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Angst: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Geistesforschung
 
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''Vgl. „Die Angst in der Selbsterziehung des jungen Erwachsenen“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013''
''Vgl. „Die Angst in der Selbsterziehung des jungen Erwachsenen“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013''
 
----''(1) Götz Werner, Womit ich nie gerechnet habe. Econ, Berlin 2013.''
''(1) Götz Werner, Womit ich nie gerechnet habe. Econ, Berlin 2013.''


== Ursache und Herausforderung der Trennungsangst ==
== Ursache und Herausforderung der Trennungsangst ==
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''Vgl. Vortrag „Seelische Wärme statt Angst vor der Zukunft“, in Altenschlirf 2014''
''Vgl. Vortrag „Seelische Wärme statt Angst vor der Zukunft“, in Altenschlirf 2014''
 
----''(1) Christian Morgenstern, Wir fanden einen Pfad. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 2004.''
''(1) Christian Morgenstern, Wir fanden einen Pfad. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 2004.''


''(2) siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/14-Punkte-Programm''
''(2) siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/14-Punkte-Programm''
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''Vgl. Vortrag „Seelische Wärme statt Angst vor der Zukunft“, in Altenschlirf 2014''
''Vgl. Vortrag „Seelische Wärme statt Angst vor der Zukunft“, in Altenschlirf 2014''
 
----''(1) Rudolf Steiner, Die Philosophie der Freiheit. GA 4. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1995''
''(1) Rudolf Steiner, Die Philosophie der Freiheit. GA 4. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1995''


== Leibesangst und ihre Ursachen ==
== Leibesangst und ihre Ursachen ==
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''Vgl. „Vorgeburtliche Disposition zu Angststörungen“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013''
''Vgl. „Vorgeburtliche Disposition zu Angststörungen“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013''
 
----''(1) Rudolf Steiner, Die Wissenschaft vom Werden des Menschen, GA 183. Neun Vorträge, gehalten in Dornach.''
''(1) Rudolf Steiner, Die Wissenschaft vom Werden des Menschen, GA 183. Neun Vorträge, gehalten in Dornach.''


== Angst im 1. Jahrsiebt – Leibesangst ==
== Angst im 1. Jahrsiebt – Leibesangst ==
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''Vgl. „Ängste im Jugendalter und ihre Überwindung“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013''
''Vgl. „Ängste im Jugendalter und ihre Überwindung“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013''
 
----''(1) Zitat aus: Rudolf Steiner, Anthroposophische Menschenkunde und Pädagogik. Vortrag Pädagogik und Moral, vom 26.3.1923. GA 304a, S.44 (Ausgabe 1979).''
''(1) Zitat aus: Rudolf Steiner, Anthroposophische Menschenkunde und Pädagogik. Vortrag Pädagogik und Moral, vom 26.3.1923. GA 304a, S.44 (Ausgabe 1979).''


''(2) Ebenda: „Das, was auf dem Wege der Sympathien und Antipathien sich als moralisch empfindendes Urteil in der kindlichen Seele festsetzt, das bestimmt die ganze moralische Bildung des Kindes. Und wie sehr man selbst ein richtiges moralisches Verhältnis zum Kinde haben muss, das geht aus einer einzelnen Tatsache noch ganz besonders hervor. Man wird, wenn man aus einer wirklichen innerlich-praktischen Psychologie heraus unterrichten und erziehen kann, bemerken, dass das Kind bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, der so um das 9./10. Lebensjahr liegt, auch mit seinem moralischen Urteil, moralischen Sympathien und Antipathien, die man bei ihm heranbilden kann, mehr so in der Welt lebt, dass es, trotzdem es noch, ich möchte sagen, einen leiblichen Egoismus hat, sich selber vergisst und mit der Welt zusammenhängt, noch in der Welt aufgeht.“''
''(2) Ebenda: „Das, was auf dem Wege der Sympathien und Antipathien sich als moralisch empfindendes Urteil in der kindlichen Seele festsetzt, das bestimmt die ganze moralische Bildung des Kindes. Und wie sehr man selbst ein richtiges moralisches Verhältnis zum Kinde haben muss, das geht aus einer einzelnen Tatsache noch ganz besonders hervor. Man wird, wenn man aus einer wirklichen innerlich-praktischen Psychologie heraus unterrichten und erziehen kann, bemerken, dass das Kind bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, der so um das 9./10. Lebensjahr liegt, auch mit seinem moralischen Urteil, moralischen Sympathien und Antipathien, die man bei ihm heranbilden kann, mehr so in der Welt lebt, dass es, trotzdem es noch, ich möchte sagen, einen leiblichen Egoismus hat, sich selber vergisst und mit der Welt zusammenhängt, noch in der Welt aufgeht.“''
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''Vgl. „Ängste im Jugendalter und ihre Überwindung“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013''
''Vgl. „Ängste im Jugendalter und ihre Überwindung“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013''
== Hilfen gegen Angst im 3. Jahrsiebt ==
== Hilfen gegen Angst im 3. Jahrsiebt ==
''Wie tritt Angst im 3. Jahrsiebt in Erscheinung?''
''Wie tritt Angst im 3. Jahrsiebt in Erscheinung?''
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''Vgl. „Vorgeburtliche Disposition zu Angststörungen“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013''
''Vgl. „Vorgeburtliche Disposition zu Angststörungen“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013''
 
----''(1) Rudolf Steiner, Veröffentlichungen zur Geschichte und aus den Inhalten der esoterischen Lehrtätigkeit, GA 268, S. 304.''
''(1) Rudolf Steiner, Veröffentlichungen zur Geschichte und aus den Inhalten der esoterischen Lehrtätigkeit, GA 268, S. 304.''


== Angst und Selbstverantwortung ==
== Angst und Selbstverantwortung ==
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''Vgl. Vortrag „Kinderkrankheiten angstfrei behandeln“, Filderstadt, Impfkongress 2009''
''Vgl. Vortrag „Kinderkrankheiten angstfrei behandeln“, Filderstadt, Impfkongress 2009''
 
----''(1) Wolfgang Goebel, Schutzimpfungen selbst verantwortet, anthera 2004.''
''(1) Wolfgang Goebel, Schutzimpfungen selbst verantwortet, anthera 2004.''

Aktuelle Version vom 22. März 2025, 07:42 Uhr

Angst – von Michaela Glöckler

Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/

Die Botschaft der Angst

Was ist die Botschaft der Angst?

Was will unsere Angst uns sagen?

Sinn und Gefahr von Angst

Angst und Sorge sind jedem Menschen bekannt. Nehmen sie überhand, so wirken sie sich schädigend auf das seelische und körperliche Leben aus.

Angst hat jedoch eine wichtige Funktion im Menschenleben. Sie lässt den Menschen aufmerksam werden, macht ihn angespannt und wach. Wenn man beispielsweise von einer neu aufgetretenen Krankheit hört, beginnt man sogleich darüber nachzulesen und sich sachkundig zu machen. Weiß man dann, wie sie einzuordnen ist und wie man sich schützen kann, ist die Angst vor der Krankheit durch Einsicht in die Zusammenhänge weitgehend abgebaut. Die Angst hatte die Funktion, diesen Erkenntnisprozess auf den Weg zu bringen. Das heißt also: Angst weckt auf, Wachheit führt zur Erkenntnis und die Erkenntnis beruhigt wiederum die Angst. Wie viele Menschen würden stumpf dahinleben, wenn sie keine Angst hätten und sich nicht um irgendetwas sorgten! Führt Angst jedoch nicht zur Erkenntnis, besteht die Gefahr, in der Angst gleichsam steckenzubleiben, ihr ausgeliefert zu sein. Das führt zur seelischen Zerrüttung und zur Krankheit.

Wer sich zum Beispiel verzehrt in der Angst vor Umweltgiften oder der künstlichen Radioaktivität, wird weder für sich noch für die Umwelt etwas Hilfreiches bewirken können. Wer jedoch diese Gegenwartsprobleme zum Anlass nimmt, grundsätzlich über das eigene Leben und die Weltverhältnisse nachzudenken, wird dadurch motiviert, an einer Veränderung der Kulturverhältnisse und einer Überwindung dieser Krise unserer Zivilisation mitzuarbeiten (vgl. Bewusstseins(seelenzeitalter: Bewusster Umgang mit Not und Zerstörung). Angst kann immer Anlass für einen Lernschritt sein. Jede Angst, jede Ängstlichkeit, ist im Grunde Vorbote einer zukünftigen Erkenntnis. Wer mit großen Ängsten zu kämpfen hat, kann daran ermessen, zu welch umfassenden Erkenntnissen er kommen könnte. Für ihn gilt herauszufinden, was er sich an Erkenntnissen erwerben muss, um diese Ängste auflösen und überwinden zu können.

Hilfe vom Engel

Hierbei können Engel helfen (vgl. Engel: Bedeutung der Engel für uns Menschen). Denn wenn die Erkenntnis nicht ausreicht und die Angst bestehen bleibt, können die bereits geschilderten Verzweiflungsmomente auftreten. Wer sich in diesen Augenblicken ins Bewusstsein rufen kann, dass es nichts gibt, was den Menschen geistig vernichten kann, dass selbst Tod und Geburt tiefmenschliche Vorgänge sind, die zu unserem Leben dazugehören, der kann die Nähe des Engels empfinden. Daran können Vertrauen in das eigene Schicksal und Liebe zur Entwicklung erwachen. Es gehört nun einmal zum Menschenleben dazu, durch Extremsituationen zu gehen. Ohne Sterben und Vergehen könnte nichts Neues entstehen. Verwandlung ist nur möglich, wenn das zuvor Bestehende sich hingibt und opfert. Wenn das Vertrauen in die eigene Existenz erwacht, in die Wandlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, in die Fähigkeit, zu sterben und wieder geboren zu werden, kann sich eine nie gekannte Dankbarkeit gegenüber dem Schicksal regen, die bewirkt, dass die Angst schwindet (vgl. Schicksal und Karma: Ich-Erleben und Schicksalsgestaltung). Dann spürt man die schützenden Schwingen seines Engels um sich herum. Man ist wie abgeschirmt von dem, was einen vorher bedrängte. Wenn die Existenzangst schwindet, wird die positive Wirkung der Angst erlebbar – dass sie zur Erkenntnis führen will.

Wenn man mit seinen Ängsten nicht fertig wird, ist es daher hilfreich, sich regelmäßig über einen längeren Zeitraum hinweg ganz bewusst am Abend eine Viertelstunde Zeit zu nehmen und sich mit der Engelwelt zu beschäftigen. Man kann damit beginnen verschiedene Engeldarstellungen miteinander zu vergleichen und der Frage nachzugehen:

Was hat dieser Maler wohl von den Engeln gewusst?

Was hat ihm daran gefallen?

Welche moralischen Qualitäten liegen darin verborgen?

Wer das tut, merkt sehr bald, wie ihm sein Engel näherkommt und neue Ruhe und innere Sicherheit vermittelt (vgl. Engel: Wege zum Engel).

Vgl. Kapitel „Engel“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart

Die Aufgabe der Angst

Hat Angst eine Aufgabe hinsichtlich der Entwicklung des Menschen?

Körperliche, seelische und geistige Angstreaktionen

Das ist eine sehr schöne Frage, denn Angst hat eine Aufgabe. Ich möchte Wege aufzeigen, wie wir mit unserer Angst konstruktiv umgehen können, wie wir lernen können, immer besser damit zurechtzukommen.

Die körperlichen Angstreaktionen sollen uns vor Gefahren schützen. Ein kleines Beispiel: Wenn mir etwas ins Auge fliegt, kneife ich reflektorisch die Augenlider zusammen, sodass nichts eindringen kann. Ich bin dann dankbar dafür, dass der Lidschlag mich vor einem gefährlichen Objekt geschützt hat, bevor es die Netzhaut irritieren oder sogar verletzen konnte. Die Angst löst eine physiologische Schutzreaktion aus.

In unserer Seele erleben wir Angst als äußerst unangenehm, so sinnvoll sie auch sein mag. Es gibt eine große Vielfalt an Angstreaktionen – ich kenne einige davon aus eigenem Erleben. Was vom wissenschaftlichen Standpunkt aus für mich als Ärztin so faszinierend ist, sind die Symptome, die der Mensch zeigt, wenn er Angst hat. Es gibt kaum ein Krankheitssymptom, das nicht von der Angst ausgelöst werden könnte.

Geistig weckt uns Angst auf für Probleme und Defizite, die wir haben. Wenn wir keine Angst hätten, würden wir uns für bestimmte Fragen gar nicht interessieren. Angst erregt unsere Aufmerksamkeit, wirft Fragen auf, und wenn wir ihnen nachgehen, damit arbeiten und Antworten finden, führt das dazu, dass sich unser Bewusstsein erhöht und erweitert. Sie ist eine Begleiterscheinung von Entwicklung.

Sinn und Aufgabe von Angst

Die Aufgaben der Angst im Zusammenhang mit der Entwicklung des Menschen lassen sich so zusammenfassen:

  • Die erste Aufgabe besteht darin, dem Menschen zu helfen, immer wacher zu werden. Angst möchte uns auf Neues, noch nicht Gedachtes und Gelebtes aufmerksam machen.
  • Die zweite Aufgabe besteht darin, den Menschen herauszufordern, die eigene Identität wirklich zu befestigen, sie denken und erfahren zu lernen, sodass er begreift: Ich bin in dieser Welt, wurde hier geboren und sterbe hier, aber ich komme aus einer anderen Welt, in der ich den Zerfallsprozessen aus Raum und Zeit nicht unterworfen bin (vgl. Identität und Ich: Das Ich als Kern der Persönlichkeit).

Es geht darum, sich im Zuge der Identitätsbildung klar zu machen, mit welcher Dimension man als Mensch umgeht durch die Tatsache, dass man denken kann. Man muss die Macht der unsichtbaren, rein spirituell fassbaren Gedanken ganz neu entdecken, die Macht der Gedanken, die überräumlich und überzeitlich in sich selbst bestehend vorhanden sind. Ich kann den Gedanken meines eigenen Wesens denken, kann im Denken mich selbst erleben als ein übersinnliches, rein spirituelles, energetisches Wesen (vgl. Denken: Denken als Brücke zwischen der Sinneswelt und der Welt des Geistigen).

Wenn diese Identitätsbildung gelingt, ist die zweite Aufgabe der Angst erfüllt: Uns Menschen, die in einer Welt des Vergänglichen leben, in Beziehung zu bringen mit der Welt des Unvergänglichen, und uns aufzufordern, darin unser wahres Wesen zu entdecken.

