaft, die wir schon haben und die wir nie überwinden werden müssen, die wir jedoch durch eigene Anstrengung noch unvorstellbar steigern können: die Liebe. Diese Kraft im Menschen hat teil an der zeitlichen Entwicklung und ist gleichzeitig durch ihren überzeitlichen, ewigen Charakter über diese erhaben.
Die Liebe bringt uns daher auch dem Engel am nächsten. In Augenblicken der Liebe können selbst Menschen, die ganz diesseitig und materialistisch erzogen wurden und nichts mit Religion zu tun haben wollen, Äußerungen tun wie die: „Jetzt kann ich mir vorstellen, was andere Leute meinen, wenn sie von einer geistigen oder göttlichen Welt sprechen.“ Sie erfahren etwas, das sie mit Begriffen des äußeren materiellen Lebens nicht beschreiben können. Solche Augenblicke machen verständlich, warum die Begegnung mit geistigen Wesen, insbesondere mit dem Christus, immer mit dem Bild der Hochzeit, der Liebe, dargestellt wird. Wirklich Mensch zu werden und den Christus zu finden, heißt lieben zu lernen.
Diese Erfahrung kann uns auch verständlich machen, warum man Engel nicht „sehen“ kann. Denn ihre Eigenschaften – Wachsamkeit, Treue, umfassendes Wissen – sind moralische Qualitäten, die man weder mit Händen greifen noch mit Augen schauen kann. Man kann sie nur seelisch erfahren, fühlen oder in Form von Idealen denken. Den Engel „sehen“ heißt: ihn denkend erleben können. Das kann jeder lernen, der es will.
Vgl. Kapitel „Vom Wirken der Engel im Leben von Kindern und Erwachsenen“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart
ENGEL IN DER DICHTUNG
Welche Engelqualitäten spiegeln sich in den Werken von Dichtern wieder?
Welche Wirkung haben solche Dichtungen?
Engel in Grenzsituationen
Dichter, die sich des Engelthemas annehmen, beschreiben ebenfalls die Motive, die wir bereits angesprochen haben: die Grenzsituationen des Lebens, die Qualität der Wachsamkeit, des Schützens, des Geleitens, des Behütens, des Belehrens, des Helfens, aber auch des Erschreckens. So schreibt Rainer Maria Rilke:
„Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? Und gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch gerade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.“
Die Übermacht des Engels, das unglaubliche Wissen, die unsägliche Reinheit und Ruhe können einen Menschen vernichten, wenn sie ihn unvorbereitet treffen. Das liegt an der gewaltigen Spannung zwischen der Unvollkommenheit des Menschen und der erahnten moralischen Vollkommenheit des Engels.[1] Sie ist nur zu ertragen, wenn man bereit ist, sich zu verwandeln. Es bringt Freiheit für die menschliche Entwicklung, dass der Engel es verschmäht, den Menschen zu nahe zu kommen. Er lässt dem Menschen die nötige Zeit, sich nach eigenen Kräften und Möglichkeiten auf die Begegnung mit ihm vorzubereiten.
Tröstliche Nähe in Verzweiflung empfinden
Noch zwei weitere dichterische Zeugnisse möchte ich erwähnen, die mir in Bezug auf unsere heutige Zeit besonders charakteristisch erscheinen. Das eine ist von Novalis, der im Zusammenhang mit seinen geistlichen Liedern öfter auch die Engel erwähnt. Er beschreibt eine Situation, die jeder von uns kennt – die Situation der Verzweiflung, in der man keinen Ausweg mehr zu finden glaubt. In solch einem Augenblick, wenn das Hadern sich ausgetobt hat, wenn alles gesagt ist, was man sagen wollte, kann mit einem Male eine tiefe Ruhe im Inneren erlebt werden, in der man erkennt, dass man als Mensch ein Wesen ist, das durch schöne und tragische Situationen hindurchgehen kann und nicht dazu verurteilt ist, in der einen oder anderen Lage steckenzubleiben. In diesen Augenblicken der Ruhe kann dann auch die tröstliche Nähe und Anwesenheit einer hilfreichen Macht empfunden werden, die einen fühlen lässt: Es geht ganz bestimmt weiter, habe nur noch weiter Geduld mit dir.
Wem es gelingt, aus der Verzweiflung heraus in diese Ruhe einzutreten, der erkennt die Möglichkeit, in Gedanken eine Art Selbstgespräch zu führen. Man empfindet sich wie im Gespräch mit seinem Höheren Selbst – man kann sich selbst Trost zusprechen. Solange Emotionen den Menschen hin- und herwerfen, taucht diese Möglichkeit nicht auf. Erst in der inneren Stille können tröstliche Gedanken erscheinen und ihre hilfreiche Kraft entfalten.
Wer sendet solche Einfälle?
Wer vermittelt solche Gedanken?
Novalis Lied an den Engel
Wenige Augenblicke vorher fühlte man in der Seele nur schwarze Zerrissenheit – plötzlich aber ist es hell und warm geworden. Solch einen Moment beschreibt Novalis in einem seiner geistlichen Lieder:
„Es gibt so bange Zeiten, es gibt so trüben Mut,
wo alles sich von weitem gespenstisch zeigen tut.
Es schleichen wilde Schrecken so ängstlich leise her,
und tiefe Nächte decken die Seele zentnerschwer.
Die sicheren Stützen schwanken, kein Halt der Zuversicht:
der Wirbel der Gedanken gehorcht dem Willen nicht.
Der Wahnsinn naht und locket unwiderstehlich hin.
Der Puls des Lebens stocket und stumm ist jeder Sinn.
