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Krankheit: Unterschied zwischen den Versionen
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Auszüge aus Büchern und Vorträgen von [[Michaela Glöckler]]; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/ | Auszüge aus Büchern und Vorträgen von [[Michaela Glöckler]]; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/ | ||
== GRUNDLEGENDES ZUM SINN VON KRANKHEIT == | |||
''Welchen Sinn hat Krankheit im Leben des Menschen?'' | |||
''Inwiefern ist Krankheit ein spezifisch menschliches Phänomen?'' | |||
=== ''Sinn von Krankheit bei Mensch und Tier'' === | |||
Ein Vergleich zwischen Mensch und Tier in Bezug auf ihre Erkrankungsmöglichkeiten zeigt, dass Krankheit und Leiden spezifisch menschliche Phänomene sind. | |||
==== '''·''' Wenn Tiere erkranken ==== | |||
Wenn Tiere in der Wildnis erkranken, kommen sie entweder sehr rasch zu Tode oder die Erkrankung ist so leicht, dass sie ohne weiteres damit weiterleben können. | |||
''Welchen Sinn sollte eine Krankheit auch im Leben eines Tieres haben?'' | |||
Die Lebensweise eines Hundes, eines Vogels, einer Biene oder einer Maus ist in ihrer Art vollkommen. Das Erleben von Schmerz und Leid würde keinen Wandel, keine neue Entwicklungsmöglichkeit bewirken. Eine Biene kann nicht noch „bieniger“, eine Kuh nicht noch „kuhiger“ werden, als sie es schon ist. | |||
==== '''·''' Wenn der Mensch erkrankt ==== | |||
Nur der Mensch kann täglich menschlicher werden. Ihm ist es gegeben, durch Leid und Schmerz Erfahrungen zu sammeln, die ihn in seiner Entwicklung weiterbringen. „Sicherheit“ und „Gesundheit“ als höchste Lebensideale sind mit der menschlichen Existenz auf Dauer nicht zu vereinbaren, denn jede Entwicklung bedarf der Krisensituationen, um fortschreiten zu können. Entwicklung zur Freiheit ohne die Möglichkeit, zu irren und zu entgleisen, ist nicht denkbar. | |||
Leiden erscheint nur dann sinnlos, wenn der Zusammenhang nicht mehr sichtbar ist, in dem dieses Leiden steht. Daher ist es notwendig, die menschliche Entwicklung als Ganzes mit all ihren Möglichkeiten ins Auge zu fassen und den Gedanken an wiederholte Erdenleben mit einzubeziehen. Das ist der Boden, auf dem die Frage nach dem Zustandekommen und dem Sinn geistiger und körperlicher Behinderungen auf wesentliche und fruchtbare Art bearbeitet werden kann. | |||
''Vgl.'' „''Wie sind Leib, Seele und Geist in Gesundheit und Krankheit verbunden?''“, ''Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart'' | |||
== KRANKHEIT ALS ERKENNTNISWEG DER NATUR == | |||
''Was ist Krankheit aus spiritueller Sicht? '' | |||
''Was ist der tiefere Sinn von Krankheit im Hinblick auf die Entwicklung des Menschen?'' | |||
=== ''Das Geheimnis von Gesundheit und Krankheit'' === | |||
Das Geheimnis der menschlichen Entwicklung, das zugleich das Geheimnis von Gesundheit und Krankheit ist, lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Wenn sich jemand in Richtung Menschheitsziel entwickelt, wenn er an der Wahrheit und an der Welt interessiert ist und seine Freiheit und seinen Willen, so gut er kann, in den Dienst des Geistes stellt, kann er gar nicht verhindern, dass er immer gesünder wird. Das gilt auch dann, wenn er aus karmischen Gründen diese oder jene Krankheit durchzumachen hat. Mit der oben genannten Haltung lässt sich alles besser verkraften. | |||
Nachdem Rudolf Steiner einmal über diese Zusammenhänge einen Vortag gehalten hatte, sprach ihn im Abschluss jemand darauf an, dass so viele Anthroposophen krank sind. Daraufhin antwortete er: ''„Ich möchte Ihnen nicht erzählen, wie krank sie wären, wenn sie die Anthroposophie nicht kennen gelernt hätten.“'' Humor ist natürlich auch gesund. | |||
Wenn bestimmte Ziele gar nicht angestrebt und deshalb auch nicht erreicht werden, wenn es so ist, wie es in der Apokalypse heißt, dass die Menschen sich nicht ändern, dass sie in ihrer Entwicklung stehen bleiben, dass sie nichts tun und nicht vom Fleck kommen, wenn es irgendwann solche Formen annimmt, dass alle Güter der Welt im Dienst des Ego stehen, dann werden alle möglichen Leiden und Schmerzen die Folge sein. Wir sind dieser alten Gesetzmäßigkeit, die ausführlich erklärt wird im Buch der Apokalypse, noch nicht zur Gänze entwachsen. Diese Gesetze bilden immer noch den Grundstock unserer Natur. Es wird auch deutlich gemacht, dass jeder selbst den Schlüssel in der Hand hat, um dem entgegenzuwirken. | |||
Rudolf Steiner beschreibt in ''„Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“'''[1]''''' in Gedankenform, was er uns in der Apokalypse in Bildform vor Augen führt: Wie der Mensch sich zuerst als individuelles Wesen entwickelt, um schließlich den Weg zum Gral zu finden und ein soziales „menschheitliches“ Wesen zu werden. | |||
=== ''Krankheit als unbewusstes Einweihungsgeschehen'' === | |||
Wenn wir die Skizze vom Merkurstab betrachten, haben wir hier im oberen Teil das bewusste Leben und im unteren Bereich das unbewusste Leben. Die merkurielle Dynamik führt die Kräfte des Oberen – das außerkörperliche Erkenntnisleben – in die Wirkbereiche des Unteren – in die unbewussten Lebenswelten des Stoffwechsels – über und umgekehrt. Das ist zugleich die Schwellendramatik zwischen der sinnlichen und der übersinnlichen Welt. Sie zeigt, wie Krankheit dadurch entstehen kann, dass man an dieser Grenze, der Schwelle zur geistigen Welt, körperlich, seelisch oder geistig – wodurch auch immer verursacht – die rechte Orientierung verliert. | |||
Wenn ein Mensch nun eine bestimmte Fähigkeit erwerben möchte, z.B. inneren Frieden, Ruhe, und er die Bedingungen nicht vorfindet, um diese Qualität zu entwickeln, kann es zu einer Erkrankung kommen, die Frieden am falschen Platz erzeugt. Denn die Kräfte, die inneren Frieden herstellen können, sind potentiell immer vorhanden. Wenn sie aber auf der seelisch-geistigen Ebene nicht genützt werden, wo sie gesundheitsfördernd wirken würden, sinken diese ungenützten Kräfte Nacht für Nacht tiefer in das unbewusste Körperleben und der Betreffende entwickelt Rheuma. Das nur als Beispiel. | |||
Es kostet unseren Körper unglaublich viel Kraft, eine Krankheit hervorzubringen. Ein normaler Organismus möchte gesund sein. Zusätzliche Kräfte aus dem Seelisch-Geistigen sind nötig, um diesen Extraaufwand krank zu werden zu bewerkstelligen. Heilung bedeutet nun, diese Kräfte wieder an ihren richtigen Platz zu erheben und Kräfte im Körper aufzurufen, die sie dorthin bringen. Daraus lässt sich eine „spirituelle Pathogenese“, eine Aufklärung über die Herkunft von Leiden ableiten. Wir können jede Station dieses Weges anschauen und begreifen, was geschieht, wenn die Erkenntniskräfte, anstatt im Geistigen tätig zu sein, im Körperlichen zu wirken beginnen und damit eine Krankheit hervorrufen. | |||
Entscheidend dabei ist jedoch, dass Krankheit in diesem Kontext nicht als Makel, Fehler oder Irrtum gebrandmarkt wird. Vielmehr ist Sinn der Krankheit ihr Auftreten selbst, weil in ihr die – wenn auch schmerzhafte – Korrektur, und damit auch die Heilung, veranlagt ist. Krankheit erscheint in diesem spirituellen Kontext als ein Gutes, das sich im Körper oder in der Seele des Menschen einen Ort schafft, an dem sich der notwendige Schicksalsausgleich vollziehen kann. | |||
''Vgl. mit einer Zusammenstellung von Vorträgen über „Die sieben Siegel der Apokalypse“ gehalten 2007'' | |||
----[1] Rudolf Steiner, ''Wie erlangt man Erkenntnisse der Höheren Welten?,'' GA 10. | |||
== KRANKHEIT, HEILUNG UND DIE FRAGE NACH DEM SINN == | |||
''Haben Krankheiten einen Sinn?'' | |||
''Gibt es unterschiedliche Arten der Sinngebung, je nach Schicksal und Umfeld?'' | |||
''Wie können Betroffene sinnstiftend mit Krankheit umgehen?'' | |||
=== ''Drei unterschiedliche Arten von Heilung und Sinn'' === | |||
Wer die Krankengeschichten im Matthäus-, Markus-, Lukas- und Johannes-Evangelium liest, begegnet drei unterschiedlichen Arten von Heilung und Sinngebung. Dabei sind es die jeweiligen Schicksalsumstände, unter denen die Krankheit auftritt, die zu der Art der Heilung und Sinngebung Anlass geben. | |||
==== '''·''' Heilung auf der individuell-persönlichen Ebene ==== | |||
Als typisches Beispiel sei hier die Begegnung mit dem Blinden von Jericho angeführt: | |||
''„Und sie kamen nach Jericho. Und als er aus Jericho herauszog, gefolgt von seinen Jüngern und einer großen Menge, da saß der Sohn des Thimäus, Bartimäus, ein blinder Bettler, am Wege. Und als er hörte, dass Jesus von Nazareth vorüberkäme, begann er laut zu rufen: Sohn Davids, Jesus, habe Erbarmen mit mir! Und viele drohten und geboten ihm zu schweigen. Er aber rief nur umso lauter: Sohn Davids, habe Erbarmen mit mir! Da blieb Jesus stehen und sprach: Ruft ihn herbei. Und sie riefen den Blinden herbei und sprachen zu ihm: Mutig, stehe auf, er ruft dich! Da warf er seinen Mantel ab, sprang auf seine Füße und eilte zu Jesus. Und Jesus sprach zu ihm: Was soll ich für dich tun? Der Blinde sprach: Meister, gib, dass ich mein Augenlicht zurückerlange. Und Jesus sprach: Geh hin, dein Glaube hat dich geheilt. Und plötzlich konnte er wieder sehen und folgte ihm auf seinem Wege nach.“[1]'' | |||
In dieser Krankengeschichte wird der Name des Betroffenen genannt, es findet eine individuelle Begegnung, ein „Arzt-Patienten-Gespräch“ statt. Es wird auch beschrieben, wie der Kranke sich verhalten soll und wie der Geheilte sich danach verhält: ''„...und folgte ihm auf seinem Wege nach“''. | |||
Diese Krankengeschichte erfordert individuelle medizinische Beratung – wie es heute fast ausschließlich geschieht. Die Heilung auf der individuellen Ebene wird in den Evangelien von einer inneren Erweckung bzw. Bekehrung begleitet. | |||
'''·''' Heilung im Sozialen, im Schicksalsumkreis des Betroffenen | |||
Wenig beachtet werden heutzutage Krankengeschichten, bei denen nicht der Kranke selbst im Mittelpunkt steht, sondern bei denen es mehr um die Menschen im Umkreis geht, die im Zusammenhang mit der Heilung eine innere Verwandlung durchmachen. Hier sei „der Hauptmann von Kapernaum“ als Beispiel genannt: | |||
''„Als er diese Rede, die auch das Volk mitanhörte, vollendet hatte, ging er nach Kapernaum. Dort lag der Diener eines Hauptmanns darnieder und war dem Tode nahe; und er war ein Vertrauter des Hauptmanns. Als dieser nun von Jesus hörte, sandte er die Ältesten der Juden zu ihm und ließ ihn bitten, er möchte kommen, um seinem Diener das Leben zu retten. Sie kamen zu Jesus und baten ihn inständig mit den Worten: Er ist deines Beistandes würdig, denn er liebt unser Volk, und die Synagoge hat er uns erbaut. Und Jesus machte sich mit ihnen auf den Weg. Und als sie schon nahe bei dem Hause des Hauptmanns waren, sandte ihm dieser seine Freunde entgegen und ließ ihm sagen: Herr, bemühe dich nicht, ich bin nicht würdig, dass du in mein Haus eintrittst, darum habe ich auch nicht gewagt, selber zu dir zu kommen. Sprich nur ein Wort, so muss mein Knabe gesund werden. Ich bin auch ein Mensch, der höheren Gewalten untersteht, und ich wiederum habe Soldaten unter mir, und wenn ich zu dem einen spreche: Geh, so geht er, und zu dem anderen: Komm, so kommt er; und wenn ich zu meinem Diener sage: Tue dies, so tut er's. Als Jesus das hörte, erstaunte er, wandte sich zu der ihm nachfolgenden Menge und sprach: Ich sage euch, nirgends in Israel habe ich eine solche Kraft des Vertrauens gefunden. Und als die Abgesandten wieder in das Haus kamen, fanden sie den Diener genesen.''“[2] | |||
In dieser Krankengeschichte tritt das individuelle Schicksal des Betroffenen nicht in Erscheinung. Die entscheidenden Veränderungen, von denen im Zusammenhang mit der Heilung berichtet wird, vollziehen sich vielmehr bei den Menschen im Schicksalsumkreis des Kranken. Durch die plötzliche Krankheit des Knechtes finden die Ältesten der Juden, der Hauptmann selbst und dessen Freunde hin zu Christus. Der „Erfolg“, der Sinn der Krankheit, zeigt sich nicht am Betroffenen selbst, sondern an Menschen seines Schicksalsumkreises. | |||
=== ''Kein Schicksal gleicht dem anderen'' === | |||
Es mag auf den ersten Blick befremden, dass ein Mensch eine schwere Krankheit durchmacht und es vor allem darum geht, was die ihn pflegenden und an seinem Leben und seiner Entwicklung Anteil nehmenden Menschen dadurch erleiden und erlernen. Doch der Blick in die tägliche Praxis zeigt, dass das oft der Fall ist: | |||
* Es gibt Krankheiten, die primär für die Betroffenen Sinn machen, während die Menschen im Umkreis bemüht sind, bei diesen Lernprozessen zu helfen, selber jedoch keine größeren Änderungen ihrer Lebenseinstellung oder Lebenseinsichten erfahren. | |||
* Es gibt aber auch genau das Umgekehrte: Der Erkrankte tröstet seine nahen Mitmenschen trotz der Schwere seines Zustandes, während die Menschen in seinem Umkreis von Verzweiflung, Sorge, Angst und Unsicherheit gezeichnet sind. | |||
Die Schicksalsbeziehungen unter den Menschen sind außerordentlich differenziert. Was zählt, ist einerseits das ganz Individuelle der Entwicklungssituation des Einzelnen und andererseits seine Beziehung zu den Menschen um ihn herum. Im Hinblick auf die Schicksalsbeziehungen der Menschen untereinander kommen wir in einen Bereich, in dem alles unvergleichlich, besonders und einmalig ist. Kein Schicksal gleicht einem anderen; denn was innerlich durchgemacht und erlebt wird von den Menschen, unterscheidet sich sehr, so ähnlich auch die Lebensläufe nach außen hin erscheinen mögen. Das erkennt man, wenn man Einblick bekommt in das, was Menschen während ihres Lebens tatsächlich erlebt, erlitten und erreicht haben. | |||
==== '''·''' Heilung und Sinngebung im Hinblick auf die ganze Menschheit ==== | |||
Neben der individuell-persönlichen und sozialen Ebene gibt es noch eine dritte Ebene der Schicksalsbetroffenheit – die menschheitliche. Wie der einzelne Mensch sein Schicksal hat, so haben auch Menschengruppen, Religionsgemeinschaften, Völker, größere und kleinere soziale Vereinigungen wie Familien oder Arbeitsgemeinschaften ihr Schicksal. Darüber hinaus gibt es aber auch noch den allumfassenden menschheitlichen Schicksalszusammenhang. Die Menschheit als Ganzes hat sich durch die Jahrtausende hindurch entwickelt, hat ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart und ihre Zukunft – hat ihr Schicksal im Weltganzen. | |||
Die Art des Krankseins um der Menschheit willen wirft die „letzten Fragen“ auf, rührt an den Kern unserer Persönlichkeit, an das in uns wirksame geistige Wesen, das wir mit dem Wort „ich“ benennen. Obgleich jeder mit diesem Wort sich selber kennzeichnet, ist es doch zugleich auch der Name aller Menschen. Wer ''ich bin ich'' sagt, macht damit deutlich, dass er sich mit sich selbst identifiziert – und dies tut jeder auf seine Art. Alle sind wir Menschen – aber wie wir das zum Ausdruck bringen, auf welchen Wegen wir zu uns selber kommen, wirklich wissen, wer wir sind – das macht uns zur einmaligen Individualität. Wir erkennen dabei auch, wie viel wir von anderen, aber auch aus der Entwicklungsgeschichte der Menschheit gelernt haben. | |||
''Was kann Heilung auf der menschheitlichen Ebene bedeuten?'' | |||
Auch hier hat die Krankheit eine aufrüttelnde Bedeutung, indem sie dem Einzelnen seine Zugehörigkeit zum Menschheitsganzen bewusst machen kann. Als Beispiel für diese Art von Krankengeschichte sei die erste aus dem Lukas-Evangelium angeführt: | |||
„''Und er kam hinab nach Kapernaum, in die galiläische Stadt. Und auch dort lehrte er am Sabbat. Und die Menschen gerieten in Ekstase durch seine Lehre, denn sein Wort wirkte mit Geistgewalt. In der Synagoge war auch ein Mensch, der von einem unreinen Dämon besessen war. Dieser schrie mit lauter Stimme: Was ist es, das uns an dich bindet, Jesus von Nazareth? Bist du gekommen, uns zu vernichten? Ich weiß, wer du bist: Du bist der Heilige Gottes! Jesus erhob seinen Arm gegen ihn und sprach: Schweig und verlasse ihn! Da warf der Dämon den Menschen mitten im Raum zu Boden und fuhr von ihm aus, ohne ihm zu schaden. Alle waren voller Staunen und sprachen zueinander: Welche Gewalt des Wortes! Als wäre alle Schöpfermacht und Weltenkraft in ihm, so gebieterisch spricht er zu den unreinen Geistern, und sie müssen ihm weichen. Und die Kunde von ihm verbreitete sich durch das ganze umliegende Land.“'''[3]''''' | |||
Im Vergleich mit den beiden anderen hier angeführten Krankengeschichten fällt auf, wie wenig wir über den betroffenen Menschen in der Synagoge von Kapernaum erfahren. Es findet kein persönliches Gespräch mit ihm statt. Christus spricht vielmehr nur mit dem Geist seiner Krankheit, dem Dämon, und gebietet ihm, den Kranken zu verlassen. Auch die im Umkreis Stehenden werden keines Wortes gewürdigt. Sie sprechen untereinander und wundern sich, wie diese Heilung möglich war. Hier wird auf die rein geistige Ebene der Krankheit hingewiesen. | |||
=== ''Notwendige Auseinandersetzung mit dem Bösen'' === | |||
Aus dieser Art Krankengeschichte geht hervor, dass die Menschheit offensichtlich die Auseinandersetzung mit dem Bösen und der Krankheit für ihre Entwicklung braucht. Davon künden alle Schöpfungsmythen, alle archetypischen Erzählungen von Licht und Finsternis – aber auch unsere tägliche Lebenserfahrung als Menschen des 21. Jahrhunderts. | |||
''Wo vergeht ein Tag, an dem wir nicht dem Bösen, dem Destruktiven oder zumindest dem Hemmenden in uns oder um uns begegnen, an dem uns diese dunkle Seite des Menschseins nicht durch Zeitung und Fernsehen vor Augen geführt wird?'' | |||
Die Frage nach dem Sinn des Bösen gehört zu den wichtigsten, aber auch unerträglichsten, die das Leben an uns stellt. Wie sehr wünschte man sich die Möglichkeit menschlicher Entwicklung ohne die Auseinandersetzung mit diesem Alptraum des Menschlichen, dem schlechthin Inhumanen, Bösen und Widernatürlichen, so wie es gerade im 20. Jahrhundert durch Kriege und Völkermord und Brutalität im häuslichen Milieu tausendfältig in Erscheinung getreten ist und sich weiter fortsetzt. Und dennoch lehrt schon der schlichte Blick in die tägliche Lebenserfahrung, dass ohne die individuelle Auseinandersetzung mit dem Irrtum und dem Bösen etwas Wichtiges nicht entstehen könnte: das Bewusstsein von Selbständigkeit und Freiheit. Freiheit als zentrale Dimension menschlicher Würde ist mit Notwendigkeit gebunden an die Möglichkeit zu irren. Damit muss auch in der Konstitution einer Welt, in der Freiheit zur Entwicklung kommen soll, das Böse, das Entgegengesetzte, vorhanden sein dürfen. | |||
Und so gibt es in der Medizin auch die Frage nach dem Geistig-Wesenhaften, das Krankheit und Heilung zugrunde liegt. Auf diese Dimension weist die Hiobsgeschichte aus der Bibel hin, an deren Beginn ein Dialog zwischen Gott und dem Teufel steht. Goethe hat in seinem „Prolog im Himmel“ zu Beginn des Dramas „Faust“ daran angeknüpft. Hiob, aber auch Faust, werden gesund bzw. gerettet, weil sie sich entwickeln, weil sie lernen und die innere Orientierung am Göttlichen nicht verlieren. Am Bösen erwacht der Sinn für das Gute, im Krankheitserleben die Sehnsucht nach Gesundheit und Heilung. | |||
''Vgl. „Begabungen und Behinderungen“, 10. Kapitel, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2004'' | |||
----[1] Neues Testament, ''Markus 10, 46-52'', zit. nach der Übersetzung von Emil Bock. | |||
[2] Neues Testament, ''Lukas 7, 1-10'', zit. nach der Übersetzung von Emil Bock. | |||
[3] Lukas 4, 31-37, zit. nach der Übersetzung von Emil Bock. | |||
== GEISTIG-SEELISCHE ERKRANKUNGEN == | |||
''Wie entstehen geistig-seelische Erkrankungen?'' | |||
=== ''Zusammenhang von unbewusstem und bewusstem Seelenleben'' === | |||
Es macht den Reichtum des menschlichen Seelenlebens aus, dass Gedanken, Gefühle und Willensimpulse ständig zusammenwirken. | |||