Erlösung von Todesangst

Der bereits verstorbene Psychiater Bernard Lievegoed erzählte uns jüngeren Ärzten gerne, wie er die Angst vor dem Sterben verlor. Er saß im 2. Weltkrieg mit seinen Kameraden im Schützengraben, als eine Granate kam und seinen Freund innerhalb von Sekunden vernichtete. Er selbst wurde nur ganz leicht verwundet, stand aber unter Schock. Er befand sich in einem gelockerten Zustand, war ganz sensibel und weit offen und sah plötzlich am Horizont eine Lichtgestalt, die sich näherte. Für ihn sah es so aus, als wäre sie bis zu den Knien in der Erde versunken, als würde sie durch die Erde schreiten. Sie näherte sich seinem Freund, nahm ihn in die Arme. Bernard Lievegoed sah seinen Freund ganz klar, lebendig und unversehrt mit dieser Lichtgestalt langsam auf den Horizont zugehen.

Er sagte, dass dieses Erlebnis ihn lebenslang davor beschützt hätte, sich vor dem Tod zu fürchten – ein klassisches Beispiel eines persönlichen Schicksalserlebnisses, das den Betroffenen in sich selbst bestärkte.

Vgl. Vortrag „Angst in Krankheit und Gesundheit“, 14. Februar 2007

Positive und negative Auswirkungen von Angst

Welche Auswirkungen hat Angst auf den Menschen?

Unterschiedliche Auswirkungen von Angst

Die positiven Auswirkungen von Angst sind in aller Kürze:

  • das Aufweckende
  • das Bewusstsein Erzeugende
  • die Betonung des Einzelseins, wodurch die Verletzlichkeit des Individuums bewusst wird

Die negativen Auswirkungen von Angst sind:

  • Lähmung
  • Isolation
  • Verhinderung von Entwicklung dadurch, dass man den Mut verliert, etwas Neues zu wagen und zu lernen. So manifestiert Angst sich als größter Feind individueller Entwicklung.

Diesen Auswirkungen gilt es mit pädagogischen und therapeutischen Mitteln bei Kindern und Jugendlichen zu begegnen, damit sie als Schattenseite der Angst in ihrem Leben nicht zum Tragen kommen (vgl. Jugend heute: Angstkrise bei Jugendlichen).

Konstruktiver Umgang mit Angst

Das betrifft auch uns Erwachsene: Täglich hören wir von neuen Gefahren und Gefährdungen in irgendeinem Bereich des kulturellen Lebens! Jüngst brach durch den Lauschangriff bis ins Kanzleramt ein weiteres Stück Sicherheit weg... Jeder Tag konfrontiert uns mit neuen Gründen, Angst zu haben. Deswegen brauchen wir Erwachsene eine Art Selbstmanagement, um mit unserer Angst auf der körperlichen und der geistig-seelischen Ebene so umgehen zu lernen, dass wir uns das Positive daran zunutze machen und wacher, sorgsamer, genauer und überlegter werden. Dabei helfen die folgenden Fragen:

Was will mich das lehren?

Was kann ich besser machen?

Wofür soll ich aufwachen?

Das wird uns helfen, das Negative, die Entwicklung Hemmende, zu erkennen und uns dadurch nicht irritieren zu lassen, bzw. wird es uns motivieren, an Strategien zu arbeiten, wie wir das Negative in den Griff bekommen und überwinden können.

„Womit ich nie gerechnet habe“

Ich möchte Ihnen im Zusammenhang damit die Autobiografie von Götz Werner, dem dm-Gründer, empfehlen: „Womit ich nie gerechnet habe“(1). Das Interessante ist, dass man nicht nur einen sympathischen alten Mann auf dem Cover abgebildet sieht, sondern dass jede Zeile in diesem Buch für einen ängstlichen Menschen eine Wohltat zu lesen ist.

Götz Werner wurde in seinem Leben nichts von außen geschenkt. Er musste immer, wenn ihm etwas missfiel oder wenn er eine gute Idee hatte, die im Gegensatz zu seiner Umgebung stand, sich gegen Fachleute stellen, die versuchten, ihm seinen Einfall auszureden. Dann hatte er aber den Mut, ihn doch umzusetzen – der Erfolg gab ihm Recht. Wenn man dieses Buch liest, lernt man einen mutigen Menschen kennen, der vor allem beschreibt, wie er in einem Moment seiner Biografie etwas erkannte, was seine gesamte weitere Entwicklung bestimmte. Er fragte sich als Drogist, der Kosmetik und Zahnpasta und anderes verkaufen wollte, ob es wichtiger ist, an seinen Kunden möglichst viel Geld zu verdienen oder ihnen bestmöglich zu dienen. Die diesen Überlegungen zugrunde liegende Fragestellung lautet:

Ist der Mensch für das Geld da oder das Geld für den Menschen?

Er entscheidet sich dafür, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, ganz nach dem aktuellen dm-Motto: „Hier bin ich Mensch, hier kaufe ich ein.“ Das Geld sollte diesen Prozess nur ermöglichen (vgl. Geld und Besitz: Geld, Besitz und Spiritualität). Im Zuge der langsamen wirtschaftlichen Weiterentwicklung gingen die Leute nicht nur zu dm, weil sie billig einkaufen konnten, sondern weil es bei dm menschlich zugeht. Das finde ich begeisternd.

Gerade in der heutigen Zeit, in der die Wirtschaft von niederen Motiven – Neid, Ehrgeiz, Konkurrenz und Misstrauen – beherrscht wird anstatt von Brüderlichkeit und Füreinander-Leisten und -Dasein, wie es dem Ideal entspräche (vgl. Soziales Leben und soziale Dreigliederung: Sozialimpuls aus dem Ich), ist dieses Buch ein Manifest, dass es auch anders geht. Man schafft sogar, es quer zu lesen, wenn man wenig Zeit hat wie ich. Man kann es auch gut jungen Leuten in die Hand geben.

Vgl. „Die Angst in der Selbsterziehung des jungen Erwachsenen“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013


(1) Götz Werner, Womit ich nie gerechnet habe. Econ, Berlin 2013.

Ursache und Herausforderung der Trennungsangst

Was ist die Ursache für Trennungsangst?

Warum kann sich kein Mensch ihr entziehen?

Vor welche Herausforderungen stellt sie uns?

Geburt als Ur-Trauma

Die Trennungsangst wurzelt in unserer Geburt: Wir werden ausgestoßen aus dem mütterlichen Schoß, in dem wir ganz und gar behütet, genährt, beschützt, gewärmt herangewachsen sind – bis plötzlich die Nabelschnur durchschnitten wird und wir von der Mutter getrennt sind. Das ist der Ursprung aller Trennungsangst auf Erden. Man hat fortan Angst, getrennt zu werden von allem, zu dem man sich zugehörig fühlt, mit dem man sich verbunden weiß, bei dem man sich geliebt und sicher fühlt. Denn man wurde schon einmal, bei der Geburt, abgeschnitten, und hat jetzt Angst davor, dass das jederzeit wieder geschehen kann. Es ist im Grunde die Angst vor einer Re-Traumatisierung – auch wenn das Ur-Trauma den Säuglingen vollkommen unbewusst bleibt. Es ist eine Erfahrung, die jeder Mensch macht: mit der Abnabelung bin ich zu einem Einzelwesen geworden.

Diese Ur-Tatsache veranlagt uns Menschen aber auch dazu, früher oder später auf eigenen Füssen zu stehen, den eigenen Weg zu gehen, den eigenen Kopf zu benützen. Man kann nicht in allen Angelegenheiten andere fragen, was man machen soll. Irgendwann muss man lernen, das selber zu entscheiden. Mit dieser Individualisierung sind jedoch tausend Ängste verbunden (vgl. Identität und Ich: Die Ich-Natur des Menschen-ein zweischneidiges Schwert).

Gemeinschaftsgefühl versus Individualismus

Der berühmte deutsche Dichter Christian Morgenstern, der mit Anfang 40 schon früh verstorben ist, schrieb: „Die zur Wahrheit wandern, wandern allein“.(1) Das ist enorm schmerzhaft. Es wäre viel einfacher, die Wahrheit von anderen „serviert zu bekommen“, sich irgendwo anzuschließen, eine Clique oder Gruppe zu bilden, die die Wahrheit „hat“. Faschistische, nationalistische Gruppierungen sind heute wieder so attraktiv, weil dort ein extrem starkes Gemeinschaftsgefühl herrscht und Individualismus so gut wie nicht gefragt ist. So eine Gruppierung würde sofort zerfallen, wenn die dort verbundenen Menschen anfangen würden, selber zu denken. Selbst Parolen wie „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“, die wirklich sozial klingen, zielen darauf ab, dass der einzelne gar nichts zählt, dass er sich nur dem Staat unterzuordnen hat, dass die Belange der Gemeinschaft vorgehen.

Dem gegenüber sagte Rudolf Steiner schon vor dem 1. Weltkrieg, das moderne Sozialwesen bzw. moderne Staatswesen dürfe nicht vom Selbstbestimmungsrecht der Völker sprechen. Er sah die ganzen Migrationsbewegungen und ihre Folgen bereits voraus. In Stuttgart haben 51 % der heute dort lebenden Kinder einen Migrationshintergrund. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist vor diesem Hintergrund doch ein schlechter Witz: Denn es gibt kein Land, in dem nicht Minderheiten leben. Schon als der Amerikaner Woodrow Wilson 1917 das Selbstbestimmungsrecht der Völker proklamierte,(2) sagte Steiner, es werde der Menschheit enorme Schmerzen bereiten, weil es einen Rückfall in die alte Gruppenseelenhaftigkeit darstelle: einen Rückfall in die vorchristliche Zeit, als man noch in Stämmen und Ethnien verbunden war und sich am Ahnherrn, am Vater, am Chef, an der Königsfigur, am Pharao innerlich angeschlossen erlebte (vgl. Mysterien und Initiation: Über die alten Mysterien). Man war familienzugehörig, sippen- und regionszugehörig, aber doch nicht individuell!

Individualismus als Voraussetzung für Gemeinschaften freier Geister

Die Individualität, das Individuelle, ist ein Kind der Neuzeit, ist noch ganz jung und hat seine Vordenker in den griechischen Philosophen, die nur wenige Jahrhunderte vor Christus die Menschen erstmals auf den Individualismus, auf das Selberdenken vorbereiteten. Das gab es davor gar nicht. Und dann kam es zu dem Rückfall in Form des Selbstbestimmungsrechts der Völker…

Heute geht es vielmehr um das Selbstbestimmungsrecht des Individuums (vgl. Menschheitsentwicklung: Der göttliche Weltenplan). Das macht natürlich Angst. Denn man schneidet auch die „soziale Nabelschnur“ durch, wenn man alle geltenden Werte und Glaubenssätze, alle geltenden Gewohnheiten und Regeln, mit dem individuellen Bewusstsein beleuchten muss und selbst entscheiden, was man daran gut findet.

Dann hält man sich nicht mehr daran, weil es die anderen auch so machen, sondern weil man es selbst gut findet. Dann entstehen „Gemeinschaften freier Geister“, tragfähige Gemeinschaften aus Individuen, die individuelle Wärmezentren bilden und das Leben wieder neu zu einer Ganzheit zusammenschließen, die das Getrennte wieder aneinanderfügen (vgl. Gemeinschaft(sbildung): Gemeinschaftsfähigkeit stärken).

Vgl. Vortrag „Seelische Wärme statt Angst vor der Zukunft“, in Altenschlirf 2014


(1) Christian Morgenstern, Wir fanden einen Pfad. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 2004.

(2) siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/14-Punkte-Programm

Wurzeln und Aufgabe der Existenzangst

Worin wurzelt die Existenzangst?

Wie können wir ihr begegnen?

Was ist ihre Botschaft?

Angst zu sterben

Existenzangst ist die Angst krank zu werden und zu sterben, aber auch die Angst vor Umweltgiften. Es ist eine sehr quälende, unangenehme Angst, weil man so wenig durchschaut, wovor man eigentlich Angst hat. Man kann das schleichende Verderben ja nicht spüren und auch nicht messen. Dazu gehört auch die Angst vor der tickenden Zeitbombe des Elektrosmog. Immer mehr Studien sagen, wie gefährlich der Elektrosmog ist, aber trotzdem werden immer mehr Antennen gebaut, nimmt die Zahl der elektrosensitiven Menschen zu.

Wie wird das in zehn, zwanzig Jahren sein?

Wie wird es den Kindern dieser elektrosensitiven Menschen gehen?

Aus der Epigenetik wissen wir, dass Körper und Erbgut sich an der Umwelt verändern. Unter diesem Blickwinkel sorgt man sich um die nächste Generation, aber auch ums eigene Alter. Dazu gehört natürlich auch der materielle Aspekt:

Wie werde ich in zwanzig Jahren als alter Mensch sein?

Wie kann ich mit ein paar hundert Euro überleben, wenn ich alt bin und es schon jetzt kaum schaffe?

Angst junger Menschen vor dem Bösen in sich

Ich möchte noch ein Beispiel für die Ängste vor allem junger Menschen nennen. Ich wurde einmal eingeladen nach Norwegen, weil dort ein 6jähriger Junge ein 5jähriges Mädchen umgebracht hatte. Es geschah im Winter beim Schlittenfahren. Das Mädchen hatte einen schönen roten Plastikschlitten, den der Junge haben wollte. Das Mädchen wollte ihn nicht hergeben. Dann hat der Junge dem Mädchen diesen Plastikschlitten einfach aus der Hand weggerissen. Und weil das Mädchen so schrie, hat er, wie er später sagte, damit dem Mädchen so lange auf den Kopf geschlagen, bis es nicht mehr schrie und in den Schnee gesunken ist. Dort hat er es erfrieren lassen. Das erschütterte Norwegen damals, Mitte der 90er Jahre, ähnlich wie der Amoklauf von Breivik. Die Zeitungen im ganzen Land waren voll davon, im Radio wurde berichtet, im Fernsehen, überall gab es Panelgespräche darüber, wie so etwas passieren konnte.