Wer hat das Kreuz erhoben zum Schutz für jedes Herz?
Wer wohnt im Himmel droben und hilft in Angst und Schmerz?
Geh zu dem Wunderstamme, gib stiller Sehnsucht Raum.
Aus ihm geht eine Flamme und zehrt den schweren Traum.
Ein Engel zieht dich wieder gerettet auf den Strand.
Und schaust voll Freuden nieder in das gelobte Land.“
Worte an den Schutzengel
Eine andere Lebenssituation hat Rudolf Steiner beschrieben. Während des Ersten Weltkrieges hat er alle seine Vorträge begonnen mit einem Spruch, der sich an den Engel wendet. Er gedachte zunächst derjenigen, die in der Extremsituation an der Front waren, bereit, dem Tod ins Auge zu sehen. Dann sprach er für die Menschen, die im Kampf bereits gefallen waren. Es sind Worte, die sich an den Schutzengel sowohl der Lebenden als auch der Verstorbenen wenden:
„Die ihr wachet über Erdenseelen, die ihr webet an den Erdenseelen,
Geister, die ihr über Menschenseelen schützend aus der Weltenweisheit liebend wirkt, höret unsre Bitte, schauet unsre Liebe, die mit euren helfenden Kräftestrahlen sich erfüllet, geistergeben, Liebe sendend.“[2]
Für die Verstorbenen sagte er:
„Die ihr wachet über Sphärenseelen, die ihr webet an den Sphärenseelen, Geister, die ihr über Seelenmenschen schützend aus der Weltenweisheit liebend wirkt, höret unsere Bitte, schauet unsere Liebe, die mit euren helfenden Kräfteströmen sich einen möchte, geisterahnend, Liebe strahlend.“[3]
Man kann sich vorstellen, was in solchen Augenblicken an innerer Bewegung bei den Zuhörern entstand, wusste doch keine Frau, die in einem solchen Vortrag saß, ob ihr Mann in dieser Stunde noch lebte. Wir leben heute in einer Zeit, in der man zwar durch Krankheiten und im Straßenverkehr auch vom Tod bedroht ist, in der wir aber doch relativ sicher unseren Tag durchleben. In solchen Zeiten empfinden wir die Engel nur, wenn wir sie aktiv suchen.
Wer jedoch Worte dieser Art hört, wird erleben, dass die Empfindungen, die da ausgesprochen sind, einem nicht fremd, sondern vielmehr vertraut sind. Auch ohne an Engel zu glauben, kennt man dieses Getröstet-Werden, wenn man selber still wird, und erlebt auch das Gegenteil in der Trostlosigkeit, wenn man innerlich laut bleibt.
Beziehung zwischen Mensch und Engel
Christian Morgenstern hat diese Situation in einem Gedicht aufgegriffen, das ich nun als letztes noch anführen möchte. Es beschreibt die Beziehung, die Engel und Menschen während des Lebens miteinander haben. Der Engel sagt:
„Oh, wüsstest du, wie sehr dein Antlitz sich verändert, wenn du mitten in dem Blick, dem stillen, reinen, der dich mir vereint, dich innerlich verlierst und von mir kehrst! Wie eine Landschaft, die noch eben hell, bewölkt es sich und schließt mich von dir aus. Dann warte ich. Dann warte schweigend ich oft lange. Und wäre ich ein Mensch wie du, mich tötete verschmähter Liebe Pein.
So aber gab unendliche Geduld der Vater mir und unerschütterlich erwarte ich dich, wann du immer kommst. Und diesen sanften Vorwurf selber nimm als Vorwurf nicht, als keusche Botschaft nur.“
Vgl. Kapitel „Vom Wirken der Engel im Leben von Kindern und Erwachsenen“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart
[1] Siehe auch H. W. Schroeder, “Mensch und Engel”, Stuttgart 1979.
[2] Rudolf Steiner, Die geistigen Hintergründe des Ersten Weltkrieges. GA 174 b.
[3] Rudolf Steiner, Erdensterben und Weltenleben. GA 181.
ENGEL, ERZENGEL UND ARCHAI
Welche Bedeutung haben Beziehungen zwischen Mensch und Engel aus anthroposophischer Sicht?
Welche Engel haben direkten Einfluss auf die menschliche Entwicklung?
Mit Christus verbundene Wesen lassen uns frei
An dieser Stelle möchte ich den engen Zusammenhang des Christentums mit der Qualität der Freiheit erwähnen. Die geistigen Wesen, mit denen der Christus verbunden ist, lassen uns frei, so wie auch ER uns frei lässt. Das erleben wir an der Tatsache, dass wir so unendlich viele Probleme haben, dass wir uns orientierungslos fühlen, so isoliert im Denken, beziehungslos oder gefangen in der Schwere einer Beziehung, unglücklich und unzufrieden in dem, was wir wollen. Das weist direkt darauf hin, dass es von uns abhängt, ob wir höhere Kräfte in die verschiedenen Bereiche unseres Lebens hereinlassen wollen oder nicht.
Kinder, die aus der vorgeburtlichen Welt kommen, stehen noch ganz unter dem Schutz der dritten Hierarchie. Sie sind noch ganz in der Aura der Christuswesenheit und lernen den Weg, die Wahrheit und das eigene Leben durch das Erlernen des Gehens, Sprechens und Denkens kennen. Sie erleben eine unbewusste Christusbegegnung, indem sie diese drei menschlichen Fähigkeiten erlernen. Sie fühlen sich ganz anders angenommen, wenn der Erwachsene als Entsprechung dazu bewusst die Beziehung zu dem Höheren Selbst sucht.
