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Umgang mit Verstorbenen: Unterschied zwischen den Versionen
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== BEGLEITUNG VERSTORBENER == | |||
''Was ist unter nachtodlicher Entwicklung zu verstehen?'' | |||
''Wie kann man Verstorbene begleiten?'' | |||
=== ''Was Verstorbene von uns brauchen'' === | |||
Ich möchte einige Textstellen zitieren, die bestimmte, in der Todesnähe auftretende Erlebnisse ansprechen. Zunächst eine Stelle aus einem Brief vom 31.12.1905,[1] den Rudolf Steiner an eine Frau schrieb, deren Mann gerade verstorben war: | |||
''„Es ist beim Übertritte eines uns lieben Menschen in die anderen Welten ganz besonders wichtig, dass wir unsere Gedanken und Gefühle zu ihm senden, ohne dass wir die Vorstellung aufkommen lassen, als wollten wir ihn zurückhaben. Dies Letztere erschwert dem Hingegangenen das Dasein in der Sphäre, in die er einzutreten hat. Nicht das'' Leid'', das wir haben, sondern die'' Liebe'', die wir ihm geben, sollen wir in seine Welt senden. Missverstehen Sie mich nicht. Nicht etwa hart sollen wir werden oder gleichgültig, aber es soll uns möglich sein, auf den Toten zu blicken mit dem Gedanken: Meine Liebe begleite dich! Du bist von ihr umgeben. (…) Am besten ist es, Sie schlafen mit dem Gedanken ein:'' | |||
''Meine Liebe sei den Hüllen,'' | |||
''die dich jetzt umgeben,'' | |||
''kühlend alle Wärme,'' | |||
''wärmend alle Kälte,'' | |||
''opfernd einverwoben.'' | |||
''Lebe liebgetragen,'' | |||
''Licht beschenkt nach oben.“'' | |||
Man findet in diesen Worten, die den Menschen begleiten, wenn er die Schwelle gerade überschritten hat, Motive wieder, die in unterschiedlichen Varianten in anderen Kulturen und anderen spirituellen Quellen auch erwähnt werden: Sie besagen, dass die Seele im Nachtodlichen, etwa zwanzig Jahre lang, nicht nur Licht und Farben, Klänge und Töne, Gesten und Zeichen, Formen und Figuren wahrnimmt oder spirituelle Wesensbegegnungen hat, sondern dass sie auch ganz stark Wärme und Kälte erlebt – vor allem wenn der Mensch ein erfülltes Erdenleben hatte. So lange ein Verstorbener noch direkte Angehörige hat, ist dieses Kälte- und Wärmeerleben stärker oder schwächer ausgeprägt. Oft wird gefragt: | |||
''Woher kommt dieses Erleben von Wärme und Kälte?'' | |||
''Und wie kommt es, dass die Liebe es lindern kann, so dass der Verstorbene dem nicht so ausgesetzt ist?'' | |||
=== ''Was beim Auflösen von Ätherleib und Astralleib geschieht'' === | |||
Rudolf Steiner spricht darüber, dass der physische Tod, den wir das eigentliche Sterben nennen, nur der erste Tod ist, bei dem wir den physischen Leib ablegen. Das wunderbare Erlebnis des Eintretens in die Lichtwelt zeigt an, dass auch der Gedanken- und Lebenskräfteorganismus, der ätherische Organismus, sich langsam aufzulösen beginnt und stirbt. | |||
==== 1. Die Auflösung des ätherischen Organismus ==== | |||
Dieses Sich-Auflösen erlebt die Seele sehr stark mit: Zunächst als Panorama des eigenen Lebens, das rückwärts an ihr vorbeizieht. Sie erlebt, wie die Lebenschiffren und Bilder des vergangenen Erdenlebens sich immer weiter entfernen und von der Äthersphäre aufgenommen werden, von der Gedankenwelt und der Intelligenz dieses Kosmos, und dort mit einverwoben werden und nicht verloren gehen. Die Seele selbst behält nur die Gedanken zurück, mit denen sie sich im Leben, durch die Art, wie sie dieses Leben gelebt hat, ganz und gar verbunden hat. Bei denen sie ganz authentisch war, mit denen sie sich wirklich identifizieren und mit ihrem tiefsten Wesen verbinden konnte. Alles das, was nicht nur Gedanke und Vorstellung blieb, sondern Teil des eigenen Wesens geworden ist, kann mitgenommen werden. Von dem Übrigen muss man sich trennen, das löst sich auf, wie auch der physische Leib bei der Erde bleibt und sich auflöst. Nach etwa drei Tagen ist der zweite Tod, die Auflösung des ätherischen Organismus, vollzogen. In diesen ersten drei Tagen ist es außerordentlich hilfreich, wenn Menschen, die den Verstorbenen gekannt haben, in die Lebensrückschau mit einsteigen und ihn begleiten, indem sie liebevoll auf dieses Leben hinblicken – gerade so, wie es war. | |||
=== 2. Die Auflösung des astralen Organismus === | |||
Dann aber kommt die bereits erwähnte Zeitspanne, die zwanzig bis dreißig Jahre nach dem Tod dauert, die so genannte Kamalokazeit, die in der katholischen Kirche auch als Fegefeuer bekannt ist. Sie hat unterschiedliche Namen. | |||
Bei dieser Erfahrung geht es darum, dass man alles, was man im Erdenleben erlebt hat, noch einmal von der anderen Seite aus erlebt. Man soll es nicht erneut erleben, sondern Einblick in die Auswirkungen der Taten bekommen: Wenn man z.B. einen Menschen angelogen hat, erlebt man, wie der ''andere'' sich gefühlt hat, als er es bemerkte. Und das in Bezug auf alle Taten, im Guten wie im Schlechten. Man erlebt diesmal, welche Gefühle und Gedanken man im anderen hervorgerufen hat. Daraus entstehen starke Impulse, an diesen menschlichen Beziehungen weiterzuarbeiten und diesen Menschen, mit denen man diese oder jene Verbindung hatte, wieder zu begegnen und ihnen gegenüber beim nächsten Mal mehr Menschlichkeit, mehr Ehrlichkeit usw. zu entwickeln. | |||
