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COVID-19: Unterschied zwischen den Versionen

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Auszüge aus Büchern und Vorträgen von [[Michaela Glöckler]]; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
Auszüge aus Büchern und Vorträgen von [[Michaela Glöckler]]; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
== MEMORANDUM – FÜR EIN UMDENKEN IN DER CORONA-POLITIK ==
=== ''Mehr Verständnis für die Meinungsvielfalt in der Krise'' ===
Die Corona-Pandemie ist nicht nur ein äußerst komplexes Geschehen in gesundheitlicher Hinsicht. Sie fällt auch in eine Zeit großer ökologischer, gesellschaftlicher und geopolitischer Veränderungen, ja, sie ist selbst Teil dieser Veränderungen. Denn zu den uns alle belastenden Problemen in Form von Klima-, Hunger- und Armutskrise – begleitet von bewaffneten Konflikten, Flüchtlingselend und Not – kommen laut UNICEF infolge der Pandemie zu den weltweit 700 Millionen Hungernden noch 130 Millionen hinzu.
Die Pandemie und die Art ihrer Bewältigung hat den größten Teil der Weltbevölkerung mit der Tatsache konfrontiert, dass vieles, was bis eben noch selbstverständlich war, schlagartig nicht mehr gegeben ist: der tägliche Gang zur Arbeit, so wie in Kindergarten und Schule, die persönliche Bewegungsfreiheit, das Einkaufen, die Teilnahme an Veranstaltungen, an Hochzeiten, Trauer-feierlichkeiten, Familienfesten, Freizeitangeboten und vieles mehr.
Der Bildschirm ist zum zentralen Begegnungs- und Kommunikationsort geworden. Die forciert vorangetriebene Digitalisierung aller Lebensbereiche wird dabei jedoch nicht nur als Segen erlebt. Kinder und Jugendliche brauchen für ihre gesunde Entwicklung an erster Stelle realweltliche Erfahrungen und Kontakte.
Hinzu kommt die Sorge, ob nicht die konsequente Nachverfolgung von Infektionsketten und Impfnachweisen sowie weitere als notwendig erachtete Kontroll- und Überwachungsinstrumente in eine Zukunft führen, in der man damit rechnen muss, dass diese Überwachungsinstrumente jederzeit wieder zum Einsatz kommen, wenn nationale Notlagen wie Terrorgefahr oder Pandemien auftreten.
''Wie muss sich die Demokratie weiterentwickeln, dass die Angst vor Gewalt, Krankheit und Tod nicht zum Feind der Freiheits- und Persönlichkeitsrechte wird?''
Viele Menschen fragen sich:
''Welche Zukunft kommt da auf uns zu?''
''Welche Art der Bürgerbeteiligung braucht es, um die Demokratie angesichts dieser geänderten Gesamtsituation zukunftsfähig zu erhalten?''
''Wie kann die Zivilgesellschaft in den Prozess eines notwendigen Umdenkens – auch in der Corona-Politik – konkret einbezogen werden?''
Dabei sind Kinder und Jugendliche von dieser neuen Zeitlage besonders hart betroffen. Sie erleben nicht nur Angst und Sorge der sie umgebenden Erwachsenen mit, sondern haben auch ihre eigenen Zukunftsängste. Zudem erleben sie soziale Isolation, viele auch vermehrt häusliche Gewalt. Vorhandene Sorgentelefone sowie Kinder- und Jugendpsychiatrien sind bereits anhaltend überlastet.
Angesichts dieser Tatsachen ist es verständlich, dass sich die Gesellschaft zunehmend in diejenigen polarisiert hat, die die bisherige Corona-Politik bejahen, rechtfertigen und unterstützen und eine wachsende Zahl von Bürger*innen, die dies immer weniger können und aus den verschiedensten Erwägungen heraus dagegen aufbegehren. Streit und Konflikte in Familien, Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz sind die Folge. Ein Jahr nach Veröffentlichung unseres ersten Buches zum Thema „Corona - eine Krise und ihre Bewältigung“ sowie zwei Folgepublikationen hat uns das Erleben dieses Konfliktpotentials, aber auch die Tabuisierung des Themas um des sozialen Friedens willen immer wieder neu betroffen gemacht. Es hat uns aber auch motiviert, die verschiedenen zum Teil hart aufeinanderprallenden Denkweisen anzuschauen, die hierfür verantwortlich sind. Denn je nachdem, welche Ansicht jemand hat, werden diese mit den dazu passenden Fakten argumentativ untermauert und die Möglichkeit gegenseitigen Verstehens schwindet.
Kann man jedoch die Denkweise des anderen nachvollziehen und lässt man es zu, nach Lösungen zu suchen, die den unterschiedlichen Standpunkten gerecht werden, so haben nicht nur Toleranz und sozialer Frieden eine Chance. Es wächst vielmehr die Motivation, sich gemeinsam zu engagieren und angesichts der belastenden Konflikte kreative Lösungen zu finden. Fünf dieser Denkansätze, die mit ihren Folgeargumenten bisher besonders zur Polarisierung beigetragen haben, möchten wir hier vorstellen. Unser Memorandum ist dem Ziel gewidmet, diese Denkansätze verständlich zu machen und dadurch zu einem konstruktiven Dialog beizutragen.
=== ''1. Welche Denkweise liegt den weltweit abgestimmten Maßnahmen, um die Pandemie erfolgreich zu bekämpfen, zu Grunde?'' ===
Es ist die reduktionistische Denkweise der modernen Naturwissenschaft. Sie geht davon aus, dass es sich bei COVID-19 um eine schwere, ansteckende Virus-Erkrankung handelt – nicht vergleichbar mit einer saisonalen Grippe. Die Schreckensbilder aus den Medien über schwerste Verläufe mit Todesfolge und viele Särge haben sich in das Gedächtnis von Milliarden Menschen eingegraben.
Der sich aus dieser Sicht ergebende Handlungsansatz der Regierungsverantwortlichen und der WHO ist klar: Das Virus ist die Ursache und muss unter allen Umständen bekämpft werden. Hinzu kommt die Sorge, dass das Gesundheitssystem schnell überlastet sein würde und unfähig alle Erkrankten aufzunehmen, wenn man der Pandemie außer mit den bekannten Hygienemaßnahmen wie Social Distancing, Maskengebrauch und Händewaschen nicht auch mit drastischen Maßnahmen wie Lock-down und Ausgangssperren begegnen würde. Auch zeigen erste Studien bald, dass insbesondere Menschen mit Vorerkrankungen und in höherem Alter gefährdet und speziell zu schützen sind.
Die Konsequenz aus diesem Denkansatz ist, alles zu tun, um die Infektionsketten zu durchbrechen, den schweren Verläufen vorzubeugen, wirksame Impfstoffe zu entwickeln und die Bevölkerung auf die als unerlässlich erachteten Massenimpfungen vorzubereiten. Diese Betrachtungsart ist in sich schlüssig, die 7-Tage-Inzidenz dient als einheitliche Bemessungsgrundlage. Zahlen und auf statistische Evidenz gebaute Fakten bestimmen das Vorgehen und wirken – medial einheitlich kommuniziert – auf die Mehrheit überzeugend.
Schmerzhafte persönliche, soziale, kulturelle und wirtschaftliche Kollateralschäden zeigen jedoch deutlich an, in welch hohem Maß die Lebensverhältnisse unter diesem einseitig durchdachten Vorgehen leiden. Zumal ja gerade auch eindrucksvolle Zahlen des RKI und der WHO belegen, dass gut 20% der positiv Getesteten symptomfrei sind und die Mehrheit der verbleibenden knapp 80% Infizierten nur unter geringen bis mittelgradigen Symptomen zu leiden hat. Es erscheint so gesehen unerlässlich, wei¬tere Gesichtspunkte einzubeziehen und eine Diskussion darüber anzuregen, wie sich diese so verbinden lassen, dass lebensfreundlichere Handlungsoptionen wirksam werden können.
=== ''2. Der salutogenetische Denkansatz fragt: Warum werden nicht alle Infizierten krank und von denen die krank werden, nicht alle schwer krank? Was hält den Menschen gesund?'' ===
Um Gesundheit zu verstehen, braucht es eine komplexe Denkweise. Gesundheit ist der labile Gleich-gewichtszustand zwischen den Faktoren, die den Organismus schädigen können und den Regenerationsmöglichkeiten und Widerstandskräften, die unter dem Begriff der Immunkompetenz zusammengefasst werden. Diesem Denkansatz zu Folge, ist nicht das Virus alleinige Ursache der Pandemie, sondern ebenso die Empfänglichkeit des Organismus für das Virus. Von dieser Empfänglichkeit hängt es ab, ob sich Krankheitssymptome entwickeln können oder nicht. Diesen Tatbestand spiegeln auch die aktuellen Infektionszahlen der WHO und des RKI wider (Stand 21. März 2021):
* Gegenwärtig leben 7.87 Milliarden Menschen auf der Erde.
* Davon wurden bisher '''weltweit''' positiv getestet:    122.542.424 = 1,58%
* Von den positiv Getesteten verstorben sind: 2.703.620 CFR = 2,21%    (CFR= Case-Fatality-Rate)
Diese Zahlen zeigen auf, dass am 21. März 2021 von den weltweit 7,87 Milliarden Menschen bisher 122.5 Millionen Corona positiv gemeldet wurden und dass von diesen positiv Gemeldeten 2,2% verstorben sind (CFR).
In '''Deutschland''' wurden im Vergleich durch das RKI am selben Tag insgesamt 2.66 Millionen Corona positiv Getestete gemeldet. Das sind bei einer Gesamtbevölkerung von 83 Millionen 3,2%. Von diesen 3,2% Corona positiv Gemeldeten sind 2,8% an oder mit Corona verstorben (CFR):
* Einwohnerzahl: 83 Millionen
* Positiv getestet 2.659.516 = 3,2%
* Davon gestorben 74.664 CFR = 2,8%
Für Deutschland ist zudem bekannt, dass bisher 89 % der Verstorbenen über 70 Jahre alt waren und die meisten von ihnen Vorerkrankungen hatten. Beides spricht für eine eingeschränkte oder altersbedingt abnehmende Immunkompetenz.
Das heißt, je robuster das Immunsystem und die damit verbundene Abwehrsituation des Körpers ist, umso geringer ist die Gefährdung zu erkranken. Angesichts dieser Zahlen ist verständlich, dass nicht nur viele Bürger*innen sondern auch Fachleute das Pandemie-Management der Regierung unverhältnismäßig erleben und beispielsweise fragen:
''Warum wird nicht in das Gesundheitssystem und in die Ausbildung zusätzlicher Pflege- und Fachkräfte investiert, um eine optimale Versorgung zu gewährleisten?''
''Braucht es hier nicht ein Umdenken weg vom gewinnorientiert betriebenen zum patienten-orientiert betriebenen Krankenhaus, das auch auf Pandemien vorbereitet ist?''
''Warum nicht die Risikogruppen auf hohem Niveau schützen, hochwertige Schutzkleidung für Besucher in Senioren- und Pflegeheimen zur Verfügung stellen und auf Qualität geprüften FFP2-Maskenschutz?''
''Warum werden nicht Verfahren zur realen Risikoabwägung vor Ort in den Betrieben, in Kindergärten und Schulen gemeinsam mit den betroffenen Bürger*innen entwickelt, die nicht nur die potentielle Tatsache in Erwägung ziehen, dass das Virus theoretisch jeden treffen kann, sondern auch mit der viel größeren Wahrscheinlichkeit rechnet, dass die meisten Menschen gesund bleiben, insbesondere Kinder und Jugendliche, bei denen schwere Verläufe oder Komplikationen extrem selten sind?''
=== ''3. Der psychoimmunologische Denkansatz: Was macht die Angst vor Krankheit und Tod mit uns? Was macht Mut und gibt Hoffnung und Zuversicht?'' ===
Schon während des ersten Lockdowns war in einem Kommentar von ''Dieter Fuchs'' in der Stuttgarter Zeitung vom 17. April 2020 zu lesen: ''„11,4 Millionen Familien mit minderjährigen Kindern werden gezwungen, Erwerbstätigkeit, Lernen und Kinderfürsorge irgendwie zu organisieren, in einer weit-gehenden Isolation von anderen Menschen, die helfen könnten (…) Ihre Grundrechte auf Bildung, Freizügigkeit und sozialen Austausch werden ignoriert. Eine Gesellschaft, die Eltern und Kindern monatelang diese Last aufbürdet, wird einen hohen Preis dafür zahlen.“''
Seither nehmen die warnenden Stimmen exponentiell zu. Doch auch Erwachsene bezahlen einen hohen Preis. Depressionen nehmen zu, chronische Krankheiten verschlimmern sich. Die Angst vor Krankheit und Tod, die Sorge um die eigene Existenz, den Arbeitsplatz, dass finanzielle Überleben oder weniger gute Ausbildungschancen zu haben – all dies schlägt einem auf das Gemüt.
''Was kann man dem entgegensetzen?''
''Warum wird nicht parallel zu den täglichen Ansteckungs- und Todesfallzahlen in den Medien auch hervorgehoben, was Mut machen kann und was das Immunsystem stärkt?''
Zu Beginn der zweiten Pandemiewelle im Herbst forderte zum Beispiel der Intensivmediziner und Internist ''Harald Mattes'', Professor an der Berliner Charité und leitender Arzt des Krankenhauses Havelhöhe, eine Abkehr vom Krisenmanagement hin zu einem „risikostratifizierten Handeln“. Braucht es nicht runde Tische, wo solche Vorschläge diskutiert werden und die Möglichkeit, kreative Vorschläge unter kontrollierten Bedingungen praktisch umzusetzen? Erfreuliche Ansätze dazu sind ja gegenwärtig hier und da schon in Erprobung. Dabei spielt die Eigenverantwortung der Bürger*innen für ihre Gesundheit eine zentrale Rolle.
Die Gesundheits- und Resilienzforschung der siebziger und achtziger Jahre sowie die psychoneuro-immunologische Forschung haben jedenfalls hinreichend belegt, in wie hohem Maß negative Gefühle wie Stress, Angst, Unsicherheit, Ohnmacht, anhaltende Sorge und Verzweiflung das Immunsystem beeinträchtigen, ja schädigen. Wohingegen positive Gefühle wie Mut, Hoffnung, Zuversicht, Vertrauen, Nähe und Geborgenheit dieses stärken. Nicht zuletzt ist bekannt, wie Gebet und Meditation gerade auch in Krisenzeiten positive Gefühle wecken und stabilisieren können.
=== ''4. Der basisdemokratische Denkansatz: Autonomie, Teilhabe und Mitverantwortung'' ===
Als der bekannte amerikanische Computerexperte ''Josef Weizenbaum'' im „George Orwell“-Jahr 1984 zu Vorträgen und Interviews in Deutschland war, wurde er auch gefragt, ob der Computer den Überwachungsstaat bringen würde. Da konnte er dies nur bestätigen, und er berichtete, dass seine Forschungs- und Entwicklungsarbeit vollumfänglich vom amerikanischen Verteidigungsministerium finanziert worden sei. Er stellte dann aber sogleich auch klar (das Interview wurde 1984 unter dem Titel „Kurs auf den Eisberg“ veröffentlicht), dass wenn es zum Überwachungsstaat kommen würde, nicht der Computer daran schuld wäre, sondern die Menschen, die ihre Freiheit nicht verteidigen. Hitler und Stalin hätten doch demonstriert, dass Überwachungsstaaten nicht vom Computer abhängig sind.
Demokratische Systeme brauchen, um funktionsfähig zu bleiben, einerseits den „Reiz der Freiheit“ (Novalis). Andererseits ist dafür die Freude am Dialog mit Andersdenkenden erforderlich, an runden Tischen, an Bürgerforen und einer fairen Debattenkultur.
''Welche Bedingungen braucht es in Erziehung und Bildung, damit sich solche Fähigkeiten entwickeln können?''
Dieser Frage gehen Bildungsexperten wie '''Gerald Hüther''' schon lange nach. In seinem Buch „Würde“ fordert er eine Erziehung, die den Kindern und Jugendlichen hilft, das Bewusstsein von Menschenwürde und Freiheit zu entwickeln.
''Wie aber soll das gelingen, wenn die vom Staat vorgegebenen Normen und Reglementierungen eher zu- als abnehmen?''
Ganz abgesehen von dem zusätzlichen Anpassungsdruck, der jetzt unter Pandemie-Bedingungen auf die Kinder und Jugendlichen einwirkt. Dass auf diesem Feld besonders viel Sensibilität und Gesprächsbereitschaft erforderlich sind, um ein risikostratifiziertes Handeln für den Kindergarten- und Schulalltag unter den verantwortlichen Pädagog*innen, Eltern und Behörden zu vereinbaren, liegt auf der Hand. Umso mehr lohnt sich jede diesbezügliche Bemühung vor Ort – denn Schulzeit ist kostbare Entwicklungszeit!
=== ''5. Der spirituelle Denkansatz und die Weltanschauungsfrage'' ===
Die von ''Rudolf Steiner'' begründete Anthroposophie hat nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Gebieten der Landwirtschaft, der Medizin, der Heilpädagogik und Pädagogik sowie sozialer Wirtschaftsformen Bedeutendes geleistet – nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit. Auch wenn diese Leistungen respektiert und anerkannt sind, steht man doch ihrem „geistigen Überbau“, d. h. der spirituellen Denkweise, von Steiner auch Geisteswissenschaft genannt, eher verständnislos gegenüber.
Selbstverständlich ist in der herrschenden materialistisch-naturwissenschaftlichen Denkweise für eine Wissenschaft vom Geist, wie sie in der Anthroposophie oder anderen spirituellen Arbeitsrichtungen und Philosophien vertreten wird, kein Platz. Es ist aber de facto nicht gleichgültig für das eigene Denken und Handeln, welche Vorstellung vom Menschen man sich macht. Je nach Denkweise und Vorstellungsvermögen differieren die Menschenbilder und die Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Auch der Umgang mit Krankheit und Tod und das für möglich halten einer spirituellen Prä- und Postexistenz sind dadurch geprägt. Dafür Respekt und Toleranz zu entwickeln, ist Kern humanistischer Kultur.
=== ''Fazit'' ===
Die hier dargestellten fünf Denkansätze sind ein Plädoyer dafür, bei der Bewältigung der Pandemie mehr Interdisziplinarität und unterschiedliche Betrachtungsweisen zuzulassen. Denn das Leben ist ein komplexer Vorgang und, was ihm dient, ebenso. Zudem ist eine Entwicklung zu Freiheit und Würde ohne Risiko nicht zu haben. Indem sich Denkweisen und daraus resultierende Handlungsoptionen ergänzen und Alleinvertretungsansprüche relativiert werden, wird man dem Leben in seiner Komplexität eher gerecht. So notwendig klare politische Rahmenbedingungen zur Eindämmung des Pandemiegeschehens sind, so unerlässlich sind auch die Ermutigung der Bevölkerung zu Selbst- und Mitverantwortung und die realistische Risikoeinschätzung vor Ort.
''Vgl. Memorandum – Ostern 2021 gemeinsam mit Andreas Neider''
== CORONA-STANDORTBESTIMMUNG JANUAR 22 ==
''Der Staat selbst ist niemals Zweck, er ist nur wichtig als eine Bedingung, unter welcher der Zweck der Menschheit erfüllt werden kann, und dieser Zweck der Menschheit ist kein anderer als die Ausbildung aller Kräfte des Menschen, Fortschreitung.''
''Friedrich Schiller''
''Wo stehen wir jetzt in der Corona-Pandemie?''
''Was hilft, konstruktiv mit ihren Folgen zu leben?''
=== ''Vorbemerkung'' ===
Im Verlaufe der Corona-Pandemie ist bereits so viel zum Thema erschienen, dass die Frage nur zu berechtigt ist:
Was sollte denn jetzt noch geschrieben werden?
Wem könnte es dienen? Wem helfen?
Wen mag es in der Flut der verschiedenen Ansichten und Interpretationen von Zahlen, Fakten, Statistiken interessieren?
Hinzu kommt, dass das Pandemiegeschehen die Gesellschaft derartig polarisiert hat, dass viele inzwischen das Thema tabui­sie­rt haben, um den sozialen Frieden nicht noch mehr zu gefährden. So ist es nur zu begreiflich, dass Verunsicherung, Ängste und Orien­tierungs­losigkeit die Folge sind - trotz der politischen und medialen Einheitlichkeit in der Kom­mu­ni­kation, der strategischen Ziele und der daraus abgeleiteten Maßnahmen. Jedenfalls waren es die Sprach­losigkeit und das Ohnmachts­erleben, die mir in vielen Gesprächen zum Thema begegnet sind, die mich letzt­lich motiviert haben, diesen Beitrag zu schreiben. Zumal die Krise ja chronisch zu werden droht und der Ruf nach der Impfpflicht mit unbekannt vielen Folgeimpfungen im Gegensatz zu den Hoffnungen steht, dass die Pandemie doch in absehbarer Zeit in eine Endemie einmünden und damit enden könnte. Wirklich klar ist jedenfalls inzwischen nur eines: Das Auftreten der Omikron-Variante, die sich schneller und umfassender unter Geimpften und Ungeimpften ausbreitet, macht deutlich, dass wir mit dem Virus und seinen Mutationen leben lernen müssen. Zudem hat sich im Laufe der Pandemie deutlich gezeigt, dass sie auf drei verschiedenen Ebenen Diskussionsstoff bietet:  auf der Ebene persönlicher Betroffenheit im Krankheitsfall oder in der Sorge um Freunde und Bekannte, auf der Ebene der verschiedenen Länder mit ihren teils unterschiedlichen Vorgehensweisen und schließlich auf der globalen wirtschaftspolitischen Ebene. Für diese drei Diskussionsebenen konstruktive Zukunfts­perspektiven aufzuzeigen ist mein Anliegen – ebenso die Kraftquellen zu charakterisieren, die angesichts der Sorgen und Ängste zur inneren Stabilisierung beitragen können.
=== ''Die drei Diskussionsebenen der Pandemie'' ===
==== 1. '''   ''' Die Globale Ebene ====
Die Pandemie war und ist ein globales Ereignis, das kaum einen Menschen unberührt gelassen hat. Global erlebbar war auch der Gleichklang in der strategischen Grund­orien­tierung, mit der die internationale Staatengemein­schaft sich bemüht hat, die Pandemie zu bewältigen. Der wirt­schaftspolitische Kontext zeigt klare Entwick­lungs­per­spektiven auf. Sie sind geprägt durch die Technisierung und Digitalisierung aller Arbeitsbereiche, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich entwickelt und weltweit etabliert haben. Damit verbunden ist auch der globale Aufbau elektronischer Kontroll- und Überwachungs­systeme im Dienste von Sicherheit und Gesundheit, der im Kontext der Pandemie vorange­trieben wurde und wo er schon existierte, wie in China, perfektioniert worden ist. Aufgrund der verbreiteten Ängste vor Terror, schwerer Krankheit und Tod kann und konnte man diesbezüglich zwar mit großer sozialer Akzeptanz rechnen. Es sind jedoch auch viele Menschen dafür sensibilisiert worden, dass diese Entwicklung für die demokratisch-westliche Welt eine große Herausforderung darstellt. Das hat mich daran erinnert, dass der amerikanische Computerspezialist Josef Weizenbaum bereits 1984 in einem in Deutschland gegebenen Interview auf die Frage von Journalisten, ob der Computer den Überwachungsstaat bringen wird, klar mit Ja geantwortet hat. Selbstverständlich sei dies der Fall – darauf sei doch von Anfang an hingearbeitet worden. Wenn er aber kommen würde, dieser Überwachungsstaat, dann wäre nicht der Computer daran schuld, sondern die Menschen, die ihre Freiheit nicht verteidigen.[1]
Heute sind Bücher wie „Covid-19: Der große Umbruch“ von Klaus Schwab und Thierry Malleret[2] oder „Chronik einer angekündigten Krise“ von Paul Schreyer, sowie die Auf­klärungsbücher und Videos von Ernst Wolff zum globa­len Finanzmanagement und seiner Zukunft[3], schon klassische Augenöffner geworden, indem sie die Diskus­sion zu diesem Thema mit markanten Fakten aus Wirtschaft und Politik untermauern.
Dass China aufgrund seines kommunistischen Sozialverständnisses der große Vorreiter in Bezug auf die Einführung der Über­wachungstechnologie ist und auch bereits an der digitalen Landeswährung arbei­tet als Vorbild für die Welt, liegt ebenfalls offen zutage. Auch dass in Pandemiezeiten schon aus Angst um Leib und Leben die Menschen mehrheitlich Sicherheit über Freiheit stellen und soziale Erfor­dernisse über persönliche Bedürfnisse, erscheint inzwischen fast selbstverständlich. Die Angst vor dem Virus legitimiert nicht nur die Verlagerung vieler Arbeitsbereiche in den virtuellen Raum, sondern rechtfertigt auch den enormen Digitalisierungsschub im Bildungswesen und die Etablie­rung der Kontrollsysteme zur Überwachung von Ansteckungsketten, Test-, Impf- und Genesenen-Status im öffentlichen Raum.
Dabei vollzieht sich diese Entwicklung unter dem Druck der Ereignisse so unausweichlich schnell, dass sie sich demo­kratischer Kontrolle entzieht, indem wenigen Fachleuten und Verantwortungsträgern die Entscheidung überlassen wird. Zudem trägt die Gefahr der Unterwanderung friedlicher Demonstrationen durch gewaltbereite rechte Gruppierungen und die mediale Diskriminierung Andersdenkender auch nicht zur Motivation bei, diese Entwicklungen kritisch zu kommentieren und zu hinterfragen. Zu groß ist die Sorge, in die Ecke von Verschwörungstheoretikern und Coronaleugnern geschoben und nicht mehr ernst genommen zu werden.
===== ''Tagesthemen-Interview mit Bill Gates April 2020'' =====
Bei meinem Versuch, diese globale Situation besser zu verstehen, hat mir das in den Tagesthemen am 14. April 2020 ausgestrahlte Interview mit Bill Gates im deutschen Fernsehen sehr geholfen. Seine klare Beschreibung der pandemischen Lage und was er der globalen Staaten­gemeinschaft empfiehlt, machte mir deutlich, warum weltweit bisher nur ''ein'' Weg aus der Krise aufgezeigt und realisiert wurde - nämlich der der Impfung.[4] Ich fasse seine Aussagen hier kurz zusammen, es lohnt sich aber, dieses programmatische Interview in seiner Gänze zu hören. Denn hier wendet sich einer der mächtigsten und reichsten Männer der Welt unmittelbar an die Bevölkerung und macht dadurch transparent und ver­ständlich, was wir alle seit bald zwei Jahren erleben.
Es handelt sich dabei um die Darstellung klar konzi­pier­ter strate­gischer Ziele, die nicht nur festliegen, sondern offenbar auch den Konsens von knapp 200 Staaten weltweit haben – was für sich genommen schon ein Wunder ist, wenn man sich vor Augen hält, wie schwierig es sonst bei wichtigen Fragen ist, zu einem irgendwie gearteten Kon­sens zu kommen.
''Warum ging es hier wie im Hand­um­drehen, dass alle an einem Strang ziehen, während man sich bei anderen wichtigen Fragen wie Klima und Umwelt, Hunger und soziales Elend infolge von Kriegen und Migration, Ernährung und Boden­gesundheit mit kleinsten zäh errungenen Etappenzielen zufriedengeben muss?''