Dieses gesamte Thema, diese Fragen und Zusammenhänge haben direkte Auswirkungen auf die Gesundheit in allen Lebensabschnitten. Sie wirken sich nicht nur im Erwachsenenleben aus, sondern auch im Leben der Kinder und Jugendlichen.
Worauf die Engelhierarchien warten
Rudolf Steiner schildert uns diesen Zusammenhang in den Vorträgen, die er am 28. und 29. April 1923 in Prag[1] hielt. Er schildert da, wie die Engel, die Erzengel und die Archai nachts warten, was der Mensch, wenn er eingeschlafen ist, mitbringt in die geistige Welt. Doch nicht nur höhere Wesen warten auf das Einschlafen des Menschen, es warten aber auch unterschiedliche Klassen ahrimanischer Elementarwesen.
1. Engel und Denken
Jeder Gedanke, der sich nur auf rein Materialistisch-Sinnliches bezieht, der die übersinnliche Natur des Denkens und den Geist verleugnet, jeder derartige Gedanke kann sich nur in Beziehung zu den ahrimanischen Elementarwesen setzen und wird von ihnen gierig aufgesaugt. Jeder Gedanke hingegen, der sich zu einem höheren Geistigen in Beziehung setzt – das betrifft jeden idealistischen Gedanken – kann aufgenommen werden von den Engeln und wird dankbar angenommen. Denn Ideale sind eine rein geistige Angelegenheit. Die Engel können dadurch den Menschen in der Nacht mit ihrer Kraft beschenken, einer Kraft, die das Menschen-Ich in seinem Denken erweckt und festigt.
2. Erzengel und Sprache
Jedes böse, ungnädige, verurteilende Wort, das wir sprechen, tritt in der Nacht in Beziehung zu ahrimanischen Elementarwesen, die noch stärker sind als die zuvor genannten. Jedes Wort, das aus einer gütigen menschlichen Gesinnung heraus gesprochen wurde und einen heilsamen, tröstlichen oder erhellenden Charakter hat, kann aufgenommen werden von den Erzengeln, die sich mit ganzen Menschengruppen beschäftigen. Sie helfen den Menschen, Qualitäten in ihr Fühlen aufzunehmen, die sie bei Tage befähigen, das richtige soziale Klima zu schaffen, die sie inspirieren zu den richtigen Einfällen, zum richtigen Wort zur richtigen Zeit.
Wie kommt es, dass dem einen immer das richtige Wort einfällt und der andere ständig „daneben redet“, sodass das Unheil noch vergrößert wird?
Die Erzengelwesen helfen uns in diesem Bereich – oder können es eben nicht. Sie spinnen Fäden von Mensch zu Mensch. Ihr Aufgabenbereich liegt in dem „Sprachweben“ zwischen Menschen und in der menschlichen Gefühlswelt. Sie wollen die Menschen in diesen Bereichen unterstützen, aber nur im christlichen Sinne, d.h. wenn die Menschen es wollen. Und wenn sie bei Tage von sich aus daran arbeiten.
3. Archai und globales Handeln
Als Drittes warten die Archai Nacht für Nacht auf die tagsüber vollbrachten Taten der Menschen. Das sind die „Boten des Anfangs“ oder die Ur-Kräfte. Sie haben die ganze Menschheit „im Blick“. Das weist uns auf die schwere Aufgabe hin, die wir erfüllen müssen, wenn unser Handeln in allen Einzelheiten menschenfreundlich werden soll. Es geht dabei um gewaltige Ideale, die die Menschheit als Ganzes betreffen:
- Solange wir nur etwas für uns selbst tun, ist es noch lange nicht für die Menschheit getan.
- Solange wir etwas nur aus Liebe zu unseren Familienmitgliedern tun, ist es auch noch nicht für die Menschheit getan.
- Erst wenn wir einen Gesichtspunkt finden, der unser Handeln mit der Menschheit als Ganzes verbindet, können uns diese Ur-Kräfte ihren Segen und ihre Kraft geben.
Das äußert sich in einer existenziellen Lebenssicherheit, einer tiefen Hoffnungskraft, die im Willen wirkt und von den Wesen des Anfangs kommt, in denen wir fest und ursprünglich verwurzelt sind. Wenn wir unsere Handlungen bei Tage auf die oben genannte Weise in Beziehung setzen zum Menschheitsganzen, bestärken sie uns jede Nacht in dieser Verwurzelung.
Wenn uns die Beziehung zur Engelwelt fehlt, haben wir als Folge mit Isolation, Beziehungsstörungen und existenziellen Angstzuständen zu kämpfen. Diese Probleme sind jedoch direkter Ausdruck unserer heutigen Freiheit. Deswegen sollten wir sie auch nicht wegwünschen: Wir brauchen den Zweifel, die Angst und die Unsicherheit, um uns unserer Freiheit mehr und mehr bewusst zu werden. Nur in der Einsamkeit der Isolation, wenn niemand mehr nach uns fragt, werden wir ganz selbstständig.
Vgl. Vortrag „Der therapeutisch-heilende Auftrag der Mutter“, Dornach 1992
[1] In: Rudolf Steiner, Die menschliche Seele in ihrem Zusammenhang mit göttlich-geistigen Individualitäten, GA 224.
ENGEL UND DAS WIRKEN VON GEDANKEN, WORTEN UND TATEN
Mit welchen geistigen Wesen verbinden uns unsere Gedanken, Gefühle und Taten?
Welche Verantwortung geht damit einher?