===== ''Wärme- und Kälteerleben'' ===== | |||
Die andere Auswirkung dieser Phase, die die Seele die ganze Zeit über begleitet, ist das Wärme- und Kälteerleben, das dadurch zustande kommt, dass Gefühle sehr stark erlebt werden, indem die Seele alles Vergangene nochmals fühlt und mitfühlt. In den Überlieferungen wird vom Seelenbewusstsein oder vom Seelentod gesprochen. Durch das Durcharbeiten all der Gefühle und Empfindungen, die man selbst gefühlt hat, und besonders derjenigen, die man anderen zugemutet hat, lernt man dieses Erdenleben auf seelischer Ebene zu verarbeiten und loszulassen. Diese ganze Zeit über hat man noch Sehnsucht nach dem vergangenen Leben und empfindet Reue in Bezug auf das eine oder andere, das man nicht so gut hinbekommen hat. | |||
* Die Seele erlebt '''Wärme''', brennende Entbehrung, weil ihr das körperliche Werkzeug fehlt, um eine böse Tat noch ausgleichen zu können. Es quält sie, dass sie jetzt nichts mehr ändern kann, weil ihr der Leib fehlt. | |||
* Als '''Kälte''' äußert sich die Erfahrung, dass man seinen Willen nicht mehr in einem Erdenkörper entfalten kann. | |||
Die reine Liebe der Zurückgebliebenen, die sich dem Verstorbenen mit Hilfe von Worten wie den oben genannten außerkörperlich und in Gedanken getragen mitteilt, wenn seine Seele nach Wiedergutmachung und nach dem Leib als Instrument für Erdenarbeit lechzt – diese reine Liebe lindert seine brennende Sehnsucht und erkältende Ohnmacht, indem sie von der Erde aufsteigt und ihn in seinem Vertrauen bestärkt, dass er wiederkommen wird, wenn es an der Zeit ist, dass er aber zuerst loslassen muss. Diese reine Liebe vermittelt ihm: Ich helfe dir. Lebe Liebe getragen und Licht geführt nach oben. Lasse die Erdensehnsucht und damit das brennende Gefühl der Entbehrung los. Lass es los. Verarbeite es. | |||
''Vgl. Vortrag „Die Spirituelle Dimension der Todesnähe“, 14.09.2007'' | |||
----[1] Rudolf Steiner, ''Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der Esoterischen Schule 1904 bis 1914'', GA 264, Ausgabe 1991, S. 101. | |||
== DER GESICHTSPUNKT DER VERSTORBENEN == | |||
''Wie können wir uns mit Verstorbenen verbinden?'' | |||
Das Motiv der Verstorbenen durchzieht die Apokalypse und ihre Siegelsprache wie ein roter Faden. ''„Selig sind, die fortan in Christus sterben“,[1]'' heißt es da. Dass Sterben und Geborenwerden mit einbezogen werden in die Dramatik der Apokalypse, befreit uns von der Angst, dass mit einem Erdenleben entweder alles gewonnen oder alles verloren ist. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum in der Apokalypse alles so lange dauert und immer wieder scheinbar Ähnliches passiert. | |||
=== ''Verstorbene miteinbeziehen durch Fragen'' === | |||
Wir können die Verstorbenen mit einbeziehen in unsere Entwicklungsfragen und unser eigenes Leben auch vom Gesichtspunkt der Verstorbenen aus anschauen, indem wir uns einmal am Tag fünf Minuten lang fragen, wie ein lieber verstorbener Mensch uns begrüßen würde oder welche Botschaft er uns geben würde. Wir können ihn fragen: | |||
''Was ist im Moment wirklich wesentlich für mich?'' | |||
''Was würdest du zu dieser Situation, in der ich mich gerade befinde, aus deinem Blickwinkel sagen?'' | |||
Wenn wir das ernsthaft fragen, steht unser Leben unter einer völlig anderen Gerichtsbarkeit. Dann treten wir in unserem Bewusstsein jeden Tag über die Schwelle zur geistigen Welt und überqueren die Regenbogenbrücke. Dadurch verändern sich unsere Probleme und Sorgen. Das Leben wird deshalb nicht uninteressanter, ganz im Gegenteil. Es wird an manchen Stellen möglicherweise schmerzhafter und wesentlicher, aber auch viel humorvoller. | |||
=== ''Anekdote über Herbert Hahn'' === | |||
Eine der schönsten Anekdoten über Verstorbene, die ich kenne, stammt von Herbert Hahn. Er war mein Religionslehrer während meiner gesamten zwölf Waldorfschuljahre, ein Schüler Rudolf Steiners. Herbert Hahn war sehr eng befreundet gewesen mit Karl Schubert, dem Begründer der Heilpädagogik. Sie hielten es miteinander wohl wie in der bekannten Mönchsgeschichte, in der sich zwei Mönche gegenseitig versprechen, dass, wenn der eine Bruder früher stirbt, er dem anderen erzählt, wie es drüben wirklich aussieht. Nachdem Karl Schubert gestorben war, kam Herbert Hahn einige Zeit später mit leuchtendem Gesicht die Treppen hinauf zur Stuttgarter Waldorfschule, ging in den Lehrerkonferenzraum und sagte zu den anderen Lehrern: ''„Ich muss euch etwas erzählen. Ich habe heute Nacht von Karl Schubert geträumt. Als ich ihn sah, bin ich auf ihn zu gerannt und habe ihn gefragt: ‚Karl sag mir doch, wie es da drüben ist!’“'' Darauf soll Karl Schubert zu ihm gesagt haben: ''„Viel humorvoller, Herbert. Viel humorvoller, sag das den Freunden.“'' | |||
Wir dürfen uns die Verstorbenen ruhig ein bisschen schmunzelnd vorstellen, während sie auf unser Leben schauen und uns zusehen. | |||
=== ''Meditative Gralsspeise'' === | |||
Ich möchte zum Abschluss einige meditative Worte vorlesen, die uns zeigen können, dass das Wort, welches den Geist in sich trägt und zugleich den Willen befeuert, seinem Wesen nach meditative Gralsspeise ist. Wenn wir das Gelesene empfinden wollen, enthüllt es sich. | |||