Mit Begeisterung setzt sich jedenfalls Bill Gates in diesem Interview für eine globale, gemeinsame Strategie zur Be­kämpfung der Coronapandemie ein. Je besser alle Staaten zusammen­arbeiten und unterstützen, dass weltweit an geeigneten Standorten Fabriken gebaut werden, um genügend quali­tativ hochwertigen Impfstoff herzustellen, desto schneller werden wir es – so Gates – schaffen, diese Pandemie zu bewältigen. Insbesondere aber werden wir dadurch auch für zu­künftige Pandemien, die mit Sicherheit kommen werden, gerüstet sein. Diesem Ziel diene auch die intensive For­schung und Entwicklung von mRNA-Impf­stoffen, die für alle möglichen Virusinfektionskrankheiten maß­ge­schnei­dert sein werden und dann bedeutend schneller zur Verfügung stehen können, als dies bei Covid-19 der Fall war.
Denn wenn man keine Wunder­heil­mittel für gefährliche Viruserkrankungen findet, braucht es die Impfstoffe, um in Zukunft die Isolierungen, Schulschlie­ßun­gen, Lockdowns etc. vermeiden zu können. Wenn es aber gelingt, 7 Milliarden Menschen zu impfen, dann „haben wir es gemeinsam geschafft!“ Darauf können wir dann stolz sein und werden in einem neuen Zeitalter leben, in dem künftige Pandemien keine Schrecken mehr verbreiten können.
===== ''Pandemiemanagement seither'' =====
Die seit diesem Interview vergangenen eindreiviertel Jahre haben gezeigt, wie die Staaten – unterstützt durch die mediale Berichterstattung – weltweit alles nur Mögliche unternommen haben, gemäß dieser strategischen Vor­gaben das Pandemiemanagement umzu­setzen und die dafür nötigen Gesetzesgrundlagen zu schaffen. Politiker, Wissenschaftler, Juristen, Fachleute aus der Medizin – alle zogen an einem Strang. Dass hier große wirt­schafts­politische Machtfaktoren entscheidende Trieb­kräfte sind, um solch rasche internationale Überein­künfte zuwege zu bringen, ist das eine.
Das andere aber ist die noch tiefer liegende Frage, welche Denkweise einer solchen Moti­vation zu Grunde liegt, dass sie dem damit verbundenen wirtschaftspolitischen Willen eine solche Schubkraft ver­leihen und die Menschen mehrheitlich überzeugen kann.
''Warum konnte und kann sich diese Denkweise bis heute quasi „alternativlos“ durch­setzen?''
Eine solche Strategie kann doch nur dann begeis­tern, wenn man ein Menschen­bild hat, ''in dem der menschliche Organismus in Gesund­heit und Krankheit ein steuerbares Objekt in einer macht­voll zu steuernden Gesellschaft darstellt.'' Es ist dies aber nicht nur der natur­wissenschaftlich-materialistische, sondern auch der sozial­darwinistische und transhumanistische Gedanken­ansatz. Bekanntermaßen liegt dieser Ansatz aber auch dem rassis­ti­schen Ideengut zugrunde, sowie den nationalsozia­listi­schen und kommunistischen Diktaturen.
Doch jetzt, wo es um die Gesundheit geht und die Angst, schwer zu erkranken oder zu sterben, den größten Teil der Mensch­heit erfasst hat, wird diese Tat­sache offenbar verdrängt, obgleich die in das persön­liche und soziale Leben tief eingreifenden Schutz­maßnahmen eine deutlich lebens­feind­liche Sprache gesprochen haben und noch immer sprechen. Dazu gehört auch, dass die Menschen, die infolge der Maßnahmen zu Schaden kamen oder infolge von Hunger, Armut, Einsamkeit gestorben sind, nicht annähernd so registriert und kommuniziert wurden wie die positiven Testergebnisse und nachgewie­senen Covid-19-Infektionen, bei denen man zudem ver­misst, ebenso regelmäßig zu erfahren, wie viele Geimpfte unter den positiv Getesteten und Erkrankten sind.
''Warum werden diese Unklarheiten in Kauf genom­men, warum wurden die maßnahmenbedingten immensen Kollateral­schäden bei Kindern und Erwachsenen bisher nicht zum Anlass genommen, das Krisenmanagement zu überdenken oder zumindest faire öffentliche Diskussionen darüber zuzu­lassen?''
''Oder wenigstens Menschen unbeschadet zu lassen, die sich Kritik erlauben?''
Könnte das geschehen, müsste man sich zu einer anderen Denk- und Hand­lungsweise entschließen. Das erscheint jedoch derzeit nicht gewollt.
Daher wundert es mich auch nicht, dass der seit Jahr­zehnten stattfindende Umbau der Kranken­häuser in wirtschaftlich rentable Unter­nehmen nahezu wider­spruchslos über die Bühne gegangen ist und weiterhin geht. Das Vorhalten von Betten und qualifiziertem Fach­personal – d.h. das vorsorgliche Bereitstellen von Betten, die nicht belegt sind für allfällige Notfälle – bedeutet eben Investitionen ohne Gewinn. Und wer will das schon?
Muss dann nicht Personal wo immer möglich eingespart und überzählige Betten abgebaut werden? Je besser belegt, vor allem auf der Intensivstation, umso rentabler ist das Krankenhaus. Dass bei solch profitorientiertem Manage­ment die Kapazitäts­grenzen schnell erreicht sind, ist selbst­verständlich, auch dass sich das Pandemieregime dann daran anpasst, weil es von derselben ökonomisch aus­ge­richteten Logik be­herrscht wird. Wenn jedoch die geltenden Spielregeln des Welt­marktes auch zum Maßstab für die Gesundheits­fürsorge und den Umgang mit hilfs­bedürftigen Menschen werden, geht dies mit Not­wen­digkeit auf Kosten humaner Werte und Entwicklungs­möglichkeiten.
Eine am Menschen orientierte Denkweise kann sich nicht primär am „homo oeconomicus“ orientieren, da die damit verbundenen ethisch-moralischen Defizite allzu offensichtlich sind. Jeder weiß doch im Grunde, dass, wenn man in die Entwicklung von Mensch­lichkeit nicht investiert, sie schwindet. Wenn sich politi­sches Handeln primär an Zahlen und Statistiken orientiert und nicht an den realen Lebens­verhältnissen, muss es Gefahr laufen, inhuman zu werden.
Hinzu kommt, dass äußerst kapitalkräftige Vertreter der transhumanistischen Idee nicht nur vom durch künstliche Intelligenz technisch perfek­tio­nierten Menschen träumen, sondern längst an der Realisierung dieser Visionen arbeiten. Was vor Jahr­zehn­ten noch als Science-Fiction anmutete, wird zunehmend Realität, auch wenn dies in der öffentlichen Wahrnehmung noch nicht im Vordergrund steht.
===== ''Wesentliche Fragen'' =====
Die Coronapandemie mit ihren schmerzhaften Kollateral­schäden hat jedoch dazu beigetragen, dass immer mehr Menschen aufwachen und sich neu die Frage nach dem stellen, was wirklich wesentlich ist.
''Was ist denn mein Bild vom Menschen?''
''Wie stelle ich mir die Zukunft vor?''
''In welcher Gesellschaft möchte ich leben?''
''Welche Rolle soll die Technik in meinem Leben spielen?''
''Wie weit dient die sich immer mehr verselbständigende künstliche Intelligenz (KI) noch dem Zivilisationsfortschritt und dem einzelnen Menschen in seiner Entwicklung?''
''Wo fängt sie an, den Menschen so zu verein­nahmen und zu beherr­schen, dass Selbst­bestim­mung und Autonomie­entwicklung des Ein­zel­nen behindert oder unmöglich gemacht werden?''
Ganz abgesehen davon, dass viele Bereiche, die durch KI kontrolliert und weiterentwickelt werden, inzwischen so komplex geworden sind, dass sie von Menschen ohne Unterstützung durch KI nicht mehr überschaut werden können.
Die Autoren Kissinger, Schmidt und Huttenlocher nehmen sich dieser Fragen eindringlich an, einschließlich der KI- gestützten Kontrolle modernster Waffensysteme und Sicherheitsfragen.[5]
===== ''Transhumanistische Zukunftsvisionen'' =====
Hinzu kommen die Zukunfts­visionen der Transhumanisten.
''Möchte ich wirklich mein Gehirn mit KI zur Optimierung meines Bewusstseins verbinden?''
''Und – wenn dieses Gehirn biologisch nachlässt und der Körper verfällt – als Roboter meiner selbst ein technisch perfektes ewiges Leben haben?''
''Wie stehe ich zu den Zukunftsvisionen, in denen menschliche und künstliche Intelligenz zunehmend verschmelzen werden?''
Wie mutet das an, wenn so gedacht und in diese Richtung konsequent gearbeitet wird: ''„Maschinen werden mensch­lich sein, auch wenn sie nicht biologisch sind. Darin besteht der nächste Evolutionsschritt, der nächste große Paradigmenwechsel.“''… ''„Die meiste Intelligenz der Zivili­sation wird letztlich nicht biologisch sein. Bis zum Ende des Jahr­hunderts wird sie das menschliche Denkvermögen viele Milliarden mal über­steigen.“'' (Nach: Ray Kurzweil: Menschheit 2.0, S. 31). ''„Der AI-Tag wird in weniger als 25 Jahren Weihnachten als den wichtigsten Feiertag ersetzen (…) Eine Sache für die menschliche Spezies ist sicher: Die Geburt einer fortge­schrittenen künstlichen Intelligenz wird viel wichtiger als die Geburt Christi werden. Weih­nachten, wenn es über­haupt überlebt, wird zu einem bloß gewerblichen und kul­turellen Feiertag absteigen, den die Supermärkte und die großen Unternehmen aufleben lassen. Unterdessen wer­den vernünftige Menschen den AI-Tag als den realen Moment in der Geschichte feiern, wo der Retter der Zivili­sation geboren wurde.“'''[6]'''''
Prominente Transhumanisten wie Elon Musk, der Google-Mitbegründer Larry Page und Ray Kurzweil sind große Visionäre. Mit ihren Plänen zur digitalen Transformation und deren konsequenter Umsetzung für die Schaffung einer neuen globalen wissenschaftlich und technisch fun­dierten Kultur haben sie einen entscheidenden Einfluss auf den Alltag jedes Einzelnen gewonnen. Auch wenn sich dieser Einfluss demokratischer Kon­trolle entzieht - sind wir es doch alle, die durch unsere willige Teilnahme am Digitalisierungs-Hype diese Kultur mitgestalten und da­durch auch legitimieren. Edwin Hübner ist dieser Tat­sache in seiner umfangreichen Recherche zur künstlichen Intelli­genz und dem menschlichen Geist nachgegangen.[7]
Er kontrastiert diese neue technokratische Weltanschau­ung aber auch eindrücklich mit der spirituell fundierten Anthroposophischen Weltsicht. Auch in der Anthroposo­phie geht es um Visionen für die Zukunft der Menschheit, auch hier steht die Erlangung eines umfassenden „ewigen“ Bewusstseins im Zentrum der Bemühungen –  aber gebaut auf die spirituelle Kraft des Denkens und dessen Weiter­entwicklung durch Konzentration und Meditation.
Selbstverständlich ist es faszinierend, sich durch die Intelli­genz der technischen Dienstleister bedienen zu lassen. Die feine Schwelle aber, die Abhängigkeit von Autonomie trennt, geht durch jedes menschliche Herz.
Dort rumoren auch Fragen wie:
''Warum nehmen wir diese globalen technischen Entwicklungen und immer perfek­te­ren Steuerungs- und Überwachungsinstrumente noch immer nicht so ernst, dass die Zivilgesellschaft hier ihr Recht zur Mitgestaltung mit demokratischen Mitteln klar einfordert?''
Offenbar hält die Mehrheit der Menschen diese Entwick­lungen bisher für die moderne unausweich­liche Zukunfts­perspektive für das 21. Jahrhundert. Andere hin­gegen machen sich Sorgen und fragen:
''Was muss denn noch alles geschehen, wann ist sozusagen die Schmerz­grenze erreicht für Umwelt und Mensch, so dass ein Umdenken auch in eine lebensgemäße und ökologisch heilsame politische Willensbildung einmünden kann?''
Oder: ''Wann kommt der sogenannte Kipp­punkt, dass nicht nur das ökologische Gleichgewicht irreversibel aus den Fugen gerät – sondern auch der Mensch selbst sich so von seinen eigenen spiri­tuellen Entwicklungsmöglichkeiten entfremdet und das Menschenfeindliche und Destruktive dieser ökonomisch-technisch orientierten Denkweise sich überall zu zeigen beginnt?''
Selbstverständlich können solche Fragen nicht im Sinne eines Entweder-Oder mit Bezug auf „fortschrittlich-technisch“ oder „rückwärtsgewandt-technikfeindlich“ be­ant­­wortet werden.
Vielmehr geht es darum, wie jeder einzelne von uns um seine ganz individuelle Antwort ringt. Wie man für sich die Frage beantwortet, wo und wie man sich im digitalen Zeitalter persönlich und sozial positio­nieren und engagieren möchte. Goethe lässt in seinem „Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie“ den Alten mit der Lampe sagen: ''Ein Einzelner hilft nicht, sondern, wer sich mit vielen zur rechten Stunde vereinigt.'' Unter diesem Motto hat sich auch die europäische Allianz von Initiativen angewandter Anthroposophie begründet – als Beitrag zum Umdenken und zur Unterstützung von an humanen Werten orientierten Kulturinitiativen.[8]
Technik funktioniert intelligent – ist aber selber tote Gegen­ständlichkeit.
===== ''Leben als komplexer Zusammenhang'' =====
Leben hingegen ist ein umfassender komplexer Zusammenhang, aus dem sich im gesunden Zustand nichts isoliert, sondern worin jedes Teil dem Ganzen dient und zugleich seine klare eigene funktionale Identität hat. Um Leben zu verstehen und dem Leben zu dienen, braucht es eine an den Lebensverhältnissen orientierte Denkweise. Diese kann nicht linear oder kausal sein – sie braucht Komplexität und Multiperspektivität.
Der russische Dichter und Philosoph Leo Tolstoi (1828-1910) hat in seinem Buch „Leben“ dieses Erfordernis ein­drucksvoll an­hand vieler Beispiele charakterisiert. Beson­ders berüh­rend ist, wie er auch den Tod in das Leben integriert und sein eigenes Erleben von der Postexistenz nach dem Tod beschreibt:
''„Mein Bruder ist gestorben, sein Kokon, es ist wahr, ist leer geworden, ich sehe ihn nicht mehr in der Form in der ich ihn bisher gesehen, aber sein Entschwinden aus meinen Blicken hat meine Beziehung zu ihm nicht ver­nichtet. Mir ist, wie wir sagen, die Erinnerung an ihn geblieben. (…) Und diese Erinnerung ist umso lebhafter, je übereinstimmender das Leben meines Freundes, meines Bruders mit dem Gesetze der Vernunft war, je mehr es sich in der Liebe offenbart hat. Diese Erinnerung ist nicht bloß eine Vorstellung, sondern diese Erinnerung ist etwas, das auf mich einwirkt, und zwar ebenso einwirkt, wie das Leben meines Bruders auf mich während der Zeit seines irdischen Daseins eingewirkt hat. Diese Erinnerung ist dieselbe unsichtbare immaterielle Atmosphäre, die sein Leben umgeben und während seines leiblichen Daseins auf mich und auf andere eingewirkt hat, ebenso wie sie auch nach seinem Tode auf mich einwirkt. (…) Mehr als das: diese Erinnerung wird für mich nach seinem Tode viel bindender, als sie es bei seinen Lebzeiten war. Jene Kraft des Lebens, die in meinem Bruder gewesen ist, ist nicht nur nicht verschwunden und nicht geringer geworden, sie ist auch nicht dieselbe geblieben, sie ist sogar größer gewor­den und wirkt auf mich stärker als früher. Die Kraft seines Lebens wirkt nach seinem leiblichen Tode ebenso oder noch stärker als vor dem Tode, und wirkt wie alles wahr­haft Lebende. (…) Dieses mir unsichtbare Leben meines Bruders wirkt nicht bloß auf mich, sondern es dringt in mich ein. (…) Der Mensch ist gestor­ben, aber sein Verhältnis zur Welt wirkt fort auf die Menschen, und nicht nur so wie im Leben, sondern um ein Bedeutendes stärker, und die Wirkung steigert sich in dem Maße der Ver­nünftigkeit und der Liebe und wächst wie alles Lebende, ohne je aufzuhören und ohne Unter­brechungen zu kennen. Sein besonderes lebendes Ich, sein Verhältnis zur Welt wird das meinige.“'''[9]'''''
Dass Tolstoi so schreiben kann, von tiefster innerer Gewissheit durchdrungen, ist Folge seiner intensiven lebenslangen Suche nach dem Sinn der menschlichen Existenz, nach seiner eigenen spirituellen Identität, die ihn dann im Alter von 49 Jahren so in eine innere Christus­begegnung hereinführt, dass er sich ab da erst wirklich als Mensch erlebt. Die für das sinnliche Auge nicht wahr­nehmbaren Gedanken und Gefühle werden für ihn reales seelisches und geistiges Leben, wie der komplexe Zusam­menhang seines körperlichen Lebens in der natür­lichen und sozialen Umwelt seine biologische Grundlage hat.
'''Fazit:''' Unsere Zukunft in globaler Perspektive wird von der Art und Weise abhängen, welche Antwort wir Menschen auf die Frage geben, „was Ziel und Zweck“ eines menschlichen Lebens auf der Erde ist. Friedrich Schiller hat darauf bereits die zukunft­weisende Antwort gegeben, die ich daher diesem Beitrag als Motto vorangestellt habe. Eins scheint jedenfalls gewiss: Halten sich die transhuma­nisti­schen Menschengruppierungen und die auf spiri­tuel­len We­gen ihre Weiterentwicklung Suchenden die Waage, so wird es interessant und konstruktiv weitergehen. Werden die letzteren lächerlich ge­macht, diskriminiert, verun­glimpft und womöglich ausgeschal­tet, stehen unange­neh­me Zeiten bevor.
==== ''2. Regional-nationale Ebene'' ====
Hier geht es um die Situation der Gesund­heitssysteme in den verschiedenen Ländern und die Art und Weise, wie dort mit entsprechenden Maß­nahmen auf statistische Voraussagen und Empfehlungen von mei­nungsführen­den Wissenschaftlern und Medizinern reagiert wurde und wird. Dabei ist interessant, dass der Pandemieverlauf in den verschiedenen Ländern zeigt, dass die Vor- und Nachteile strengerer oder lockerer Pandemie-Bekämpfungs­maß­nahmen sich durchaus die Waage halten. Ein gutes Beispiel dafür ist der Vergleich von England und Deutschland.[10]
Auch der bekannteste Virologe in Deutschland, Professor Drosten, hat bestätigt und zudem ehrlich klargestellt, dass eine Viruspandemie mit ihren Mutationen erst endet, wenn die Bevölkerung durch­immunisiert ist – durch einen Mix aus Durchimpfung ''und'' Durchseuchung der Bevölkerung.
''Warum haben Schweden und England keine vierte Welle mit einschneidenden Maßnahmen zur Eindämmung, sondern ein annähernd normales Leben?''
Weil sie neben ihrer hohen Impfquote bedeutend mehr Genesene haben als dies für Deutschland der Fall ist.
===== ''Interview mit Drosten, November 2021'' =====
In einem Interview mit der Wochen­schrift „Die Zeit“ vom 11. November 2021 resumiert Drosten: ''„Bevor die Virusvarianten auftauchten, konnten wir hoffen, dass nach der Impfung auch ein monatelanger Übertragungsschutz besteht. Damals haben wir zu Recht über einen möglichen Herden­schutz diskutiert: Man impft 70 %, und der Rest infiziert sich nach und nach in den nächsten Monaten bis Jahren. Nach eineinhalb Jahren wären die meisten durch, die Intensivstationen wären über lange Zeit ausgelastet, aber nicht überlastet. Dann hätte man keine weiteren Kontroll­maßnahmen gebraucht. (…) jetzt können wir auf diesen Effekt nicht mehr hoffen. Das Delta-Virus verbreitet sich bei einer erheblichen Fraktion der Geimpften weiter. (…) Die Virus­last - und ich meine die isolierbare infektiöse Viruslast - ist in den ersten paar Tagen der Infektion durchaus ver­gleichbar. Dann sinkt sie bei Geimpften schneller. Das Dumme ist, diese Infektion wird gleich am Anfang über­tragen''.“
Auf die Frage: Wie blicken Sie auf das nächste Jahr? antwortet Drosten: ''„Das Virus wird ende­misch werden. Wir können es auf keinen Fall weg­impfen, weil wir nicht die ganze Weltbevölkerung impfen können. Und bald kommen auch Immun Escape Varianten, gegen die die Impfung nicht mehr wirkt. Darum müssen wir bewusst in die endemische Phase eintreten.“''
Und auf die Frage, wie diese denn aussehen könnte verweist Drosten auf England: ''„Das können Sie in England beobachten. England hat unge­fähr eine so hohe Impf­quote wie wir und leider doppelt so viele Tote pro Einwohner. England ist nun in einer Nachdurchseuchungsphase, die seit dem Spät­sommer anhält. '''Diese natürlichen Infektionen bauen den Gemein­­schaftsschutz auf''' (Hervorhebungen durch die Verfas­serin). Bei uns geht das noch nicht, '''denn es gibt weniger Genesene''', und die Alten sind schlechter geimpft. Bei uns würde eine unkon­trollierte Nachdurchseuchung minde­stens noch einmal 100.000 Tote bedeuten, wenn wir nicht die Impf­lücken vorher schließen.“''
Und auf die Frage, ob sich denn dann jeder im Rahmen dieser Nachdurch­seuchung anste­cken wird, bemerkt er: ''„Ich halte das für unausweichlich. Wir werden uns alle - hoffentlich auf dem Fundament einer vollständigen Impfimmunisierung – irgendwann anstecken müssen, schon damit wir eine relevante Immunisierung kriegen.“''
Offenbar reicht die Immunisierung durch Impfung nicht aus, weswegen Drosten nachsetzt und sagt: ''„Die Impfimmunisierung wirkt systemisch, sie schützt die Lunge, man erleidet keinen schwereren Verlauf mehr. Aber die Grund­immu­ni­tät schwindet allmählich, und die Schleimhaut in Nase und Rachen ist wieder ungeschützt. Das ist bei allen anderen Coronaviren auch so. '''Alle eineinhalb Jahre holen wir uns jedes dieser vier Corona­viren, ob wir daran erkranken oder nicht. Dadurch wird unsere Immunität immer wieder upgedatet. Bei diesem Coronavirus müssen wir auch in diesen Modus kommen'''“ (''Hervorhebung durch die Verfasserin). Diese Einschätzung des weiteren Pandemieverlaufs könnte auch zu wesentlich differenzierteren und humaneren Bewältigungsstrategien der Pandemie Anlass geben und das immer gleiche wiederholen des Paradigmas „Impfen, impfen, impfen als ''der einzige Ausweg'' aus der Krise“ relativieren.
Das Interview schließt damit ab, dass in den kommenden Jahren das Virus harmlos werden wird, wie ein normales Erkältungsvirus und wir schluss­endlich als Gesellschaft dagegen immun sein werden. Auf die Frage, ob dann nicht neue Viren mit pandemischem Charakter auftreten können, verweist Drosten auf die schlechten Lebens­bedingungen in vielen Teilen der Welt und den brutalen Umgang mit den Tieren, die das Entste­hen von Pandemien eindeutig fördern.
===== ''Durchgehend einseitige Begleitung durch die Medien'' =====
Bedauerlich ist jedoch, wie konsequent einseitig in fast allen Ländern die mediale Begleitung der Pandemie mit dem Impfparadigma im Zentrum vonstattengeht.
''Warum kommen Stimmen namhafter Fachleute aus Psychologie, Soziologie und Philo­sophie allenfalls im Gastkommentar der Leitmedien zu Wort, wohingegen sie in den Entscheidungsgremien keine Stimme haben?''
''Warum riskieren nicht wenige Ruf und berufliche Stellung, wenn sie sich öffentlich kritisch gegenüber den Pandemie-Maßnahmen äußern?''
Ein typisches Beispiel für solches Vorgehen ist der Wissenschaftler und Allgemeinmediziner Andreas Sönnichsen in Österreich, der sich vehement gegen die dort bereits beschlossene Impfpflicht eingesetzt hat. Er ist inzwischen von seiner leitenden Funktion als Leiter der Abteilung für Allgemeinmedizin an der Med­izinischen Universität in Wien entbunden worden.[11]
Selbst Gabor Steingart, der sonst erstaunlich konsequent das Main­stream­narrativ vertritt, schrieb am 16.11.21 in seinem Morgenbriefing sinnierend: ''„Mit den Infektionszahlen steigt der Druck im Kessel der Demo­kratie. Vielerorts wird nicht mehr gesprochen, es wird gegiftet. Die Tyrannei der Ungeimpften, schimpfen die einen. Von der Corona-Dikta­tur sprechen die anderen. Die Impfgegner und ihre Antagonisten sind einander zuweilen ähnlicher als sie wahr­haben wollen. (…) Die aggressive Uneinsichtigkeit der Einen ist das Problem, das durch das demonstrative Unverständnis der anderen verstärkt und nicht gemildert wird. Private Angst trifft auf staatliche Autorität, so oft und so heftig, bis wir von beidem mutmaßlich mehr erleben werden: mehr Angst und mehr Autorität.“''
===== ''Kritische Ansichten als Beitrag zum Ganzen'' =====
Ein am Menschen und an der Lebens­wirk­lichkeit orientiertes Denken würde für gegenseitiges Verständnis sorgen und das Berechtigte der beiden polaren Ansichten als Beitrag zum Ganzen unterstreichen. Es würde Mittel und Wege finden, dass sich die Meinungsvielfalt konstruktiv im gesellschaftlichen Diskurs zur Lage artikulieren kann. Wohingegen unilaterales Denken Feindbilder braucht, um sich zu legitimieren und die eigene Durchsetzungsfähigkeit zu stärken.
Umso erfreulicher sind vereinzelte Gastkommentare großer Zeitungen wie zum Bei­spiel in der Neuen Zürcher Zeitung vom 30. Oktober 2021 in dem Beitrag von Kristina Schröder und Andreas Rödder ''„Für eine bürgerliche Renaissance. Offene Gesell­schaften sind inno­vativer, leistungsfähiger und humaner. Aber wie könnten neue Konzepte bürgerlicher Politik ohne Denk­verbote aus­sehen?“'' Darin heißt es: ''„Eine neue bürgerliche Politik reagiert auf alle genannten Heraus­forderungen weder mit retro-nostalgischer Ignoranz noch mit der ideologischen Versuchung, eine neue Welt zu formen. Eine nachhaltige und zukunftsfähige bürgerliche Politik sucht vielmehr nach neuen Antworten aus den be­währ­ten Prinzipien, die seit der Aufklärung ein beispiel­loses Maß an Freiheit und Lebensqualität begründet haben: Selbst­verantwortung und Subsidiarität, Freiheit und Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit, Ordnungs­politik und soziale Markt­wirtschaft, Wett­bewerb­s­orientierung und Technologie­offenheit. Sie alle sind keine Selbst­verständ­lichkeiten gegenüber staatlich gelenkter Transfor­mation und neuer Ständegesellschaft, Einzel-Couch und Twitter-Mobs, nationalistischen Res­senti­ments, Fake News oder angeb­lichen pandemischen Imperativen.“''
Die beiden Autoren sind Mitbegründer der Denkfabrik R21: ''„Wir wollen auf einen breiten respektvollen öffent­lichen Diskurs ohne Denk- und Sprechverbote hinwirken, indem die aufklärerische Errungenschaft wieder gilt: es kommt nicht darauf an, wer etwas sagt, sondern darauf, was er oder sie zu sagen hat.“ Und: „Denn Bürgerinnen und Bürger sehen sich nicht als Gefangene übermächtiger äußerer Kräfte, sondern als Gestalter ihres eigenen Glücks“.'' Da kann man gespannt sein, welche Denkweisen dort diskutiert werden und in welcher Form die Ergebnisse medial aufgegriffen werden.