Ich bekam damals einen Brief von einer Waldorfschule, ob ich nicht kommen und mit den Schülern darüber sprechen könnte. Das habe ich gemacht. Ab der 5. Klasse bis zur Abiturklasse hatte man alle Schüler zusammengerufen. Ich habe sie dann gefragt: Warum habt ihr mich eingeladen? Im folgenden Gespräch kamen unglaublich tiefe Ängste vor dem Bösen im eigenen Innern, in der menschlichen Natur zutage:

Woher weiß ich, dass nicht auch ich einmal so werde, wenn das doch in der menschlichen Natur sitzt?

Das hat mich sehr berührt. Ehrlicherweise musste ich ihnen sagen, dass diese Ängste total berechtigt sind. Wer sich nicht selbst überwindet, lässt das Böse, das in ihm steckt, heraus. Deshalb muss der Mensch sich selbst erziehen. Das sagte auch Goethe: Er habe alle bösen Neigungen, zu denen ein Mensch fähig ist, in sich selbst entdeckt, mit Ausnahme von Neid. (Als ich das zum ersten Mal las, habe ich mich gefragt, wen Goethe, der berühmteste Europäer seiner Zeit, denn hätte beneiden sollen…)

Der Eigenwille des anderen weckt das Böse

Man kann das Böse jedoch nur durch die Begegnung mit der Welt in sich entdecken, nur so wird es geweckt: Ohne den roten Schlitten, ohne die Gier danach wäre das überhaupt nicht passiert. Da hätte der Junge gemütlich beim Abendessen gesessen. Es braucht doch immer eine Begegnung, durch die das Böse mobilisiert wird. Ich kenne keinen Menschen, der, wenn er lieb und brav bei sich zuhause sitzt, das Böse herauslässt. Es gibt sogar viele, die meinen, dass sie, wenn sie, weil sie so lieb und brav zuhause sitzen, eigentlich ganz nett sind und sich fragen, warum denn die anderen so schwierig sind. Das ist ein ganz natürliches Grundempfinden. Wir müssen uns klarmachen, dass uns das Böse nur zu Bewusstsein kommt, wenn sich andere so benehmen, wie sie es wollen und nicht, wie wir uns das vorstellen: wenn wir einen Grund haben, frustriert zu sein, weil die Welt nicht so ist, wie wir sie uns wünschen.

Deswegen bedeutet Kultur ja gerade, sich am anderen, an der Begegnung, zu entwickeln und nicht Macht auszuüben, dass alle so ticken, wie man selbst es möchte (vgl. Soziales Leben und soziale Dreigliederung: Sozialimpuls aus dem Astralischen). Vielmehr muss ich mich verändern für diese Welt – was bedeutet: mein eigenes Wissen zu behalten, aber auch offen dafür zu sein, was anderen wichtig ist. Dadurch wird das Leben reich.

Erlösung des Bösen durch Entwicklung

Rudolf Steiner sagt, das Böse sei ein Gutes am falschen Platz. Wird ihm der richtige Platz zugewiesen, ist es erlöst. Das bedeutet: Das Böse kann nur durch Entwicklungsprozesse individueller und sozialer Art erlöst werden (vgl. Das Böse - Widersachermächte: Unvermeidliche Auseinandersetzung mit dem Bösen). Dass wir dafür wach werden müssen, ist die Botschaft unserer Zeit. Es passiert so viel Schreckliches, weil die Menschen so verschlafen sind und es schlicht nicht wahrhaben wollen, dass das Leben kein Spaziergang ist, so hart das auch klingt.

Angst vor der Zukunft kann also persönliche Ursachen haben, kann aber auch die ganze Menschheitsentwicklung betreffen. Ich treffe immer mehr Menschen, die sich ernsthaft darüber Sorgen machen, wo es mit der Menschheit hingeht. Wir alle haben diese Ängste, mehr oder weniger stark.

Je mehr wir uns der Entwicklungskompetenz unseres eigenen Ich bewusstwerden (vgl. Entwicklung: Entwicklungsgedanke und Wiederverkörperung), umso mehr können wir zum Ausgleich, zur Überwindung dieser Ängste beitragen.

Vgl. Vortrag „Seelische Wärme statt Angst vor der Zukunft“, in Altenschlirf 2014

Wurzeln und Überwindung der Angst vor Verletzung

Was sind die Ursachen für Angst vor Verletzung?

Warum ist es so schwer ihr zu entkommen?

Wie lässt sie sich überwinden?

Bewusstsein der Verwundbarkeit

Die Angst vor Verletzung beruht auf dem Wissen um unsere körperliche Verwundbarkeit: Wir haben eine zarte Haut, die leicht zu verletzen ist. Unfälle, Gifte, grobe oder spitze Gegenstände – wie oft verletzt man sich oder „baut“ einen Unfall. Davor haben vor allem auch ältere Menschen Angst.

Dazu kommt die seelische Verletzungsangst: Auch unsere Seele ist verwundbar, auch sie hat eine „Haut“. Wir spüren ganz genau, wenn diese verletzt wird. Das ist der Grund, warum man viele Dinge aus Angst, verletzt zu werden, unterlässt, damit man

  • nicht schief angeschaut wird;
  • das Vertrauen eines anderen nicht verliert;
  • nicht missachtet wird;
  • Anerkennung und Wertschätzung erhält
  • und vieles mehr…

Die Angst, seelisch verletzt zu werden, macht, dass wir uns anpassen. Diese Angst ist eine der schlimmsten „Mittel zur Anpassung“ in einer Gesellschaft: Wenn man bestimmte Regeln zur Norm erklärt und die kollektive Angst nur genügend schürt, dass der einzelne sich nur ja nicht aus der Spur begibt und zu individuell wird, hat man dadurch eine ganze Gesellschaft unter Kontrolle. Die wichtigsten Regeln haben mit Geld und Anerkennung zu tun. Damit kann man fast jeden korrumpieren: Nur aus Angst nicht dazuzugehören, verbiegen sich viele und spielen mit, obwohl sie dieses Verhalten und die Regeln, denen dieses „Spiel“ folgt, nicht richtig finden.

Den Menschen bestimmende Faktoren

  • Der Mensch als Naturwesen

Rudolf Steiner sagt in seiner Philosophie der Freiheit (1): „Die Natur, unsere Konstitution, macht aus uns ein Naturwesen“. Wir sind ja alle aus Fleisch und Blut, bestehen aus Kalzium und Phosphor, aus Natrium und Kalium – stellen geradezu einen kleinen biochemischen Kosmos dar – und dabei ist jeder ganz individuell „gebaut“. Einerseits sind wir also reine Natur und mit der ganzen Schöpfung verbunden.

Die Schöpfung bringt auch Pflanzen und Tiere hervor, die wir zu uns nehmen und verdauen können. Wir sind für sie und sie für uns gemacht. Es passt alles zusammen. Die Sonne ist gerade so weit weg, dass wir nicht verbrennen, sondern ausreichend Vitamin D bilden können über die Haut, sodass unsere Knochen stark werden. Unsere innere biologische Uhr ist synchron mit der Sonne. Wir sind ein Teil dieser natürlichen Schöpfung und sind mit ihren Gesetzen tief verbunden.

  • Der Mensch als von der Gesellschaft bestimmtes Wesen

Die Gesellschaft macht aus uns dagegen ein angepasstes Wesen. Rudolf Steiner sagt „ein gesetzmäßig handelndes Wesen“. Sie konditioniert uns, sie macht aus uns einen braven Bürger. Und die Wirtschaft legt noch einen "oben drauf" und erzieht uns von klein auf zu guten Konsumenten. Auch das hat mit Anpassung zu tun: Schon Kinder üben einen gewaltigen Druck aufeinander aus, wie man sich zu kleiden hat und was man alles haben muss – allem voran ein cooles Smartphone...

Wenn es da nicht starke Erwachsene gibt, die den Kindern vorleben, dass man angesichts all dieser Werbekampagnen auch angstfrei und individuell leben kann, lernen Kinder das auch nicht und passen sich einfach an.

  • Der Mensch als freies Wesen

Zuletzt sagt Steiner die schwer umzusetzenden Worte: „Ein freies Wesen kann der Mensch nur selbst aus sich machen.“ In dieser Hinsicht sind wir allein. Diese Fähigkeit erhalten wir weder von der Natur, noch wird sie von der Gesellschaft vermittelt. Unsere Freiheit müssen wir selber erringen. Die Gesellschaft kann das natürlich mit allen Mitteln zu verhindern versuchen: dadurch, dass sie uns so konditioniert, dass wir gar nicht mehr auf den Gedanken kommen, dass wir freie Wesen sein könnten.

Angst vor der eigenen Freiheit

Deswegen sagt Novalis sinngemäß: Es gibt überhaupt nur eine Angst – die Angst vor der Freiheit (vgl. Konfliktfähigkeit: Die Gewissensstimme). Die Angst vor uns selbst, vor unserem eigenen freien Wesen. Wir haben eine Riesenangst, uns auf diesen individuellen Weg zu begeben und beschäftigen uns lieber mit tausend anderen Sachen, als uns zu unserer Freiheit, zu unserer ganz eigenen Identität zu bekennen.

Ich kann nur empfehlen, in stillen Wintertagen den 2. Teil von „Heinrich von Ofterdingen“ zu lesen. Novalis hat ja ein Romanfragment hinterlassen, das man im Internet herunterladen kann. Dort gibt es ein Gespräch, das Heinrich von Ofterdingen mit dem Arzt Sylvester führt. Heinrich fragt ihn: „Wann wird die Zeit kommen, wo es kein Elend, keine Not, keine Schmerzen mehr auf der Erde gibt?“ Wir könnten hinzusetzen: …und keine Angst mehr. Der Arzt antwortet: „Wenn es nur eine Kraft und Macht gibt, die Macht des Gewissens.“ Denn, so sagt er, die Wurzel aller Ängste, aller Schwächen, alles Bösen, allen Übels wäre „der Mangel an Reiz der Freiheit“.

Damit formuliert Novalis, was Rudolf Steiner in ähnlicher Weise in der Philosophie der Freiheit formuliert: Ein Mensch, der an seiner inneren Befreiung arbeitet, hat auch ein Interesse daran, andere frei zu lassen. Er begibt sich auf den Weg des Friedens und der Toleranz.

Vgl. Vortrag „Seelische Wärme statt Angst vor der Zukunft“, in Altenschlirf 2014


(1) Rudolf Steiner, Die Philosophie der Freiheit. GA 4. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1995

Leibesangst und ihre Ursachen

Was ist der Grund für Leibesangst?

Ahrimanische und luziferische Komponenten der Leibesangst

Warum der Prozess der Inkarnation von Natur aus mit Angst und Furcht verbunden ist, können wir uns gut vorstellen, wenn wir uns Folgendes vergegenwärtigen:

  • Kinder und Erwachsene fühlen sich bedroht, wenn ihre körperlichen und seelischen Grenzen nicht respektiert bzw. sogar zerstört werden, wenn diese einfach ignoriert und überrannt werden – wenn also schwere Verletzung und Vernichtung drohen. Das ist Ausdruck des Wirkens von Ahriman auf Erden. (vgl. Das Böse – Widersachermächte: Wirksamkeit von Luzifer und Ahriman).
  • Angst tritt außerdem auf, wenn man sich klein, begrenzt, limitiert und schwach fühlt in einer unendlich großen, weiten Welt. Was bedeutet schon ein einzelner Mensch als winziges Etwas in dem unendlich großen Weltall und unter den 7,5 Milliarden Menschen! Was zählt da ein Mensch! Das ist Ausdruck des Wirkens von Luzifer auf Erden..

Solche elementaren Empfindungen ob unserer Kleinheit im physischen Leib, ob unserer „Dinglichkeit“, ob unseres Zusammengezogen-Seins, werden in der Medizin unter „Leibesangst“ zusammengefasst: Wir haben Angst um unseren Leib, weil er so eng, so limitiert, so leicht zu bedrohen, so verletzlich ist. Ahriman ist die gewaltige kosmische Macht, die die Mineralisation der Materie und damit den Tod herbeigeführt hat. Denn wenn etwas mineralisiert ist, hat es kein Leben mehr. Alles Mineralisierte kann zerfallen. Damit ist auch die wichtigste Voraussetzung für Entwicklung gegeben, denn nur wenn das Alte stirbt, kann sich etwas Neues entwickeln. Angst gehört also zur Enge und Dichte des physischen Leibes.

Was wir Ahriman und Luzifer verdanken

Rudolf Steiner sagt, der Großteil der Leibesangst säße im Knochen, weil er am stärksten mineralisiert sei.(1) Er sagt sogar, Knochen bestünden aus kristallisierter Angst. Und die Kräfte, die unsere Organe bilden, treten später auch im Seelischen als Bildekräfte auf: Die organ- und auch knochenbildenden Kräfte strahlen quasi in das Seelische hinein. Das seelische Erleben von Angst ist also etwas ganz Natürliches.

  • Ahriman verdanken wir die mineralische Konstitution unseres Leibes und damit auch die Furcht.
  • Luzifer verdanken wir die Fähigkeit uns aufzulösen, uns hinzugeben, uns zu entgrenzen: das Symbiotische; aber auch unsere Tendenz, uns über alles auszubreiten und zu erheben: das Überhebliche.

Die Leibesangst hat also zwei Komponenten:

  • Die Angst, an der Grenze bedroht zu werden, weshalb man sich in den Grenzen zusammenzieht und verengt (ahrimanische Komponente).
  • Die Angst, sich zu verlieren, die Grenzen und damit das Selbstbewusstsein zu verlieren, mit der gefühlten Erweiterung nicht mitzukommen (luziferische Komponente).

Umgewandelte vorgeburtliche Furcht

Im Vortragswerk Rudolf Steiners gibt es wirklich erstaunliche Passagen. Dazu gehört die Aussage, dass das Selbstgefühl – die Fähigkeit, sich als ein Selbst zu fühlen, das sich in sich selbst halten kann – umgewandelte Furcht aus dem vorirdischen Leben ist.

Außerdem verwandelt sich die Furcht in Willenskraft: Alle Willensimpulse, die unserer Betätigung in der Welt zugrunde liegen, sind vor dem Heruntersteigen ins Irdische als Furcht vorhanden.

Ich kann mir gut vorstellen, dass jemand, der aus einem jammervollen Leben in die geistige Welt kommt und dort alles aufgearbeitet und den Sinn der ganzen „Veranstaltung“ erfahren hat, wenn er schließlich in die Weltenmitternacht eingeht (vgl. Nachtodliches und vorgeburtliches Leben: Zwischen Tod und neuer Geburt), versucht ist, dort zu bleiben, weil er kaum Lust verspürt, das Ganze nochmal mitzumachen. Man möchte dortbleiben, will nicht wiedergeboren werden.