Den folgenden Spruch möchte ich gerne lesen, weil wir umgeben sind von Tod und Schrecken in den Krisengebieten, auch durch die vielen Selbstmordattentate. Es wäre schön, wenn wir unsere Aufmerksamkeit einen Moment den Geistern und Seelen dieser Verstorbenen zuwenden könnten. Die Worte sprechen für sich selber: | |||
''„Die Ihr wachet über Sphärenseelen,'' | |||
''Die Ihr webet an den Sphärenseelen,'' | |||
''Geister, die Ihr über Seelenmenschen schützend'' | |||
''Aus der Weltenweisheit liebend wirkt,'' | |||
''Höret unsre Bitte,'' | |||
''Schauet unsre Liebe,'' | |||
''Die mit Euren helfenden Kräfteströmen'' | |||
''Sich einen möchten'' | |||
''Geist-erahnend,'' | |||
''Liebe strahlend!“[2]'' | |||
Diese Worte wenden sich an die bereits entkörperten Sphärenmenschen und senden ihnen Liebe nach. Sie möchten sich mit den führenden Engelwesen dieser Menschen in Beziehung setzen. Wenn man im Bewusstsein solcher Worte die Zeitung liest und nicht nur für die Zeitung Zeit hat, sondern auch zwei Minuten für diese Worte, dann ändert sich etwas in der Welt. Damit legen wir einen Boden, auf dem aus neuen Gedanken neue Wirklichkeiten erschaffen werden. | |||
''Vgl. Zusammenstellung von Vorträgen über „Die sieben Siegel der Apokalypse“, gehalten 2007'' | |||
----[1] Neues Testament, ''Apokalypse'', 14, 13. | |||
[2] Rudolf Steiner, ''Erdensterben und Weltenleben. Anthroposophische Lebensgaben. Bewußtseins-Notwendigkeiten für Gegenwart und Zukunft'', GA 181: Diese Gedenkworte wurden während des Krieges in dieser oder ähnlicher Weise von Rudolf Steiner vor jedem von ihm innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft gehaltenen Vortrag in den vom Kriege betroffenen Ländern gesprochen. | |||
== BESONDERE VERBINDUNG ZU VERSTORBENEN == | |||
''Wie wirklichkeitsnah kann unsere Verbindung zu Verstorbenen sein?'' | |||
''Haben Sie Erfahrungen damit?'' | |||
=== ''Verbindung mit dem gefallenen Mann'' === | |||
Meine Großmutter lebte in Berlin und verlor ihren Ehemann im Ersten Weltkrieg. Sie hatte zwei kleine Kinder im Alter von einem und knapp drei Jahren, als er starb. Meine Großmutter und ihr Mann waren als junge Familie so miteinander verbunden, dass sie den Moment, in dem er auf dem Schlachtfeld fiel, in Berlin miterlebte: Sie wurde ohnmächtig und als sie wieder zu sich kam, wusste sie, dass ihr Mann gefallen war. Und sie hatte ein deutliches Bild von dem Ort des Geschehens vor sich. Das hatte sie aus der Ohnmacht mitgebracht. Dieses Erlebnis gab ihr die Kraft, mit ihren beiden Kindern sehr motiviert weiterzuleben. Doch weil sie nichts wusste über solche Erlebnisse, lebte sie auch mit der Frage: „''Was war das, was ich da erlebte?“'' | |||
Eines Tages kam eine Dame zu Besuch und sagte: ''„Frau Wassermann, ich habe eine Botschaft von Ihrem Mann. Wollen Sie sie hören?“'' | |||
Meine Großmutter war sehr interessiert. Daraufhin forderte die Dame sie auf, eine Hand auf ihre Schulter zu legen, da sie ein Medium wäre und direkt aufschreiben würde, was ihr Mann ihr zu sagen hätte. Obwohl ihr das Ganze ein wenig unheimlich war, ließ meine Großmutter sich aufgrund ihres Erlebnisses darauf ein – in dem Wissen, dass sie etwas zu lernen hatte. Mit dem Sterben waren Fragen verbunden, von denen sie bisher keine Ahnung gehabt hatte. | |||
=== ''Briefe aus dem Nachtodlichen'' === | |||
Das Ergebnis waren ganz wunderbare Briefe, die ihr gefallener Mann ihr aus dem nachtodlichen Leben schrieb. Sie zogen viele neue Fragen nach sich bezüglich ihres Inhalts. Ob sie das Gesagte wörtlich nehmen konnte oder ob sie das eine oder andere in Frage stellen musste. | |||
Meine Großmutter hatte das große Glück, von einer Freundin auf die Vorträge Rudolf Steiners hingewiesen zu werden, der gerade in der Zeit des Ersten Weltkriegs viel über das nachtodliche und vorgeburtliche Leben sprach. Er wurde damals von vielen Menschen gebeten, den Weg von im Feld Gefallenen nachtodlich zu verfolgen und den Angehörigen etwas von diesen Erfahrungen zu berichten. Durch das Hören dieser Vorträge haben sich für meine Großmutter viele Fragen rund um diese Erlebnisse ganz von selbst beantwortet. Sie bekam dadurch die wunderbare Möglichkeit, ihr Erlebnis richtig einzuschätzen. | |||
Man kann Erlebnisse haben, die man vorerst nicht versteht, und empfindet es dann als Gnade, wenn man Gedanken dazu mitgeteilt bekommt oder wenn einem ein anderer sagt, das habe er auch schon erlebt. Dann fühlt man sich in gewisser Weise wie neu geboren, wie bestätigt in sich selbst. | |||
=== ''Begegnung im Traum'' === | |||
Zurück zu meiner Großmutter und meiner Mutter: Diese hatte als Kind von klein auf das beglückende Gefühl, immer einen Vater zu haben, der zu ihr kam, wenn sie Fragen hatte oder in Not war, wenn sie verzweifelt war und nicht aus und ein wusste. Sie schlief zu solchen Zeiten abends ein und dann war ihr Vater da und beriet und tröstete sie. Meistens geschah es im Traum, ganz selten auch mal am Tag. Sie lernte ihn durch diese Begegnungen sehr gut kennen. Er verließ sie erst, als sie die Zwanzig bereits überschritten hatte. Er begleitete sie praktisch ihre ganze Kindheit und Jugendzeit lang. | |||