Denn es ist außerordentlich bedrückend, wie derzeit mit mutigen Einzelpersonen aus dem Journalismus wie ''Ole Skambraks''[12] nach seinem kritischen Beitrag[13] zu der ein­seiti­gen Berichterstattung in den Leitmedien umge­gangen wird. Er schließt diese Berichterstattung und seine darin gestellten Fragen zur Coronapandemie und ihren Wider­sprüchen mit den Worten: ''„Diese Zeilen schreibend komme ich mir vor wie ein Ketzer; jemand, der Hoch­verrat begeht und mit Strafe rechnen muss. Vielleicht ist es gar nicht so. Vielleicht riskiere ich hiermit gar nicht meinen Job, und Meinungsfreiheit und Pluralismus sind nicht gefährdet. Ich wünsche es mir sehr und freue mich über einen konstruktiven Austausch mit Kolleginnen und Kollegen.“'' Leider war dies nicht der Fall. Was hat er geschrieben? Er hat eine Liste von Ungereimtheiten und offenen Fragen zusammengestellt – gut belegt und kommentiert – die bisher keine substanzielle Berichterstattung in den Medien erfahren haben.
===== ''Ungereimtheiten hinterfragt'' =====
Ich kann warm empfehlen, diese im Internet nachzulesen. Einige wenige füge ich hier an:
''Warum steht im neuen Infektionsschutzgesetz, dass das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit und die Un­verletzlichkeit der Wohnung fortan eingeschränkt werden kann - auch unabhängig von einer epidemischen Lage?''
''Warum wird über das „Event 201“ und die glo­balen Pandemieübungen im Vorfeld der Aus­brei­tung von SARS-CoV-2 nicht oder nur in Ver­bindung mit Verschwö­rungsmythen gesprochen?''
''Warum wurde das den Medien bekannte, interne Papier aus dem Bundesinnenministerium nicht in Gänze ver­öffentlicht - und in der Öffentlichkeit diskutiert, in dem gefordert wurde, dass Behörden eine „Schockwirkung“ erzielen müssten, um Auswirkungen der Corona-Pande­mie auf die menschliche Gesellschaft zu verdeutlichen?''
''Warum werden Menschen mit schweren Impf­neben­wirkungen nicht im gleichen Maß portraitiert wie Menschen mit schweren Covid-19-Verläufen?''
Am Ende schreibt der Redakteur:
''„Die Einschränkung des Diskurses geht mittlerweile so weit, dass der Bayerische Rundfunk mehrfach bei der Übertragung von Parlamentsdebatten des Landtags die Reden von Abgeordneten, die kritisch zu den Maßnahmen stehen, nicht ausgestrahlt hat. Sieht so das neue Demokratieverständnis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus?“''
Michael Esfeld, Professor für Philosophie an der Univer­sität Lausanne und Mitglied in der Deutschen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, hat in seinem Beitrag „Die Rückkehr des Kollektivismus“[14] das Problem auf den Punkt gebracht:
''„Das Wissen der modernen Naturwissenschaft kann seinem Wesen nach nicht zur Steuerung der Gesellschaft eingesetzt werden. Aus den Theorien der Naturwissen­schaften folgt nur technisches Wissen, das uns sagen kann, wie man jeweils ein von außerhalb dieses Wissens stam­mendes konkretes Ziel verwirklichen kann. (….) Das Problem ist nun, dass es kein einheitliches Lebensziel für alle und keine einheitliche Risikoabwägung für alle gibt.“ Hingegen bemerkt der Literatur-Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa zu dieser Problematik in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung vom 2. November 2020: „Der Grat zwischen vernünftigen Maßnahmen zur Eindäm­mung der Pandemie und Machtanmaßungen der Politik ist naturgemäß sehr schmal … Und wenn wir die Freiheit verlieren, verlieren wir auf die Dauer alles. Ohne sie ist alles nichts.“''
===== ''Der politische Wille hinter den Maßnahmen'' =====
''Worauf fokussiert sich der „politische Wille“?''
Das angeführte Interview mit Professor Drosten ist charakteristisch für das Pandemie-Dilemma, dessen Zeuge wir gegenwärtig alle sind. Die systemischen Ursachen der Pandemie lassen sich nur langsam und aufgrund wach­sender Einsicht bekämpfen. Gesundheitsversorgung mit mehr statt weniger Intensivbetten und besserer Ausstat­tung – auch finanziell und personell – im Bereich qualifi­zierter Pflege ist jedoch etwas, dem der politi­sche Wille derzeit nicht primär gilt. Im Gegenteil: Der Bürgermeister aus Neuhaus am Rennweg in Thüringen gibt sogar öffentlich zu – verbunden mit einer Entschuldigung gegenüber den Bürgern seines Einzugsgebietes –, dass aus ökonomischen Gründen nicht wenige Intensivbetten seit Pandemiebeginn abgebaut worden sind und die Krankenhäuser für jedes abgebaute Intensivbett einen Bonus in Höhe von 4500 bis 12000 Euro bekommen haben.[15]
In solcher Sachlage bleibt natürlich nur noch das Impf-Paradigma und die Kontakt­beschränkungen als einziger Weg zur Normalisierung, um den Prozess der Immunisierung der Gesamtbevöl­kerung so zu verlangsamen, dass das knapp gehaltene Gesund­heitswesen nicht überfordert ist. Die Konsequenzen einer solch einseitigen Prioritätensetzung trägt die Gesamt­bevölkerung – mit allen schmerzhaften Einschränkungen, finanziellen Einbußen, der Vernichtung von Arbeits­plätzen, und nicht zuletzt die von Schulschließungen und anderen Einschränkungen psychosozial geschädigte Generation von Schülerinnen und Schülern.
Ehrlicherweise möchte ich da­zu sagen, dass ich schon als Medizinstudentin in den siebziger Jahren keine Erkältungssaison zwischen Herbst und Frühjahr erlebt habe, wo Kliniken nicht vorüber­gehend Aufnahmestopp hatten und Patienten in andere Kliniken verlegt werden mussten, weil vor Ort alle Betten belegt waren. Und damals gab es noch bedeu­tend mehr Krankenhäuser und Betten als heute! So war das Argument der Überlastung der Krankenhäuser und Inten­sivstationen bei der ersten Welle durchaus nachvoll­ziehbar, weil man die notwendigen Präventions- und Schutzmaß­nahmen noch nicht genügend kannte und die ersten Annahmen davon ausgingen, dass schwere Verläufe weit häufiger sein würden, als dies dann tatsächlich der Fall war.
''Warum aber dann in der Folge so viele Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte und soziales Elend in Kauf nehmen, nur weil der politisch-ökonomische Wille fehlt, sich darauf zu konzentrieren, wie man die pflegerische und stationäre Versorgungslage der Krankenhäuser verbessert und den Schutz der vulnerablen Gruppen optimiert?''
Zudem war ja nach der zweiten Welle den Fachleuten klar, dass sich das Virus nicht stoppen lassen wird – allen Maßnahmen zum Trotz. Dass es, wie alle anderen Viren selbstverständlich auch, sich verändert, aber nicht verschwin­det.
''Warum also jetzt kein Strategie­wechsel, der der tatsächlichen Lage gerecht wird?''
Angesichts dieser Tatsachen ist die schmerzhafte Frage berechtigt, warum sich der politische Wille nach wie vor im Panikmodus befindet.
''Warum bewegt sich der politische Wille nicht in Richtung eines möglichen, am realen Risiko orientierten „risikostratifizierten“ Krisen­management?''
Diesen Begriff habe ich von Prof. Harald Mattes übernommen. Als Leiter einer großen Corona-Ambulanz und aufgestockter Corona-Intensivbetten­station in Berlin hat er sich bereits nach den Erfahrungen mit der ersten Welle im Oktober 2020 öffentlich für ein risikostratifiziertes Handeln im Pandemiegeschehen eingesetzt. Er kennt die Krankheit und ihre Risiken gut, aber auch die Tatsache, dass die große Mehrheit der Bevölkerung nichts zu befürchten hat.[16]
'''Fazit:''' Demokratie und ihr Fundament, die Grund- und Menschenrechte, sind durch das chronisch gewordene Krisenmanagement in Gefahr. Die im Zuge der Pandemiebewältigung installierten Über­wachungsinstrumente werden bleiben und weiterent­wickelt. Die Bevölkerung soll zu regelmäßigen Impfungen gezwungen werden können. Das Krisenmanagement, das im akuten Notfall seine tiefe Berechtigung hatte, steht aber inzwi­schen nicht mehr alternativlos da![17] Es braucht aber einen angstfreien Debattenraum, damit Vor­schläge für ein risikostratifiziertes Handeln durchdacht und - ggf. auch regional begrenzt und wissenschaftlich begleitet - realisiert werden können. Sonst drohen die ökonomiegetriebenen wissen­schafts- bzw. gesundheitsdirektorialen Verhält­nisse zu persistieren, und eine Denkweise übernimmt die Herrschaft, die dem spirituellen Wesensanteil des Menschen nicht gerecht wird.
==== ''3. Zivilgesellschaftliche, persönliche Ebene'' ====
Auf dieser Ebene steht die persönliche Betroffenheit jedes einzelnen im Zentrum – familiär und beruflich-sozial: Angst vor der Infektion oder auch vor möglichen Nebenwirkungen der empfoh­lenen Impfung, existenzielle Sorgen vor wirtschaftlichem Abstieg und Armut, Angst vor der Zukunft insbesondere bei der jungen Generation. Die Gesell­schaft hat sich polarisiert, Aggression und Depression belasten in noch nie dagewesenem Umfang Familien- und Arbeitszusam­men­hänge.
Die Impfung wird als einziger Hoffnungsträger gegenüber dem gesam­ten Pandemiegeschehen propagiert. Die Ein­füh­rung aber einer Impfpflicht nahezu für alle mit den Mitteln von Zwang und Aus­grenzung zeigt auch hier, dass das oben charakterisierte konformistische und technokratische Steuerungs­denken unseren Alltag nicht nur erreicht hat, sondern bereits beherrscht und für menschen­unwürdige Alltagsszenarien sorgt.
----[1] Joseph Weizenbaum: Kurs auf den Eisberg. Die Verantwortung des Einzelnen und die Diktatur der Technik. Piper, München und Zürich 1987.
[2] Forum Publishing 2020
[3] www.youtube.com/c/ErnstWolff1/videos
Ernst Wolff: Die 4. industrielle Revolution - Ende aller Demokratie?
Oder Aufbruch in eine neue Welt? - YouTube
Ernst Wolff: Wolff of Wall Street: Ernst Wolff erklärt das globale Finanzsystem, Wien 2020
[4] <nowiki>https://www.youtube.com/watch?v=083VjebhzgI</nowiki>
[5] Henry A. Kissinger, Eric Schmidt, Daniel Huttenlocher: The Age of AI. And Our Human Future, London 2021
[6] Nach Zoltan Istran: Huffpost vom 24.11.2013
[7]    Edwin Hübner: Menschlicher Geist und künstliche Intelligenz. Die Entwicklung des Humanen inmitten einer digitalen Welt
[8] www.eliant.eu
[9]   Leo N. Tolstoi: Das Leben, Bd. 7 der gesammelten Werke Diederichs Jena 1911, Kapitel 31, Seite 219 ff.
[10] <nowiki>https://www.welt.de/kultur/plus235506042/Corona-Politik-Das-Beispiel-England-spricht-gegen-die-Impfpflicht.html</nowiki>
[11] <nowiki>https://www.heute.at/s/corona-kritischer-professor-andreas-soennichsen-von-med-uni-wien-gefeuert-100179350</nowiki>
<nowiki>https://www.youtube.com/watch?v=RZaMxzt8cV0&ab_channel=FP%C3%96TV</nowiki>
<nowiki>https://www.youtube.com/watch?v=3H-JVJ-Q2w4&ab_channel=WienerTV</nowiki>
[12] Ole Skambraks, Jahrgang 1979, studierte Politikwissenschaften und Französisch an der Queen Mary University, London sowie Medien­management an der ESCP Business School, Paris. Er war Moderator, Reporter und Autor bei Radio France Internationale, Onlineredakteur und Community Manager bei cafebabel.com, Sendungsmanager der Morgenshow bei MDR Sputnik und Redakteur bei WDR Funkhaus Europa/Cosmo. Zuletzt arbeitete er als Redakteur im Programm-Management/Sounddesign bei SWR2.
[13] <nowiki>https://multipolar-magazin.de/artikel/ich-kann-nicht-mehr</nowiki>
[14] In der Wochenschrift „Das Goetheanum“
[15] <nowiki>https://www.epochtimes.de/gesellschaft/ueben-wir-toleranz-appell-eines-thueringer-buergermeisters-a3655563.html</nowiki>
[16] S. z.B. www.berliner-zeitung.de/news/leitender-arzt-corona-massnahmen-sind-in-dieser-pauschalitaet-nicht-mehr-zu-rechtfertigen-li.108933-
[17] <nowiki>https://info3-verlag.de/blog/die-corona-massnahmen-sind-in-dieser-pauschalitaet-nicht-mehr-zu-rechtfertigen/</nowiki>
<nowiki>https://dasgoetheanum.com/alles-fragt-nach-dem-sinn/</nowiki>
<nowiki>https://www.anthroposophie-lebensnah.de/fileadmin/</nowiki> anthro po sophie_lebensnah/user_upload/Memorandum_Version_4.4.pdf
== MEINE PERSÖNLICHE COVID 19 ERFAHRUNG UND PLÄDOYER GEGEN DIE ANGST ==
Da ich inzwischen auch die Covid-19-Erkrankung durchgemacht habe – in Form der Delta Variante – hat sich mir einmal mehr bestätigt, was ich aus rein ärztlicher Perspektive in zwei früheren Publikationen zum Thema bereits geschrieben hatte:'''[1]''' Es ist ein eigenständiges Krank­heitsbild, keine „normale Grippe“, aber ein schwerer Verlauf bis hin zum möglichen Tod ''sind selten'' und treffen entweder auf alters- oder gesundheitliche Vorbedingungen und Risiken. Oder aber es handelt sich dabei um unerwar­tete, besondere, schicksalhafte Ereignisse, wenn z.B. ein zuvor gesunder jüngerer Mensch infolge der Infektion verstirbt. Solche sehr seltenen Einzelfälle jedoch zu ver­all­gemeinern im Sinne von: „das kann jedem passieren“, und dadurch Ängste zu schüren, ist sachwidrige Panikmache.
Auch wenn wir uns klar machen, dass es in Deutschland 2020 40.000 an und mit an Covid-19 Verstor­bene gab, zu denen bis Ende November 2021 gut 60 000 hinzukamen und die Gesamt­bevölkerung etwa 83 Millionen zählt, ist es doch sehr unwahrscheinlich, dass man lebens­bedrohlich erkran­ken wird. An dieser Tatsache hat auch die enorme Ausbreitung der milderen Omikron Variante nichts geändert. Daher empfinde ich es nach wie vor geradezu unverzeihlich, dass man angesichts dieser Zahlen nicht in bessere gesundheitliche Versorgung[2] und in den Schutz der vulnerablen Gruppen investiert, sondern weit über 99 % der der nicht ernsthaft gefährdeten Bevölkerung konsequent und täglich in Angst und Schrecken ver­setzt. Zumindest ist dies in Deutschland so, während man beispielsweise aus Spanien, England und der Schweiz bereits deutliche Entwarnungstöne hört. Besonders problematisch war und ist dies für Kinder und Jugendliche und diejenigen, deren wirtschaftliche Existenz dadurch vernichtet wird.
=== ''Fragen, die erlaubt sein müssen'' ===
Da muss doch die Frage erlaubt sein:
''Warum darf eine seltene aber mögliche schwere Covid-19-Erkrankung nicht zu den Lebensrisiken gehören, mit denen jeder lebt, der beispielsweise Auto fährt oder sich eine ungesunde Lebensweise leistet?''
''Warum wird hier nicht an die Eigenverantwortung und den Selbstschutz appel­liert, wie dies bei den weitverbreiteten Zivilisations­krank­heiten der Fall ist, die gesellschaftlich akzeptiert sind und ebenfalls hohe Gesundheitskosten und viele Krankenhausaufenthalte verursachen?''
Und nicht zuletzt: ''Warum soll mit der angekündigten Covid-19 Impfpflicht dem Individuum die Freiheit genommen werden, sich zu entscheiden, ob man mit dem Risiko dieser Krankheit leben möchte oder mit einer mögli­chen Nebenwirkung infolge der Impfung?''
Zumal diese Impfung ja nicht vor Ansteckung schützt auch nicht davor, andere anzustecken. Sie soll ja nur Schutz bieten vor einem schweren Verlauf und auch dies nur über einige Monate.[3]
Zudem ist jeder Krankheits­verlauf sehr individuell. Bei mir war es so, dass ich in der ersten Woche nach Infektion bisher nie erlebte Kopfschmerzen hatte, Fieber, trockenen Husten, Geruchsverlust, erstaunliche Kreislaufschwäche, Appetit- und Schlaf-losigkeit. Da ich als alleinlebende 75-Jährige mich unter diesen Umständen selbst versorgen musste, überlegte ich wiederholt, ob es nicht doch klüger wäre, sich in der Klinik pflegen zu lassen. Ich bin jedoch meiner Ärztin dankbar, mit der ich im Telefon­kontakt stand, dass sie mir zugetraut hat, es mithilfe der Anthro­posophischen Medizin[4] zu Hause zu schaffen. Auch für mich traf zu: Das Virus ist das eine, die Empfänglichkeit für das Virus das andere.
''Warum bin ich nicht schon im ersten Jahr erkrankt, sondern erst im Oktober 2021?''
Was die Empfäng­lichkeit für das Virus bewirkt hat und was den Genesungs­prozess unterstützen konnte, sind Fragen, die sich jeder Betroffene selber stellen kann. Denn das Immunsystem reagiert sensibel im psychosomatischen Kontext. Bei mir hing die Empfänglichkeit für das Virus jedenfalls klar mit einer Überlastungssituation zusammen und die Krankheit sorgte für den notwendigen Ausgleich. In der zweiten Woche ließ das Fieber nach, in der dritten verschwand es und ab der vierten Woche kam ich wieder zu Kräften. Dabei haben sich die Anthroposophischen Arzneimittel, insbesondere auf dem Wege der Inhalation und zur Stärkung des Kreislaufs eindrücklich bewährt[5] und ich habe einmal mehr bedauert, dass die Mainstreammedien nur berichten, dass die Schul­medizin an Arzneimitteln arbeitet und einige bereits vorhandene bei schweren Ver­läufen in der Klinik mit bedingtem Erfolg zum Einsatz kommen - nicht jedoch, welche Erfolge in der täglichen Praxis die komplementär-medizinischen und integrativmedizinischen Behandlungsmethoden haben.
Ganz abge­sehen von der man­gelnden Bericht­erstattung über positive und negative seelische Einfluss­faktoren auf das Immun­system und seine reaktive Kom­petenz. Umso erfreulicher ist es, dass dazu jetzt von ausgewiesenen Fach­leuten aus der Sicht der Psychoneuroimmunologie (PNI) eine Publi­kation erschie­nen ist, die allgemeinverständlich und viel­seitig informiert und die zu lesen ich empfehlen möchte.[6] Auf dem Fachgebiet der Psychoneuroimmunologie wird seit Jahr­zehnten unter­sucht, in wie hohem Maß, Gedanken und Gefühle die Gesundheits-/Krankheits-Dynamik und die Funktions­weise des Immun­systems beeinflussen.
Und wie sehr positive Gefühle das Immunsystem stärken, wo­hin­gegen Angst, Unsicherheit Misstrauen – kurz negative Gefühle – das Gegenteil bewirken. So möchte auch ich ehrlich sagen, dass Angst meinen Zustand vermutlich verschlimmert hätte – zumindest hätte ich nicht gezögert, mich in die Klinik einweisen zu lassen.
----[1] Michaela Glöckler, Andreas Neider, Hartmut Ramm: Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Stuttgart 2020; Michaela Glöckler, Andreas Neider, Thomas Hardtmuth, Christoph Hueck, Bernd Ruf, Hartmut Ramm: Corona und das Rätsel der Immunität, Stuttgart 2021.
[2] www.zeit.de/kultur/2021-12/pflegenotstand-intensiv-stationen-corona-pflegekraefte-10ach8?wt_zmc=sm.ext.zonaudev. mail.ref.zeitde.share.link.x
[3] Weltbild der Medizin - Medizin ohne Menschlichkeit | Cicero Online
Immer mehr stehen auf - Impfen & Impfentscheidung - Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung e.V. (individuelle-impfentscheidung.de)
Pressekonferenz kritischer Ärzte: Impfung hat versagt, Impfzwang kostet Menschenleben (report24.news)
Ein neuer Trick des RKI um den hohen Anteil der Geimpften an den Intensivpatienten zu senken – Geld und mehr (norberthaering.de)
[4] Matthias Girke (Hg), Michaela Glöckler (Hg), Georg Soldner (Hg): Anthroposophische Medizin - Arzneitherapie für 350 Krankheits-bilder. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2020, S.705-719
[5] Johannes Wilkens, Frank Meyer: Corona natürlich behandeln.
[6] Christian Schubert, Magdalena Singer: Das Unsichtbare hinter dem Sichtbaren. Gesundheit und Krankheit neu denken, Perspektiven der Psychoneuroimmunologie, Norderstedt 2020
== WAS FÜR DEN FREIEN COVID-19-IMPFENTSCHEID SPRICHT ==
Die Autorinnen der „Kindersprechstunde“[1] haben im Hinblick auf die schrittweise Einführung der Covid-19-Impfpflicht einen Aufruf an die im Gesundheitssystem Verantwortlichen sowie die Abgeordneten im Deutschen Bundestag geschrieben und dabei vier gute Gründe angeführt, die gegen die Impfpflicht sprechen.[2] Auch die europäische Allianz von Initiativen angewandter Anthroposophie/ ELIANT hat deswegen an alle Abgeordneten im Europa-parlament geschrieben – basierend auf der Resolution des Europaparlaments vom 27. Januar 2021. In dieser Resolution sprach man sich klar ''gegen'' eine Pflicht zur Covid-19-Impfung aus. Man wollte sicher gehen, ''„dass niemand diskriminiert wird, weil er nicht geimpft ist, weil er möglicherweise ein Gesundheitsrisiko hat oder sich nicht impfen lassen will“.''[3]
''Was sind die wesentlichen Gesichtspunkte, die gegen einen Covid 19 Impfzwang sprechen?''
=== 1.    Wissenschaftliche Gründe ===
In einer Pandemie geht es um den Schutz vor Ansteckung[4]<sup>/</sup>[5], Krankheit[6] und möglichem Tod. Die bisher entwickelten Impfstoffe leisten diesen Schutz jedoch nur bis zu einem gewissen Grad. Sie bieten zwar vulnerableren Menschen mit Vorerkrankungen und in vorgerücktem Alter einen zeitlich begrenzten Schutz vor schweren Krankheitsverläufen''.'' Sie können jedoch weder das Auftreten der Erkrankung noch eine mögliche Anste­ckung Anderer nachhaltig verhindern. Auch sind die bisher bekannt gewordenen – zum Teil leider auch schweren und schwersten – Nebenwirkungen häufiger als wir dies von konventionellen Impfstoffen kennen, insbe­sondere bei jüngeren Menschen. Das empfinde ich als besonders belastend, da sie ihr Leben noch vor sich haben. [7] Daher halte ich eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung für unabding­bar.
=== 2.    Kapazitätsgrenzen gewinnorientiert betriebener Krankenhäuser ===
Das gesamte Pandemie-Management hat sich an den Kapazitäten der Krankenhäuser ausgerichtet. Die Hygienemaßnahmen und Lockdowns dienten der Verlangsamung der Ausbreitung der Pandemie in der Hoffnung, bald einen Impfstoff zu haben, der die weitere Verbreitung stoppen kann. Der indirekten Gefährdung der Bevölkerung durch eine Überlastung des Gesundheitssystems sollte aber durch eine Erhöhung der Kapazitäten begegnet werden. Gegenüber den Beschränkungen der Freiheitsrechte und der in Aus­sicht gestellten Impfpflicht, stellt dies eine verhältnis­mäßi­gere, patientenorientierte und nachhaltigere Option dar.
=== 3.     Salutogenetische Gesichtspunkte ===
Aus der Salutogenese, Resilienz- und psychoneuroimmu­nologischen Forschung wissen wir, dass Menschen mit innerem Wertesystem, optimistischer Lebensein­stellung und religiöser oder spiritueller Orientierung über stärkere Widerstandsressourcen verfügen. Angst und Zwang hinge­gen sind mit Emotionen verbunden, die die Resilienz untergraben. Daher sollten sich alle, ganz besonders aber diejenigen, die in der Gesundheitsversorgung arbeiten und damit höheren Risiken ausgesetzt sind, frei und selbst­bestimmt für oder gegen eine Covid-19-Impfung ent­scheiden dürfen. Zum einen wissen MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen ohnehin am besten, wie man sich und andere schützen kann – sind doch die Hygieneregeln bei ihnen Alltag. Zum anderen erleben sie am häufigsten direkt vor Ort, dass auch Geimpfte und sogar Geboosterte erkranken und die Krankheit an Dritte weitergeben können.
=== 4.     Ohne Freiheit und Respekt vor der Menschenwürde des Individuums verliert die Demokratie ihren Boden ===
Wie oft konnte man hören: „Ich lasse mich aus sozialen Gründen impfen! Ungeimpfte verhalten sich unsozial!“ Ganz abgesehen davon, dass man auch das Gegenteil sagen könnte: Ungeimpfte wissen um ihr Risiko für sich und andere. Geimpfte hingegen fühlen sich sicher und realisieren oft nicht, dass sie die Krankheit ja auch weitergeben können, selbst wenn sie keine oder nur geringe Symptome haben. Problematisch ist aber auch die Haltung, die dem Individuum die Würde nimmt, in intimen Gesundheitsfragen selbst zu entscheiden.
''Geht nicht die größte Gefahr für die Demokratie einerseits von konformistischen Systemen aus, wie wir sie aus nationalsozialistischen oder kommunistischen Diktaturen kennen?''
