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Auszüge aus Büchern und Vorträgen von [[Michaela Glöckler]]; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/ | Auszüge aus Büchern und Vorträgen von [[Michaela Glöckler]]; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/ | ||
== EMBRYONALE ENTWICKLUNGSSTADIEN UND -GESTEN == | |||
''Welche signifikanten Entwicklungsstadien durchläuft der Embryo?'' | |||
''Welche Entwicklungsgesten lassen sich aus den einzelnen Stadien ablesen?'' | |||
=== ''Entwicklungsstadien des Embryos'' === | |||
In den ersten Tagen nach der Zeugung muss sich der Embryo, das sich inkarnierende Kind, das nur als kleiner Zellhaufen sichtbar ist, erst einmal selbst seinen Umkreis, die Plazenta und alle anderen embryonalen Hüllen schaffen. Das ist seine Hauptarbeit. Wenn das geschafft ist, fängt der kleine Mensch an sich zu regen und zu leben. Es empfiehlt sich sehr, möglichst naturnahe Bilder der embryonalen Entwicklungsstadien im Internet oder in guten Embryologie-Büchern anzusehen. | |||
Im Folgenden nur ein paar kurze Anmerkungen zu embryonalen Entwicklungsstadien: | |||
* In der '''ersten Woche''' kommt es zum sogenannten ''Morula-Stadium''. | |||
* In der '''zweiten Woche''' bildet sich der ''Embryoblast'' in seiner allerersten Veranlagung als zweiblättrige Keimscheibe in dieser wunderschönen Ausformung, die dann bald dreiblättrig wird. | |||
* In der '''vierten Woche''' veranlagt sich bereits die ''Gesamtgestalt'' im Zentrum der embryonalen Hüllen. | |||
* Aus der dreiblättrigen Keimanlage von Ektoderm, Entoderm und dem sich dazwischen bildenden Mesoderm differenzieren sich '''in den nächsten Wochen''' alle Körperorgane. | |||
* In der '''achten Woche''' ist das ''Nervensystem'' bereits das differenzierteste Organsystem, über das wir als Menschen verfügen. | |||
=== ''Entwicklungsgesten und Wesensglieder'' === | |||
Die Entwicklungsgesten hängen eng mit den Wesensgliedern, die sie vollziehen zusammen. Wir unterscheiden drei grundverschiedene Gesten: | |||
==== 1. Wachstum (Proliferation) unter der Regie des ÄL ==== | |||
Der Ätherleib ist der große Materialbeschaffer, der Wachstumsspezialist, der Zellen bildet und unter der Regie des AL ausgestaltet. | |||
==== 2. Differenzierung unter der Regie des AL ==== | |||
Es ist wichtig sich ins Gedächtnis zu rufen, dass Leben eben auch die Differenzierung von ein und demselben Grundmaterial bedeutet. Das vollbringt der Astralleib (AL). Er bringt Differenzierung in alles Leben (Ätherische), sodass es sich individuell und spezifisch ausprägen kann: Gehirn und Magen leben beide, aber sie tun es auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Der Astralleib ist seinem Wesen nach musikalisch, weil in der Musik alles vom Intervall, vom Dazwischen, von der Differenzierung in feine Nuancen lebt. | |||
==== 3. Integration unter der Regie der Ich-Organisation ==== | |||
Die Ich-Organisation ist die integrierende Instanz, sie schafft aus allem eine Ganzheit. | |||
In der Embryonalentwicklung kann man am besten beobachten, wie diese unterschiedlichen Kompetenzen der Wesensglieder zum Tragen kommen, während sich die Organe bilden, differenzieren und ihren Platz im Ganzen finden. | |||
''Vgl. Vortrag „Der Lebenssinn In Diagnostik Und Therapie“, gehalten am 8. Januar 2016 an der Kunsttherapietagung'' | |||
== STADIEN DER MENSCHLICHEN ENTWICKLUNG IN JUGEND UND ALTER == | |||
''Welche großen Entwicklungsabschnitte gibt es im menschlichen Leben?'' | |||
=== ''Reifezyklen in Jahrsiebten'' === | |||
Nach der Geburt steht zunächst die Entwicklung des Nervensystems im Vordergrund. Dann folgen die Organe der rhythmischen Funktionsordnung und schließlich die volle Ausreifung von Skelett und Stoffwechselorganen: | |||
==== - Evolution im 1. Jahrsiebt ==== | |||
Die ''Grundreifung der Sinnesfunktionen'' und etwa 90% der Kapazitäten des Zentralnervensystems erreichen schon in den ersten 9 Lebensjahren die volle Funktionstüchtigkeit: | |||
Das Ohr ist mit etwa vier Jahren voll funktionstüchtig. | |||
Das Auge braucht acht Jahre, bis es in allen Feinheiten ausgereift ist: in Bezug auf die Perspektive, das Farbensehen, auf feinsten Abstufungen der Wahrnehmung und die Verknüpfung mit den anderen Sinnen. Das ist ein langer Reifungsprozess. | |||
==== - Evolution im 2. Jahrsiebt ==== | |||
Bis zur Pubertät reifen die ''rhythmischen Funktionssysteme'', insbesondere von Herz und Kreislauf. Bei einem Zwölfjährigen haben wir noch ein Kinder-EKG, einen schnelleren Herzrhythmus und eine schnellere Atmung, als es der Erwachsene hat. Die Ausreifung der Frequenzabstimmung zwischen Atem- und Herzrhythmus sind im Alter von 15-16 Lebensjahren abgeschlossen, dann hat sich die ruhigere, langsame Atmung des Erwachsenen entwickelt. Es dauert also länger, bis diese Organe „erwachsen“ sind. | |||
==== - Evolution im 3. Jahrsiebt ==== | |||
''Skelett und Stoffwechsel'' brauchen am längsten, bis sie vollkommen ausgereift sind und die Stabilisierung der Stoffwechselvorgänge und des Hormonhaushaltes erreicht wird. Vom spirituellen Gesichtspunkt her würden wir sagen: bis der Mensch „vollständig inkarniert“ ist. Das dauert im Durchschnitt zwischen achtzehn und zweiundzwanzig Jahren. Die Ausreifung des Skelettsystems zur Erwachsenenform geschieht bis zum 23. Lebensjahr. | |||
== ''Involutionsphasen in Jahrzehnten'' == | |||
Interessant ist nun, dass sich in der zweiten Lebenshälfte diese drei Organsysteme in umgekehrter Reihenfolge wieder zurückbilden, was wir den Prozess des Alterns nennen. | |||
# '''Zwischen 40 und 50''' mit dem Klimakterium tritt bei der Frau die Menopause ein. Die Involution der Stoffwechselprozesse beginnt. Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und Stoffwechselstörungen wie Diabetes Typ 2 haben laut Statistik ihre höchste Inzidenz (Zeitpunkt des Eintretens) in diesem Alter. Gelenkverschleiß zeigt sich, Rückenprobleme werden spürbar; Gallen- und Nierensteine. | |||
# '''Zwischen 50 und 60''' treten in einem großen Schub die typischen pulmonalen und cardio-vaskulären Erkrankungen auf wie Bluthochdruck, Rhythmusstörungen, bei Disposition der erste Infarkt. Später oder früher wäre es schon nicht mehr so typisch. Das betrifft auch die Chronifizierung von Lungenerkrankungen, die hier einsetzt. All diese Erkrankungen haben in diesem Alter statistisch gesehen eine erste große Inzidenzphase. Wir sprechen dabei von Exkarnationsproblemen. Der Mensch kommt im Hinblick auf seine Vitalität, seine Seelenverfassung und seinen ganzen biografischen Entwurf in eine Krise. Er muss körperliche Einbußen hinnehmen. Und – was man ja bei chronischen Krankheiten immer erlebt – er spürt hautnah die Vergänglichkeit und Endlichkeit seines Lebens. | |||
# '''Zwischen 60 und 70''' hingegen zeigen sich gehäuft Degenerationserscheinungen an den Sinnesorganen und dem Zentralnervensystem. Gott sei Dank sind die Gehirn- und Sinnesleistungen die letzten Funktionen, die schrittweise nachlassen. | |||
Die menschliche Entwicklung vollzieht sich nicht linear, sondern spiegelbildlich an der biologischen Lebensmitte (ca. 35 Jahre). Rudolf Steiner sagt: Die Involutionsphasen spiegeln die Inkarnations- oder Evolutionsphasen.[1] | |||