Oft wurde sie von Menschen bemitleidet, weil ihr Vater im Krieg gefallen war. Bei diesen Gelegenheiten lernte sie, dass es Menschen gab, denen sie anvertrauen konnte, dass ihr Vater noch in ihrer Nähe weilte. Es gab aber auch andere, denen sie das nicht erzählen konnte. Sie musste erst lernen, zwischen diesen beiden Arten von Menschen zu unterscheiden. | |||
''Vgl. Vortrag „Die Spirituelle Dimension der Todesnähe“, 14.09.2007'' | |||
== ZUSAMMENARBEIT MIT DEN TOTEN == | |||
''Wie kann man mit Verstorbenen zusammenarbeiten?'' | |||
''Was macht ihre Sicht so anders und hilfreich?'' | |||
=== ''Angemessenes Verhältnis zu den Toten'' === | |||
Ich möchte eine Stelle aus dem Werk ''Albert Steffens'''[1]''''' zitieren, die das Gralsmotiv deutlich macht, das mit der Zusammenarbeit mit den Toten zu tun hat: | |||
* Einerseits mit dem überpersönlich ätherischen Geschehen, | |||
* zum anderen mit dem persönlich Charakterologischen des Verstorbenen. | |||
==== 1. Aspekt der Verbindung zum Ätherischen als Äther-Gralswesen ==== | |||
Das Ätherische wird am besten gepflegt, wenn wir uns selbst mit unserem Leben in den größtmöglichen Zusammenhang bringen. Denn das Ätherische ist der Zeitenstrom, der alles umfasst, was in unserem vergänglichen Kosmos dem Zeitenstrom unterliegt. Es umfasst die Welt der Toten und die Welt der Lebenden, es ist das ganz umfassende Äther-Gralswesen. | |||
==== 2. Aspekt der Verbindung mit der Individualität des Verstorbenen ==== | |||
Das Beispiel ist aus der Welt des Lebendigen genommen: ''„Der Acker des Lebens verwildert, wenn man nicht bei einem gewissen Alter Halt macht und Ernte hält. Das heißt nicht nur zurückschauen, sondern auch vorwärts, über den Tod hinaus, auf das, was nachher kommt. An diesem Wendepunkt merkt man, dass man nicht nur zu den Lebenden, sondern auch zu den toten Menschen in einem Verhältnisse steht. Jenen, den Lebenden, vermag man auszuweichen“'' – man merke auch diesen Humor. Es gibt Leute, die sagen, ''Steffen'' hätte keinen Humor gehabt. Das sehe ich anders: Da steckt so viel Humor drin – man muss nur aufpassen, dass man ihn bemerkt, weil er so dezent ist. | |||
''„Jenen, den Lebenden vermag man auszuweichen, diesen nicht. Die Seele, die abgeschieden ist, sagt dem Herzen, das in sich hineinhorcht, dass sie sich nach universellen Gesetzen richtet und man vernimmt ihre Sprache, als wäre es die eigene. Der Gestorbene lehrt den Lebenden die Stimme des Gewissens. Was er nach dem Tode erfährt: Verzicht, Entbehrung, Aushöhlung, die zur Schale wird, in welche Erfüllung fließt – das verlangt er im Grunde von dem Lebenden, der ihn sucht. Das ist Gralsgemeinschaft.“'' | |||
=== ''In der Gegenwart stehen durch Perspektive der Verstorbenen'' === | |||
Das Bild ist ganz aus dem Lebendigen genommen: Der Acker des Lebens verwildert, wenn man nicht innehält und in der Zeit zurück '''und''' nach vorne schaut. Vorne der Tod, die Verbindung mit den Verstorbenen. Meine Zukunft muss ich unter diesem Blickwinkel mit den Verstorbenen gemeinsam von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat, beraten. So kann ich ganz anders in der Gegenwart stehen, als wenn ich mir meine Impulse für die Zukunft nur aus meinen Erfahrungen von gestern und vorgestern hole. | |||
Die zukunftsweisende Sicht der Verstorbenen beruht auf ihrer vollkommen anderen Perspektive. Das nachtodliche Erleben des Toten im Kamaloka, der erlebte Verzicht, die gefühlte Entbehrung, das Sich-ausgehöhlt-Fühlen, hat damit zu tun, dass da, wo der Egoismus lebte, plötzlich ein Loch entstanden ist: Da der Ego-Träger, der physische Leib als Bewusstseinsträger, fehlt, bildet sich ein Hohlraum, der jetzt zur Schale wird, die das wahre Höhere Selbst empfangen kann. Es tritt etwas anderes an die Stelle des Egoismus. Klarer, knapper kann man das Gralsmysterium und die Ätherquelle der Heilung, das Amfortas-Problem und das Parzivalsgeschehen,[2] nicht schildern. | |||
''Vgl. Vortrag „Das Therapeutische in der Dichtung von Albert Steffen“ anlässlich der Steffen-Ausstellung am Goetheanum, Neujahr 2010'' | |||
----[1] Albert Steffen (1884-1963) war ein Schweizer Dichter. Sein reiches Werk umfasst über 70 Bände aller Literaturgattungen: Dramen, Romane, Lyrik, Essays zu verschiedenen kulturellen und historischen Themen, poetische Miniaturen. Nach dem Tode Rudolf Steiners, dem Begründer der anthroposophischen Geisteswissenschaft, war Albert Steffen von 1925 bis zu seinem eigenen Tod 1963 Erster Vorsitzender der Anthroposophischen Gesellschaft, die ihren Sitz am Goetheanum in Dornach nahe Basel hat. (ges. 11.04.2025 <nowiki>https://albertsteffen-stiftung.ch/</nowiki>) | |||
[2] Amfortas oder auch Anfortas ist eine Sagengestalt aus dem Versepos ''Parzival'' des Wolfram von Eschenbach, das zwischen 1200 und 1210 entstand. Er ist der König des Grals, durch einen vergifteten Speer schwer verwundet, zu jammervollen Leiden verdammt, bis ihn die mitleidige Frage Parzivals erlöste. |
Aktuelle Version vom 11. April 2025, 13:13 Uhr
Umgang mit Verstorbenen – von Michaela Glöckler
Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
BEGLEITUNG VERSTORBENER
Was ist unter nachtodlicher Entwicklung zu verstehen?