Dort war es selbstverständlich, dass der Einzelne sich dem Wohl der Gesellschaft unterzuordnen hat. Die andere Gefahr ist aber der Egoismus, der sich in gewinngetriebenem Wirtschaftskapitalismus auslebt und großen Einfluss auf die Politik hat. Gemeinsam ist beiden, dass dem Individuum seine Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt oder genommen werden. Umso erfreulicher ist es, dass sich immer mehr Fachverbände und Bürgerinitiativen zu Wort melden, um sich für einen freien Covid-19-Impfentscheid einzusetzen.[8]
=== ''Warum es eine neue Erziehungskultur braucht'' ===
Wiederholt habe ich mich gefragt, warum Medienschaffende und Politi­ker im Kontext ihrer moralischen Vorwürfe gegenüber den „egoistischen Ungeimpften“ sich nicht daran erinnern, dass z.B. die sozial klingende Parole „Gemeinnutz geht vor Eigen­nutz“ in der nationalsozialistischen Diktatur ''der'' moralische Kompass war, so wie dies auch für andere totalitäre Regime gilt. D. h. wer sich staatskonform verhält – auch in Fragen der eigenen Gesundheit - ist sozial. Das bedeutet aber im Ernstfall, dass der Einzelne nichts gilt, sondern nur das Wohl der Gemeinschaft. Kultur hingegen lebt von dem Spannungsfeld zwischen den Entwicklungs­bedürfnissen der einzelnen Menschen und dem sozial Erforderlichen.
Eine funktionierende Demo­kratie hat dafür geeignete Instrumente, die nicht verhandelbar sein sollten. Rudolf Steiner formuliert diesen konstruktiven Antagonis­mus so: „''Heilsam ist nur, wenn im Spiegel der Menschenseele sich bildet die ganze Gemeinschaft und in der Gemeinschaft lebet der Einzelseele Kraft.“''[9]
''Wie aber kann so etwas geübt werden?''
Das gegenwärtige Bildungssystem steht im Zeichen der Anpassung an bestimmte Erfordernisse, Tests und Prüfungsverfahren. Es braucht dafür eine Erziehungskultur die jeden Menschen in seiner Entwicklungsbedürftigkeit ernst nimmt und unterstützt. Dass das öffentliche Schulwesen dem nicht gerecht wird, wird schon seit Jahrzehnten von Fach­leuten beklagt, zuletzt von Menschen wie Joachim Bauer und Gerald Hüther.[10] Umso erfreulicher ist es, dass angesichts der vielfältigen Probleme, die durch die Schulschließungen, die forcierte Digitalisierung, den Masken- und Testzwang für viele Kinder und Jugendliche entstanden sind, auch sehr viele Menschen begonnen haben, anders über Entwicklung und die Bedeutung von Schule für die Heranwachsenden zu denken.
=== ''Persönliches Wachstum durch die Krise'' ===
So hat die Coronakrise gerade auf dieser Ebene der persönlichen Betroffenheit schon viel Positives in Bewe­gung gebracht. Nicht Wenige fragen sich auch:
''Was ist seit Be­ginn der Pandemie mit mir und meinem Umfeld geschehen?''
''Was habe ich bisher durch das Miterleben der Krise gelernt?''
''Worauf kann ich in Momenten der Gefahr wirk­lich zählen?''
''Was hat die Angst mit mir gemacht?''
''Woran konnte ich mich innerlich halten?''
Denn wie auch immer man die Argumentationen von Politik, Leitmedien und repräsentativen Einzelstimmen bewerten und beurteilen mag – es kommt letztlich darauf an, wie ich mich als Einzelner dazu stelle. Es ist eine Chance größten Ausmaßes für jeden von uns, sich diese innere Freiheit bewusst zu machen und Stellung zu beziehen. Auch wenn die Versuchung groß ist, Autonomieverzicht zu leisten und sich von Meinungsführern, von Gruppen, von sozialen Zusammenhängen, die morali­schen Druck erzeu­gen, vereinnahmen zu lassen. Sozu­sagen zu kapitu­lie­ren angesichts der massiven neuen Konfor­mität und dem Bedürfnis, „dazuzugehören“ und sich nicht ausgegrenzt zu erleben. Wie oft habe ich gehört: „Ich bin doch kein Fach­mann, ich kann das nicht beurteilen“. „Unsere Politiker tun doch ihr Bestes - ich möchte nicht in ihrer Haut stecken“. So richtig dies auch erscheint, so problema­tisch sind die Konsequenzen, weil man sich mit solchen Sätzen in eine selbst gewählte Unmündigkeit begibt. „Sapere aude“ lautete der Leitspruch der Aufklärung: „Wage es, weise zu sein“.
'''Fazit:''' Viele spüren, dass es mehr denn je darauf ankommt, das „Selber-Denken“ zu wagen – und Anschluss an spirituelle Kraftquellen in uns zu finden.
----[1] Kindersprechstunde. Ein medizinisch-pädagogischer Ratgeber, Stuttgart 2018
[2]<nowiki>https://eliant.eu/fileadmin/user_upload/pdf/eliant_Aufruf_fuer_freien_Covid_19_Impfentscheid_02.pdf</nowiki>
[3] <nowiki>https://pace.coe.int/en/files/29004/html</nowiki> (s. Punkt 7.3.1 und 7.3.2)
[4]www.thelancet.com/journals/laninf/article/PIIS1473-3099(21)00648-4/fulltext
[5] www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-coronavirus-montag-235.html#Drosten-Geimpfte-mit-substanziellem-Risiko
[6] www.bmj.com/content/375/bmj-2021-067873
[7]<nowiki>https://www.hartgroup.org/open-letter-to-the-mhra-regarding-child-death-data/?fbclid=IwAR21JmOYR-3SfymLu1DxQePTmNOT9iPF9wRtbvqzt9bveVqc8SptqQRa5Wc</nowiki>
www.pei.de/DE/newsroom/dossier/coronavirus/coronavirus-inhalt.html;jsessionid=B5DDF4217EAD1D9212E90CE0E013ADE9.intranet221?nn=169730&cms_pos=6 (09.12.2021)
[8] Vgl. dazu auch die Zusammenstellung auf der Webseite der Akanthos-Akademie:
<nowiki>https://www.akanthos-akademie.de/übersicht-probleme-mit-der-impfpflicht/</nowiki>
[9] Rudolf Steiner, GA 40, Seite 298
[10] Joachim Bauer: Lob der Schule; Heyne Verlag
Joachim Bauer: Prinzip Menschlichkeit, Heyne Verlag
Gerald Hüther: Würde, Knaus Verlag
== SPIRITUELLE KRAFTQUELLEN ERSCHLIESSEN ==
''Wie lerne ich, meinen eigenen Standpunkt zu finden?''
''Wie gewinne ich meinen Lebensoptimismus, mein Selbstvertrauen zurück?''
''Wo sind die Quellen des Mutes, der seelischen Gesundheit und der Zuversicht verortet?''
''Wie kann ich meine Gesundheitspotenziale entfalten und konstruktiv an den komplexen Folgeerscheinungen der Pandemie mitarbeiten?''
''Was sagt unser Herz zu all dem, welche Botschaft hat unsere Gewissensstimme?''
''Gibt es ihn, den gesunden Menschenverstand, auf den ich vertrauen kann?''
''Und: Welches Menschenbild liegt der heutigen Humanmedizin zugrunde?''
''Braucht nicht gerade die Medizin ein integratives Menschenbild, das die geistige und seelische Daseinsform des Menschen ebenso berücksichtigt wie seine körperliche Existenz?''
Im Folgenden möchte ich verschiedene Wege aufzeigen, wie sich aus uns heraus Antworten auf diese Fragen finden lassen.
=== 1.     Durch gesunden Menschenverstand ===
Das klingt schlicht und anspruchsvoll zugleich. Schlicht, weil jeder Mensch unabhängig von seinem Bildungsgrad die Veranlagung dazu hat. Anspruchsvoll, weil es immer schwieriger wird, ihn bewusst zu handhaben und weiter­zuentwickeln. Denn er lebt vom Interesse an der Wahr­heitsfindung und von der Liebe zum Leben. Menschen mit gesundem Menschenverstand sind umfassend interessiert, aber sie prüfen Gehörtes und gelesene Fakten daran, welche Konsequenzen sie wohl im Lebensalltag haben werden. Dadurch haben sie eine gesun­de Urteilsgrundlage – denn was dem Leben dient, kann nicht falsch sein, selbst wenn das eine oder andere Detail im Zuge weiterer Forschung ergänzt, revidiert oder auch ersetzt werden sollte.
Auf jeden Fall bringt man dem „neuesten Stand der Wissenschaft“ keinen blinden Glauben entgegen oder ein bequemes: „Das kann ich ja sowieso nicht beurteilen“. Vielmehr entwickelt man durch echtes Interesse für die Fakten und deren mögliche Konsequenzen einen Blick für das Wesentliche.
''Denn Fakten sind das Eine – deren Interpretation und Konsequenzen im Alltag das andere.'' Und wer sich diesbezüglich kein Urteil zutraut, verabschiedet sich in dieser Situation von seinem gesunden Menschenverstand. Denn gesund kann dieser nur erhalten werden, wenn man geistesgegenwärtig bleibt und weiß, warum man dies oder jenes glaubt und tut. Wenn es sich später als falsch oder unproduktiv erweist, so freut man sich, daraus zu lernen, wie es nächstens besser zu machen ist. Schon Konfuzius sagte sinngemäß: ''„Es gibt drei Wege zu lernen: einen einfachen durch Nachahmung, einen schmerzvollen durch Erfahrung und einen schwierigen durch Einsicht.“'' Wer gesunden Menschenverstand übt, macht sich klar, was gerade dran ist und wie sich diese Lernstrategien ergänzen.
Gesunder Menschenverstand zeichnet sich auch dadurch aus, dass er Fakten nicht isoliert betrachtet, sondern im Kontext von Lebens­erfahrungen. Denn da, wo ich auf eigene Erfahrungen und deren Verarbeitung bauen kann, entsteht innere Sicherheit und Selbstvertrauen und damit ein gesundes Selbstwertgefühl. Gesunder Menschen­verstand ent­wickelt sich am Leben für das Leben. Es geht darum, wach zu bleiben und das, was man liest und täglich erlebt, ernst zu nehmen und zu hinterfragen, wenn einem etwas merk­würdig vor­kommt.
Je mehr Menschen dies tun und den Mut haben, es zu teilen, umso weniger Angst und Sorge muss man vor einer möglichen Total­über­wachung haben. In der voll digitalisierten Alltäglichkeit, wo zunehmend die Möglich­keit schwindet, bar zu bezahlen, analog eine Speise­karte zu studieren und zu bestellen etc. und eine unabseh­bare Flut neuer Daten zentraler Aus­wertung harren, braucht es neue Formen zum Schutz der Privatsphäre und demokratische Mitbestimmung. Diese werden aber nur kommen, wenn sich die Menschen mehrheitlich dieser Problematik zuwenden, sich interes­sieren und sich entsprechend engagieren.
Gesunder Menschen­verstand verträgt sich nicht mit Bequemlichkeit, Oberfläch­lichkeit und Sicherheitsdenken, sondern ist Folge von persönlicher Initiative und echtem Menschen- und Welt-Interesse, d.h. dem, was Friedrich Schiller den Zweck des Menschseins nennt: die ''Ausbildung aller menschlichen Kräfte, Fortschreitung.'' Zu diesen menschli­chen Kräften zählen insbesondere Freiheit und Würde, Selbstbestimmung und soziale Kom­petenz. ''Dass jedoch Freiheitsdenken, Mut und Risikobereitschaft nicht ins Chaos führen, ist die zentrale Erziehungsfrage unserer Zeit.''
Die gegenwärtigen Schul- und Bildungssysteme entsprechen dieser moralischen Herausforderung nicht. Sie fördern vielmehr durch ihre einseitige Leistungs­orientierung und Testkultur Anpas­sung und Absiche­rungsdenken. Und sie korrumpieren durch das ständige Verglichen-Werden mit „besseren“ und „schlechteren“ Schüler*innen die Entwicklung eines gesunden Selbst­bewusstseins und Respekts für Schwä­chere und Stärkere. Die „Besseren“ werden überheblich, die „Schlechteren“ deprimiert.<sup>[1]</sup> Ein gesundes Selbstbe­wusst­sein braucht als Grundbedingung für seine Ent­wick­lung jedoch, dass jedes Kind nur mit sich selbst verglichen wird und Freude am eigenen Fortschritt erlebt. Und es braucht die Begleitung von Pädagog*innen, die ihm helfen aus seinen Fehlern zu lernen. Denn ohne diese Kompetenz der Selbstreflexion und des Lernens aus eigenen Fehlern und aus Fehlern anderer kann sich gesunder Menschen­verstand ebenso wenig entwickeln wie ein gesundes Selbstbewusstsein und Verständnis für das Fehl­verhalten anderer, d.h. soziale Kompetenz.
Auch wird dadurch vorge­beugt, andere Menschen zu überschätzen oder zu unterschätzen. Solch eine Lebenseinstellung und Grund­haltung kann man nicht lehren – man muss sie Kindern und Jugendlichen vorleben, es mit ihnen üben – was eine entwicklungsorientierte Pädagogik leisten kann. Denn da­für braucht es gute, verbindliche menschliche Beziehun­gen. Wer meint, dies sei durch eine noch so gut ausge­dachte Lernsoftware ersetzbar, irrt sich leider sehr.[2]
Daher nennen die Fachleute des „Bündnisses für humane Bildung“ die Digitalisierung von Kindergärten und Grund­schulen zu Recht Kindswohlgefährdung.[3]
''Warum kostbare Ent­wicklungszeit mit Maschinen verbringen statt ganz­körperlich und analog aktiv im Umgang mit Natur und Mensch, so wie es die gesunde Gehirnreifung benötigt?''
Der bedenken- und kritiklose Umgang mit den digitalen Endgeräten in Kindheit und Jugend ist ein gravierendes Versagen von gesundem Menschenverstand bei Politikern, Fachleuten und Laien.
=== 2.    Durch Gewissenskultur ===
''Kannst du mir die Natur des Gewissens erklären?'' So fragt Heinrich von Ofterdingen im gleichnamigen Roman von Novalis im zweiten Teil den Arzt mit Namen Sylvester. Dieser antwortet: ''Wenn ich das könnte, so wäre ich Gott. Denn indem man das Gewissen begreift, entsteht es.'' Es entspinnt sich ein intensiver Dialog, an dessen Ende deutlich wird, dass die Gewissensstimme „Gottes Wort“ ist. Durch das Gewissen hat der Mensch unmittelbaren Anschluss an die Ebene der Spiritualität, d. h. an Inspirationen, die nicht von dieser Welt sind, sondern aus einer umfassenderen, höhe­ren Einsicht hervorgehen. Um sich dafür zu sensibili­sieren, braucht es den genannten gesunden Menschen­verstand und echte Wahr­heits­liebe. Ohne diese fehlt einem auf spirituellen Entwicklungswegen der Proviant und für die Gewissensstimme das Ohr.
Selbstverständlich kennt jeder das sogenannte „gute“ oder „schlechte“ Gewissen. Es entwickelt sich in Abhängigkeit von Umwelt, Erziehungspraxis und Erfahrung. Was jedoch neu und selbstständig gelernt werden kann, ist das Sensibel-Werden für die leise, unaufdringliche Gewissensstimme, die nur spricht, wenn man ehrlich fragt und wissen möchte, was in einer bestimmten Situation richtig ist oder vor wem man sich verschuldet hat. Das spontan auftretende „gute“ Gewissen dient dem Rechtfertigungsbedürfnis im Sinne von: Man hat sich doch nichts vorzuwerfen!
Das spontan auftretende „schlechte“ Gewissen stellt einem vor Augen, wie man jetzt von anderen eventuell gesehen oder be- und verurteilt wird. Es quält und erzeugt Abhängigkeit von Autoritäten oder Meinungsführern. Beide Qualitäten behindern so ehrliche Selbsterkenntnis und den Willen, für alles verantwortlich zu zeichnen, was man im Guten wie im Schlechten getan hat. Wer sein Fehlverhalten aus eigenem Antrieb einsieht und daraus lernen möchte, wie er in Zukunft handeln will, der ruht in sich und steht zu dem was war und ist. Er ist selbst motiviert, das nötige oder mögliche zum Ausgleich zu tun.
So wie der Arzt in letzter Instanz – per Berufsrecht – nur seinem Gewissen verantwortlich ist, so kann dies das Privileg für jeden Menschen sein. Das setzt aber eine Erziehungskultur voraus, die eine gesunde Gewissens­bildung ermöglicht.[4] Dieser Entschluss, sich in letzter Instanz nicht vor Staat, Kirche oder Wissenschaft zu verantworten, sondern vor seinem autonomiebegabten „besseren Selbst“ bzw. „Höheren Ich“, regt das selbstän­dige Denken an, macht Mut, stärkt das Herz und damit auch das Immunsystem und wird so zu einer bedeutenden spirituellen Kraftquelle.
Selbstverständlich nimmt man angesichts der Corona-Pandemie Rücksicht auf Bestim­mungen, Sorgen und Ängste im eigenen Umfeld – man ist sich jedoch sicher, dass die Entscheidung über Tod und Leben nicht von behördlichen Bestimmungen abhängt, sondern tief im eigenen Lebensschicksal begründet ist. Unschwer wird man auch die Balance herstellen können zwischen der Akzeptanz von Bestim­mungen, die tatsäch­lich dem Lebensschutz dienen und der Absurdität von Bestimmungen, die zum Selbstzweck werden und damit lebensfremd. Sicherheit höher zu stellen als Freiheit, blinden Gehorsam zu fordern und Prinzipien wichtiger zu nehmen als die Lebens­realität sind typisch für die Logik des Materialismus und der Optimierung von Kontroll- und Machtstrukturen. Sich einzugestehen, dass das einzig Sichere im Leben der Tod ist, setzt Kräfte frei, die Kostbarkeit der Lebenszeit umso intensiver zu schätzen und Schicksalsvertrauen zu entwickeln.
Vorbildlich war in diesem Sinne das Pandemieregime in Schweden, wo man auf Lebensrealismus und Selbstverant­wortung setzte. Dadurch konnten sich die Menschen dort ein weitgehend normales Leben erhalten. Auch haben sie aus ihren Anfangs­fehlern gelernt und diese auch öffentlich zugegeben. Warum sie aber im Abklingen der Pandemie die Zwangsimpfung eingeführt haben, kann ich mir nur wirtschaftspolitisch erklären. Medizinisch und epidemiologisch spricht eigentlich alles dagegen.
Die Stimme des Gewissens spricht zu jedem Menschen – unabhängig von Geschlecht, Bildungsgrad, Hautfarbe und sozialer Stellung. Vor ihr sind alle Menschen gleich „Ich-begabt“. Dieser Ich-Begabung auf die Spur zu kommen, ist zugleich auch der Weg, das eigene Gewissen zu verstehen. Denn wenn wir unserem Gewissen folgen, folgen wir einerseits uns selbst und andererseits auch einer höheren Weisheit, wenn wir uns nicht vom sogenannten guten oder schlechten Gewissen ablenken lassen. Der Anschluss aber an diese höhere Weisheit ist die stärkste spirituelle Kraft­quelle, die wir uns erschließen können.
=== 3. '''   '''Durch „Erwachen im Denken“ ===
Im dritten Kapitel des Johannesevangeliums belehrt Jesus den Pharisäer Nikodemus über die zweite Geburt „aus Wasser und Geist“, ohne die man nicht in das Reich Gottes kommen kann. Und in der Apokalypse des Johannes wird an ver­schiedenen Stellen (z.B. Offenbarung 20,6) vom zweiten Tod als dem Seelentod gesprochen. Geburt und Tod begrenzen unseren Lebenslauf. Die zweite Geburt zu bewerkstelligen, um dadurch dem zweiten Tod zu entgehen, ist die Aufgabe, die sich der Selbsterkenntnis jedes Menschen stellt: Kann ich mich schon während des Lebens kraft meines Den­kens, Fühlens und Wollens als „ewiges“ Wesen begreifen, so bleibt mir dieses leibunabhängige Bewusst­sein auch nach dem Tod erhalten, und ich schlafe nicht ein bzw. verliere das Selbstbewusstsein nach dem Tod nicht.
So schwer verständlich dies auch erscheinen mag – es kann sich durch eine einfache Überlegung klären: Wenn ich mich selbst nicht denkend erfasse, mir kein Leitbild für meine eigene Ent­wicklung gebe, mache ich mir Sinn und Wert meines Ich nicht bewusst. Selbstverständlich bleibe ich Teil dieser Schöpfung, lasse aber mein Entwicklungs­potential zum autonomen, selbstdenkenden und entscheidenden Wesen ungenutzt. Im Johannes­evangelium steht dieser Autono­miegedanke, diese indi­vi­duelle Entscheidungskompetenz ganz im Zentrum.
Nicht nur, dass es im achten Kapitel direkt so formuliert wird: ''Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen –'' es ist die Kernbotschaft, der Ent­wick­lungsweg, der sich durch das ganze Evangelium einschließlich der Apokalypse hindurchzieht. Es ist die Frage nach dem inneren Kompass, nach unserem Lebens­ideal, das uns in allem Auf und Ab die Orientierung gibt. Wer sich zum Beispiel mit den drei Entwicklungsidealen der Wahrhaftigkeit, der Liebe und der Freiheit identifiziert und sein Leben dafür benützt, diese Charaktereigenschaften so viel wie möglich zu üben, der hat einen inneren rein geistigen Führer. Denn diese drei Ideale gehören nicht der Sinneswelt an. Sie lassen sich auch nicht mathematisch definieren. Hingegen eignet ihnen die Kraft der Orientierung, indem man mit ihnen lebt. Wir können sie denken, uns dafür begeistern und unser Leben und Handeln nach ihnen richten. Wer dies tut, erlebt diese Ideale als unversiegliche Kraftquelle.
Und wenn man dann im Johannesevangelium liest: ''Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben'''[5]''', ich bin unter euch, wenn ihr euch liebt'''[6]''' und die Wahrheit wird euch frei machen'''[7]'''''  – dann kann man auch ahnen, woher die innere Stärkung kommt. Es ist dies das Geheimnis der Identifikation: womit ich mich verbinde, das stärkt mich auch, das lebt in mir. Rudolf Steiner hat in seinem Buch zur Selbst­schulung diese Konfrontation mit sich selbst mit schlichten Worten beschrieben: Schaffe dir Augenblicke innerer Ruhe und lerne in diesen Augenblicken das Wesentliche von dem Unwesentlichen unterscheiden.[8]
=== 4.    Durch ein spirituelles Menschenbild ===
Da Spiritualität kein sinnlich fassbares Faktum ist, ist sie Gegenstand von Philosophie, Religion und esoterischen Bestrebungen in Ost und West. Wer materialistisch erzo­gen ist, dem ist diese Welt nicht nur verschlossen, sondern er hält sie für unnötig, abwegig, um nicht zu sagen schräg oder verrückt. Auch machen Gespräche darüber unter Umständen Angst, weil man hier keinen sicheren Boden unter den Füßen hat. Wenn man sich aber klarmacht, dass ja jeder Mensch spirituell begabt ist und auch spirituelle Fähigkeiten hat, auch wenn er diese bisher gar nicht als real vorhanden bemerkt hat, so kann sich dies schnell ändern. Wer nur ein wenig über das Denken nachdenkt oder sich klarmacht, welche stärkende oder destruktive Wirkung Gefühle haben können, wird aufmerksam auf diese unsichtbare Welt innerer Realitäten, mit denen wir ebenso zurechtkommen müssen wie mit den äußeren Gegebenheiten. Nichts anderes ist mit „höheren Welten“ gemeint.
Denn auch religiöse Urkunden erschlie­ßen sich über Gedanken und Worte über Mythologien und Bilder, die sich die modernen Menschen auch nur durch Nachdenken und künstlerisches Empfinden erschließen können. Wenn zum Beispiel im Johannesevangelium das Wandeln des Jesus auf dem galiläi­schen Meer beschrieben wird, so kann man dies wortwörtlich nehmen und ein Wunder bestaunen. Man kann aber auch das Bild zu sich sprechen lassen und empfinden, dass es hier um das Urbild geht, wie die Ich-Kraft im Menschen auf eine solche Entwicklungshöhe kommen kann, dass sie Herrscher im Auf und Ab seelischer Schwankungen wird.
==== ''Brückenfunktion des Denkens'' ====
Denken ist sozu­sagen die Brücke zwischen der Sinneswelt und der Geisteswelt. Es erklärt uns die Welterscheinungen, ist aber selbst nicht sinnlich wahrnehmbar. Rudolf Steiner nannte die Mathematik eine Vorschule der Geist­erkenntnis[9], weil hier ganz bewusst an Gesetzmäßigkeiten gearbeitet wird, denen die sichtbare Welt gehorcht, die aber selbst nicht sinnlicher Natur sind.
Zum Glück kann man auch ohne tiefere mathematische Erkenntnisse sich von der geistig-regula­tiven Kompe­tenz seines Denkens überzeugen und die Brückenfunktion des Denkens zwischen Materie und Geist entdecken: So wie Vorstellungen unmittelbar an den Sinneswahrneh­mun­gen gebildet werden, so entziehen sich Begriffe bereits vollständig dem sinnlich Erfahrbaren. Der Begriff des Kreises gilt für alle vorstellbaren Kreise. Deswegen werden Begriffe auch definiert und nicht vorgestellt. Der Kreis ist definiert als geometrischer Ort aller Punkte, die von einem Mittelpunkt gleich weit ent­fernt sind. Wieder anders ist es jedoch mit den Gedanken, die wir Ideen nennen.
Ideen kann man sich nicht begriff­lich erarbeiten. Sie müssen einem vielmehr „ein­fallen“. Man freut sich über gute Einfälle, negative ängstigende Einfälle hingegen beunruhigen. Doch nur selten fragen wir uns, aus welcher unsichtbaren Welt solche Ideen stammen und wohin sie wieder ver­schwin­den. Interessant ist auch, dass große wissenschaftliche Entdeckungen oft im selben Zeitraum an verschiedenen Orten gemacht werden.
Rudolf Steiner benützt für die Welt der Gedanken, die allen Menschen zugänglich ist und die uns mit den außersinnlichen Welten und ihren Wesen verbinden, den Begriff der ätherischen Welt. Das griechische Wort Äther bezeichnete den durchsonnten blauen Himmel, dessen Licht als Energiespender die Fotosynthese der Pflanzen ermöglicht. Steiners Entdeckung war, dass das biologische Leben auf der Erde durch dieselben Gesetze und Kräfte zustande kommt, die auch im Denken walten, im sogenannten „ewigen Leben“. Er nannte dieses von ihm gefundene neue psychosomatische Paradigma: die Metamorphose von Wachstums- und Lebenstätigkeit in Gedankentätigkeit.[10]
Prüft man diesen neuen Ansatz zum Ver­ständnis der Natur des Denkens am eigenen Denk­vermögen im Verhältnis zum biologischen Entwicklungszustand seines Körpers, so kann man z. B. bemerken: Das wache, selbstbewusste Denken beginnt in der Regel erst im dritten, vierten Lebensjahr und reift erst nach dem pubertären Wachs­tumsschub vom 15./16. Lebensjahr an zur vollen Erwachsenenkompetenz aus. Dann nimmt es in der zweiten Lebenshälfte weiter zu, auch wenn die Alterungs­prozesse beginnen und die Regenerationskraft nachlässt. Beim gesund alternden Menschen kann geistige Frische durchaus mit körperlicher Hinfälligkeit verein­bar sein. D.h., die ätherischen Kräfte, die der Körper nicht mehr für Wachstum und Entwicklung braucht, hat er dafür als zunehmende Altersweisheit. Auch zeigen die gut dokumentierten Nahtodeserlebnisse,[11] dass im schein­baren Todesaugenblick ein Erwachen im Gedanken­organismus eintritt, was überzeugend als außerkörperliche Erfahrung beschrieben wird. Im Köper erscheinen die ätherischen Kräfte als Lebensenergie, als vergängliche Lebenszeit. Im Denken hin­gegen als Gedankenkraft und Träger des „ewigen Lebens“.