Dann kommt es zu einem eigentümlichen Vorgang: Der Makrokosmos, der Weltenplan, der göttliche Wille, der uns trägt, hilft uns, uns zur Wiedergeburt zu entschließen und neue Entwicklungsziele ins Auge zu fassen (vgl. Menschheitsentwicklung: Der göttliche Weltenplan).

Zwei Inkarnationsgesten

Denn wenn wir uns wieder auf den Weg der Inkarnation begeben, geschehen zwei Dinge:

  • 1. Geste - Zusammenziehung

Wir ziehen unsere Wesensglieder (vgl. Wesensglieder: Grundlegendes zum Thema Wesensglieder) gemäß unserem Schicksal aus den Weltenkräften erneut zusammen:

  • die Ich-Organisation als Wärmeorganismus,
  • den Astralleib als Luft- und Lichtorganismus,
  • den ätherischen Leib, der später im Wasserorganismus wirkt,
  • aber vor allem den physischen Leib, der die Gesetzmäßigkeiten unserer physischen Konstitution beinhaltet und uns ermöglicht, Grenzen zu erleben.

Das Zusammenziehen gemäß den wunderbaren Gesetzmäßigkeiten von fester, flüssiger und gasförmiger Materie sowie von Wärmezuständen ist also die eine Geste.

  • 2. Geste – Entfremdung vom Makrokosmos

Die andere Geste ist, dass uns der Makrokosmos wie in einer grandiosen Antipathie-Geste, wie in einem makrokosmischen Geburtsvorgang aussondert und „hinauswirft“ aus der Weltenmitternacht und den Sphären der geistigen Welt, hin zur Erde. Der Makrokosmos wird uns fremd, wir entfremden uns ihm: So weist er uns aus sich heraus in Richtung Erde. Diese Entfremdung erleben wir als Furcht, die den Impuls verstärkt, uns zu inkarnieren und so diese Furcht zu überwinden.

Jetzt leuchtet ein, wieso das Selbstgefühl bzw. das Selbstbewusstsein aus der makrokosmischen vorgeburtlichen Furcht erwächst. Denn der eigentliche Grund, warum wir uns aus der geistigen Welt wieder herauslösen und uns auf der Erde inkarnieren wollen, ist unser Wunsch, Selbstbewusstsein zu entwickeln (vgl. Selbstbewusstsein: Zur Entstehung von Selbstbewusstsein). Das können wir in der geistigen Welt nicht erreichen. Dort entwickeln wir Welt- und Gottesbewusstsein, Bewusstsein für große Zusammenhänge, Bewusstsein über den Sinn der Menschheitsentwicklung (vgl. Menschheitsentwicklung: Individualisierung als Entwicklungsmotiv). Wir leben eingebettet in diese Entwicklung, aber wir haben nicht die Möglichkeit, auf diese Weise Selbstbewusstsein zu entwickeln. Unser Selbstbewusstsein bringen wir als große Erdenerrungenschaft mit.

Wir haben in früheren Jahren oft das Wort von Meister Eckhart zitiert: „Wär ich ein König und wüsste es nicht, ich wäre kein König.“ Wäre ich ein wunderbares, ewiges, gottgeschaffenes Ich und könnte mein Einzelsein nicht wirklich erleben und empfinden, wäre ich wie ein Fisch im Wasser und wüsste nicht, dass ich da bin.

Individualisierung des Bewusstseins

Wir ziehen uns also mit unseren Wesensgliedern aus dem Makrokosmos heraus – mit Ich-Organisation, Astrallaib, Ätherleib, physischer Leib – und entwickeln uns dann so weit, dass diese Kräfte sukzessive wieder leibfrei werden als unsere spirituelle Aura (vgl. Wesensglieder: Die Metamorphose der Wesensglieder in leibfreies Denken, Fühlen Und Wollen):

  • Der Ätherleib, der sich nach und nach aus dem Körper befreit, wird zu unserem Denkvermögen, das Selbstbewusstsein ermöglicht.
  • Der Astralleib wird im Zuge des Wachstums frei und lässt uns über unser Fühlen Selbstgefühl entwickeln.
  • Die Ich-Organisation wird, nachdem sie den Körper durchgearbeitet hat, frei und ermöglicht uns das eigene Wollen.
  • Der physische Leib wird zu unserer individuellen irdischen Behausung.

Wir entwickeln also die Fähigkeit, uns selbst zu denken, uns selbst zu fühlen, uns selbst zu wollen und uns selbst zu entwickeln. Jetzt können die uns bildenden Kräfte, die wir uns vom Vorgeburtlichen mitgebracht haben, individuelles Geistbewusstsein entwickeln und denkend, fühlend und wollend sagen: Ich denke. Ich empfinde. Ich will/ich handle.

Selbstbewusstsein als edelste Frucht der Angst

Man kann sich aus alledem gut vorstellen, dass das Ergebnis der Bildetätigkeit das Selbstbewusstsein ist. Selbstbewusstsein ist die edelste Frucht der Angst. Jede Form von Angst steigert das Selbstbewusstsein unendlich – insofern als man im Vollbild der Angst nur noch sich selbst im Bewusstsein hat und in Bezug auf alles andere in Panik ist. Man weiß weder ein noch aus, man weiß nur noch, dass man DA ist und furchtbare Angst hat.

Selbstbewusstsein entsteht am physischen Leib. Unser wahres Ich ist ein rein geistiges Wesen und verbleibt in der geistigen Welt. Wir sind körperlich Abbilder oder Ebenbilder Gottes, nicht das Urbild: Die Ich-Organisation bildet das Urbild ab und baut den physischen Leib mithilfe der anderen Wesensglieder so auf, dass ein Bewusstsein dieser „Abbildlichkeit“ entstehen kann. Selbstbewusstsein zu haben bedeutet also, sich bewusst zu sein, dass man das Abbild von einem wahren Selbst ist (vgl. Gottebenbildlichkeit des Menschen: Der Mensch als Offenbarung des Göttlichen).

Wenn dieses Selbstbewusstsein in gesunder Weise erwacht, resultiert daraus eine Sehnsucht nach dem wahren Ich, nach dem wahren Menschentum, nach „des Lebens vollendetem Menschsein“ , nach Höher- und Weiterentwicklung, nach Verwandlung, nach Veränderung. Man hat über das Selbstbewusstsein quasi einen festen Punkt erreicht, von dem aus man sich weiterentwickeln möchte.

Vgl. „Vorgeburtliche Disposition zu Angststörungen“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013


(1) Rudolf Steiner, Die Wissenschaft vom Werden des Menschen, GA 183. Neun Vorträge, gehalten in Dornach.

Angst im 1. Jahrsiebt – Leibesangst

Inwiefern ist die Überzeugung, dass die Welt gut ist, ein Ausweg aus der Angst, insbesondere auch der Leibesangst?

„Die Welt ist gut“ als Angstprophylaxe

Das Motiv – „Die Welt ist gut“ – ist die Angstprophylaxe im 1. Jahrsiebt (vgl. Entwicklung: Entwicklung und Lernen). In diesem Entwicklungsabschnitt, in dem der Körper gebildet wird und seine Grenzen als etwas Souveränes erlebt werden sollen, darf das Böse noch nicht vorkommen (vgl. Liebe: Liebe zu allen Wesen – Die Welt ist gut). Denn Grenzverletzungen erzeugen Ohnmacht und prägen auf traumatische Weise. Das lässt sich nicht wieder rückgängig machen. Diese vulnerable Phase umfasst den Lebensabschnitt, in dem das Nervensystem sich noch im Aufbau befindet (vgl. Entwicklung: Stadien der menschlichen Entwicklung). Wenn der Großteil der zentralnervösen Funktionen ausgebildet ist, bzw., wie Rudolf Steiner sagt, wenn die Formbildung des Leibes mit dem Zahnwechsel nach dem 1. Jahrsiebt zu einem gewissen Abschluss gekommen ist, bleibt das Kind zwar seelisch verwundbar, ist aber körperlich nicht mehr so vulnerabel.

Wenn jedoch Verletzungen geschehen (sind), muss dieser Umstand im Bewusstsein der Erwachsenen als etwas Sinnvolles für die Entwicklung aufleuchten, sodass das Kind emotional nachahmend annehmen kann, dass diese Erfahrung zu seinem Leben dazugehört und auch etwas Gutes bewirken kann. Erfolgt diese Wendung zum Guten nicht, ist die Trennungsangst berechtigt und führt zu nachhaltigen Störungen, die sich auch als körperliche Veranlagung zu Angst niederschlagen kann.

Spielarten der Angst

Der Archetyp der Leibesangst ist die körperliche Abnabelung: Die körperliche Symbiose zwischen Mutter und Kind wird durchtrennt. Ab da muss das Kind im 1. Jahrsiebt ganz behutsam lernen mit Trennung und Verletzungen an der „heiligen Grenze“ umzugehen, an der es ganz und gar sinnesoffen ist. Entweder das Kind spürt, dass die Welt es trägt, oder es empfindet die Welt als verletzend.

Zu den typischen entwicklungsbedingten Trennungsängsten gehört auch die Angst vor der Dunkelheit, dem Getrennt-Sein vom Licht, die Angst macht, weil das Licht fehlt, das die eigene Grenze sichtbar machen könnte. Bei Licht sieht das Kind, dass es hier ist und sich dort die Welt befindet, dass alles geordnet ist und sich in einer normalen Distanz zu ihm befindet, sodass es nicht fremdeln muss – dann fühlt es sich sicher und geborgen. Licht schafft einen überschaubaren Zusammenhang, in dem sich das Kind in seinem Getrennt-Sein positionieren kann.

Angst tritt auf, wenn das Kind etwas Unbekanntem, das es nicht einschätzen kann, gegenübertritt. Wenn Kinder etwas älter sind, haben sie Angst vor den Folgen, wenn sie etwas tun, von dem sie genau wissen, dass sie es eigentlich nicht tun dürfen.

Dann gibt es noch die Angst vor Schreck und Schock, vor Misshandlung, Verlassen-Werden und vor Einsamkeit. Es gibt aber auch mitgebrachte, schicksalhafte konstitutionelle aus den äußeren Ereignissen nicht ableitbare Ängste.

Starkes Erleben der elementarischen Welt bei Kindern

Kinder haben auch aufgrund von bestimmten Erfahrungen Angst. Kleine Kinder erleben die elementarische Welt noch sehr stark. Ich bin sehr dankbar, dass meine Mutter spirituell sensibel und offen war und mir glaubte, wenn ich sagte, ich sehe da und dort Gespenster. Sie reagierte dann herrlich sachlich. Ich erinnere mich an einmal, als es besonders schlimm war: Ich wollte gerade einschlafen und plötzlich kamen aus einer dunklen Ecke aus der Wand gräulich-schwarze dämonische Gestalten mit lautem Gebrüll auf mich zu. Ich habe laut geschrien und meine Mutter kam herein und fragte, was denn los wäre. Ich erzählte ihr von den schrecklichen Gestalten. Sie sagte nur: „Michaela, warum schläfst du auch mit dem Gesicht zu dieser dunklen Ecke ein?“ Daraufhin drehte ich mich im Bett um und sah den Türspalt, durch den noch ein bisschen Licht durchkam, und konnte so gut einschlafen.

Kinder sind Realisten. Wenn sie es mit einem Erwachsenen zu tun haben, der ihre Welt wieder ordnet, kann ihr Angstgefühl sofort verschwinden. Denn Angst entsteht durch seelische Schutzlosigkeit. Das Gefühl geschützt zu sein, kann durch die Sicherheit und Präsenz der Mutter wiederhergestellt werden.

Es gibt auch Witterungsverhältnisse, bei denen man die elementarische Welt ganz real erlebt: Kinder bekommen bei Gewitter viel mehr mit als Erwachsene. Sie erleben nicht nur Blitz und Donner im Äußeren, sondern auch die entfesselten, destruktiven dämonischen Gewalten, die damit verbunden sind. Es kann sehr hilfreich sein, ein Gewitter mit dem Kind auf dem Arm durchzumachen, sodass das Kind erlebt, dass man das aushalten und seelisch Widerstand leisten kann.

Abgesehen von alledem muss man Kinder heute sehr früh darüber aufklären, dass sie Angst vor fremden Menschen haben müssen und dass sie mit niemandem mitgehen dürfen.

Vgl. „Vorgeburtliche Disposition zu Angststörungen“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013

Umgang mit „normaler“ Angst im 1. Jahrsiebt

Wie können wir unter siebenjährigen Kindern helfen, mit ihren Ängsten fertig zu werden?

Hilfe bei der Angstbewältigung

Zu dem Realismus, den wir Erwachsenen den Kindern vermitteln dürfen, gehört auch, dass Angst etwas Normales ist und zum Leben dazugehört und dass es in gewissem Maße auch gesund ist Angst zu haben: Hätten wir keine Leibesangst, würden wir uns die Finger ständig verbrennen und verletzen. Angst zu haben ist eine Schutzreaktion – auch wenn wir die Flucht ergreifen. Angst hat mit der Beengung durch den Körper zu tun. Sie stellt somit ein natürliches Körpergefühl dar, eine gesunde Spontanreaktion angesichts einer körperlichen Bedrohung und sei es nur eine Vorstellung, eine Beobachtung, ein Gefühl, ein Erlebnis. Deshalb sollte es auch als normal angesehen werden, an seinen Ängsten zu arbeiten. Der Erwachsene muss herausfinden, was der spezifische Angstauslöser beim jeweiligen Kind ist, damit es lernen kann, angemessen mit solchen Anlässen umzugehen bzw. sie nötigenfalls zu vermeiden.

Der Erwachsene muss herausfinden, was der spezifische Angstauslöser beim jeweiligen Kind ist, damit es lernen kann, angemessen mit solchen Anlässen umzugehen bzw. sie nötigenfalls zu vermeiden. Wenn Kinder Angst haben, ziehen sie sich zurück – dann ist die Bereitschaft etwas zu lernen gestört. Ängste müssen gut behandelt werden, weil sie Kindern den Entwicklungsmut nehmen. Das betrifft auch verborgene Ängste, die sich verstecken können hinter Melancholie, Bequemlichkeit, Festhalten am Vertrauten. Wir müssen die Symptome der Angst gut lesen lernen. Nur durch Entängstigung wird der Wille zur Entwicklung, die Lust auf Neues, freigelegt.