Daraus lässt sich ersehen, dass die Art und Weise, wie die Entwicklung durch Kindheit und Jugend sich vollzogen hat, bestimmend ist für den Schweregrad der Ausprägung chronischer Erkrankungen und Verschleißerscheinungen im Alter. So gesehen ist primäre Prävention und Krankheitsvorbeugung in allererster Linie eine Erziehungsfrage. Denn je harmonischer die Reifung in Kindheit und Jugend – umso weniger Krankheitsneigungen treten in der Zeit der „Exkarnation“ auf. | |||
''Vgl. 1. Kapitel, „Gesundheit durch Erziehung“, Persephone, Kongressband, derzeit vergriffen'' | |||
== WIE DIE LEBENSKRÄFTE IN KINDHEIT UND ALTER ZUSAMMENHÄNGEN == | |||
''Wie kommt es, dass man gerade heute so viele müde und verhärmte alte Menschen trifft, wo es doch laut der anthroposophischen Menschenkunde mit der geistigen Kraft aufwärts gehen sollte?'' | |||
''Wie hängt der Inkarnationsprozess in der ersten Lebenshälfte mit dem Exkarnationsprozess in der zweiten Lebenshälfte zusammen?'' | |||
=== ''Alterungsprozess am Beispiel einer Patientin'' === | |||
Diese Frage soll am Beispiel einer Patientin erläutert werden, deren Alterungsprozess ich, nachdem sie das 75. Lebensjahr überschritten hatte, nah begleitete. Sie war ein geistig sehr aktiver Mensch gewesen. Dennoch entwickelte sie sich in den letzten Lebensjahren zunehmend in eine gewisse geistige Starre, die es ihr erschwerte, den Kontakt mit anderen Menschen zu pflegen. Sie wurde ängstlich und argwöhnisch, und man sah, wie die Verhärtungs- und Sklerotisierungsprozesse des Alters überhandnahmen und ihr bewusstes Gedankenleben stark beeinflussten. | |||
Sie hatte bereits als junges Mädchen die Anthroposophie kennengelernt und seither unablässig an ihrer inneren Entwicklung gearbeitet, und sie war auch sehr erfolgreich und tüchtig in ihrem Beruf. Nach dem frühen Tod ihres Mannes war sie ganz auf sich selbst angewiesen. In ihrer frühen Kindheit hatte sie sehr unter einem extrem strengen Vater zu leiden gehabt und musste als Älteste von mehreren Geschwistern viel zu Hause helfen, oft bis in die Nacht hinein. | |||
Sie ist für mich ein typisches Beispiel dafür, wie gerade in der frühen Kindheit, in der sich das Nervensystem aufbaut, Schäden veranlagt werden können, die sich in starken Abbauerscheinungen im späteren Alter widerspiegeln. Den schwächenden Einflüssen ihrer schweren Kindheit und Jugend und den dadurch schon im frühen Alter zu erwartenden Erkrankungen hatte sie durch ihr sehr aktives Innenleben entgegenzuwirken vermocht, sodass die Verhärtungsprozesse erst viel später in Erscheinung traten. | |||
=== ''Aufgaben einer zukunftsorientierten Erziehung'' === | |||
Aus dem Wissen um den Zusammenhang zwischen der Art, wie ein Mensch in seinem Körper inkarniert und zwischen der Art, wie er sich wieder davon löst, möchte ich konkrete Hinweise geben, wie wir bereits in der Pädagogik einen positiven Einfluss auf den Alterungsprozess nehmen können. | |||
==== '''·''' Bewusste Pflege der Lebenskräfte der Kinder ==== | |||
Eine der wichtigsten Aufgaben einer zukunftsorientierten Erziehung, die nicht nur den Augenblick, sondern die ganze Biographie im Auge hat, besteht darin, die Lebenskräfte der Kinder bewusst so zu pflegen, dass solchen Alterungsvorgängen vorgebeugt wird. Durch Selbsterziehung und die intensive Pflege des eigenen Seelenlebens kann der Erwachsene selbst Gesundheit bis ins hohe Alter veranlagen. | |||
Der Grund dafür, dass so viele Menschen im Alter bedauerliche Zustände erleben, liegt zum einen in den unzureichenden Entwicklungs- und Erziehungsbedingungen unserer Zeit und zum anderen in der mangelhaften selbstbestimmten Aktivierung der seelischen und geistigen schöpferischen Kräfte, die in einer durch den Materialismus geprägten Kultur zu wenig Pflege erfahren. | |||
Selbst wenn in der Kindheit die Wachstumskräfte durch zu frühes intellektuelles Training in Denkkräfte umgewandelt wurden, gibt es Möglichkeiten, den zu erwartenden Schäden im späteren Leben vorzubeugen. Korrekturmöglichkeiten liegen immer in demjenigen, was für ein bestimmtes Lebensalter an der Reihe ist. | |||
==== '''·''' Versäumtes nachholen über altersgemäße Aktivitäten ==== | |||
Dazu ein Beispiel: Hat ein achtjähriges Kind den größten Teil seiner Kindheit vor dem Fernsehapparat verbracht und ist deshalb motorisch ungeschickt, neigt zudem zu stereotypen Bewegungen, wiederholt ständig bestimmte Formulierungen, ist unfähig zu konzentrierter Gedankentätigkeit, so macht es keinen Sinn, mit einem solchen Kind die versäumte motorische, sprachliche und kognitive Kleinkind-Entwicklung nur nachholen zu wollen. Das ist gar nicht möglich! Man muss sich vielmehr fragen: | |||
''Was braucht ein gesunder Achtjähriger?'' | |||
Altersgemäße Aktivitäten wären: | |||
* Spaziergänge in der Natur | |||
* Bewegungsspiele im Freien | |||
* Lösen einfacher Rätsel | |||
* gemeinsames Auswendiglernen von Gedichten | |||
* Zeichnen von einfachen Formen mit der Hand, mit dem Fuß, mit immer wieder neuen Farben | |||
* Malen von Bildern zu vorgelesenen Geschichten | |||
* einfache musikalische Übungen an einem Instrument und in Form von Singen. | |||
Über all das wird das Kind in seiner altersentsprechenden Lerndisposition gefordert – aber nicht nur das: Über diese gemeinsamen Aktivitäten entsteht eine Beziehung zwischen Lehrer und Kind, die es dann auch erlaubt, dass manches aus der Kleinkindentwicklung in veränderter Form auf einer anderen Ebene nachgeholt werden kann. In einem solchen Fall sollte man sich zusätzlich mit erfahrenen Heilpädagogen, Ergo- und Physiotherapeuten unterhalten bzw. mit einem Kinderpsychiater austauschen. | |||
=== ''Nachholmöglichkeiten im Erwachsenenalter'' === | |||
Jeder Mensch kann natürlich auch noch im Erwachsenenalter an sich arbeiten. Denn ''jedes'' Alter hat seine altersspezifische Lerndisposition, die es uns ermöglicht, bis zu einem gewissen Grad Versäumtes nachzuholen und damit vom Seelisch-Geistigen aus im Sinne einer „geistigen Ernährung“ heilsam auf den Leib zurückzuwirken. | |||
==== '''·''' Künstlerisches Üben ==== | |||