Wie kann man Verstorbene begleiten?
Was Verstorbene von uns brauchen
Ich möchte einige Textstellen zitieren, die bestimmte, in der Todesnähe auftretende Erlebnisse ansprechen. Zunächst eine Stelle aus einem Brief vom 31.12.1905,[1] den Rudolf Steiner an eine Frau schrieb, deren Mann gerade verstorben war:
„Es ist beim Übertritte eines uns lieben Menschen in die anderen Welten ganz besonders wichtig, dass wir unsere Gedanken und Gefühle zu ihm senden, ohne dass wir die Vorstellung aufkommen lassen, als wollten wir ihn zurückhaben. Dies Letztere erschwert dem Hingegangenen das Dasein in der Sphäre, in die er einzutreten hat. Nicht das Leid, das wir haben, sondern die Liebe, die wir ihm geben, sollen wir in seine Welt senden. Missverstehen Sie mich nicht. Nicht etwa hart sollen wir werden oder gleichgültig, aber es soll uns möglich sein, auf den Toten zu blicken mit dem Gedanken: Meine Liebe begleite dich! Du bist von ihr umgeben. (…) Am besten ist es, Sie schlafen mit dem Gedanken ein:
Meine Liebe sei den Hüllen,
die dich jetzt umgeben,
kühlend alle Wärme,
wärmend alle Kälte,
opfernd einverwoben.
Lebe liebgetragen,
Licht beschenkt nach oben.“
Man findet in diesen Worten, die den Menschen begleiten, wenn er die Schwelle gerade überschritten hat, Motive wieder, die in unterschiedlichen Varianten in anderen Kulturen und anderen spirituellen Quellen auch erwähnt werden: Sie besagen, dass die Seele im Nachtodlichen, etwa zwanzig Jahre lang, nicht nur Licht und Farben, Klänge und Töne, Gesten und Zeichen, Formen und Figuren wahrnimmt oder spirituelle Wesensbegegnungen hat, sondern dass sie auch ganz stark Wärme und Kälte erlebt – vor allem wenn der Mensch ein erfülltes Erdenleben hatte. So lange ein Verstorbener noch direkte Angehörige hat, ist dieses Kälte- und Wärmeerleben stärker oder schwächer ausgeprägt. Oft wird gefragt:
Woher kommt dieses Erleben von Wärme und Kälte?
Und wie kommt es, dass die Liebe es lindern kann, so dass der Verstorbene dem nicht so ausgesetzt ist?
Was beim Auflösen von Ätherleib und Astralleib geschieht
Rudolf Steiner spricht darüber, dass der physische Tod, den wir das eigentliche Sterben nennen, nur der erste Tod ist, bei dem wir den physischen Leib ablegen. Das wunderbare Erlebnis des Eintretens in die Lichtwelt zeigt an, dass auch der Gedanken- und Lebenskräfteorganismus, der ätherische Organismus, sich langsam aufzulösen beginnt und stirbt.
1. Die Auflösung des ätherischen Organismus
Dieses Sich-Auflösen erlebt die Seele sehr stark mit: Zunächst als Panorama des eigenen Lebens, das rückwärts an ihr vorbeizieht. Sie erlebt, wie die Lebenschiffren und Bilder des vergangenen Erdenlebens sich immer weiter entfernen und von der Äthersphäre aufgenommen werden, von der Gedankenwelt und der Intelligenz dieses Kosmos, und dort mit einverwoben werden und nicht verloren gehen. Die Seele selbst behält nur die Gedanken zurück, mit denen sie sich im Leben, durch die Art, wie sie dieses Leben gelebt hat, ganz und gar verbunden hat. Bei denen sie ganz authentisch war, mit denen sie sich wirklich identifizieren und mit ihrem tiefsten Wesen verbinden konnte. Alles das, was nicht nur Gedanke und Vorstellung blieb, sondern Teil des eigenen Wesens geworden ist, kann mitgenommen werden. Von dem Übrigen muss man sich trennen, das löst sich auf, wie auch der physische Leib bei der Erde bleibt und sich auflöst. Nach etwa drei Tagen ist der zweite Tod, die Auflösung des ätherischen Organismus, vollzogen. In diesen ersten drei Tagen ist es außerordentlich hilfreich, wenn Menschen, die den Verstorbenen gekannt haben, in die Lebensrückschau mit einsteigen und ihn begleiten, indem sie liebevoll auf dieses Leben hinblicken – gerade so, wie es war.
2. Die Auflösung des astralen Organismus
Dann aber kommt die bereits erwähnte Zeitspanne, die zwanzig bis dreißig Jahre nach dem Tod dauert, die so genannte Kamalokazeit, die in der katholischen Kirche auch als Fegefeuer bekannt ist. Sie hat unterschiedliche Namen.