Unbewusstes Überschreiten der Schwelle
Gedanken und Worten haben eine Wirkung. Jedes Wort trägt das Potential einer Tat in sich. Gedanken- und Wortmeditationen sind also immer willensstärkende Meditationen. Wenn ich z.B. lese – „Das Schöne bewundern“[1] –, bin ich bereit zur Tat, fühle ich mich ermutigt, Schönes um mich zu entdecken. Bei der anthroposophischen Meditation geht es immer um das Tun: in Gedanken, im Fühlen, durch Handlungen. Es geht um Eigenaktivität im Geist.
Wir müssen uns klar darüber sein, dass wir bereits ein Leben außerhalb des Körpers führen, dass wir bereits unbewusst die Schwelle zur geistigen Welt überschritten haben, dass wir je nach unserem Denken bereits eingeweiht sind:
- von Ahriman, wenn unser Denken sich auf das Materialistische beschränkt
- von Luzifer, wenn wir eine überhöhte Selbsteinschätzung haben
- von Christus, wenn wir uns um den christlichen Weg bemühen.
Jeder ist in diesem Sinne eingeweiht, aber nicht jeder weiß, durch wen, noch ist man sich bewusst, wie sich diese Einweihung auswirkt. Wir Menschen müssen uns oft erst dafür sensibilisieren, dass es nicht egal ist, was wir denken, fühlen und tun.
- Gedanken sind Schwellen zu geistigen Wesen.
- Gefühle sind Schwellen, diese Wesen zu erfahren.
- Unsere Handlungen dienen diesen Wesen.
Jedes Leben dient einer Sache, führt zu Erfahrungen und wird von Gedanken motiviert. Es ist wichtig, das zu wissen.
Leben mit den Hierarchien in Gedanken, Gefühlen und Taten
1. In Gedanken mit den Engeln leben
Rudolf Steiner sagt, dass wir in Gedanken mit der Engelwelt und den Verstorbenen leben. Die ätherische Welt ist der Begegnungsraum zwischen unserem Schutzengel und uns – während des Lebens, aber auch nach dem Tod. Wenn wir Engelabbildungen betrachten, sehen wir, dass man ihnen die Qualitäten von Gedanken zuschreibt: Beide sind schwerelos, haben Flügel, sind durchsichtig-leuchtend, farbig, mächtig und schön. Engelbilder sind farbige Abbilder von Gedanken mit bestimmten Qualitäten. Doch besonders die Qualität des Erhoben-Seins bis zu den Wolken, des Aufsteigens oder Absteigens gibt Aufschluss über unser geistiges Leben: Es hat kein Gewicht, beansprucht keinen Raum, geht durch alles hindurch. Das Einzige, was wir brauchen für unsere Erdenerfahrung, ist Zeit.
2. In Gefühlen mit den Erzengeln leben
Rudolf Steiner sagt auch, dass wir in unseren Gefühlen mit den Erzengeln leben. Sie haben weitere Schwingen als die Engel und sind für viele Menschen zuständig: für ein ganzes Volk. Sie wirken über die Sprache, das Volkstum, das Blut, Territorium und Nationales: „Viva patria!“ Das Thema Heimat und Heimweh ist nichts Persönliches, es hat mit den Erzengeln zu tun.
Wenn ich als Deutsche in Südamerika in einem Restaurant neben Deutschen sitze, fühle ich mich zuhause. Doch wenn sie sich schlecht benehmen, wenn sie viel Bier trinken und laut singen, schäme ich mich, weil ich im Fühlen mit ihnen verbunden bin. Ich schäme mich dann für mein Volk. Ich bin sicher, Ihnen hier in England geht es ebenso: Sie freuen sich, wenn England sich Ehre macht. Das ist etwas nur halb Bewusstes, Emotionales!
Wir müssen lernen, eine bewusste Beziehung zu den Erzengeln aufzubauen – wie ich das in Bezug auf Engel und Gedanken bereits ausgeführt habe. Folgende Fragen sind hilfreich, wenn man bewusster mit diesem Thema umgehen möchte:
Welchen Kräften folgen meine Gefühle?
Möchte ich diese Gefühle wirklich haben?
Wie geht man damit um, wenn man erkennt, dass man ein eingeschworener Nationalist ist oder ein fanatischer Katholik?
Wenn jemand so empfindet – will er das wirklich?
Christliche und dämonische Engel und Erzengel
Wer sich darüber Rechenschaft ablegt, beginnt bewusst mit der Welt der Erzengel zu arbeiten. Man bemerkt auf der Gedankenebene wie auch auf der Gefühlsebene, dass die christlichen Engel und Erzengel den Frieden achten. Die nicht christianisierten, dämonischen, gefallenen, dunklen Erzengel fördern dagegen Nationalismus, Chauvinismus und Fanatismus.
Wir haben mit alledem zu tun und müssen damit umgehen in unserem Gefühlsleben. Es liegt an uns, christliche Erzengel herbeizurufen, die Frieden ermöglichen in Gruppen und Gemeinschaften, sodass wir uns nicht bekriegen, sondern voneinander lernen, indem wir uns mit vielen Sprachen und unterschiedlichen Kulturen und Gruppenmissionen befassen und sie schätzen lernen.
Steiners Worte – „O Mensch, erkenne dich selbst!“ – sollte heute in Bezug auf die Volksseelen angewandt werden: O Mensch, erkenne dich selbst als jemand, der einer bestimmten Volksseele angehört. Erkenne, welche Aufgabe dahintersteckt, warum du diese Eigenschaften hast und keine anderen. Lerne, diese Qualitäten wie ein Werkzeug zu handhaben: Sie sollen nichts sein, was dich treibt.
3. In Taten mit den Archai leben
Die Archai sind die Zeitgeister. Der christliche Zeitgeist kann nur mit uns arbeiten, wenn wir ihn herbeirufen. Wenn wir das nicht tun, kommen dämonische Zeitgeister zum Zug.