Konkrete Entängstigungshilfen wären:

  • Bewusste Pflege der Körpergrenzen.
  • Man sollte des Weiteren schauen, ob Über- oder Unterforderung vorliegt, bzw. wie sich das Kind dazwischen positioniert. Überforderung macht Angst und oft merkt man das gar nicht.
  • Das Erzählen von Märchen.

Vertrauen in die Entwicklung durch Märchen

Ein Grund, warum man Kindern Märchen erzählen sollte, ist, dass sie Wesen und Mächte zu benennen lernen. Die Grimms Märchen, die ja wertvolle Entwicklungsmärchen für Kinder darstellen, vermitteln, dass Mut, Wahrhaftigkeit, guter Wille, Demut und Vertrauen in die Entwicklung alle bösen Mächte besiegt: So wie das Leben stärker als der Tod ist, der Geist stärker als die Materie, so sind die Kerneigenschaften des menschlichen Ich stärker als alle dämonischen Gewalten.

Über Märchen, in denen einer das Fürchten lernen muss bzw. die Furcht zu überwinden lernt, kann man beobachten, wie Kinder mit solchen Geschichten mitgehen, weil sie dabei auch sehr stark eigene Themen erleben. Manche Kinder ertragen es nicht, dass eine Geschichte schlecht ausgeht. Wenn man aus Versehen ein Andersen-Märchen liest und merkt, dass es schlecht ausgeht, muss man sich ein positives Ende dazu ausdenken. Ein schlechtes Ende wäre unerträglich für ein solches Kind, denn sein Selbstbewusstsein ist noch nicht so stark zu wissen, dass es nach Katastrophen trotzdem weitergeht, dass Tod und Wandlung dazugehören etc. Wer von Natur aus ängstlicher ist, erträgt das nicht und bekommt Angst vor Entwicklung oder „Angst vor der eigenen Courage“, wie wir sagen. Auch mutige Kinder sollte man primär in ihrem Mut bestärken und ihnen keine Angst machen in der Meinung, sie könnten das schon verkraften.

Das Allerwichtigste ist, dass der Erwachsene die Überschau behält über die Situation, in der sich ein Kind befindet. Allein der Umstand, dass der Erwachsene alles überblickt, genügt meist. Auf mich als Kind wirkte bereits die Tatsache, dass meiner Mutter klar war, was da ablief, angstlösend.

Seelische Geborgenheit geben

Wenn wir Kindern sagen – „Du brauchst keine Angst zu haben!“ – verlieren sie dadurch ihre Angst nicht, im Gegenteil. Es ist wichtig zu realisieren, dass Angst ein seelisches Phänomen ist und deshalb auch nur mit spirituell-seelisch-geistig fassbaren Qualitäten begriffen und überwunden werden kann. Das bedeutet, dass es wichtig ist, in den entsprechenden Situationen selbst keine Angst zu haben, denn kleine Kinder sind hellsichtig und sehr sensibel für die Wahrheit. Diese Sensibilität verlieren wir erst, wenn wir erwachsen werden.

Es ist enorm wichtig, dass wir unser Bewusstsein so pflegen, dass das Kind sich mit all seinen Erlebnisweisen in unserem Bewusstsein als Erzieher, als Eltern, als Ärzte oder Lehrer ganz und gar geborgen fühlen kann. Geborgenheit in der Seele eines Erwachsenen ist das allerwichtigste Instrument der Angstbewältigung – speziell, wenn Kinder zuhause Gewalt und Übergriffe erleben und Angst haben, wenn der Vater betrunken oder die Mutter „sauer“ ist. Dann kommen sie in die Schule und fühlen sich bei einem Lehrer geborgen, finden Verständnis für das „zerzauste Gefieder“ und erleben, dass er sich nicht irritieren lässt, auch wenn sie schwierig sind. Das ist überaus wichtig, denn schwierige Kinder haben mehr Angst und empfinden mehr Zorn als andere – einfach aufgrund ihres Schicksals oder ihrer frühkindlichen Erlebnisse. Sie brauchen mehr Schutz und Geborgenheit bei einem Erwachsenen, der das überschauen kann.

Vgl. „Hilfen im Umgang mit Angst im Schulalter“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013

Angst im 2. Jahrsiebt – das ängstliche Schulkind

Was sind Angstauslöser bei Schulkindern?

„Die Welt ist schön“ – als Angstprophylaxe

Das Kind sollte laut Rudolf Steiner im 2.Jahrsiebt in der Stimmung leben: „Die Welt ist schön“ (vgl. Entwicklung: Entwicklung und Lernen ). Wenn ein Schulkind Angst hat, befasse ich mich mit seiner Konstitution, aber ich schaue auch, ob die Eltern eine vertrauensvolle Haltung gegenüber der Schule einnehmen und vermitteln, dass sie die Lehrer kennen und mögen, auch wenn diese manchmal Stress verbreiten, weil sie auch nur Menschen sind. Wenn die Eltern voll hinter der Schule und ihrem Konzept stehen, haben die Kinder in der Regel keine Schulversagensängste.

Das ängstliche Schulkind

Ich finde es sehr destruktiv, wenn Kinder von zuhause vermittelt bekommen, dass sie mehr leisten müssten, als sie leisten, wenn Eltern Schuldzuweisungen machen und das Kind sich unter Dauerstress fühlt.

Um das zu verhindern, bräuchte es dringend Elternabende, in denen dieses Thema behandelt wird, bevor die Kinder überhaupt in die Schule kommen. Wäre ich heutzutage Schulärztin, würde ich schon gegen Ende der Kindergartenzeit Elternabende zum Thema Angst anbieten und die Eltern intensiv darauf vorbereiten, wie man den Übergang zur Schule gut begleitet. Den Kindern wird Angst gemacht vor dem Verkehr, sie sollen Angst haben vor fremden Leuten und allem möglichen anderen – und dann auch noch davor, dass sie nicht genug leisten! Man zieht ihnen förmlich den Boden unter den Füßen weg, möchte aber gleichzeitig, dass sie propere Schulkinder sind. Das passt überhaupt nicht zusammen!

Im Grunde muss man Eltern beibringen, wie sie ihre Kinder über positiv formulierte Botschaften seelisch auf die Schule vorbereiten können. Wenn man sagt – „Im Bus setzt du dich irgendwo hin, wo du dich gut und sicher fühlst, z.B. neben eine alte Frau“ – klingt das ganz anders, als wenn man dem Kind generell Angst macht.

Gespräch am Abend

Wie schafft man es als Eltern nun, dass ein wenig Frieden, Ruhe und Dankbarkeit einkehrt in die Kinderseele und das Unerlöste sich auflösen kann?

Vor allem ist es wichtig, sich als Eltern erzählen zu lassen, wie der Tag war, wenn die Kinder nachhause kommen von der Schule oder auch nachzufragen: „Ist alles gut gelaufen? Hat es Stress gegeben?“ Wenn das nicht möglich ist, weil beide Eltern arbeiten sind, muss abends vor dem Schlafengehen Zeit dafür sein. Dann sollte das Abendritual ein Gespräch beinhalten, bei dem das Tagesgeschehen miteinander angeschaut und verarbeitet wird.

Ein Kind sollte keine Ängste mit in die Nacht nehmen, genauso wenig wie Streit. Wer Angst hat, ist mit sich selbst uneins, liegt mit sich selbst im Streit: Selbst Kinder wissen, es sollte anders sein – und geraten so in einen Zwiespalt. Kein ängstliches Kind denkt, seine Angst wäre normal, jedes denkt, es sollte eigentlich anders sein.

Vgl. „Hilfen im Umgang mit Angst im Schulalter“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013

Rubikon-Erlebnis und seelische Trennungsängste

Welche Ängste entwickelt ein Kind am Rubikon und wodurch werden sie ausgelöst?

Erwachen des Daseins-Bewusstseins

Die Entwicklung des Gefühls, das ja der Träger seelischer Ängste ist, beginnt mit dem Rubikon-Erlebnis, um das 9. Lebensjahr, bei dem das Kind erstmals im Seelischen Trennung von den Eltern und seinem Umfeld erlebt. Die Leibesangst, die bis zur Schulreife geht, ist jetzt weitgehend überwunden, seelische Ängste treten jetzt in den Vordergrund.

Beim Rubikon-Erlebnis kommt es zur Durchtrennung einer Art seelischen Nabelschnur: Das Kind erlebt sich plötzlich seelisch getrennt und isoliert von seiner Umgebung und entwickelt dadurch seelische Trennungsängste. Um in der Sprache der Lernpsychologie zu sprechen, könnte man auch sagen, dass zu diesem Zeitpunkt eine Art Metabewusstsein erwacht, sodass das Kind in der Lage ist, plötzlich sein eigenes Denken und Dasein bewusst zu fühlen. Dadurch erlebt es sich von den anderen getrennt.

Mein Rubikon-Erlebnis kulminierte in der typischen Frage vieler Kinder an die Eltern:

Woher wisst ihr denn, dass ich wirklich euer Kind bin?

Könnt ihr mir das denn beweisen?

Ich wusste, dass ich im Bethesda-Krankenhaus in Stuttgart zur Welt gekommen war – ich fuhr jeden Tag mit der Straßenbahn daran vorbei. Ich hätte als Baby aber auch vertauscht worden sein können…

Woher also nahm meine Mutter ihre Sicherheit in Bezug auf mich?

Ich selbst war völlig verunsichert, so stark habe ich das Getrenntsein empfunden.

Dieser Jemand, der die seelische Nabelschnur durchtrennt, ist man im Rubikon jedoch selbst: Man zweifelt plötzlich, ob wirklich alle es gut mit einem meinen. Das erstreckt sich selbst auf die nächsten Menschen – zumal man entdeckt, dass man es ja selbst auch manchmal anders meint…

Entwicklung von cäsarischem Mut

Rudolf Steiner benützte das Bild eines Flusses, an dem Cäsar in eine Schlacht zog. Über diese Schlacht sagte Cäsar sinngemäß: „Die Würfel sind gefallen“ (alea iacta est) – jetzt gibt es keinen Weg mehr zurück! Das ist ein Wort des Mutes.

Diesen cäsarischen Mut muss das Kind in der Rubikon-Zeit entwickeln, sonst ist es in der Oberstufe gefährdet. Wenn die geistige Trennungsangst beginnt, muss die seelische weitgehend geheilt sein, wie auch die körperliche zum Schuleintritt geheilt sein muss, sodass man gerne von Zuhause weggeht und keine Angst mehr haben muss vor der räumlichen körperlichen Trennung.

Im Grunde muss in der Pubertät eine gewisse Gefühlsreife entwickelt werden, so wie auch der Schuleintritt eine gewisse körperliche Reife voraussetzt. Deswegen bin ich sehr froh über folgende Passage unter der Überschrift „Sittliche Erziehung, moralisches Empfinden, Gefühlsreife“(1): „Ein sittlicher Mensch ist gefühlsreif, der hat Mitgefühl. In der sittlichen Erziehung erreicht man im volksschulmäßigen Alter nur durch die Schilderung des Wesenhaften, an dem man das Sittliche anschaulich macht, das empfindende, das gefühlte Urteil. Darauf kommt es an, dass das Kind in diesem Lebensalter Sympathie für das Moralische, Antipathie für das Unmoralische in unmittelbar mitgeteilter Anschauung in sich heranentwickelt. Nicht darauf kommt es an, dass man dem Kinde eine Gebotsdirektive gibt. Die geht nicht hinein in die Seele.“

Gebote und Regeln, die nicht tief empfunden werden können, sprechen nur den Verstand an: Das und jenes darfst du nicht und das und jenes ist nicht gut! Es wird sofort zur Beurteilung anderer benützt: Du hast das und das gemacht! Dahinter steht kein Empfinden, das ist nur Schlaumeierei und Arroganz. Moralische Direktiven erzeugen Moralisten – das ist ein Weg zu Luzifer. Das Kind entwickelt darüber kein sittliches Empfinden.

Körperlich verankerter Egoismus

Vor dem Rubikon geht man noch ganz natürlich in der Umwelt auf und vergisst seinen leiblichen Egoismus (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Physiologie des Egoismus) – vorausgesetzt der Körper wird nicht verletzt. Wenn ein Kind in dem Ambiente und Bemühen erzogen wird – „Die Welt ist gut“ (vgl. Entwicklung: Entwicklung und Lernen ). – dann kann es sich entspannen, öffnen, hingeben, sinnesoffen sein, dann kann es ganz in der Welt sein mit seinem Bewusstsein (2) (vgl. Waldorfpädagogik: Erziehung zur Selbstlosigkeit durch Waldorfpädagogik). Der natürliche kindliche Narzissmus und Egoismus wird nicht bewusst, sondern wird vollkommen überwunden durch die Sinnesoffenheit und das Vertrauen, sich in der Welt aufgenommen zu fühlen, da sein zu dürfen, nicht verletzt zu werden.

Jede Form der Grenzverletzung begünstigt das Erleben von Egoismus, von Eigensein, von Schmerz und Ungerechtigkeit. Das Kind wird auf sich selbst zurückgeworfen und entwickelt so einen körperlich verankerten Egoismus, eine übermäßige Neigung, sich auf sich selbst zu konzentrieren.

Vgl. „Ängste im Jugendalter und ihre Überwindung“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013


(1) Zitat aus: Rudolf Steiner, Anthroposophische Menschenkunde und Pädagogik. Vortrag Pädagogik und Moral, vom 26.3.1923. GA 304a, S.44 (Ausgabe 1979).

(2) Ebenda: „Das, was auf dem Wege der Sympathien und Antipathien sich als moralisch empfindendes Urteil in der kindlichen Seele festsetzt, das bestimmt die ganze moralische Bildung des Kindes. Und wie sehr man selbst ein richtiges moralisches Verhältnis zum Kinde haben muss, das geht aus einer einzelnen Tatsache noch ganz besonders hervor. Man wird, wenn man aus einer wirklichen innerlich-praktischen Psychologie heraus unterrichten und erziehen kann, bemerken, dass das Kind bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, der so um das 9./10. Lebensjahr liegt, auch mit seinem moralischen Urteil, moralischen Sympathien und Antipathien, die man bei ihm heranbilden kann, mehr so in der Welt lebt, dass es, trotzdem es noch, ich möchte sagen, einen leiblichen Egoismus hat, sich selber vergisst und mit der Welt zusammenhängt, noch in der Welt aufgeht.“

Was gegen Angst im 2. Jahrsiebt hilft

Was hilft bei Ängsten von Schulkindern?