Hat man beispielsweise eine Erziehung genossen, die ganz im Zeichen der Frühintellektualisierung stand, so ist es eine große Hilfe, wenn man sich im späteren Leben künstlerisch betätigt. Optimal wäre es, regelmäßig an eurythmischen Laienkursen teilzunehmen, denn keine Kunst appelliert so zentral an die Aufbaukräfte des Organismus und führt zu einer Stärkung der gesamten Vitalität wie die Eurythmie. Die eurythmischen Bewegungen entsprechen den Entwicklungsbewegungen des menschlichen Körpers, die schon vom Embryo als Wachstumsbewegungen durchgeführt werden. Das zeigen Ultraschall-Filmaufnahmen, die während der Schwangerschaft gemacht worden sind. Die Embryonen und Feten vollführen die Grundbewegungen, die wir aus der Sprach- und Toneurythmie kennen. Doch hilft natürlich jede künstlerische Tätigkeit, die schöpferischen Kräfte – speziell des Gefühls und Willenslebens – zu aktivieren, da Kunst nicht auf Verstandesleistungen beruht, sondern durch regelmäßiges Üben und Wiederholen (Willensanstrengungen) und durch ästhetisches Beurteilungsvermögen zustande kommt. Genau hinzuspüren, ob etwas schon gelungen ist oder nicht, regt wiederum das Gefühlsleben an. | |||
==== '''·''' Kontrolle der Kritikbereitschaft ==== | |||
Auch ist es eine gute Übung für früh intellektualisierte Menschen, sich in Bezug auf ihre Kritikbereitschaft zu kontrollieren. Denn meist neigen sie dazu, unablässig Situationen, Menschen und Vorgänge um sich herum zu beurteilen. Wer dies bei sich entdeckt und darauf zu verzichten beginnt, wird bemerken, dass seine Vitalität zunimmt. Zudem werden die Aufbaukräfte des Organismus dadurch unterstützt. Denn alles kritische Beurteilen birgt eine destruktive Tendenz, egal, ob das Urteil positiv oder negativ ausfällt. Beurteilungen dienen dazu etwas ''fest zu stellen'' und beruhen somit auf einem unproduktiven Gedankenleben: ''„Wie konnte der nur, er müsste doch eigentlich wissen...“,'' oder ''„Das finde ich ausgezeichnet, das hätte ich auch so gemacht, wenn ich in seiner Situation gewesen wäre – allerdings hätte er...“'' usw. Solche Feststellungen werden um ihrer selbst willen gemacht und ziehen keine Taten nach sich. | |||
Ganz anders die Urteile, die durch sorgfältiges Abwägen zu Entscheidungen und damit auch zu Willenshandlungen führen. | |||
Im Rahmen der Selbsterziehung gibt es eine Fülle von Möglichkeiten, in der Kindheit veranlagte Erziehungsschäden im späteren Leben auszugleichen und damit zur Harmonisierung der körperlichen und geistigen Kräfte beizutragen. | |||
''Vgl. Kapitel „Zusammenhänge der menschlichen Denktätigkeit“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart'' | |||
----[1] Rudolf Steiner, ''Wege und Ziele des geistigen Menschen'', GA 125. | |||
== ALTERUNGSPROZESS IN BEZUG ZUR ENTWICKLUNG IN KINDHEIT UND JUGEND == | |||
''Welche großen Entwicklungsabschnitte gibt es im menschlichen Leben?'' | |||
''Wie hängen Evolution und Involution miteinander zusammen?'' | |||
''Welche Auswirkungen hat die Entwicklung in der Jugend auf den Alterungsprozess?'' | |||
=== ''Einander spiegelnde Evolutions- und Involutionsphasen'' === | |||
Altwerden ist keine Krankheit, genauso wenig wie Schwanger-Sein. In beiden Fällen kann es jedoch sein, dass Komplikationen und Schwierigkeiten auftreten, die dann behandelt werden müssen. | |||
Rudolf Steiner sagt: Die Involutionsphasen im Alter spiegeln die Evolutionsphasen von Kindheit und Jugend:[1] Was zuletzt herangereift ist, bildet sich zuerst zurück, der Abbau der Organsysteme vollzieht sich spiegelbildlich zu ihrer Entwicklung. | |||
==== 1. Evolution im 3. Jahrsiebt und Involution zwischen 40 und 50 Jahren ==== | |||
===== · ''Evolution im Zuge der Inkarnation '' ===== | |||
Zwischen '''vierzehn und einundzwanzig''' Jahren reift das ''Stoffwechsel-Gliedmaßensystem'' aus. Skelett und Stoffwechsel brauchen also am längsten, bis sie vollkommen ausgereift sind und eine Stabilisierung des Hormonhaushaltes erreicht wird. Das dauert manchmal bis zum 23. Lebensjahr. Vom spirituellen Gesichtspunkt her würden wir sagen: Es dauert 21 bis 23 Jahre, bis der Mensch „vollständig inkarniert“ ist und sein Ich den Leib vollkommen ergriffen hat. Im 3. Jahrsiebt erwacht dank der aus der Ich-Organisation freiwerdenden Kräfte auch das eigenständige Denken am Umkreis. Jetzt geht es darum, dass der Jugendliche lernt, Idealismus zu entwickeln und zu lernen, sich geistig eigenständig ganz neu zu orientieren, sich aufzurichten, beweglich zu werden, das Instrument des Leibes von innen bewusst zu ergreifen. Wem das nicht gelingt, der ist prädisponiert für Erkrankungen, die die Erdenschwere und -belastung spürbar machen. | |||
===== '''·''' ''Involution im Zuge der Exkarnation'' ===== | |||
Das zuletzt herangereifte Stoffwechsel-Gliedmaßensystem sowie das hormonelle System bilden sich '''zwischen 40 und 50''' als Erste wieder zurück: Das Klimakterium setzt ein und führt zur Menopause, die eine totale hormonelle Umschaltung bei der Frau bedeutet. Beginnend beim Knochenbau und Hormonhaushalt devitalisiert sich der Organismus, d.h. die Regenerationskraft lässt nach. Wer dafür disponiert ist, hat Probleme mit dem Rücken, der Schulter, dem Nacken, bekommt Diabetes Typ II, Gallen- und Nierenprobleme, metabolische Syndrome und rheumatische Erkrankungen. Das heißt, es kommt zu chronischen Erkrankungen des Stoffwechsel-Gliedmaßensystems. Das ganze System tritt in die Involutionsphase ein. | |||
Frauen sind von den damit einhergehenden Prozessen stärker betroffen als Männer. Körperlich gesehen findet jedoch bei beiden Geschlechtern ein altersbedingter Devitalisierungsprozess statt. Stärker betroffen sind auch Menschen mit einer bestimmten Krankheitsdisposition, aber auch diejenigen, die sich nicht optimal inkarnieren konnten. | |||
Gedanklich erwacht jedoch in der Regel ein neuer Idealismus, Lebensformen und Werte werden hinterfragt, man möchte sich beruflich verändern oder auf andere Weise „neu beginnen“, will endlich wirklich das eigene Leben leben. | |||
==== 2. Evolution im 2. Jahrsiebt und Involution zwischen 50 und 60 Jahren ==== | |||
===== · ''Evolution im Zuge der Inkarnation '' ===== | |||
'''Nach dem ersten Jahrsiebt bis zur Pubertät''' reifen die ''rhythmischen Funktionssysteme'', insbesondere von Atmung und Kreislauf. Bei einem Zwölfjährigen haben wir noch ein Kinder-EKG, einen schnelleren Herzrhythmus und eine schnellere Atmung, als es der Erwachsene hat. Erst mit fünfzehn Jahren reift das Kreislaufsystem zur Erwachsenenkompetenz heran und die Atmungsorgane bilden einen ruhigeren, langsamen Erwachsenenrhythmus aus. Dann ist auch die Frequenzabstimmung zwischen Atem- und Herzrhythmus abgeschlossen. | |||
Die wichtigste Stimulation bzw. Unterstützung der Reifung besteht darin, das Gefühlsleben zu kultivieren. Denn nichts regt Atem und Herzschlag besser an als das Pendeln zwischen den Polen tiefer Gefühle. Die Pflege tiefer Gefühle ist demnach ''die'' Prävention gegen vaskuläre Demenz, vor allem wenn eine familiäre Disposition vorliegt. | |||
==== '''·''' ''Involution im Zuge der Exkarnation'' ==== | |||