Das Selbstbewusstsein, das in der Kindheit erwacht, hat die Aufgabe, im Laufe des Lebens dieses Zusammenwirken lenken und beherrschen zu lernen. In dem Maß, in dem es gelingt, wird das Seelenleben ein Abbild der in sich geordneten und aufeinander bezogenen körperlichen Funktionen und wirkt wohltuend und gesundend auf sie zurück. Um nun das Auftreten geistiger Behinderungen oder auch seelischer Erkrankungen verstehen zu können, ist es nötig, noch auf einen anderen Sachverhalt des Seelenlebens einzugehen: auf den Zusammenhang von unbewusstem und bewusstem Seelenleben. | |||
Wie von Rudolf Steiner erforscht, werden im Laufe der Entwicklung die Kräfte, die vorher am Aufbau des Leibes mitgewirkt haben, für das bewusste Seelenleben frei. Die im Leibesleben „inkarnierten“ Seelenkräfte wirken unbewusst, die vom Leib befreiten seelischen Kräfte werden als Gedanken, Gefühle und Willensorientierung ins Bewusstsein gehoben. | |||
=== ''Ursprung von psychischen Erkrankungen'' === | |||
Gelangen nun im Laufe der Entwicklung leibfrei gewordene Wachstumskräfte ins Bewusstsein, die von der integrierenden Kraft der Seele, dem „Ich“, nicht beherrscht werden können, weil ihnen noch etwas von der inkarnierenden, organbezogenen Eigendynamik anhaftet, so beginnen sie im Seelenleben eine Eigendynamik zu entwickeln. | |||
Hier liegt der Ursprung der sogenannten Seelen- und Geisteskrankheiten: Gedanken können dann auftauchen und den Menschen bedrängen mit einer Lebhaftigkeit und Intensität, wie sie dem sonst so schattenhaften Denken nicht eigen sind. Sie können dem Menschen als Bildgestaltungen gegenübertreten, die von ihm nicht beherrscht werden und sein Gefühls- und Willensleben in Anspruch nehmen. Besonders deutlich ist dies bei den verschiedenen Formen der Schizophrenie der Fall:[1] Wahnvorstellungen, Zwangsgedanken, Entfremdungserlebnisse, unbeherrschbare Emotionen, Willenslähmung und die Neigung zu Tobsucht zeigen, welche dieser Bereiche des Seelenlebens der Ich-Kontrolle entglitten sind. Das Ich ist nicht mehr Herr über bestimmte Aspekte des Seelenlebens, sondern unter Umständen von einem oder mehreren Gedanken beherrscht, und der Mensch folgt ihnen zwanghaft in seinem Gefühls- und Willensleben. | |||
Solche Menschen sprechen dann von Ahnungen und Eingebungen oder in fortgeschrittenen Stadien auch von „Stimmen“, die sie hören, oder von Personen, die ihnen erschienen sind, die sie zu diesem und jenem veranlasst haben. Die Inhalte des Gedanken-, Gefühls- und Willenslebens sind nicht mehr ich-durchdrungen wie im gesunden Seelenleben und werden so auch oft nicht mehr als zum eigenen Selbst gehörig erlebt, sondern als etwas Bedrohliches, Fremdes. | |||
=== ''Anthroposophische Therapie bei geistig-seelischen Erkrankungen'' === | |||
Ein anthroposophisch orientierter Psychiater wird daher seine Therapie einerseits auf die Behandlung der Organsysteme und -funktionen richten, dem die pathologischen Seeleninhalte als metamorphosierte Wachstumskräfte entstammen. Auf der anderen Seite wird er mit Hilfe der künstlerischen Therapie und des Gespräches versuchen, das Ich des Kranken so weit zu stärken, dass dieser die Kontrolle über sein Seelenleben wieder erlangen kann. Er wird auch versuchen, mit Pädagogen und Eltern ins Gespräch zu kommen, damit Frühsymptome rechtzeitig erkannt und dem Ausbrechen einer solchen schweren Seelenkrankheit wirksam vorgebeugt werden kann. | |||
Ganz entscheidend ist auch die Art und Weise, wie Lehrer mit den frei werdenden Bildekräften umgehen und bei Tage das Seelenleben des Kindes beeinflussen und wie die nächtlichen Aufbau- und Regenerationsvorgänge in der Wachstumsphase ablaufen können. | |||
''Vgl. Kapitel'' „''Wie sind Leib, Seele und Geist in Gesundheit und Krankheit verbunden?''“, ''Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart'' | |||
----[1] Vgl. Rudolf Treichler, ''Der schizophrene Prozeß'', vergriffen. | |||
'''GRUNDLEGENDES ZU KÖRPERLICHEN ERKRANKUNGEN''' | |||
''Wie kommt es zu körperlichen Erkrankungen?'' | |||
'''''Krankheit als unkontrollierter Emanzipationsvorgang von Kräften''''' | |||
So wie sich jede seelische Erkrankung beschreiben lässt als Ausdruck von Gedanken, Gefühlen und Handlungsimpulsen, die nicht mehr der Ich-Kontrolle unterworfen sind, so lässt sich auch jede körperliche Erkrankung als ein Emanzipationsvorgang bestimmter Funktionen und biologischer Gesetzmäßigkeiten beschreiben, die sich nicht mehr den kontrollierenden Instanzen des Organismus unterwerfen. | |||
Sie kommen zustande, wenn sich die seelischen Kräfte zu stark im Leib betätigen oder aber zu sehr aus ihrer notwendigen Verbindung mit dem Leib lösen. Ergänzt man die herkömmliche Diagnostik mit dieser Sichtweise, wird nicht nur das Wesen der Krankheit besser verständlich, sondern es erschließen sich auch neue Möglichkeiten für die Therapie: Es wird deutlich, durch welche seelische und geistige Aktivität die Gesundung mit beeinflusst werden kann, weil man beginnt, die Prozesse zu verstehen, denen der Leib-Seele-Zusammenhang gehorcht. | |||
'''''Anthroposophische Medizin als Ergänzung''''' | |||
Rudolf Steiner legte großen Wert darauf, dass die Anthroposophischen Möglichkeiten für Diagnostik und Therapie als Ergänzung zur gegenwärtigen Schulmedizin und nicht als eine Alternative aufgefasst werden. Die geisteswissenschaftliche Forschung Rudolf Steiners erschließt vielmehr die seelischen und geistigen Hintergründe für physiologische Vorgänge. Sie diese in ein neues Licht rücken, will deren Erforschung auf naturwissenschaftlichem Wege nicht ersetzen, sondern die notwendige Ergänzung dazu sein. | |||
''Vgl. Kapitel „Wie sind Leib, Seele und Geist in Gesundheit und Krankheit verbunden?“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart'' | |||
== GRUNDLEGENDES ZU KÖRPERLICHEN ERKRANKUNGEN == | |||
''Wie kommt es zu körperlichen Erkrankungen?'' | |||
=== ''Krankheit als unkontrollierter Emanzipationsvorgang von Kräften'' === | |||
So wie sich jede seelische Erkrankung beschreiben lässt als Ausdruck von Gedanken, Gefühlen und Handlungsimpulsen, die nicht mehr der Ich-Kontrolle unterworfen sind, so lässt sich auch jede körperliche Erkrankung als ein Emanzipationsvorgang bestimmter Funktionen und biologischer Gesetzmäßigkeiten beschreiben, die sich nicht mehr den kontrollierenden Instanzen des Organismus unterwerfen. | |||
Sie kommen zustande, wenn sich die seelischen Kräfte zu stark im Leib betätigen oder aber zu sehr aus ihrer notwendigen Verbindung mit dem Leib lösen. Ergänzt man die herkömmliche Diagnostik mit dieser Sichtweise, wird nicht nur das Wesen der Krankheit besser verständlich, sondern es erschließen sich auch neue Möglichkeiten für die Therapie: Es wird deutlich, durch welche seelische und geistige Aktivität die Gesundung mit beeinflusst werden kann, weil man beginnt, die Prozesse zu verstehen, denen der Leib-Seele-Zusammenhang gehorcht. | |||
=== ''Anthroposophische Medizin als Ergänzung'' === | |||
Rudolf Steiner legte großen Wert darauf, dass die Anthroposophischen Möglichkeiten für Diagnostik und Therapie als Ergänzung zur gegenwärtigen Schulmedizin und nicht als eine Alternative aufgefasst werden. Die geisteswissenschaftliche Forschung Rudolf Steiners erschließt vielmehr die seelischen und geistigen Hintergründe für physiologische Vorgänge. Sie diese in ein neues Licht rücken, will deren Erforschung auf naturwissenschaftlichem Wege nicht ersetzen, sondern die notwendige Ergänzung dazu sein. | |||
''Vgl. Kapitel „Wie sind Leib, Seele und Geist in Gesundheit und Krankheit verbunden?“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart'' | |||
== HIOB – SCHULD UND KRANKHEIT == | |||
''Was kann uns die Geschichte von Hiob über Krankheit lehren?'' | |||
''Besteht ein Zusammenhang zwischen Krankheit und Schuld?'' | |||
=== ''Vorspiel im Himmel'' === | |||
Die schwer verständliche Geschichte von Hiob[1] hat ein Vorspiel im Himmel. Dort spricht Gott, der Herr, mit dem Teufel und lobt seinen Knecht Hiob, an dem kein Fehl und Tadel ist. Der Teufel hört sich das an, weist jedoch darauf hin, dass es für Hiob nicht schwer sei, ein gottgefälliges Leben zu führen, da es ihm ja so gut gehe. Er habe alles, was ein Mann zum Leben brauche: eine liebe Frau, Kinder, Reichtum, Freunde und – Gesundheit. ''„Aber“,'' so setzt der Teufel hinzu, ''„recke deine Hand aus und taste an alles, was er hat: was gilt's, er wird dir ins Angesicht absagen.“'' Gott, der Herr, lässt sich auf diese Wette ein und gibt dem Teufel die Macht, Hiob mit allen nur erdenklichen Plagen zu schaden – mit einer Ausnahme: Er darf ihn nicht töten. | |||
Und so kommt Hiob völlig „schuldlos“ in Elend und Not, sodass schließlich alle an ihm zweifeln und ihn verdächtigen, insgeheim eine schwere Sünde auf sich geladen zu haben, da Gott gemäß dem jüdischen Glauben keine Unschuldigen straft. Hiob, der sich keiner Schuld bewusst ist, und der Schicksalsumkreis, der in Hiobs Krankheit und Not ebenfalls keinen Sinn erkennen kann, werden vorbereitet, etwas noch viel Tieferliegendes zu verstehen: dass man auch dadurch „schuldig“ werden kann, dass man meint, Irrtum und Böses seien nur bei anderen Menschen zu finden, wohingegen man selber schon untadelig und rein sei. | |||
=== ''Schicksalsfragen'' === | |||
Doch selbst wenn man schon ohne Fehl und Tadel wäre und ein echt gottgefälliges Leben führen würde, müsste man sich fragen: | |||
''Was waren die Bedingungen meiner Entwicklung?'' | |||
''Wodurch habe ich mein untadeliges Wesen erwerben können?'' | |||
''Wie konnte ich überhaupt lernen, ein guter Mensch zu werden?'' | |||
''Wie viel habe ich dabei von anderen gelernt?'' | |||
''Wie oft sah ich fremdes Leid und lernte daraus und wurde so davor geschützt, selbst den das Leid verursachenden Fehler zu machen?'' | |||
''Ist mein fortgeschrittener Entwicklungsgrad nicht auch der Tatsache geschuldet, dass andere in meinem Umfeld noch Seelenqual, Schuld, Krieg und Not erleiden?'' | |||
Es liegt nahe, einzusehen, dass man sein So-Sein den Menschen verdankt, mit denen man gelebt hat. Man verdankt es aber auch der Tatsache, dass die Menschheit als Ganzes in Entwicklung begriffen ist: Wenn wir im eigenen Schicksalsumkreis mit einem bestimmten Problem nicht konfrontiert wurden, von dem wir hätten lernen können, berichtet uns die Menschheitsgeschichte darüber, lernen wir aus den Erfahrungen anderer. Wir verdanken unser So-Sein nicht nur dem persönlichen Schicksalsumfeld, sondern auch dem großen Entwicklungsprozess der Menschheit selbst. Als Hiob diese Tatsache zu begreifen begann, wurde er als würdig erachtet, Gott zu schauen. Er hat den Sinn des Mensch-Seins erfahren und dabei die Gottesnähe erlebt – gerade auch im Leid. | |||
=== ''Drei Ebenen von Schuld'' === | |||
Damit erfährt auch der Begriff der „Schuld“ eine Erweiterung: | |||
* Es gibt die '''individuelle Schuld''', über die sich der einzelne Mensch am besten selbst Rechenschaft ablegt. | |||
* Dann gibt es das '''Schuldig-Werden an anderen Menschen''', auch dann, wenn man davon nicht einmal weiß: Man lebt in der Illusion, richtig gehandelt zu haben, und ahnt nicht, zu welchen Schmerzen oder gar Zusammenbrüchen das eigene Handeln bei anderen Menschen geführt hat. Diese Schädigung anderer Menschen, die einem nicht einmal bewusst war, bedarf in irgendeiner Form des Ausgleichs, u.U. auch erst in einem späteren Erdenleben. | |||
* Es gibt aber auch '''Schuld auf der menschheitlichen Ebene'''. Sie hat mit Gott selbst zu tun: Indem ER von Anbeginn der Schöpfung das Böse als Bestandteil unserer Entwicklung zuließ, trägt auch Gott für diesen Ratschluss, diesen Urentscheid „Schuld“. Ausdruck davon sind im Alten und Neuen Testament Stellen, an denen unmittelbare Zwiesprache z.B. zwischen Gott und Teufel oder zwischen Christus und dem Geist einer Krankheit stattfindet. | |||
=== ''Verwandlung von Schuld'' === | |||
Angesichts allgegenwärtiger Schuld, z.B. was sich an sogenannter Kollektivschuld in Deutschland und anderen Ländern angehäuft hat, aber auch im Hinblick auf die vielfältige Verschuldung des modernen Lebens gegenüber Mensch und Natur, ist es hilfreich sich zu fragen: | |||
''Was will diese Verschuldung – woher auch immer sie kommt – uns, mich, heute lehren? Wie kann ich Schuld durch tätige Mitverantwortung auflösen und verwandeln helfen?'' | |||
Durch eine solche Fragehaltung erfährt Schuld eine wohltuende Metamorphose. Denn es geht nicht mehr darum, ''wer'' etwas verschuldet hat, sondern einzig und allein darum, ''worauf'' diese sogenannte Schuld hinweisen und aufmerksam machen will – was man an ihr und durch sie lernen kann und welche positiven Entwicklungsmöglichkeiten dadurch eröffnet werden. Eine solche Auffassung von Schuld hilft uns nicht nur, mit wachsender Dankbarkeit und innerer Ruhe auf Leben und Mitwelt hinzublicken. Sie hilft uns auch, im Falle von Leid oder Krankheit, die uns scheinbar „unschuldig“ treffen, zu erkennen, dass man dadurch bewusst am Leid der Menschheit Anteil nimmt – und nicht nur persönliche Verfehlungen ausgleicht. Vorbild dafür ist in der biblischen Tradition das Buch Hiob, und im neuen Testament ist es der Christus, der schuldlos „der Welt Sünde trägt“. | |||
''Vgl. „Begabungen und Behinderungen“, 10. Kapitel, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2004'' | |||
----[1] Aus dem ''Buch Hiob'' des Alten Testaments. - Goethe hat diese „Krankengeschichte“ im Faust, dem modernen Hiob-Buch, dramatisiert. Damit bekommt gerade dieser Krankheitstypus für die heutige Menschheit besonderes Gewicht. Denn die Faustgestalt steht für die Entwicklungsdramatik des modernen Menschen, der sich seines Paktes mit dem Teufel, das heißt seiner Beziehung zum Bösen, bewusstwerden kann. | |||
== FOLGEN DES FEHLENS SPIRITUELLER WERTE == | |||
''Welche Folgen hat eine spirituelle Erziehung im späteren Leben?'' | |||
=== ''Folgen fehlender Spiritualität im Kindesalter'' === | |||
Fehlt die religiöse Erziehung im Kindesalter, so haben es die Betreffenden im späteren Leben sehr viel schwerer, sich auf die Suche nach spirituellen Werten zu machen, da sie auf keinerlei Erfahrung zurückgreifen können und damit auch nicht recht wissen, was sie überhaupt suchen sollen. | |||
==== '''·''' Drogenkonsum ==== | |||
Dass das wirklich so ist, erleben wir heute an der immer stärker anwachsenden Tendenz zu Suchtkrankheit und Drogenabhängigkeit. Denn die Suchtkrankheit ist die Krankheit der Religionslosigkeit.[1] Fragt man Drogenabhängige, was sie in der Drogenszene finden, wird deutlich, dass es sich um genau die Qualitäten und Werte handelt, die den religiösen Erfahrungen entsprechen: Ruhe und Geborgenheit, Erleben vertrauensvoller menschlicher Beziehungen, Licht- und Wärmeerlebnisse – also intensive Sinneserlebnisse und starke Selbsterfahrung. So sagen sie oft, dass es der unerträgliche Zweifel am Sinn des Lebens war, der sie in die Sucht trieb, oder dass sie die Schlechtigkeit und Ungerechtigkeit der Welt nicht ertrugen oder aber, dass sie keine Liebe und Geborgenheit unter Menschen erlebt haben. Das alles hätten sie erst in der Drogenszene gefunden. | |||
Auch wenn die Drogenkarriere keine echte Perspektive für das Leben darstellt, überwiegt bei den Betroffenen die Dankbarkeit, dass sie vorübergehend ihre quälenden Zweifel und Ängste ablegen können und sich aufgenommen fühlen von einer anderen Welt, die erfüllt ist von Farben und Licht, von Freundschaft und Geborgenheit. Wer Drogen nimmt, betritt diese Welt zwar ohne waches Selbstbewusstsein, aber er entrinnt auf diese Weise wenigstens der Enge, Dürftigkeit und Einsamkeit des scheinbar so sinnlosen Alltagslebens. | |||
==== '''·''' Neue Krankheiten ==== | |||
Rudolf Steiner hat zu Beginn dieses Jahrhunderts in Vorträgen immer wieder darauf hingewiesen, dass neue Krankheiten auftreten werden, wenn weitere drei Generationen in der gleichen Art leben wie zur damaligen bereits vom Materialismus bestimmten Zeit. Die körperlichen Kraftreserven, die aufgrund der Vererbung für mehrere Generationen reichen, wären nach ca. 100 Jahren verbraucht. Der Mensch wäre dann darauf angewiesen, zusätzliche geistige Kräfte aufzunehmen, damit der Leib nicht zerbricht, sondern sich verwandeln kann.[2] | |||
=== ''Zusammenhang zwischen Geist und Gesundheit'' === | |||
Um diesen Zusammenhang zwischen Geist und Gesundheit zu verstehen, bedarf es der Kenntnis eines der wichtigsten Forschungsergebnisse Rudolf Steiners für Pädagogik und Medizin: Die Kenntnis vom Gesetz der Metamorphose der Wachstumskräfte in Gedankenkräfte. Steiner fand heraus, dass die Kraft, die dem Wachstum, der Regeneration und damit auch der Selbstheilung des Organismus zugrunde liegt (in der Anthroposophie „ätherischer Organismus“ genannt), identisch ist mit der Kraft, die der Mensch aufwendet, wenn er denkt. In seinem gemeinsam mit der Ärztin Ita Wegman verfassten Buch ''„Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“'' führt er diesbezüglich aus: | |||
''„Es ist von der allergrößten Bedeutung zu wissen, dass die gewöhnlichen Denkkräfte des Menschen die verfeinerten Gestaltungs- und Wachstumskräfte sind. Im Gestalten und Wachsen des menschlichen Organismus offenbart sich ein Geistiges. Denn dieses Geistige erscheint dann im Lebensverlaufe als die geistige Denkkraft.'' | |||
''Und diese Denkkraft ist nur ein Teil der im Ätherischen webenden menschlichen Gestaltungs- und Wachstumskraft. Der andere Teil bleibt seiner im menschlichen Lebensbeginne innegehabten Aufgabe getreu. Nur weil der Mensch, wenn seine Gestaltung und sein Wachstum vorgerückt, das ist, bis zu einem gewissen Grade abgeschlossen sind, sich noch weiter entwickelt, kann das Ätherisch-Geistige, das im Organismus webt und lebt, im weiteren Leben als Denkkraft auftreten."''[3] | |||
=== ''Neues Paradigma der psychosomatischen Medizin'' === | |||
Bei diesem Forschungsergebnis handelt es sich um das neue Paradigma der psychosomatischen Medizin, auf dem Erziehung und Medizin in Zukunft immer mehr aufbauen müssen, wenn sie weiterhin erfolgreich sein wollen. | |||
Denn schon heute ist die psychosomatische Forschung weitgehend zu der Erkenntnis gelangt, dass beispielsweise ein Mensch mit guter Lebensmotivation, mit Zukunftsidealen und der Fähigkeit, seinem Leben einen Sinn zu geben, ein weit besseres Immunsystem und bessere Möglichkeiten der Rekonvaleszenz hat als jemand, der diesen positiven Zugang zum Leben nicht besitzt.[4] | |||
''Vgl. „Welchen Auftrag hat die Religion in Erziehung und Heilkunst?“ aus „Die Heilkraft der Religion“, Stuttgart 1997'' | |||
----[1] Ron Dunselmann, ''An Stelle des Ich. Rauschdrogen und ihre Wirkung'', Stuttgart 1996. | |||
[2] Rudolf Steiner, ''Die Sendung Michaels''. GA 194. | |||
[3] Rudolf Steiner; Ita Wegman, ''Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen'', GA 27. | |||
[4] Vgl. Richard Wagner (Hrsg.), ''Immunologie und Krebskrankheit'', Stuttgart 1993; | |||
Martin Straube, ''AIDS-Sprechstunde'', Stuttgart 1996. | |||
== DAS GEHEIMNIS DES MERKURSTABS == | |||
''Was ist unter dem „Geheimnis des Merkurstabs“ zu verstehen?'' | |||
''Wie kann dieses neue Mysterien-Prinzip angewandt werden in Diagnostik und Therapie?'' | |||
''Was besagt der esoterische Krankheitsbegriff?'' | |||
''Wie können mit seiner Hilfe die Kräfte „des Oberen und des Unteren“ wieder an den rechten Ort gebracht werden?'' | |||
=== ''Der esoterische Krankheitsbegriff'' === | |||
Der esoterische Krankheitsbegriff ist eng mit dem ''„Geheimnis des Merkurstabs“'' verbunden. Er besagt, dass der Mensch etwas, das er in seinem Leben offensichtlich „zu seinem Heil“ braucht, nicht auf dem gesunden Wege „am rechten Ort und zur rechten Zeit“ durchmachen bzw. lernen konnte. Nun gibt ihm sein persönliches, soziales bzw. menschheitliches Schicksal die Gelegenheit, das Erwünschte auf dem Krankheitswege durchzumachen und so das Lern- bzw. Entwicklungsziel zu erreichen: | |||
* Was wir bewusst '''auf dem Erkenntnisweg''' erarbeiten, ist ''von Michael inspiriert''. | |||
* Was wir unbewusst '''durch Schmerz und Leid''' erringen, wird ''von Raphael begleitet''. | |||
Das ist mit dem ''„Geheimnis des Merkurstabs“'' als neuem Mysterien-Prinzip gemeint. | |||