Wort und Sprache als Mittel gegen Angst

Wir unterscheiden grundsätzlich zwischen dem Kind mit Schulphobie – der Angst davor, in die Schule zu gehen, die verschiedenste Gründe haben kann – und dem ängstlichen Kind im Schulalter. Die Schulphobie sollte an Waldorfschulen gar nicht vorkommen. Im Hinblick auf das ängstliche Kind im Schulalter sollte die Schule der sichere Hafen sein und der engagierte Lehrer soll die Ängste liebevoll auffangen und das Kind mit seinen Ängsten über die Jahre verständnisvoll begleiten. Das Wesentliche an einem hilfreichen Ambiente ist, dass der Lehrer die Kinder wirklich sieht (vgl. Waldorfpädagogik: Lehrertugenden und Professionalität). Das ist eine große Kunst.

Ganz grundsätzlich gilt, dass Entängstigung im Schulalter, also im 2. Jahrsiebt, über das Wort erfolgt – über die Art, wie mit dem Kind gesprochen wird, wie sein Name ausgesprochen wird. Rudolf Steiner sagt, Erziehen wäre eine prozessuale Taufe. Das Entscheidende bei der Taufe ist ja, dass der Name genannt wird. Das Ich des Kindes wird hereingerufen durch das Nennen des Namens. Durch das Aufrufen im Unterricht. Durch das Begrüßen in der Früh. Gerade, wenn es am Tag vorher ganz schlimm war, ist es wichtig auszustrahlen: „Ich bin mal gespannt, wie wir das heute hinkriegen! Schön, dass du da bist!“ Es kann natürlich auch vorkommen, dass man die Empfindung hat: „Gott sei Dank, heute fehlt der und der!“ Wenn man das jedoch in sich verwandelt, nimmt das Kind diese Wandlung ebenfalls wahr.

Warum hören Kinder, auch ältere Kinder, so gerne zu, wenn ein Erwachsener vorliest?

Wenn abends beim Familienurlaub vorgelesen wird, erzeugt das Wort Geborgenheit (vgl. Kindsein heute: Erzählen und Vorlesen als Ressource). Durch die Gemeinsamkeit beim Hören entsteht eine Gemeinschaft. Lesen und Zuhören, aber auch Gespräche, sind wie ein Schutzraum, der durch das Wort aufgetan und begrenzt wird. Auch wenn draußen ein Gewitter tobt, so ist es drinnen doch warm und hell.

Im Schulalter sollte nur gelesen, erzählt, aber auch als Buch nur geschenkt werden, womit sich das Kind sinnvollerweise identifizieren kann. Denn die Identifikation über das Gefühl, das Mögen und Nicht-Mögen, ist die entscheidende Qualität, durch die sich das Ich im rhythmischen System stabilisiert (vgl. Waldorfpädagogik: Entwicklungsphasen und Pädagogik im Schulalter).

Schönheit und Liebe als pädagogische Leitmotive

  • 1. Schönheit als Prinzip erfahren

Das Leitmotiv für das 2. Jahrsiebt ist (vgl. Entwicklung: Entwicklung und Lernen ): Die Welt ist schön (Und wenn sie nicht schön ist, kann sie schöner gemacht werden) (vgl. Entwicklung: Entwicklung und Lernen ). Schönheit ist das Erleben von Kongruenz, von Stimmigkeit, von Zusammenhang. Harmonie ist das Erleben von Ganzheit. Kunstwerke, erfreuen uns, weil wir mit ihnen mitschwingen können. Beim Betrachten und Erleben eines Kunstwerkes erkennen wir es als eine Ganzheit. Das wirkt anxiolytisch. Denn Angst macht uns ja auf unsere Begrenztheit und Verwundbarkeit aufmerksam.

Die Seele steckt nicht einfach im Körper und baut ihre Grenzen auf. Sie schwingt zwischen Selbst und Welt, wie auch das rhythmische System zwischen diesen beiden Polen vermittelt. Das Prinzip von Schönheit und Harmonie entspricht dem physiologischen Prinzip, das zum rhythmischen System gehört: Die Formung des Seelischen gelingt, wenn das Kind spüren kann, dass die Welt im Grunde harmonisch geordnet ist und uns alle trägt. Die Natur ist so gebaut, dass wir sie essen und verdauen können – ein Wesen dient dem anderen. Der Waldorflehrplan ist ja voll von Wundern der Kongruenz (vgl. Erziehung: Erziehung zur Weltzugewandtheit). Es ist ein wunderbares Motiv, Schönheit in den einzelnen Fächern aufzusuchen, wo Schönheit Stiftendes vorkommt im Unterrichtsstoff, und es entsprechend auszuarbeiten (vgl. Waldorfpädagogik: Ideal und Prinzipien der Waldorfpädagogik).

In der Kunst wird es direkt geübt über das Malen mit Farben – mit Blau und Gelb z.B.:

Wie verhalte ich mich dazu?

Was entsteht aus diesen beiden?

Schaffe ich es, dass sie sich gut vertragen?

Wie schaffe ich es, dass man auch sieht, dass sie sich gut vertragen?

Das sind typische künstlerische Prozesse, die entängstigend wirken, weil sie Zusammenhänge und Ganzheiten sichtbar machen und das Ich anregen.

  • 2. Liebe zur Autorität empfinden

Warum benützt Rudolf Steiner den Begriff „Autorität“, der heute fast ein Unwort ist?

Laut der Resilienz- und Bindungsforschung ist Liebe zu einer Bezugsperson der stärkste Schutzfaktor (vgl. Gesundheit: Das Kohärenzgefühl als Grundlage seelischer Gesundheit): Vertrauen, Liebe, Zuversicht, innere Anbindung an einen Menschen, von dem das Kind weiß, dass er es sieht und nicht im Stich lässt, bei dem es sich seelisch zuhause fühlt und weiß, dass es so sein kann, wie es ist, und dass es auch geborgen ist und akzeptiert wird, selbst, wenn es „den größten Blödsinn“ macht; von dem es auch nicht übermäßig gelobt wird, wenn es sich gut benimmt, der sich aber darüber freut – bei dem es einfach SEIN darf. Das beschreibt das Mysterium der geliebten Autorität.

Das Wort „Autos“ bezeichnet das Selbst. Kinder müssen Liebe entwickeln zu etwas, worüber sie selbst noch nicht verfügen. Denn sie lieben ja nicht nur den Menschen, sondern die Tatsache, dass er autonom ist. Eine Autorität ist jemand, der sich selbst führen und Unmündige „in der Flotte“ mitziehen kann. Eine gute Autorität spielt diese Rolle nur, solange es nötig ist, nur bei Bedarf. Ein leiser Schmerz wird spürbar, wenn der Klassenlehrer, der eine geliebte Autorität war, seine Schüler in die Oberstufe entlässt, wo fortan ein Kollegium und ein Klassenbetreuer für die Schüler zuständig sind. Die Schüler müssen mit diesem Schmerz fertig werden, aus dem seelischen Zuhause bei der geliebten Autorität in die Freiheit entlassen zu werden. Es wäre wichtig, dass dieser Übergang vom ehemaligen Klassenlehrer noch mitbetreut wird.

Autorität durch Ideale

Die sogenannten Ideale machen einen Erwachsenen zur geliebten Autorität: wenn die Kinder spüren, dass er ein Mensch ist, der Hoffnung und Vertrauen hat, der ehrlich und zuverlässig ist, der sie sieht und liebhat (vgl. Ideale: Die besondere Natur der Ideale). Das sind alles Ich-Kompetenzen, derer sich der Erwachsene selbst nicht rühmen würde, weil er sich selbst für ganz normal und „allzu menschlich“ hält (vgl. Selbsterkenntnis und Selbsterziehung: Ich-kompetenz und Selbsterkenntnis). Die Kinder spüren, wenn Erwachsene nach diesen Idealen streben, wenn sie einen Bezug zum Engel haben und die Engelbotschaften vom Ich lieben. Ideale rufen das Höhere Ich in die Seele. Das Bindungsverhalten kleiner Kinder können wir auch spirituelles Bonding nennen: d.h., dass sie sich an die Geisteswärme anbinden, die uns bis ins Seelische herein ergreifen will.

In dem Wort Liebe fassen wir folgende Ich-Qualitäten als Engelsbotschaften oder Tugenden zusammen (vgl. Ideale: Die Ur-Ideale – Wahrheit, Liebe und Freiheit):

  • Liebe zur Wahrheit,
  • Liebe zum anderen Menschen,
  • Liebe zur Freiheit.

Therapeutisches Vorgehen bei Schulphobie

Schulphobie, also Angst vor der Schule, ist immer sozialisationsbedingt, also umweltbedingt. Die betreffenden Kinder haben negative Dinge über die Schule gehört und trauen sich nun nicht mehr zu, das Lernpensum zu schaffen und die anderen zu ertragen. Ein Kind, das mit dieser negativen Einstellung zur Schule geht, erlebt zwangsläufig, dass Schule in der Wirklichkeit genauso problematisch ist wie in seiner Vorstellung: Es hat Angst vor Prüfungen, vor den Lehrern, vor den Mitschülern, vor Gewalt – das sind ganz konkrete Auslöser, die ganz konkret analysiert und behandelt werden müssen.

  • Als therapeutische Tools sind vor allem die künstlerischen Therapien anzusehen (vgl. Wille(nsschulung): Wille und künstlerisches Schaffen ).
  • Zusätzlich kann die nähere Betrachtung des Knochensystems, der ganzen Statur, eine konstitutionelle Behandlung nahelegen.
  • Auch die Verbesserung von Schlafqualität und Appetit ist hilfreich. Ich machte immer eine Ernährungsanamnese. Oft ernährten sich diese Kinder nicht gut genug und fühlten sich auch deshalb nicht wohl.
  • Eine bewährte verhaltenstherapeutische Maßnahme ist das Schicken von kleinen Nachrichten auf dem Handy, die das Kind in der Pause liest und sich bestätigt fühlt, dass die Mama an es denkt. Wenn das Kind allerdings von unterwegs anruft und sagt, dass es wieder heimkommt, sollte man es auffordern, in die Schule zu gehen, und anzubieten, dass man in Gedanken mitgeht.
  • Eltern sollten das Kind nicht ständig vom Unterricht befreien.

Vgl. „Hilfen im Umgang mit Angst im Schulalter“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013

Angst im 3. Jahrsiebt – wovor Jugendliche Angst haben

Welche Ängste plagen Jugendliche?

Ängstigende Metamorphose

Eine der Hauptängste hängt mit der Metamorphose der knochenbildenden Äther-, Astral- und Ich-Kräfte zusammen, die beim Heranwachsenden nun frei werden für das Denken und ihm überhaupt erst die Möglichkeit geben, den Gedanken eines fest gefügten Selbst zu fassen (vgl. Entwicklung: Stadien der menschlichen Entwicklung). Denn wir verdanken unser Selbstbewusstsein wie auch unseren Egoismus dem Knochensystem. Dort ist unsere Körperlichkeit so fest „geronnen“ und schafft so klare Grenzen wie sonst nirgends (vgl. Leibesangst und ihre Ursachen).

Jede Regung unseres Gedanken-, Gefühls- und Willenslebens entspringt Bildekräften, die zuvor am Leib organbildend tätig gewesen waren. Wenn diese dann leibfrei werden, stehen sie als seelisch-geistige Werkzeuge zur Verfügung – eines ist Abbild vom anderen (vgl. Doppelnatur des Ätherischen: Zur Identität von Wachstums-, Regenerations- und Gedankenkraft). Der einzige Unterschied zwischen den körperlichen und den seelisch-geistigen Werkzeugen liegt darin, dass die körperlichen Werkzeuge den Gesetzen der Natur folgen, die wir zum Glück nicht selbst steuern müssen im Rahmen der körperlichen Entwicklung. Unsere leibfreien Kompetenzen dagegen müssen wir selbst zu steuern lernen, die geistigen und seelischen Organe müssen wir selbst bilden.

Zeit geben für geistige Abnabelung

Das bedeutet viel Arbeit und gleicht einer geistigen Abnabelung. Jugendliche und junge Erwachsene spüren, dass diese Art von Selbständigkeit naht – und haben Angst davor. Das ruft eine gewisse Besinnlichkeit hervor: Jugendliche brauchen Zeit, speziell um die Pubertät herum, wenn die geistige Abnabelung anfängt in Form von Unsicherheit und Zweifel, durch den Verlust des Kinderglaubens und das Gefühl des Verlassenworden-Seins vom Kosmos (vgl. Jugend heute: Angstkrise bei Jugendlichen).

Zudem müssen sie die heutigen materialistischen Vorstellungen vom Weltraum, von Leere und Öde, „verdauen“: Jemand, der aufzeigt, dass ein energetisches Fluidum, eine Art Feld, zwischen allen Sternen vermittelt, bekommt den Nobelpreis! Man muss sich vorstellen, was heute den Jugendlichen als neuestes, edelstes Weltverständnis offeriert wird! Das führt zu einer echten geistigen Abnabelung verursacht durch den Materialismus, der wie eine Schere fungiert und die „geistige Nabelschnur“ der jungen Menschen durchtrennt. Jetzt ist aber keine Hebamme da und auch keine Mama, die einen in den Arm nimmt. Jetzt ist auch kein geliebter Lehrer da, wie nach dem Rubikon, der Begleitung anbietet und das Kind einfach mitnimmt. Jetzt weiß man, dass man allein und auf sich gestellt ist. Die geistige Abnabelung muss der Jugendliche selbst überwinden, muss sie selbst heilen. Er muss selbst bestimmen, in welche Richtung sich dieser Abgenabelte entwickeln soll: ob er Anschluss sucht an die geistige Welt oder ob er eine abgeschnittene Erdenkreatur bleibt (vgl. Angst: Hilfen gegen Angst im 3. Jahrsiebt).

Das ist die Stimmung, die zumindest phasenweise aus jedem Jugendlichen spricht. Jeder Jugendliche hat Perioden, auch wenn keine Angststörung vorliegt, wo er solchen Gedanken nachhängt. Es ist deshalb grausam, einen Jugendlichen in der Oberstufe permanent unter Leistungsdruck zu setzen, weil er sich dann nicht mit gutem Gewissen die Zeit nehmen kann, Gedanken nachzuhängen und damit die passende Atmosphäre zu schaffen für die Geburt seiner selbst. Man braucht Zeit zum Reden, zum Alleinsein, Zeit, das Alleinsein auszuhalten, Freundschaften auszuprobieren. Jetzt gewinnen Freundschaften die Oberhand, in denen man sich etwas zu sagen hat. Wenn dafür keine Zeit ist, ist das ein Verbrechen am Jugendlichen.