'''Zwischen 50 und 60''' stehen laut Statistik kardiovaskuläre Erkrankungen und die Chronifizierung von Lungenerkrankungen im Vordergrund, das heißt, die Abbauerscheinungen greifen auf ''das rhythmische System'', auf Herz und Lunge, über: Es kommt zu Bluthochdruck, Rhythmusstörungen, zu koronaren Herzkrankheiten, bei einer entsprechenden Disposition tritt der erste Infarkt auf. Viele haben in ihrem Bekanntenkreis jemanden in diesem Alter, der an COPT, Angina Pectoris oder Herzrhythmusstörungen leidet. In jedem Fall lässt die Atemkapazität spürbar nach. | |||
All diese Erkrankungen haben in diesem Alter statistisch gesehen eine erste große Inzidenzphase und sind Ausdruck von Exkarnationsproblemen. Der Mensch kommt im Hinblick auf seine Vitalität, seine Seelenverfassung und seinen ganzen biografischen Entwurf in eine Krise. Er muss körperliche Einbußen hinnehmen. Und – was man ja bei chronischen Krankheiten immer erlebt – er spürt hautnah die Vergänglichkeit und Endlichkeit seines Lebens. | |||
Gedanklich hingegen stellt sich ein objektiveres, reifes Urteilsvermögen ein, die Fähigkeit, Gegensätze vermitteln und bewusst abwägen zu können. | |||
==== 3. Evolution im 1. Jahrsiebt und Involution zwischen 60 und 70 Jahren ==== | |||
===== · ''Evolution im Zuge der Inkarnation '' ===== | |||
Die Grundreifung der ''Sinnesfunktionen und etwa 90% der Kapazitäten des Zentralnervensystems'' erreichen schon '''in den ersten neun Lebensjahren''' die volle Funktionstüchtigkeit: Das Ohr ist mit etwa vier Jahren voll funktionstüchtig. Das Auge braucht acht Jahre, bis es in allen Feinheiten ausgereift ist: in Bezug auf die Perspektive, das Farbensehen, auf feinsten Abstufungen der Wahrnehmung und die Verknüpfung mit den anderen Sinnen. Das ist ein langer Reifungsprozess. Wir unterstützen diesen Prozess interessanterweise nicht dadurch, dass wir dem Zweijährigen Kopfrechnen beizubringen versuchen, sondern durch intensive Sinnespflege und Tatsachenlogik – durch sinnvolle Tätigkeiten, sinnvolle Zusammenhänge, sinnvolles Sprechen, gedankenvolle Unterhaltung. Aber auch künstlerische Tätigkeiten und Eindrücke sind äußerst förderlich. | |||
Wenn die Stimulation durch Sinnvolles und Künstlerisches in einer Biographie fehlt oder das Denken ganz materialistisch einseitig erzogen wird und die Sinneserfahrungen korrumpiert und verfälscht werden von Fernsehen und Computer, sind die Betroffenen prädisponiert dafür, im Alter verstärkt Probleme mit ihrem Nervensinnessystem zu bekommen. | |||
===== '''·''' ''Involution im Zuge der Exkarnation'' ===== | |||
Gott sei Dank lassen die Gehirn- und Sinnesleistungen '''zwischen 60 und 70 Jahren''' erst ganz zuletzt schrittweise nach: Jetzt treten gehäuft Degenerationserscheinungen am ''Nervensinnessystem'', an den Sinnesorganen und dem Zentralnervensystem auf. Unser Gedächtnis und unsere Seh- und Hörkraft lassen nach, das heißt, dass die Regenerationsfähigkeit des Sinnes-und Nervensystems rapide ''a''bnimmt. Wir werden langsamer, brauchen Unterstützung. | |||
Umso erstaunlicher ist es, dass mit dieser Lebensphase normalerweise keine geistige Leistungsminderung parallel geht. Auch wenn zusammen mit den Sinnesorganen das Gehirn ebenfalls nachweislich altert und messbar an Substanz verliert, kann dieser Vorgang dennoch mit geistiger Frische, neuen Perspektiven und Sichtweisen einhergehen. Nicht nur, dass die Plastizität und Kompensationsfähigkeit des Nervensystems bis ins hohe Alter erhalten bleiben - es werden auch weitere Bildekräfte frei, die aus den Abbauvorgängen dieser Organsysteme stammen. Dadurch treten neue Vorstellungsmöglichkeiten auf und eine größere Fähigkeit zu gedanklicher Überschau, selbst wenn einen das Kurzzeitgedächtnis manchmal etwas im Stich lässt. | |||
Nur im Falle einer Demenzerkrankung, die aber grade kein gesundes Altern darstellt, sondern eine Erkrankung des Nervensystems, ist dies natürlich anders. Dennoch muss man auch in diesem Krankheitsfall davon ausgehen, dass die körperunabhängigen Gedanken-, Gefühls- und Willenskräfte der so Erkrankten durchaus da sind. Nur ist die gesunde Gehirnfunktion nicht mehr vorhanden als Grundlage für ein selbstbewusst geführtes und geordnetes Vorstellen von Gedanken, Gefühlen und Willensimpulsen. Umso wichtiger ist es, neue Kommunikationsformen zu entwickeln, indem man mit diesem real vorhandenen Geistigen rechnet und der Betroffene dies spüren kann. | |||
==== Die Involutionsphase von 70 Jahren aufwärts ==== | |||
Das Bibelwort „''Unser Leben währet 70 Jahre“'' entspricht der Rhythmik zwischen Inkarnation und Exkarnation. Dann folgt eine Gnadenzeit, die sich durch eine gewisse Stabilität auszeichnet. Menschen, die bis zum Alter von 70 Jahren keine Anzeichen aufweisen für eines der genannten chronischen Probleme, werden zwar schwächer, bleiben dabei aber oft geistig frisch, sie bauen nicht wirklich ab vor dem Tod. Das erlebte ich oft in der Praxis. | |||
=== ''Bedingungen für Gesundheit bis ins hohe Alter'' === | |||
Wir sehen also: Wenn sich in Kindheit und Jugend die „Inkarnation“ des Menschen so vollzieht, dass Körper, Seele und Geist altersgerecht gefordert werden, so ist dies die beste Vorbedingung dafür, dass auch die „Exkarnation“ harmonisch und ohne größere gesundheitliche Einbrüche vonstattengeht. | |||
Eine gesundheitsfördernde Erziehung, wie sie u.a. das Konzept der Waldorfpädagogik vorsieht, wirkt als primäre Krankheitsprävention für die zweite Lebenshälfte. Die Art und Weise, wie Entwicklung in Kindheit und Jugend sich vollzogen hat, bestimmt über den Schweregrad und die Ausprägung chronischer Erkrankungen und Verschleißerscheinungen im Alter: Je harmonischer ein Mensch in Kindheit und Jugend im Zuge der Inkarnation heranreifen kann, umso weniger Krankheitsneigungen zeigt er im Zuge der Exkarnation. | |||
Doch auch Erziehung und Selbsterziehung, lebenslange Freude am Lernen sowie an der Entwicklung neuer Fähigkeiten bedingen Gesundheit bis ins hohe Alter. | |||
Auf diesem Gebiet müsste noch viel geforscht werden. Wir benötigen sehr gut abgestimmte Therapiekonzepte, die regenerierende und die Inkarnation fördernde Möglichkeiten in konkrete Behandlungsansätze umwandeln, je nachdem, welche Symptomatik vorherrscht. | |||
Vgl. ''Vortrag „Schicksalswürde und spirituelles Begreifen der Demenz“, gehalten am Internationalen Pflegekongress in Dornach am 9. Mai 2008'' | |||
----[1] Rudolf Steiner, ''Wege und Ziele des geistigen Menschen. Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft''.GA 125, Dornach 1992, S. 55. |
Version vom 29. März 2025, 11:37 Uhr
Entwicklung – von Michaela Glöckler
Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
EMBRYONALE ENTWICKLUNGSSTADIEN UND -GESTEN
Welche signifikanten Entwicklungsstadien durchläuft der Embryo?
