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Mut: Unterschied zwischen den Versionen

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Auszüge aus Büchern und Vorträgen von [[Michaela Glöckler]]; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
Auszüge aus Büchern und Vorträgen von [[Michaela Glöckler]]; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
== ÜBER URSPRUNG UND NOTWENDIGKEIT VON MUT ==
''Inwiefern ist Mut heute eine notwendige menschliche Eigenschaft?''
''Wo und wann zeigt sich Mut am deutlichsten?''
=== ''Konfliktlösung braucht Mut'' ===
Konflikte sind Kriege im Kleinen, Kriege, deren Fronten oft nicht klar überschaubar sind oder im Laufe des Konfliktlösungsprozesses wechseln. Es sind kleine Kriege im Sozialen zwischen Menschen, die sich oft schon lange kennen. Sehr oft spielen sich diese Kriege jahrelang im Unausgesprochenen ab, weil keiner den Mut hat, die Sache anzugreifen. Unter mutigen Menschen kann es wohl Streit geben, Krach, auch heftige Kritik – doch keine zähen bzw. schwer lösbaren Konflikte. Denn sie haben die Bereitschaft, auf den anderen zuzugehen, unliebsame Dinge beim Namen zu nennen und das persönliche Image, vielleicht sogar die eigene Stelle oder Stellung im System zu riskieren. Mut ist einerseits eine Charaktereigenschaft, die schon Kinder ins Leben mitbringen können – selbst Kinder von ängstlichen Eltern – andererseits kann Mut auch bis zu einem gewissen Grad erlernt werden. Das stellt für Erziehung und Selbsterziehung eine wichtige Aufgabe dar.
Besonders in extremen Situationen wie z.B. im Kriegsfall, bei Katastrophen oder unter den entwürdigenden Lebensumständen einer Diktatur, hat sich immer wieder gezeigt, zu welch mutigen Taten Menschen angesichts einer Bedrohung oder einer zivilisatorischen Herausforderung fähig sind. Auf diese Weise können sie zu Vorbildern und Leitfiguren einer ganzen Generation werden.
=== ''Beispiele mutiger Menschen'' ===
Ein eindrucksvolles Beispiel aus der Gegenwart ist die Lebensgeschichte der Schwester ''Helen Prejean'', die in den Vereinigten Staaten Gefängnisse besucht und zum Tode Verurteilte bis zu ihrer Hinrichtung begleitet hat, so wie sie es in dem autobiographischen Buch ''„Dead Man Walking“'' schildert.[1] Weltweit bekannt geworden ist diese Geschichte vor allem durch ihre unter dem gleichen Namen laufende Oscar gekrönte Verfilmung von Tim Robbins, durch die Millionen von Menschen von dieser mutigen Frau erfuhren, die mit ihrer Menschlichkeit ein ungelöstes Strafvollzugsproblem bewusst gemacht hat.
Außergewöhnlichen Mut gegen ein politisches System bewiesen auch ''Sophie und Hans Scholl'' und die anderen Mitglieder der „Weißen Rose“, als sie mitten im nationalsozialistischen Terror, den Tod vor Augen, zum Widerstand gegen Hitler und sein Regime aufriefen. Die Geschichte ist reich an solchen mutigen Gestalten, und das große Interesse an ihren Biographien,[2] aber auch an Filmen wie ''„Dead Man Walking“'', zeigt, dass es wichtig ist in Zeiten zunehmender Mutlosigkeit, auf Beispiele dieser Art hinzublicken.
=== ''Primäre Veranlagung von Mut'' ===
Aber auch das Alltagsleben ist eine gute Schule, um mutig zu werden. Schon an kleinen Kindern können wir die Anlage zum Mut beobachten. Je kleiner, desto „mutiger“ sind sie. Und so wird die heiße Herdplatte und die goldgelbe Kerzenflamme mit derselben Angriffsbereitschaft und Sympathie begrüßt wie eine Blume oder eine Katze. Kleine Kinder gehen mit großer Vertrauens- und Hingabefähigkeit auf die Welt zu. Und gerade diese Fähigkeit, unbefangen zu sein und bereit, Erfahrungen zu machen, ist Ausdruck einer primären Veranlagung zum Mut.
Man versetze sich einmal in die Lebenswirklichkeit so eines Kindes: Wie sie die häusliche Situation der Eltern, die Sprache, die Situation des Landes, alles so, wie es ist, einfach nur annehmen, ohne zu wissen, was morgen sein wird – dazu gehört Mut. Natürlich reflektieren Kinder diesen Zustand noch nicht. Aber sie zeigen mit ihrer Erfahrungsbereitschaft, dass die Veranlagung zum Mut eine typisch menschliche Eigenschaft ist. Und es ist eine wesentliche Aufgabe der Erziehung, diese Veranlagung zu unterstützen und zu pflegen, gerade weil mit zunehmender Bewusstwerdung Ängstlichkeit und Angst immer mehr ihren Einzug in die Seele halten.[3]
=== ''Mut durch Vertrauen, Sicherheit und Kraft'' ===
Wenn sich
* '''Vertrauen''' im Gefühlsorganismus,
* '''Sicherheit''' im Lebensorganismus
* und '''Kraft''' im physischen Organismus
entwickeln konnten, fühlt unser Ich sich mutig.
Wenn nun statt Vertrauen Angst, statt Sicherheit Zweifel und statt Kraft Ohnmacht empfunden wird, müssen wir aus dem Ich heraus auf diesen Ebenen erst einmal die Grundlage für unser eigenes Werden schaffen. Beginnen wir in dieser Situation, ordnend in das Seelenleben einzugreifen, kommt ein geistiges Gesetz zum Tragen, das im Neuen Testament lautet: ''„Wer da hat, dem wird gegeben.“'''[4]''''' Die geringsten Fortschritte, die wir im Aufbau von Selbstvertrauen, Sicherheit und dem Willen, die Ohnmacht zu überwinden, machen, bringen uns sofort ein viel größeres Stück weiter, als es die kleine Anstrengung hätte vermuten lassen. Wir erleben die Gnade, dass bereits der gute Wille belohnt wird. Wer sich dagegen in Zweifel und Ängstlichkeit hängen lässt, erlebt, wie diese zunehmen und er auch noch den letzten Rest an Sicherheit verliert.
=== ''Rettender Mut zur Tat'' ===
In solch einer labilen Situation rettet uns letztlich nur der Mut zur Tat. Er wird dadurch gestärkt, dass wir unser Denken ernst nehmen lernen als geistiges Vermögen, das uns durch das Leben führt und uns jede auch noch so kleine Entscheidung ermöglicht – dem aber auch Zweifel und Verzagen entspringen, indem wir uns vorstellen, wie schwach und unsicher wir sind.
Wir müssen uns klar machen, wie sehr wir im Denken leben – ja nur dort Wesenssicherheit erwerben können: Je deutlicher uns wird, dass nur unser physischer Leib vergänglich ist und dass nur er zerstört werden kann, nicht aber das Gedanken-, Gefühls- und Willenserleben, unser „Seelisches“, umso mehr Vertrauen können wir entwickeln in den geistigen Bestand dieser Welt. Unser Ich, das wir nur im Denken erfahren können von der ersten Ich-Erinnerung in der frühen Kindheit angefangen, kann auch nach dem Tode als geistiges Wesen mit seinem Schicksal fortleben und an den gedanklich-geistigen Voraussetzungen für eine zukünftige Körperlichkeit in einem nächsten Erdenleben arbeiten.
''Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 5. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997''
----[1] Helen Prejean, ''Dead Man Walking.'' Goldmann 1996.
[2] Siehe z.B. H. Kluge, ''Cato Bontjes van Beek.'' Zürich, Hamburg 2003.
[3] Vgl. Michaela Glöckler, ''Vom Umgang mit der Angst'', Verlag Urachhaus, Stuttgart 1990.
[4] Neues Testament, ''Matthäus 25, 29.''
== DER PHYSISCHE LEIB ALS QUELLE VON MUT ==
''Worauf gründet Mut im Physischen?''
=== ''Physische Voraussetzungen von Mut'' ===
==== '''·''' Abgeschlossenheit ====
Die in sich abgeschlossene Gestalt unseres Körpers gibt uns die Möglichkeit des Individuell-Seins und vermittelt ein Gefühl der inneren Geschlossenheit. Wir verschwimmen nicht mit der Umgebung, sondern sind klar von ihr abgegrenzt, bekleidet und geschützt. Unser Selbstbewusstsein gründet sich auf diesen physischen Leib – auf das Bewusstsein, ein individueller Mensch zu sein. Wo ich stehe, kann im selben Moment kein anderer stehen – entweder du oder ich. Dieses Erleben liegt auch dem Egoismus zugrunde.