Wie können wir uns mit ihnen verbinden?
Sie arbeiten mit dem Wollen, dem leibgebunden Wollen, aber auch dem Wollen, das wir in unser Fühlen und Denken legen. Jede Tat im Physischen ist von den Archai inspiriert – von den dunklen oder von denjenigen, die wir herbeigerufen haben. Wir müssen uns selbst in Christi Namen fragen:
Wem will ich dienen?
Welchem Archai überlasse ich die Lenkung meiner Biographie?
Wir müssen uns entscheiden, wem wir dienen wollen in unserer Zeit und in der Zukunft:
- mit unserer persönlichen Biographie,
- mit unserer professionellen Biographie,
- aber auch im Hinblick auf die Menschheitsbiographie.
Rudolf Steiner sagt, wenn wir uns in unserem Denken um Wahrheit bemühen, in unserem Fühlen um Liebe und in unserem Tun um Freiheit und Autonomie, wenn wir also diese drei christlichen Ideale im Alltag umzusetzen versuchen, werden die Engel der 3. Hierarchie uns Tag für Tag zur Seite stehen. Denn Ideale sind Brücken zur geistigen Welt, über die unser Schutzengel jeden Morgen zu uns gelangen kann.
Vgl. Vortrag an der Tagung „International Conference Biographywork", England 2013
[1] In: Rudolf Steiner, Wahrspruchworte, GA 40, S. 84 (Ausgabe 1991, die auch der Online-GA zugrunde liegt).
GRUPPEN UND IHRE VERBINDUNG MIT DEN ENGELSSPHÄREN
Wie kommt eine Menschengruppe mit welcher Engelsphäre in Verbindung?
Gruppendenken und Engel
Heute sind wir, wo wir auch hinschauen, im sozialen und politischen Leben mit Situationen konfrontiert, in denen sich Gruppen bilden, in denen Konkurrenz und Feindschaft entsteht, in denen aus einem Gruppendenken heraus Kriege der unterschiedlichsten Art entfesselt werden: religiös, ideologisch, politisch oder nationalistisch motiviert. Die verschiedensten Gründe können vorliegen, warum eine Gruppe gegen eine andere aufsteht.
- Engel und rein persönliches Interesse
Wenn Menschen sich in ihrem persönlichen Leben und vom sozialen Umfeld nur nehmen, was sie wollen und brauchen und sie darüber hinaus nichts interessiert und bewegt, wenn sie in ihren gegenwärtigen Lebensbedürfnissen und Lebensnotwendigkeiten aufgehen, können sie nur aus der Kraft der Engelsphäre heraus wirken.
- Erzengel und rein geistiges Interesse
Ein Erzengel, und insbesondere ein Erzengel, der sich der Christuswesenheit unterstellt, kann nur wirken, wenn Menschen sich aus freiem Entschluss, ohne Blutsgebundenheit, ohne einseitige karmische Verbundenheit, zusammenfinden, aus rein geistigen Interessen heraus.
Frieden stiften durch überpersönliches soziales Engagement
Der Entschluss, eine Gruppe zu bilden, die nicht nur den persönlichen und örtlich gegebenen Zwecken dient, sondern die zugleich eine soziale Aufgabe erfüllt, ist die einzige Möglichkeit, um höhere, Menschen verbindende, Frieden stiftende Kräfte in die soziale Gegenwart hereinzurufen.
Gruppenegoistische Zwecke werden immer auch mitschwingen, denn jeder Ort, jeder Mensch, jede Gruppe hat auch individuelle schicksalhafte Aufgaben. Aber wenn Menschen allein darin aufgehen, gibt es an den Grenzen zu anderen und an bestimmten Schnittstellen und Knotenpunkten der Entwicklung notwendigerweise immer Krieg. Das heißt, eine Gruppe zu bilden, die nicht durch gruppenegoistische Zwecke allein motiviert ist, muss mit aller Kraft bewusst geübt werden.
Vgl. Vortrag „Aufgaben und Ziele heutiger Zweigarbeit“, 25.08.1993 in Farrach, Wurzerhof, Österreich
BOTSCHAFTEN DER BRÜDERLICHKEIT AN DIE MENSCHHEIT
Inwiefern sind diese Botschaften wichtig für die Menschheit?
Wovon zeugt diese Brüderlichkeit?
Ich möchte an dieser Stelle zwei Botschaften erwähnen, die Johannes, der Apokalyptiker, den Menschen übermittelte, eine vom Anfang der Apokalypse und eine vom Ende.
Die Botschaft des Schicksalsgefährten Johannes
Im ersten Kapitel, sagt er zu uns:
„Ich, Johannes, euer Bruder und Schicksalsgefährte, sowohl in allen Prüfungen als auch im inneren Königtum und in der ausharrenden Kraft, die wir als die mit Jesus Verbundenen besitzen, war auf der Insel Patmos.“
Diese Worte sagte Johannes ganz bewusst – er stellt sich uns vor als Bruder und Weggefährte in den Prüfungen des Lebens, aber auch in den inneren festlich-königlichen Momenten der Aufrichtung, Vergewisserung und ausharrenden Kraft, in denen unsere Fähigkeit weiterzugehen und nicht aufzugeben wurzelt. In alledem will er unser Bruder und Weggefährte sein. Die Botschaft des Johannes, hinter allem, was in der Apokalypse geschildert wird, lautet: Wenn ihr meine Worte ernst nehmt, bin ich immer bei euch als euer Bruder und Weggefährte.