Rudolf Steiner sagt von diesem ''„Geheimnis des Merkurstabs“'', dass Ärzte und Therapeuten es immer besser handhaben lernen sollten. Dabei kann uns die offene Lemniskate des Merkurstabs helfen, denn sie bildet ab, worum es bei diesem neuen Mysterien-Prinzip geht: um die Funktionsdynamik des Ätherischen. Nicht nur ist diese Dynamik unserem Herzen zutiefst eingeschrieben wie ein Siegel, sie bestimmt auch über den ganzen Kreislauf, ja über unsere gesamte menschliche Konstitution. Unser physischer Leib ist aufgebaut durch ätherische und astrale Kräfte sowie durch Kräfte der Ich-Organisation. Diesem Aufbau liegt ein unglaublich lebendiges, kraftvolles, Gesetzes-Prinzip zugrunde, das sich unserem Bewusstsein entzieht. | |||
''Ita Wegman'' beschreibt den Schlüssel zu diesem neuen Mysterien-Prinzip, das ein Raphael-Mysterium ist, in ihrer Vorrede zu dem gemeinsam von ihr und Rudolf Steiner verfassten Buch ''„Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“.'''[1]''''' Rudolf Steiner hatte ihre Vorrede zwar nicht in die Druckfassung des Buches übernommen, sie blieb aber erhalten und wurde von ''Walter Holtzapfel'', von 1969 bis 1977 Leiter der Medizinischen Sektion, erstmals im Rundbrief der Sektion publiziert.[2] | |||
=== ''Krankheit physisch und geistig gesehen'' === | |||
Ita Wegman schreibt dort von zwei Hauptursachen des Krankseins (auf die wir hier nicht näher eingehen wollen), die beide vom Physischen und vom Geistigen aus gesehen und beschrieben werden können: | |||
''„Ein kranker Mensch ist aber immer ein ganz individueller Fall. Es gibt nicht zwei Menschen, die in gleichem Sinne krank sein können. Die Naturdinge, die ungeistig sind, führen auf allgemeine Gesetze zurück. Das Individuelle ist immer der Ausdruck der Wirksamkeit seelisch-geistiger Gesetze. Diese Gesetze sind nicht in Begriffe zu fassen, sondern nur für die Anschauung erreichbar. (...)'' | |||
''Die Seelenübungen, die zur geistigen Anschauung führen, bestehen entweder in einer Abschwächung oder einer Verschärfung des Seelenlebens. Die Abschwächung des Seelenlebens ist innerhalb des Seelischen eine Nachahmung der Krankheiten der ersten Art, die Verschärfung eine Nachahmung der Krankheiten der zweiten Art. Wer also die Seelenverfassung kennt, die aus solchen Übungen stammt, kennt die Krankheiten, denn er hat in seinen Seelenzuständen Bilder davon. Beschreibt er durch das, was er an diesen Bildern erlebt, die physischen Symptome der Krankheiten, so liefert er jedem Arzt Beschreibungen, die dieser nachprüfen kann. Hält die Beschreibung der Nachprüfung stand, so werden damit auch die Angaben des Erforschers des Geistigen bestätigt. Und lässt sich der Arzt immer wieder auf die Beschreibungen eines solchen Geistesforschers ein, so kann er sich aus dessen Schilderungen des Symptomen-komplexes nach und nach selbst die geistige Anschauung erwerben. Wir sind durchaus der Meinung, dass das ganz richtige Lesen dieses Buches jeden Arzt in die Lage versetzt, selbst die Krankheiten geistig anzuschauen.''[3] | |||
Es geht also darum, zu verstehen, dass der Übungsweg aus ''„Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“''[4] mit Mühen und seelischen Schmerzen verbunden ist, die denen entsprechen, die der Körper erleidet, wenn er krank ist. Krankheit erscheint der geistigen Anschauung als ein Kraftkomplex, der sich eigentlich hätte seelisch-geistig betätigen sollen, nun aber am falschen Ort leiblich aktiv wird. | |||
=== ''Sinnfindung durch Umgang mit den geistigen Urbildern von Krankheiten'' === | |||
Es ist nun Aufgabe des Arztes, hinter jeder körperlichen Krankheit das Geistige zu sehen, das sich in dieser Krankheit am falschen Ort manifestiert. Damit wird aber auch der Sinn der Krankheit im individuellen Schicksal erkannt und die Krankheit „''als physische Imagination vom geistigen Leben“[5]'' angeschaut, wie es Rudolf Steiner im ''Jungmedizinerkurs[6]'' zum Jahresanfang 1924 formuliert hatte. Therapie bedeutet in diesem Kontext, das Physisch-Imaginative auf den (Rück)Weg zur Gesundung, d.h. zum richtigen Ort, dem Geistig-Imaginativen zu bringen. So gesehen wäre das Buch zur Selbstschulung von Rudolf Steiner ''„Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“'' auch unter dem Aspekt zu lesen, welcher Krankheit dadurch vorgebeugt werden kann, wenn man eine der dort beschriebenen Übungen macht. Autoimmunerkrankungen können z.B. als leibliche Projektion der geistigen Übung, ''„sich selbst wie ein Fremder gegenüber zu stehen“'' angesehen werden. | |||
Gelingt es einem Menschen nicht, ein für dieses Leben seelisch-geistig veranlagtes Lernziel zu erreichen, so wählt er sich zum Ausgleich den unbewussten Weg durch die Krankheit, um das gewünschte Ziel so doch noch zu erreichen. | |||
=== ''Anforderungen an den Arzt'' === | |||
Wenn der Erkrankte nicht nach diesen esoterischen Hintergründen fragt, sollte der Arzt darüber schweigen. Denn dann besteht die Gefahr, dass der hier geschilderte Tatbestand Schuldgefühle im Kranken weckt, die seine krankhafte Symptomatik verstärken können. In diesem Fall kann der Arzt das geistige Gegenstück der Krankheit im Bewusstsein haben, wenn er dem Kranken gegenübertritt. Dann wirkt er durch seine Gegenwart „gesundend“ auf den Patienten. | |||
Gleichzeitig ist der Umgang mit diesen geistigen Urbildern auch für den Arzt die beste Prävention. Denn indem er mit den entsprechenden Übungen arbeitet, im Grunde also geistig und seelisch mit den Gegenbildern der Krankheiten lebt, haben diese Kräfte bei ihm keine Veranlassung, sich an falschen Orten kränkend zu betätigen. | |||
So tritt in der Anthroposophischen Medizin zu den schulmedizinischen und komplementärmedizinischen Therapieverfahren noch die Möglichkeit hinzu, durch ein spirituelles Krankheitsverständnis Prävention, Krankheit und Heilung in ihrem Zusammenhang tiefer zu verstehen. Diese Einsichten therapeutisch handhaben zu lernen, kann u.a. Wesen und Inhalt einer Raphael-Schule sein. | |||
''Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015'' | |||
----[1] Rudolf Steiner und Ita Wegman, ''Grundlegendes zu einer Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen,'' GA 27, Dornach 2007. | |||
[2] ''Wiederabdruck in: Rundbrief für die Mitarbeiter der Medizinischen Sektion am Goetheanum in aller Welt''. Nr. 2, Advent 1993. | |||
[3] Ita Wegman, nicht veröffentlichte Vorrede zu ''Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst'', Siehe Seiten 43-46. | |||
[4] Rudolf Steiner, ''Wie erlangt man Erkenntnisse der Höheren Welte''n?, GA 10. | |||
[5] Rudolf Steiner, ''Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst'', GA 316, Dornach 2009, S. 104. | |||
[6] Rudolf Steiner, ''Jungmedizinerkurs'', GA 316. | |||
== DER ESOTERISCHE KRANKHEITSBEGRIFF == | |||
''Was besagt der esoterische Krankheitsbegriff?'' | |||
=== ''Krankheit als Einweihung über den Tod hinaus'' === | |||
Im ''Jungmedizinerkurs''[1] kann man nachlesen, dass jede Krankheit auch eine unbewusste Einweihungsbegegnung mit dem Hüter der Schwelle ist. In einem Notizbucheintrag Rudolf Steiners befindet sich ein erster Entwurf einer Meditation für die Jungmediziner, der später eine andere Form bekam. Es handelt sich um eine rein esoterische Formulierung: | |||
''Begegnung'' | |||
''Es strömen an der Schwelle'' | |||
''Sinnesdunkel und Geisteshelle'' | |||
''Zum Blendwerk ineinander.'' | |||
''Dieses Blendwerks Abbild'' | |||
''Ist die Krankheit.'' | |||
''In der Krankheit lebet der Hüter,'' | |||
''Begegnung im Geist bewusst.'' | |||
''Begegnung im Körper unbewusst.[2]'' | |||
Selbst wenn ein Mensch an einer Krankheit stirbt, die ihm viele Schmerzen bereitet hat, wird er nach dem Tode davon profitieren: Die ätherischen Kräfte, die am Verlauf der Krankheit beteiligt waren, z.B. indem sie Krebswucherungen erzeugten, lösen sich nach dem Tod aus dem ätherischen Organismus heraus und vereinigen sich mit allem, was der Mensch durch bewusste Erkenntnis erringen konnte. Denn nach dem Tod erwacht der Mensch zu allem, was er auf Erden getan hat, egal ob bewusst oder unbewusst. Was er durch Krankheiten auf unbewusste Weise errungen hat, auch durch Schmerzen, wird ihm nach dem Tode bewusst und er begreift, dass der Sinn seiner Krankheit darin lag, sie zu durchleiden. Durch Krankheit erreicht der Mensch über die körperliche Ebene in der Sphäre der Naturgesetze dasselbe Entwicklungsziel wie über den rein geistigen Entwicklungsweg. | |||
=== ''Geheimnisse von Gesundheit und Krankheit'' === | |||
Zum besseren Verständnis dieser Prinzipien: Rudolf Steiner nennt im „''Pastoralmedizinischen Kurs“[3]'' einen Spruch für Priester und Ärzte, der das Geheimnis des Merkurstabes in Worte fasst und eine Verbindung herstellt zu den genannten Zeilen aus dem Grundsteinspruch. Er lautet sinngemäß: | |||
''„Ich werde den Weg gehen,'' | |||
''der die Elemente in Prozess auflöst.'' | |||
''Er bringt mich hinunter zum Vater,'' | |||
''der die Krankheit schickte,'' | |||
''damit das Karma ausgeglichen wird,'' | |||
''und bringt mich hinauf zum Geist,'' | |||
''der die Seele durch Irrtümer (und Schuld) geleitet,'' | |||
''damit sie Freiheit entwickelt.“'' | |||
Das ist der Merkurstab in Worten – alle Geheimnisse von Gesundheit und Krankheit sind in dieser einen Meditation zusammengefasst: | |||
* '''Der Vatergott''' schickt uns Krankheit bzw. Störungen, um das Schicksal auszugleichen. Das geschieht in der Nacht, die die Domäne des Vaters ist. Wir nehmen den Körper, wie er ist. Auch können wir die Geburtsumstände nicht verändern. | |||
* '''Der Christus''' führt hinab zum Vater und hinauf zum Geist, um im Zuge der Entwicklung den Geistesmenschen im Erdenmenschen zu erschaffen''.'' | |||
* Das alltägliche Leben, die Möglichkeit Tag für Tag über Versuch und Irrtum zu lernen, ist die Domäne '''des Heiligen Geistes''''','' der weiß, dass wir im Leben irren können. Wir geraten in Schuld, wenn wir nicht unseren eigenen Weg finden, wenn wir nicht das Gute suchen und zu tun bestrebt sind. | |||
=== ''Geschenke des Christus'' === | |||
Dieser Gedanke ist sehr schmerzlich, doch kann es nicht anders sein: Man kann keine Freiheit erlangen, ohne Grenzen erlebt zu haben. Man kann nicht lernen in Freiheit zu lieben, wenn man nicht erlebt hat, wie es sich anfühlt, nicht geliebt zu werden oder wie schmerzlich es ist, wenn man anderen schadet. Wir brauchen die Dunkelheit, um das Licht verstehen zu können. Liebe und Freiheit brauchen einander. Deshalb kann echte Liebe alles aushalten, alles verarbeiten. Sie ist der Heiler unseres ICH BIN, wenn dieses lernt, unsere Liebesressourcen anzuzapfen. | |||
Jeder Moment der Verzweiflung, des Todes, des Wandels, der Transformation, ist ein Geschenk des Christus: die Tatsache, dass wir uns verwandeln können, dass wir sterben und uns transformieren können; dass wir Regeln brechen und neue kreieren können. Das Mysterium des Lebens ist, dass es in den Tod mündet, sodass Tod die Frucht des Lebens ist. Wir werden geboren, um zu sterben. Das ist die Sphäre von Christus, dem Meister des Schicksals. | |||
=== ''Die drei Rosenkreuzerworte'' === | |||
Drei Zeilen aus der Grundsteinmeditation, auch Rosenkreuzerworte genannt, können uns in Bezug auf Krankheit und Gesundheit geistige Orientierung geben und dem besseren Verständnis dieser Sphäre dienen. | |||
==== 1. „Ex deo nascimur“ ==== | |||
Wir entwickelten uns aus dem Vatergott – wir sind Kinder des Vaters, aus dem Vater geboren. | |||
==== 2. „In christo morimus“ ==== | |||
In Christus sterben wir. Unsere große Chance liegt in der Art, wie wir uns darauf vorbereiten: ob wir ihm, unserem Höheren Ich, mehr oder weniger bewusst begegnen werden. Das ganze Leben dreht sich um die Suche nach diesem Höheren Ich, dem Christus, denn wir tragen in uns die Sehnsucht, IHM zu begegnen. Im Todesmoment begegnen IHM alle Menschen als dem höchsten Hüter der Schwelle, egal, wie materialistisch sie gesinnt waren. Und je nachdem, wie sie sich vorbereitet haben, schlafen sie entweder ein oder bleiben wach, um zwischen Tod und einer neuen Geburt mit dem Heiligen Geist die nächsten Lernerfahrungen zu planen, z.B. auch, ob bestimmte Krankheiten „gebraucht werden“ in der nächsten Inkarnation. | |||
==== 3. „Per spiritum sanctum reviviscimus“ ==== | |||
Wir werden im Heiligen Geist erwachen zu unserer Aufgabe, uns selbst und andere zu heilen. Wir werden initiiert, werden auferweckt durch den Heiligen Geist. | |||
Anhand dieser drei Zeilen können wir erkennen, dass die Vergangenheit aus dem Vater geboren wurde mitsamt dem vollen Risiko von Krankheit. Denn Krankheit hat mit unserem Körper zu tun und mit den Kräften, aus denen wir geboren wurden. Heilung ist ein zukünftiges Ziel – unangreifbar, unverwundbar zu werden. Das liegt weit in der Zukunft. Zwischen diesen Polen haben wir das Risiko des Lebens, das immer in Gefahr ist. Das Gleichgewicht kann in jedem Moment verloren gehen und wir werden krank – oder wir finden neue Kräfte und stehen wieder auf. | |||
''Vgl. mit einer Zusammenstellung von Vorträgen über „Die sieben Siegel der Apokalypse“ gehalten 2007'' | |||
----[1]Rudolf Steiner, ''Jungmedizinerkurs'', GA 316. | |||
[2] Rudolf Steiner, ''Mantrische Sprüche. Seelenübungen II. 1903-1925, GA 268'', Dornach 1999, S. 304 „Begegnung" wie abgedruckt. | |||
[3] Rudolf Steiner, ''Pastoralmedizinischer Kurs'', GA 318, Dornach, 8. bis 18. September 1924. | |||
== DIE KRANKHEIT SELBER IST DIE HEILUNG == | |||
''Was bedeutet diese Aussage Rudolf Steiners?'' | |||
=== ''Krankheit erzeugt Gesundheit'' === | |||
Ich versuche seit vielen Jahren das Wesen von Krankheit und Gesundheit zu verstehen, es immer besser zu begreifen und es auch zu vermitteln, wann und wo es gebraucht wird. Rudolf Steiner | |||
''„Es mag der Mensch erkranken, so lange er sich entwickelt! Durch die Krankheit entwickelt er sich zugleich zur Gesundheit. So strebt die Krankheit in der Heilung, und sogar im Tode, über sich selbst hinaus und erzeugt die Gesundheit'' – ''nicht als ein dem Menschen Fremdes, sondern als eine aus dem Menschenwesen selbst herausgewachsene, mit diesem Menschenwesen übereinstimmende Gesundheit.“'''[1]''''' | |||
Es ist eine große Leistung, sich den ererbten Körper anzueignen und durch und durch zu individualisieren. Wir sind hier, um unseren Leib nicht nur zu beziehen, sondern ihn auch zu ergreifen und uns anzueignen. Man kann sogar sagen, jeder Mensch gestaltet seine Gesundheit, dieses Gottesgeschenk, aktiv mit. Mir wurde aber so deutlich wie noch nie, dass auch wir selbst es sind, die eine Krankheit hervorbringen. | |||
=== ''Krankheit als krisenhafte Verselbstung'' === | |||
Das kann man an der Krebserkrankung besonders gut ablesen, an dem autonomen Wachstum, dass dieses „autos“ (altgriech.: „selbst“) ''wir selbst'' sind und nicht ein Feind. An unserer gesunden Natur können wir das Tragende, das Vatergöttliche, erleben. Diese gesunde Natur macht nun „Platz“ für ein Krankheitsgeschehen, an dem wir oft über Jahre intensiv tätig sind, um etwas in unserer Entwicklung auszugleichen. | |||
Noch nie stand mir so deutlich vor Augen, was Rudolf Steiner damit gemeint haben könnte, als er sinngemäß sagte: ''„Die Krankheit selber ist die Heilung“''. Das müssen wir nur richtig begreifen und dieses Autonome als selbstgeführt verstehen lernen und dem Selbst des Patienten alle nur mögliche Hilfestellung leisten, um ihm aus dieser krisenhaften „Verselbstung“, die die Krankheit bedeutet, wiederum in Richtung Gesundheit zu verhelfen. | |||
Das ist eigentlich unser therapeutischer, pflegerischer und ärztlicher Beruf: Bruder sein, Schwester sein, Weggenosse sein, der mithilft. | |||
''Vgl. Abschlusswort JK 2009, Dornach, am 17.09.2009'' | |||
----[1] Vgl. Rudolf Steiner, ''Metamorphosen des Seelenlebens'', Band 2, GA 59, Ausgabe von 1984, S. 170. | |||
== DIE POCKENKRANKHEIT UND IHR GEISTIGES GEGENBILD == | |||
''Was ist das geistige Gegenbild der Pockenkrankheit?'' | |||
''Was kann es uns sagen über das Wesen und die Aufgabe der Krankheit?'' | |||
=== ''„Himmelsimagination“ der Pocken'' === | |||
Im ''Jungmedizinerkurs'' schildert Rudolf Steiner die Pockenkrankheit zugleich mit dem gesunden geistigen Gegenbild als eine Art „Himmelsimagination“: | |||
''„Denken Sie sich die Pockenkrankheit, sie zeigt sich unter Symptomen des physischen Leibes. Aber denken Sie sich, man wäre zu folgendem imstande. Stellen Sie sich einen pockenkranken Menschen vor. Der würde in seinem Astralleib und seiner Ich-Organisation die Kraft haben, die ganze Pockenkrankheit heute herauszuziehen und sie nur im astralischen Leib und Ich zu erleben, so dass im Moment sein physischer und Ätherleib gesund würden. Nehmen Sie hypothetisch an, das wäre so. Was ich hier dargestellt habe, kann nicht eintreten, aber wenn Sie diese Imagination haben wollen, müssen Sie, ohne dass Ihr physischer Leib und ätherischer Leib die Pockenkrankheit annimmt, dasselbe, was ich hypothetisch darlegte bei der Pockenkrankheit, durchmachen. Sie müssen im astralischen Leib und in der Ich-Organisation, frei vom physischen und Ätherleib, die Pockenkrankheit durchmachen. Das heißt, Sie müssen geistig erleben, ein geistiges Korrelat von physischer Krankheit. Die Pockenkrankheit, meine lieben Freunde, ist das physische Abbild des Zustandes, in dem Ich-Organisation und Astralleib sind, wenn Sie eine solche Imagination haben. Jetzt werden Sie einsehen, dass bei der Pockenerkrankung einfach im Menschen selber dieser Einfluss geschieht, aus dem in geistiger Erkenntnis die Himmelsimagination wird. (...) Da aber sehen Sie, wie eng verwandt das Kranksein ist mit dem geistigen Leben, nicht mit dem physischen Leib, eng verwandt ist das Kranksein mit dem geistigen Leben. Das Kranksein ist die physische Imagination vom geistigen Leben. Und weil die physische Imagination zu Unrecht da ist, weil sie nicht nachahmen soll gewisse geistige Vorgänge, deshalb ist in der physischen Organisation das, was in der geistigen Welt unter Umständen ein Höchstes ist, unter Umständen in der physischen Organisation Krankheit.'' | |||
''Man muss also die Krankheit so begreifen, dass man sich sagt: Könnten nicht durch gewisse Dinge, die wir morgen einsehen werden, gewisse geistige Wesenheiten heruntergeholt werden, wo sie nicht hingehören, so wären sie auch nicht in der geistigen Welt vorhanden. - Damit aber zeigt sich, wie eng verwandt wirkliches geistiges Erkennen mit der Krankheit ist. Man erkennt eigentlich schon, indem man Geistiges erkennt, die Krankheit. Man kann gar nicht anders: wenn man einmal eine solche Himmelsimagination hat, dann weiß man, was Pockenkrankheit ist, weil sie nur die physische Projektion dessen ist, was man geistig erlebt. So ist es im Grunde genommen mit dem ganzen Krankheitswissen. Man möchte sagen: Wenn der Himmel - oder auch die Hölle natürlich - zu stark ergreifen den Menschen, so wird er krank, wenn sie nur seine Seele und seinen Geist ergreifen, wird er weise oder gescheit oder ein Einsichtiger.“[1]'' | |||
=== ''Fragen zum geistigen Gegenbild der Pocken'' === | |||
''Wie aber kann man die beschriebene Himmelsimagination, in der sich die fünf mehr auf kosmisch-weibliche Art wirksamen Wintersternbilder und die sieben kosmisch-männlich wirksamen Sommersternbilder im harmonischen Zusammenwirken zeigen, mit der Pockenerkrankung zusammenbringen?'' | |||
''Welche der Übungen in „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“ kämen hier in Betracht, um zu zeigen, dass die Kräfte, die beim Üben zu entwickeln wären, jetzt am falschen Platz als physische Imagination von geistigem Leben auftreten?'' | |||
In ''„Die Offenbarungen des Karma''“[2] nennt Rudolf Steiner die Pockenerkrankung ein Organ der Lieblosigkeit. Wenn Liebe sich nicht sozial betätigen kann und sich auch keine schöpferischen Organe im Zusammenwirken von männlichen und weiblichen Qualitäten schaffen kann, wird die Neigung, sich mit der Pockenkrankheit zu infizieren, gefördert. Zusätzlich wird eine der ersten Pflichten und Übungsaufgaben des Geistesschülers verletzt, wenn er im Umgang mit Menschen einen Unterschied macht hinsichtlich Rang, Namen sowie Volkszugehörigkeit, aber auch in Bezug auf das männliche und weibliche Geschlecht. | |||