Auf andere Gedanken bringen

In dieser Phase sollte man den Jugendlichen auch nicht zum Reden zu bringen versuchen und ihn fragen, warum er immer so laute Musik hören muss. Man sollte hinschauen und ihm mit wenigen Worten, vielleicht nur mit einem Blick, zu verstehen geben, dass man weiß, wie es ihm geht. Oder ihm vorschlagen, ein Wochenende nach Paris zu fahren und einen Freund mitzunehmen, ihn ablenken – dann hört er mal keine laute Musik und man hat etwas richtig Schönes mit ihm zusammen unternommen.

Mein Mann, der aus sehr ärmlichen Verhältnissen kam, hatte in der Klasse einen Freund aus reichem Hause. Sie sind jetzt beide 80 geworden und ich vertrat meinen Mann bei der Geburtstagsfeier, der nicht hingehen konnte. Ich bekam eine Karte von meinem Mann mit, in der nur drinstand, was er diesem Klassenkameraden alles verdankt. Mein Mann lebte mit seiner Mutter in einer dunklen Zwei-Zimmer-Wohnung an einer verkehrsreichen Straße in Cannstatt – ich habe die Wohnung noch gesehen. Sein Freund nahm ihn an Wochenenden und in den Ferien regelmäßig mit zur Zugspitze, zum Skifahren, zum Gebirgswandern, ohne eine Rechnung zu präsentieren. Er holte ihn heraus aus seinem Milieu – und das hat meinen Mann gerettet. So etwas ist Schicksal.

Jugendliche brauchen Erlebnisse, es muss etwas passieren mit ihnen und um sie herum (vgl. Jugend heute: Angst im Kleide der Depression bei Jugendlichen). Man muss zu ihnen hinschauen, aber wie bei einem kleinen Kind auf Abstand stehen bleiben. Oder vielleicht nur die Hand auf die Schultern legen, ohne etwas zu sagen. Wenn der Wille geboren wird, bricht eine nonverbale Zeit an. Lusseyran verabredete mit seinem Freund, nur noch die Wahrheit zu sagen – endlich konnten sie einmal schweigen, denn sie wussten einfach nichts zu sagen! Im Grunde ist in diesem Alter schon alles gesagt…

Vgl. „Ängste im Jugendalter und ihre Überwindung“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013

Hilfen gegen Angst im 3. Jahrsiebt

Wie tritt Angst im 3. Jahrsiebt in Erscheinung?

Seelische Symptome der Angst

Zu den seelischen Symptomen der Angst gehören

  • Depersonalisationserscheinungen
  • Dissoziationserscheinungen
  • Kontaktprobleme, die durch Hemmungen hervorgerufen werden. (Eine Hemmung ist ein seelisches An-sich-Halten, ist Angst.)
  • Affektlabilität
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Essstörungen
  • Aggressivität

Beim Auftreten dieser klassischen Angstsymptome müssen wir immer auch eine Angstanamnese machen. Viele Formen von Aggressivität sind kompensierte Angst: In der Wut über die Angst schlägt man zu. Eine Regel im Umgang mit aggressiven und draufgängerischen Jugendlichen lautet deshalb, sehr nett, respektvoll und höflich mit ihnen umzugehen, damit sie nicht provoziert werden.

Neulich erzählte mir eine Frau, dass zwei Jugendliche, die zusammen mit ihr in einer S-Bahn fuhren, zu randalieren begannen, sodass sie Angst bekam, Opfer ihrer Gewalt zu werden. Sie rückten immer näher, machten Bemerkungen und wollten Streit vom Zaun brechen, als ihre Station nahte. Die Frau stand trotzdem ganz ruhig auf und bat, ob man ihr gestatten würde auszusteigen – worauf sie so perplex waren, dass sie von ihr abgelassen haben. Einer trat sogar zurück und sagte: „Bitte sehr, gnädige Frau“. Das ist kein Rezept, hat mir aber sehr eingeleuchtet. Respekt appelliert an das Ich, an die geistige Instanz. Wer auf der rein astralen Ebene reagiert, hat verloren.

Was in der Phase geistiger Abnabelung hilft

  • Weltverstehen

Das Motiv für dieses Jahrsiebt lautet: „Die Welt ist wahr.“ Jetzt wird im Unterricht am Verständnis der Welt gearbeitet. Die geistige Isolation wird überwunden durch Weltverstehen. „Wir lernen, um die Welt zu verstehen.“ Das hören die Kinder schon in der Kinderhandlung. „Wir lernen, um in der Welt zu arbeiten. Die Liebe der Menschen zueinander belebt alle Menschenarbeit.“ So geht es in der Oberstufe immer um das Lernen, Arbeiten und Verstehen – auf liebevolle Art: indem man sich gegenseitig hilft, erklärt, unterstützt. Das bewirkt geistige Entängstigung.

  • Eigenaktivität und Mut

Angesichts von Angst hilft es den Heranwachsenden, aktiv zu werden, Mut zu zeigen. Ein gesunder Jugendlicher versucht zu beruhigen, wenn er merkt, dass die Erwachsenen Angst haben, obwohl er eigentlich auch Angst hat: „Mama, sei doch nicht so ängstlich! Du wirst schon sehen, mir geschieht nichts!“

  • Den Jugendlichen frei lassen

Wichtig ist, dass die Jugendlichen spüren, dass der Erwachsene etwas riskiert und sie gehen lässt. Im Moment der Trennung, wenn sie selbst verängstigt sind, sind sie besonders offen für einen Rat oder eine Regel, die man noch mit auf den Weg geben kann. Darüber hinaus muss der Erwachsene sich seinerseits bemühen, die Angst, dass dem Jugendlichen etwas passieren könnte, zu überwinden. Diese Überwindung wirkt enorm bestärkend auf den Jugendlichen, sodass er selbst mutig den neuen Freiraum ergreifen und versuchen kann, die eigenen Ängste zu überwinden.

  • Eigene Erfahrung und Einsicht

Im 3. Jahrsiebt geschieht Entängstigung durch eigene Erfahrung und durch Einsicht bzw. durch gute Erklärungen – indem man versteht, wo Gefahren auftreten können und man sie ausräumt und/oder sich schützt.

Vgl. „Ängste im Jugendalter und ihre Überwindung“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013

Verfahren und Methoden zur Angstbehandlung

Welche Methoden zur Angstbehandlung sind derzeit üblich?

Psychoedukative Angstbehandlungsmethoden

Heute werden zur Angstbehandlung üblicherweise psychoedukative Verfahren eingesetzt. Wir können sagen, die gesamte Waldorfpädagogik wirkt psychoedukativ.

  • Reizkonfrontation

Reizkonfrontation, also das bewusste Aufsuchen der gefürchteten Gefahr in Begleitung eines Erwachsenen, bringt eine Desensibilisierung mit sich: Das Kind lernt die Angst auszuhalten und damit zurechtzukommen. Es erlebt z.B., dass es nicht umkommt, wenn es mit einem Hund in Kontakt kommt.

  • Kontingenzmanagement

Die Methode des Kontingenzmanagements hat zum Ziel, dass der Patient zu dem positiven Verhalten, das er an die Stelle der Angstreaktion setzen soll, einen starken Bezug herstellt. Das ist eine sehr straffe Form von Verhaltenstherapie, die Automatismen positiver Art erzeugen will, dass man gar nicht mehr anders kann, als etwas so oder so zu empfinden.

  • Entspannungsverfahren

Des Weiteren werden Entspannungsverfahren verschiedenster Art angewandt.

  • Individuelles Problemlöseverhalten

Das individuelle Problemlöseverhalten entspricht in etwa dem, was auch wir zu erreichen versuchen: Ich-Stärkung auf der ganzen Linie. Man muss herausfinden, was das Kind gerne macht und ihm dies oft genug ermöglichen. So lernt das Ich, die eigenen Körpergrenzen zu überschreiten und ins soziale Umfeld auszustrahlen: Wenn man für andere etwas tut, so wirkt das entängstigend.

  • Familientherapie und psychodynamische Pharmakotherapie

Familientherapie und psychodynamische Pharmakotherapie werden ebenfalls zur Angstbehandlung eingesetzt.

Das Wichtigste erscheint mir jedoch, dass es vom Therapeuten als Mensch abhängt, wie die Therapie wirkt – unabhängig davon, welche Methode er anwendet. Wenn das Kind zu ihm Vertrauen hat, ist das die eigentliche Therapie. Die Technik ist zweitrangig.

Vgl. „Hilfen im Umgang mit Angst im Schulalter“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013

Kindliche Ängste bei Erwachsenen

Treten kindliche Ängste auch bei Erwachsenen auf?

Was kann den Betroffenen helfen?

Problematische Angst-Relikte aus der Kindheit

Viele Erwachsene, die mehr oder weniger gut durch ihre Kindheit und Schulzeit gekommen sind, leiden immer noch mehr oder weniger stark an kindlichen Leibesängsten: Sie sind phobisch, können nicht alleine Autofahren, können nicht gut im Dunkeln alleine sein – und das vielleicht ihr ganzes Leben lang… Die Leibesangst bleibt oft wie im Hintergrund, weil sie am Arbeitsplatz nicht so stark erlebt wird: Angst vor Hunden, vor Spinnen, vor diesem und jenem, Trennungsangst, Angst vor Alleinsein. Man erlebt sie mehr im privaten sozialen Kontakt.

Andere sind eher seelischen Ängsten ausgesetzt. Sie fühlen sich immer, wenn sie mit anderen Menschen kommunizieren, unsicher, unter ihrem Wert angeschaut und attackiert, obwohl man sie vielleicht gar nicht angreift. D.h. ihr kommunikatives System ist hochsensibel, ist angstgetönt. Sie sind nicht in der Lage, einen souveränen Beitrag im Sozialen zu leisten, weil sie immer Menschen brauchen, die ihnen helfen, so verstanden zu werden, wie sie es möchten, weil sie nicht selbst dafür sorgen können. Sie brauchen quasi immer jemanden, der zu dem anderen hingeht und vermittelt und sagt: „Das hat derjenige doch gar nicht so gemeint.“ Und zum anderen: „Du weißt doch, sie ist so sensibel – Du darfst nicht so streng schauen, weil das für sie oder ihn dann gleich ein Problem ist.“

Solche Befindlichkeiten haben einen adoleszenten Anstrich. Es sind Problemrelikte aus dem 3.Jahrsiebt, wo es völlig berechtigt ist, dass man lange Gespräche führt, bis wieder alles gut ist. Und am nächsten Tag geschieht das Nächste, dann muss man wieder reden – das ist in dem Alter normal. Wer von der Angst im Seelischen beherrscht wird, fühlt sich schlicht nicht sicher. Die ganzen Gespräche, die das wieder bereinigen und ordnen, dienen dazu, dass sich der Betreffende seelisch wieder sicher fühlt, dass die Seelenhaut wiederhergestellt wird (vgl. Selbsterkenntnis und Selbsterziehung: Selbstschulung gegen Angst). Das sind Heilvorgänge.

Seltener erwachsener Umgang mit Befindlichkeiten

Wir sollten einmal darauf achten, wie viel Zeit und Kraft im Sozialen, im Kollegialen nur in solche Interventionen gesteckt werden müssen, bis man Disharmonien im Sozialen, die aufgrund von kommunikativen Ängsten entstanden sind, wieder geordnet hat! Wären wir wirklich alle rundum erwachsen, hätten wir viel mehr Zeit zur Verfügung. Wenn sich dann jemand im Ton vergreift, würde man das sofort einordnen können und sagen, dass der Betreffende möglicherweise schlecht geschlafen hat oder gerade im Stress ist; vielleicht hat er Druck von seiner Frau bekommen und ist deshalb übel gelaunt – man hätte sofort mögliche Entschuldigungen für den anderen parat, anstatt es persönlich zu nehmen. Man müsste dann nicht so viel Zeit und Kraft investieren, um mit dem anderen zu sprechen, bis klar ist, wer wem was angetan hat oder nicht.

Die meisten Menschen sind jedoch unterschiedlich sensibel im Empfangen und im Zufügen solcher kommunikativer Wunden, ohne es zu merken. Mit dieser seelischen „Angstfront“ haben wir es immer häufiger zu tun. Das ist fast schon das Normale im heutigen sozialen Leben.

Vgl. „Die Angst in der Selbsterziehung des jungen Erwachsenen“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013

Todesangst als Leibesangst des Erwachsenen

Was tun bei Todesangst?

Wie geht man konstruktiv damit um?

Auftreten von Leibesangst

Auch Erwachsene können mehr oder weniger noch von Leibesangst betroffen sein, wenn auch in abgeschwächter Form. Jeder hat z.B. Leibes- oder Todesangst, wenn er ein Auto auf sich zurasen sieht oder, wie es mir neulich passiert ist, wenn man in der Heckscheibe sieht, dass einer nicht merkt, dass man bremst und einfach weiterrast. Hätte ich ihn nicht so früh gesehen, sodass ich mich auf den Aufprall vorbereiten konnte, wäre ich ebenso schockiert gewesen wie er. So aber konnte den Betreffenden noch trösten darüber, dass ihm so etwas passiert ist...

Die Leibesangst tritt in Momenten auf, in denen wir akut gefährdet sind und es auch sehen (vgl. Angst: Leibesangst und ihre Ursachen). Es ist dann ein Segen, wenn man über Kompensationsmechanismen verfügt. Je öfter man sich schon in Gefahrenmomenten befand, desto besser kann man mit Gefahren umgehen – denn das kann man lernen.

Entscheidend für den Umgang mit Todesangst ist, dass man sich ausführlich Gedanken gemacht hat über den Tod (vgl. Sterben und Tod: Dem Tod entgegenreifen). Denn das Einzige, womit man die Körper- und Leibesangst überwinden kann, ist das Wissen, dass das Wesen, das den Körper zusammenhält, trotz aller Schmerzen nicht sterben kann. Wenn man von innen her fühlt, dass das seelisch-geistige Wesen zwar leidensfähig ist im Leib, dass es aber, wenn der Leib einem genommen wird, auf andere Art weiterlebt, dann ist man in Gefahren tatsächlich in der Lage, die Ruhe zu bewahren.