Die Qualität der Abgeschlossenheit kann aber auch das Gefühl des Eingeschlossen-seins, des Gefangen-seins im Körper, hervorrufen – z.B. bei Krankheiten, die mit Schmerzen oder sonstigem Unwohlsein einhergehen, oder aber in Situationen, in denen man überwältigt wird und sich nicht wehren kann. Mit der Verletzlichkeit des physischen Leibes ist das elementare Gefühl von Enge und Angst verbunden.
==== '''·''' Erleben von Kraft ====
Es gibt noch eine weitere Qualität des Physischen, die für das Entwickeln von Mut entscheidend ist: das Krafterleben. Der gesunde Leib kann Kraft entfalten. Diese Kraft erwächst uns aus der Ernährung, der Stoffumwandlung, der Atmung und bildet die Grundlage für Mut.
Es hängt stark von der Erziehung ab, ob und wie dieses Krafterleben am physischen Leib im Laufe der Kindheit gefördert und gepflegt wird. Eine große Rolle spielt dabei die Sinnespflege: Es ist wesentlich und äußerst wichtig, dass Kinder ungehindert ihrem Bewegungs-, Erfahrungs- und körperlichen Betätigungsdrang nachgehen dürfen.
Erziehung zu Mut bedeutet z.B. auch, dass Kinder erleben, dass ihre Eltern keine Angst haben, wenn sie einen Abhang „hinunterrasen“, dass sie nicht dauernd ermahnt werden, doch bitte aufzupassen. Welch ein Triumph, wenn ein an sich ängstlicher Junge eines Tages doch den Mut aufbringt, eine große alte Tanne zu besteigen, die fast doppelt so hoch ist wie das Haus, in dem er wohnt, und den erstaunten Eltern zuzurufen, dass er oben ist. Seinen Mut zu bestätigen durch Lob und nicht zu ersticken in einem Schwall von – ''„Hast du mir aber eine Angst eingejagt, weißt du denn nicht, dass die Äste auch brechen können. Das darfst du auf keinen Fall noch einmal machen!“'' – etc., etc., ist entscheidend. Ausreichende Bewegung, gesunde Ernährung und vertrauensvolle Eltern sind die wichtigsten Bedingungen, dass Kinder im Physischen Mut entwickeln.
''Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 5. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997''
== DER ÄTHERISCHE LEIB ALS QUELLE VON MUT ==
''Welche Mutkräfte verdanken wir dem ätherischen Organismus?''
''Welche Qualitäten nähren den Mut im Ätherischen?''
=== ''Lebensprozesse, Denken und Ätherleib'' ===
Rudolf Steiner nennt den ätherischen Leib auch ''„Organismus der Lebensgesetze, der Wachstums- und Regenerationskräfte und der Gedankentätigkeit“''.[1] Dieser Begriff basiert auf dem Forschungsergebnis Steiners, dass die Gesetze und Kräfte, mit denen der Körper die Stoffe des physischen Leibes ordnet und in seinen Lebenszusammenhang integriert, dieselben sind, mit denen wir auch denken – beim Denken sind diese Kräfte jedoch leibfrei wirksam und nicht mehr leibgebunden wie bei Wachstum und Regeneration.
Es gibt heute eine umfangreiche Literatur darüber, wie das Denken in Todesnähe völlig anders erlebt wird: In lebendigen Bildern konnten die Betroffenen längst Vergessenes in großer Lebhaftigkeit wie in einem gewaltigen Lebenspanorama vor sich sehen. Auch waren sie selbst leicht wie ein Gedanke und konnten durch Mauern und andere physische Gegenstände hindurchgehen. Sie lebten nicht mehr im physischen Leib, sondern in ihrem ätherischen Organismus. Wurden sie dann durch Reanimation wieder zurückgeholt, wurde ihr Denken sogleich wieder blass und schattenhaft: Nachdem der ätherische Organismus erneut in den physischen Leib eingetaucht war, stand wieder nur ein Teil der Lebenskräfte für das gewöhnliche Denken zur Verfügung.
Die Gesetze des Raumes, die dem physischen Leib eigen sind, gelten nicht für den Ätherleib. Er folgt den Gesetzen der Zeit, den Rhythmen, der ganzheitlichen Ordnung und Integration. Zerfall und Isolierung, wie sie für das Physische typisch sind, gibt es im Ätherischen nicht. Das bedeutet aber auch, dass alles, was mit dem Leben und Denken zu tun hat, auf Integration, Verstehen, Zusammenhänge-Schaffen, Ordnen und Verwandeln angelegt ist. Wenn wir etwas nicht verstehen, ruhen wir nicht eher, als bis wir es soweit in unsere Gedankenwelt integriert haben, dass es Sinn macht. Wenn es sich jedoch als Irrtum herausstellt, wird es „verworfen“ und damit aus unserer Gedankenwelt ausgeschieden.
=== ''Lebenssicherheit durch Verständnis'' ===
Lebenssicherheit und Sicherheit durch Verständnis nähren den Mut auf der ätherischen Ebene. Erst wenn ich etwas verstanden habe, fühle ich mich sicher. Wenn ich vor etwas Angst habe, lässt diese sogleich nach, sobald ich die angstauslösenden Faktoren durchschaut habe. Auch wenn man Todesangst hat, arbeiten die Gedanken fieberhaft daran, wie man dieser Gefahr entgehen könnte: Und manchmal bekommt man tatsächlich den erlösenden Einfall, was jetzt zu tun ist. ''Helen Prejean''[2] wurde in der Situation, als die Hinrichtung ihres Schutzbefohlenen nahte, klar, dass hysterisches Reagieren und Vor-Angst-Vergehen nichts bewirken, und dass die einzige Chance, jetzt noch zu helfen, darin bestand, dem Todgeweihten normale menschliche Fragen zu stellen. Ruhe und Sicherheit können in solchen Extremsituationen nur vom Denken ausgehen.
Eine tiefe Ruhe kann auch auf dem Wissen basieren, dass das eigene Wesen so unzerstörbar wie ein Gedanke ist '''–''' kann ich mich doch selbst denken. Stoffe können auseinanderfallen, Gedanken nicht: Sie hängen zusammen, haben Beziehung zueinander; sie sind rein geistige Kräfte '''–''' ''denk''bar, aber nicht sinnlich anschaubar. Wenn ich an einen Menschen denke, ist es völlig gleichgültig, wo er sich in der Welt aufhält '''–''' meine Gedanken können ihn augenblicklich erreichen. Im Denken sind wir nicht abgegrenzt wie im physischen Leib. Wir berühren gedanklich alles, worüber wir nachsinnen.
Wer dafür sensibel ist, kann auch empfinden, wie andere Menschen über ihn denken. Er erlebt, wie die Kraft guter Gedanken die Atmosphäre erhellen kann. Er erlebt aber auch, wie hässliche und schlechte Gedanken bedrücken und belasten können oder wie ein Spuk verschwinden, wenn Ehrlichkeit und Verständnis füreinander die Oberhand gewinnen. Sobald man den Bereich des Denkens betritt, gelangt man vom sinnlichen in den übersinnlichen Bereich. Und so vermittelt uns das Denken auch die Sicherheit, dass unser Dasein den physischen Leib überdauert, da es nicht ausschließlich an diesen gebunden ist.
Über den Ätherleib erleben wir Sicherheit, Sinnbezug, Vertrauen in die Wahrheit der Welt. Diese Qualitäten sind zugleich die Quelle für Mut.
''Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 5. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997''
----[1] Rudolf Steiner, ''Die Geheimwissenschaft im Umriss'', GA 13.
[2] Helen Prejean, ''Dead Man Walking.'' New York 1993; dt. Übers. München 1996, Ausgabe 2002.
== DER ASTRALISCHE LEIB ALS QUELLE VON MUT ==
''Inwiefern ist unser Astralleib Quelle von Mut?''
=== ''Weisheitsvoller Pendelschlag des Astralischen'' ===
Dem Astralleib verdanken wir unser Gefühlsleben. Und so, wie unserem Gedankenleben ein geistiger Gedankenorganismus zugrunde liegt, entspringt auch unser Gefühlsleben einem in sich zusammenhängenden Seelenorganismus. Rudolf Steiner nannte den astralischen Organismus einen Weisheitsorganismus.[1] Das Gefühl ist weltumspannend und unendlich weise. Jemand, der eine brenzlige Situation spontan richtig erfasste und sich entsprechend verhielt, hatte das „im Gefühl“, und braucht u. U. Jahre, um gedanklich nachzuvollziehen, warum die Auffassung der Situation und die damit verbundenen Entscheidungen damals richtig waren.
Der Gefühlsorganismus ist gänzlich anders gebaut als der Gedankenorganismus. Er lebt von der großen Polarität von Sympathie und Antipathie. Er ist ein System von Spannung und Entspannung.
* Die '''Sympathie''' kann sich auf alles Mögliche erstrecken und sich bis zu den Sternen hin ausdehnen.