Letzteres ist besonders prekär. Die vielen täglichen Ungerechtigkeiten, Anzüglichkeiten, Demütigungen und „Gemeinheiten“ zu bemerken, die z.B. Männer gegen Frauen richten – und sie zu überwinden – könnte hier der „nicht am rechten Ort“ stattfindende Schulungsaspekt sein. | |||
Die Pockenerkrankung jedenfalls ist äußerst „sozial“: Das zeigt sich nicht nur am Ansteckungsmodus durch die hohe Kontagiösität und damit Weitergabe an möglichst viele sondern auch durch die Art und Weise, wie sich die Symptomatik aufbaut: Hohes Fieber als physischer Ausdruck von Wärme – die eigentlich seelische und geistige Wärme des Mitgefühls und Verstehens sein sollte – verbindet sich mit einer Blasenbildung an den Oberflächen von Haut, Schleimhäuten und auch den Oberflächen der inneren Organe – als ob sich die Grenzen jetzt physisch öffnen wollten, weil das seelische Sich-füreinander-Öffnen, wie es im Sinne des Schicksals der Betroffenen wäre, nicht gelingt. | |||
Auch haben wir es hier nicht mit einer typisch individuellen Erkrankung zu tun, sondern mit einer epidemisch auftretenden, die eine Antwort, ein Schicksalsausgleich, ist für ein soziales Entwicklungsdefizit, das der „Schicksalsheilung“ durch diese Krankheit bedarf. | |||
''Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015'' | |||
----[1] Rudolf Steiner, ''Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst,'' GA 316, Dornach 2008, S. 119-120. | |||
[2] Rudolf Steiner, ''Die Offenbarungen des Karma'', GA 237. | |||
== ONKOLOGISCHES KRANKHEITSBILD UND SEIN GEISTIGES GEGENBILD == | |||
''Welche geistige Signatur bildet sich körperlich in onkologischen Krankheitsbildern ab?'' | |||
''Was kann und will sie uns sagen?'' | |||
''Welche Gesten sind den Stadien von Krebs abzulesen?'' | |||
=== ''Unbewusste Entwicklung durch Krebs'' === | |||
Krebs ist eine Zeitkrankheit. Viele Menschen sind davon betroffen, ja sogar „gesegnet“ damit. Sie dürfen durch die Krankheit auf unbewusstem Weg etwas für ihre späteren Leben lernen, was ihnen als Lernschritt über das Bewusstsein nicht möglich war. Warum das so ist, schildert Rudolf Steiner eindrücklich im ''Jungmedizinerkurs'', wo er sagt, dass eine Erkrankung zugleich mit ihrem gesunden geistigen Gegenbild als eine Art „Himmelsimagination“ erfasst werden müsste.[1] | |||
Auch über die Krebserkrankung werden geistige Qualitäten erworben – allerdings auf unbewusstem Wege: Ich-Organisation, Astralleib und Ätherleib des Betroffenen bringen diese Krankheit hervor. Er selbst ist es also – allerdings unter der Führung des Herrn des Schicksals. | |||
Im nächsten Leben stehen ihm die dadurch errungenen Fähigkeiten als Disposition zur Verfügung: Jetzt ist es für ihn viel leichter, sich diese anzueignen. | |||
=== ''Stadien der Krebserkrankung'' === | |||
''Wie entwickelt sich Krebs?'' | |||
Irgendeine Zelle fängt an, etwas weniger spezialisiert zu sein, als sie war. Sie geht aus ihrer Differenziertheit in einem Organgebiet zurück in Richtung ihrer embryonalen Herkunft, wo sie kaum spezialisiert und dafür omnipotent war. Normalerweise erkennt das Immunsystem solche Zellen und tötet sie ab. Wenn aber die Immunkompetenz nachlässt oder eine bestimmte Krankheitsdisposition für eine Krebsart sich bereits durchgesetzt hat, beginnt der Krebs lokal zu wachsen. Er durchbricht die Basalmembran und fängt an, infiltrierend zu gedeihen. | |||
Dann erfolgt die Metastasierung. Einzelne Zellen siedeln sich ab, beginnen im Organismus zu wandern. Parallel dazu verändert sich der Gesundheitszustand des betroffenen Menschen insgesamt. Krebs ist eine Allgemeinerkrankung. Der Appetit, das Lebensgefühl, das Schlaf/Wach-Verhalten und die Rhythmen von Herz und Atmung ändern sich. Die Temperaturkurve wird in der Regel flach, manchmal sogar starr, ohne Morgen/Abend-Differenz. | |||
Lässt man all dies auf sich wirken und fragt nach der Eigenart eines solchen Prozesses, so erlebt man ihn als „willkürlich“. Die Körperfunktionen laufen aus dem Ruder. Es bilden sich durch die Metastasierung irgendwo Ansätze zu neuen Organbildungen, völlig willkürlich. Ordnung, Kontrolle, Integrationsfähigkeit schwinden und weichen der Entdifferenzierung, der Schrankenlosigkeit, „der Willkür“. | |||
=== ''Gesten der Krebserkrankung'' === | |||
Die Symptome der Krebserkrankung zeigen zusammengefasst also folgende Gesten: | |||
# Geste: Eine Zelle beginnt sich der immunologischen Kontrolle zu entziehen und ungehemmt zu vermehren – Geschwulst. | |||
# Geste: Die so gebildeten Zellen brechen aus der normalen Organfunktion aus. | |||
# Geste: Sie werden zu Satelliten, die den Körper durchwandern und neue Organe zu bilden beginnen – Metastasen. | |||
# Geste: Die ganze Konstitution wird komplett verändert, Rhythmen, Schlaf, Appetit. | |||
Die Signatur des Krankheitsverlaufs macht es deutlich: Die Krebserkrankung bildet physisch-physiologisch den auf geistiger Ebene so gesunden „Freiheitsimpuls“ ab. | |||
=== ''Krebs durch nicht ausgelebten Freiheitsimpuls'' === | |||
Spirituell gesehen ist der Krebs eine Erkrankung, bei der sich der Freiheitsimpuls seelisch und geistig nicht in der Weise ausleben kann, wie es im Schicksal des betreffenden Menschen liegt. Damit passt der bisher noch nicht aufzuhaltende Siegeszug dieser Krankheit in unsere Zeit, wo jeder Mensch im Grunde vor der Entwicklungsaufgabe steht, seine Identität als Mensch zu erfassen und seine Freiheit gebrauchen zu lernen.[2] Im Krankheitsverlauf erlebt und vollzieht er also unbewusst, was er eigentlich bewusst lernen möchte. | |||
Vielen Krebspatienten wird enorm geholfen, wenn sie das zu begreifen beginnen. Das Interessante ist, dass die Psycho-Onkologie zunehmend mit dem Autonomie-Konzept arbeitet. Man kann vom anthroposophischen Gesichtspunkt aus zutiefst verstehen, dass es nicht anders sein kann. Wir wissen das nicht nur aus empirischen Studien und Dokumentationen, sondern aufgrund tiefer Einsichten in das Wesen dieser Krankheit. | |||
''Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015'' | |||
----[1] Rudolf Steiner, ''Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst,'' GA 316, Dornach 2008. | |||
[2] Siehe auch Michaela Glöckler, ''Gibt es eine Prävention der Krebserkrankung?'', Der Merkurstab 62:416-420, 2009. | |||
== RHEUMATISCHER FORMENKREIS UND SEIN GEISTIGES GEGENBILD == | |||
''Was sagt uns das geistige Gegenbild des rheumatischen Formenkreises über die Hintergründe dieser Erkrankung?'' | |||
''Was sagt es uns hinsichtlich der Heilmöglichkeiten?'' | |||
=== ''Schaffe dir Augenblicke innerer Ruhe'' === | |||
Besonders eindrücklich erweist sich die von Rudolf Steiner im ''Jungmedizinerkurs'' geschilderte Betrachtungsart, eine Erkrankung zugleich mit ihrem gesunden geistigen Gegenbild als eine Art „Himmelsimagination“ zu erfassen,[1] beim rheumatischen Formenkreis. | |||
Hier bildet sich an der vor Schmerz ruhiggestellten Gliedmaße in der körperlichen Symptomatik das ab, was Inhalt der ersten zentralen Übung im Schulungsbuch Rudolf Steiners ist: ''„Schaffe dir Augenblicke innerer Ruhe und lerne in diesen Augenblicken das Wesentliche von dem Unwesentlichen unterscheiden.“''[2] | |||
Wenn Menschen mit rheumatischen Störungen fragen: ''Was kann ich zur Heilung meiner Krankheit beitragen?'' – und nur dann ist es uns erlaubt zu sprechen ''–'' kann man ihnen eine Meditation der inneren Ruhe geben, also das geistige Gegenstück der Krankheit nennen. Wird sie durchführt, schlagen alle Medikamente besser an. Hier ein sehr schönes Beispiel: | |||
''Ich trage Ruhe in mir,'' | |||
''Ich trage in mir selbst'' | |||
''Die Kräfte, die mich stärken.'' | |||
''Ich will mich erfüllen'' | |||
''Mit dieser Kräfte Wärme,'' | |||
''Ich will mich durchdringen'' | |||
''Mit meines Willens Macht.'' | |||
''Und fühlen will ich'' | |||
''Wie Ruhe sich ergießt'' | |||
''Durch all mein Sein,'' | |||
''Wenn ich mich stärke,'' | |||
''Die Ruhe als Kraft'' | |||
''In mir zu finden'' | |||
''Durch meines Strebens Macht.[3]'' | |||
Mit dieser Meditation werden die entsprechenden Kräfte wieder in das Seelisch-Geistige gehoben, wo sie herkommen und wo sie hingehören. Rudolf Steiner erläuterte diese Prinzipien vor den Jungmedizinern, um ihnen zu helfen zu verstehen, warum Patienten diese oder jene Erkrankung hatten. Das gab ihnen eine sehr grundlegende geistige Orientierung. | |||
''Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015'' | |||
----[1] Rudolf Steiner, ''Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst,'' GA 316, Dornach 2008. | |||
[2] Rudolf Steiner, ''Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?'', GA 10, Dornach 1993, S. 29-30. | |||
[3] Rudolf Steiner, ''Mantrische Sprüche - Seelenübungen II''., GA 268, S. 179. | |||
== IMMUNSCHWÄCHE DER HIV-ERKRANKUNG UND IHR GEISTIGES GEGENBILD == | |||
''Was ist das geistige Gegenbild der HIV-Erkrankung?'' | |||
''Was will es uns sagen?'' | |||
=== ''Selbstlosigkeit als Entwicklungsaufgabe'' === | |||
Der HIV-Kranke erlebt, wie sein Immunsystem, das biologisch gesehen optimalerweise egoistisch sein ''müsste'', immer „altruistischer“, d.h. selbstloser, wird und damit immer schwächer. | |||
Im Jungmedizinerkurs schildert Rudolf Steiner eindrücklich, weshalb eine Erkrankung zugleich mit ihrem gesunden geistigen Gegenbild als eine Art „Himmelsimagination“ erfasst werden müsste.[1] | |||
Entsprechend wäre das geistige Gegenbild der HIV-Erkrankung, das am falschen Ort die Symptomatik der Krankheit hervorruft, die geistige Charaktereigenschaft der Selbstlosigkeit. Selbstloser Dienst am Menschheitsganzen ist ''der'' Ausgleich für die materialistische Weltanschauung und die gegenwärtig herrschende Kulturstimmung und Gesinnung. Selbstlose Dienstbereitschaft ist aber auch die Ausgangsbedingung für den christlich-rosenkreuzerischen Schulungsweg, den Rudolf Steiner in seinen Schriften zur geistigen Schulung beschreibt: | |||
''„Er [der Geheimschüler] lernt nicht, um das Gelernte als seine Wissensschätze aufzuhäufen, sondern um das Gelernte in den Dienst der Welt zu stellen.“[2]'' | |||
So kann man in dieser Erkrankung auch eine typische Zeitkrankheit sehen. Was ein Teil der Menschheit verursacht, wird von anderen kompensiert. Man kann – insbesondere in Afrika – sehen, dass viele Menschen leiden müssen, während sich die Verursacher der materialistischen Gesinnung durch ihr Wissen schützen können. Doch im folgenden Erdenleben werden die in diesem Leben Erkrankten wiedergeboren mit den Früchten dieser Krankheit: mit einer Veranlagung zur Selbstlosigkeit und inneren Stärke. | |||
''Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015'' | |||
----[1] Rudolf Steiner, Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst, GA 316, Dornach 2008. | |||
[2] Rudolf Steiner, ''Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?,'' GA 10, Dornach 1993, S. 28. | |||
== FÜNF TORE FÜR KRANKHEIT UND HEILUNG == | |||
''Über welche Tore erreichen Krankheit wie auch Heilung den Menschen?'' | |||
=== ''Krankheitsursachen und Heilmöglichkeiten auf fünf Ebenen'' === | |||
Es gibt fünf Möglichkeiten bzw. Ebenen, die Krankheit verursachen können: | |||
==== 1. Physische Ebene ==== | |||
Zur physischen Ebene gehören ungesunde Einflüsse aus der Umwelt, falsche Ernährung sowie alles, was unseren physischen Körper angreift und ihm Schaden zufügt – wie z.B. Missbrauch und physische Gewalt. | |||
Heilend wirken dagegen alle Einflüsse, die den physischen Leib stärken und ihm wohltun. Dazu gehört auch die physische Komponente aller Körpertherapien und Bäder. | |||
==== 2. Ätherische Ebene ==== | |||
Zur ätherischen Ebene gehört unser Umgang mit Zeit und Rhythmus. Wir werden krank durch einen falschen Umgang mit der Zeit, der sich in fehlenden Lebensrhythmen und verschiedensten ungesunden Gewohnheiten niederschlägt, die den Lebensprozessen zuwiderlaufen. Dazu gehört aber auch unser Gedankenleben, ob wir unserem Denken eine geistige Ausrichtung geben oder ob es in sinnlichen Vorstellungen befangen bleibt. | |||
Heilend wirken eine rhythmische, die Lebensprozesse unterstützende Lebensweise sowie Gedanken, die sich an geistigen Inhalten ausrichten wie z.B. an den christlichen Idealen. | |||
==== 3. Astrale bzw. Beziehungsebene ==== | |||
Zur astralen Ebene gehören unsere Beziehungen sowie unser gesamtes Schicksalsumfeld. Wir können krank werden durch belastende menschliche Beziehungen, durch Unehrlichkeit, Verlogenheit, Missgunst, Misstrauen, Desinteresse, Respektlosigkeit zwischen Menschen. | |||
Wenn wir umgekehrt Wahrhaftigkeit, Interesse und Respekt vor unserer Autonomie erleben und anderen ebenso begegnen, fühlen wir uns seelisch gestärkt, was sich gesundend auf alle Wesensglieder auswirkt. | |||
==== 4. Identität – Ich-Ebene ==== | |||
Zur Ich-Ebene gehört, inwieweit wir uns unserer Identität, des seelisch-geistigen Wesens unseres Ich, bewusst sind. Gesundheit und Krankheit sind weitgehend davon abhängig. | |||
Ein Mensch, der mit sich selbst uneins ist, der mit anderen Menschen, mit seinem Schicksal und seinem Beruf hadert, unterliegt einer permanenten Selbstkränkung, die dadurch zustande kommt, dass er sich in seinem Verhältnis zur Welt nicht kennt. Angelus Silesius formuliert dieses Rätsel kurz und prägnant mit folgenden Worten: | |||
''Ich weiß nicht, wer ich bin.'' | |||
''Ich weiß nicht, was ich weiß.'' | |||
''Ich bin ein seltsam Ding,'' | |||
''ein Pünktchen und ein Kreis.'' | |||
Wer lernt, sich als Individuum zu begreifen und zu bejahen mit individuellen Entwicklungsherausforderungen, zugleich sich aber auch seiner sozialen Aufgabe bewusst ist als Umwelt für andere, wird in diesem Spannungsfeld keinen Widerspruch erleben, sondern eine Quelle der Heilung und Kraft. | |||
==== 5. Weltbezug – allgemein-menschliche Ebene ==== | |||
Das letzte Tor für Krankheit ist die allgemein-menschliche Ebene und hat mit unserem Verhältnis zur Mitwelt zu tun. Denn alles, was wir je gelernt haben, was wir unbewusst in der Weisheit unserer Wesensglieder als Gedanken über die Welt, als Beziehung zur Welt, als Identitätsbewusstsein und Willenskraft entwickelt haben, ist uns nur in der Begegnung mit anderen Menschen und mit der Welt bewusst geworden. A''lles'', was wir sind, haben unserer Mitwelt zu verdanken. Zu den Erfahrungen, von denen wir profitiert haben, gehören auch die unangenehmen, diejenigen, in denen wir gemobbt, geärgert, betrogen und angelogen wurden. Denn | |||
* durch all das erwacht einerseits das Bewusstsein, wie destruktiv solche Verhaltensweisen doch sind. Wir sollten uns deshalb eingestehen, dass wir eine solche Behandlung offensichtlich nötig hatten, um ihr destruktives Potential kennenzulernen. | |||
* Andererseits können wir aber auch Mitleid entwickeln an den destruktiven Zeitverhältnissen und den Verhaltensweisen, die sie hervorbringen: Sie können uns daran erinnern, dass es unendlich viel Leid in der Welt gibt und dass es uns selbst vielleicht ein bisschen zu gut geht. | |||
=== ''Mysterium der menschlichen Identität'' === | |||
Alles Destruktive, das uns begegnet, hat einen Sinn, denn es macht uns wach für das Gute. Natürlich tut es weh und schmerzt, aber es bringt Erkenntnis mit sich und stählt den Willen zum Guten. Alles Positive dagegen gibt uns Kraft und Hoffnung. | |||
Erlebt man sich als Mensch unter Menschengeschwistern, die voneinander lernen, einander begleiten, sich gegenseitig Unterstützung sind, so gut es eben geht, fühlt man sich geborgen in einem Entwicklungszusammenhang, der ohne die anderen nicht denkbar wäre. Die daraus erwachsende Dankbarkeit und das Vertrauen, dass der Umkreis die Lernerfahrungen bereithält, die man gerade braucht – auch die sogenannten negativen – wirken zutiefst gesundend. | |||
Dank der ganz individuellen Umgebung, die jeder von uns hat, wird unser allgemein von den Göttern geschenktes Leben zu etwas Individuellem: Erst durch die Annahme unseres persönlichen Schicksals werden wir ganz wir selbst, aber auch durch unseren individuellen physischen Leib und unsere ganz individuelle physische Umgebung. Je mehr man dieses Mysterium der menschlichen Identität begreift, umso gesünder wird man. | |||
''Vgl. Vortrag anlässlich des Jubiläums des 100. Geburtstags von Werner Junge, Okt. 2012'' | |||
== SPIRITUELLE PRÄVENTION == | |||
''Was wird durch Krankheit gelernt und wie wirkt es sich aus?'' | |||
''Wie kann aus diesem Verständnis heraus auf spiritueller Ebene Krankheit vorgebeugt werden?'' | |||
=== ''Geistiges Verständnis von Krankheit'' === | |||
Ein geistiges Verständnis von Krankheit geht weit über die psychologische Deutung und die körperlichen Untersuchungsmöglichkeiten hinaus und wird dadurch erst der Würde des Menschen gerecht. Auf dieser Ebene ist es dann auch möglich, die Krankheit selbst als etwas Heilsames anzunehmen, ja lieben zu lernen. Denn sie lässt den Menschen auf körperlicher Ebene etwas erleben, was er auf bewusste Weise zu leben nicht oder nicht genügend in der Lage war, und fördert damit seine Entwicklung. | |||
Die Früchte eines solch unbewussten, durch die Krankheit herbeigeführten und mit dem Tode endenden Lernprozesses können sich zwar oft in diesem zu Ende gehenden Erdenleben nicht mehr zeigen. Sie werden aber, so wie alle Erdenerfahrungen, in das nachtodliche Leben mitgenommen und beeinflussen die Art und Weise, wie das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt in der geistigen Welt durchgemacht wird. Im nächsten Leben können sie dann als „mitgebrachte", das heißt bereits in einem früheren Leben erworbene Fähigkeiten auftreten und unter Umständen die ganze Biographie prägen. | |||
=== ''Sich am Gesunden orientieren'' === | |||
Eine spirituelle Krankheitsvorbeugung kann sich nur am gesunden Menschen und seiner Bestimmung orientieren. Sie beruht auf dem freiwilligen Zuvorkommen von Krankheiten durch die Einsicht in die Entwicklungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten des Menschen und die entsprechende persönliche Anstrengung, damit die Fähigkeiten erlernt werden, auf die es individuell, sozial und menschheitlich in einer bestimmten Zeitepoche ankommt. Dann braucht es selbst bei vorhandener Krankheitsdisposition nicht dazu zu kommen, dass sich diese zu erarbeitenden Eigenschaften und Fähigkeiten auf körperlicher Ebene unbewusst als Krankheiten „abbilden“ und auswirken. | |||
Wer im Denken nach Wahrheit strebt, im Fühlen nach Liebe und im Wollen nach Freiheit, wird lebenslang ringen müssen mit den Möglichkeiten der Oberflächlichkeit und Lüge, in deren Gefolge die vielen Lieblosigkeiten bis hin zu Hass und Spott auftreten. Auch die Neigung, andere Menschen oder Vorgänge zu manipulieren und zu etwas zu zwingen und der Drang, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, bedürfen zu ihrer Überwindung ständiger Arbeit. Liebe zur Freiheit ist gefragt – auch zu der Freiheit anderer Menschen. | |||
Durch das freiwillige Erleben von Schmerzen, wie sie mit ehrlicher Selbsterkenntnis und Selbsterziehung immer verbunden sind, kann eine wirksame Krankheitsvorbeugung geleistet werden. Dann besteht keine Notwendigkeit mehr, dass der Körper selber auf den Wegen der Erkrankung Schmerzen erzeugt. Das kann ein Ansporn sein, durch Selbsterziehung an der eigenen Gesundung mitzuarbeiten – soweit dies aufgrund der individuellen und sozialen Schicksalsgegebenheiten möglich ist. | |||
''Vgl. „Spirituelles Krankheitsverständnis aus anthroposophischer Sicht", aus „Spiritualität, Krankheit und Heilung – Bedeutung und Ausdrucksformen der Spiritualität in der Medizin", VAS-Verlag 2007'' |
Aktuelle Version vom 4. April 2025, 11:09 Uhr
Krankheit – von Michaela Glöckler
Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
GRUNDLEGENDES ZUM SINN VON KRANKHEIT
Welchen Sinn hat Krankheit im Leben des Menschen?