Welche Entwicklungsgesten lassen sich aus den einzelnen Stadien ablesen?
Entwicklungsstadien des Embryos
In den ersten Tagen nach der Zeugung muss sich der Embryo, das sich inkarnierende Kind, das nur als kleiner Zellhaufen sichtbar ist, erst einmal selbst seinen Umkreis, die Plazenta und alle anderen embryonalen Hüllen schaffen. Das ist seine Hauptarbeit. Wenn das geschafft ist, fängt der kleine Mensch an sich zu regen und zu leben. Es empfiehlt sich sehr, möglichst naturnahe Bilder der embryonalen Entwicklungsstadien im Internet oder in guten Embryologie-Büchern anzusehen.
Im Folgenden nur ein paar kurze Anmerkungen zu embryonalen Entwicklungsstadien:
- In der ersten Woche kommt es zum sogenannten Morula-Stadium.
- In der zweiten Woche bildet sich der Embryoblast in seiner allerersten Veranlagung als zweiblättrige Keimscheibe in dieser wunderschönen Ausformung, die dann bald dreiblättrig wird.
- In der vierten Woche veranlagt sich bereits die Gesamtgestalt im Zentrum der embryonalen Hüllen.
- Aus der dreiblättrigen Keimanlage von Ektoderm, Entoderm und dem sich dazwischen bildenden Mesoderm differenzieren sich in den nächsten Wochen alle Körperorgane.
- In der achten Woche ist das Nervensystem bereits das differenzierteste Organsystem, über das wir als Menschen verfügen.
Entwicklungsgesten und Wesensglieder
Die Entwicklungsgesten hängen eng mit den Wesensgliedern, die sie vollziehen zusammen. Wir unterscheiden drei grundverschiedene Gesten:
1. Wachstum (Proliferation) unter der Regie des ÄL
Der Ätherleib ist der große Materialbeschaffer, der Wachstumsspezialist, der Zellen bildet und unter der Regie des AL ausgestaltet.
2. Differenzierung unter der Regie des AL
Es ist wichtig sich ins Gedächtnis zu rufen, dass Leben eben auch die Differenzierung von ein und demselben Grundmaterial bedeutet. Das vollbringt der Astralleib (AL). Er bringt Differenzierung in alles Leben (Ätherische), sodass es sich individuell und spezifisch ausprägen kann: Gehirn und Magen leben beide, aber sie tun es auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Der Astralleib ist seinem Wesen nach musikalisch, weil in der Musik alles vom Intervall, vom Dazwischen, von der Differenzierung in feine Nuancen lebt.
3. Integration unter der Regie der Ich-Organisation
Die Ich-Organisation ist die integrierende Instanz, sie schafft aus allem eine Ganzheit.
In der Embryonalentwicklung kann man am besten beobachten, wie diese unterschiedlichen Kompetenzen der Wesensglieder zum Tragen kommen, während sich die Organe bilden, differenzieren und ihren Platz im Ganzen finden.
Vgl. Vortrag „Der Lebenssinn In Diagnostik Und Therapie“, gehalten am 8. Januar 2016 an der Kunsttherapietagung
STADIEN DER MENSCHLICHEN ENTWICKLUNG IN JUGEND UND ALTER
Welche großen Entwicklungsabschnitte gibt es im menschlichen Leben?
Reifezyklen in Jahrsiebten
Nach der Geburt steht zunächst die Entwicklung des Nervensystems im Vordergrund. Dann folgen die Organe der rhythmischen Funktionsordnung und schließlich die volle Ausreifung von Skelett und Stoffwechselorganen:
- Evolution im 1. Jahrsiebt
Die Grundreifung der Sinnesfunktionen und etwa 90% der Kapazitäten des Zentralnervensystems erreichen schon in den ersten 9 Lebensjahren die volle Funktionstüchtigkeit:
Das Ohr ist mit etwa vier Jahren voll funktionstüchtig.
Das Auge braucht acht Jahre, bis es in allen Feinheiten ausgereift ist: in Bezug auf die Perspektive, das Farbensehen, auf feinsten Abstufungen der Wahrnehmung und die Verknüpfung mit den anderen Sinnen. Das ist ein langer Reifungsprozess.
- Evolution im 2. Jahrsiebt
Bis zur Pubertät reifen die rhythmischen Funktionssysteme, insbesondere von Herz und Kreislauf. Bei einem Zwölfjährigen haben wir noch ein Kinder-EKG, einen schnelleren Herzrhythmus und eine schnellere Atmung, als es der Erwachsene hat. Die Ausreifung der Frequenzabstimmung zwischen Atem- und Herzrhythmus sind im Alter von 15-16 Lebensjahren abgeschlossen, dann hat sich die ruhigere, langsame Atmung des Erwachsenen entwickelt. Es dauert also länger, bis diese Organe „erwachsen“ sind.
- Evolution im 3. Jahrsiebt
Skelett und Stoffwechsel brauchen am längsten, bis sie vollkommen ausgereift sind und die Stabilisierung der Stoffwechselvorgänge und des Hormonhaushaltes erreicht wird. Vom spirituellen Gesichtspunkt her würden wir sagen: bis der Mensch „vollständig inkarniert“ ist. Das dauert im Durchschnitt zwischen achtzehn und zweiundzwanzig Jahren. Die Ausreifung des Skelettsystems zur Erwachsenenform geschieht bis zum 23. Lebensjahr.
Involutionsphasen in Jahrzehnten
Interessant ist nun, dass sich in der zweiten Lebenshälfte diese drei Organsysteme in umgekehrter Reihenfolge wieder zurückbilden, was wir den Prozess des Alterns nennen.
- Zwischen 40 und 50 mit dem Klimakterium tritt bei der Frau die Menopause ein. Die Involution der Stoffwechselprozesse beginnt. Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und Stoffwechselstörungen wie Diabetes Typ 2 haben laut Statistik ihre höchste Inzidenz (Zeitpunkt des Eintretens) in diesem Alter. Gelenkverschleiß zeigt sich, Rückenprobleme werden spürbar; Gallen- und Nierensteine.