Bei dieser Erfahrung geht es darum, dass man alles, was man im Erdenleben erlebt hat, noch einmal von der anderen Seite aus erlebt. Man soll es nicht erneut erleben, sondern Einblick in die Auswirkungen der Taten bekommen: Wenn man z.B. einen Menschen angelogen hat, erlebt man, wie der andere sich gefühlt hat, als er es bemerkte. Und das in Bezug auf alle Taten, im Guten wie im Schlechten. Man erlebt diesmal, welche Gefühle und Gedanken man im anderen hervorgerufen hat. Daraus entstehen starke Impulse, an diesen menschlichen Beziehungen weiterzuarbeiten und diesen Menschen, mit denen man diese oder jene Verbindung hatte, wieder zu begegnen und ihnen gegenüber beim nächsten Mal mehr Menschlichkeit, mehr Ehrlichkeit usw. zu entwickeln.
Wärme- und Kälteerleben
Die andere Auswirkung dieser Phase, die die Seele die ganze Zeit über begleitet, ist das Wärme- und Kälteerleben, das dadurch zustande kommt, dass Gefühle sehr stark erlebt werden, indem die Seele alles Vergangene nochmals fühlt und mitfühlt. In den Überlieferungen wird vom Seelenbewusstsein oder vom Seelentod gesprochen. Durch das Durcharbeiten all der Gefühle und Empfindungen, die man selbst gefühlt hat, und besonders derjenigen, die man anderen zugemutet hat, lernt man dieses Erdenleben auf seelischer Ebene zu verarbeiten und loszulassen. Diese ganze Zeit über hat man noch Sehnsucht nach dem vergangenen Leben und empfindet Reue in Bezug auf das eine oder andere, das man nicht so gut hinbekommen hat.
- Die Seele erlebt Wärme, brennende Entbehrung, weil ihr das körperliche Werkzeug fehlt, um eine böse Tat noch ausgleichen zu können. Es quält sie, dass sie jetzt nichts mehr ändern kann, weil ihr der Leib fehlt.
- Als Kälte äußert sich die Erfahrung, dass man seinen Willen nicht mehr in einem Erdenkörper entfalten kann.
Die reine Liebe der Zurückgebliebenen, die sich dem Verstorbenen mit Hilfe von Worten wie den oben genannten außerkörperlich und in Gedanken getragen mitteilt, wenn seine Seele nach Wiedergutmachung und nach dem Leib als Instrument für Erdenarbeit lechzt – diese reine Liebe lindert seine brennende Sehnsucht und erkältende Ohnmacht, indem sie von der Erde aufsteigt und ihn in seinem Vertrauen bestärkt, dass er wiederkommen wird, wenn es an der Zeit ist, dass er aber zuerst loslassen muss. Diese reine Liebe vermittelt ihm: Ich helfe dir. Lebe Liebe getragen und Licht geführt nach oben. Lasse die Erdensehnsucht und damit das brennende Gefühl der Entbehrung los. Lass es los. Verarbeite es.
Vgl. Vortrag „Die Spirituelle Dimension der Todesnähe“, 14.09.2007
[1] Rudolf Steiner, Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der Esoterischen Schule 1904 bis 1914, GA 264, Ausgabe 1991, S. 101.
DER GESICHTSPUNKT DER VERSTORBENEN
Wie können wir uns mit Verstorbenen verbinden?
Das Motiv der Verstorbenen durchzieht die Apokalypse und ihre Siegelsprache wie ein roter Faden. „Selig sind, die fortan in Christus sterben“,[1] heißt es da. Dass Sterben und Geborenwerden mit einbezogen werden in die Dramatik der Apokalypse, befreit uns von der Angst, dass mit einem Erdenleben entweder alles gewonnen oder alles verloren ist. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum in der Apokalypse alles so lange dauert und immer wieder scheinbar Ähnliches passiert.
Verstorbene miteinbeziehen durch Fragen
Wir können die Verstorbenen mit einbeziehen in unsere Entwicklungsfragen und unser eigenes Leben auch vom Gesichtspunkt der Verstorbenen aus anschauen, indem wir uns einmal am Tag fünf Minuten lang fragen, wie ein lieber verstorbener Mensch uns begrüßen würde oder welche Botschaft er uns geben würde. Wir können ihn fragen:
Was ist im Moment wirklich wesentlich für mich?
Was würdest du zu dieser Situation, in der ich mich gerade befinde, aus deinem Blickwinkel sagen?
Wenn wir das ernsthaft fragen, steht unser Leben unter einer völlig anderen Gerichtsbarkeit. Dann treten wir in unserem Bewusstsein jeden Tag über die Schwelle zur geistigen Welt und überqueren die Regenbogenbrücke. Dadurch verändern sich unsere Probleme und Sorgen. Das Leben wird deshalb nicht uninteressanter, ganz im Gegenteil. Es wird an manchen Stellen möglicherweise schmerzhafter und wesentlicher, aber auch viel humorvoller.
Anekdote über Herbert Hahn
Eine der schönsten Anekdoten über Verstorbene, die ich kenne, stammt von Herbert Hahn. Er war mein Religionslehrer während meiner gesamten zwölf Waldorfschuljahre, ein Schüler Rudolf Steiners. Herbert Hahn war sehr eng befreundet gewesen mit Karl Schubert, dem Begründer der Heilpädagogik. Sie hielten es miteinander wohl wie in der bekannten Mönchsgeschichte, in der sich zwei Mönche gegenseitig versprechen, dass, wenn der eine Bruder früher stirbt, er dem anderen erzählt, wie es drüben wirklich aussieht. Nachdem Karl Schubert gestorben war, kam Herbert Hahn einige Zeit später mit leuchtendem Gesicht die Treppen hinauf zur Stuttgarter Waldorfschule, ging in den Lehrerkonferenzraum und sagte zu den anderen Lehrern: „Ich muss euch etwas erzählen. Ich habe heute Nacht von Karl Schubert geträumt. Als ich ihn sah, bin ich auf ihn zu gerannt und habe ihn gefragt: ‚Karl sag mir doch, wie es da drüben ist!’“ Darauf soll Karl Schubert zu ihm gesagt haben: „Viel humorvoller, Herbert. Viel humorvoller, sag das den Freunden.“
Wir dürfen uns die Verstorbenen ruhig ein bisschen schmunzelnd vorstellen, während sie auf unser Leben schauen und uns zusehen.