Nachstehende Skizze möge dies verdeutlichen und zugleich das spirituelle Menschenbild der Anthroposophie ins Bild bringen. Die Skizze zeigt neben der Metamorphose der ätherischen Kräfte aus Wachstums- in Gedankenkräfte auch noch zwei weitere Kraft-Metamorphosen. Die „astralischen“ Kräfte bewirken im Körper die Zell- und Organdifferenzierung und metamorphosieren sich danach in das spannungs- und differenzierungsreiche Gefühlsleben. Die Gesetzmäßigkeiten aber, die bewirken, dass sich letztlich eine harmonische Gesamtgestalt bildet, in der man sich als fokussiertes, selbstbewusstes Ich erleben kann, werden von Steiner „Ich – Organisation“ genannt. Es sind die Kräfte der Integration, der Fokussierung. Steiner verwendet für die seelischen und geistigen Kräfte nicht das Wort Energie sondern bevorzugt den Ausdruck Kraft, entsprechend auch für die Kraft der Persönlichkeit, des Ich.
Abb. Das spirituelle Menschenbild der Anthroposophie mit seinen vier Gesetzes­zusammenhängen, die in ihrem Zusammenwirken die leibliche, seelische und geistige Existenz des Menschen ermöglichen.[12]
==== ''Eingebettet in vorgeburtliche und nachtodliche Existenz'' ====
Ein solcher psychosomatischer Betrachtungsansatz macht es denkbar, das menschliche Leben eingebettet zu sehen in eine konkrete Prä- und Postexistenz. Sind es doch dieselben Gesetzmäßigkeiten, die sich bei der Konzeption mit der befruchteten Eizelle verbinden und das „Embodiment“, die „Inkarnation“ d.h. die „Verkörperung“ ermöglichen, die uns dann als „Leben“, „Seele“ und „Geist“ individuell bewusstwerden und sich im Tode wieder aus dem materiellen Tätigkeitsfeld herauslösen für ein außerzeitliches Dasein. Was dafür spricht, ist, dass die menschliche Entwicklung unaufhaltsam fortschreitet, jedes Jahrhundert den Menschengemein­schaften und der Erde ein anderes Gesicht gibt, weil jeder Mensch die gemachten Erfahrungen in einem Erdenleben nachtodlich in einer rein geistigen Welt verarbeiten und mit neuen Impulsen in ein nächstes Erdenleben eintreten kann.
Auch bietet dieser Ansatz die Möglichkeit, den freien Willen als „außer körperliche“, d.h. wirklich unbestimmt-freie Tätigkeit zu beschreiben. Da diese nicht mehr der biologischen Naturgesetzlichkeit im Körper unterliegt, muss der Mensch erst lernen, Verantwortung für die jetzt der Anlage nach „freien“ Seelen- und Geisteskräfte zu übernehmen. Damit ist aber auch der Missbrauchsmöglichkeit dieser Freiheit Tür und Tor geöffnet.  Aus einer ähnlichen Anschauung und Erfahrung heraus hat wohl Goethe in seinen Sprüchen in Prosa formuliert, dass das Tier durch seine Organe belehrt wird, der Mensch hingegen in der Lage ist, seine Organe zu belehren. Rudolf Steiner formuliert diesen Sachverhalt in seiner Philosophie der Freiheit so: „Die Natur macht aus dem Menschen bloß ein Naturwesen; die Gesellschaft ein gesetzmäßig handelndes; ein ''freies'' Wesen kann er nur ''selbst'' aus sich machen“ [13].
Die in den vorhergehenden Unterkapiteln angeführten Kraftquellen können vielleicht auf der Grundlage dieses hier in aller Kürze skizzierten Menschenbildes noch besser verstanden werden. Wir sind als Menschen einerseits ein Teil dieser Schöpfung und andererseits der einzige Ort in den uns bekannten Naturreichen, wo die wirkmächtigen Gesetze dieser Schöpfung aus dem Naturzusammenhang herausgelöst werden und als rein nur gedanklich erfahrbare Gesetze in Erscheinung treten.
Darauf beruht die „Physiologie der Freiheit“.  Wir selbst bestimmen die Art und Weise, wie wir mit unserem außerkörperlichen, „freien“ Denken, Fühlen und Wollen umgehen. Wir sind aber auch dafür verantwortlich – und leben infolgedessen in den Konsequenzen dessen, was wir gedacht, gefühlt und getan haben. Diese Konsequenzen haben dann auch wiederum Einfluss auf die Gestaltung unseres Körpers im nächsten Erdenleben. Wir werden immer mehr der, der wir werden wollen.
Friedrich Schiller, der ja auch Arzt war, lässt Wallenstein im gleichnamigen Drama sagen: ''Es ist der Geist, der sich den Körper baut.'' Für die Vertreter des deutschen Idealismus und der Frühromantik war dies eine selbstverständliche Annahme und auch innere Erlebnis­qualität. Wer sich mit der Anthroposophie eingehender beschäftigt und zum Beispiel Vorträge Rudolf Steiners wie „Die Evolution vom Gesichts­punkt des Wahrhaftigen“ liest, kann sich auf der Grundlage dieses spirituellen Menschenbildes auch leichter vorstellen, dass es auch übersinnliche Wesen gibt, die sich zwar seelisch und geistig den Menschen mitteilen können, sich aber nicht so wie Mensch, Tier und Pflanze in der sichtbaren Welt „verkörpern“.[14]
==== ''Zumutung Anthroposophie'' ====
„Zumutung Anthroposophie“ – so heißt ein lesenswertes Buch, das der langjährige Redakteur beim Norddeutschen Rundfunk in den Ressorts Wissenschaft und Zeitgeschich­­te geschrieben hat.[15] Im Klappentext schreibt er: ''„Das Phänomen Steiner bleibt erstaunlich und leicht angreifbar. Nur diejenigen werden es für relevant halten, die wenigstens in Teilbereichen den klaren Eindruck gewin­nen, dass hier große Durchblicke gelungen sind, die unserer Zeit bitter fehlen; und die bereit sind anzuerkennen, dass Bedeutendes nicht immer auf die Weise in die Welt tritt, wie man das nach den gewohnten Kategorien erwarten würde.“''
Dem naturwissen­schaft­lichen Materialismus eine Geisteswissenschaft an die Seite zu stellen, war Rudolf Steiners Lebensaufgabe. Wer diese Geistes­wissenschaft studiert, lernt alle materiellen Gegebenheiten in ihrem Entstehen und Vergehen auf geistige Ursachen und Zielsetzungen hin zu betrachten – so auch Gesundheit und Krankheit.[16] Dieses neue westliche, auf klares Denken gebaute spirituelle Menschen- und Weltverständnis ist geeignet, einen heilsamen Ausgleich zu schaffen für die Einseitigkeiten, die infolge der Ökonomisierung und Technisierung aller Arbeitsbereiche entstanden sind.
Es braucht jedoch dafür den gegenseitigen Respekt. Und so möchte ich diesen Beitrag mit der Hoffnung abschlie­ßen, dass im weiteren Verlauf des „Lebens mit dem Virus“ solcher Respekt wieder wachsen kann und die Destruk­ti­vität von Feindbildern erkannt wird. Es braucht aber auch den Mut, ebenso klar und selbstbewusst für eine spirituelle Weltsicht und Kulturarbeit einzutreten, wie dies die Vertreter der Optimierung des Menschen mithilfe der Technik und der transhumanistischen Visionen tun.
'''Fazit:''' ''Spiritualität ist nicht nur Privat- oder Glaubens­sache. Sie ist heute ein dringendes Zeiterfordernis, um die Schäden zu kompensieren, die infolge des einseitig technokratischen Kulturfortschritts entstan­den sind. Da sie immaterielle Entwicklungsziele und Werte mit sich bringt, führt dies wie von selbst zum Verzicht auf Unwesentliches, zu einem bewussten Konsumverhalten, zu Toleranz und Menschen­ver­ständnis und dem Arbeiten an einer Friedens­kultur.'' 
----[1] Vgl. Michaela Glöckler: Kita, Kindergarten und Schule als Orte gesunder Entwicklung, Stuttgart, 2. Auflage 2020
[2] Edwin Hübner, Michaela Glöckler: Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt, Hrsg. Diagnose:media
[3]   www.aufwach-s-en.de
[4] Gerald Hüther: Würde, Knaus-Verlag
[5] Neues Testament, Johannes 14,6
[6] Ebenda, Johannes 15,9
[7] Ebenda, Johannes 8,32
[8] Rudolf Steiner: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? GA 10, Seite 26
[9]  Louis Locher-Ernst; Mathematik als Vorschule zur Geist-Erkenntnis, Verlag am Goetheanum
[10]  Rudolf Steiner: Theosophie, GA 9
Rudolf Steiner und Ita Wegman: Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geistes­wissenschaftlichen Erkenntnissen, GA 27
Rudolf Steiner: Allgemeine Menschenkunde, GA 293
[11]  z.B. Pim van Lommel: Endloses Bewusstsein, Patmos
[12] Ausführlich dargestellt und erläutert in: Michaela Glöckler: Kita, Kindergarten und Schule als Orte gesunder Entwicklung, S. 63
[13] Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit. Dornach 2021, S. 170
[14]Rudolf Steiner: Die Evolution vom Gesichtspunkt des Wahrhaftigen, GA 132
Rudolf Steiner: Die geistigen Wesenheiten in den Himmelskörpern und Naturreichen, GA 136
Rudolf Steiner: Geistige Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der physischen Welt, GA 110
[15] Wolfgang Müller: Zumutung Anthroposophie. Rudolf Steiners Bedeutung für die Gegenwart, Frankfurt 2021
[16] Michaela Glöckler: Meditation in der Anthroposophischen Medizin, Berlin 2021
== ÖKOLOGISCHE UND ÖKONOMISCHE URSACHEN VON PANDEMIEN ==
''Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Corona-Pandemie und den derzeitigen ökologischen und ökonomischen Verhältnissen?''
COVID-19 ist Teil der ökologischen und sozialen Krise unserer Zeit, die uns gerade durch diese Pandemie deutlicher bewusst werden kann. Wir erleben uns in diesen Tagen vielfach ohnmächtig, und gleichzeitig wird die Selbsterkenntnis immer unabweisbarer, dass wir selbst die Urheber dieser Krise und damit auch die Verursacher dieser Pandemie sind, die im Rahmen der Risikoanalyse zum Bevölkerungsschutz des deutschen Bundestags vom Januar 2013 bereits vorhergesagt wurde,[1] ohne dass seitens der Regierung an den auslösenden Ursachen etwas verändert, ohne dass vorgesorgt wurde.
=== ''Ursachen für zunehmende Seuchengefahr'' ===
Die ökologischen Probleme unserer Zeit müssen als Hauptursache heutiger Pandemien diagnostiziert und global behandelt werden. Dazu gehört der grausame Umgang mit Wildtieren genauso wie die widernatürliche Massentierhaltung von Nutztieren.
Unter der Überschrift „''Pandemien und ihre Ursachen: So züchtet der Mensch ungewollt neue Seuchen“'' schrieb der Wissenschaftsjournalist und Biologe ''Philip Bethge'' am 3. April 2020 in Spiegel/Wissenschaft einen bemerkenswerten Beitrag.<sup>[2]</sup> Er schreibt, dass der Ausbruch der jetzigen Pandemie kein Zufall gewesen sei. Artensterben, Naturzerstörung und Klimawandel würden seit langem das Risiko erhöhen, dass Krankheiten von Tieren auf Menschen überspringen. Besonders geeignete Wirte dafür seien Fledermäuse und Flughunde, bei denen man schon gut 3200 verschiedene Corona-Viren identifiziert hat. Wir wissen zwar nicht, wie lange es gedauert hat, bis Sars-CoV-2 der Sprung auf den Menschen gelungen ist, es handle sich dabei jedoch um klassische Mechanismen der Evolution, durch die solche Epidemien entstehen können. Der Mensch würde dabei die Hauptrolle spielen.
Hinzu kommt der überhöhte Fleischverzehr reicherer Länder. Fleischmärkte und Fleischfabriken wurden zu Hotspots. Der Mensch als Fleischkonsument ist Verursacher von Tierleid und Umweltzerstörung und, wie wir jetzt erkennen, wesentlich beteiligt an der Entstehung bzw. Übertragung neuer, gefährlicher Virusvarianten auf andere Menschen.
==== '''·'''      Missbrauch von Wildtieren ====
Wildtiere, die eng an eng in Gefangenschaft gehalten werden, unter akuter Bedrohung ihres Lebens, die in ihrer Vitalität oft stark beeinträchtigt sind, wobei es zu einer unnatürlichen Nähe verschiedener Arten kommt, z. B. von Fledermaus und Schuppentier sowie von Mensch und Wildtier überhaupt. In dieser Situation ist das Immunsystem der Tiere selbst stark beeinträchtigt. So können sich Viren in den Tieren stark vermehren, sind Doppelinfektionen und in der Folge auch die Bildung von Chimären aus zwei verschiedenen Virusspezies möglich. SARS-CoV-2 kann so entstanden sein.
Auch das zu Rodungszwecken übliche Vordringen des Menschen in früher abgeschiedene Regionen, in denen Tiere zurückgezogen lebten, kann ein Grund für den Kontakt mit Tierviren und deren Überspringen auf den Menschen sein. Diese sogenannten Zoonosen und die damit verbundene Entstehung und Ausbreitung von Pandemien nehmen aufgrund von Bevölkerungswachstum und Naturzerstörung, Artensterben und Klimawandel weltweit zu, weil die Veränderung der Lebensräume das Überschreiten der Artgrenzen bedingt und fördert. Das weiß man im Grunde seit Jahren, es wurden aber nicht die nötigen Konsequenzen aus diesem Wissen gezogen.
Eine mögliche Variante ist auch der Übergang von tierspezifischen Viren auf den Menschen und wieder zurück, wie er z.B. in diesem Frühjahr in niederländischen Pelztierfarmen an Nerzen bewiesen wurde und wovon man auch in Dänemark, Hauptproduzent von Nerzfellen, ausgehen kann. In solchen Farmen werden weltweit pro Jahr rund 100 Millionen Wildtiere nur für Pelzaccessoires und Pelzteile in engen Käfigen gehalten und nach einem Leben, an das sich Wildtiere niemals anpassen können, getötet. Diesen missbräuchlichen Umgang mit Wildtieren zu beenden, der ermöglicht, dass Pelzteilchen von Nerzen und Marderhunden, aber auch Schuppen und Fleisch von Schuppentieren o. Ä. in den Handel gelangen, ist ein unabweisbares Muss! Der weltweite Wildtierschutz stellt spätestens seit Corona eine unabdingbare Priorität dar.
==== '''·'''       Entwürdigende Massentierhaltung ====
Dazu zwei Beispiele aus dem genannten Aufsatz von Thomas Hartmuth:
''„Dass die modernen Geflügelmästereien mit artgerechter Haltung wenig zu tun haben, braucht wohl nicht betont zu werden. In den letzten Jahren tauchten plötzlich mutierte Virenstämme (H5Nx) auf, die zu einem Anstieg der Sterberaten durch Vogelgrippe führten und von denen befürchtet wurde, sie könnten auf den Menschen überspringen und eine globale Seuche auslösen. Es wurden nun – aus welchen Gründen auch immer – hauptsächlich Forschungsresultate der industrienahen Institute publiziert, wonach dieses neue Virus angeblich von asiatischen Wildvögeln nach Europa importiert worden sei. Wie der US-amerikanische Evolutionsbiologe Robert Wallace (2016) von der Universität Minnesota in seinem Buch ‚Big farms make big flu‘ (‚Große Farmen machen große Grippewellen‘) stichhaltig nachwies, stammen diese neuen Erreger (Campylobacter, Nipah-Virus, Q-Fieber, Hepatitis E und verschiedene neuartige Influenza-Varianten) ausnahmslos aus der industriellen Landwirtschaft. Bei Wildvögeln konnten die mutierten Stämme nicht nachgewiesen werden.''
''2011 kauften die Tierzüchter in den USA 14.000 Tonnen Antibiotika. Das sind 70–80% des gesamten jährlichen Verbrauchs in den USA, also nur ein Viertel kommt in der Humanmedizin zum Einsatz. Solche Verbrauchszahlen gelten für fast alle westlichen Industrienationen. Ohne diesen massiven Antibiotikaeinsatz würde es in den Mästereien zu einem Massensterben durch Seuchen kommen.“<sup>'''[3]'''</sup>''
''Mit Verweis auf Prof. Christine Moissl-Eichinger, Professorin für Interaktive Mikrobiom-forschung an der Medizinischen Universität Graz, wird auf zahlreiche Untersuchungen aufmerksam gemacht, bei denen man pathogene Erreger wie zum Beispiel multiresistente Keime auf Intensivstationen nicht durch zusätzliche Bakterizide und Antibiotika eliminiert hat, sondern indem man das mikrobielle Gesamtsystem durch Zusatz von hoch diversen Bakteriengemeinschaften (Fenster öffnen, Zusatz von ‚gesunden‘ Bakterien zum Wisch-wasser) so verändert hat, dass die pathogenen Keime neutralisiert wurden“.<sup>'''[4]'''</sup>''
Solange man Massentierhaltung und großflächige Monokulturen als zwingend für die Welternährung darstellt und deshalb dorthin der größte Teil staatlicher Subventionen fließt und Kleinbauern kaum Hilfe erfahren, werden diese weiter ihre Länder an Großunternehmer verkaufen. Es braucht eine gesunde Denkweise über die Kreisläufe des Lebens und darüber, wie in der Natur und Entwicklung alles mit allem zusammenhängt.
=== ''Gefährdung der Lebensgrundlagen durch den Menschen'' ===
Wir alle ersehnen ein Ende dieser Pandemie. Doch wir sollten uns nicht einfach nach der Welt vor dieser Pandemie sehnen, sondern gemeinsam neue Strukturen, Werte und Wege finden, die in eine andere Zukunft führen. Denn fassen wir diese Krise in ihrem ganzen Umfang ins Auge, müssen wir feststellen, dass heute das Leben der Erde als Ganzes in akuter Gefahr ist. Für die Erde aber gibt es kein Beatmungsgerät. Wir Menschen zerstören die Wälder, die Lungen der Erde und die Lebensräume der Tiere, um sie technischer Kontrolle zugunsten von ökonomischer Ausbeutung zu unterwerfen.
Die Medizin selbst war technisch noch nie so mächtig, und noch nie sind so viele Zuwendungen aus der Wirtschaft in die Medizin geflossen. Gleichzeitig zerstört die einseitige Form der Wissenschaft und des Wirtschaftens unsere Lebensgrundlagen. So gefährden pharmazeutische wie auch chemische Industrie die planetarische und dadurch auch die menschliche Gesundheit: Monokulturen sind erst durch Pestizide, die moderne Massentierhaltung ist erst durch Antibiotika möglich geworden. Genau das aber führt dazu, dass Antibiotika für die Behandlung von schwerkranken Menschen zunehmend unwirksam sind und multiresistente Bakterien um sich greifen. In wenigen Branchen ist Ökologie ein stärker gefürchtetes Reizwort als in der konventionellen Pharmazie.
COVID-19 zeigt uns die Grenzen dieser technisch und ökonomisch hochgerüsteten Medizin, die noch nicht versteht, dass die vorausblickende Förderung von Gesundheit individuell wie global andere wissenschaftliche Grundlagen, ein anderes Denken und Handeln braucht als punktuelle Feldzüge gegen ansteckende Krankheiten – wobei die meisten chronischen Krankheiten auf diese Weise gar nicht erfasst werden können.
Antibiotikum bedeutet „das gegen das Leben Gerichtete“ und wurde zum erfolgreichsten und prägendsten Medikament des 20. Jahrhunderts. Im 21. Jahrhundert brauchen wir eine probiotische, das Leben fördernde und die Gesundheit erhaltende Medizin. Die Gesundheit von Pflanzen, Tieren und Menschen lassen sich nicht trennen. Es gibt nur EINE Gesundheit (One health). So fordert diese Pandemie ein neues, weltweites Bewusstsein von Gesundheit unseres Planeten, der ''Planetary health'', und damit einhergehend eine nachhaltige Medizin und eine ökologische Pharmazie, wollen wir nicht demnächst noch wesentlich gefährlichere Pandemien erleben. Gesundheit wird nicht durch immer stärkere Kontrolle von außen erreicht, sondern durch die Fähigkeit aller Lebewesen, selbst ein lebendiges Gleichgewicht zwischen kränkenden und heilenden Einflüssen im Sinne einer Selbstregulierung herstellen und erhalten zu können. Das gilt für Pflanzen, Tiere und Menschen gleichermaßen.
=== ''Gegenseitige Entwicklungsabhängigkeit'' ===
Natur und Mensch sind voneinander abhängig, um überhaupt diese Fähigkeit der gesundenden Selbstregulierung erwerben zu können. Das sehen wir am Beispiel der Allergieentwicklung: Zur Allergie-Prophylaxe ist ein Kontakt mit gesunden Tieren und ihrer Mikroflora nötig, während wir durch den Aufenthalt in einem Stall der Massentierhaltung gefährdet sind, multiresistente Bakterien aufzunehmen. Auch ist es inzwischen bewiesen, dass steril aufgezogene Tiere eine gestörte Gehirnentwicklung und Verhaltensstörungen aufweisen. Wir sehen: Gesundheitsentwicklung gelingt nur in einem gesunden Kontext, ist dabei auf gesunde Beziehungen der Spezies untereinander angewiesen. Solange es uns gleichgültig ist, dass für wirtschaftliche Zwecke das lebendige Gleichgewicht einer Landschaft zerstört wird, wenn es uns kalt lässt, dass ein Wildtier lebenslang in einem 40 x 60 cm großen Käfig dahinvegetieren muss, dass Millionen von Kindern von Hunger bedroht sind oder sterben, dass Milliarden von Menschen durch Fehlernährung erkranken, wird auch die mächtigste Medizin diese Zerstörung begünstigende Fehlhaltung nicht ausgleichen können.
=== ''Medizin hat einen pädagogischen Auftrag'' ===
''Was befähigt uns, für die Gesundung der Erde und die Vorbeugung von Pandemien zu sorgen?''
Die Medizin muss zur Diagnose und Therapie in umfassendem Sinn fähig werden. Es kann nicht nur darum gehen, Viren mit Tests, Impfungen, Hyperimmunglobulinen und Virostatika zu bekämpfen. Eine zukunftweisende Medizin hat einen pädagogischen Auftrag: Sie muss Aufklärungsarbeit leisten unter den Erwachsenen,  warum Nahrungsmittel auf eine artgemäße und ökologisch sinnvolle Erzeugung angewiesen sind und warum täglicher Fleischkonsum eher gesundheitsschädlich als förderlich ist etc. Und den Kindern dieser Erde müssen wir weltweit eine Resilienz und Gesundheit fördernde Erziehung ermöglichen lassen.<sup>[5]</sup> Denn gute Erziehung, die zu selbständigem Denken befähigt und weiterführende Bildungschancen eröffnet, ist längerfristig das beste Mittel, um das Wachstum der Weltbevölkerung auf gesunde Art zu regulieren.
Jeder von uns ist dazu aufgerufen, die Grundannahmen der eigenen Denkweise zu überprüfen und die eigene Haltung zu verändern. Eine echte Wende wird erst möglich, wenn genügend Menschen bereit sind eine „Gedankenwende“ zu vollziehen.
''Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, <nowiki>ISBN 9 783751 917919</nowiki>''
----[1] Bundestagsdrucksache 17/12051 vom 03.01.2013, <nowiki>https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/120/1712051.pdf</nowiki>., aus: ''Georg Soldner, Markus Sommer, „Ökologie und Pandemie. Was lernen wir an COVID-19?“ Rundbrief Medizinisches Seminar Bad Boll am7. November 2020''
[2] <nowiki>https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/pandemien-und-ihre-ursachen-so-zuechtet-der-mensch-ungewollt-neue-seuchen-a-00000000-0002-0001-0000-000170323296</nowiki>
[3] Thomas Hardtmuth, ''Die Rolle der Viren in Evolution und Medizin'', in: ''Jahrbuch für Goetheanismus, Band 36'', 1. Auflage, 2019, Pädagogische Forschungsstelle Stuttgart, S. 47.
[4] Ebenda, S. 46.
[5] Vgl. Michaela Glöckler, ''Schule als Ort gesunder Entwicklung'', März 2020, ISBN: 978-3-939374-76-3
== WESEN UND WIRKUNG VON VIREN ==
=== ''Geschichte und Bedingungen der Virusforschung'' ===
Das Wort Virus stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Schleim, Gift, Geifer. In die Medizin eingeführt hat es der römische Enzyklopädist ''Aulus Cornelius Celsus'' (25 v.Chr. – 50 n.Chr.). <sup>[1]</sup> Seine acht Bücher zu den medizinischen Fachgebieten wurden im 15. Jahrhundert erstmals gedruckt und breit zugänglich. Viele seiner Behandlungsvorschläge – zum Beispiel die physiologische Fieberbehandlung bei Entzündungen – machen auch heute noch Sinn. Da es damals noch keine Elektronenmikroskope gab, konnte man zwar Gift beinhaltende Flüssigkeiten wie Speichel und andere Sekrete und Exkremente oder verdorbenes Wasser als Krankheitsursache identifizieren, nicht jedoch die darin vorhandenen Verursacher des Problems. Entsprechend ist die Virusforschung ein Kind des 20. Jahrhunderts. Die Corona-Viren kennen wir seit den späten sechziger Jahren. Aber erst seit Erfindung der Kryo-Elektronenmikroskopie, für die 2017 der Chemienobelpreis an ''Jacques Dubochet'' (Schweiz), den gebürtigen Deutschen ''Joachim Frank'' (Vereinigte Staaten) und Richard Henderson (Großbritannien) ging, ist das Sichtbarmachen von einzelnen Biomolekülen möglich. Sie entwickelten die sogenannte Kryo-Elektronenmikroskopie zur hochauflösenden Strukturbestimmung von Biomolekülen. Diese Methode vereinfacht und verbessert das Sichtbarmachen von Biomolekülen so sehr, dass damit eine neue Ära der Biochemie begonnen hat.
Ein Virus ist kein eigenständiges Lebewesen. Es besteht nur aus einem kürzeren oder längeren Stück Erbgut entweder vom Typ DNS (DNA-Viren) oder RNS (RNA-Viren). Dieses ist von einer unterschiedlich geformten Proteinkapsel oder Hülle umgeben, oft geometrisch geformt. So verdankt das Corona-Virus seinen Namen seiner schönen kugeligen Form. Viren können sich deshalb nur kurz am Leben erhalten, wenn sie nicht in eine funktionstüchtige Zelle von Bakterien, Pflanzen, Tieren oder Menschen eindringen. Sonnenlicht und Wärme vernichten sie rasch, im Feuchten oder auch im Eis können sie dagegen lange aktionsfähig bleiben.
=== ''Die kontextabhängige Natur der Viren'' ===
Viren machen nicht automatisch krank. Sie richten sich in ihrer Arbeitsweise vielmehr nach der Situation des Milieus, des Wirtsorganismus, in den sie eindringen. Das Masernvirus stammt z.B. ursprünglich vom Rind und bildet für den Menschen einen Krankheitserreger, während es in Fledermauspopulationen vorkommt, ohne diese zu beeinträchtigen und krank zu machen.