Inwiefern ist Krankheit ein spezifisch menschliches Phänomen?
Sinn von Krankheit bei Mensch und Tier
Ein Vergleich zwischen Mensch und Tier in Bezug auf ihre Erkrankungsmöglichkeiten zeigt, dass Krankheit und Leiden spezifisch menschliche Phänomene sind.
· Wenn Tiere erkranken
Wenn Tiere in der Wildnis erkranken, kommen sie entweder sehr rasch zu Tode oder die Erkrankung ist so leicht, dass sie ohne weiteres damit weiterleben können.
Welchen Sinn sollte eine Krankheit auch im Leben eines Tieres haben?
Die Lebensweise eines Hundes, eines Vogels, einer Biene oder einer Maus ist in ihrer Art vollkommen. Das Erleben von Schmerz und Leid würde keinen Wandel, keine neue Entwicklungsmöglichkeit bewirken. Eine Biene kann nicht noch „bieniger“, eine Kuh nicht noch „kuhiger“ werden, als sie es schon ist.
· Wenn der Mensch erkrankt
Nur der Mensch kann täglich menschlicher werden. Ihm ist es gegeben, durch Leid und Schmerz Erfahrungen zu sammeln, die ihn in seiner Entwicklung weiterbringen. „Sicherheit“ und „Gesundheit“ als höchste Lebensideale sind mit der menschlichen Existenz auf Dauer nicht zu vereinbaren, denn jede Entwicklung bedarf der Krisensituationen, um fortschreiten zu können. Entwicklung zur Freiheit ohne die Möglichkeit, zu irren und zu entgleisen, ist nicht denkbar.
Leiden erscheint nur dann sinnlos, wenn der Zusammenhang nicht mehr sichtbar ist, in dem dieses Leiden steht. Daher ist es notwendig, die menschliche Entwicklung als Ganzes mit all ihren Möglichkeiten ins Auge zu fassen und den Gedanken an wiederholte Erdenleben mit einzubeziehen. Das ist der Boden, auf dem die Frage nach dem Zustandekommen und dem Sinn geistiger und körperlicher Behinderungen auf wesentliche und fruchtbare Art bearbeitet werden kann.
Vgl. „Wie sind Leib, Seele und Geist in Gesundheit und Krankheit verbunden?“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart
KRANKHEIT ALS ERKENNTNISWEG DER NATUR
Was ist Krankheit aus spiritueller Sicht?
Was ist der tiefere Sinn von Krankheit im Hinblick auf die Entwicklung des Menschen?
Das Geheimnis von Gesundheit und Krankheit
Das Geheimnis der menschlichen Entwicklung, das zugleich das Geheimnis von Gesundheit und Krankheit ist, lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Wenn sich jemand in Richtung Menschheitsziel entwickelt, wenn er an der Wahrheit und an der Welt interessiert ist und seine Freiheit und seinen Willen, so gut er kann, in den Dienst des Geistes stellt, kann er gar nicht verhindern, dass er immer gesünder wird. Das gilt auch dann, wenn er aus karmischen Gründen diese oder jene Krankheit durchzumachen hat. Mit der oben genannten Haltung lässt sich alles besser verkraften.
Nachdem Rudolf Steiner einmal über diese Zusammenhänge einen Vortag gehalten hatte, sprach ihn im Abschluss jemand darauf an, dass so viele Anthroposophen krank sind. Daraufhin antwortete er: „Ich möchte Ihnen nicht erzählen, wie krank sie wären, wenn sie die Anthroposophie nicht kennen gelernt hätten.“ Humor ist natürlich auch gesund.
Wenn bestimmte Ziele gar nicht angestrebt und deshalb auch nicht erreicht werden, wenn es so ist, wie es in der Apokalypse heißt, dass die Menschen sich nicht ändern, dass sie in ihrer Entwicklung stehen bleiben, dass sie nichts tun und nicht vom Fleck kommen, wenn es irgendwann solche Formen annimmt, dass alle Güter der Welt im Dienst des Ego stehen, dann werden alle möglichen Leiden und Schmerzen die Folge sein. Wir sind dieser alten Gesetzmäßigkeit, die ausführlich erklärt wird im Buch der Apokalypse, noch nicht zur Gänze entwachsen. Diese Gesetze bilden immer noch den Grundstock unserer Natur. Es wird auch deutlich gemacht, dass jeder selbst den Schlüssel in der Hand hat, um dem entgegenzuwirken.
Rudolf Steiner beschreibt in „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“[1] in Gedankenform, was er uns in der Apokalypse in Bildform vor Augen führt: Wie der Mensch sich zuerst als individuelles Wesen entwickelt, um schließlich den Weg zum Gral zu finden und ein soziales „menschheitliches“ Wesen zu werden.
Krankheit als unbewusstes Einweihungsgeschehen
Wenn wir die Skizze vom Merkurstab betrachten, haben wir hier im oberen Teil das bewusste Leben und im unteren Bereich das unbewusste Leben. Die merkurielle Dynamik führt die Kräfte des Oberen – das außerkörperliche Erkenntnisleben – in die Wirkbereiche des Unteren – in die unbewussten Lebenswelten des Stoffwechsels – über und umgekehrt. Das ist zugleich die Schwellendramatik zwischen der sinnlichen und der übersinnlichen Welt. Sie zeigt, wie Krankheit dadurch entstehen kann, dass man an dieser Grenze, der Schwelle zur geistigen Welt, körperlich, seelisch oder geistig – wodurch auch immer verursacht – die rechte Orientierung verliert.
Wenn ein Mensch nun eine bestimmte Fähigkeit erwerben möchte, z.B. inneren Frieden, Ruhe, und er die Bedingungen nicht vorfindet, um diese Qualität zu entwickeln, kann es zu einer Erkrankung kommen, die Frieden am falschen Platz erzeugt. Denn die Kräfte, die inneren Frieden herstellen können, sind potentiell immer vorhanden. Wenn sie aber auf der seelisch-geistigen Ebene nicht genützt werden, wo sie gesundheitsfördernd wirken würden, sinken diese ungenützten Kräfte Nacht für Nacht tiefer in das unbewusste Körperleben und der Betreffende entwickelt Rheuma. Das nur als Beispiel.
Es kostet unseren Körper unglaublich viel Kraft, eine Krankheit hervorzubringen. Ein normaler Organismus möchte gesund sein. Zusätzliche Kräfte aus dem Seelisch-Geistigen sind nötig, um diesen Extraaufwand krank zu werden zu bewerkstelligen. Heilung bedeutet nun, diese Kräfte wieder an ihren richtigen Platz zu erheben und Kräfte im Körper aufzurufen, die sie dorthin bringen. Daraus lässt sich eine „spirituelle Pathogenese“, eine Aufklärung über die Herkunft von Leiden ableiten. Wir können jede Station dieses Weges anschauen und begreifen, was geschieht, wenn die Erkenntniskräfte, anstatt im Geistigen tätig zu sein, im Körperlichen zu wirken beginnen und damit eine Krankheit hervorrufen.
Entscheidend dabei ist jedoch, dass Krankheit in diesem Kontext nicht als Makel, Fehler oder Irrtum gebrandmarkt wird. Vielmehr ist Sinn der Krankheit ihr Auftreten selbst, weil in ihr die – wenn auch schmerzhafte – Korrektur, und damit auch die Heilung, veranlagt ist. Krankheit erscheint in diesem spirituellen Kontext als ein Gutes, das sich im Körper oder in der Seele des Menschen einen Ort schafft, an dem sich der notwendige Schicksalsausgleich vollziehen kann.
Vgl. mit einer Zusammenstellung von Vorträgen über „Die sieben Siegel der Apokalypse“ gehalten 2007
[1] Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der Höheren Welten?, GA 10.
KRANKHEIT, HEILUNG UND DIE FRAGE NACH DEM SINN
Haben Krankheiten einen Sinn?
Gibt es unterschiedliche Arten der Sinngebung, je nach Schicksal und Umfeld?
Wie können Betroffene sinnstiftend mit Krankheit umgehen?
Drei unterschiedliche Arten von Heilung und Sinn
Wer die Krankengeschichten im Matthäus-, Markus-, Lukas- und Johannes-Evangelium liest, begegnet drei unterschiedlichen Arten von Heilung und Sinngebung. Dabei sind es die jeweiligen Schicksalsumstände, unter denen die Krankheit auftritt, die zu der Art der Heilung und Sinngebung Anlass geben.
· Heilung auf der individuell-persönlichen Ebene
Als typisches Beispiel sei hier die Begegnung mit dem Blinden von Jericho angeführt:
„Und sie kamen nach Jericho. Und als er aus Jericho herauszog, gefolgt von seinen Jüngern und einer großen Menge, da saß der Sohn des Thimäus, Bartimäus, ein blinder Bettler, am Wege. Und als er hörte, dass Jesus von Nazareth vorüberkäme, begann er laut zu rufen: Sohn Davids, Jesus, habe Erbarmen mit mir! Und viele drohten und geboten ihm zu schweigen. Er aber rief nur umso lauter: Sohn Davids, habe Erbarmen mit mir! Da blieb Jesus stehen und sprach: Ruft ihn herbei. Und sie riefen den Blinden herbei und sprachen zu ihm: Mutig, stehe auf, er ruft dich! Da warf er seinen Mantel ab, sprang auf seine Füße und eilte zu Jesus. Und Jesus sprach zu ihm: Was soll ich für dich tun? Der Blinde sprach: Meister, gib, dass ich mein Augenlicht zurückerlange. Und Jesus sprach: Geh hin, dein Glaube hat dich geheilt. Und plötzlich konnte er wieder sehen und folgte ihm auf seinem Wege nach.“[1]
In dieser Krankengeschichte wird der Name des Betroffenen genannt, es findet eine individuelle Begegnung, ein „Arzt-Patienten-Gespräch“ statt. Es wird auch beschrieben, wie der Kranke sich verhalten soll und wie der Geheilte sich danach verhält: „...und folgte ihm auf seinem Wege nach“.
Diese Krankengeschichte erfordert individuelle medizinische Beratung – wie es heute fast ausschließlich geschieht. Die Heilung auf der individuellen Ebene wird in den Evangelien von einer inneren Erweckung bzw. Bekehrung begleitet.
· Heilung im Sozialen, im Schicksalsumkreis des Betroffenen
Wenig beachtet werden heutzutage Krankengeschichten, bei denen nicht der Kranke selbst im Mittelpunkt steht, sondern bei denen es mehr um die Menschen im Umkreis geht, die im Zusammenhang mit der Heilung eine innere Verwandlung durchmachen. Hier sei „der Hauptmann von Kapernaum“ als Beispiel genannt:
„Als er diese Rede, die auch das Volk mitanhörte, vollendet hatte, ging er nach Kapernaum. Dort lag der Diener eines Hauptmanns darnieder und war dem Tode nahe; und er war ein Vertrauter des Hauptmanns. Als dieser nun von Jesus hörte, sandte er die Ältesten der Juden zu ihm und ließ ihn bitten, er möchte kommen, um seinem Diener das Leben zu retten. Sie kamen zu Jesus und baten ihn inständig mit den Worten: Er ist deines Beistandes würdig, denn er liebt unser Volk, und die Synagoge hat er uns erbaut. Und Jesus machte sich mit ihnen auf den Weg. Und als sie schon nahe bei dem Hause des Hauptmanns waren, sandte ihm dieser seine Freunde entgegen und ließ ihm sagen: Herr, bemühe dich nicht, ich bin nicht würdig, dass du in mein Haus eintrittst, darum habe ich auch nicht gewagt, selber zu dir zu kommen. Sprich nur ein Wort, so muss mein Knabe gesund werden. Ich bin auch ein Mensch, der höheren Gewalten untersteht, und ich wiederum habe Soldaten unter mir, und wenn ich zu dem einen spreche: Geh, so geht er, und zu dem anderen: Komm, so kommt er; und wenn ich zu meinem Diener sage: Tue dies, so tut er's. Als Jesus das hörte, erstaunte er, wandte sich zu der ihm nachfolgenden Menge und sprach: Ich sage euch, nirgends in Israel habe ich eine solche Kraft des Vertrauens gefunden. Und als die Abgesandten wieder in das Haus kamen, fanden sie den Diener genesen.“[2]
In dieser Krankengeschichte tritt das individuelle Schicksal des Betroffenen nicht in Erscheinung. Die entscheidenden Veränderungen, von denen im Zusammenhang mit der Heilung berichtet wird, vollziehen sich vielmehr bei den Menschen im Schicksalsumkreis des Kranken. Durch die plötzliche Krankheit des Knechtes finden die Ältesten der Juden, der Hauptmann selbst und dessen Freunde hin zu Christus. Der „Erfolg“, der Sinn der Krankheit, zeigt sich nicht am Betroffenen selbst, sondern an Menschen seines Schicksalsumkreises.
Kein Schicksal gleicht dem anderen
Es mag auf den ersten Blick befremden, dass ein Mensch eine schwere Krankheit durchmacht und es vor allem darum geht, was die ihn pflegenden und an seinem Leben und seiner Entwicklung Anteil nehmenden Menschen dadurch erleiden und erlernen. Doch der Blick in die tägliche Praxis zeigt, dass das oft der Fall ist:
- Es gibt Krankheiten, die primär für die Betroffenen Sinn machen, während die Menschen im Umkreis bemüht sind, bei diesen Lernprozessen zu helfen, selber jedoch keine größeren Änderungen ihrer Lebenseinstellung oder Lebenseinsichten erfahren.
- Es gibt aber auch genau das Umgekehrte: Der Erkrankte tröstet seine nahen Mitmenschen trotz der Schwere seines Zustandes, während die Menschen in seinem Umkreis von Verzweiflung, Sorge, Angst und Unsicherheit gezeichnet sind.
Die Schicksalsbeziehungen unter den Menschen sind außerordentlich differenziert. Was zählt, ist einerseits das ganz Individuelle der Entwicklungssituation des Einzelnen und andererseits seine Beziehung zu den Menschen um ihn herum. Im Hinblick auf die Schicksalsbeziehungen der Menschen untereinander kommen wir in einen Bereich, in dem alles unvergleichlich, besonders und einmalig ist. Kein Schicksal gleicht einem anderen; denn was innerlich durchgemacht und erlebt wird von den Menschen, unterscheidet sich sehr, so ähnlich auch die Lebensläufe nach außen hin erscheinen mögen. Das erkennt man, wenn man Einblick bekommt in das, was Menschen während ihres Lebens tatsächlich erlebt, erlitten und erreicht haben.
· Heilung und Sinngebung im Hinblick auf die ganze Menschheit
Neben der individuell-persönlichen und sozialen Ebene gibt es noch eine dritte Ebene der Schicksalsbetroffenheit – die menschheitliche. Wie der einzelne Mensch sein Schicksal hat, so haben auch Menschengruppen, Religionsgemeinschaften, Völker, größere und kleinere soziale Vereinigungen wie Familien oder Arbeitsgemeinschaften ihr Schicksal. Darüber hinaus gibt es aber auch noch den allumfassenden menschheitlichen Schicksalszusammenhang. Die Menschheit als Ganzes hat sich durch die Jahrtausende hindurch entwickelt, hat ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart und ihre Zukunft – hat ihr Schicksal im Weltganzen.
Die Art des Krankseins um der Menschheit willen wirft die „letzten Fragen“ auf, rührt an den Kern unserer Persönlichkeit, an das in uns wirksame geistige Wesen, das wir mit dem Wort „ich“ benennen. Obgleich jeder mit diesem Wort sich selber kennzeichnet, ist es doch zugleich auch der Name aller Menschen. Wer ich bin ich sagt, macht damit deutlich, dass er sich mit sich selbst identifiziert – und dies tut jeder auf seine Art. Alle sind wir Menschen – aber wie wir das zum Ausdruck bringen, auf welchen Wegen wir zu uns selber kommen, wirklich wissen, wer wir sind – das macht uns zur einmaligen Individualität. Wir erkennen dabei auch, wie viel wir von anderen, aber auch aus der Entwicklungsgeschichte der Menschheit gelernt haben.
Was kann Heilung auf der menschheitlichen Ebene bedeuten?
Auch hier hat die Krankheit eine aufrüttelnde Bedeutung, indem sie dem Einzelnen seine Zugehörigkeit zum Menschheitsganzen bewusst machen kann. Als Beispiel für diese Art von Krankengeschichte sei die erste aus dem Lukas-Evangelium angeführt:
„Und er kam hinab nach Kapernaum, in die galiläische Stadt. Und auch dort lehrte er am Sabbat. Und die Menschen gerieten in Ekstase durch seine Lehre, denn sein Wort wirkte mit Geistgewalt. In der Synagoge war auch ein Mensch, der von einem unreinen Dämon besessen war. Dieser schrie mit lauter Stimme: Was ist es, das uns an dich bindet, Jesus von Nazareth? Bist du gekommen, uns zu vernichten? Ich weiß, wer du bist: Du bist der Heilige Gottes! Jesus erhob seinen Arm gegen ihn und sprach: Schweig und verlasse ihn! Da warf der Dämon den Menschen mitten im Raum zu Boden und fuhr von ihm aus, ohne ihm zu schaden. Alle waren voller Staunen und sprachen zueinander: Welche Gewalt des Wortes! Als wäre alle Schöpfermacht und Weltenkraft in ihm, so gebieterisch spricht er zu den unreinen Geistern, und sie müssen ihm weichen. Und die Kunde von ihm verbreitete sich durch das ganze umliegende Land.“[3]
Im Vergleich mit den beiden anderen hier angeführten Krankengeschichten fällt auf, wie wenig wir über den betroffenen Menschen in der Synagoge von Kapernaum erfahren. Es findet kein persönliches Gespräch mit ihm statt. Christus spricht vielmehr nur mit dem Geist seiner Krankheit, dem Dämon, und gebietet ihm, den Kranken zu verlassen. Auch die im Umkreis Stehenden werden keines Wortes gewürdigt. Sie sprechen untereinander und wundern sich, wie diese Heilung möglich war. Hier wird auf die rein geistige Ebene der Krankheit hingewiesen.
Notwendige Auseinandersetzung mit dem Bösen
Aus dieser Art Krankengeschichte geht hervor, dass die Menschheit offensichtlich die Auseinandersetzung mit dem Bösen und der Krankheit für ihre Entwicklung braucht. Davon künden alle Schöpfungsmythen, alle archetypischen Erzählungen von Licht und Finsternis – aber auch unsere tägliche Lebenserfahrung als Menschen des 21. Jahrhunderts.
Wo vergeht ein Tag, an dem wir nicht dem Bösen, dem Destruktiven oder zumindest dem Hemmenden in uns oder um uns begegnen, an dem uns diese dunkle Seite des Menschseins nicht durch Zeitung und Fernsehen vor Augen geführt wird?
Die Frage nach dem Sinn des Bösen gehört zu den wichtigsten, aber auch unerträglichsten, die das Leben an uns stellt. Wie sehr wünschte man sich die Möglichkeit menschlicher Entwicklung ohne die Auseinandersetzung mit diesem Alptraum des Menschlichen, dem schlechthin Inhumanen, Bösen und Widernatürlichen, so wie es gerade im 20. Jahrhundert durch Kriege und Völkermord und Brutalität im häuslichen Milieu tausendfältig in Erscheinung getreten ist und sich weiter fortsetzt. Und dennoch lehrt schon der schlichte Blick in die tägliche Lebenserfahrung, dass ohne die individuelle Auseinandersetzung mit dem Irrtum und dem Bösen etwas Wichtiges nicht entstehen könnte: das Bewusstsein von Selbständigkeit und Freiheit. Freiheit als zentrale Dimension menschlicher Würde ist mit Notwendigkeit gebunden an die Möglichkeit zu irren. Damit muss auch in der Konstitution einer Welt, in der Freiheit zur Entwicklung kommen soll, das Böse, das Entgegengesetzte, vorhanden sein dürfen.