- Zwischen 50 und 60 treten in einem großen Schub die typischen pulmonalen und cardio-vaskulären Erkrankungen auf wie Bluthochdruck, Rhythmusstörungen, bei Disposition der erste Infarkt. Später oder früher wäre es schon nicht mehr so typisch. Das betrifft auch die Chronifizierung von Lungenerkrankungen, die hier einsetzt. All diese Erkrankungen haben in diesem Alter statistisch gesehen eine erste große Inzidenzphase. Wir sprechen dabei von Exkarnationsproblemen. Der Mensch kommt im Hinblick auf seine Vitalität, seine Seelenverfassung und seinen ganzen biografischen Entwurf in eine Krise. Er muss körperliche Einbußen hinnehmen. Und – was man ja bei chronischen Krankheiten immer erlebt – er spürt hautnah die Vergänglichkeit und Endlichkeit seines Lebens.
- Zwischen 60 und 70 hingegen zeigen sich gehäuft Degenerationserscheinungen an den Sinnesorganen und dem Zentralnervensystem. Gott sei Dank sind die Gehirn- und Sinnesleistungen die letzten Funktionen, die schrittweise nachlassen.
Die menschliche Entwicklung vollzieht sich nicht linear, sondern spiegelbildlich an der biologischen Lebensmitte (ca. 35 Jahre). Rudolf Steiner sagt: Die Involutionsphasen spiegeln die Inkarnations- oder Evolutionsphasen.[1]
Daraus lässt sich ersehen, dass die Art und Weise, wie die Entwicklung durch Kindheit und Jugend sich vollzogen hat, bestimmend ist für den Schweregrad der Ausprägung chronischer Erkrankungen und Verschleißerscheinungen im Alter. So gesehen ist primäre Prävention und Krankheitsvorbeugung in allererster Linie eine Erziehungsfrage. Denn je harmonischer die Reifung in Kindheit und Jugend – umso weniger Krankheitsneigungen treten in der Zeit der „Exkarnation“ auf.
Vgl. 1. Kapitel, „Gesundheit durch Erziehung“, Persephone, Kongressband, derzeit vergriffen
WIE DIE LEBENSKRÄFTE IN KINDHEIT UND ALTER ZUSAMMENHÄNGEN
Wie kommt es, dass man gerade heute so viele müde und verhärmte alte Menschen trifft, wo es doch laut der anthroposophischen Menschenkunde mit der geistigen Kraft aufwärts gehen sollte?
Wie hängt der Inkarnationsprozess in der ersten Lebenshälfte mit dem Exkarnationsprozess in der zweiten Lebenshälfte zusammen?
Alterungsprozess am Beispiel einer Patientin
Diese Frage soll am Beispiel einer Patientin erläutert werden, deren Alterungsprozess ich, nachdem sie das 75. Lebensjahr überschritten hatte, nah begleitete. Sie war ein geistig sehr aktiver Mensch gewesen. Dennoch entwickelte sie sich in den letzten Lebensjahren zunehmend in eine gewisse geistige Starre, die es ihr erschwerte, den Kontakt mit anderen Menschen zu pflegen. Sie wurde ängstlich und argwöhnisch, und man sah, wie die Verhärtungs- und Sklerotisierungsprozesse des Alters überhandnahmen und ihr bewusstes Gedankenleben stark beeinflussten.
Sie hatte bereits als junges Mädchen die Anthroposophie kennengelernt und seither unablässig an ihrer inneren Entwicklung gearbeitet, und sie war auch sehr erfolgreich und tüchtig in ihrem Beruf. Nach dem frühen Tod ihres Mannes war sie ganz auf sich selbst angewiesen. In ihrer frühen Kindheit hatte sie sehr unter einem extrem strengen Vater zu leiden gehabt und musste als Älteste von mehreren Geschwistern viel zu Hause helfen, oft bis in die Nacht hinein.
Sie ist für mich ein typisches Beispiel dafür, wie gerade in der frühen Kindheit, in der sich das Nervensystem aufbaut, Schäden veranlagt werden können, die sich in starken Abbauerscheinungen im späteren Alter widerspiegeln. Den schwächenden Einflüssen ihrer schweren Kindheit und Jugend und den dadurch schon im frühen Alter zu erwartenden Erkrankungen hatte sie durch ihr sehr aktives Innenleben entgegenzuwirken vermocht, sodass die Verhärtungsprozesse erst viel später in Erscheinung traten.
Aufgaben einer zukunftsorientierten Erziehung
Aus dem Wissen um den Zusammenhang zwischen der Art, wie ein Mensch in seinem Körper inkarniert und zwischen der Art, wie er sich wieder davon löst, möchte ich konkrete Hinweise geben, wie wir bereits in der Pädagogik einen positiven Einfluss auf den Alterungsprozess nehmen können.
· Bewusste Pflege der Lebenskräfte der Kinder
Eine der wichtigsten Aufgaben einer zukunftsorientierten Erziehung, die nicht nur den Augenblick, sondern die ganze Biographie im Auge hat, besteht darin, die Lebenskräfte der Kinder bewusst so zu pflegen, dass solchen Alterungsvorgängen vorgebeugt wird. Durch Selbsterziehung und die intensive Pflege des eigenen Seelenlebens kann der Erwachsene selbst Gesundheit bis ins hohe Alter veranlagen.
Der Grund dafür, dass so viele Menschen im Alter bedauerliche Zustände erleben, liegt zum einen in den unzureichenden Entwicklungs- und Erziehungsbedingungen unserer Zeit und zum anderen in der mangelhaften selbstbestimmten Aktivierung der seelischen und geistigen schöpferischen Kräfte, die in einer durch den Materialismus geprägten Kultur zu wenig Pflege erfahren.
Selbst wenn in der Kindheit die Wachstumskräfte durch zu frühes intellektuelles Training in Denkkräfte umgewandelt wurden, gibt es Möglichkeiten, den zu erwartenden Schäden im späteren Leben vorzubeugen. Korrekturmöglichkeiten liegen immer in demjenigen, was für ein bestimmtes Lebensalter an der Reihe ist.
· Versäumtes nachholen über altersgemäße Aktivitäten
Dazu ein Beispiel: Hat ein achtjähriges Kind den größten Teil seiner Kindheit vor dem Fernsehapparat verbracht und ist deshalb motorisch ungeschickt, neigt zudem zu stereotypen Bewegungen, wiederholt ständig bestimmte Formulierungen, ist unfähig zu konzentrierter Gedankentätigkeit, so macht es keinen Sinn, mit einem solchen Kind die versäumte motorische, sprachliche und kognitive Kleinkind-Entwicklung nur nachholen zu wollen. Das ist gar nicht möglich! Man muss sich vielmehr fragen:
Was braucht ein gesunder Achtjähriger?
Altersgemäße Aktivitäten wären:
- Spaziergänge in der Natur
- Bewegungsspiele im Freien
- Lösen einfacher Rätsel
- gemeinsames Auswendiglernen von Gedichten
- Zeichnen von einfachen Formen mit der Hand, mit dem Fuß, mit immer wieder neuen Farben
- Malen von Bildern zu vorgelesenen Geschichten
- einfache musikalische Übungen an einem Instrument und in Form von Singen.
Über all das wird das Kind in seiner altersentsprechenden Lerndisposition gefordert – aber nicht nur das: Über diese gemeinsamen Aktivitäten entsteht eine Beziehung zwischen Lehrer und Kind, die es dann auch erlaubt, dass manches aus der Kleinkindentwicklung in veränderter Form auf einer anderen Ebene nachgeholt werden kann. In einem solchen Fall sollte man sich zusätzlich mit erfahrenen Heilpädagogen, Ergo- und Physiotherapeuten unterhalten bzw. mit einem Kinderpsychiater austauschen.
Nachholmöglichkeiten im Erwachsenenalter
Jeder Mensch kann natürlich auch noch im Erwachsenenalter an sich arbeiten. Denn jedes Alter hat seine altersspezifische Lerndisposition, die es uns ermöglicht, bis zu einem gewissen Grad Versäumtes nachzuholen und damit vom Seelisch-Geistigen aus im Sinne einer „geistigen Ernährung“ heilsam auf den Leib zurückzuwirken.