* Entsprechend können wir uns mit Hilfe der '''Antipathie''' von allem und jedem distanzieren – auch von uns selbst, z.B. in Augenblicken, in denen wir uns nicht leiden können oder gar verabscheuen.
Zwischen diesen beiden Grundhaltungen, zwischen uns und der Welt, bewegt sich unser Gefühlsleben in weisheitsvollem Pendelschlag.
=== ''Musikalisch ordnende Kraft des Astralischen'' ===
Künstlerisch gesehen sind es die Gesetze der Musik, die hier wirksam sind, d.h. die Gesetze der zahlenmäßig erfassbaren Diskontinuität, der Spannungsverhältnisse einer Saite. Im Gegensatz dazu haben die Bildekräfte des ätherischen Organismus unmittelbaren Bezug zur plastischen Kunst, zum bildenden Gestalten.[2] Und so wie der ätherische Organismus mit einem großen Teil seiner Kräfte den physischen Leib und seine Stoffe mit Leben durchzieht und am Leben erhält, so durchdringen die Gesetzmäßigkeiten des astralischen Organismus seinerseits den physischen und den Ätherleib: Dadurch werden alle Vorgänge nach bestimmten Proportionen und Zahlenverhältnissen geordnet und gegliedert.[3]
Schon während der Embryonalentwicklung kann man das Zusammenwirken von ätherischen und astralischen Kräften beobachten: Schübe von Proliferation, plastischem Wachstum (ätherisch), wechseln phasenweise mit Schüben von Differenzierung und Gliederung (astralisch), bei denen sich sogar manches wieder zurückbildet.
So haben wir alle z.B. anfangs „Schwimmhäute“ zwischen Fingern und Zehen, die sich dann in der fortschreitenden Embryonalentwicklung wieder zurückbilden, sodass schließlich die frei beweglichen Finger entstehen. Und wie sich die ätherischen Kräfte im Laufe der Entwicklung – in dem Maß, in dem sie nicht mehr als Wachstumskräfte gebraucht werden – für die gedankliche Tätigkeit metamorphosieren, geschieht das entsprechend auch mit den astralischen Kräften: Sie stehen in dem Maß für das Gefühlsleben zur Verfügung, in dem sie von der physisch-ätherischen Konstitution in Wachstum und Entwicklung nicht mehr benötigt werden.
=== ''Vertrauen in den Zusammenklang der Welterscheinungen'' ===
Die Sterne am Himmel folgen bestimmten Bewegungs- und Zahlenverhältnissen – entsprechend regelt der astralische Organismus (aster, astrum = Stern) die Zahlenverhältnisse und Proportionen des Leibes und ordnet die Spannungsverhältnisse der Gefühle. Die umfassende Weisheit, die dem Weltzusammenhang und -zusammenklang zugrunde liegt, können wir z.B. unmittelbar erleben, wenn wir Musikwerke hören wie Symphonien von Beethoven oder Bruckner. Wir tragen diese Weisheit der Welt, diesen Zusammenklang der Erscheinungen in unserem Gefühlsleben.
Das Vertrauen in diesen Zusammenklang der Welterscheinungen, das Gefühl des Eingebettetseins in den Bestand der Welt, die nach Gesetzen geordnet ist, die sich sowohl im Makrokosmos der Welt wie auch im Mikrokosmos des einzelnen Menschen wiederfinden, wird zur Quelle von Mut: Es geht um die Besinnung auf das Vertrauen als eine Kraft, die auch in Zeiten der Angst und des Zweifels durchtragen kann.
''Was wären wir, ohne den unbesiegbaren Glauben (Vertrauen) in diesen geordneten Ur-Grund der eigenen Existenz und der Welt?''
''Ohne das Vertrauen, das nicht nur Berge versetzen, sondern auch die Abgründe und Dissonanzen des Lebens überbrücken kann?''
Glaube und Vertrauen werden im Vorschulalter am stärksten durch das entsprechende Vorbild gefördert. Diese beiden Fähigkeiten wirken selbst unter Erwachsenen vorbildhaft und haben eine starke Ausstrahlung. Gerade in der heutigen Zeit, in der so viel Unsicherheit und Mangel an Vertrauen herrscht, wirkt es erweckend, wenn wir beherzten, vertrauensvollen Menschen begegnen.
''Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 5. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997''
----[1] Vgl. Rudolf Steiner, ''Die Geheimwissenschaft im Umriss'', GA 13, S. 58ff.
[2] Vgl. Armin Husemann, ''Der musikalische Bau des Menschen,'' Stuttgart, 4. Aufl. 2003.
[3] Vgl. Rudolf Steiner, ''Die Geheimwissenschaft im Umriss'', GA 13, S. 60 ff.
== ICH-ORGANISATION UND ICH-WESEN ALS QUELLE VON MUT ==
''Inwiefern dient unsere Ich-Organisation als Quelle von Mut?''
=== ''Integrierende Kraft der Ich-Organisation'' ===
Die Kräfte der Ich-Organisation bewirken, dass der physische Organismus, den wir mit den Stoffen und Kräften der Mineralien gemeinsam haben, der ätherische Organismus, den wir mit den Pflanzen gemeinsam haben, und der astralische Organismus, den wir mit den Tieren gemeinsam haben, sich so miteinander verbinden und aufeinander abstimmen, dass die menschliche Natur entstehen kann. Sind diese Ich-Kräfte mit ihrer Arbeit am physischen Organismus fertig, werden sie ebenfalls frei für die seelische Tätigkeit und ermöglichen den freien Gebrauch des Willens auch im Gefühls- und Gedankenleben. Ein Teil dieser Kräfte bleibt zeitlebens im Organismus tätig und verbindet sich mit den dort wirksamen astralischen, ätherischen und physischen Kräften in der Stoffwechseltätigkeit und Kraftentfaltung.
In diese Ich-Organisation kann der ewige Wesenskern des Menschen, sein höheres Ich, hereinwirken. Dieses höhere Ich, die „ewige Entelechie“ des Menschen, die durch die Entwicklungs- und Werde-Erfahrungen vieler Verkörperungen geht, kann sich nicht in diesem einen begrenzten Erdenleib verkörpern. Es kann geistig gesucht werden und die Seele erfüllen und erleuchten.
=== ''Ich-Organisation als Gefäß für Impulse des höheren Ich'' ===
Die Ich-Organisation befähigt zu dieser Suche und zur Aufnahme von Ich-Impulsen des „ewigen“, „wahren“ bzw. „höheren“ Ich in die Seele. Die Kräfte dieser Ich-Organisation sind nicht so weise wie das Gefühl und nicht so differenziert und klug wie der Gedankenorganismus. Dafür sind die Willenskräfte der Ich-Organisation bereit zur Suche, zum Aufbruch ins Unbekannte, zur Arbeit an sich selbst und der Welt, und fähig, sich dadurch das eigene Selbst und dessen Beziehung zur Welt bewusst zu machen: In dem Maß, in dem sich das Ich mit Menschen, Dingen, Wesen, Vorgängen, Gedanken und Gefühlen verbindet und identifiziert, wächst sein Bewusstsein, seine Arbeitsmöglichkeit und Kraft. Paradoxerweise sagen wir alle zu uns „ich“, obwohl wir uns zugegebenermaßen erst wenig kennen. Wir sprechen von „Selbstverwirklichung“, wenn wir uns noch nicht verwirklicht haben – aber vorhaben, es zu tun.
Nur der Dreijährige weiß, wovon er spricht, wenn er zu sich „ich“ sagt. Bei ihm schwingen noch keine Selbstzweifel mit, er stellt sich noch nicht infrage, wie es im Jugend- und Erwachsenenalter geschieht.
=== ''Die „zweite Geburt“'' ===
Zu allen Zeiten wurde immer von einer „zweiten Geburt“ gesprochen, die auf die erste folgen muss. Die erste Geburt bringt das Wesensgliedergefüge unseres komplexen Leibes zur Welt und befreit im Laufe der Wachstums- und Entwicklungsjahre die ihn aufbauenden Seelen- und Geisteskräfte von Denken, Fühlen und Wollen. Darin lebt dann, wie in einem Mutterschoß, der Kern der Persönlichkeit, das Ich-Wesen mit seinem Werde-Willen, seiner Lern- und Handlungsbereitschaft und der Fähigkeit, Gewordenes zu verwandeln und Zukünftiges zu verwirklichen. Im Laufe des Lebens kommt es bei fast jedem bewussten Menschen zu einer qualvollen Krise, in der er sich in Frage stellt und sich selbst zur Last werden kann bis dahin, dass er sich „wegwerfen“ will.