Und so gibt es in der Medizin auch die Frage nach dem Geistig-Wesenhaften, das Krankheit und Heilung zugrunde liegt. Auf diese Dimension weist die Hiobsgeschichte aus der Bibel hin, an deren Beginn ein Dialog zwischen Gott und dem Teufel steht. Goethe hat in seinem „Prolog im Himmel“ zu Beginn des Dramas „Faust“ daran angeknüpft. Hiob, aber auch Faust, werden gesund bzw. gerettet, weil sie sich entwickeln, weil sie lernen und die innere Orientierung am Göttlichen nicht verlieren. Am Bösen erwacht der Sinn für das Gute, im Krankheitserleben die Sehnsucht nach Gesundheit und Heilung.
Vgl. „Begabungen und Behinderungen“, 10. Kapitel, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2004
[1] Neues Testament, Markus 10, 46-52, zit. nach der Übersetzung von Emil Bock.
[2] Neues Testament, Lukas 7, 1-10, zit. nach der Übersetzung von Emil Bock.
[3] Lukas 4, 31-37, zit. nach der Übersetzung von Emil Bock.
GEISTIG-SEELISCHE ERKRANKUNGEN
Wie entstehen geistig-seelische Erkrankungen?
Zusammenhang von unbewusstem und bewusstem Seelenleben
Es macht den Reichtum des menschlichen Seelenlebens aus, dass Gedanken, Gefühle und Willensimpulse ständig zusammenwirken.
Das Selbstbewusstsein, das in der Kindheit erwacht, hat die Aufgabe, im Laufe des Lebens dieses Zusammenwirken lenken und beherrschen zu lernen. In dem Maß, in dem es gelingt, wird das Seelenleben ein Abbild der in sich geordneten und aufeinander bezogenen körperlichen Funktionen und wirkt wohltuend und gesundend auf sie zurück. Um nun das Auftreten geistiger Behinderungen oder auch seelischer Erkrankungen verstehen zu können, ist es nötig, noch auf einen anderen Sachverhalt des Seelenlebens einzugehen: auf den Zusammenhang von unbewusstem und bewusstem Seelenleben.
Wie von Rudolf Steiner erforscht, werden im Laufe der Entwicklung die Kräfte, die vorher am Aufbau des Leibes mitgewirkt haben, für das bewusste Seelenleben frei. Die im Leibesleben „inkarnierten“ Seelenkräfte wirken unbewusst, die vom Leib befreiten seelischen Kräfte werden als Gedanken, Gefühle und Willensorientierung ins Bewusstsein gehoben.
Ursprung von psychischen Erkrankungen
Gelangen nun im Laufe der Entwicklung leibfrei gewordene Wachstumskräfte ins Bewusstsein, die von der integrierenden Kraft der Seele, dem „Ich“, nicht beherrscht werden können, weil ihnen noch etwas von der inkarnierenden, organbezogenen Eigendynamik anhaftet, so beginnen sie im Seelenleben eine Eigendynamik zu entwickeln.
Hier liegt der Ursprung der sogenannten Seelen- und Geisteskrankheiten: Gedanken können dann auftauchen und den Menschen bedrängen mit einer Lebhaftigkeit und Intensität, wie sie dem sonst so schattenhaften Denken nicht eigen sind. Sie können dem Menschen als Bildgestaltungen gegenübertreten, die von ihm nicht beherrscht werden und sein Gefühls- und Willensleben in Anspruch nehmen. Besonders deutlich ist dies bei den verschiedenen Formen der Schizophrenie der Fall:[1] Wahnvorstellungen, Zwangsgedanken, Entfremdungserlebnisse, unbeherrschbare Emotionen, Willenslähmung und die Neigung zu Tobsucht zeigen, welche dieser Bereiche des Seelenlebens der Ich-Kontrolle entglitten sind. Das Ich ist nicht mehr Herr über bestimmte Aspekte des Seelenlebens, sondern unter Umständen von einem oder mehreren Gedanken beherrscht, und der Mensch folgt ihnen zwanghaft in seinem Gefühls- und Willensleben.
Solche Menschen sprechen dann von Ahnungen und Eingebungen oder in fortgeschrittenen Stadien auch von „Stimmen“, die sie hören, oder von Personen, die ihnen erschienen sind, die sie zu diesem und jenem veranlasst haben. Die Inhalte des Gedanken-, Gefühls- und Willenslebens sind nicht mehr ich-durchdrungen wie im gesunden Seelenleben und werden so auch oft nicht mehr als zum eigenen Selbst gehörig erlebt, sondern als etwas Bedrohliches, Fremdes.
Anthroposophische Therapie bei geistig-seelischen Erkrankungen
Ein anthroposophisch orientierter Psychiater wird daher seine Therapie einerseits auf die Behandlung der Organsysteme und -funktionen richten, dem die pathologischen Seeleninhalte als metamorphosierte Wachstumskräfte entstammen. Auf der anderen Seite wird er mit Hilfe der künstlerischen Therapie und des Gespräches versuchen, das Ich des Kranken so weit zu stärken, dass dieser die Kontrolle über sein Seelenleben wieder erlangen kann. Er wird auch versuchen, mit Pädagogen und Eltern ins Gespräch zu kommen, damit Frühsymptome rechtzeitig erkannt und dem Ausbrechen einer solchen schweren Seelenkrankheit wirksam vorgebeugt werden kann.
Ganz entscheidend ist auch die Art und Weise, wie Lehrer mit den frei werdenden Bildekräften umgehen und bei Tage das Seelenleben des Kindes beeinflussen und wie die nächtlichen Aufbau- und Regenerationsvorgänge in der Wachstumsphase ablaufen können.
Vgl. Kapitel „Wie sind Leib, Seele und Geist in Gesundheit und Krankheit verbunden?“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart
[1] Vgl. Rudolf Treichler, Der schizophrene Prozeß, vergriffen.
GRUNDLEGENDES ZU KÖRPERLICHEN ERKRANKUNGEN
Wie kommt es zu körperlichen Erkrankungen?
Krankheit als unkontrollierter Emanzipationsvorgang von Kräften
So wie sich jede seelische Erkrankung beschreiben lässt als Ausdruck von Gedanken, Gefühlen und Handlungsimpulsen, die nicht mehr der Ich-Kontrolle unterworfen sind, so lässt sich auch jede körperliche Erkrankung als ein Emanzipationsvorgang bestimmter Funktionen und biologischer Gesetzmäßigkeiten beschreiben, die sich nicht mehr den kontrollierenden Instanzen des Organismus unterwerfen.
Sie kommen zustande, wenn sich die seelischen Kräfte zu stark im Leib betätigen oder aber zu sehr aus ihrer notwendigen Verbindung mit dem Leib lösen. Ergänzt man die herkömmliche Diagnostik mit dieser Sichtweise, wird nicht nur das Wesen der Krankheit besser verständlich, sondern es erschließen sich auch neue Möglichkeiten für die Therapie: Es wird deutlich, durch welche seelische und geistige Aktivität die Gesundung mit beeinflusst werden kann, weil man beginnt, die Prozesse zu verstehen, denen der Leib-Seele-Zusammenhang gehorcht.
Anthroposophische Medizin als Ergänzung
Rudolf Steiner legte großen Wert darauf, dass die Anthroposophischen Möglichkeiten für Diagnostik und Therapie als Ergänzung zur gegenwärtigen Schulmedizin und nicht als eine Alternative aufgefasst werden. Die geisteswissenschaftliche Forschung Rudolf Steiners erschließt vielmehr die seelischen und geistigen Hintergründe für physiologische Vorgänge. Sie diese in ein neues Licht rücken, will deren Erforschung auf naturwissenschaftlichem Wege nicht ersetzen, sondern die notwendige Ergänzung dazu sein.
Vgl. Kapitel „Wie sind Leib, Seele und Geist in Gesundheit und Krankheit verbunden?“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart
GRUNDLEGENDES ZU KÖRPERLICHEN ERKRANKUNGEN
Wie kommt es zu körperlichen Erkrankungen?
Krankheit als unkontrollierter Emanzipationsvorgang von Kräften
So wie sich jede seelische Erkrankung beschreiben lässt als Ausdruck von Gedanken, Gefühlen und Handlungsimpulsen, die nicht mehr der Ich-Kontrolle unterworfen sind, so lässt sich auch jede körperliche Erkrankung als ein Emanzipationsvorgang bestimmter Funktionen und biologischer Gesetzmäßigkeiten beschreiben, die sich nicht mehr den kontrollierenden Instanzen des Organismus unterwerfen.
Sie kommen zustande, wenn sich die seelischen Kräfte zu stark im Leib betätigen oder aber zu sehr aus ihrer notwendigen Verbindung mit dem Leib lösen. Ergänzt man die herkömmliche Diagnostik mit dieser Sichtweise, wird nicht nur das Wesen der Krankheit besser verständlich, sondern es erschließen sich auch neue Möglichkeiten für die Therapie: Es wird deutlich, durch welche seelische und geistige Aktivität die Gesundung mit beeinflusst werden kann, weil man beginnt, die Prozesse zu verstehen, denen der Leib-Seele-Zusammenhang gehorcht.
Anthroposophische Medizin als Ergänzung
Rudolf Steiner legte großen Wert darauf, dass die Anthroposophischen Möglichkeiten für Diagnostik und Therapie als Ergänzung zur gegenwärtigen Schulmedizin und nicht als eine Alternative aufgefasst werden. Die geisteswissenschaftliche Forschung Rudolf Steiners erschließt vielmehr die seelischen und geistigen Hintergründe für physiologische Vorgänge. Sie diese in ein neues Licht rücken, will deren Erforschung auf naturwissenschaftlichem Wege nicht ersetzen, sondern die notwendige Ergänzung dazu sein.
Vgl. Kapitel „Wie sind Leib, Seele und Geist in Gesundheit und Krankheit verbunden?“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart
HIOB – SCHULD UND KRANKHEIT
Was kann uns die Geschichte von Hiob über Krankheit lehren?
Besteht ein Zusammenhang zwischen Krankheit und Schuld?
Vorspiel im Himmel
Die schwer verständliche Geschichte von Hiob[1] hat ein Vorspiel im Himmel. Dort spricht Gott, der Herr, mit dem Teufel und lobt seinen Knecht Hiob, an dem kein Fehl und Tadel ist. Der Teufel hört sich das an, weist jedoch darauf hin, dass es für Hiob nicht schwer sei, ein gottgefälliges Leben zu führen, da es ihm ja so gut gehe. Er habe alles, was ein Mann zum Leben brauche: eine liebe Frau, Kinder, Reichtum, Freunde und – Gesundheit. „Aber“, so setzt der Teufel hinzu, „recke deine Hand aus und taste an alles, was er hat: was gilt's, er wird dir ins Angesicht absagen.“ Gott, der Herr, lässt sich auf diese Wette ein und gibt dem Teufel die Macht, Hiob mit allen nur erdenklichen Plagen zu schaden – mit einer Ausnahme: Er darf ihn nicht töten.
Und so kommt Hiob völlig „schuldlos“ in Elend und Not, sodass schließlich alle an ihm zweifeln und ihn verdächtigen, insgeheim eine schwere Sünde auf sich geladen zu haben, da Gott gemäß dem jüdischen Glauben keine Unschuldigen straft. Hiob, der sich keiner Schuld bewusst ist, und der Schicksalsumkreis, der in Hiobs Krankheit und Not ebenfalls keinen Sinn erkennen kann, werden vorbereitet, etwas noch viel Tieferliegendes zu verstehen: dass man auch dadurch „schuldig“ werden kann, dass man meint, Irrtum und Böses seien nur bei anderen Menschen zu finden, wohingegen man selber schon untadelig und rein sei.
Schicksalsfragen
Doch selbst wenn man schon ohne Fehl und Tadel wäre und ein echt gottgefälliges Leben führen würde, müsste man sich fragen:
Was waren die Bedingungen meiner Entwicklung?
Wodurch habe ich mein untadeliges Wesen erwerben können?
Wie konnte ich überhaupt lernen, ein guter Mensch zu werden?
Wie viel habe ich dabei von anderen gelernt?
Wie oft sah ich fremdes Leid und lernte daraus und wurde so davor geschützt, selbst den das Leid verursachenden Fehler zu machen?
Ist mein fortgeschrittener Entwicklungsgrad nicht auch der Tatsache geschuldet, dass andere in meinem Umfeld noch Seelenqual, Schuld, Krieg und Not erleiden?
Es liegt nahe, einzusehen, dass man sein So-Sein den Menschen verdankt, mit denen man gelebt hat. Man verdankt es aber auch der Tatsache, dass die Menschheit als Ganzes in Entwicklung begriffen ist: Wenn wir im eigenen Schicksalsumkreis mit einem bestimmten Problem nicht konfrontiert wurden, von dem wir hätten lernen können, berichtet uns die Menschheitsgeschichte darüber, lernen wir aus den Erfahrungen anderer. Wir verdanken unser So-Sein nicht nur dem persönlichen Schicksalsumfeld, sondern auch dem großen Entwicklungsprozess der Menschheit selbst. Als Hiob diese Tatsache zu begreifen begann, wurde er als würdig erachtet, Gott zu schauen. Er hat den Sinn des Mensch-Seins erfahren und dabei die Gottesnähe erlebt – gerade auch im Leid.
Drei Ebenen von Schuld
Damit erfährt auch der Begriff der „Schuld“ eine Erweiterung:
- Es gibt die individuelle Schuld, über die sich der einzelne Mensch am besten selbst Rechenschaft ablegt.
- Dann gibt es das Schuldig-Werden an anderen Menschen, auch dann, wenn man davon nicht einmal weiß: Man lebt in der Illusion, richtig gehandelt zu haben, und ahnt nicht, zu welchen Schmerzen oder gar Zusammenbrüchen das eigene Handeln bei anderen Menschen geführt hat. Diese Schädigung anderer Menschen, die einem nicht einmal bewusst war, bedarf in irgendeiner Form des Ausgleichs, u.U. auch erst in einem späteren Erdenleben.
- Es gibt aber auch Schuld auf der menschheitlichen Ebene. Sie hat mit Gott selbst zu tun: Indem ER von Anbeginn der Schöpfung das Böse als Bestandteil unserer Entwicklung zuließ, trägt auch Gott für diesen Ratschluss, diesen Urentscheid „Schuld“. Ausdruck davon sind im Alten und Neuen Testament Stellen, an denen unmittelbare Zwiesprache z.B. zwischen Gott und Teufel oder zwischen Christus und dem Geist einer Krankheit stattfindet.
Verwandlung von Schuld
Angesichts allgegenwärtiger Schuld, z.B. was sich an sogenannter Kollektivschuld in Deutschland und anderen Ländern angehäuft hat, aber auch im Hinblick auf die vielfältige Verschuldung des modernen Lebens gegenüber Mensch und Natur, ist es hilfreich sich zu fragen:
Was will diese Verschuldung – woher auch immer sie kommt – uns, mich, heute lehren? Wie kann ich Schuld durch tätige Mitverantwortung auflösen und verwandeln helfen?
Durch eine solche Fragehaltung erfährt Schuld eine wohltuende Metamorphose. Denn es geht nicht mehr darum, wer etwas verschuldet hat, sondern einzig und allein darum, worauf diese sogenannte Schuld hinweisen und aufmerksam machen will – was man an ihr und durch sie lernen kann und welche positiven Entwicklungsmöglichkeiten dadurch eröffnet werden. Eine solche Auffassung von Schuld hilft uns nicht nur, mit wachsender Dankbarkeit und innerer Ruhe auf Leben und Mitwelt hinzublicken. Sie hilft uns auch, im Falle von Leid oder Krankheit, die uns scheinbar „unschuldig“ treffen, zu erkennen, dass man dadurch bewusst am Leid der Menschheit Anteil nimmt – und nicht nur persönliche Verfehlungen ausgleicht. Vorbild dafür ist in der biblischen Tradition das Buch Hiob, und im neuen Testament ist es der Christus, der schuldlos „der Welt Sünde trägt“.
Vgl. „Begabungen und Behinderungen“, 10. Kapitel, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2004
[1] Aus dem Buch Hiob des Alten Testaments. - Goethe hat diese „Krankengeschichte“ im Faust, dem modernen Hiob-Buch, dramatisiert. Damit bekommt gerade dieser Krankheitstypus für die heutige Menschheit besonderes Gewicht. Denn die Faustgestalt steht für die Entwicklungsdramatik des modernen Menschen, der sich seines Paktes mit dem Teufel, das heißt seiner Beziehung zum Bösen, bewusstwerden kann.
FOLGEN DES FEHLENS SPIRITUELLER WERTE
Welche Folgen hat eine spirituelle Erziehung im späteren Leben?
Folgen fehlender Spiritualität im Kindesalter
Fehlt die religiöse Erziehung im Kindesalter, so haben es die Betreffenden im späteren Leben sehr viel schwerer, sich auf die Suche nach spirituellen Werten zu machen, da sie auf keinerlei Erfahrung zurückgreifen können und damit auch nicht recht wissen, was sie überhaupt suchen sollen.
· Drogenkonsum
Dass das wirklich so ist, erleben wir heute an der immer stärker anwachsenden Tendenz zu Suchtkrankheit und Drogenabhängigkeit. Denn die Suchtkrankheit ist die Krankheit der Religionslosigkeit.[1] Fragt man Drogenabhängige, was sie in der Drogenszene finden, wird deutlich, dass es sich um genau die Qualitäten und Werte handelt, die den religiösen Erfahrungen entsprechen: Ruhe und Geborgenheit, Erleben vertrauensvoller menschlicher Beziehungen, Licht- und Wärmeerlebnisse – also intensive Sinneserlebnisse und starke Selbsterfahrung. So sagen sie oft, dass es der unerträgliche Zweifel am Sinn des Lebens war, der sie in die Sucht trieb, oder dass sie die Schlechtigkeit und Ungerechtigkeit der Welt nicht ertrugen oder aber, dass sie keine Liebe und Geborgenheit unter Menschen erlebt haben. Das alles hätten sie erst in der Drogenszene gefunden.
Auch wenn die Drogenkarriere keine echte Perspektive für das Leben darstellt, überwiegt bei den Betroffenen die Dankbarkeit, dass sie vorübergehend ihre quälenden Zweifel und Ängste ablegen können und sich aufgenommen fühlen von einer anderen Welt, die erfüllt ist von Farben und Licht, von Freundschaft und Geborgenheit. Wer Drogen nimmt, betritt diese Welt zwar ohne waches Selbstbewusstsein, aber er entrinnt auf diese Weise wenigstens der Enge, Dürftigkeit und Einsamkeit des scheinbar so sinnlosen Alltagslebens.
· Neue Krankheiten
Rudolf Steiner hat zu Beginn dieses Jahrhunderts in Vorträgen immer wieder darauf hingewiesen, dass neue Krankheiten auftreten werden, wenn weitere drei Generationen in der gleichen Art leben wie zur damaligen bereits vom Materialismus bestimmten Zeit. Die körperlichen Kraftreserven, die aufgrund der Vererbung für mehrere Generationen reichen, wären nach ca. 100 Jahren verbraucht. Der Mensch wäre dann darauf angewiesen, zusätzliche geistige Kräfte aufzunehmen, damit der Leib nicht zerbricht, sondern sich verwandeln kann.[2]
Zusammenhang zwischen Geist und Gesundheit
Um diesen Zusammenhang zwischen Geist und Gesundheit zu verstehen, bedarf es der Kenntnis eines der wichtigsten Forschungsergebnisse Rudolf Steiners für Pädagogik und Medizin: Die Kenntnis vom Gesetz der Metamorphose der Wachstumskräfte in Gedankenkräfte. Steiner fand heraus, dass die Kraft, die dem Wachstum, der Regeneration und damit auch der Selbstheilung des Organismus zugrunde liegt (in der Anthroposophie „ätherischer Organismus“ genannt), identisch ist mit der Kraft, die der Mensch aufwendet, wenn er denkt. In seinem gemeinsam mit der Ärztin Ita Wegman verfassten Buch „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“ führt er diesbezüglich aus:
„Es ist von der allergrößten Bedeutung zu wissen, dass die gewöhnlichen Denkkräfte des Menschen die verfeinerten Gestaltungs- und Wachstumskräfte sind. Im Gestalten und Wachsen des menschlichen Organismus offenbart sich ein Geistiges. Denn dieses Geistige erscheint dann im Lebensverlaufe als die geistige Denkkraft.
Und diese Denkkraft ist nur ein Teil der im Ätherischen webenden menschlichen Gestaltungs- und Wachstumskraft. Der andere Teil bleibt seiner im menschlichen Lebensbeginne innegehabten Aufgabe getreu. Nur weil der Mensch, wenn seine Gestaltung und sein Wachstum vorgerückt, das ist, bis zu einem gewissen Grade abgeschlossen sind, sich noch weiter entwickelt, kann das Ätherisch-Geistige, das im Organismus webt und lebt, im weiteren Leben als Denkkraft auftreten."[3]
Neues Paradigma der psychosomatischen Medizin
Bei diesem Forschungsergebnis handelt es sich um das neue Paradigma der psychosomatischen Medizin, auf dem Erziehung und Medizin in Zukunft immer mehr aufbauen müssen, wenn sie weiterhin erfolgreich sein wollen.
Denn schon heute ist die psychosomatische Forschung weitgehend zu der Erkenntnis gelangt, dass beispielsweise ein Mensch mit guter Lebensmotivation, mit Zukunftsidealen und der Fähigkeit, seinem Leben einen Sinn zu geben, ein weit besseres Immunsystem und bessere Möglichkeiten der Rekonvaleszenz hat als jemand, der diesen positiven Zugang zum Leben nicht besitzt.[4]
Vgl. „Welchen Auftrag hat die Religion in Erziehung und Heilkunst?“ aus „Die Heilkraft der Religion“, Stuttgart 1997
[1] Ron Dunselmann, An Stelle des Ich. Rauschdrogen und ihre Wirkung, Stuttgart 1996.