· Künstlerisches Üben
Hat man beispielsweise eine Erziehung genossen, die ganz im Zeichen der Frühintellektualisierung stand, so ist es eine große Hilfe, wenn man sich im späteren Leben künstlerisch betätigt. Optimal wäre es, regelmäßig an eurythmischen Laienkursen teilzunehmen, denn keine Kunst appelliert so zentral an die Aufbaukräfte des Organismus und führt zu einer Stärkung der gesamten Vitalität wie die Eurythmie. Die eurythmischen Bewegungen entsprechen den Entwicklungsbewegungen des menschlichen Körpers, die schon vom Embryo als Wachstumsbewegungen durchgeführt werden. Das zeigen Ultraschall-Filmaufnahmen, die während der Schwangerschaft gemacht worden sind. Die Embryonen und Feten vollführen die Grundbewegungen, die wir aus der Sprach- und Toneurythmie kennen. Doch hilft natürlich jede künstlerische Tätigkeit, die schöpferischen Kräfte – speziell des Gefühls und Willenslebens – zu aktivieren, da Kunst nicht auf Verstandesleistungen beruht, sondern durch regelmäßiges Üben und Wiederholen (Willensanstrengungen) und durch ästhetisches Beurteilungsvermögen zustande kommt. Genau hinzuspüren, ob etwas schon gelungen ist oder nicht, regt wiederum das Gefühlsleben an.
· Kontrolle der Kritikbereitschaft
Auch ist es eine gute Übung für früh intellektualisierte Menschen, sich in Bezug auf ihre Kritikbereitschaft zu kontrollieren. Denn meist neigen sie dazu, unablässig Situationen, Menschen und Vorgänge um sich herum zu beurteilen. Wer dies bei sich entdeckt und darauf zu verzichten beginnt, wird bemerken, dass seine Vitalität zunimmt. Zudem werden die Aufbaukräfte des Organismus dadurch unterstützt. Denn alles kritische Beurteilen birgt eine destruktive Tendenz, egal, ob das Urteil positiv oder negativ ausfällt. Beurteilungen dienen dazu etwas fest zu stellen und beruhen somit auf einem unproduktiven Gedankenleben: „Wie konnte der nur, er müsste doch eigentlich wissen...“, oder „Das finde ich ausgezeichnet, das hätte ich auch so gemacht, wenn ich in seiner Situation gewesen wäre – allerdings hätte er...“ usw. Solche Feststellungen werden um ihrer selbst willen gemacht und ziehen keine Taten nach sich.
Ganz anders die Urteile, die durch sorgfältiges Abwägen zu Entscheidungen und damit auch zu Willenshandlungen führen.
Im Rahmen der Selbsterziehung gibt es eine Fülle von Möglichkeiten, in der Kindheit veranlagte Erziehungsschäden im späteren Leben auszugleichen und damit zur Harmonisierung der körperlichen und geistigen Kräfte beizutragen.
Vgl. Kapitel „Zusammenhänge der menschlichen Denktätigkeit“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart
[1] Rudolf Steiner, Wege und Ziele des geistigen Menschen, GA 125.
ALTERUNGSPROZESS IN BEZUG ZUR ENTWICKLUNG IN KINDHEIT UND JUGEND
Welche großen Entwicklungsabschnitte gibt es im menschlichen Leben?
Wie hängen Evolution und Involution miteinander zusammen?
Welche Auswirkungen hat die Entwicklung in der Jugend auf den Alterungsprozess?
Einander spiegelnde Evolutions- und Involutionsphasen
Altwerden ist keine Krankheit, genauso wenig wie Schwanger-Sein. In beiden Fällen kann es jedoch sein, dass Komplikationen und Schwierigkeiten auftreten, die dann behandelt werden müssen.
Rudolf Steiner sagt: Die Involutionsphasen im Alter spiegeln die Evolutionsphasen von Kindheit und Jugend:[1] Was zuletzt herangereift ist, bildet sich zuerst zurück, der Abbau der Organsysteme vollzieht sich spiegelbildlich zu ihrer Entwicklung.
1. Evolution im 3. Jahrsiebt und Involution zwischen 40 und 50 Jahren
· Evolution im Zuge der Inkarnation
Zwischen vierzehn und einundzwanzig Jahren reift das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem aus. Skelett und Stoffwechsel brauchen also am längsten, bis sie vollkommen ausgereift sind und eine Stabilisierung des Hormonhaushaltes erreicht wird. Das dauert manchmal bis zum 23. Lebensjahr. Vom spirituellen Gesichtspunkt her würden wir sagen: Es dauert 21 bis 23 Jahre, bis der Mensch „vollständig inkarniert“ ist und sein Ich den Leib vollkommen ergriffen hat. Im 3. Jahrsiebt erwacht dank der aus der Ich-Organisation freiwerdenden Kräfte auch das eigenständige Denken am Umkreis. Jetzt geht es darum, dass der Jugendliche lernt, Idealismus zu entwickeln und zu lernen, sich geistig eigenständig ganz neu zu orientieren, sich aufzurichten, beweglich zu werden, das Instrument des Leibes von innen bewusst zu ergreifen. Wem das nicht gelingt, der ist prädisponiert für Erkrankungen, die die Erdenschwere und -belastung spürbar machen.
· Involution im Zuge der Exkarnation
Das zuletzt herangereifte Stoffwechsel-Gliedmaßensystem sowie das hormonelle System bilden sich zwischen 40 und 50 als Erste wieder zurück: Das Klimakterium setzt ein und führt zur Menopause, die eine totale hormonelle Umschaltung bei der Frau bedeutet. Beginnend beim Knochenbau und Hormonhaushalt devitalisiert sich der Organismus, d.h. die Regenerationskraft lässt nach. Wer dafür disponiert ist, hat Probleme mit dem Rücken, der Schulter, dem Nacken, bekommt Diabetes Typ II, Gallen- und Nierenprobleme, metabolische Syndrome und rheumatische Erkrankungen. Das heißt, es kommt zu chronischen Erkrankungen des Stoffwechsel-Gliedmaßensystems. Das ganze System tritt in die Involutionsphase ein.
Frauen sind von den damit einhergehenden Prozessen stärker betroffen als Männer. Körperlich gesehen findet jedoch bei beiden Geschlechtern ein altersbedingter Devitalisierungsprozess statt. Stärker betroffen sind auch Menschen mit einer bestimmten Krankheitsdisposition, aber auch diejenigen, die sich nicht optimal inkarnieren konnten.
Gedanklich erwacht jedoch in der Regel ein neuer Idealismus, Lebensformen und Werte werden hinterfragt, man möchte sich beruflich verändern oder auf andere Weise „neu beginnen“, will endlich wirklich das eigene Leben leben.
2. Evolution im 2. Jahrsiebt und Involution zwischen 50 und 60 Jahren
· Evolution im Zuge der Inkarnation
Nach dem ersten Jahrsiebt bis zur Pubertät reifen die rhythmischen Funktionssysteme, insbesondere von Atmung und Kreislauf. Bei einem Zwölfjährigen haben wir noch ein Kinder-EKG, einen schnelleren Herzrhythmus und eine schnellere Atmung, als es der Erwachsene hat. Erst mit fünfzehn Jahren reift das Kreislaufsystem zur Erwachsenenkompetenz heran und die Atmungsorgane bilden einen ruhigeren, langsamen Erwachsenenrhythmus aus. Dann ist auch die Frequenzabstimmung zwischen Atem- und Herzrhythmus abgeschlossen.