In der Vorstellung mit Gefahren umgehen

Wenn man Folter oder andere Schrecknisse selbst noch nicht erlebt hat, finde ich es wichtig, dass man sich so etwas vorstellt bzw. dass man z.B. versucht, sich in derlei Katastrophen hineinzuversetzen und sich zu fragen, wie man sich selbst verhalten hätte. Wir können aber auch von anderen lernen, z.B. von Menschen, die Furchtbares erlebten, die Folter und Qualen erleiden mussten, indem wir versuchen uns vorstellen, wie es wäre, so etwas durchzumachen. Zu wissen, wie sich das anfühlt, macht empathiefähig. Man kann dabei aber auch üben, nicht nur Hass und Antipathie zu empfinden, sondern herauszufinden, wie man selber damit umgehen würde, wenn so etwas wirklich auf einen zukäme.

Normalerweise ist das Gegenteil der Fall: Man liest etwas Furchtbares und hat umso mehr Angst, dass einem selbst so etwas passieren könnte. Viel konstruktiver ist die Einsicht, dass es sich dabei um schwere Prüfungen der heutigen Zeit handelt, die uns letztlich lehren wollen, dass unser Seelisch-Geistiges stärker ist als der Tod (vgl. Mysterien und Initiation: Initiation durch das Leben).

Auf die Seele kann man nicht eintreten

Alexander Solschenizyn schildert in „Archipel Gulag“ oder „Erster Kreis der Hölle“ eine Szene, wie ihn der Lagerkommandant mit dem Stiefel ins Gesicht treten will, während er am Boden liegt, und er in dem Moment den Gedanken hat: „Du kannst nur meinen Leib zerstören, auf meine Seele kannst Du nicht eintreten.“ Dieser Gedanke lässt ihn die Misshandlung überleben.

Angesichts der Leibesangst hilft das Wort aus der christlichen Esoterik: „In christo morimur“ (vgl. Meditation auf anthroposophischer Grundlage: Sich erheben aus Angst durch Gebet und Meditation). In Christus sterben wir: Diesen Umstand können wir mit folgenden Einsichten umschreiben: „Mein Ich trägt mich durch alles hindurch – da kann keiner drankommen. Es gehört der geistigen Welt an. Ich bin Bild davon, mein Leib ist Ebenbild dieser göttlichen Instanz und der Kräfte, die diese Ebenbildlichkeit am Leben erhalten.“ In diesem Wissen schreiten wir über die Todesschwelle und verbinden uns wieder mit dem Urbild. Das ist wie eine Art Zentralgebet, zu dem nur der Erwachsene fähig ist. Ein Kind kann das nicht, aber wenn es so einen Erwachsenen in seinem Umkreis hat, kann dieser aus einer echten Kompetenz heraus trösten und die Angst anstelle des Kindes überwinden und kann dem Kind dadurch eine große Hilfe sein.

Vgl. „Die Angst in der Selbsterziehung des jungen Erwachsenen“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013

Ängstigung durch Medien

Inwiefern kann Medienkonsum bei Kindern Angst auslösen?

Was Kinder über Medien mitbekommen

Wir sind uns als Gesellschaft und Erzieher im Allgemeinen viel zu wenig bewusst, was Kinder alles über die Medien mitansehen müssen. Das begünstigt eine antipathische Art der Reflexion über die Welt, wie z.B. ängstliche Gedanken darüber, was alles passieren könnte, weil viele Kinder unbewusst bereits viel Destruktives in ihren Gedanken- und Bilderschatz aufgenommen haben – Gedanken, die nicht durch die eigene Erfahrung gegangen sind. Alles, was man nicht selbst erarbeitet hat, macht jedoch Angst.

Schmerzvolle Erfahrungen und schwere Erlebnisse, die man selbst durchgestanden hat, aus denen man selbst etwas gelernt hat und bei deren Bewältigung Erwachsene geholfen haben, indem sie Anstöße gaben, das Geschehnis „zurechtzudenken“ und sagten – „Es war gut, dass wir das durchgemacht haben, jetzt wissen wir Bescheid, jetzt kann es nur noch besser werden“ – hinterlassen keine nachhaltigen Angstzustände. Gedanken jedoch, die nicht mit Erfahrung gesättigt sind, die Fremderfahrungen transportieren, die mit Dingen zusammenhängen, die man sich nicht zutraut oder von denen man fürchtet, dass sie Geschwistern oder Eltern zustoßen, bewirken eine sekundäre Ängstigung. Viele Kinder sind heute sekundär angstbesetzt durch Dinge, von denen wir nicht wissen, dass sie sie gesehen haben in den Medien (vgl. Trauma – Ursachen und Behandlung: Ursache und Heilung von Traumata).

Blicke beim Fernsehen beobachten

Den größten Augenöffner in meiner ersten Zeit als Schularzt 1978 erlebte ich in Argentinien, wo ich meine ganzen Sommerferien an der dortigen Waldorfschule mit Hospitieren verbrachte. Ich gestaltete einen Elternabend über Medienkonsum. Am Ende kam eine Mutter zu mir und zeigte mir ein Foto. Sie sagte, sie wäre begeistert gewesen von den Medien, auch vom Fernsehen. Sie schaute beim Kindergeburtstag gerne mit den Kindern gemeinsam Filme an, denn dann waren die Kinder ruhig und man hatte gemeinsam Spaß daran. Beim letzten Geburtstag ihres Sohnes fotografierte sie die filmschauenden Kinder. Nach dem Entwickeln der Bilder sah sie in angstgeweitete, aber auch leere Augen. Das war ihr nicht aufgefallen, während sie so nett zusammen Film schauten. Darüber war sie so erschrocken, dass sie zu meinem Vortrag kam.

Beim Medienkonsum sind die Augen von Kindern und Erwachsenen meist angstgeweitet, weil man Dinge in sich aufnimmt, die man seelisch-geistig nicht wach begleiten und verarbeiten kann. Es geht alles zu schnell und außerdem handelt es sich bei Filmen nicht um die volle Wirklichkeit, mit der man sich mit allen Sinnen menschlich in Beziehung setzen kann (vgl. Gefühle und Fühlen: Gefühl und Wahrnehmung). Zu viele Sinne sind dabei nicht aktiv – deshalb kann keine volle Ich-Beteiligung zustande kommen, höchstens zu 20 %. Der Astralleib ist jedoch ganz beteiligt und wird zu 100 % affiziert. Angst entsteht, weil das Ich zurückgedrängt wird, der Astralleib dabei aber maximal beansprucht ist. Dieses Verhältnis entspricht der typischen Physiognomie der Angst.

Vgl. „Hilfen im Umgang mit Angst im Schulalter“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013

Überwindung von Angst als Einweihung

Was hat Angst bzw. deren Überwindung mit Einweihung zu tun?

Einweihung durch Prüfung

Die frühesten Zeugnisse über Angst und Furcht finden sich in den Dokumenten alter Mysterien, d.h. in Dokumenten über Einweihung. Denn Einweihung war immer mit Prüfungen verbunden, vor denen man Furcht empfand. Man wurde durch ganz bestimmte Übungen, die Mut, Standfestigkeit, Hoffnung und Zuversicht hervorriefen, darauf vorbereitet, diese Prüfungen zu bestehen (vgl. Mysterien und Initiation: Über die alten Mysterien): Wer unsicher war, musste lernen, in sich Sicherheit zu finden; und um sich bei der Prüfung nicht wie ausgegossen in grenzenlose öde Weiten, ohne Halt und Licht zu fühlen, musste man versuchen, Halt und Licht im Inneren zu finden.

Die Ur-Einweihungsqualität besteht darin, angesichts von Furcht Mut zu entwickeln, d.h. Angst vor der Zukunft umzuwandeln in Vertrauen in die Zukunft. Nur der, dem das gelang, war würdig, ein Volk zu führen, als Priester oder Lehrer zu wirken. Die Helden in der Antike zeichneten sich dadurch aus, dass sie furchtlos waren. Je furchtloser ein Mensch war, desto kulturell wertvoller konnte er wirken. Furchtlosigkeit war der Gradmesser (vgl. Mysterien und Initiation: Erneuerung der Mysterien).

Der folgende Spruch (1) hat diese Eingeweihten-Stimmung, weil er uns an die Eingeweihten alter Zeit erinnert:

Es war in alten Zeiten,

da lebte in der Eingeweihten Seelen

kraftvoll der Gedanke,

dass krank von Natur

ein jeglicher Mensch sei.

Und Erziehen ward angesehen

gleich dem Heilprozess,

der dem Kinde mit dem Reifen

die Gesundheit zugleich erbrachte

für des Lebens vollendetes Menschsein.

Von Natur aus krank, weil entwicklungsbedürftig

Was bei diesem Spruch immer wieder neu zu denken gibt, Anstoß erregt und widersprüchlich erscheint, ist die Tatsache, dass im Zusammenhang mit Kindern von Heilung die Rede ist. Wir denken meist, Kinder werden unschuldig und gesund geboren, wenn sie nicht aus bestimmten Gründen krank sind.

Wieso werden wir hier „krank von Natur“ genannt?

Wir haben von Natur aus Angst. Wir werden deshalb auch die gesunden Aspekte der Angst ins Auge fassen. Wenn wir über diese Wendung „krank von Natur“ nachdenken, wird deutlich, dass der Mensch von Natur aus nicht komplett, nicht fertig ist. Auf unseren Goetheanum-Wiesen haben wir neue Kälber von schönen Kühen mit Hörnern, so richtig gesund, nach Demeter-Richtlinien gezogen und gepflegt. Was aber besonders beeindruckt, ist die ungeheure Perfektion, die Vollkommenheit, mit der diese Tiere ihr Leben meistern. Angst kann man an ihnen nicht wahrnehmen, sondern Lebenssicherheit – wenn man sie nicht künstlich in Aufregung versetzt.

Eine Kuh kann nicht „kuhiger“ werden, aber ein Mensch kann immer noch menschlicher werden (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Zwischen Tier und Mensch unterscheiden). Alle, die sich hier weiterbilden, haben das Gefühl, sie können noch viel lernen. Im Schwäbischen hat man den schönen Ausdruck – „I bin no ned des“ – Ich bin noch nicht ganz das, was ich werden könnte.

Das Werden, die Entwicklung, ist störanfällig. Jemand, der sich nicht entwickeln kann, ist krank. Wir alle müssen uns sehr anstrengen, dass wir in Entwicklung bleiben – und sind somit ein bisschen krank. Wir sind von Natur insofern krank, als wir alle heil- und hilfsbedürftig sind: Wir brauchen Erziehung, wir brauchen Unterstützung, müssen lebenslang lernen (vgl. Selbsterkenntnis und Selbsterziehung: Selbstschulung gegen Angst) . Wenn wir erwachsen sind und die Lernziele nicht mehr aus der Umgebung kommen, müssen wir uns selber helfen, uns selber stützen, uns selber heilen.

Vgl. „Vorgeburtliche Disposition zu Angststörungen“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013


(1) Rudolf Steiner, Veröffentlichungen zur Geschichte und aus den Inhalten der esoterischen Lehrtätigkeit, GA 268, S. 304.

Angst und Selbstverantwortung

Wie kann man mit Angst (selbst)verantwortlich umgehen?

Pathologischer Angstpegel

Angst ist per se nichts Schlechtes. Sie ist ein wichtiger Schutzfaktor, der uns vor Gefahren und Schädigungen bewahrt. Ohne Angst würden mangelndes Risikobewusstsein und Tollkühnheit vorherrschen und uns gefährden.

In unserer gegenwärtigen Situation hat die Angst jedoch einen Pegel erreicht, der sich pathogenetisch auswirkt (vgl. Begabung und Behinderung: Bewusster Umgang mit Not und Zerstörung): Dieses Ausmaß an Angst lähmt, verhindert eine umfassende Urteilsbildung und raubt Zeit. Viele Ärzte haben keine Zeit, sich so lange mit einzelnen Patienten und ihren Fragen zu diesem Thema abzugeben. Sie wollen einfach auf der sicheren Seite sein – das entspricht ihrer Auffassung von ihrem Beruf.

Nachdem mein Kollege Wolfgang Goebel und ich die „Kindersprechstunde“ verfasst hatten, bekamen wir viel kritische Post. Vor allem Kinderärzte machten uns den Vorwurf, die Angst der Eltern zu schüren, weil wir das Impf-Kapitel und die Kapitel über die Kinderkrankheiten übermäßig aufgebläht hätten. Sie fanden es völlig unverantwortlich, dass wir dieses Fachwissen in einem Buch für Laien veröffentlichten. Das war 1984 anlässlich der ersten Auflage.

Seitdem ist viel passiert – solche Briefe bekommen wir heute nicht mehr, im Gegenteil. Wolfgang Goebel, mein damaliger Co-Autor, hat seither ein eigenes Buch über den individuellen Impfentscheid geschrieben (1), in dem er alles noch viel ausführlicher beschreibt als in der „Kindersprechstunde“. Wir sind damals hart geblieben und schrieben zurück, dass die Eltern ein Recht auf umfassende Aufklärung hätten in Bezug auf die Risiken von Krankheiten und die Risiken der Impfungen.

Zukunftsweisende Verantwortung des Patienten

Wer sich bereits operieren ließ, weiß um seine Verantwortung als Patient: Jeder Erwachsene muss unterschreiben – auch für seine Kinder – dass er für alle Operationsrisiken selbst die Verantwortung übernimmt (vgl. Anthroposophische Medizin: Förderung von Patientenkompetenz). Der Arzt ist nicht mehr verantwortlich – es sei denn man kann ihm einen Kunstfehler nachweisen, was aber gar nicht so leicht ist. Alle Risiken also, die manch einen zögern lassen würden, sich überhaupt unters Messer zu begeben, wenn Arzt und Anästhesist sie „herunterbeten“ würden, gehen zu Lasten des Patienten.

Das weist in die Zukunft.

Patienten und Eltern können es sich in diesem Zeitalter, in dem Mündigkeit und das Übernehmen von Verantwortung gefordert sind, nicht mehr leisten, Entscheidungen an den Berufsstand des Arztes zu delegieren. Sie müssen selbst herausfinden, was sie mit Hilfe ihres gesunden Menschenverstandes begreifen und mit ihrem Gewissen vereinbaren können (vgl. Konfliktfähigkeit: Die Gewissensstimme).

Vgl. Vortrag „Kinderkrankheiten angstfrei behandeln“, Filderstadt, Impfkongress 2009


(1) Wolfgang Goebel, Schutzimpfungen selbst verantwortet, anthera 2004.