Meditative Gralsspeise
Ich möchte zum Abschluss einige meditative Worte vorlesen, die uns zeigen können, dass das Wort, welches den Geist in sich trägt und zugleich den Willen befeuert, seinem Wesen nach meditative Gralsspeise ist. Wenn wir das Gelesene empfinden wollen, enthüllt es sich.
Den folgenden Spruch möchte ich gerne lesen, weil wir umgeben sind von Tod und Schrecken in den Krisengebieten, auch durch die vielen Selbstmordattentate. Es wäre schön, wenn wir unsere Aufmerksamkeit einen Moment den Geistern und Seelen dieser Verstorbenen zuwenden könnten. Die Worte sprechen für sich selber:
„Die Ihr wachet über Sphärenseelen,
Die Ihr webet an den Sphärenseelen,
Geister, die Ihr über Seelenmenschen schützend
Aus der Weltenweisheit liebend wirkt,
Höret unsre Bitte,
Schauet unsre Liebe,
Die mit Euren helfenden Kräfteströmen
Sich einen möchten
Geist-erahnend,
Liebe strahlend!“[2]
Diese Worte wenden sich an die bereits entkörperten Sphärenmenschen und senden ihnen Liebe nach. Sie möchten sich mit den führenden Engelwesen dieser Menschen in Beziehung setzen. Wenn man im Bewusstsein solcher Worte die Zeitung liest und nicht nur für die Zeitung Zeit hat, sondern auch zwei Minuten für diese Worte, dann ändert sich etwas in der Welt. Damit legen wir einen Boden, auf dem aus neuen Gedanken neue Wirklichkeiten erschaffen werden.
Vgl. Zusammenstellung von Vorträgen über „Die sieben Siegel der Apokalypse“, gehalten 2007
[1] Neues Testament, Apokalypse, 14, 13.
[2] Rudolf Steiner, Erdensterben und Weltenleben. Anthroposophische Lebensgaben. Bewußtseins-Notwendigkeiten für Gegenwart und Zukunft, GA 181: Diese Gedenkworte wurden während des Krieges in dieser oder ähnlicher Weise von Rudolf Steiner vor jedem von ihm innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft gehaltenen Vortrag in den vom Kriege betroffenen Ländern gesprochen.
BESONDERE VERBINDUNG ZU VERSTORBENEN
Wie wirklichkeitsnah kann unsere Verbindung zu Verstorbenen sein?
Haben Sie Erfahrungen damit?
Verbindung mit dem gefallenen Mann
Meine Großmutter lebte in Berlin und verlor ihren Ehemann im Ersten Weltkrieg. Sie hatte zwei kleine Kinder im Alter von einem und knapp drei Jahren, als er starb. Meine Großmutter und ihr Mann waren als junge Familie so miteinander verbunden, dass sie den Moment, in dem er auf dem Schlachtfeld fiel, in Berlin miterlebte: Sie wurde ohnmächtig und als sie wieder zu sich kam, wusste sie, dass ihr Mann gefallen war. Und sie hatte ein deutliches Bild von dem Ort des Geschehens vor sich. Das hatte sie aus der Ohnmacht mitgebracht. Dieses Erlebnis gab ihr die Kraft, mit ihren beiden Kindern sehr motiviert weiterzuleben. Doch weil sie nichts wusste über solche Erlebnisse, lebte sie auch mit der Frage: „Was war das, was ich da erlebte?“
Eines Tages kam eine Dame zu Besuch und sagte: „Frau Wassermann, ich habe eine Botschaft von Ihrem Mann. Wollen Sie sie hören?“
Meine Großmutter war sehr interessiert. Daraufhin forderte die Dame sie auf, eine Hand auf ihre Schulter zu legen, da sie ein Medium wäre und direkt aufschreiben würde, was ihr Mann ihr zu sagen hätte. Obwohl ihr das Ganze ein wenig unheimlich war, ließ meine Großmutter sich aufgrund ihres Erlebnisses darauf ein – in dem Wissen, dass sie etwas zu lernen hatte. Mit dem Sterben waren Fragen verbunden, von denen sie bisher keine Ahnung gehabt hatte.
Briefe aus dem Nachtodlichen
Das Ergebnis waren ganz wunderbare Briefe, die ihr gefallener Mann ihr aus dem nachtodlichen Leben schrieb. Sie zogen viele neue Fragen nach sich bezüglich ihres Inhalts. Ob sie das Gesagte wörtlich nehmen konnte oder ob sie das eine oder andere in Frage stellen musste.
Meine Großmutter hatte das große Glück, von einer Freundin auf die Vorträge Rudolf Steiners hingewiesen zu werden, der gerade in der Zeit des Ersten Weltkriegs viel über das nachtodliche und vorgeburtliche Leben sprach. Er wurde damals von vielen Menschen gebeten, den Weg von im Feld Gefallenen nachtodlich zu verfolgen und den Angehörigen etwas von diesen Erfahrungen zu berichten. Durch das Hören dieser Vorträge haben sich für meine Großmutter viele Fragen rund um diese Erlebnisse ganz von selbst beantwortet. Sie bekam dadurch die wunderbare Möglichkeit, ihr Erlebnis richtig einzuschätzen.
Man kann Erlebnisse haben, die man vorerst nicht versteht, und empfindet es dann als Gnade, wenn man Gedanken dazu mitgeteilt bekommt oder wenn einem ein anderer sagt, das habe er auch schon erlebt. Dann fühlt man sich in gewisser Weise wie neu geboren, wie bestätigt in sich selbst.
Begegnung im Traum
Zurück zu meiner Großmutter und meiner Mutter: Diese hatte als Kind von klein auf das beglückende Gefühl, immer einen Vater zu haben, der zu ihr kam, wenn sie Fragen hatte oder in Not war, wenn sie verzweifelt war und nicht aus und ein wusste. Sie schlief zu solchen Zeiten abends ein und dann war ihr Vater da und beriet und tröstete sie. Meistens geschah es im Traum, ganz selten auch mal am Tag. Sie lernte ihn durch diese Begegnungen sehr gut kennen. Er verließ sie erst, als sie die Zwanzig bereits überschritten hatte. Er begleitete sie praktisch ihre ganze Kindheit und Jugendzeit lang.