Denn die erste Geburt, die uns quasi „geschenkt“ wird, führt uns noch nicht zu unserem wahren Dasein, zu einem stabilen, im Geist gegründeten Selbstbewusstsein. Wir empfinden in der dunklen Stunde der Resignation und Verzweiflung deutlich, dass wir noch nicht wirklich wir selbst sind, sondern es erst noch werden müssen, dass dazu ein Entschluss gefasst werden muss: Wir müssen aus „Feuer und Geist“ noch einmal geboren werden, d.h., wir müssen uns selbst noch einmal aus innerster Freiheit heraus wollen, müssen uns entschließen, uns in die Hand zu nehmen und neu zu erschaffen, um nicht nur gottgewollt, sondern auch selbstgewollt zu sein. Gelingt dieser Willensentschluss der Selbst- und Lebensbejahung, haben wir die zweite Geburt vollzogen und sind zu einem Ich-Erleben und Selbstbewusstsein gekommen, das unabhängig ist vom Leib, das im rein Geistigen begründet ist. Diese zweite Ich-Erfahrung ist zugleich ein tief religiöses Erlebnis, ist wie eine Zwiesprache mit dem höheren Ich, das mit der Engelwelt und der Christuswesenheit in unmittelbarer Beziehung steht.
=== ''Gnade der Entwicklung'' ===
Von theologischer Seite wird der Anthroposophie immer wieder vorgeworfen, sie setze die Selbsterlösung oder das Prinzip der Selbstentwicklung an die Stelle der Gnade. Das ist ein Irrtum. Vielmehr bezeichnet die Anthroposophie die Möglichkeit, sich zu entwickeln, mit Gnade. Christus sagt: ''„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“'''[1]''''' Wenn wir Christus nachfolgen, gehen wir einen Weg. Darin besteht die Gnade: diesen Weg suchen, gehen und die Wahrheit immer tiefer entdecken zu dürfen. Der Christusbotschaft vom Werden des Menschen möchte die Anthroposophie dienen.
Das Menschen-Ich ist ein großes Rätsel, von dem wir noch sehr wenig wissen. Eines ist jedoch sicher: Mut ist im menschlichen Ich zu Hause. Das Ich ist seiner Substanz nach reiner Wille, reine Bejahung, reiner Mut: Daseinsmut, Werde-Mut, Schicksals-, Selbstfindungs- und Welterkenntnismut, Herzensmut.
''Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 5. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997''
----[1] Neues Testament, ''Johannes 14, 6.''
== MUT UND DEMUT ==
''Inwiefern ist die Siegfried-Sage eine Erzählung über die Ich-Natur des Menschen?''
''Wie hängen Mut und Demut zusammen?''
=== ''Weltweit überlieferte Erzählungen vom mutigen Ich'' ===
Nicht nur in den Evangelien, sondern auch in fast allen bedeutenden Urkunden der Volksweisheit, in den Märchen und Mythen, in den germanischen Götter- und Heldensagen oder in der Edda, findet man in der Gestalt des Königssohnes oder des Helden die Ich- Qualität als Mut-Fähigkeit dargestellt, mit der man allen Schrecken ins Auge schauen und „durch die Höllen gehen“ kann. Letztlich überliefern diese Mythen die Botschaft, dass das mutige Ich sich auf der Erde verwirklichen darf, kann und soll.
Im mitteleuropäischen Kulturraum finden wir das Urbild des personifizierten Mutes in der Siegfried-Sage, die den oben geschilderten Ich- oder Mut-Begriff sehr gut ins Bild fasst. Siegfried wird als der Inbegriff des germanischen Helden dargestellt, dem es sogar gelang einen Drachen zu töten.
=== ''Siegfrieds Weg der Selbstermächtigung'' ===
Siegfried, der weder Vater noch Mutter kannte, wuchs im Wald bei Zwergen und Tieren auf. Es gab niemanden, der ihm aus Angst, ihm könnte etwas zustoßen, Dinge verbot. Was seine Erziehung betrifft, war er ganz auf sich gestellt. Dieser Umstand fasst das heute geltende Prinzip, dass man sich alles selbst aneignen muss, selbst wenn man etwas geschenkt bekommt oder erbt, ins mythologische Bild. Goethe formuliert dieses Prinzip mit den berühmten Worten, die er Faust sagen lässt: ''„Was Du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“''.
So wuchs Siegfried furchtlos und naturverbunden heran, verstand die Sprache der Vögel, und wurde zunehmend mutig und stark wie eine elementare Urkraft. Er jagte wilde Tiere und brachte sogar Bären mit nach Hause – zum Entsetzen des Zwerges, in dessen Höhle er wohnte.
Schließlich fand Siegfried das zerbrochene Schwert seines Vaters, das diesem im Kampf gegen den Gott Wotan zerbrochen war. Denn sein Vater hatte nicht die Kraft gehabt, sich seinem Schöpferwesen, der Gottheit, in Freiheit gegenüberzustellen. Es ging nun die Sage, dass nur ein Held, der sich nicht fürchtet, in der Lage sein würde, dieses zerbrochene Schwert wieder zusammenzuschmieden. Schon viele Menschen hatten es versucht, aber es war immer wieder zerbrochen. Siegfried kam nun auf den genialen Gedanken, die Schwertstücke in ihre feinsten Bestandteile zu raspeln, sie dann einzuschmelzen und schließlich aus der „geschenkten“ Substanz des alten Schwertes ein neues, sein eigenes zu schmieden.
=== ''Wahrbild der Ich-Natur'' ===
Treffender kann man das Geheimnis der menschlichen Ich-Natur kaum umschreiben: Wir Menschen werden geboren, sind quasi von Gott bzw. der Evolution Erschaffene und wachsen Kraft dieses Schöpfungsgeschenkes heran, bis wir eines Tages auf uns selbst gestellt sind.
Wahrhaft selbständig sind wir jedoch erst, wenn wir uns alles, was wir bisher vom Leben geschenkt bekommen haben, wie neu erwerben durch eigenes Interesse, eigenständige Liebe und echte Verbindlichkeit. Sonst stehen wir nicht wirklich auf eigenen Beinen, sind wir nicht ganz wir selbst. Jeder heranreifende Mensch muss das Schwert überkommener Werte aus eigenem Antrieb nochmals neu schmieden. Und fast jeder kennt das Erlebnis, dass es ihm dabei etwas zerbricht und er von vorne anfangen muss.
Die Sage von Siegfried und dem Schwert seines Vaters ist so gesehen ein Wahrbild für unsere Ich-Natur, die aus sich heraus den Mut aufbringen muss für die menschliche Erfahrung des „Stirb und Werde“.
=== ''Demut als Mut zur Unvollkommenheit'' ===
Die Fähigkeit, demütig sein zu können, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Grad an Mut, den man schon erlangt hat. Bei einem Kind können wir Demut noch als eine unbewusste Fähigkeit erleben, wenn es z.B. andächtig vor dem Weihnachtsbaum sitzt. Doch um als Erwachsener ehrfürchtig vor einer Wahrheit, einer Lebenstatsache oder auch vor Gott zu stehen, bedarf es einer ganz anderen Kraft, die auch Mut erfordert: Man muss lernen, die Angst vor der Wahrheit und auch vor Gott in wirkliche „Gottesfurcht“ zu verwandeln. Das ist nur durch Demut möglich.
Viele Menschen haben heute Angst vor der geistigen Welt. Man spürt die eigene moralische Unvollkommenheit so stark, dass schon der Gedanke, einem vollkommenen Wesen in die Augen schauen zu müssen, unerträglich ist. Das trifft auch auf die Menschen untereinander zu: Wie schwer fällt es einem, einen anderen, der weiterentwickelt ist als man selbst, ehrlich anzuerkennen! Wie leicht findet man etwas zu kritisieren, um sich von ihm distanzieren zu können. Unser Umgang miteinander wäre anders, wenn wir demütiger wären. Dass wir uns selbst zum Maßstab für die Beurteilung anderer machen, ist ein Indikator für unsere Mutlosigkeit: Denn es gehört Mut und Selbstsicherheit dazu, sich einem Größeren gegenüber nicht klein und unbedeutend zu fühlen.
Ein zeitgemäßer Ausdruck von Mut könnte sein, zu seiner Unvollkommenheit zu stehen, weil man weiß, dass das Ich etwas Werdendes ist, das sich erst noch schaffen muss und sich nicht zu schämen braucht, dass es noch nicht seine volle Kraft und Stärke entfaltet hat. Die eigene Unvollkommenheit zu ertragen erfordert Mut.
Deshalb besteht eine Möglichkeit, Mutlosen zu helfen, darin, ihnen Liebe und Zutrauen entgegenzubringen und dadurch ihre Selbstachtung und ihr Selbstvertrauen zu stärken. Einem Kind wird durch das Rufen seines Namens oder nonverbal durch Zuwendung bei der Pflege oder durch die bloße Anwesenheit einer Bezugsperson Mut zugesprochen. Unter Erwachsenen muss in einer aufrichtigen Beziehung beides, Anerkennenswertes und Problematisches, offen zur Sprache kommen, wenn man sich auf der Ich-Ebene begegnen will.
''Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 5. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997''