Die Botschaft des Erzengels Michael
Am Ende der Apokalypse sagt Johannes:
„Ich, Johannes bin es, der dies gehört und geschaut hat und als ich es hörte und schaute, fiel ich anbetend zu Füßen des Engels nieder. Und er sprach zu mir: ‚Das sollst du nicht tun‘.“
Er meinte den wunderbaren Erzengel Michael, der ihm alles zeigte. Dieser Engel wollte nicht, dass Johannes vor ihm niederkniete und ihn anbetete, obwohl er ihm die ganze Apokalypse mitsamt den Michaelsbildern, diesen Zukunftssiegeln, gezeigt hatte. Michael sagte zu ihm:
„Du sollst nicht vor mir niederfallen. Ich bin dein Mitknecht und der deiner Brüder, derer, die von der Zukunft künden und derer, die dieses Buches Worte in ihr Herz aufnehmen. Dem Vatergott allein gelte deine Anbetung.“
Am Ende der Apokalypse entsteht ein Begriff von Freiheit, der so weit geht, dass der Engel, dieser starke Engel, nicht möchte, dass der Mensch vor ihm niederkniet. Er verweist vielmehr auf die brüderliche Qualität, die auch im Evangelium angesprochen wird: „Ihr sollt nicht meine Knechte sein, sondern meine Freunde.“
Das Entwicklungsziel der Menschheit
Man ahnt, welches Entwicklungsziel hinter all den Leiden und Schmerzen steht, die Menschen durchmachen müssen auf der Erde: Sie entwickeln dadurch Wahrhaftigkeit, Freiheit und Liebe in einer Qualität, die sie zu brüderlichen Souveränen macht im Umgang mit den geistigen Wesen. Sie entwickeln eine ganz und gar selbstlose Identität. Dadurch entsteht eine Brüderlichkeit, angesichts derer selbst ein so erhabener Engel sinngemäß sagt:
„Knie nicht vor mir nieder, sondern erkenne, dass das, was du entwickelt hast und was wir Engel entwickelt haben, sich gemeinsam orientiert hin zu der großen Gottheit dieser Welt, die will, dass wir uns ihr gemeinsam als uns entwickelnde Wesen in brüderlicher Liebe nahen.“
Das ist eine berührende, tief zu Herzen gehende Botschaft am Ende der Apokalypse – das Bild einer völlig neuen Menschheit, einer völlig neuen kosmischen Kultur in Himmel und Erde.
Vgl. Vortrag „Die apokalyptischen Siegel und das Geheimnis der menschlichen Entwicklung“, gehalten in München, im Mai 2007
ENGELHIERARCHIEN UND SCHÖPFUNGSPROZESS
Wie hängen die Engelhierarchien mit dem Schöpfungsprozess zusammen?
Welche Rolle spielen sie dabei?
Was wir den Hierarchien verdanken
Rudolf Steiner zeigt, wie der Schöpfungsprozess vom Spirituellen her aussieht, was wir den Hierarchien und der Heiligen Trinität alles verdanken:
- Das Denken verdanken wir den Engeln.
- Das Fühlen, und mit ihm auch unsere Ausdrucks- und Sprachfähigkeit, verdanken wir den Erzengeln, die an anderer Stelle auch „Sprachgeister“ genannt werden.
- Den Archai, den „Zeitgeistern“, verdanken wir unser Wollen, damit wir in der Zeit etwas schaffen können für die weitere Entwicklung unserer selbst und der Welt.
- Den Exusai oder Elohim, den „Geistern der Form“, verdanken wir, dass wir uns selbst als Eigenwesen erleben, als „Ich“, das sich zu allem in Beziehung setzen und geistig urteilen kann.
- Den Dynamis, den „Geistern der Bewegung“, verdanken wir, dass wir uns überhaupt bewegen und verwandeln können.
- Den Kyriotetes, den „Geistern der Weisheit“, verdanken wir unsere Fähigkeit, weisheitsvolle Zusammenhänge zu erleben. Die Anthroposophie, die „Weisheit vom Menschen“, ist ein Geschenk dieser Kyriotetes.
- Den Thronen, den „Geistern des Willens“, verdanken wir den Willen, Mensch zu werden: Lernbegierde, Lerntrieb, Entwicklungswille.
- Den Cherubim, den „Geistern der Harmonie“, verdanken wir unser Gewissen, das bestrebt ist, alles Problematische wiederum ins Gleichgewicht zu bringen, Frieden zu stiften – auch wenn dies manchmal erst in einem nächsten Leben möglich ist.
- Den Seraphim, den „Geistern der Liebe“, verdanken wir das Urvertrauen, dass die ganze Schöpfung mit Liebe durchdrungen ist und dass wir ein persönliches Schicksal haben, das uns nie verlässt – das uns umgibt als Möglichkeit, aus allem, was uns zustößt, zu lernen, immer das Beste daraus zu machen und nie zu verzagen. Diese höchste Hierarchie steht unmittelbar vor dem Angesicht Gottes.
Was uns die Trinität ermöglicht
Nun noch einen Blick auf die Heilige Trinität, den Vater, den Sohn, den Geist:
- Im Vatergöttlichen gründet alles, was der Schöpfung und unserer Existenz im Weltzusammenhang zugrunde liegt. Der Vatergott will, dass wir uns freuen. Die Tugend, die das Gehenlernen und die Bewegungsentwicklung fördert, ist Freude, Bewegungsfreude.
- Dem Sohnesprinzip entspringt die Möglichkeit der Weiterentwicklung der Welt. Der Sohn will, dass wir beim Sprechen ehrlich, freilassend und liebevoll zueinander sind. Aber entscheidend ist das Bemühen um Wahrhaftigkeit, denn ohne Wahrheit sind Freiheit und Liebe nicht viel wert.