''Thomas Hardtmuth'' hat zu diesem Thema einen sehr lesenswerten Aufsatz geschrieben, in dem er diese kontextabhängige Natur der Viren als hochplastische genetische Informationsträger bzw. Informationsvermittler anhand vieler Beispiele herausarbeitet.<sup>[2]</sup> Er fasst die Ergebnisse seiner bisherigen Recherche so zusammen:
''„Aus systemwissenschaftlicher Perspektive stellen die Viren in ihrer Gesamtheit (Virosphäre) das vermittelnde Medium einer globalen genetischen Kommunikation unter den Organismen dar. Die Genome einzelner Lebewesen sind daher weniger das Ergebnis zufälliger Mutationen, sondern können als umkreis- und kontextabhängige, evolutive Neuarrangements aus diesem grundsätzlich dialogisch organisierten System der Virosphäre verstanden werden. (…) Die hohe genetische Plastizität, Adaptivität und Mutabilität der Viren wurde über unzählige Entwicklungsschritte in den hochkomplexen, intrazellulären RNA- Elementen der genetischen ‚Textbearbeitung‘ aller Lebewesen internalisiert und konserviert, die als epigenetisches Regulativ zwischen Umwelt und Organismus vermitteln und damit die Voraussetzung für Weiterentwicklung und Artenvielfalt sind. Viren haben eine Doppelnatur, indem sie genetische Impulsgeber und Krankheitserreger gleichzeitig sind. Ihre Pathogenität erweist sich vor diesem Hintergrund lediglich als '''Sonderfall''' im Sinne einer Stress- und Störanfälligkeit jeder innovativen, lebendigen Entwicklung.“<sup>'''[3]'''</sup>''
Damit beantwortet sich die Frage, warum die Menschen durch ihre modernen Lebensformen und Wirtschaftsweisen für so etwas wie die Corona-Epidemie/Pandemie entschieden mitverantwortlich sind.
=== ''Sesshafte Viren als Evolutionshelfer'' ===
''Thomas Hardtmuth'' verweist in diesem Zusammenhang auf ''Günther Witzanys'' Konzept der Biokommunikation:
''„Wie sich in den letzten Jahren herausstellte, sind die infektiösen, hochgefährlichen Auswirkungen viraler Infektionen eine Art Sonderfall und kennzeichnen jene Viren, die keinen dauerhaft sesshaften Lebensstil in Wirtsorganismen entwickeln können. In den meisten Fällen leben Viren in einem Wirtsorganismus und helfen ihm dabei, konkurrierende Parasiten abzuwehren (wodurch er ein höheres Immunitätsniveau erreicht, Anm. Th. H.). Sie werden damit oft zu einem Teil der Evolutionsgeschichte des Wirtsorganismus bzw. der ganzen Wirtsart. Sesshafte Viren sind entscheidend für Artenvielfalt und Wirts-Genom-Bearbeitung. Praktisch alle Kompetenzen der natürlichen Genombearbeitung, wie sie in der Konservierung von Gen-Ablesung, Transkription, Translation und Rekombination repräsentiert sind (mit all ihren Schritten und Zwischenschritten), stammen von viralen Fähigkeiten ab. (…) Seit durch mehrere Beobachtungen klar geworden ist, dass Viren fähig sind, genetisches Material in die Wirtsgenome zu integrieren, wurde deutlich, dass Viren neben infektiösen Lebensstrategien auch symbiotische und symbiogenetische Lebensstile haben. Sie übertragen phänotypische Eigenschaften auf den Wirt, die ein nicht infizierter Wirt der gleichen Wirtsart nicht hat. Als endosymbiontische Viren, die von der Wirtsvervielfältigung abhängen, sind sie Teil der Wirtsgeschichte, indem sie vererbbar werden und damit Teil der genomischen Identität des Wirts.“<sup>'''[4]'''</sup>''
Viren erfüllen damit seit Urzeiten eine wichtige Aufgabe in der Evolution.
=== ''Wenn Viren zu Krankheitserregern werden'' ===
Bei Irritationen des Systems können Viren jedoch pathogene, das heißt krankheitserzeugende Eigenschaften entwickeln. Um nun die Problematik und Herausforderung von Viruserkrankungen verstehen zu können, muss man die anfangs erwähnte besondere Natur der Viren in Betracht ziehen. Zur Bedrohung können sie vor allem werden, wenn sie '''neu''' in einen lebenden Organismus eintreten und dessen Lebensprozesse umsteuern, um sich selbst zu vermehren. Bei virusbedingten Erkrankungen beginnen Viren den gastlichen Wirt zu zerstören, indem sie immer weitere neue Zellen befallen, bis das Immunsystem diesem Geschehen Einhalt gebietet. Die Bedrohlichkeit der meisten Viren hängt demnach unmittelbar von der immunologischen Reaktionsfähigkeit des „Wirtes“ ab, die mit dem Alter generell abnimmt. Auch für Bevölkerungen, die ein Virus überhaupt nicht kennen, so wie einst die südamerikanische Bevölkerung das Masernvirus und die heutigen Bewohner Amazoniens das SARS-CoV-2-Virus, kann die massenhafte Ansteckung verheerend verlaufen, weil sie nicht angemessen darauf reagieren können.
Das SARS-CoV-2-Virus ist für viele Menschen im Grunde nicht zur Gänze neu. Es besteht in der Bevölkerung wahrscheinlich sogar eine Hintergrund- oder Teilimmunität durch den Kontakt mit anderen Coronaviren, die in jedem Winter für durchschnittlich 10 % aller Atemwegsinfekte verantwortlich sind. Da man nicht wissen konnte, wie stark unser Immunsystem auf das neue Corona-Virus reagieren würde, waren die Prognosen zu Anfang der Pandemie sehr pessimistisch.
Ob nun Viren oder Bakterien im Menschen eine positive Rolle spielen oder aber Krankheit erzeugen, hängt vom Zustand des Organismus und seiner Umwelt ab. Je nach Klima und Ort können sie sogar unterschiedliche Krankheiten hervorrufen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Pfeiffersche Drüsenfieber (Mononukleose). Es wird durch das Epstein-Barr-Virus ausgelöst. Dasselbe Virus aber kann zum Beispiel in Afrika das Burkitt-Lymphom hervorrufen, eine bösartige Lymphdrüsen-Erkrankung. In China hingegen ist es für eine bestimmte Form von Rachenkrebs verantwortlich.
=== ''Viren als genetische Assistenten'' ===
Auch das sogenannte Genetic-Engineering, das wir aus der Medizin bzw. der Landwirtschaft als Gentechnik oder Genmanipulation kennen, basiert auf dem Studium der natürlichen Lebensart der Viren. Sie bringen sich quasi als ein Stück Erbgut in fremde Zellen ein und existieren friedlich mit diesen zusammen, wobei sie deren Erbgut etwas modifizieren, indem sie Teile davon zwischen verschiedenen Individuen austauschen. Man kann sogar sagen, dass sie Elementen dieses Erbgutes entsprechen, dass unsere DNA zu einem großen Anteil aus ehemaliger Virussubstanz besteht. Durch das Einschleusen bestimmter Erbgutsequenzen Organismen zu verändern, ist also von jeher „Tagesgeschäft“ von Viren und keine Erfindung des Menschen. Eine plötzlich auftretende Veränderung im Erbgut wurde in der klassischen Genetik noch als genetischer Zufall oder Spontanmutation bezeichnet. Heute wissen wir, dass es im Wesentlichen der Arbeit von Viren geschuldet ist. Auch wenn die Forschung samt ihren Erkenntnissen auf diesem Gebiet erst wenige Jahrzehnte alt ist, so weiß man bereits genug darüber, um diesen „genetischen Assistenten“ in der Evolution der Welt des Lebendigen höchsten Respekt zu zollen. Als Beispiel für die unverzichtbare Entwicklungshilfe durch Viren nennt Hardtmuth u.a. die Tatsache, dass Menschen heute stärkehaltige Nahrung deshalb gut verdauen können, weil sie diese Fähigkeit durch die Integration einer Nukleotid-Sequenz aus einem Virus genetisch erworben haben, wodurch die Expression des dazu nötigen Amylase-Gens in den Speicheldrüsen kodiert wird. Man macht sich normalerweise nicht klar, wieviel man diesem „wandernden Erbgut“ auf dessen weisheitsvollen Wegen verdankt und dass ein Hauptteil des menschlichen Erbmaterials auf Integration von Viren während der Evolution zurückzuführen ist.
So wie heute das Mikrobiom des Darms zunehmend in seiner Bedeutung für Gesundheit und Krankheit des menschlichen Organismus erforscht wird, so wird die Virusforschung immer deutlicher zutage fördern, auf welcher Grundlage das menschliche Epigenom, das ohne Viren undenkbar wäre, ''„in jedem Moment unseres Lebens“'' nachhaltig beeinflusst wird: ''„durch Ernährung, Lebensstil, Gewohnheiten, Krankheiten, durch unsere psychische Verfassung – ja sogar durch unsere gebildeten Vorstellungen, die ebenso ihr genomisches Korrelat haben.“<sup>'''[5]'''</sup>'' Demnach entscheidet der gesundende oder krankmachende Umgang mit uns selbst und unserer Mitwelt darüber, ob die Viren in uns ihrer natürlichen Aufgabe als Entwicklungshelfer nachkommen können oder zu Krankheitserregern werden.
''Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, <nowiki>ISBN 9 783751 917919</nowiki>''
----[1] Vgl. <nowiki>https://de.wikipedia.org/wiki/Aulus_Cornelius_Celsus</nowiki>
[2] Thomas Hardtmuth, ''Die Rolle der Viren in Evolution und Medizin – Versuch einer systemischen Perspektive. In: Jahrbuch für Goetheanismus'', Band 36, Stuttgart 2019, S. 3-61.
[3] Ebd, S. 3.
[4] Günther Witzany, ''Biokommunikation und natürliche Bearbeitung genetischer Texte – die Anwendung der sprachpragmatischen Philosophie der Biologie''. Norderstedt 2010, S. 121. Zitiert nach ''Thomas Hardtmuth'', a.a.O., S. 15 f.
[5] Thomas Hardtmuth, a.a.O., S. 27.
== CHARAKTERISTISCHE SYMPTOME UND STADIEN VON COVID-19 ==
''Welche Symptome sind charakteristisch für COVID-19?''
''Welche Stadien und Verläufe sind mittlerweile bekannt?''
Die Familie der ''Coronaviridae'' ist groß und für ein breites Spektrum von Erkrankungen bei Mensch und Tier verantwortlich. Beim Menschen verursachen sie allermeist nur Schnupfen, können aber – wie SARS, MERS und COVID-19 zeigen – eben doch auch zu lebensbedrohlichen Krankheitszuständen führen.
Auch zu diesem Thema habe ich auszugsweise meine geschätzten Kollegen ''Georg Soldner''[1] und ''Markus Sommer''[2] zu Wort kommen lassen,[3] ohne die Passagen eigens zu markieren.
Charakteristisch für die COVID-19-Erkrankung ist der Angriff des Virus als Aerosolbildner auf die Mitte des menschlichen Organismus: auf das Atemwegssystem und vor allem die Lungen einerseits, auf das System der Blutgefäße und Blutzirkulation andererseits. Über die Atmung stehen wir in permanentem substantiellem Austausch mit der Umwelt. Wie und was wir einatmen, wirkt sich unmittelbar auf unser Blut und damit auf den gesamten menschlichen Organismus aus. COVID-19 bedroht im Erkrankungsfall massiv unsere inneren Lebensgrundlagen.
=== ''Stadien von COVID-19 versus Grippe'' ===
==== '''·'''      Erste Symptome ====
Nach Aufnahme des Erregers über die Schleimhäute bemerken Infizierte, die erkranken, zunächst oft Müdigkeit, Kopfschmerzen, Kratzen im Hals, meist trockenen Husten. Relativ spezifisch ist ein vorübergehender, manchmal anhaltender Geschmacks- und Geruchsverlust, evtl. Durchfall. Es kann zu tagelang anhaltendem hohem Fieber kommen.
==== '''·'''      Interstitielle Pneumonie bei COVID-19 ====
Das nächste Stadium, die COVID-19-assoziierte Lungenentzündung, ist besonders heimtückisch und klinisch besonders, weil sie zunächst schleichend beginnt und oft von den Patienten als solche nicht erkannt wird. Das entzündliche Anschwellen der feinen Bindegewebestrukturen, die die Atemwege und Lungenbläschen umgeben, auch interstitielle Pneumonie genannt, verursacht ein Schwerwerden der Lunge mit Flüssigkeitsanschoppung im Bindegewebe, was die Empfindung zu ertrinken auslösen kann. Kann aber plötzlich hochdramatische Formen annehmen, die dann intensivmedizinische Betreuung, u.a. Sauerstoffgabe bis hin zu künstlicher maschineller Beatmung erfordern.
Weil sich die COVID-19-Pneumonie oft zunächst mit nur sehr geringen Symptomen einschleicht (s. u.), ist eine gute ärztliche Begleitung wichtig. Bei Hausbesuchen muss man auf den Eigenschutz achten – nicht zuletzt, weil eine Erkrankung von Ärzten weitere Patienten gefährdet. Wenn die betroffenen Patienten vor der Untersuchung einen Mund-Nasen-Schutz anlegen und das Zimmer gut gelüftet wird, bevor man es betritt, so reduziert dies das Risiko, angesteckt zu werden, erheblich.
==== '''·'''      Bakterielle Pneumonie zum Vergleich ====
Bei der klassischen Lungenentzündung, die durch Pneumokokken hervorgerufen wird und bei Bedarf antibiotisch gut behandelbar ist, sind dagegen die Lungenbläschen betroffen. Diese beginnt meist mit akuten Symptomen wie Fieber, körperlicher Schwäche und großem Unwohlsein und zwingt ins Bett. Demgegenüber werden die durch Viren hervorgerufenen Lungenentzündungen als atypisch bezeichnet, weil sie langsam beginnen, sich dann plötzlich dramatisch zuspitzen.
==== '''·'''      Hyperinflammation und Organversagen ====
Bei Fortschreiten der COVID-19-Erkrankung kann es zu einem Kontrollverlust im Immunsystem kommen, einer Über-Entzündung (auch cytokine storm genannt) mit Schädigung der Blutgefäßinnenwände und Gerinnungsstörungen, Blutgerinnsel und vorübergehenden Ausfall lebenswichtiger Organe wie die Nieren bis hin zu Multiorganversagen.
==== '''·'''       Rekonvaleszenz ====
Wichtig für den Prozess der Genesung von COVID-19, egal aus welchem Stadium, sind Schonung und Vermeiden zu früher Belastung. Typisch ist, dass Patienten, die sich oft schon ganz kräftig fühlen, plötzlich wieder einen Einbruch erleben, bis dahin, dass sie sich zwischendrin hinlegen müssen. Auch kann es lange dauern, bis Geruchs- und Geschmacksempfinden sich zur Gänze wiederherstellen.
==== '''·'''      Langzeitfolgen ====
Die Erkrankung kann erhebliche Organschäden im Sinne einer Versteifung, Sklerosierung hinterlassen. Geruchs- und Geschmacksempfinden können dauerhaft beeinträchtigt bleiben.
Allgemeine Gesichtspunkte zur Behandlung von COVID-19 gemäß der Anthroposophischen Medizin werde ich in einem gesonderten Kapitel erläutern. Konkrete Medikamentengaben und therapeutische Maßnahmen für die einzelnen Stadien von COVID-19 können dem unten erwähnten Rundbrief entnommen werden.
''Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, <nowiki>ISBN 9 783751 917919</nowiki>''
''sowie Georg Soldner, Markus Sommer, „Ökologie und Pandemie. Was lernen wir an COVID-19?“ Rundbrief Medizinisches Seminar Bad Boll am7. November 2020''
----[1] Georg Soldner ist Arzt, Autor, stellv. Leiter der Medizinischen Sektion am Goetheanum.
[2] Markus Sommer ist Autor zahlreicher Beiträge in Zeitschriften und Bücher zum Krankheits- und Heilmittelverständnis. Er ist Mitherausgeber des Vademecum Anthroposophische Arzneimittel und arbeitet für das Bundesamt für Arzneimittel.
[3] Aus: Georg Soldner, Markus Sommer, ''Ökologie und Pandemie. Was lernen wir an COVID-19?'' Rundbrief Medizinisches Seminar Bad Boll am7. November 2020.
== BEDEUTUNG VON KRANKHEITEN FÜR DIE ENTWICKLUNG DES MENSCHEN ==
''Warum reagieren wir im Laufe unserer Entwicklung auf körperliche, seelische und geistige Irritationen mit Krankheit?''
''Warum haben wir nicht von Natur aus die Möglichkeit uns problemlos überall anzupassen?''
''Warum braucht der Mensch einen anderen Umgang mit Krankheit als Tiere und Pflanzen?''
Die Corona-Pandemie gibt Anlass zu grundsätzlichen Überlegungen in Bezug auf Krankheiten und ihre Auswirkungen auf uns Menschen. In der außermenschlichen Natur kommen Krankheiten nur als „Regler“ des ökologischen Gleichgewichts vor. Wenn ein wildlebendes Tier erkrankt oder verunfallt, wird es rasch gefressen oder stirbt, weil es sich nicht mehr ernähren kann. Oder aber Pflanzen und Tierarten sterben aus, weil ihre Lebensräume vom Menschen so verändert wurden, dass sie sich nicht mehr anpassen können und ihre Existenzfähigkeit gefährdet ist oder erlischt. Dass dies bei Haustieren anders ist, liegt an ihrer Symbiose mit den Menschen und der damit verbundenen Tiermedizin.  
=== ''Krankheiten als Impulsgeber für das Immunsystem'' ===
Das zeigt: Leben mit Krankheit ist etwas spezifisch Menschliches. Dabei muss man vor allem drei Arten von „normalen“ Erkrankungen unterscheiden:
* in Kindheit und Jugend sind ''akute Infekte'' vorherrschend
* zwischen 20 und 40 sind es überwiegend ''psychosomatische Beschwerden'', die für die Zeit von Ausbildung, Berufsweg und Familiengründung typisch sind
* und danach beginnen früher oder später ''chronische Krankheiten'', die die Betroffenen oft bis ans Lebensende begleiten.
Diese „normalen Krankheiten“ sind Begleiter jeder Biographie – im Einzelfall stärker oder schwächer ausgeprägt oder nur tendenziell vorhanden. Denn auch wenn jemand sagt: „Ich war immer gesund!“, so übergeht er oder sie den gelegentlichen Schnupfen oder einen Durchfall im Urlaub. Daher schreiben Ärzte in solchen Fällen bei der Anamnese: Nie ''ernstlich'' krank gewesen.
Die drei genannten Krankheitsformen haben unverzichtbare positive Nebeneffekte:
==== 1.     Akute Infekte im 1. Lebensdrittel ====
Durch die akuten Infekte im Wachstumsalter wird die Entwicklung eines stabilen Immunsystems ermöglicht, das im Laufe des Lebens vor ernstlichen Erkrankungen schützt.
==== 2.     Psychosomatische Beschwerden im 2. Lebensdrittel ====
Die psychosomatischen Probleme hingegen bewirken, dass Menschen im mittleren Lebensalter nach Mitteln und Wegen suchen, stresstolerant zu werden, Frustrationen besser verarbeiten zu können, selbstbewusster zu werden, zu sich zu stehen, sich so anzunehmen wie sie sind. Viele beginnen mit Selbstcoaching und Selbstmanagement oder greifen nach spirituellen Schulungsbüchern wie Rudolf Steiners „Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten?“. Andere beginnen Yoga oder einen Zen-Kurs zu machen.
Das Ergebnis ist immer ein stabileres „seelisches Immunsystem“, die Fähigkeit mit sich selbst und der Mitwelt besser zurechtzukommen. Und es sind gerade diese Unpässlichkeiten und Krankheitssymptome, die dabei helfen. Sie weisen den Weg und machen wach für die notwendigen Lernziele. Vögel, Hunde und Katzen dagegen können nicht perfekter werden als sie sind. Ein Vogel würde durch die Auseinandersetzung mit Krankheitssymptomen dadurch nicht „vogeliger“. Es macht also keinen Sinn für sie, sich mit Krankheitssymptomen herumplagen zu müssen. Nur wir Menschen ringen lebenslang darum menschlicher zu werden.
==== 3.     Chronische Krankheiten im 3. Lebensdrittel ====
Die positiven Nebeneffekte chronischer Krankheiten im letzten Lebensdrittel sind oft Anlass, Entwicklungs- und Sinnfragen zu stellen, die auch die Frage nach dem Tod und einer möglichen Postexistenz in körperloser Form beinhalten. Solche existentiellen Reflexionen können Anlass für eine geistige Neuorientierung sein. Wer die Begrenztheit und Zerbrechlichkeit der körperlichen Existenz selber erlebt, in dem werden neue Gefühle und Gedanken wach, die ihn auf seine unvergängliche, rein geistige Existenz hinweisen. Diese lebt nicht im Körper, wohl aber in den Kräften der Gedanken, Gefühle und Intentionen – in der Identität, die bewusster entwickelt wird. Auf diesem Wege entsteht dann die sogenannte „geistige Immunität“.
=== ''Sinn von altersunabhängigen Erkrankungen und Unfällen'' ===
Außer diesen drei Formen von Krankheit, die jeden Lebenslauf mehr oder weniger intensiv begleiten, gibt es dann noch die Gruppe schwer verständlicher, schicksalhaft auftretender unerwarteter Krankheiten wie z.B. Leukämie im Kinderalter, angeborene Herzfehler, eine Lebensmittelvergiftung, ein Unfall, der eine Behinderung nach sich zieht. Hier ist „Sinnfindung“ nur möglich, wenn man von den „normalen Krankheiten“, die das Leben begleiten, gelernt hat, dass Krankheiten nicht schädigen, sondern Entwicklungshelfer sein wollen. Dass sie keine „Strafe Gottes“ sind, sondern der individuellen Entwicklung dienen.
Dabei ist es wichtig, dass die Betroffenen sich ehrlich fragen:
''Warum ist gerade mir das geschehen?''
''Was hat sich dadurch in meinem Leben geändert?''
''Was konnte ich nur durch dieses Ereignis lernen?''
Wer es ernstlich will, wird durch die Antworten einen Sinn, eine persönliche Botschaft für den weiteren Weg finden.
=== ''Entwicklung über mehrere Erdenleben'' ===
Bleibt die Frage:
''Und wenn durch Krankheit der Tod eintritt?''
''Warum so viel lernen, wenn man doch plötzlich stirbt und dann vielleicht „alles aus“ ist?'''[1]'''''
Fragen wie diese legen nahe, dass menschliche Entwicklung in einem Leben nicht „zur Vollkommenheit“ führen kann. Dass der Tod zwar das Erdenleben beendet, die Entwicklung damit aber nicht beendet sein kann.
''Wie soll denn z.B. die Prophetie aus dem Johannesevangelium wahr werden, wo gesagt wird: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh. 8, 32), wenn der Mensch nur einmal leben würde?''
''Und das noch dazu entweder als Mann oder Frau oder etwas Selbstbestimmtem dazwischen?''
Sobald man ernsthaft über die Entwicklungsfähigkeit des Menschen nachdenkt, kommt einem der Gedanke der Reinkarnation ganz natürlich vor. Dann ist der Gedanke erlösend, dass man die Errungenschaften eines Erdenlebens in ein Leben zwischen Tod und neuer Geburt mitnehmen kann und dort in einer geistigen Daseinsform ein nächstes Leben vorbereitet, in dem neue Aufgaben für die Weiterentwicklung anstehen. In diese andere nicht körperliche Daseinsform können wir aber nur mitnehmen, was wir als denkende, fühlende und wollende Menschen bisher geworden sind.[2]
Eine weitere Folge solcher Überlegungen ist ein wachsendes Gefühl der Mitverantwortung für den Planeten Erde, damit dieser uns die Chance zur Weiterentwicklung noch lange bieten kann. Unter diesem Aspekt kann die Corona-Pandemie eine völlig neue Bedeutung gewinnen: als globaler Entwicklungshelfer, der uns als Menschheit wachrüttelt für die brennenden Fragen des Lebens, die alle Lebensformen und -wesen auf diesem Planeten mit einschließen.
''Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, <nowiki>ISBN 9 783751 917919</nowiki>''
----[1] Michaela Glöckler'', Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung'', zu beziehen über <nowiki>https://www.buch-engel.com/GLOECKLER-MICHAELA-HRSG-Raphael</nowiki>, oder die Medizinische Sektion am Goetheanum.
[2] Siehe dazu Rudolf Steiners Vorträge ''Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt,'' GA 153, Dornach 1997.
== ANTHROPOSOPHISCHE MEDIZIN – EIN INTEGRATIVMEDIZINISCHER ANSATZ ==
''Was unterscheidet integrativmedizinische Ansätze von der vorherrschenden Schulmedizin?''
''Welchen Beitrag könnte er leisten, um das Gesundheitswesen menschlicher zu machen?''
=== ''Gesundheit und Demokratie gemeinsam stärken'' ===
Die Anthroposophische Medizin wurde von dem österreichischen Philosophen ''Rudolf Steiner'' (1861 – 1925) und der holländischen Ärztin ''Ita Wegman'' (1876 – 1943) 1920 in Dornach/Schweiz begründet.<sup>[1]</sup> Sie feiert im Jahr der Corona-Pandemie ihren 100. Geburtstag. Dabei ist interessant, dass Steiner in seinem Begründungskurs von 20 Vorträgen in der Osterzeit 1920<sup>[2]</sup> nicht nur auf die damals noch virulente Spanische Grippe eingeht und das einseitige Ansteckungsmodell zum Verständnis von Infektionskrankheiten kritisch beleuchtet. Am 7. April 1920 warnt er auch in einem eingeschalteten öffentlichen Vortrag vor der Gefahr, dass gesundheitliche und hygienische Fragen der demokratischen Kontrolle entzogen und strikt autoritär von der herrschenden wissenschaftlichen Meinung und Politik entschieden werden.
''„Das Undemokratische dieses Autoritätsglaubens tritt der Sehnsucht nach Demokratie gegenüber (…) Sollte nicht ein stärkeres Demokratisieren, als es heute unter den gegenwärtigen Verhältnissen möglich ist, auf einem solchen Gebiete angestrebt werden können, das so nahe, so unendlich nahe jeden einzelnen Menschen und damit die Menschengemeinschaft angeht, wie die öffentliche Gesundheitspflege?“<sup>'''[3]'''</sup>''
Selbstverständlich geht es Steiner nicht darum, Fach- und Sachautoritäten in Frage zu stellen. Wohl aber die Art und Weise, wie eine bestimmte Hygiene-Auffassung mit Staatsgewalt durchgesetzt wird, ohne dass die Menschen, um deren Gesundheit es ja geht, ein Mitspracherecht haben – zumal es ja nicht nur das naturwissenschaftliche Denkmodell über den Menschen gibt und die damit verbundene Auffassung von Gesundheit und Krankheit. Da schon das Wort Anthroposophie – griechisch: Anthropos/Mensch, Sophia/Weisheit –andeutet, dass es dabei um Menschlichkeit geht, ist klar, dass Steiner auf das Recht des Menschen auf umfassende Selbstbestimmung und Selbstentwicklung verweist und ein Gemeinwesen mündiger Menschen fordert, die wissen, dass sie einander brauchen und für- und miteinander leben.