[2] Rudolf Steiner, Die Sendung Michaels. GA 194.
[3] Rudolf Steiner; Ita Wegman, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen, GA 27.
[4] Vgl. Richard Wagner (Hrsg.), Immunologie und Krebskrankheit, Stuttgart 1993;
Martin Straube, AIDS-Sprechstunde, Stuttgart 1996.
DAS GEHEIMNIS DES MERKURSTABS
Was ist unter dem „Geheimnis des Merkurstabs“ zu verstehen?
Wie kann dieses neue Mysterien-Prinzip angewandt werden in Diagnostik und Therapie?
Was besagt der esoterische Krankheitsbegriff?
Wie können mit seiner Hilfe die Kräfte „des Oberen und des Unteren“ wieder an den rechten Ort gebracht werden?
Der esoterische Krankheitsbegriff
Der esoterische Krankheitsbegriff ist eng mit dem „Geheimnis des Merkurstabs“ verbunden. Er besagt, dass der Mensch etwas, das er in seinem Leben offensichtlich „zu seinem Heil“ braucht, nicht auf dem gesunden Wege „am rechten Ort und zur rechten Zeit“ durchmachen bzw. lernen konnte. Nun gibt ihm sein persönliches, soziales bzw. menschheitliches Schicksal die Gelegenheit, das Erwünschte auf dem Krankheitswege durchzumachen und so das Lern- bzw. Entwicklungsziel zu erreichen:
- Was wir bewusst auf dem Erkenntnisweg erarbeiten, ist von Michael inspiriert.
- Was wir unbewusst durch Schmerz und Leid erringen, wird von Raphael begleitet.
Das ist mit dem „Geheimnis des Merkurstabs“ als neuem Mysterien-Prinzip gemeint.
Rudolf Steiner sagt von diesem „Geheimnis des Merkurstabs“, dass Ärzte und Therapeuten es immer besser handhaben lernen sollten. Dabei kann uns die offene Lemniskate des Merkurstabs helfen, denn sie bildet ab, worum es bei diesem neuen Mysterien-Prinzip geht: um die Funktionsdynamik des Ätherischen. Nicht nur ist diese Dynamik unserem Herzen zutiefst eingeschrieben wie ein Siegel, sie bestimmt auch über den ganzen Kreislauf, ja über unsere gesamte menschliche Konstitution. Unser physischer Leib ist aufgebaut durch ätherische und astrale Kräfte sowie durch Kräfte der Ich-Organisation. Diesem Aufbau liegt ein unglaublich lebendiges, kraftvolles, Gesetzes-Prinzip zugrunde, das sich unserem Bewusstsein entzieht.
Ita Wegman beschreibt den Schlüssel zu diesem neuen Mysterien-Prinzip, das ein Raphael-Mysterium ist, in ihrer Vorrede zu dem gemeinsam von ihr und Rudolf Steiner verfassten Buch „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“.[1] Rudolf Steiner hatte ihre Vorrede zwar nicht in die Druckfassung des Buches übernommen, sie blieb aber erhalten und wurde von Walter Holtzapfel, von 1969 bis 1977 Leiter der Medizinischen Sektion, erstmals im Rundbrief der Sektion publiziert.[2]
Krankheit physisch und geistig gesehen
Ita Wegman schreibt dort von zwei Hauptursachen des Krankseins (auf die wir hier nicht näher eingehen wollen), die beide vom Physischen und vom Geistigen aus gesehen und beschrieben werden können:
„Ein kranker Mensch ist aber immer ein ganz individueller Fall. Es gibt nicht zwei Menschen, die in gleichem Sinne krank sein können. Die Naturdinge, die ungeistig sind, führen auf allgemeine Gesetze zurück. Das Individuelle ist immer der Ausdruck der Wirksamkeit seelisch-geistiger Gesetze. Diese Gesetze sind nicht in Begriffe zu fassen, sondern nur für die Anschauung erreichbar. (...)
Die Seelenübungen, die zur geistigen Anschauung führen, bestehen entweder in einer Abschwächung oder einer Verschärfung des Seelenlebens. Die Abschwächung des Seelenlebens ist innerhalb des Seelischen eine Nachahmung der Krankheiten der ersten Art, die Verschärfung eine Nachahmung der Krankheiten der zweiten Art. Wer also die Seelenverfassung kennt, die aus solchen Übungen stammt, kennt die Krankheiten, denn er hat in seinen Seelenzuständen Bilder davon. Beschreibt er durch das, was er an diesen Bildern erlebt, die physischen Symptome der Krankheiten, so liefert er jedem Arzt Beschreibungen, die dieser nachprüfen kann. Hält die Beschreibung der Nachprüfung stand, so werden damit auch die Angaben des Erforschers des Geistigen bestätigt. Und lässt sich der Arzt immer wieder auf die Beschreibungen eines solchen Geistesforschers ein, so kann er sich aus dessen Schilderungen des Symptomen-komplexes nach und nach selbst die geistige Anschauung erwerben. Wir sind durchaus der Meinung, dass das ganz richtige Lesen dieses Buches jeden Arzt in die Lage versetzt, selbst die Krankheiten geistig anzuschauen.[3]
Es geht also darum, zu verstehen, dass der Übungsweg aus „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“[4] mit Mühen und seelischen Schmerzen verbunden ist, die denen entsprechen, die der Körper erleidet, wenn er krank ist. Krankheit erscheint der geistigen Anschauung als ein Kraftkomplex, der sich eigentlich hätte seelisch-geistig betätigen sollen, nun aber am falschen Ort leiblich aktiv wird.
Sinnfindung durch Umgang mit den geistigen Urbildern von Krankheiten
Es ist nun Aufgabe des Arztes, hinter jeder körperlichen Krankheit das Geistige zu sehen, das sich in dieser Krankheit am falschen Ort manifestiert. Damit wird aber auch der Sinn der Krankheit im individuellen Schicksal erkannt und die Krankheit „als physische Imagination vom geistigen Leben“[5] angeschaut, wie es Rudolf Steiner im Jungmedizinerkurs[6] zum Jahresanfang 1924 formuliert hatte. Therapie bedeutet in diesem Kontext, das Physisch-Imaginative auf den (Rück)Weg zur Gesundung, d.h. zum richtigen Ort, dem Geistig-Imaginativen zu bringen. So gesehen wäre das Buch zur Selbstschulung von Rudolf Steiner „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“ auch unter dem Aspekt zu lesen, welcher Krankheit dadurch vorgebeugt werden kann, wenn man eine der dort beschriebenen Übungen macht. Autoimmunerkrankungen können z.B. als leibliche Projektion der geistigen Übung, „sich selbst wie ein Fremder gegenüber zu stehen“ angesehen werden.
Gelingt es einem Menschen nicht, ein für dieses Leben seelisch-geistig veranlagtes Lernziel zu erreichen, so wählt er sich zum Ausgleich den unbewussten Weg durch die Krankheit, um das gewünschte Ziel so doch noch zu erreichen.
Anforderungen an den Arzt
Wenn der Erkrankte nicht nach diesen esoterischen Hintergründen fragt, sollte der Arzt darüber schweigen. Denn dann besteht die Gefahr, dass der hier geschilderte Tatbestand Schuldgefühle im Kranken weckt, die seine krankhafte Symptomatik verstärken können. In diesem Fall kann der Arzt das geistige Gegenstück der Krankheit im Bewusstsein haben, wenn er dem Kranken gegenübertritt. Dann wirkt er durch seine Gegenwart „gesundend“ auf den Patienten.
Gleichzeitig ist der Umgang mit diesen geistigen Urbildern auch für den Arzt die beste Prävention. Denn indem er mit den entsprechenden Übungen arbeitet, im Grunde also geistig und seelisch mit den Gegenbildern der Krankheiten lebt, haben diese Kräfte bei ihm keine Veranlassung, sich an falschen Orten kränkend zu betätigen.
So tritt in der Anthroposophischen Medizin zu den schulmedizinischen und komplementärmedizinischen Therapieverfahren noch die Möglichkeit hinzu, durch ein spirituelles Krankheitsverständnis Prävention, Krankheit und Heilung in ihrem Zusammenhang tiefer zu verstehen. Diese Einsichten therapeutisch handhaben zu lernen, kann u.a. Wesen und Inhalt einer Raphael-Schule sein.
Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015
[1] Rudolf Steiner und Ita Wegman, Grundlegendes zu einer Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen, GA 27, Dornach 2007.
[2] Wiederabdruck in: Rundbrief für die Mitarbeiter der Medizinischen Sektion am Goetheanum in aller Welt. Nr. 2, Advent 1993.
[3] Ita Wegman, nicht veröffentlichte Vorrede zu Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst, Siehe Seiten 43-46.
[4] Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der Höheren Welten?, GA 10.
[5] Rudolf Steiner, Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst, GA 316, Dornach 2009, S. 104.
[6] Rudolf Steiner, Jungmedizinerkurs, GA 316.
DER ESOTERISCHE KRANKHEITSBEGRIFF
Was besagt der esoterische Krankheitsbegriff?
Krankheit als Einweihung über den Tod hinaus
Im Jungmedizinerkurs[1] kann man nachlesen, dass jede Krankheit auch eine unbewusste Einweihungsbegegnung mit dem Hüter der Schwelle ist. In einem Notizbucheintrag Rudolf Steiners befindet sich ein erster Entwurf einer Meditation für die Jungmediziner, der später eine andere Form bekam. Es handelt sich um eine rein esoterische Formulierung:
Begegnung
Es strömen an der Schwelle
Sinnesdunkel und Geisteshelle
Zum Blendwerk ineinander.
Dieses Blendwerks Abbild
Ist die Krankheit.
In der Krankheit lebet der Hüter,
Begegnung im Geist bewusst.
Begegnung im Körper unbewusst.[2]
Selbst wenn ein Mensch an einer Krankheit stirbt, die ihm viele Schmerzen bereitet hat, wird er nach dem Tode davon profitieren: Die ätherischen Kräfte, die am Verlauf der Krankheit beteiligt waren, z.B. indem sie Krebswucherungen erzeugten, lösen sich nach dem Tod aus dem ätherischen Organismus heraus und vereinigen sich mit allem, was der Mensch durch bewusste Erkenntnis erringen konnte. Denn nach dem Tod erwacht der Mensch zu allem, was er auf Erden getan hat, egal ob bewusst oder unbewusst. Was er durch Krankheiten auf unbewusste Weise errungen hat, auch durch Schmerzen, wird ihm nach dem Tode bewusst und er begreift, dass der Sinn seiner Krankheit darin lag, sie zu durchleiden. Durch Krankheit erreicht der Mensch über die körperliche Ebene in der Sphäre der Naturgesetze dasselbe Entwicklungsziel wie über den rein geistigen Entwicklungsweg.
Geheimnisse von Gesundheit und Krankheit
Zum besseren Verständnis dieser Prinzipien: Rudolf Steiner nennt im „Pastoralmedizinischen Kurs“[3] einen Spruch für Priester und Ärzte, der das Geheimnis des Merkurstabes in Worte fasst und eine Verbindung herstellt zu den genannten Zeilen aus dem Grundsteinspruch. Er lautet sinngemäß:
„Ich werde den Weg gehen,
der die Elemente in Prozess auflöst.
Er bringt mich hinunter zum Vater,
der die Krankheit schickte,
damit das Karma ausgeglichen wird,
und bringt mich hinauf zum Geist,
der die Seele durch Irrtümer (und Schuld) geleitet,
damit sie Freiheit entwickelt.“
Das ist der Merkurstab in Worten – alle Geheimnisse von Gesundheit und Krankheit sind in dieser einen Meditation zusammengefasst:
- Der Vatergott schickt uns Krankheit bzw. Störungen, um das Schicksal auszugleichen. Das geschieht in der Nacht, die die Domäne des Vaters ist. Wir nehmen den Körper, wie er ist. Auch können wir die Geburtsumstände nicht verändern.
- Der Christus führt hinab zum Vater und hinauf zum Geist, um im Zuge der Entwicklung den Geistesmenschen im Erdenmenschen zu erschaffen.
- Das alltägliche Leben, die Möglichkeit Tag für Tag über Versuch und Irrtum zu lernen, ist die Domäne des Heiligen Geistes, der weiß, dass wir im Leben irren können. Wir geraten in Schuld, wenn wir nicht unseren eigenen Weg finden, wenn wir nicht das Gute suchen und zu tun bestrebt sind.
Geschenke des Christus
Dieser Gedanke ist sehr schmerzlich, doch kann es nicht anders sein: Man kann keine Freiheit erlangen, ohne Grenzen erlebt zu haben. Man kann nicht lernen in Freiheit zu lieben, wenn man nicht erlebt hat, wie es sich anfühlt, nicht geliebt zu werden oder wie schmerzlich es ist, wenn man anderen schadet. Wir brauchen die Dunkelheit, um das Licht verstehen zu können. Liebe und Freiheit brauchen einander. Deshalb kann echte Liebe alles aushalten, alles verarbeiten. Sie ist der Heiler unseres ICH BIN, wenn dieses lernt, unsere Liebesressourcen anzuzapfen.
Jeder Moment der Verzweiflung, des Todes, des Wandels, der Transformation, ist ein Geschenk des Christus: die Tatsache, dass wir uns verwandeln können, dass wir sterben und uns transformieren können; dass wir Regeln brechen und neue kreieren können. Das Mysterium des Lebens ist, dass es in den Tod mündet, sodass Tod die Frucht des Lebens ist. Wir werden geboren, um zu sterben. Das ist die Sphäre von Christus, dem Meister des Schicksals.
Die drei Rosenkreuzerworte
Drei Zeilen aus der Grundsteinmeditation, auch Rosenkreuzerworte genannt, können uns in Bezug auf Krankheit und Gesundheit geistige Orientierung geben und dem besseren Verständnis dieser Sphäre dienen.
1. „Ex deo nascimur“
Wir entwickelten uns aus dem Vatergott – wir sind Kinder des Vaters, aus dem Vater geboren.
2. „In christo morimus“
In Christus sterben wir. Unsere große Chance liegt in der Art, wie wir uns darauf vorbereiten: ob wir ihm, unserem Höheren Ich, mehr oder weniger bewusst begegnen werden. Das ganze Leben dreht sich um die Suche nach diesem Höheren Ich, dem Christus, denn wir tragen in uns die Sehnsucht, IHM zu begegnen. Im Todesmoment begegnen IHM alle Menschen als dem höchsten Hüter der Schwelle, egal, wie materialistisch sie gesinnt waren. Und je nachdem, wie sie sich vorbereitet haben, schlafen sie entweder ein oder bleiben wach, um zwischen Tod und einer neuen Geburt mit dem Heiligen Geist die nächsten Lernerfahrungen zu planen, z.B. auch, ob bestimmte Krankheiten „gebraucht werden“ in der nächsten Inkarnation.
3. „Per spiritum sanctum reviviscimus“
Wir werden im Heiligen Geist erwachen zu unserer Aufgabe, uns selbst und andere zu heilen. Wir werden initiiert, werden auferweckt durch den Heiligen Geist.
Anhand dieser drei Zeilen können wir erkennen, dass die Vergangenheit aus dem Vater geboren wurde mitsamt dem vollen Risiko von Krankheit. Denn Krankheit hat mit unserem Körper zu tun und mit den Kräften, aus denen wir geboren wurden. Heilung ist ein zukünftiges Ziel – unangreifbar, unverwundbar zu werden. Das liegt weit in der Zukunft. Zwischen diesen Polen haben wir das Risiko des Lebens, das immer in Gefahr ist. Das Gleichgewicht kann in jedem Moment verloren gehen und wir werden krank – oder wir finden neue Kräfte und stehen wieder auf.
Vgl. mit einer Zusammenstellung von Vorträgen über „Die sieben Siegel der Apokalypse“ gehalten 2007
[1]Rudolf Steiner, Jungmedizinerkurs, GA 316.
[2] Rudolf Steiner, Mantrische Sprüche. Seelenübungen II. 1903-1925, GA 268, Dornach 1999, S. 304 „Begegnung" wie abgedruckt.
[3] Rudolf Steiner, Pastoralmedizinischer Kurs, GA 318, Dornach, 8. bis 18. September 1924.
DIE KRANKHEIT SELBER IST DIE HEILUNG
Was bedeutet diese Aussage Rudolf Steiners?
Krankheit erzeugt Gesundheit
Ich versuche seit vielen Jahren das Wesen von Krankheit und Gesundheit zu verstehen, es immer besser zu begreifen und es auch zu vermitteln, wann und wo es gebraucht wird. Rudolf Steiner
„Es mag der Mensch erkranken, so lange er sich entwickelt! Durch die Krankheit entwickelt er sich zugleich zur Gesundheit. So strebt die Krankheit in der Heilung, und sogar im Tode, über sich selbst hinaus und erzeugt die Gesundheit – nicht als ein dem Menschen Fremdes, sondern als eine aus dem Menschenwesen selbst herausgewachsene, mit diesem Menschenwesen übereinstimmende Gesundheit.“[1]
Es ist eine große Leistung, sich den ererbten Körper anzueignen und durch und durch zu individualisieren. Wir sind hier, um unseren Leib nicht nur zu beziehen, sondern ihn auch zu ergreifen und uns anzueignen. Man kann sogar sagen, jeder Mensch gestaltet seine Gesundheit, dieses Gottesgeschenk, aktiv mit. Mir wurde aber so deutlich wie noch nie, dass auch wir selbst es sind, die eine Krankheit hervorbringen.
Krankheit als krisenhafte Verselbstung
Das kann man an der Krebserkrankung besonders gut ablesen, an dem autonomen Wachstum, dass dieses „autos“ (altgriech.: „selbst“) wir selbst sind und nicht ein Feind. An unserer gesunden Natur können wir das Tragende, das Vatergöttliche, erleben. Diese gesunde Natur macht nun „Platz“ für ein Krankheitsgeschehen, an dem wir oft über Jahre intensiv tätig sind, um etwas in unserer Entwicklung auszugleichen.
Noch nie stand mir so deutlich vor Augen, was Rudolf Steiner damit gemeint haben könnte, als er sinngemäß sagte: „Die Krankheit selber ist die Heilung“. Das müssen wir nur richtig begreifen und dieses Autonome als selbstgeführt verstehen lernen und dem Selbst des Patienten alle nur mögliche Hilfestellung leisten, um ihm aus dieser krisenhaften „Verselbstung“, die die Krankheit bedeutet, wiederum in Richtung Gesundheit zu verhelfen.
Das ist eigentlich unser therapeutischer, pflegerischer und ärztlicher Beruf: Bruder sein, Schwester sein, Weggenosse sein, der mithilft.
Vgl. Abschlusswort JK 2009, Dornach, am 17.09.2009
[1] Vgl. Rudolf Steiner, Metamorphosen des Seelenlebens, Band 2, GA 59, Ausgabe von 1984, S. 170.
DIE POCKENKRANKHEIT UND IHR GEISTIGES GEGENBILD
Was ist das geistige Gegenbild der Pockenkrankheit?
Was kann es uns sagen über das Wesen und die Aufgabe der Krankheit?
„Himmelsimagination“ der Pocken
Im Jungmedizinerkurs schildert Rudolf Steiner die Pockenkrankheit zugleich mit dem gesunden geistigen Gegenbild als eine Art „Himmelsimagination“:
„Denken Sie sich die Pockenkrankheit, sie zeigt sich unter Symptomen des physischen Leibes. Aber denken Sie sich, man wäre zu folgendem imstande. Stellen Sie sich einen pockenkranken Menschen vor. Der würde in seinem Astralleib und seiner Ich-Organisation die Kraft haben, die ganze Pockenkrankheit heute herauszuziehen und sie nur im astralischen Leib und Ich zu erleben, so dass im Moment sein physischer und Ätherleib gesund würden. Nehmen Sie hypothetisch an, das wäre so. Was ich hier dargestellt habe, kann nicht eintreten, aber wenn Sie diese Imagination haben wollen, müssen Sie, ohne dass Ihr physischer Leib und ätherischer Leib die Pockenkrankheit annimmt, dasselbe, was ich hypothetisch darlegte bei der Pockenkrankheit, durchmachen. Sie müssen im astralischen Leib und in der Ich-Organisation, frei vom physischen und Ätherleib, die Pockenkrankheit durchmachen. Das heißt, Sie müssen geistig erleben, ein geistiges Korrelat von physischer Krankheit. Die Pockenkrankheit, meine lieben Freunde, ist das physische Abbild des Zustandes, in dem Ich-Organisation und Astralleib sind, wenn Sie eine solche Imagination haben. Jetzt werden Sie einsehen, dass bei der Pockenerkrankung einfach im Menschen selber dieser Einfluss geschieht, aus dem in geistiger Erkenntnis die Himmelsimagination wird. (...) Da aber sehen Sie, wie eng verwandt das Kranksein ist mit dem geistigen Leben, nicht mit dem physischen Leib, eng verwandt ist das Kranksein mit dem geistigen Leben. Das Kranksein ist die physische Imagination vom geistigen Leben. Und weil die physische Imagination zu Unrecht da ist, weil sie nicht nachahmen soll gewisse geistige Vorgänge, deshalb ist in der physischen Organisation das, was in der geistigen Welt unter Umständen ein Höchstes ist, unter Umständen in der physischen Organisation Krankheit.
Man muss also die Krankheit so begreifen, dass man sich sagt: Könnten nicht durch gewisse Dinge, die wir morgen einsehen werden, gewisse geistige Wesenheiten heruntergeholt werden, wo sie nicht hingehören, so wären sie auch nicht in der geistigen Welt vorhanden. - Damit aber zeigt sich, wie eng verwandt wirkliches geistiges Erkennen mit der Krankheit ist. Man erkennt eigentlich schon, indem man Geistiges erkennt, die Krankheit. Man kann gar nicht anders: wenn man einmal eine solche Himmelsimagination hat, dann weiß man, was Pockenkrankheit ist, weil sie nur die physische Projektion dessen ist, was man geistig erlebt. So ist es im Grunde genommen mit dem ganzen Krankheitswissen. Man möchte sagen: Wenn der Himmel - oder auch die Hölle natürlich - zu stark ergreifen den Menschen, so wird er krank, wenn sie nur seine Seele und seinen Geist ergreifen, wird er weise oder gescheit oder ein Einsichtiger.“[1]
Fragen zum geistigen Gegenbild der Pocken
Wie aber kann man die beschriebene Himmelsimagination, in der sich die fünf mehr auf kosmisch-weibliche Art wirksamen Wintersternbilder und die sieben kosmisch-männlich wirksamen Sommersternbilder im harmonischen Zusammenwirken zeigen, mit der Pockenerkrankung zusammenbringen?