Oft wurde sie von Menschen bemitleidet, weil ihr Vater im Krieg gefallen war. Bei diesen Gelegenheiten lernte sie, dass es Menschen gab, denen sie anvertrauen konnte, dass ihr Vater noch in ihrer Nähe weilte. Es gab aber auch andere, denen sie das nicht erzählen konnte. Sie musste erst lernen, zwischen diesen beiden Arten von Menschen zu unterscheiden.
Vgl. Vortrag „Die Spirituelle Dimension der Todesnähe“, 14.09.2007
ZUSAMMENARBEIT MIT DEN TOTEN
Wie kann man mit Verstorbenen zusammenarbeiten?
Was macht ihre Sicht so anders und hilfreich?
Angemessenes Verhältnis zu den Toten
Ich möchte eine Stelle aus dem Werk Albert Steffens[1] zitieren, die das Gralsmotiv deutlich macht, das mit der Zusammenarbeit mit den Toten zu tun hat:
- Einerseits mit dem überpersönlich ätherischen Geschehen,
- zum anderen mit dem persönlich Charakterologischen des Verstorbenen.
1. Aspekt der Verbindung zum Ätherischen als Äther-Gralswesen
Das Ätherische wird am besten gepflegt, wenn wir uns selbst mit unserem Leben in den größtmöglichen Zusammenhang bringen. Denn das Ätherische ist der Zeitenstrom, der alles umfasst, was in unserem vergänglichen Kosmos dem Zeitenstrom unterliegt. Es umfasst die Welt der Toten und die Welt der Lebenden, es ist das ganz umfassende Äther-Gralswesen.
2. Aspekt der Verbindung mit der Individualität des Verstorbenen
Das Beispiel ist aus der Welt des Lebendigen genommen: „Der Acker des Lebens verwildert, wenn man nicht bei einem gewissen Alter Halt macht und Ernte hält. Das heißt nicht nur zurückschauen, sondern auch vorwärts, über den Tod hinaus, auf das, was nachher kommt. An diesem Wendepunkt merkt man, dass man nicht nur zu den Lebenden, sondern auch zu den toten Menschen in einem Verhältnisse steht. Jenen, den Lebenden, vermag man auszuweichen“ – man merke auch diesen Humor. Es gibt Leute, die sagen, Steffen hätte keinen Humor gehabt. Das sehe ich anders: Da steckt so viel Humor drin – man muss nur aufpassen, dass man ihn bemerkt, weil er so dezent ist.
„Jenen, den Lebenden vermag man auszuweichen, diesen nicht. Die Seele, die abgeschieden ist, sagt dem Herzen, das in sich hineinhorcht, dass sie sich nach universellen Gesetzen richtet und man vernimmt ihre Sprache, als wäre es die eigene. Der Gestorbene lehrt den Lebenden die Stimme des Gewissens. Was er nach dem Tode erfährt: Verzicht, Entbehrung, Aushöhlung, die zur Schale wird, in welche Erfüllung fließt – das verlangt er im Grunde von dem Lebenden, der ihn sucht. Das ist Gralsgemeinschaft.“
In der Gegenwart stehen durch Perspektive der Verstorbenen
Das Bild ist ganz aus dem Lebendigen genommen: Der Acker des Lebens verwildert, wenn man nicht innehält und in der Zeit zurück und nach vorne schaut. Vorne der Tod, die Verbindung mit den Verstorbenen. Meine Zukunft muss ich unter diesem Blickwinkel mit den Verstorbenen gemeinsam von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat, beraten. So kann ich ganz anders in der Gegenwart stehen, als wenn ich mir meine Impulse für die Zukunft nur aus meinen Erfahrungen von gestern und vorgestern hole.
Die zukunftsweisende Sicht der Verstorbenen beruht auf ihrer vollkommen anderen Perspektive. Das nachtodliche Erleben des Toten im Kamaloka, der erlebte Verzicht, die gefühlte Entbehrung, das Sich-ausgehöhlt-Fühlen, hat damit zu tun, dass da, wo der Egoismus lebte, plötzlich ein Loch entstanden ist: Da der Ego-Träger, der physische Leib als Bewusstseinsträger, fehlt, bildet sich ein Hohlraum, der jetzt zur Schale wird, die das wahre Höhere Selbst empfangen kann. Es tritt etwas anderes an die Stelle des Egoismus. Klarer, knapper kann man das Gralsmysterium und die Ätherquelle der Heilung, das Amfortas-Problem und das Parzivalsgeschehen,[2] nicht schildern.
Vgl. Vortrag „Das Therapeutische in der Dichtung von Albert Steffen“ anlässlich der Steffen-Ausstellung am Goetheanum, Neujahr 2010
[1] Albert Steffen (1884-1963) war ein Schweizer Dichter. Sein reiches Werk umfasst über 70 Bände aller Literaturgattungen: Dramen, Romane, Lyrik, Essays zu verschiedenen kulturellen und historischen Themen, poetische Miniaturen. Nach dem Tode Rudolf Steiners, dem Begründer der anthroposophischen Geisteswissenschaft, war Albert Steffen von 1925 bis zu seinem eigenen Tod 1963 Erster Vorsitzender der Anthroposophischen Gesellschaft, die ihren Sitz am Goetheanum in Dornach nahe Basel hat. (ges. 11.04.2025 https://albertsteffen-stiftung.ch/)
[2] Amfortas oder auch Anfortas ist eine Sagengestalt aus dem Versepos Parzival des Wolfram von Eschenbach, das zwischen 1200 und 1210 entstand. Er ist der König des Grals, durch einen vergifteten Speer schwer verwundet, zu jammervollen Leiden verdammt, bis ihn die mitleidige Frage Parzivals erlöste.