Aktuelle Version vom 7. April 2025, 11:15 Uhr

Mut – von Michaela Glöckler

Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/

ÜBER URSPRUNG UND NOTWENDIGKEIT VON MUT

Inwiefern ist Mut heute eine notwendige menschliche Eigenschaft?

Wo und wann zeigt sich Mut am deutlichsten?

Konfliktlösung braucht Mut

Konflikte sind Kriege im Kleinen, Kriege, deren Fronten oft nicht klar überschaubar sind oder im Laufe des Konfliktlösungsprozesses wechseln. Es sind kleine Kriege im Sozialen zwischen Menschen, die sich oft schon lange kennen. Sehr oft spielen sich diese Kriege jahrelang im Unausgesprochenen ab, weil keiner den Mut hat, die Sache anzugreifen. Unter mutigen Menschen kann es wohl Streit geben, Krach, auch heftige Kritik – doch keine zähen bzw. schwer lösbaren Konflikte. Denn sie haben die Bereitschaft, auf den anderen zuzugehen, unliebsame Dinge beim Namen zu nennen und das persönliche Image, vielleicht sogar die eigene Stelle oder Stellung im System zu riskieren. Mut ist einerseits eine Charaktereigenschaft, die schon Kinder ins Leben mitbringen können – selbst Kinder von ängstlichen Eltern – andererseits kann Mut auch bis zu einem gewissen Grad erlernt werden. Das stellt für Erziehung und Selbsterziehung eine wichtige Aufgabe dar.

Besonders in extremen Situationen wie z.B. im Kriegsfall, bei Katastrophen oder unter den entwürdigenden Lebensumständen einer Diktatur, hat sich immer wieder gezeigt, zu welch mutigen Taten Menschen angesichts einer Bedrohung oder einer zivilisatorischen Herausforderung fähig sind. Auf diese Weise können sie zu Vorbildern und Leitfiguren einer ganzen Generation werden.

Beispiele mutiger Menschen

Ein eindrucksvolles Beispiel aus der Gegenwart ist die Lebensgeschichte der Schwester Helen Prejean, die in den Vereinigten Staaten Gefängnisse besucht und zum Tode Verurteilte bis zu ihrer Hinrichtung begleitet hat, so wie sie es in dem autobiographischen Buch „Dead Man Walking“ schildert.[1] Weltweit bekannt geworden ist diese Geschichte vor allem durch ihre unter dem gleichen Namen laufende Oscar gekrönte Verfilmung von Tim Robbins, durch die Millionen von Menschen von dieser mutigen Frau erfuhren, die mit ihrer Menschlichkeit ein ungelöstes Strafvollzugsproblem bewusst gemacht hat.

Außergewöhnlichen Mut gegen ein politisches System bewiesen auch Sophie und Hans Scholl und die anderen Mitglieder der „Weißen Rose“, als sie mitten im nationalsozialistischen Terror, den Tod vor Augen, zum Widerstand gegen Hitler und sein Regime aufriefen. Die Geschichte ist reich an solchen mutigen Gestalten, und das große Interesse an ihren Biographien,[2] aber auch an Filmen wie „Dead Man Walking“, zeigt, dass es wichtig ist in Zeiten zunehmender Mutlosigkeit, auf Beispiele dieser Art hinzublicken.

Primäre Veranlagung von Mut

Aber auch das Alltagsleben ist eine gute Schule, um mutig zu werden. Schon an kleinen Kindern können wir die Anlage zum Mut beobachten. Je kleiner, desto „mutiger“ sind sie. Und so wird die heiße Herdplatte und die goldgelbe Kerzenflamme mit derselben Angriffsbereitschaft und Sympathie begrüßt wie eine Blume oder eine Katze. Kleine Kinder gehen mit großer Vertrauens- und Hingabefähigkeit auf die Welt zu. Und gerade diese Fähigkeit, unbefangen zu sein und bereit, Erfahrungen zu machen, ist Ausdruck einer primären Veranlagung zum Mut.

Man versetze sich einmal in die Lebenswirklichkeit so eines Kindes: Wie sie die häusliche Situation der Eltern, die Sprache, die Situation des Landes, alles so, wie es ist, einfach nur annehmen, ohne zu wissen, was morgen sein wird – dazu gehört Mut. Natürlich reflektieren Kinder diesen Zustand noch nicht. Aber sie zeigen mit ihrer Erfahrungsbereitschaft, dass die Veranlagung zum Mut eine typisch menschliche Eigenschaft ist. Und es ist eine wesentliche Aufgabe der Erziehung, diese Veranlagung zu unterstützen und zu pflegen, gerade weil mit zunehmender Bewusstwerdung Ängstlichkeit und Angst immer mehr ihren Einzug in die Seele halten.[3]

Mut durch Vertrauen, Sicherheit und Kraft

Wenn sich

  • Vertrauen im Gefühlsorganismus,
  • Sicherheit im Lebensorganismus
  • und Kraft im physischen Organismus

entwickeln konnten, fühlt unser Ich sich mutig.

Wenn nun statt Vertrauen Angst, statt Sicherheit Zweifel und statt Kraft Ohnmacht empfunden wird, müssen wir aus dem Ich heraus auf diesen Ebenen erst einmal die Grundlage für unser eigenes Werden schaffen. Beginnen wir in dieser Situation, ordnend in das Seelenleben einzugreifen, kommt ein geistiges Gesetz zum Tragen, das im Neuen Testament lautet: „Wer da hat, dem wird gegeben.“[4] Die geringsten Fortschritte, die wir im Aufbau von Selbstvertrauen, Sicherheit und dem Willen, die Ohnmacht zu überwinden, machen, bringen uns sofort ein viel größeres Stück weiter, als es die kleine Anstrengung hätte vermuten lassen. Wir erleben die Gnade, dass bereits der gute Wille belohnt wird. Wer sich dagegen in Zweifel und Ängstlichkeit hängen lässt, erlebt, wie diese zunehmen und er auch noch den letzten Rest an Sicherheit verliert.

Rettender Mut zur Tat

In solch einer labilen Situation rettet uns letztlich nur der Mut zur Tat. Er wird dadurch gestärkt, dass wir unser Denken ernst nehmen lernen als geistiges Vermögen, das uns durch das Leben führt und uns jede auch noch so kleine Entscheidung ermöglicht – dem aber auch Zweifel und Verzagen entspringen, indem wir uns vorstellen, wie schwach und unsicher wir sind.

Wir müssen uns klar machen, wie sehr wir im Denken leben – ja nur dort Wesenssicherheit erwerben können: Je deutlicher uns wird, dass nur unser physischer Leib vergänglich ist und dass nur er zerstört werden kann, nicht aber das Gedanken-, Gefühls- und Willenserleben, unser „Seelisches“, umso mehr Vertrauen können wir entwickeln in den geistigen Bestand dieser Welt. Unser Ich, das wir nur im Denken erfahren können von der ersten Ich-Erinnerung in der frühen Kindheit angefangen, kann auch nach dem Tode als geistiges Wesen mit seinem Schicksal fortleben und an den gedanklich-geistigen Voraussetzungen für eine zukünftige Körperlichkeit in einem nächsten Erdenleben arbeiten.

Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 5. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997


[1] Helen Prejean, Dead Man Walking. Goldmann 1996.

[2] Siehe z.B. H. Kluge, Cato Bontjes van Beek. Zürich, Hamburg 2003.

[3] Vgl. Michaela Glöckler, Vom Umgang mit der Angst, Verlag Urachhaus, Stuttgart 1990.

[4] Neues Testament, Matthäus 25, 29.

DER PHYSISCHE LEIB ALS QUELLE VON MUT

Worauf gründet Mut im Physischen?

Physische Voraussetzungen von Mut

· Abgeschlossenheit

Die in sich abgeschlossene Gestalt unseres Körpers gibt uns die Möglichkeit des Individuell-Seins und vermittelt ein Gefühl der inneren Geschlossenheit. Wir verschwimmen nicht mit der Umgebung, sondern sind klar von ihr abgegrenzt, bekleidet und geschützt. Unser Selbstbewusstsein gründet sich auf diesen physischen Leib – auf das Bewusstsein, ein individueller Mensch zu sein. Wo ich stehe, kann im selben Moment kein anderer stehen – entweder du oder ich. Dieses Erleben liegt auch dem Egoismus zugrunde.