Welche der Übungen in „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“ kämen hier in Betracht, um zu zeigen, dass die Kräfte, die beim Üben zu entwickeln wären, jetzt am falschen Platz als physische Imagination von geistigem Leben auftreten?
In „Die Offenbarungen des Karma“[2] nennt Rudolf Steiner die Pockenerkrankung ein Organ der Lieblosigkeit. Wenn Liebe sich nicht sozial betätigen kann und sich auch keine schöpferischen Organe im Zusammenwirken von männlichen und weiblichen Qualitäten schaffen kann, wird die Neigung, sich mit der Pockenkrankheit zu infizieren, gefördert. Zusätzlich wird eine der ersten Pflichten und Übungsaufgaben des Geistesschülers verletzt, wenn er im Umgang mit Menschen einen Unterschied macht hinsichtlich Rang, Namen sowie Volkszugehörigkeit, aber auch in Bezug auf das männliche und weibliche Geschlecht.
Letzteres ist besonders prekär. Die vielen täglichen Ungerechtigkeiten, Anzüglichkeiten, Demütigungen und „Gemeinheiten“ zu bemerken, die z.B. Männer gegen Frauen richten – und sie zu überwinden – könnte hier der „nicht am rechten Ort“ stattfindende Schulungsaspekt sein.
Die Pockenerkrankung jedenfalls ist äußerst „sozial“: Das zeigt sich nicht nur am Ansteckungsmodus durch die hohe Kontagiösität und damit Weitergabe an möglichst viele sondern auch durch die Art und Weise, wie sich die Symptomatik aufbaut: Hohes Fieber als physischer Ausdruck von Wärme – die eigentlich seelische und geistige Wärme des Mitgefühls und Verstehens sein sollte – verbindet sich mit einer Blasenbildung an den Oberflächen von Haut, Schleimhäuten und auch den Oberflächen der inneren Organe – als ob sich die Grenzen jetzt physisch öffnen wollten, weil das seelische Sich-füreinander-Öffnen, wie es im Sinne des Schicksals der Betroffenen wäre, nicht gelingt.
Auch haben wir es hier nicht mit einer typisch individuellen Erkrankung zu tun, sondern mit einer epidemisch auftretenden, die eine Antwort, ein Schicksalsausgleich, ist für ein soziales Entwicklungsdefizit, das der „Schicksalsheilung“ durch diese Krankheit bedarf.
Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015
[1] Rudolf Steiner, Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst, GA 316, Dornach 2008, S. 119-120.
[2] Rudolf Steiner, Die Offenbarungen des Karma, GA 237.
ONKOLOGISCHES KRANKHEITSBILD UND SEIN GEISTIGES GEGENBILD
Welche geistige Signatur bildet sich körperlich in onkologischen Krankheitsbildern ab?
Was kann und will sie uns sagen?
Welche Gesten sind den Stadien von Krebs abzulesen?
Unbewusste Entwicklung durch Krebs
Krebs ist eine Zeitkrankheit. Viele Menschen sind davon betroffen, ja sogar „gesegnet“ damit. Sie dürfen durch die Krankheit auf unbewusstem Weg etwas für ihre späteren Leben lernen, was ihnen als Lernschritt über das Bewusstsein nicht möglich war. Warum das so ist, schildert Rudolf Steiner eindrücklich im Jungmedizinerkurs, wo er sagt, dass eine Erkrankung zugleich mit ihrem gesunden geistigen Gegenbild als eine Art „Himmelsimagination“ erfasst werden müsste.[1]
Auch über die Krebserkrankung werden geistige Qualitäten erworben – allerdings auf unbewusstem Wege: Ich-Organisation, Astralleib und Ätherleib des Betroffenen bringen diese Krankheit hervor. Er selbst ist es also – allerdings unter der Führung des Herrn des Schicksals.
Im nächsten Leben stehen ihm die dadurch errungenen Fähigkeiten als Disposition zur Verfügung: Jetzt ist es für ihn viel leichter, sich diese anzueignen.
Stadien der Krebserkrankung
Wie entwickelt sich Krebs?
Irgendeine Zelle fängt an, etwas weniger spezialisiert zu sein, als sie war. Sie geht aus ihrer Differenziertheit in einem Organgebiet zurück in Richtung ihrer embryonalen Herkunft, wo sie kaum spezialisiert und dafür omnipotent war. Normalerweise erkennt das Immunsystem solche Zellen und tötet sie ab. Wenn aber die Immunkompetenz nachlässt oder eine bestimmte Krankheitsdisposition für eine Krebsart sich bereits durchgesetzt hat, beginnt der Krebs lokal zu wachsen. Er durchbricht die Basalmembran und fängt an, infiltrierend zu gedeihen.
Dann erfolgt die Metastasierung. Einzelne Zellen siedeln sich ab, beginnen im Organismus zu wandern. Parallel dazu verändert sich der Gesundheitszustand des betroffenen Menschen insgesamt. Krebs ist eine Allgemeinerkrankung. Der Appetit, das Lebensgefühl, das Schlaf/Wach-Verhalten und die Rhythmen von Herz und Atmung ändern sich. Die Temperaturkurve wird in der Regel flach, manchmal sogar starr, ohne Morgen/Abend-Differenz.
Lässt man all dies auf sich wirken und fragt nach der Eigenart eines solchen Prozesses, so erlebt man ihn als „willkürlich“. Die Körperfunktionen laufen aus dem Ruder. Es bilden sich durch die Metastasierung irgendwo Ansätze zu neuen Organbildungen, völlig willkürlich. Ordnung, Kontrolle, Integrationsfähigkeit schwinden und weichen der Entdifferenzierung, der Schrankenlosigkeit, „der Willkür“.
Gesten der Krebserkrankung
Die Symptome der Krebserkrankung zeigen zusammengefasst also folgende Gesten:
- Geste: Eine Zelle beginnt sich der immunologischen Kontrolle zu entziehen und ungehemmt zu vermehren – Geschwulst.
- Geste: Die so gebildeten Zellen brechen aus der normalen Organfunktion aus.
- Geste: Sie werden zu Satelliten, die den Körper durchwandern und neue Organe zu bilden beginnen – Metastasen.
- Geste: Die ganze Konstitution wird komplett verändert, Rhythmen, Schlaf, Appetit.
Die Signatur des Krankheitsverlaufs macht es deutlich: Die Krebserkrankung bildet physisch-physiologisch den auf geistiger Ebene so gesunden „Freiheitsimpuls“ ab.
Krebs durch nicht ausgelebten Freiheitsimpuls
Spirituell gesehen ist der Krebs eine Erkrankung, bei der sich der Freiheitsimpuls seelisch und geistig nicht in der Weise ausleben kann, wie es im Schicksal des betreffenden Menschen liegt. Damit passt der bisher noch nicht aufzuhaltende Siegeszug dieser Krankheit in unsere Zeit, wo jeder Mensch im Grunde vor der Entwicklungsaufgabe steht, seine Identität als Mensch zu erfassen und seine Freiheit gebrauchen zu lernen.[2] Im Krankheitsverlauf erlebt und vollzieht er also unbewusst, was er eigentlich bewusst lernen möchte.
Vielen Krebspatienten wird enorm geholfen, wenn sie das zu begreifen beginnen. Das Interessante ist, dass die Psycho-Onkologie zunehmend mit dem Autonomie-Konzept arbeitet. Man kann vom anthroposophischen Gesichtspunkt aus zutiefst verstehen, dass es nicht anders sein kann. Wir wissen das nicht nur aus empirischen Studien und Dokumentationen, sondern aufgrund tiefer Einsichten in das Wesen dieser Krankheit.
Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015
[1] Rudolf Steiner, Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst, GA 316, Dornach 2008.
[2] Siehe auch Michaela Glöckler, Gibt es eine Prävention der Krebserkrankung?, Der Merkurstab 62:416-420, 2009.
RHEUMATISCHER FORMENKREIS UND SEIN GEISTIGES GEGENBILD
Was sagt uns das geistige Gegenbild des rheumatischen Formenkreises über die Hintergründe dieser Erkrankung?
Was sagt es uns hinsichtlich der Heilmöglichkeiten?
Schaffe dir Augenblicke innerer Ruhe
Besonders eindrücklich erweist sich die von Rudolf Steiner im Jungmedizinerkurs geschilderte Betrachtungsart, eine Erkrankung zugleich mit ihrem gesunden geistigen Gegenbild als eine Art „Himmelsimagination“ zu erfassen,[1] beim rheumatischen Formenkreis.
Hier bildet sich an der vor Schmerz ruhiggestellten Gliedmaße in der körperlichen Symptomatik das ab, was Inhalt der ersten zentralen Übung im Schulungsbuch Rudolf Steiners ist: „Schaffe dir Augenblicke innerer Ruhe und lerne in diesen Augenblicken das Wesentliche von dem Unwesentlichen unterscheiden.“[2]
Wenn Menschen mit rheumatischen Störungen fragen: Was kann ich zur Heilung meiner Krankheit beitragen? – und nur dann ist es uns erlaubt zu sprechen – kann man ihnen eine Meditation der inneren Ruhe geben, also das geistige Gegenstück der Krankheit nennen. Wird sie durchführt, schlagen alle Medikamente besser an. Hier ein sehr schönes Beispiel:
Ich trage Ruhe in mir,
Ich trage in mir selbst
Die Kräfte, die mich stärken.
Ich will mich erfüllen
Mit dieser Kräfte Wärme,
Ich will mich durchdringen
Mit meines Willens Macht.
Und fühlen will ich
Wie Ruhe sich ergießt
Durch all mein Sein,
Wenn ich mich stärke,
Die Ruhe als Kraft
In mir zu finden
Durch meines Strebens Macht.[3]
Mit dieser Meditation werden die entsprechenden Kräfte wieder in das Seelisch-Geistige gehoben, wo sie herkommen und wo sie hingehören. Rudolf Steiner erläuterte diese Prinzipien vor den Jungmedizinern, um ihnen zu helfen zu verstehen, warum Patienten diese oder jene Erkrankung hatten. Das gab ihnen eine sehr grundlegende geistige Orientierung.
Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015
[1] Rudolf Steiner, Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst, GA 316, Dornach 2008.
[2] Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, GA 10, Dornach 1993, S. 29-30.
[3] Rudolf Steiner, Mantrische Sprüche - Seelenübungen II., GA 268, S. 179.
IMMUNSCHWÄCHE DER HIV-ERKRANKUNG UND IHR GEISTIGES GEGENBILD
Was ist das geistige Gegenbild der HIV-Erkrankung?
Was will es uns sagen?
Selbstlosigkeit als Entwicklungsaufgabe
Der HIV-Kranke erlebt, wie sein Immunsystem, das biologisch gesehen optimalerweise egoistisch sein müsste, immer „altruistischer“, d.h. selbstloser, wird und damit immer schwächer.
Im Jungmedizinerkurs schildert Rudolf Steiner eindrücklich, weshalb eine Erkrankung zugleich mit ihrem gesunden geistigen Gegenbild als eine Art „Himmelsimagination“ erfasst werden müsste.[1]
Entsprechend wäre das geistige Gegenbild der HIV-Erkrankung, das am falschen Ort die Symptomatik der Krankheit hervorruft, die geistige Charaktereigenschaft der Selbstlosigkeit. Selbstloser Dienst am Menschheitsganzen ist der Ausgleich für die materialistische Weltanschauung und die gegenwärtig herrschende Kulturstimmung und Gesinnung. Selbstlose Dienstbereitschaft ist aber auch die Ausgangsbedingung für den christlich-rosenkreuzerischen Schulungsweg, den Rudolf Steiner in seinen Schriften zur geistigen Schulung beschreibt:
„Er [der Geheimschüler] lernt nicht, um das Gelernte als seine Wissensschätze aufzuhäufen, sondern um das Gelernte in den Dienst der Welt zu stellen.“[2]
So kann man in dieser Erkrankung auch eine typische Zeitkrankheit sehen. Was ein Teil der Menschheit verursacht, wird von anderen kompensiert. Man kann – insbesondere in Afrika – sehen, dass viele Menschen leiden müssen, während sich die Verursacher der materialistischen Gesinnung durch ihr Wissen schützen können. Doch im folgenden Erdenleben werden die in diesem Leben Erkrankten wiedergeboren mit den Früchten dieser Krankheit: mit einer Veranlagung zur Selbstlosigkeit und inneren Stärke.
Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015
[1] Rudolf Steiner, Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst, GA 316, Dornach 2008.
[2] Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, GA 10, Dornach 1993, S. 28.
FÜNF TORE FÜR KRANKHEIT UND HEILUNG
Über welche Tore erreichen Krankheit wie auch Heilung den Menschen?
Krankheitsursachen und Heilmöglichkeiten auf fünf Ebenen
Es gibt fünf Möglichkeiten bzw. Ebenen, die Krankheit verursachen können:
1. Physische Ebene
Zur physischen Ebene gehören ungesunde Einflüsse aus der Umwelt, falsche Ernährung sowie alles, was unseren physischen Körper angreift und ihm Schaden zufügt – wie z.B. Missbrauch und physische Gewalt.
Heilend wirken dagegen alle Einflüsse, die den physischen Leib stärken und ihm wohltun. Dazu gehört auch die physische Komponente aller Körpertherapien und Bäder.
2. Ätherische Ebene
Zur ätherischen Ebene gehört unser Umgang mit Zeit und Rhythmus. Wir werden krank durch einen falschen Umgang mit der Zeit, der sich in fehlenden Lebensrhythmen und verschiedensten ungesunden Gewohnheiten niederschlägt, die den Lebensprozessen zuwiderlaufen. Dazu gehört aber auch unser Gedankenleben, ob wir unserem Denken eine geistige Ausrichtung geben oder ob es in sinnlichen Vorstellungen befangen bleibt.
Heilend wirken eine rhythmische, die Lebensprozesse unterstützende Lebensweise sowie Gedanken, die sich an geistigen Inhalten ausrichten wie z.B. an den christlichen Idealen.
3. Astrale bzw. Beziehungsebene
Zur astralen Ebene gehören unsere Beziehungen sowie unser gesamtes Schicksalsumfeld. Wir können krank werden durch belastende menschliche Beziehungen, durch Unehrlichkeit, Verlogenheit, Missgunst, Misstrauen, Desinteresse, Respektlosigkeit zwischen Menschen.
Wenn wir umgekehrt Wahrhaftigkeit, Interesse und Respekt vor unserer Autonomie erleben und anderen ebenso begegnen, fühlen wir uns seelisch gestärkt, was sich gesundend auf alle Wesensglieder auswirkt.
4. Identität – Ich-Ebene
Zur Ich-Ebene gehört, inwieweit wir uns unserer Identität, des seelisch-geistigen Wesens unseres Ich, bewusst sind. Gesundheit und Krankheit sind weitgehend davon abhängig.
Ein Mensch, der mit sich selbst uneins ist, der mit anderen Menschen, mit seinem Schicksal und seinem Beruf hadert, unterliegt einer permanenten Selbstkränkung, die dadurch zustande kommt, dass er sich in seinem Verhältnis zur Welt nicht kennt. Angelus Silesius formuliert dieses Rätsel kurz und prägnant mit folgenden Worten:
Ich weiß nicht, wer ich bin.
Ich weiß nicht, was ich weiß.
Ich bin ein seltsam Ding,
ein Pünktchen und ein Kreis.
Wer lernt, sich als Individuum zu begreifen und zu bejahen mit individuellen Entwicklungsherausforderungen, zugleich sich aber auch seiner sozialen Aufgabe bewusst ist als Umwelt für andere, wird in diesem Spannungsfeld keinen Widerspruch erleben, sondern eine Quelle der Heilung und Kraft.
5. Weltbezug – allgemein-menschliche Ebene
Das letzte Tor für Krankheit ist die allgemein-menschliche Ebene und hat mit unserem Verhältnis zur Mitwelt zu tun. Denn alles, was wir je gelernt haben, was wir unbewusst in der Weisheit unserer Wesensglieder als Gedanken über die Welt, als Beziehung zur Welt, als Identitätsbewusstsein und Willenskraft entwickelt haben, ist uns nur in der Begegnung mit anderen Menschen und mit der Welt bewusst geworden. Alles, was wir sind, haben unserer Mitwelt zu verdanken. Zu den Erfahrungen, von denen wir profitiert haben, gehören auch die unangenehmen, diejenigen, in denen wir gemobbt, geärgert, betrogen und angelogen wurden. Denn
- durch all das erwacht einerseits das Bewusstsein, wie destruktiv solche Verhaltensweisen doch sind. Wir sollten uns deshalb eingestehen, dass wir eine solche Behandlung offensichtlich nötig hatten, um ihr destruktives Potential kennenzulernen.
- Andererseits können wir aber auch Mitleid entwickeln an den destruktiven Zeitverhältnissen und den Verhaltensweisen, die sie hervorbringen: Sie können uns daran erinnern, dass es unendlich viel Leid in der Welt gibt und dass es uns selbst vielleicht ein bisschen zu gut geht.
Mysterium der menschlichen Identität
Alles Destruktive, das uns begegnet, hat einen Sinn, denn es macht uns wach für das Gute. Natürlich tut es weh und schmerzt, aber es bringt Erkenntnis mit sich und stählt den Willen zum Guten. Alles Positive dagegen gibt uns Kraft und Hoffnung.
Erlebt man sich als Mensch unter Menschengeschwistern, die voneinander lernen, einander begleiten, sich gegenseitig Unterstützung sind, so gut es eben geht, fühlt man sich geborgen in einem Entwicklungszusammenhang, der ohne die anderen nicht denkbar wäre. Die daraus erwachsende Dankbarkeit und das Vertrauen, dass der Umkreis die Lernerfahrungen bereithält, die man gerade braucht – auch die sogenannten negativen – wirken zutiefst gesundend.
Dank der ganz individuellen Umgebung, die jeder von uns hat, wird unser allgemein von den Göttern geschenktes Leben zu etwas Individuellem: Erst durch die Annahme unseres persönlichen Schicksals werden wir ganz wir selbst, aber auch durch unseren individuellen physischen Leib und unsere ganz individuelle physische Umgebung. Je mehr man dieses Mysterium der menschlichen Identität begreift, umso gesünder wird man.
Vgl. Vortrag anlässlich des Jubiläums des 100. Geburtstags von Werner Junge, Okt. 2012
SPIRITUELLE PRÄVENTION
Was wird durch Krankheit gelernt und wie wirkt es sich aus?
Wie kann aus diesem Verständnis heraus auf spiritueller Ebene Krankheit vorgebeugt werden?
Geistiges Verständnis von Krankheit
Ein geistiges Verständnis von Krankheit geht weit über die psychologische Deutung und die körperlichen Untersuchungsmöglichkeiten hinaus und wird dadurch erst der Würde des Menschen gerecht. Auf dieser Ebene ist es dann auch möglich, die Krankheit selbst als etwas Heilsames anzunehmen, ja lieben zu lernen. Denn sie lässt den Menschen auf körperlicher Ebene etwas erleben, was er auf bewusste Weise zu leben nicht oder nicht genügend in der Lage war, und fördert damit seine Entwicklung.
Die Früchte eines solch unbewussten, durch die Krankheit herbeigeführten und mit dem Tode endenden Lernprozesses können sich zwar oft in diesem zu Ende gehenden Erdenleben nicht mehr zeigen. Sie werden aber, so wie alle Erdenerfahrungen, in das nachtodliche Leben mitgenommen und beeinflussen die Art und Weise, wie das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt in der geistigen Welt durchgemacht wird. Im nächsten Leben können sie dann als „mitgebrachte", das heißt bereits in einem früheren Leben erworbene Fähigkeiten auftreten und unter Umständen die ganze Biographie prägen.
Sich am Gesunden orientieren
Eine spirituelle Krankheitsvorbeugung kann sich nur am gesunden Menschen und seiner Bestimmung orientieren. Sie beruht auf dem freiwilligen Zuvorkommen von Krankheiten durch die Einsicht in die Entwicklungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten des Menschen und die entsprechende persönliche Anstrengung, damit die Fähigkeiten erlernt werden, auf die es individuell, sozial und menschheitlich in einer bestimmten Zeitepoche ankommt. Dann braucht es selbst bei vorhandener Krankheitsdisposition nicht dazu zu kommen, dass sich diese zu erarbeitenden Eigenschaften und Fähigkeiten auf körperlicher Ebene unbewusst als Krankheiten „abbilden“ und auswirken.
Wer im Denken nach Wahrheit strebt, im Fühlen nach Liebe und im Wollen nach Freiheit, wird lebenslang ringen müssen mit den Möglichkeiten der Oberflächlichkeit und Lüge, in deren Gefolge die vielen Lieblosigkeiten bis hin zu Hass und Spott auftreten. Auch die Neigung, andere Menschen oder Vorgänge zu manipulieren und zu etwas zu zwingen und der Drang, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, bedürfen zu ihrer Überwindung ständiger Arbeit. Liebe zur Freiheit ist gefragt – auch zu der Freiheit anderer Menschen.
Durch das freiwillige Erleben von Schmerzen, wie sie mit ehrlicher Selbsterkenntnis und Selbsterziehung immer verbunden sind, kann eine wirksame Krankheitsvorbeugung geleistet werden. Dann besteht keine Notwendigkeit mehr, dass der Körper selber auf den Wegen der Erkrankung Schmerzen erzeugt. Das kann ein Ansporn sein, durch Selbsterziehung an der eigenen Gesundung mitzuarbeiten – soweit dies aufgrund der individuellen und sozialen Schicksalsgegebenheiten möglich ist.
Vgl. „Spirituelles Krankheitsverständnis aus anthroposophischer Sicht", aus „Spiritualität, Krankheit und Heilung – Bedeutung und Ausdrucksformen der Spiritualität in der Medizin", VAS-Verlag 2007