- Dem Geistprinzip verdanken wir die Möglichkeit, die eigene Entwicklung individuell und selbständig in die Hand zu nehmen. Im Denken sind wir geistig zu Hause: Es trägt uns aus dem Vorgeburtlichen durch das Erdenleben in das Nachtodliche. Es ist die unzerstörbare ätherische Welt, in die wir vertrauen dürfen. Wir erleben unseren Willen im Denken als das Wesenhafte, das unsere geistige Existenz begründet und das fähig ist, uns selbst und anderen zu helfen und uns zu heilen.
Vgl. „Die Würde des kleinen Kindes – Was erhält das kleine Kind gesund?“, Persephone 2012, Vereinigung der Waldorfkindergärten e.V. in Deutschland
WEGE ZUM ENGEL
Wie können wir mit den Engeln in Verbindung treten?
Die Botschaft der Engel hören
Engel sind Boten. Selbstlos vermitteln sie die Botschaft der höheren Welten durch das Denken. Das Gedankenleben der Menschen wird dabei als Brücke zwischen der sinnlichen und der übersinnlichen Welt zum Haupttätigkeitsfeld der Engel. Wem es einleuchtet, dass es diese Engelwelten gibt und dass uns über unser Gedankenleben die geistige Welt immer zugänglich ist, bei dem erwacht der Wille, durch das Denken die geistige Wirklichkeit zu finden.
Wie kann man vom Erfassen der Ideale zum Erleben der Wesen vordringen und lernen, die Botschaft der Engel zu hören?
Das Denken allein genügt nicht. Entscheidend ist, dass das Ideal gefühlt wird und durch dieses gefühlsmäßige Erleben die Begeisterung erwacht, dieses Ideal im täglichen Leben verwirklichen zu wollen.
Indem man Gefühle wie „Vertrauen“ und „Dankbarkeit“ in sich zu wecken versucht, schafft man die Voraussetzung für die Identifikation mit einem Ideal: Man kann sich anfangs Begebenheiten in Erinnerung rufen, in denen man Vertrauen und Dankbarkeit empfand und sollte dann keinen Tag verstreichen lassen, ohne für irgendetwas Dankbarkeit gefühlt zu haben. Viele Menschen verschlafen gleichsam die Momente des Tages, in denen Dankbarkeit und Vertrauen hätten erwachen können.
Rudolf Steiner beschreibt in einem Vortrag[1] Engel nicht nur in ihrer Rolle als Boten, sondern auch in ihrer Eigenschaft als Wächter. Sie umfassen die aufeinanderfolgenden menschlichen Erdenleben mit ihrem Bewusstsein und verfolgen wach jeden Schritt unserer Entwicklung. Wer sich nun bemüht, in Wachheit die eigene Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen, schafft sich eine Eigenschaft, die der der Engel verwandt ist und die damit auch zur Wahrnehmung von Engeln führt. Er wird auf die verborgenen, stillen Seiten des Lebens aufmerksam und findet viele Gründe für Dankbarkeit und Vertrauen. Dadurch erwacht die innere Ruhe, die nötig ist, um einer Begegnung mit Engeln gewachsen zu sein.
Organ zur Wahrnehmung von Engeln
Das geistige Organ zur Wahrnehmung von Engeln können wir ausbilden, indem wir an den Eigenschaften arbeiten, die ein Engel hat: Wachsamkeit, mildes, selbstloses Begleiten, weisheitsvolles Schützen, furchtloses durch Tod und Geburt Hindurchgehen, im Bewusstsein eines größeren Zusammenhanges leben – diese Eigenschaften machen uns unserem Engel ähnlich und helfen uns, seine Nähe zu empfinden und seine Hilfe zu empfangen. So wie wir ein lichtempfindliches Organ brauchen, um das Licht wahrzunehmen, und ein schallempfindliches Ohr, um zu hören, so müssen wir uns Seelenstimmungen aneignen, die uns für die Engelwelt empfänglich machen. Durch Dankbarkeit und Vertrauen wird die Seele dieser Welt gegenüber aufgeschlossen. Denn unser Engel behütet unser Schicksal und kann uns daher im Schicksalsvertrauen begegnen. Das wird jeder bestätigen können, der es versucht hat.
Eine weitere Möglichkeit liegt darin, am Abend einen Rückblick auf das Tagesleben zu machen und sich zu fragen:
An welcher Stelle im Ablauf des heutigen Tages hätte ich sterben können?
Wer mit dieser Frage lebt, dem wird schnell bewusst werden, dass unser Leben bei vielen Gelegenheiten hätte ein Ende finden können. Dann empfindet man die Tatsache des Beschütztseins mit einer neuen Kraft und Zuversicht.
Für andere beten lernen
Eine andere Möglichkeit, dem Engel nahe zu kommen, eröffnet sich, wenn man für andere Menschen zu beten lernt. Andere Menschen mit guten Gedanken und Wünschen zu begleiten, ruft Kräfte in der Seele wach, die dem Engel eigen sind. Wer sich fragt – Was kann ich zum Wohl meiner Mitmenschen beitragen? Was kann ich zu einer positiven Veränderung der Weltverhältnisse beitragen? – nähert sich seinem Engel an, denn dieser rechnet mit dem Mut zur Entwicklung und vertraut auf den Menschen, mit dem er geht.