Die Qualität der Abgeschlossenheit kann aber auch das Gefühl des Eingeschlossen-seins, des Gefangen-seins im Körper, hervorrufen – z.B. bei Krankheiten, die mit Schmerzen oder sonstigem Unwohlsein einhergehen, oder aber in Situationen, in denen man überwältigt wird und sich nicht wehren kann. Mit der Verletzlichkeit des physischen Leibes ist das elementare Gefühl von Enge und Angst verbunden.

· Erleben von Kraft

Es gibt noch eine weitere Qualität des Physischen, die für das Entwickeln von Mut entscheidend ist: das Krafterleben. Der gesunde Leib kann Kraft entfalten. Diese Kraft erwächst uns aus der Ernährung, der Stoffumwandlung, der Atmung und bildet die Grundlage für Mut.

Es hängt stark von der Erziehung ab, ob und wie dieses Krafterleben am physischen Leib im Laufe der Kindheit gefördert und gepflegt wird. Eine große Rolle spielt dabei die Sinnespflege: Es ist wesentlich und äußerst wichtig, dass Kinder ungehindert ihrem Bewegungs-, Erfahrungs- und körperlichen Betätigungsdrang nachgehen dürfen.

Erziehung zu Mut bedeutet z.B. auch, dass Kinder erleben, dass ihre Eltern keine Angst haben, wenn sie einen Abhang „hinunterrasen“, dass sie nicht dauernd ermahnt werden, doch bitte aufzupassen. Welch ein Triumph, wenn ein an sich ängstlicher Junge eines Tages doch den Mut aufbringt, eine große alte Tanne zu besteigen, die fast doppelt so hoch ist wie das Haus, in dem er wohnt, und den erstaunten Eltern zuzurufen, dass er oben ist. Seinen Mut zu bestätigen durch Lob und nicht zu ersticken in einem Schwall von – „Hast du mir aber eine Angst eingejagt, weißt du denn nicht, dass die Äste auch brechen können. Das darfst du auf keinen Fall noch einmal machen!“ – etc., etc., ist entscheidend. Ausreichende Bewegung, gesunde Ernährung und vertrauensvolle Eltern sind die wichtigsten Bedingungen, dass Kinder im Physischen Mut entwickeln.

Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 5. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997

DER ÄTHERISCHE LEIB ALS QUELLE VON MUT

Welche Mutkräfte verdanken wir dem ätherischen Organismus?

Welche Qualitäten nähren den Mut im Ätherischen?

Lebensprozesse, Denken und Ätherleib

Rudolf Steiner nennt den ätherischen Leib auch „Organismus der Lebensgesetze, der Wachstums- und Regenerationskräfte und der Gedankentätigkeit“.[1] Dieser Begriff basiert auf dem Forschungsergebnis Steiners, dass die Gesetze und Kräfte, mit denen der Körper die Stoffe des physischen Leibes ordnet und in seinen Lebenszusammenhang integriert, dieselben sind, mit denen wir auch denken – beim Denken sind diese Kräfte jedoch leibfrei wirksam und nicht mehr leibgebunden wie bei Wachstum und Regeneration.

Es gibt heute eine umfangreiche Literatur darüber, wie das Denken in Todesnähe völlig anders erlebt wird: In lebendigen Bildern konnten die Betroffenen längst Vergessenes in großer Lebhaftigkeit wie in einem gewaltigen Lebenspanorama vor sich sehen. Auch waren sie selbst leicht wie ein Gedanke und konnten durch Mauern und andere physische Gegenstände hindurchgehen. Sie lebten nicht mehr im physischen Leib, sondern in ihrem ätherischen Organismus. Wurden sie dann durch Reanimation wieder zurückgeholt, wurde ihr Denken sogleich wieder blass und schattenhaft: Nachdem der ätherische Organismus erneut in den physischen Leib eingetaucht war, stand wieder nur ein Teil der Lebenskräfte für das gewöhnliche Denken zur Verfügung.

Die Gesetze des Raumes, die dem physischen Leib eigen sind, gelten nicht für den Ätherleib. Er folgt den Gesetzen der Zeit, den Rhythmen, der ganzheitlichen Ordnung und Integration. Zerfall und Isolierung, wie sie für das Physische typisch sind, gibt es im Ätherischen nicht. Das bedeutet aber auch, dass alles, was mit dem Leben und Denken zu tun hat, auf Integration, Verstehen, Zusammenhänge-Schaffen, Ordnen und Verwandeln angelegt ist. Wenn wir etwas nicht verstehen, ruhen wir nicht eher, als bis wir es soweit in unsere Gedankenwelt integriert haben, dass es Sinn macht. Wenn es sich jedoch als Irrtum herausstellt, wird es „verworfen“ und damit aus unserer Gedankenwelt ausgeschieden.

Lebenssicherheit durch Verständnis

Lebenssicherheit und Sicherheit durch Verständnis nähren den Mut auf der ätherischen Ebene. Erst wenn ich etwas verstanden habe, fühle ich mich sicher. Wenn ich vor etwas Angst habe, lässt diese sogleich nach, sobald ich die angstauslösenden Faktoren durchschaut habe. Auch wenn man Todesangst hat, arbeiten die Gedanken fieberhaft daran, wie man dieser Gefahr entgehen könnte: Und manchmal bekommt man tatsächlich den erlösenden Einfall, was jetzt zu tun ist. Helen Prejean[2] wurde in der Situation, als die Hinrichtung ihres Schutzbefohlenen nahte, klar, dass hysterisches Reagieren und Vor-Angst-Vergehen nichts bewirken, und dass die einzige Chance, jetzt noch zu helfen, darin bestand, dem Todgeweihten normale menschliche Fragen zu stellen. Ruhe und Sicherheit können in solchen Extremsituationen nur vom Denken ausgehen.

Eine tiefe Ruhe kann auch auf dem Wissen basieren, dass das eigene Wesen so unzerstörbar wie ein Gedanke ist kann ich mich doch selbst denken. Stoffe können auseinanderfallen, Gedanken nicht: Sie hängen zusammen, haben Beziehung zueinander; sie sind rein geistige Kräfte denkbar, aber nicht sinnlich anschaubar. Wenn ich an einen Menschen denke, ist es völlig gleichgültig, wo er sich in der Welt aufhält meine Gedanken können ihn augenblicklich erreichen. Im Denken sind wir nicht abgegrenzt wie im physischen Leib. Wir berühren gedanklich alles, worüber wir nachsinnen.

Wer dafür sensibel ist, kann auch empfinden, wie andere Menschen über ihn denken. Er erlebt, wie die Kraft guter Gedanken die Atmosphäre erhellen kann. Er erlebt aber auch, wie hässliche und schlechte Gedanken bedrücken und belasten können oder wie ein Spuk verschwinden, wenn Ehrlichkeit und Verständnis füreinander die Oberhand gewinnen. Sobald man den Bereich des Denkens betritt, gelangt man vom sinnlichen in den übersinnlichen Bereich. Und so vermittelt uns das Denken auch die Sicherheit, dass unser Dasein den physischen Leib überdauert, da es nicht ausschließlich an diesen gebunden ist.

Über den Ätherleib erleben wir Sicherheit, Sinnbezug, Vertrauen in die Wahrheit der Welt. Diese Qualitäten sind zugleich die Quelle für Mut.

Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 5. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997


[1] Rudolf Steiner, Die Geheimwissenschaft im Umriss, GA 13.

[2] Helen Prejean, Dead Man Walking. New York 1993; dt. Übers. München 1996, Ausgabe 2002.

DER ASTRALISCHE LEIB ALS QUELLE VON MUT

Inwiefern ist unser Astralleib Quelle von Mut?

Weisheitsvoller Pendelschlag des Astralischen

Dem Astralleib verdanken wir unser Gefühlsleben. Und so, wie unserem Gedankenleben ein geistiger Gedankenorganismus zugrunde liegt, entspringt auch unser Gefühlsleben einem in sich zusammenhängenden Seelenorganismus. Rudolf Steiner nannte den astralischen Organismus einen Weisheitsorganismus.[1] Das Gefühl ist weltumspannend und unendlich weise. Jemand, der eine brenzlige Situation spontan richtig erfasste und sich entsprechend verhielt, hatte das „im Gefühl“, und braucht u. U. Jahre, um gedanklich nachzuvollziehen, warum die Auffassung der Situation und die damit verbundenen Entscheidungen damals richtig waren.

Der Gefühlsorganismus ist gänzlich anders gebaut als der Gedankenorganismus. Er lebt von der großen Polarität von Sympathie und Antipathie. Er ist ein System von Spannung und Entspannung.