=== ''Einer Gesundheitsdiktatur entgegenwirken'' ===
Liest man diese Worte jetzt, 100 Jahre später, inmitten der Corona-Krise, so bekommen sie eine fast dramatisch anmutende Aktualität. Zumal wenn man Steiners Sorgen und Fragen mit denen von ''Bill Gates'' vergleicht, die er auf seiner Website der ''Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung'' als seine führende Ansicht geltend macht: Dort spricht er sich für flächendeckende Tests in der Weltbevölkerung aus, für globale Impfstrategien und bei Bedarf für gesundheitliche Totalüberwachung mit Hilfe der Informationstechnologie. Auch betont er, wie Staat und Privatwirtschaft hier zusammenarbeiten müssen, damit das alles effizient ungesetzt werden kann. Damit wird eine moderne Wissenschafts- und Wirtschaftsdiktatur zur realisierbaren Möglichkeit.
Angesichts einer solchen Gefahr betont Steiner, dass das Wirtschaftliche nicht zum „Herrn über das Geistige“ werden darf. Der Gesundheit der Menschen sollte man nicht mit ökonomischer Gesinnung dienen, sondern aus „sozialem Sinn“. So seien etwa zur Erklärung und Bekämpfung z.B. von Typhus noch ganz andere Dinge notwendig als die Ausmerzung von Typhusbazillen. Hängen doch hygienische Fragen eminent mit sozialem Status und Erziehungsfragen zusammen. Steiner sieht die Notwendigkeit des gesundheitsbewussten Patienten, den „mündig gewordenen Menschen“, welcher „dem als einem Gleichen gegen-überstehen (wird), der ihm das oder jenes sagt: dem sachverständigen Mediziner“.<sup>[4]</sup>
Dazu wäre aber eine Schulbildung nötig, die das Fundament dazu legt. Nicht aus Autoritätsglauben sollte der Kranke therapeutische Vorschläge an- und Medikamente einnehmen, sondern wo immer möglich aus Einsicht. Steiners Credo war: Soziale Fragen müssen mit pädagogischen Mitteln angegangen werden und pädagogische Fragen mit einem Schulsystem, das sich an der gesunden Entwicklung der Kinder und Jugendlichen orientiert anstatt an den Leistungsvorgaben aus Wirtschaft und Politik. Daher auch seine Forderung bei der Begründung der Waldorfpädagogik 1919, dass es ein Recht auf Bildung geben müsse bis zum 18. Lebensjahr und erst danach die Vorbereitung auf welchen Schulabschluss auch immer erfolgen solle – je nachdem, was der Jugendliche dann vorhat. Erziehung war für Steiner deshalb Teil der wichtigsten Gesundheitsvorsorge: der Prävention bzw. Präventivmedizin. [5]
=== ''Gesetzmäßigkeiten, die den Menschen ausmachen'' ===
In der Anthroposophischen Medizin werden diese verschiedenen Ebenen, von denen Kränkung oder Schwächung der körperlichen Konstitution ausgehen können, differenziert beschrieben und als physische, ätherische, astralische und Ich-Organisation des Menschen benannt. Diese „Organisationen“ sind komplexe Zusammenhänge von Gesetzmäßigkeiten, die Rudolf Steiner auch als „Wesensglieder“ bezeichnet hat – handelt es sich dabei doch um die zentralen Wesensäußerungen des Menschen als physisch-körperlich, belebt, beseelt und geistbegabt.
Entscheidend ist dabei, dass diese Gesetzeszusammenhänge nicht nur den Körper in seiner Komplexität konstituieren, sondern sich im Verlaufe des Lebens auch durch Wachstum und Entwicklung wieder von der Tätigkeit in der Körperkonstitution emanzipieren können. Sie stehen dann als die Seelenfähigkeiten des Denkens, Fühlens und Wollens zur Verfügung, die den inneren Entwicklungsraum der Seele ausmachen. [6] Eine solche Betrachtung erlaubt es dann auch, das vorgeburtliche und nachtodliche Menschenwesen konkret zu denken. Das ''Gesetz'' des freien Falls, das wirkt, wenn ein Körper zu Boden fällt, kann man auch „nur“ denken, ohne dass gerade etwas fällt. Ebenso kann man sich den Menschen als „ewig“, d.h. in Gedanken, Gefühlen und Absichten lebend vorstellen, als vorgeburtliche nachtodliche Existenz, die nach jedem Erdenleben ihren Erdenkörper ablegt und Rückblick auf ihr Leben und die bisherige Entwicklung hält, um im Sinne des Entwicklungszieles der Menschheit ein weiteres Erdenleben vorzubereiten.
=== ''Ökologisches Bewusstsein durch umfassendes Menschenbild'' ===
Durch diese Sichtweise auf den Menschen wird nicht nur eine integrative Medizin denkbar, die auf der physischen Ebene die Möglichkeiten der Schulmedizin mit einschließt. Vielmehr wird dadurch konkret verständlich, warum die Gesundheit über Lebensstil, Selbsterziehung im Seelischen und geistig-meditative und religiöse Übungen ebenfalls unmittelbar beeinflusst werden kann. Diese Zusammenhänge lassen sich im Einzelnen studieren. Dadurch wird die geistige Realität von Gedanken erlebbar – auch des Gedankens des eigenen Ich. Wer anfängt, bewusst in seinem Denken, Fühlen und Wollen als in einer nichtsinnlichen Welt zu leben, in der sein Wesen „ewig“ beheimatet ist, so wie sein Körper in der vergänglichen Welt, steht mit einer anderen Kraft im Leben, als jemand, dem die geistige Welt verschlossen ist.
Ein spirituelles Menschenbild wie dieses kann aber auch als eine Art Heilmittel empfunden werden gegenüber der Kränkung durch die materialistische Weltanschauung.
''Ist es nicht kränkend, den Menschen zu einem Zufallsprodukt materieller Vorgänge zu erklären?''
''Ihn über seine innere Natur im Ungewissen zu lassen, was begreiflicher Weise Angst und Depression verursacht?''
''Und voll von Hohn und Spott ein geistiges Weiterleben nach dem Tod für Spinnerei oder eine vorwissenschaftliche Glaubenssache zu erklären?''
Wer so denkt, hat es schwer ein ökologisches und empathisches Bewusstsein zu entwickeln, das ist nur zu verständlich.
''Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, <nowiki>ISBN 9 783751 917919</nowiki>''
----[1] Siehe Michaela Glöckler'', Was ist Anthroposophische Medizin?''
[2] Siehe Rudolf Steiner'', Geisteswissenschaft und Medizin. Erster Ärztekurs''. GA 312, Dornach 2020.
[3] Rudolf Steiner, ''Die Hygiene als soziale Frage'', öffentlicher Vortrag, 7. April 1920. In: ''Fachwissenschaften und Anthroposophie,'' GA 73a, Dornach 2005.
[4] Ebd.
[5] Ebd.
[6] Vgl. Rudolf Seiner, Ita Wegmann, ''Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geistes-wissenschaftlichen Erkenntnissen'', GA 27, Dornach 1991, S. 12 f.
== VORBEUGUNG UND BEHANDLUNG VON COVID-19 DURCH ANTHROPOSOPHISCHE MEDIZIN ==
''Welche alternativen Behandlungsmöglichkeiten von COVID-19-Infektionen gibt es?''
''Und wie kann man einer Infektion vorbeugen?''
''Was kann jeder selbst dafür tun?''
=== ''Behandlungskonzept der Anthroposophischen Medizin'' ===
Anthroposophische Medizin versteht sich als Integrativmedizin, die ihre Behandlungsansätze auf allen Ebenen menschlicher Existenz den jeweils individuellen Gegebenheiten anpasst. Bereits am 9. März 2020 stellte die Medizinische Sektion am Goetheanum den ärztlichen Kolleginnen und Kollegen aller Länder ein erstes integratives Behandlungskonzept der Anthroposophischen Medizin vor, das auf Basis der jahrzehntelangen Erfahrung anthroposophischer Kliniken und Ärzte in aller Welt und in enger Kommunikation untereinander bei der Behandlung von Lungenentzündungen ohne bakterielle Ursache entwickelt worden war.[1] Im Laufe des Jahres wurden COVID-19-Patienten aller Krankheitsstadien mit großem Erfolg nach diesen Richtlinien behandelt.
Die anthroposophischen Krankenhäuser in Berlin/Havelhöhe, Herdecke/Ruhr und die Filderklinik bei Stuttgart sind Teil der Regionalversorgung. Berlin/ Havelhöhe hat unmittelbar zu Beginn der Krise eine Corona-Ambulanz eingerichtet,<sup>[2]</sup> und alle Häuser haben ihre intensiv-medizinischen Kapazitäten erweitert. Neben den Möglichkeiten der schulmedizinischen Behandlung kommen dort auch die supportiven Arzneimittel der Anthroposophischen Medizin zum Einsatz, die die Selbstregulation des Körpers unterstützen.
=== ''Bedeutung der Komplementärmedizin bei COVID-19'' ===
Ende März 2020 kam es bei einer WHO-Konferenz, die sich für Behandlungsmöglichkeiten der Komplementärmedizin interessierte, zu einem gegenseitigen Austausch mit chinesischen Kollegen, die damals 91,5 % aller COVID-Patienten ergänzend mit Mitteln der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) behandelt hatten und von einer deutlichen Senkung der Rate schwerer und fataler Krankheitsfälle berichteten. China wie auch die Anthroposophische Medizin hatten die Erfahrung gemacht, dass eine konsequente frühe Behandlung, also bereits in der ersten Krankheitsphase, mit Naturarzneimitteln sehr wirksam und geeignet ist, ein Fortschreiten der Erkrankung bzw. Komplikationen abzuwenden. So können Bitterstoffe die Infektabwehr des Organismus verstärken und die Genesung einleiten, während Antipyretika und Schmerzmittel das Immunsystem schwächen.
In Klinik und ambulanter Praxis kommt der Fieberbehandlung dabei eine zentrale Bedeutung zu. Viren reagieren nicht nur an der Luft empfindlich auf Sonnenlicht und Wärme, sondern auch im Organismus. Der Körper entwickelt deshalb Fieber, um die Viren abzutöten. Dabei sind eine fröhlich-helle Stimmung und liebevolle Versorgung und Begleitung äußerst hilfreich für den Genesungsprozess.<sup>[3]</sup> Fiebersenkende Arzneimittel (Antipyretika) werden nur dann erwogen, wenn die Selbstregulation des Kranken zu schwach ist. Ansonsten wird der Körper mit physikalisch-physiologischen Maßnahmen (z. B. Wadenwickel) in seinem Bestreben, durch Erhöhung des Wärmezustands die Viren zu bekämpfen, positiv unterstützt und das Fieber in gesundenden Grenzen gehalten, aber nicht unnötig gesenkt.
Der anthroposophische Kinderarzt Prof. ''David Martin'' hat die Grundprinzipien einer physiologischen Fieberbehandlung auf seiner Website und in einem Video erläutert und viel dazu beigetragen, die Angst vor dem Fieber zu nehmen. Auch gibt es von ihm zwölf Interviews zu allen Fragen rund um Fieber, Allergie und Immunsystem.<sup>[4]</sup> Wichtig sind aber auch ausreichender Schlaf, gesunde Ernährung und regelmäßige körperliche Bewegung und Spaziergänge an der frischen Luft. Die bisherigen Erfahrungen zur anthroposophischen Behandlung von Atemwegsinfekten finden sich im Vademekum ausführlich dokumentiert.<sup>[5]</sup>
=== ''Behandlungsansätze der Schulmedizin'' ===
Im Gegensatz zur klassischen Lungenentzündung, die antibiotisch behandelt werden kann, hat die Schulmedizin keine spezifischen Medikamente, die die Aktivitäten des Virus stoppen könnten. Es gibt zwar sogenannte antivirale Medikamente – diese sind jedoch nicht Covid-19-spezifisch und haben erhebliche Nebenwirkungen. Daher setzt man bei der Behandlung virusbedingter Erkrankungen auf Impfungen und, so vorhanden, auf Behandlung mit spezifischen Antikörpern, den sogenannten Hyperimmunglobulinen, die die Viren deaktivieren können. Diese werden aus Organismen gewonnen, auch von Menschen, die die Krankheit bereits überwunden haben und durch die Überwindung der Krankheit die entsprechenden Immunglobuline bilden konnten. Diese Behandlungsmöglichkeit wird es wohl in Zukunft vermehrt geben, sie stand im Jahr 2020 aber nicht ausreichend zur Verfügung.
Umso interessanter ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass in China die meisten Krankenhäuser und Patienten in der Krise auf die Traditionelle Chinesische Medizin gesetzt haben,[6] und sich auch in Europa in zahlreichen Fällen die supportiven Therapieverfahren der Homöopathie und Anthroposophischen Medizin bewährt haben. Insofern kann man auf die Auswertungen der Krankengeschichten nach der Krise gespannt sein.
=== ''Immunabwehr durch gesunde Gefühle und Gedanken'' ===
Hauptanliegen der Anthroposophischen Medizin ist es, den Menschen auf allen Ebenen zu stärken und so seine Immunabwehr zu verbessern – als Prävention wie auch als Therapie. Welche Möglichkeiten es neben der medikamentösen Behandlung gibt, möchte ich hier kurz erläutern.
Da die Atemwege bei COVID-19 besonders betroffen sein können, bis hin zur lebensbedrohlichen Pneumonie, ist es besonders wichtig sich bewusst zu machen, wie stark positive Gefühle uns helfen gesund zu bleiben. Unsere Gefühle nehmen sehr stark Einfluss auf die Art und Weise, wie tief oder wie oberflächlich wir atmen, wie regelmäßig und entspannt oder angespannt und stockend. Das kennt jeder aus eigener Erfahrung.
''Wie aber kann man positive Gefühle erzeugen, wenn man Angst vor Ansteckung hat?''
''Wenn man mit Stress und Wut zu kämpfen hat aufgrund der beengten häuslichen Verhältnisse?''
''Wenn man Sorgen hat um Kranke oder alte Familienangehörige, mit denen man nur noch telefonisch Kontakt aufnehmen und die man nicht besuchen kann?''
Da gibt es verschiedene Möglichkeiten: An erster Stelle steht sicher Musik, die man liebt. Hört man sie und kann sich auf sie einlassen, so erlebt man unmittelbar, wie sich die Seelenstimmung, der Gefühlszustand und das Atmungsverhalten ändern. Auch die Besinnung auf Momente im Leben, in denen man dankbar, zufrieden und glücklich war, können einem deutlich machen, dass dies zwar jetzt eine Krise ist, aber sicher auch wieder andere Zeiten kommen werden.
==== '''·'''       Immun-Booster auf seelischer Ebene: Gebet, Meditation, gute Gespräche ====
Hinzu kommen Gebete und Meditationssprüche, die man sich vornehmen kann. Zum Beispiel ein solcher von Rudolf Steiner, der hilft, innere Ruhe wiederherzustellen:
''Ich trage Ruhe in mir,''
''Ich trage ihn mir selbst''
''Die Kräfte die mich stärken.''
''Ich will mich erfüllen''
''Mit dieser Kräfte Wärme,''
''Ich will mich durchdringen''
''Mit meines Willens Macht.''
''Und fühlen will ich''
''wie Ruhe sich ergießt''
''Durch all mein Sein,''
''Wenn ich mich stärke,''
''Die Ruhe als Kraft''
''In mir zu finden''
''Durch meines Strebens Macht.''
Im Zwischenmenschlichen hilft sehr, wenn man bewusster zuhört, was der andere sagen will, und, anstatt sofort zu reagieren, einen Moment überlegt, wie man die Antwort so formuliert, dass sie gut aufgenommen werden kann.
Der Salutogenese-Forscher ''Aaron Antonovsky'' (1923–1994) fand drei Gefühlsqualitäten heraus, die den Menschen innerlich sicher und widerstandsfähig (resilient) machen können.<sup>[7]</sup> Übt man diese im zwischenmenschlichen Dialog zu Hause und am Arbeitsplatz (wenn dies wieder möglich ist), so kann man sich und anderen helfen, freier zu atmen und sich gesünder zu fühlen. Es entsteht ein Gefühl von Kohärenz, wenn man etwas versteht, es als sinnstiftend erlebt und schließlich Freude daran hat es umzusetzen. Dieses dreifache Kohärenzgefühl der ''Verstehbarkeit'', ''Sinnhaftigkeit'' und ''Handhabbarkeit'' spielt im zwischenmenschlichen Bereich eine zentrale Rolle. Sich verstanden zu fühlen tut gut, beim Denken und Tun Sinn zu erleben ebenfalls – und schließlich die Erfahrung zu machen, dass man mithilfe der erworbenen Fähigkeiten helfen kann.
Andersherum ist nichts kränkender, als sich unverstanden, sinnlos und ohnmächtig zu erleben. Es sind eben Gefühle, durch die wir uns mit uns selbst und der Welt im Zusammenhang erleben. Kein Lebewesen könnte ohne den Bezug zur Umwelt überleben. Aus dem Zusammenhang herauszufallen und Isolation zu erleben sind lebensfeindliche und kränkende Umstände, die bis zum Tod führen können, wenn sie zu lange anhalten.
==== '''·'''      Immun-Booster auf geistiger Ebene: gute Gedanken und Motivation ====
Auf geistiger Ebene wirken gute Gedanken und Motivationen immunstimulierend, die auf das Wesentliche gerichtet sind und uns spüren lassen, dass wir nicht nur aus einem physischen Leib bestehen, sondern auch eine dem Denken zugängliche geistige unzerstörbare Identität haben. Jeder kennt die Kraft, die man plötzlich hat, wenn man sich für etwas begeistert. Wenn man ein Ideal hat, für dessen Realisierung man sich einsetzt. Gute Gedanken verbinden die Menschen geistig und erzeugen so eine Verbundenheit, die uns in Zeiten der Isolation geistig stärken können. Wie stark wird es oft von Kranken erlebt, wenn Menschen gute Gedanken schicken!
Eine einfache Überlegung macht deutlich, woher diese „Macht der Gedanken“ kommt: Letztlich wird das Leben, wird unsere Mitwelt – einschließlich der technischen Instrumente, die wir erschaffen – von Gesetzmäßigkeiten bestimmt. Jeder Gesetzmäßigkeit liegt aber ein Gedanke zugrunde. Gedanken sind sozusagen selbst wirkmächtige Gesetzmäßigkeiten.
Auch in der Selbsterziehung ist dies tägliche Erfahrung: Ich entwickle mich in der Richtung, wie ich es mir zunächst einmal gedanklich vornehme und dann übend realisiere. Wer z.B. Ehrlichkeit im täglichen Leben übt, wird irgendwann einmal ein echt ehrlicher Mensch. Und so ist es auch mit dem Glauben und dem Vertrauen: Ich kann nur an etwas glauben, auf etwas vertrauen, was ich denken kann – selbst wenn ich es noch nicht voll verstehe. Im Griechischen werden Glauben und Vertrauen mit demselben Wort ausgedrückt: Pistis. Vertrauen ist das Grundgefühl, das wir dem Denken gegenüber haben. Die beiden gehören zusammen. Denn wir vertrauen unserem Denken bedingungslos, weswegen Gedanken des Zweifels uns so quälen können. Würden wir ihnen keinen Glauben schenken, hätten sie diese Macht nicht über uns. Das ist die Schattenseite.
Die lichtvolle Wirkung von Worten und Gedanken wird am Beispiel des Gebetes, das der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer wenige Monate vor seiner Hinrichtung im Gefängnis niedergeschrieben hat, deutlich. Diese Zeilen sind mittlerweile Bestandteil jeder größeren Gebetssammlung. Eine Strophe daraus möge daran erinnern:
''Von guten Mächten wunderbar geborgen''
''Erwarten wir getrost was kommen mag''
''Gott ist bei uns am Abend und am Morgen''
''Und ganz gewiss an jedem neuen Tag.''
Gedanken und Worte wie diese haben deswegen eine unmittelbar heilsame und Ich-stärkende Wirkung, weil Gedanken nicht nur als Naturgesetze die materielle Welt beherrschen, sondern auch die Brücke schlagen in die unsichtbare göttlich-geistige Welt. Wer sich mit seinem Denken auch hier beheimaten lernt und sich mit Zielen und Idealen identifiziert, die aus dieser Welt stammen, hat sich eine Gesundheitsquelle erschlossen, die nie versiegt.
=== ''Körperliche Gesundheit durch seelische und geistige Immunität'' ===
Letztlich sichert das Immunsystem unsere körperliche Identität. Es wird stärkend beeinflusst durch unsere seelische und geistige Immunität, die durch die Identifikation mit dem entsteht, was uns begeistert und unserem Leben Sinn verleiht. Goethe hat dieses Erlebnis von der Ewigkeit und Unzerstörbarkeit der Gedanken in seinem Gedicht „Vermächtnis“ zum Ausdruck gebracht:
''Kein Wesen kann zu nichts zerfallen!''
''Das Ew`ge regt sich fort in allen!''
''Am Sein erhalte ich beglückt!''
''Das Sein ist ewig; denn Gesetze''
''Bewahren die lebendigen Schätze,''
''Aus welchen sich das All geschmückt.''
Rudolf Steiner hat diese ewigen Werte und Ideale einmal für einen Schüler so formuliert:
''Das Schöne bewundern,''
''Das Wahre behüten,''
''Das Edle verehren,''
''Das Gute beschließen.''
''Es führet den Menschen''
''Im Leben zu Zielen,''
''Im Handeln zum Rechten,''
''Im Fühlen zum Frieden''
''Im Denken zum Licht''
''Und lehrt ihn Vertrauen''
''Auf göttliches Walten''
''In allem, was ist''
''Im Weltenall''
''Im Seelengrund.           ''
''Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, <nowiki>ISBN 9 783751 917919</nowiki>''
----[1] Eine Übersicht kann abgerufen werden unter: <nowiki>https://www.anthromedics.org/PRA-0939-DE#list-sections-4</nowiki>.
[2] Vgl. www.tagesspiegel.de/berlin/neue-coronavirus-ambulanz-in-berlin-spandau-wir-sehen-eine-extreme-verunsicherung-der-bevoelkerung/25622712.html
[3] Vgl. www.tagesspiegel.de/berlin/neue-coronavirus-ambulanz-in-berlin-spandau-wir-sehen-eine-extreme-verunsicherung-der-bevoelkerung/25622712.html
[4] Siehe www.warmuptofever.org , www.youtube.com/watch?v=iVURD9lmteU sowie www.medsektion-goetheanum.org/anthroposophische-medizin/care-praxis-anthroposophische-medizin/umgang-mit-fieber-und-infektionserkrankungen-care-ii/.
[5] ''Vademecum Anthroposophische Arzneimittel'', Supplement ''Der Merkurstab'' 70, Berlin 2017. Für die Selbstbehandlung zu Hause bei leichteren Formen der Infektion kann ich die Publikation von Markus Sommer, ''Grippe und Erkältungskrankheiten natürlich heilen'', Stuttgart 2009, sehr empfehlen.
[6] Z.B. mit dem auch hierzulande immer bekannter werdenden TCM CC08 Shufeng Jiedu 18.15, das wesentlich zum Abklingen der Corona-Welle beigetragen hat.
[7] Aaron Antonovsky, ''Salutogenese '''–''' Zur Entmystifizierung der Gesundheit,'' Tübingen 1997.
== ZUR IMPFFRAGE BEI COVID-19 ==
''Ist eine Impfung gegen COVID-19 empfehlenswert?''
''Wer sollte geimpft werden und wer lieber nicht?''
''Gibt es Kriterien zur Entscheidungsfindung für den ganz normalen Bürger?''
Zu dieser Thematik lasse ich gerne meine Kollegen ''Georg Soldner'''[1]''''' und ''Markus Sommer'''[2]''''' zu Wort kommen – herzlichen Dank für die übersichtliche Zusammenstellung der Fakten:[3]
''„Die Kinderlähmungspandemie ist ein Beispiel für eine erfolgreiche Impfkampagne und kann uns den Wert eines guten Impfstoffes deutlich machen. Viele Viren, etwa das HI-Virus, trotzen hingegen bis heute jedem Versuch einer Impfstoffentwicklung. Bis vor Kurzem galt das auch für Coronaviren, wo seit Jahrzehnten erfolglos an Impfstoffen geforscht wird.''
''Zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie strebt man einen Impfstoff an, der in milliardenfacher Menge hergestellt werden kann. Das ist mit traditionellen Impfstoffen, die auf der Anzüchtung von Viren beruhen, die dann in Teilen (Totimpfstoffe) oder abgeschwächt (Lebendimpfstoffe) angewendet werden, schwer möglich. Andererseits sind solche konventionellen Impfstoffe am ehesten in ihren biologischen Auswirkungen bekannt. Die Nase vorn dürften hier derzeit wiederum chinesische Hersteller haben.''
''Die FAZ berichtet in ihrer Ausgabe vom Donnerstag, 8. Oktober, dass in China bereits eine Million Chinesen mit einem – nach unseren Quellen – inaktivierten Impfstoff einer Phase-III-Studie geimpft worden sind, darunter viele Staatsangestellte. »Offiziell war die Einnahme freiwillig«, berichtet eine Managerin einer Schanghaier Bank der FAZ. Praktisch sei es jedoch kaum möglich gewesen, sich dem Experiment mit dem Impfstoff in der Testphase zu verweigern: »Das würde sicher als Kritikpunkt in der Personalakte vermerkt.« Sinopharm heißt offiziell China National Pharmaceutical Group und arbeitet eng mit dem Wuhan Institute of Biological Products / Wuhan Institute of Virology zusammen. Hier schließt sich der Kreis.''
''Vor allem westliche Firmen forschen an Plattformtechnologien, v.a. mRNA sowie Vektorimpfstoffen, die zentral eine genetische Information in den Körper transportieren, der daraufhin ein Eiweiß, z.B. die Spike-Hülle des Virus, herstellt, die dann als der eigentliche Impfstoff fungiert, gegen den sich nun eine Immunreaktion richten soll. Dabei ist die Herstellung der mRNA selbst billig, ihr Transport in den Organismus aber schwierig. Hier werden entweder Zusatzstoffe mit Nanotechnologie gebraucht oder andere Viren als Träger, sog. Vektoren, wie auch beim umstrittenen russischen Impfstoff. Ein Hauptrisiko dieser Impfstoffe sind unkontrollierte Autoimmunreaktionen, wie sie vereinzelt bereits in laufenden Zulassungsstudien beobachtet wurden.''
''Keine der aktuell laufenden Zulassungsstudien, wie sie jetzt auch in Deutschland zu COVID-19-Impfstoffen durchgeführt werden sollen, untersucht überhaupt die Verminderung von schweren Verläufen, Krankenhausaufenthalten oder Todesfällen. Das jeweilige Studienziel ist bereits mit einer Verringerung PCR-positiver milder Erkrankungen erreicht. Mit anderen Worten: Werden klinisch letztendlich völlig irrelevante leichte Symptome (z. B. nur Husten) mit positivem SARS-CoV-2-PCR-Test (im Studienjargon ist dies ein »Ereignis«) in ausreichendem Maße verringert, gilt der Impfstoff als wirksam!''
''In dem sehr lesenswerten Übersichtsartikel zum Thema von Doshi'''[4]''' gibt dies z. B. der Chief Medical Officer von Moderna, Tal Zaks, auch offen zu. Zum Untersuchen der (letztendlich einzig relevanten) schweren Verläufe fehle den Studien die statistische Aussagekraft: »The trial is precluded from judging [hospital admissions], based on what is a reasonable size and duration to serve the public good here«.''