Man kann sich auch ein Gedicht vornehmen, wie das nachfolgende von Christian Morgenstern, und sich bemühen, die dort angesprochene Seelenstimmung in sich wachzurufen. Christian Morgenstern blickte zu seinem Engel auf als zu dem Wesen, das ihn zu vollkommener Menschlichkeit führen möchte. Daher spricht er seinen Engel an als Weisheit seines höheren Ich, das noch nicht Wirklichkeit geworden ist, dem er aber entgegen strebt:
„Du Weisheit meines höheren Ich,
die über mir den Fittich spreitet,
und mich von Anfang her geleitet,
wie es am besten war für mich,
wenn Unmut oft mich anfocht, nun,
es war der Unmut eines Knaben,
des Mannes reife Blicke haben die Kraft
voll Dank auf dir zu ruhen.“
Wenn Kinder spüren, dass ein Erwachsener sich um die Nähe zu ihrem Engel bemüht, kann es hin und wieder geschehen, dass sie anfangen, von ihrem Engel zu erzählen. Kinder sind taktvoll: Wenn sie den Eindruck haben, ihre Eltern haben keinen Bezug zu dem Thema, dann erzählen sie auch nichts davon. Sie werden an Ihren Kindern ganz neue Erfahrungen machen, wenn Sie sich um diese Welt kümmern, und Sie werden merken, dass Ihre Kinder darin wie selbstverständlich leben. Sie fühlen sich bei Ihnen als Eltern umso wohler, je mehr sie nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich bei Ihnen zu Hause sind.
Vgl. Kapitel „Vom Wirken der Engel im Leben von Kindern und Erwachsenen“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart
[1] Rudolf Steiner, Der Tod als Lebenswandlung, GA 182.
MICHAEL ALS INSPIRATIONSQUELLE FÜR DAS ICH
Inwiefern ist der Erzengel Michael eine Inspiration für das Ich?
Was verhalf ihm zum Sieg über den Drachen?
Michaels Sieg über den Drachen und seine Folgen
Rudolf Steiner schrieb auf seinem Krankenlager die sogenannten Michael-Briefe,[1] die in der Wochenschrift des Goetheanum publiziert wurden. Dort beschreibt er, wie sich die Aufgabe des Erzengels Michael nach seinem Sieg über den Drachen mit Anfang der fünften Kulturepoche verändert hatte. Bis zum Ende der vierten Kulturepoche war Michael der Verwalter der kosmischen Intelligenz gewesen, die in der Apokalypse mit dem Drachen gleichgesetzt wird. Nach seinem Sieg über diesen verlor er diese Aufgabe, da der Drache danach auf die Erde geworfen wurde, wo er seither seinen Wohnplatz hat.[2]
Seitdem steht die ehemals kosmische Intelligenz nicht mehr unter der Führung der göttlichen Wesen, die die Menschheitsentwicklung begleiten, was sich im Aufkommen des Materialismus zeigt. Jetzt will die erdgebundene Intelligenz die Menschen materialistisch inspirieren und vom göttlichen Ursprung abschnüren.
Spiritualisierung des Denkens als Ur-Impuls
Deshalb versammelt Michael seit dem 15. Jahrhundert Menschen in einer Schule im Vorgeburtlichen, um sie über das Geheimnis dieses intellektuellen Sündenfalls aufzuklären. Diejenigen, die diesen Impuls vorgeburtlich aufnehmen konnten, suchen dann auf der Erde nach Wegen, ihr Denken zu spiritualisieren. Das befähigt sie dazu, geistig Wesenhaftes unmittelbar im eigenen Denken zu erleben.
Das von Michael inspirierte Anliegen der Spiritualisierung des Denkens ist der Ur-Impuls der anthroposophischen Bewegung und der von Rudolf Steiner begründeten anthroposophischen Geisteswissenschaft. Mit der Neubegründung der „Freien Hochschule für Geisteswissenschaft“ konnte sie als „Michael-Schule auf der Erde“ das soziale Gefäß werden, das durch die Arbeit der Sektionen die Spiritualisierung der verschiedenen Berufsfelder und Lebensgebiete in eine weite Zukunft hinein anstrebt.
Michael als Inspirator für das Ich
Das Ich des Menschen kann als männlicher Pol angesehen werden und das Seelische als weiblicher Pol. Der Michaels-Impuls wirkt seit der 5. Kulturepoche in der Ich-Sphäre, wo jetzt der Drachenkampf stattfindet. Der Drachenkampf ist das treffendste Bild für das, was das Ich zu tun hat: Es muss gegen die Drachen der niederen Menschennatur kämpfen und sie besiegen. Das bedeutet, es muss alle möglichen biografischen Altlasten aufarbeiten – und dabei seine Lebensfreude behalten. Das ist lebenslang die Aufgabe des Ich. Denn man ist als Mensch ständig mit kleinen Drachen konfrontiert, die das Ich gefährden und es verführen wollen. Dabei tun sich diverse Kriegsschauplätze auf. Es braucht sozusagen eine Ritternatur, für die der Erzengel Michael steht.
Dabei ist es enorm hilfreich, sich seine Taktik anzueignen. Im Kampf mit dem Drachen blickte er immer auf das Gute, schaut nie den Drachen selbst an. Den Sieg über denselben errang er, weil er sich am Guten orientierte, weil er das Antlitz Christi schaute. Man kann sogar sagen: Michael lebt im Antlitz Christi. Er ist der Erzengel des Erkenntnisweges, der leuchtende Gedankenfürst.
Vgl. Seminargruppe „Die fünf Inspirationsquellen der Anthroposophie“, Witten 2010
[1] Rudolf Steiner, Anthroposophische Leitsätze. Der Erkenntnisweg der Anthroposophie. Das Michael-Mysterium, GA 26.
[2] Neues Testament, Apokalypse 12. Kapitel.