  • Die Sympathie kann sich auf alles Mögliche erstrecken und sich bis zu den Sternen hin ausdehnen.
  • Entsprechend können wir uns mit Hilfe der Antipathie von allem und jedem distanzieren – auch von uns selbst, z.B. in Augenblicken, in denen wir uns nicht leiden können oder gar verabscheuen.

Zwischen diesen beiden Grundhaltungen, zwischen uns und der Welt, bewegt sich unser Gefühlsleben in weisheitsvollem Pendelschlag.

Musikalisch ordnende Kraft des Astralischen

Künstlerisch gesehen sind es die Gesetze der Musik, die hier wirksam sind, d.h. die Gesetze der zahlenmäßig erfassbaren Diskontinuität, der Spannungsverhältnisse einer Saite. Im Gegensatz dazu haben die Bildekräfte des ätherischen Organismus unmittelbaren Bezug zur plastischen Kunst, zum bildenden Gestalten.[2] Und so wie der ätherische Organismus mit einem großen Teil seiner Kräfte den physischen Leib und seine Stoffe mit Leben durchzieht und am Leben erhält, so durchdringen die Gesetzmäßigkeiten des astralischen Organismus seinerseits den physischen und den Ätherleib: Dadurch werden alle Vorgänge nach bestimmten Proportionen und Zahlenverhältnissen geordnet und gegliedert.[3]

Schon während der Embryonalentwicklung kann man das Zusammenwirken von ätherischen und astralischen Kräften beobachten: Schübe von Proliferation, plastischem Wachstum (ätherisch), wechseln phasenweise mit Schüben von Differenzierung und Gliederung (astralisch), bei denen sich sogar manches wieder zurückbildet.

So haben wir alle z.B. anfangs „Schwimmhäute“ zwischen Fingern und Zehen, die sich dann in der fortschreitenden Embryonalentwicklung wieder zurückbilden, sodass schließlich die frei beweglichen Finger entstehen. Und wie sich die ätherischen Kräfte im Laufe der Entwicklung – in dem Maß, in dem sie nicht mehr als Wachstumskräfte gebraucht werden – für die gedankliche Tätigkeit metamorphosieren, geschieht das entsprechend auch mit den astralischen Kräften: Sie stehen in dem Maß für das Gefühlsleben zur Verfügung, in dem sie von der physisch-ätherischen Konstitution in Wachstum und Entwicklung nicht mehr benötigt werden.

Vertrauen in den Zusammenklang der Welterscheinungen

Die Sterne am Himmel folgen bestimmten Bewegungs- und Zahlenverhältnissen – entsprechend regelt der astralische Organismus (aster, astrum = Stern) die Zahlenverhältnisse und Proportionen des Leibes und ordnet die Spannungsverhältnisse der Gefühle. Die umfassende Weisheit, die dem Weltzusammenhang und -zusammenklang zugrunde liegt, können wir z.B. unmittelbar erleben, wenn wir Musikwerke hören wie Symphonien von Beethoven oder Bruckner. Wir tragen diese Weisheit der Welt, diesen Zusammenklang der Erscheinungen in unserem Gefühlsleben.

Das Vertrauen in diesen Zusammenklang der Welterscheinungen, das Gefühl des Eingebettetseins in den Bestand der Welt, die nach Gesetzen geordnet ist, die sich sowohl im Makrokosmos der Welt wie auch im Mikrokosmos des einzelnen Menschen wiederfinden, wird zur Quelle von Mut: Es geht um die Besinnung auf das Vertrauen als eine Kraft, die auch in Zeiten der Angst und des Zweifels durchtragen kann.

Was wären wir, ohne den unbesiegbaren Glauben (Vertrauen) in diesen geordneten Ur-Grund der eigenen Existenz und der Welt?

Ohne das Vertrauen, das nicht nur Berge versetzen, sondern auch die Abgründe und Dissonanzen des Lebens überbrücken kann?

Glaube und Vertrauen werden im Vorschulalter am stärksten durch das entsprechende Vorbild gefördert. Diese beiden Fähigkeiten wirken selbst unter Erwachsenen vorbildhaft und haben eine starke Ausstrahlung. Gerade in der heutigen Zeit, in der so viel Unsicherheit und Mangel an Vertrauen herrscht, wirkt es erweckend, wenn wir beherzten, vertrauensvollen Menschen begegnen.

Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 5. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997


[1] Vgl. Rudolf Steiner, Die Geheimwissenschaft im Umriss, GA 13, S. 58ff.

[2] Vgl. Armin Husemann, Der musikalische Bau des Menschen, Stuttgart, 4. Aufl. 2003.

[3] Vgl. Rudolf Steiner, Die Geheimwissenschaft im Umriss, GA 13, S. 60 ff.

ICH-ORGANISATION UND ICH-WESEN ALS QUELLE VON MUT

Inwiefern dient unsere Ich-Organisation als Quelle von Mut?

Integrierende Kraft der Ich-Organisation

Die Kräfte der Ich-Organisation bewirken, dass der physische Organismus, den wir mit den Stoffen und Kräften der Mineralien gemeinsam haben, der ätherische Organismus, den wir mit den Pflanzen gemeinsam haben, und der astralische Organismus, den wir mit den Tieren gemeinsam haben, sich so miteinander verbinden und aufeinander abstimmen, dass die menschliche Natur entstehen kann. Sind diese Ich-Kräfte mit ihrer Arbeit am physischen Organismus fertig, werden sie ebenfalls frei für die seelische Tätigkeit und ermöglichen den freien Gebrauch des Willens auch im Gefühls- und Gedankenleben. Ein Teil dieser Kräfte bleibt zeitlebens im Organismus tätig und verbindet sich mit den dort wirksamen astralischen, ätherischen und physischen Kräften in der Stoffwechseltätigkeit und Kraftentfaltung.

In diese Ich-Organisation kann der ewige Wesenskern des Menschen, sein höheres Ich, hereinwirken. Dieses höhere Ich, die „ewige Entelechie“ des Menschen, die durch die Entwicklungs- und Werde-Erfahrungen vieler Verkörperungen geht, kann sich nicht in diesem einen begrenzten Erdenleib verkörpern. Es kann geistig gesucht werden und die Seele erfüllen und erleuchten.

Ich-Organisation als Gefäß für Impulse des höheren Ich

Die Ich-Organisation befähigt zu dieser Suche und zur Aufnahme von Ich-Impulsen des „ewigen“, „wahren“ bzw. „höheren“ Ich in die Seele. Die Kräfte dieser Ich-Organisation sind nicht so weise wie das Gefühl und nicht so differenziert und klug wie der Gedankenorganismus. Dafür sind die Willenskräfte der Ich-Organisation bereit zur Suche, zum Aufbruch ins Unbekannte, zur Arbeit an sich selbst und der Welt, und fähig, sich dadurch das eigene Selbst und dessen Beziehung zur Welt bewusst zu machen: In dem Maß, in dem sich das Ich mit Menschen, Dingen, Wesen, Vorgängen, Gedanken und Gefühlen verbindet und identifiziert, wächst sein Bewusstsein, seine Arbeitsmöglichkeit und Kraft. Paradoxerweise sagen wir alle zu uns „ich“, obwohl wir uns zugegebenermaßen erst wenig kennen. Wir sprechen von „Selbstverwirklichung“, wenn wir uns noch nicht verwirklicht haben – aber vorhaben, es zu tun.

Nur der Dreijährige weiß, wovon er spricht, wenn er zu sich „ich“ sagt. Bei ihm schwingen noch keine Selbstzweifel mit, er stellt sich noch nicht infrage, wie es im Jugend- und Erwachsenenalter geschieht.

Die „zweite Geburt“

Zu allen Zeiten wurde immer von einer „zweiten Geburt“ gesprochen, die auf die erste folgen muss. Die erste Geburt bringt das Wesensgliedergefüge unseres komplexen Leibes zur Welt und befreit im Laufe der Wachstums- und Entwicklungsjahre die ihn aufbauenden Seelen- und Geisteskräfte von Denken, Fühlen und Wollen. Darin lebt dann, wie in einem Mutterschoß, der Kern der Persönlichkeit, das Ich-Wesen mit seinem Werde-Willen, seiner Lern- und Handlungsbereitschaft und der Fähigkeit, Gewordenes zu verwandeln und Zukünftiges zu verwirklichen. Im Laufe des Lebens kommt es bei fast jedem bewussten Menschen zu einer qualvollen Krise, in der er sich in Frage stellt und sich selbst zur Last werden kann bis dahin, dass er sich „wegwerfen“ will.