Die wichtigste Stimulation bzw. Unterstützung der Reifung besteht darin, das Gefühlsleben zu kultivieren. Denn nichts regt Atem und Herzschlag besser an als das Pendeln zwischen den Polen tiefer Gefühle. Die Pflege tiefer Gefühle ist demnach die Prävention gegen vaskuläre Demenz, vor allem wenn eine familiäre Disposition vorliegt.
· Involution im Zuge der Exkarnation
Zwischen 50 und 60 stehen laut Statistik kardiovaskuläre Erkrankungen und die Chronifizierung von Lungenerkrankungen im Vordergrund, das heißt, die Abbauerscheinungen greifen auf das rhythmische System, auf Herz und Lunge, über: Es kommt zu Bluthochdruck, Rhythmusstörungen, zu koronaren Herzkrankheiten, bei einer entsprechenden Disposition tritt der erste Infarkt auf. Viele haben in ihrem Bekanntenkreis jemanden in diesem Alter, der an COPT, Angina Pectoris oder Herzrhythmusstörungen leidet. In jedem Fall lässt die Atemkapazität spürbar nach.
All diese Erkrankungen haben in diesem Alter statistisch gesehen eine erste große Inzidenzphase und sind Ausdruck von Exkarnationsproblemen. Der Mensch kommt im Hinblick auf seine Vitalität, seine Seelenverfassung und seinen ganzen biografischen Entwurf in eine Krise. Er muss körperliche Einbußen hinnehmen. Und – was man ja bei chronischen Krankheiten immer erlebt – er spürt hautnah die Vergänglichkeit und Endlichkeit seines Lebens.
Gedanklich hingegen stellt sich ein objektiveres, reifes Urteilsvermögen ein, die Fähigkeit, Gegensätze vermitteln und bewusst abwägen zu können.
3. Evolution im 1. Jahrsiebt und Involution zwischen 60 und 70 Jahren
· Evolution im Zuge der Inkarnation
Die Grundreifung der Sinnesfunktionen und etwa 90% der Kapazitäten des Zentralnervensystems erreichen schon in den ersten neun Lebensjahren die volle Funktionstüchtigkeit: Das Ohr ist mit etwa vier Jahren voll funktionstüchtig. Das Auge braucht acht Jahre, bis es in allen Feinheiten ausgereift ist: in Bezug auf die Perspektive, das Farbensehen, auf feinsten Abstufungen der Wahrnehmung und die Verknüpfung mit den anderen Sinnen. Das ist ein langer Reifungsprozess. Wir unterstützen diesen Prozess interessanterweise nicht dadurch, dass wir dem Zweijährigen Kopfrechnen beizubringen versuchen, sondern durch intensive Sinnespflege und Tatsachenlogik – durch sinnvolle Tätigkeiten, sinnvolle Zusammenhänge, sinnvolles Sprechen, gedankenvolle Unterhaltung. Aber auch künstlerische Tätigkeiten und Eindrücke sind äußerst förderlich.
Wenn die Stimulation durch Sinnvolles und Künstlerisches in einer Biographie fehlt oder das Denken ganz materialistisch einseitig erzogen wird und die Sinneserfahrungen korrumpiert und verfälscht werden von Fernsehen und Computer, sind die Betroffenen prädisponiert dafür, im Alter verstärkt Probleme mit ihrem Nervensinnessystem zu bekommen.
· Involution im Zuge der Exkarnation
Gott sei Dank lassen die Gehirn- und Sinnesleistungen zwischen 60 und 70 Jahren erst ganz zuletzt schrittweise nach: Jetzt treten gehäuft Degenerationserscheinungen am Nervensinnessystem, an den Sinnesorganen und dem Zentralnervensystem auf. Unser Gedächtnis und unsere Seh- und Hörkraft lassen nach, das heißt, dass die Regenerationsfähigkeit des Sinnes-und Nervensystems rapide abnimmt. Wir werden langsamer, brauchen Unterstützung.
Umso erstaunlicher ist es, dass mit dieser Lebensphase normalerweise keine geistige Leistungsminderung parallel geht. Auch wenn zusammen mit den Sinnesorganen das Gehirn ebenfalls nachweislich altert und messbar an Substanz verliert, kann dieser Vorgang dennoch mit geistiger Frische, neuen Perspektiven und Sichtweisen einhergehen. Nicht nur, dass die Plastizität und Kompensationsfähigkeit des Nervensystems bis ins hohe Alter erhalten bleiben - es werden auch weitere Bildekräfte frei, die aus den Abbauvorgängen dieser Organsysteme stammen. Dadurch treten neue Vorstellungsmöglichkeiten auf und eine größere Fähigkeit zu gedanklicher Überschau, selbst wenn einen das Kurzzeitgedächtnis manchmal etwas im Stich lässt.
Nur im Falle einer Demenzerkrankung, die aber grade kein gesundes Altern darstellt, sondern eine Erkrankung des Nervensystems, ist dies natürlich anders. Dennoch muss man auch in diesem Krankheitsfall davon ausgehen, dass die körperunabhängigen Gedanken-, Gefühls- und Willenskräfte der so Erkrankten durchaus da sind. Nur ist die gesunde Gehirnfunktion nicht mehr vorhanden als Grundlage für ein selbstbewusst geführtes und geordnetes Vorstellen von Gedanken, Gefühlen und Willensimpulsen. Umso wichtiger ist es, neue Kommunikationsformen zu entwickeln, indem man mit diesem real vorhandenen Geistigen rechnet und der Betroffene dies spüren kann.
Die Involutionsphase von 70 Jahren aufwärts
Das Bibelwort „Unser Leben währet 70 Jahre“ entspricht der Rhythmik zwischen Inkarnation und Exkarnation. Dann folgt eine Gnadenzeit, die sich durch eine gewisse Stabilität auszeichnet. Menschen, die bis zum Alter von 70 Jahren keine Anzeichen aufweisen für eines der genannten chronischen Probleme, werden zwar schwächer, bleiben dabei aber oft geistig frisch, sie bauen nicht wirklich ab vor dem Tod. Das erlebte ich oft in der Praxis.
Bedingungen für Gesundheit bis ins hohe Alter
Wir sehen also: Wenn sich in Kindheit und Jugend die „Inkarnation“ des Menschen so vollzieht, dass Körper, Seele und Geist altersgerecht gefordert werden, so ist dies die beste Vorbedingung dafür, dass auch die „Exkarnation“ harmonisch und ohne größere gesundheitliche Einbrüche vonstattengeht.
Eine gesundheitsfördernde Erziehung, wie sie u.a. das Konzept der Waldorfpädagogik vorsieht, wirkt als primäre Krankheitsprävention für die zweite Lebenshälfte. Die Art und Weise, wie Entwicklung in Kindheit und Jugend sich vollzogen hat, bestimmt über den Schweregrad und die Ausprägung chronischer Erkrankungen und Verschleißerscheinungen im Alter: Je harmonischer ein Mensch in Kindheit und Jugend im Zuge der Inkarnation heranreifen kann, umso weniger Krankheitsneigungen zeigt er im Zuge der Exkarnation.
Doch auch Erziehung und Selbsterziehung, lebenslange Freude am Lernen sowie an der Entwicklung neuer Fähigkeiten bedingen Gesundheit bis ins hohe Alter.
Auf diesem Gebiet müsste noch viel geforscht werden. Wir benötigen sehr gut abgestimmte Therapiekonzepte, die regenerierende und die Inkarnation fördernde Möglichkeiten in konkrete Behandlungsansätze umwandeln, je nachdem, welche Symptomatik vorherrscht.
Vgl. Vortrag „Schicksalswürde und spirituelles Begreifen der Demenz“, gehalten am Internationalen Pflegekongress in Dornach am 9. Mai 2008
[1] Rudolf Steiner, Wege und Ziele des geistigen Menschen. Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft.GA 125, Dornach 1992, S. 55.