Denn die erste Geburt, die uns quasi „geschenkt“ wird, führt uns noch nicht zu unserem wahren Dasein, zu einem stabilen, im Geist gegründeten Selbstbewusstsein. Wir empfinden in der dunklen Stunde der Resignation und Verzweiflung deutlich, dass wir noch nicht wirklich wir selbst sind, sondern es erst noch werden müssen, dass dazu ein Entschluss gefasst werden muss: Wir müssen aus „Feuer und Geist“ noch einmal geboren werden, d.h., wir müssen uns selbst noch einmal aus innerster Freiheit heraus wollen, müssen uns entschließen, uns in die Hand zu nehmen und neu zu erschaffen, um nicht nur gottgewollt, sondern auch selbstgewollt zu sein. Gelingt dieser Willensentschluss der Selbst- und Lebensbejahung, haben wir die zweite Geburt vollzogen und sind zu einem Ich-Erleben und Selbstbewusstsein gekommen, das unabhängig ist vom Leib, das im rein Geistigen begründet ist. Diese zweite Ich-Erfahrung ist zugleich ein tief religiöses Erlebnis, ist wie eine Zwiesprache mit dem höheren Ich, das mit der Engelwelt und der Christuswesenheit in unmittelbarer Beziehung steht.

Gnade der Entwicklung

Von theologischer Seite wird der Anthroposophie immer wieder vorgeworfen, sie setze die Selbsterlösung oder das Prinzip der Selbstentwicklung an die Stelle der Gnade. Das ist ein Irrtum. Vielmehr bezeichnet die Anthroposophie die Möglichkeit, sich zu entwickeln, mit Gnade. Christus sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“[1] Wenn wir Christus nachfolgen, gehen wir einen Weg. Darin besteht die Gnade: diesen Weg suchen, gehen und die Wahrheit immer tiefer entdecken zu dürfen. Der Christusbotschaft vom Werden des Menschen möchte die Anthroposophie dienen.

Das Menschen-Ich ist ein großes Rätsel, von dem wir noch sehr wenig wissen. Eines ist jedoch sicher: Mut ist im menschlichen Ich zu Hause. Das Ich ist seiner Substanz nach reiner Wille, reine Bejahung, reiner Mut: Daseinsmut, Werde-Mut, Schicksals-, Selbstfindungs- und Welterkenntnismut, Herzensmut.

Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 5. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997


[1] Neues Testament, Johannes 14, 6.

MUT UND DEMUT

Inwiefern ist die Siegfried-Sage eine Erzählung über die Ich-Natur des Menschen?

Wie hängen Mut und Demut zusammen?

Weltweit überlieferte Erzählungen vom mutigen Ich

Nicht nur in den Evangelien, sondern auch in fast allen bedeutenden Urkunden der Volksweisheit, in den Märchen und Mythen, in den germanischen Götter- und Heldensagen oder in der Edda, findet man in der Gestalt des Königssohnes oder des Helden die Ich- Qualität als Mut-Fähigkeit dargestellt, mit der man allen Schrecken ins Auge schauen und „durch die Höllen gehen“ kann. Letztlich überliefern diese Mythen die Botschaft, dass das mutige Ich sich auf der Erde verwirklichen darf, kann und soll.

Im mitteleuropäischen Kulturraum finden wir das Urbild des personifizierten Mutes in der Siegfried-Sage, die den oben geschilderten Ich- oder Mut-Begriff sehr gut ins Bild fasst. Siegfried wird als der Inbegriff des germanischen Helden dargestellt, dem es sogar gelang einen Drachen zu töten.

Siegfrieds Weg der Selbstermächtigung

Siegfried, der weder Vater noch Mutter kannte, wuchs im Wald bei Zwergen und Tieren auf. Es gab niemanden, der ihm aus Angst, ihm könnte etwas zustoßen, Dinge verbot. Was seine Erziehung betrifft, war er ganz auf sich gestellt. Dieser Umstand fasst das heute geltende Prinzip, dass man sich alles selbst aneignen muss, selbst wenn man etwas geschenkt bekommt oder erbt, ins mythologische Bild. Goethe formuliert dieses Prinzip mit den berühmten Worten, die er Faust sagen lässt: „Was Du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“.

So wuchs Siegfried furchtlos und naturverbunden heran, verstand die Sprache der Vögel, und wurde zunehmend mutig und stark wie eine elementare Urkraft. Er jagte wilde Tiere und brachte sogar Bären mit nach Hause – zum Entsetzen des Zwerges, in dessen Höhle er wohnte.

Schließlich fand Siegfried das zerbrochene Schwert seines Vaters, das diesem im Kampf gegen den Gott Wotan zerbrochen war. Denn sein Vater hatte nicht die Kraft gehabt, sich seinem Schöpferwesen, der Gottheit, in Freiheit gegenüberzustellen. Es ging nun die Sage, dass nur ein Held, der sich nicht fürchtet, in der Lage sein würde, dieses zerbrochene Schwert wieder zusammenzuschmieden. Schon viele Menschen hatten es versucht, aber es war immer wieder zerbrochen. Siegfried kam nun auf den genialen Gedanken, die Schwertstücke in ihre feinsten Bestandteile zu raspeln, sie dann einzuschmelzen und schließlich aus der „geschenkten“ Substanz des alten Schwertes ein neues, sein eigenes zu schmieden.

Wahrbild der Ich-Natur

Treffender kann man das Geheimnis der menschlichen Ich-Natur kaum umschreiben: Wir Menschen werden geboren, sind quasi von Gott bzw. der Evolution Erschaffene und wachsen Kraft dieses Schöpfungsgeschenkes heran, bis wir eines Tages auf uns selbst gestellt sind.

Wahrhaft selbständig sind wir jedoch erst, wenn wir uns alles, was wir bisher vom Leben geschenkt bekommen haben, wie neu erwerben durch eigenes Interesse, eigenständige Liebe und echte Verbindlichkeit. Sonst stehen wir nicht wirklich auf eigenen Beinen, sind wir nicht ganz wir selbst. Jeder heranreifende Mensch muss das Schwert überkommener Werte aus eigenem Antrieb nochmals neu schmieden. Und fast jeder kennt das Erlebnis, dass es ihm dabei etwas zerbricht und er von vorne anfangen muss.

Die Sage von Siegfried und dem Schwert seines Vaters ist so gesehen ein Wahrbild für unsere Ich-Natur, die aus sich heraus den Mut aufbringen muss für die menschliche Erfahrung des „Stirb und Werde“.

Demut als Mut zur Unvollkommenheit

Die Fähigkeit, demütig sein zu können, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Grad an Mut, den man schon erlangt hat. Bei einem Kind können wir Demut noch als eine unbewusste Fähigkeit erleben, wenn es z.B. andächtig vor dem Weihnachtsbaum sitzt. Doch um als Erwachsener ehrfürchtig vor einer Wahrheit, einer Lebenstatsache oder auch vor Gott zu stehen, bedarf es einer ganz anderen Kraft, die auch Mut erfordert: Man muss lernen, die Angst vor der Wahrheit und auch vor Gott in wirkliche „Gottesfurcht“ zu verwandeln. Das ist nur durch Demut möglich.

Viele Menschen haben heute Angst vor der geistigen Welt. Man spürt die eigene moralische Unvollkommenheit so stark, dass schon der Gedanke, einem vollkommenen Wesen in die Augen schauen zu müssen, unerträglich ist. Das trifft auch auf die Menschen untereinander zu: Wie schwer fällt es einem, einen anderen, der weiterentwickelt ist als man selbst, ehrlich anzuerkennen! Wie leicht findet man etwas zu kritisieren, um sich von ihm distanzieren zu können. Unser Umgang miteinander wäre anders, wenn wir demütiger wären. Dass wir uns selbst zum Maßstab für die Beurteilung anderer machen, ist ein Indikator für unsere Mutlosigkeit: Denn es gehört Mut und Selbstsicherheit dazu, sich einem Größeren gegenüber nicht klein und unbedeutend zu fühlen.

Ein zeitgemäßer Ausdruck von Mut könnte sein, zu seiner Unvollkommenheit zu stehen, weil man weiß, dass das Ich etwas Werdendes ist, das sich erst noch schaffen muss und sich nicht zu schämen braucht, dass es noch nicht seine volle Kraft und Stärke entfaltet hat. Die eigene Unvollkommenheit zu ertragen erfordert Mut.

Deshalb besteht eine Möglichkeit, Mutlosen zu helfen, darin, ihnen Liebe und Zutrauen entgegenzubringen und dadurch ihre Selbstachtung und ihr Selbstvertrauen zu stärken. Einem Kind wird durch das Rufen seines Namens oder nonverbal durch Zuwendung bei der Pflege oder durch die bloße Anwesenheit einer Bezugsperson Mut zugesprochen. Unter Erwachsenen muss in einer aufrichtigen Beziehung beides, Anerkennenswertes und Problematisches, offen zur Sprache kommen, wenn man sich auf der Ich-Ebene begegnen will.

Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 5. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997