''Auch wenn zwei Studien Kinder mit einschließen und in allen auch ältere Probanden vertreten sind, wird nach Einschätzung des British Medical Journal deren kleine Zahl in keiner der Studien eine Aussage zur Wirksamkeit in diesen »Randgruppen« erlauben – was speziell bei COVID-19 mit der eindeutigen Risikogruppe Älterer den Wert und die Aussagekraft der Untersuchungen weiter kompromittiert.''
''Paul Offit, einer der renommiertesten Impfspezialisten der Welt, folgert daraus in einem interessanten Interview mit Medscape: »If we don’t have adequate data in the greater than 65 year old group, then the greater than 65 year old person shouldn’t get this vaccine, which would be a shame because they’re the ones who are most likely to die from this infection. [...] You can’t convince minority populations to get this vaccine unless they are represented in these trials. Otherwise, they’re going to feel like they’re guinea pigs, and understandably so.«'''[5]'''''
''Gerade wenn man auf die geplante Durchimpfung des »medizinischen Personals« blickt, ist es kritisch zu sehen, dass die Frage, ob eine Weiterverbreitung der Infektion durch die Impfung unterbunden oder zumindest verringert wird, gar nicht erst untersucht wird. Wir kennen es auch von anderen Impfungen (z. B. Pertussis), dass eine Impfung sehr wenig gegen die Verbreitung einer Erkrankung beiträgt, wenn sie nicht die Weiterverbreitung des Erregers durch Geimpfte unterbindet.''
''Um zu beweisen, dass eine Gesundheitsstörung, die in der Bevölkerung normalerweise einen von zehntausend Menschen betrifft, nach der Impfung doppelt so häufig auftritt, bräuchte es Studien von 360.000 Teilnehmern mit entsprechend langer Laufzeit. Arzneimittelexperten der Universität Harvard schließen daher folgerichtig: »Finding severe rare adverse events will require the study of tens of thousands of patients, but this requirement will not be met by early adoption of a product that has not completed its full trial evaluation.«'''[6]'''''
''Genau dies: Die Zulassung vor dem Vollenden der vollständigen Studienauswertung wird derzeit aber durch das sog. Rolling-Review-Verfahren der europäischen Arzneimittelbehörde EMA möglich.''
=== ''Zusammenfassung'' ===
''Bisher ist die Wirksamkeit dieser Impfstoffe unbekannt, vor allem bezogen auf die gefährdete Gruppe hochbetagter Menschen. Gerade bei ihnen ist gar nicht sicher, dass Impfstoffe, die an jungen Gesunden getestet werden, überhaupt ansprechen. Wir kennen das Problem vom Grippeimpfstoff, der in mancher Saison gerade mal jeden Fünften oder noch weniger der geimpften Personen vor einer Ansteckung schützt und in den letzten Jahren trotz massiver Werbung wenig bis nichts an den winterlichen Grippewellen verändert hat, wenn wir auf die Schwerkranken und Todesfälle blicken. Die Influenza ist insofern ein gutes Beispiel dafür, dass ein Impfstoff keineswegs so wirksam sein muss wie die Impfung gegen Masern oder Polio und damit auch keine Pandemiekontrolle versprechen kann. Das gilt ganz besonders für Coronaviren. Hinsichtlich der Nebenwirkung zeigen schon die bisher bekannt gewordenen Daten, dass gerade die Impfstoffe mit ganz neuen Technologien nicht gerade zu den gut verträglichen gehören werden. Verdächtigerweise werden sie gerne vergleichend mit bekanntermaßen nebenwirkungsreichen Impfstoffen getestet, nicht mit sog. Placebos. Es ist zu erwarten, dass diese Impfstoffe eingesetzt werden, ohne dass das Ausmaß möglicherweise schwerwiegender Nebenwirkungen bekannt sein wird.''
''Damit ist es zurzeit völlig unklar, welchen Beitrag die Impfung in dieser Pandemie leisten kann, aber es wird sicherlich ein begrenzter sein.“''
''Michaela Glöckler, zusammengefasst und zitiert aus: Georg Soldner, Markus Sommer, „Ökologie und Pandemie. Was lernen wir an COVID-19?“ Rundbrief Medizinisches Seminar Bad Boll am7. November 2020''
----[1] Georg Soldner ist Arzt, Autor, stellv. Leiter der Medizinischen Sektion am Goetheanum.
[2] Markus Sommer ist Autor zahlreicher Beiträge in Zeitschriften und Bücher zum Krankheits- und Heilmittelverständnis. Er ist Mitherausgeber des Vademecum Anthroposophische Arzneimittel und arbeitet für das Bundesamt für Arzneimittel.
[3] Aus: Georg Soldner, Markus Sommer, ''„Ökologie und Pandemie. Was lernen wir an COVID-19?“ Rundbrief Medizinisches Seminar Bad Boll am7. November 2020, kann als PDF heruntergeladen werden.''
[4]  Doshi, Peter: ''Will covid-19 vaccines save lives? Current trials aren’t designed to tellus'', BMJ 2020; 371, DOI: <nowiki>https://doi.org/10.1136/bmj.m4037</nowiki>.
[5] Topol, Eric J.: ''For COVID-19'' Vaccines, ACIP Will Be a Critical Gatekeeper, <nowiki>https://www.medscape.com/viewarticle/938494</nowiki>.
[6] Avorn, Jerry et al.: ''Regulatory Decision-making on COVID-19 Vaccines During a Public Health Emergency'', JAMA 2020;324(13):1284-1285, DOI:10.1001/jama.2020.17101.
== FRAGEN AN DEN GESUNDEN MENSCHENVERSTAND ==
''An welche Instanz kann appelliert werden angesichts der widersprüchlichen Meinungen und Informationen, die die Flut der täglichen Nachrichten aus Medien und Internet präsentieren?''
''Ist der sogenannte gesunde Menschenverstand in dieser Lage zur Ohnmacht verdammt?''
''Sind wir zur Abhängigkeit von den jeweils neusten Erkenntnissen der Wissenschaft und ihren Widersprüchlichkeiten verdammt?''
=== ''Es betrifft uns alle'' ===
''„Diese Pandemie verletzt Interessen, berührt Biographien, gefährdet Existenzen. Es gibt in diesen Tagen keine unschuldigen Beschlüsse“'' – so Gabor Steingart in seinem Morgenbriefing vom 19.11.20. Das war am Tag nach der Verabschiedung der 3. Novelle des Infektionsschutzgesetzes der Bundesregierung mit 415 Ja-Stimmen, 236 Nein-Stimmen und 8 Enthaltungen, die die Grund- und Freiheitsrechte des Einzelnen gravierend einschränken. Ungezählte Existenzen sind gefährdet, international nehmen Hunger und Armut unerträgliche Ausmaße an, die Flüchtlingskrise verschärft sich weiter, Angst und Aggression sind allgegenwärtig. Täglich hören wir aus den Medien von den neuen Ansteckungszahlen und der Gefahr, dass selbst wenn genügend Intensivbetten da sind unter Umständen die Pflegekräfte fehlen, die für die Betreuung nötig sind.
Die Gesellschaft polarisiert sich zunehmend bis in Familien, Kollegien und Arbeitszusammenhänge hinein. Gespräche zwischen „Panikmachern“ und „Covidioten“ sind kaum möglich, da letztere immer öfter als Rechtsradikale oder Verschwörungstheoretiker dargestellt werden. Dabei möchte der Großteil nur verstehen, was passiert und unterschiedliche Gesichtspunkte miteinander austauschen.
=== ''Was wir uns alle fragen sollten'' ===
''Wie kann hier eine Vermittlung gelingen?''
''Wo stehe ich denn selbst?''
''Wie kann ich meine eigene Urteilsfähigkeit nicht nur bewahren, sondern weiter ausbilden angesichts der medialen Verlautbarungen und manch kritischer Stimme aus dem Kreis engagierter Mediziner und Zeitgenossen, die es wagen sich gegenläufig zu äußern?''
''Was sagt meine Gewissensstimme dazu?''
''Wie gewinne ich meinen Lebensoptimismus, mein Selbstvertrauen zurück?''
''Wo sind die Quellen des Mutes, der seelischen Gesundheit und der Zuversicht verortet?''
''Wie kann ich meine Gesundheitspotenziale entfalten und konstruktiv an den komplexen Folgeerscheinungen der Pandemie mitarbeiten?''
Immer mehr Menschen fragen sich, wie die Menschheit all dieser Bedrohungen Herr werden kann, und wie sie wohl in zehn Jahren leben werden:
''Etwa in einem globalen Überwachungsstaat, in dem man Sicherheit mehr schätzt als das Risiko eines Lebens in Freiheit?''
''Werden wir es schaffen, die modernen Technologien in den Dienst kultureller Weiterentwicklung zu stellen oder werden wir uns zunehmend in Abhängigkeit von diesen Technologien befinden?''
In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung vom 2. November 2020 sagte der Literatur-Nobelpreisträger ''Mario Vargas Llosa'': ''„Der Grat zwischen vernünftigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und Machtanmaßungen der Politik ist naturgemäß sehr schmal … Und wenn wir die Freiheit verlieren, verlieren wir auf die Dauer alles. Ohne sie ist alles nichts.“''
''Was sagt unser Herz zu alldem, welche Botschaft hat unsere Gewissensstimme?''
''Und gibt es überhaupt so etwas wie gesunden Menschenverstand?''
''Gibt es auch einen „medizinischen“ gesunden Menschenverstand?''
''Was zeichnet gesunden Menschenverstand aus?''
''Woran erkennt man und wie schult man gesunden Menschenverstand?''
=== ''Gedankenfreiheit nützen lernen'' ===
Um diese Fragen zu beantworten, möchte ich etwas ausholen: Wenn ich etwas nur denke, bin ich vollkommen frei, weil ich diesen Gedanken jederzeit wieder verwerfen kann. Bevor ich einen neuen Gedanken jedoch verwerfe, denke ich ihn durch, setze ihn in Beziehung zu mir bekannten Einsichten und Lebenserfahrungen und prüfe, ob er für mich Sinn macht und daher innerlich evident ist, ob er mein bisheriges Wissen ergänzt und bereichert. Erst dann entscheide ich, ob ich diesen Gedanken weiterverfolge oder nicht.
Dieses Prüfverfahren der inneren Evidenz mithilfe des eigenen Denkens und Beobachtens hat der naturwissenschaftlichen Forschung gegenüber einen Vorzug: Man braucht keine großen Summen an Geld, wie es für die Vorbereitung, Planung und Durchführung einer Studie der Fall ist, muss auch nicht lange warten, bis sich erste Ergebnisse zeigen, sondern kann – wenn einem ein guter Gedanke einleuchtet – unmittelbar danach handeln und beobachten, ob er sich bewährt. Dann zeigt die Lebensrealität, ob er sich als hilfreich und stimmig erweist oder nicht. D h. man steht mit selbständigem Denken im Leben und nicht im Labor. Die Instanz in uns, die uns erlaubt, wirklichkeitsgemäß zu denken und Dinge zu beurteilen, nennen wir gesunden Menschenverstand. Rudolf Steiner appellierte bezüglich seiner geistigen Einsichten und Forschungsergebnisse – der Anthroposophie – immer wieder an den sogenannten gesunden Menschenverstand. Nicht jeder sei in der Lage, durch eigene geistige Schulung nachzuprüfen, wie stimmig seine Forschungsergebnisse sind. Jeder aber könne anhand seiner eigenen Lebenserfahrung überprüfen, ob seine Forschungen Sinn machen oder nicht, ob sie das eigene Selbstverständnis und Weltbegreifen fördern oder behindern.
''„Wer sie [die Ergebnisse seiner Forschung] richtig anwendet, dem werden sie sich im Leben dadurch beweisen, dass sie dieses gesund und stark machen. Er wird gerade dadurch, dass sie sich in der Praxis bewähren, ersehen, dass sie wahr sind, und dadurch muss er sie besser bewiesen finden, als durch alle ‚logischen‘ und sogenannten ‚wissenschaftlichen Gründe‘. Die geistigen Wahrheiten erkennt man am besten an ihren Früchten, nicht durch einen angeblich noch so wissenschaftlichen Beweis.“'''[1]'''''
=== ''Plädoyer für den gesunden Menschenverstand'' ===
Der sogenannte gesunde Menschenverstand lebt vom Interesse an der Wahrheitsfindung und von der Liebe zum Leben. Denn Fakten sind das eine, Interpretationen derselben und die Konsequenzen für die Lebenswirklichkeit das andere. Ein prominentes Beispiel ist der PCR Test. Auf ihm und seiner Aussagekraft beruht die gesamte Strategie zur Nachverfolgung von Infektionen und damit alle Konsequenzen der Lockdowns.
''Zeigen aber nicht gerade die im November 2020 täglich vom Robert-Koch-Institut veröffentlichten Infektionsdaten, dass etwa 80 % der positiv Getesteten keine Symptome entwickeln und daher nicht ansteckend sind?''
Positiv Getestete müssen nur aus der Restwahrscheinlichkeit heraus, dass sie vielleicht innerhalb von fünf Tagen nach Ansteckung doch noch Symptome entwickeln könnten, in Quarantäne. Da liegt doch dem gesunden Menschenverstand die Frage nahe:
''Wenn 80 % der positiv Getesteten gesund sind und unter den etwa 20 %, die Symptome haben, nur wenige schwer erkranken und davon wiederum nur wenige sterben – und dies zumeist auf der Basis von Vorerkrankungen oder weil sie schon höheren Alters sind – wie groß ist dann das Risiko, dass ich selber erkranken werde?''
''Ist dieses Krankheitsrisiko größer oder kleiner als sonst in meinem Leben?''
Der Schluss liegt nahe, dass es vielmehr die von Politik und Medien geschürte Panik ist u.a. durch die Berichterstattung über grauenvolle Einzelfälle, die uns Angst einjagt und uns wünschen lässt, lieber auf Nummer sicher zu gehen. Deshalb ist es wichtiger denn je zu erkennen, dass die Fakten das eine sind, die Art, wie ich sie interpretiere, das andere. Eins folgt nicht zwingend aus dem anderen.
Das gilt auch für exponentielle Berechnungen. Man weiß, dass ein Säugling in 5 Monaten sein Geburtsgewicht verdoppelt. Es wäre aber nicht lebensgemäß die Frage zu stellen, wie schwer das Kind in drei Jahren sein wird. Ausrechnen kann ich das natürlich – es stimmt aber mit der Lebenswirklichkeit nicht überein. Man kann ohne Weiteres faktenbasiert und logisch denken und rechnen und dennoch angesichts der Lebenswirklichkeit falsch liegen.
Gesunder Menschenverstand entwickelt sich jedoch am Leben für das Leben. Auf ihn zurückzugreifen ist deshalb wichtiger denn je, denn er wurzelt in der Lebensrealität und betrachtet Fakten nie isoliert, sondern immer in einem Kontext auch der eigenen Lebenserfahrungen. Gesunder Menschenverstand hilft uns den Blick für die eigene Lebensrealität zu bewahren, im Auge zu behalten, worauf es als Mensch unter Menschen ankommt. Dadurch entsteht innere Sicherheit, die Mut zur eigenen Sichtweise macht, selbst wenn man damit den Mainstream verlassen muss. Aus dieser Sicherheit heraus werden wir im sozialen Miteinander situativ wissen, wie wir menschlich miteinander umgehen können trotz der immer unmenschlicheren Maßnahmen.
''Vgl. M. Glöckler (Hrsg.), Th. Hardtmuth, Ch. Hueck, A. Neider (Hrsg.), H. Ramm, B. Ruf, „Corona und das Rätsel der Immunität. Ermutigende Gedanken, wissenschaftliche Einsichten und soziale Ideen zur Überwindung der Corona-Krise“, 2020 Akanthos Akademie e.V., Stuttgart''
----[1] Rudolf Steiner: ''Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft''. In: ''Lucifer-Gnosis'' 1903-1908. GA 34. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1987, S. 34 f.
== GESUNDER MENSCHENVERSTAND IM UMGANG MIT COVID-19 ==
Im Folgenden einige Situationen, die helfen können, die konkrete Gefahr besser einzuschätzen und lebensgemäßer damit umzugehen.
=== 1.     Umgang mit Maskenpflicht im Unterricht ===
Eine Lehrerin bespricht mit ihren Kolleginnen sowie den Eltern ihrer Klasse und selbstverständlich auch mit den Schülerinnen und Schülern die lebensrealen Risiken, die durch das Tragen von Masken im Klassenzimmer entstehen. Denn auch beim besten Lüften atmen alle am Unterricht Beteiligten dieselbe Luft ein und aus, die mit einem gewissen Maß an Viren (nicht nur Coronaviren!) belastet ist. Auch wenn grobe Tröpfchen durch die Masken wirkungsvoll abgehalten werden können, entweichen doch feine Aerosole durch die Luftlöcher am Rande der Maske, wo die Luft rascher entweicht als durch den Stoff. Das kann jeder selber nachprüfen bei seiner Maske.
Es ist also unbestritten, dass durch die Maske die Viruslast geringer wird, dass jedoch nicht verhindert werden kann, im gemeinsamen Luftaustausch zu sein, noch dazu, wenn man wie in einer Familie täglich mit denselben Menschen zusammen ist. Man bildet dadurch ein sogenanntes Cluster oder salopp gesagt, eine Virusgemeinschaft.
Man könnte doch verabreden, das Restrisiko gemeinsam zu tragen, einen normalen Unterricht zu machen und die Maskenpflicht an der Tür zum Klassenzimmer enden zu lassen. Das geht jedoch nur, wenn alle Beteiligten einverstanden sind. Und man könnte das dann auch mit den örtlichen Behörden besprechen und sogar wissenschaftlich begleiten, indem man einen Vergleich zieht mit anderen Schulklassen, in denen die Maskenpflicht eingehalten und auf das Singen verzichtet wird. Man könnte zudem den Nutzen eines entspannten, herzlichen und normalen Unterrichtsgeschehen dem möglichen Schaden gegenüberstellen, dass im Fall eines positiv getesteten Kindes die ganze Klasse für mindestens fünf wenn nicht gar zehn Tage in Quarantäne muss.
''Was spricht gegen eine auf diese Weise „kontrollierte Freiheit“, noch dazu angesichts der Tatsache, dass Kinder selten Erwachsene anstecken und ihre Symptome in der Regel milde sind und Lungenentzündungen bisher nicht vorkamen?''
Solch ein an die Lebenswirklichkeit angepasstes Vorgehen hätte zudem den Vorteil, dass man miteinander spricht, sich gegenseitig ernst nimmt und Entscheidungen trifft, die für alle Beteiligten stimmen. In Kombination mit mehr Information über Resilienz-Faktoren und Strategien zur Stärkung des Immunsystems würde diese Lösung zudem die Angst massiv eindämmen helfen.
=== 2.     Bei Uneinigkeit in Bezug auf die Maskenpflicht ===
Eine Waldorf Erzieherin wird von den Eltern bestürmt, dass sie im Kindergarten ohne Maske ganz normal mit den Kleinen den Alltag gestalten soll. Ein Elternpaar, das die Maskenpflicht befürwortet, droht die Einrichtung anzuzeigen. Man kommt in gegenseitigem Einverständnis überein, dass dieses Elternpaar sein Kind abmeldet und in einem anderen Kindergarten in der Nähe anmeldet. Die Situation ist gerettet, der gesunde Menschenverstand hatte eine Chance, indem man den verschiedenen Lebensbedürfnissen gerecht werden konnte.
=== 3.     Ein zweiter Blick auf die Übersterblichkeit ===
''Stephan Seiler'' berichtet am 18.11. im Newsletter von Corona Transition: «Außergewöhnlich hohe Übersterblichkeit in der Schweiz.» So die Überschrift des Tagesanzeigers vom 17. November. Die Zahl der Todesfälle der über 65-Jährigen sei – vom 2. bis 8. November (Woche 45) gegenüber dem langjährigen Erwartungswert gerechnet – dramatisch gestiegen. Auch Swissinfo, der internationale Dienst der Schweizer Radio- und Fernsehgesellschaft titelte: «Zweite COVID-Welle führt zu hoher Übersterblichkeit».
Seiler schreibt dazu: ''„Ich wollte es genauer wissen und rechnete die Daten des Bundesamtes für Statistik (BFS) durch. Ergebnis: In der Woche 45 des laufenden Jahres starben tatsächlich 507 Menschen mehr als im Durchschnitt der letzten fünf Jahre – immerhin eine Steigerung von 36 Prozent. Aber – und das ist sehr wichtig – solche Schwankungen auf Wochenbasis sind normal und alles andere als repräsentativ. Vergleicht man die Zahlen von Sterbefällen der über 65-Jährigen in der Woche 41 des laufenden Jahres mit denen der fünf Vorjahre, sieht es schon ganz anders aus: 59 Sterbefälle mehr in diesem Jahr, das ist ein Plus von 5,2 Prozent gegenüber dem Fünfjahresdurchschnitt und damit rund siebenmal weniger als in der vom Tagesanzeiger und Swissinfo gewählten Woche 45. In der Woche 35 gab es in diesem Jahr sogar 105 Verstorbene weniger als im Durchschnitt der letzten fünf Jahre.“''
=== 4.     Unterschied zwischen Denunziation und Anzeigepflicht ===
Eine Religionslehrerin schreibt mir eine Episode aus dem Religionsunterricht: 28 Fünftklässler sitzen vor ihr. Sie fragt die Kinder im Gespräch: ''Würdet ihr euren Nachbarn anzeigen, wenn ihr seht, dass sich dort mehr als 2 Familien treffen?'' (Der zweite Lockdown in Deutschland war gerade voll im Gang) 27 Kinder antworten: Ja, das muss man den Behörden anzeigen. Nur ein Kind sagt „nein“.
''Welche der Antworten ist lebensfreundlicher und damit lebensgemäßer?''
''Für welche Antwort braucht es mehr Mut und Authentizität?''
Sicher fühlen sich die 27 Kinder im Recht. Wenn man aber nicht weiß, warum sich beim Nachbarn nicht nur zwei Familien getroffen haben, kann man nicht beurteilen, ob hier nicht eine Ausnahme von der Regel nötig war. Man urteilt nur nach Zahl und Gesetz und verliert die individuell-menschliche Situation aus den Augen. Anhand einer solchen Situation lassen sich wertvolle Gespräche über den Unterschied zwischen Denunziation und Anzeigepflicht führen.
=== 5.     Nicht jeder Corona-Tote hatte Corona ===
Eine Arzt-Kollegin erzählte mir, dass sie eine Verwandte wegen Herzinfarkt auf der Intensivstation besucht und dann die Angehörigen mit begleitet hat. Die Patientin starb kurz darauf. Es war verabredet, dass die Familie den Sarg abholen kann. Doch dann kam ganz kurzfristig die Nachricht, dass der Sarg wegen Corona nicht herausgegeben wird. Sie kontaktierte daraufhin im Auftrag der Familie die verantwortlichen Kollegen auf der Intensivstation und fragte nach dem Grund: Es stellte sich heraus, dass obwohl der Corona-PCR-Test zweimal negativ gewesen war, man sie jedoch auf dem Totenschein als Corona-positiv markiert hatte. Aufgrund dieser Tatsache und der fachlichen Diskussion unter Kollegen war es dann doch möglich den Sarg abzuholen. Es blieb aber die Diagnose auf dem Papier bestehen: Tod nach Herzinfarkt mit COVID-19. Vermutlich ging es hier um den Abrechnungsmodus. Man bekommt mehr Geld für die intensivmedizinische Behandlung eines COVID-19-Patienten. Meine Kollegin sagte mir nach dieser Episode: Das hat mich gelehrt, auch die Zahlen, die von den Intensivstationen gemeldet werden, mit Vorsicht entgegenzunehmen. Einfach nur glauben kann ich sie nicht mehr. Recht und Gesetz sind das eine, die Lebenswirklichkeit das andere.
=== ''Wie sich gesunder Menschenverstand bildet'' ===
An angeführten Beispielen kann man erkennen, dass gesunder Menschenverstand nicht auf Bequemlichkeit, Oberflächlichkeit und Sicherheitsdenken beruht, sondern einhergeht mit der Entwicklung von persönlicher Initiative, Selbstwirksamkeit, echtem Interesse und Freiheitsbewusstsein. Dass jedoch Freiheitsdenken, Mut und Risikobereitschaft nicht ins Chaos führen, ist die zentrale Erziehungsfrage unserer Zeit. Die gegenwärtigen Schul- und Bildungssysteme entsprechen dieser moralischen Herausforderung nicht. Sie fördern vielmehr durch ihre einseitige Leistungsorientierung und Testkultur Anpassung und Absicherungsdenken. Und sie korrumpieren durch das ständige Verglichen-Werden mit „besseren“ und „schlechteren“ Schüler*innen die Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins. Die „besseren“ werden überheblich, die „schlechteren“ deprimiert.
Ein gesundes Selbstbewusstsein braucht als Grundbedingung für seine Entwicklung jedoch, dass jedes Kind nur mit sich selbst verglichen wird und Freude am eigenen Fortschritt erlebt. Und es braucht die Begleitung von Pädagog*innen, die ihm helfen aus seinen Fehlern zu lernen. Dann kann sich sowohl ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln als auch Toleranz für das Fehlverhalten anderer. Ethik und Wertebewusstsein kann man nicht lehren – man muss sie von klein auf erleben und üben dürfen, wenn sie zu Charakterzügen werden sollen.[1]
'''Fazit:''' Gesunder Menschenverstand behält die Lebensrealität im Blick. Er lässt uns wach bleiben und das, was man liest, hört, sieht und täglich erlebt, ernst nehmen, aber auch hinterfragen, wenn einem etwas merkwürdig vorkommt. Je mehr Menschen dies tun und den Mut aufbringen, Fragen und Rückschlüsse ihres gesunden Menschenverstandes anderen mitzuteilen, umso weniger Angst und Sorge muss man vor der Totalüberwachung haben, die gegenwärtig im Namen von Schutz- und Sicherheit von den Politikern propagiert und von der Mehrheit der Bevölkerung aus Angst vor Ansteckung begrüßt wird. Im anvisierten voll digitalisierten Alltag, in dem es unter vielem anderen kein Bargeld mehr geben wird, darf das Bewusstsein nicht schwinden, dass hier Privatheit ein Fremdwort sein wird. Dafür gewinnen Politik und Wirtschaft enorm an Macht und profitieren von der Datenflut, die wir dann – und zum Teil auch jetzt schon – durch unser Alltagsverhalten produzieren.
''Vgl. M. Glöckler (Hrsg.), Th. Hardtmuth, Ch. Hueck, A. Neider (Hrsg.), H. Ramm, B. Ruf, „Corona und das Rätsel der Immunität. Ermutigende Gedanken, wissenschaftliche Einsichten und soziale Ideen zur Überwindung der Corona-Krise“, 2020 Akanthos Akademie e.V., Stuttgart''
----[1] Vgl. Michaela Glöckler: Kita, Kindergarten und Schule als Orte gesunder Entwicklung, Stuttgart 2. Auflage 2020.
== AUTONOMIE, HERZ UND GEWISSEN ==
''Was bedeutet es, dem eigenen Gewissen zu folgen?''
''Welcher Instanz gehorcht unser Gewissen?''
''Wo ist der Sitz der Gewissensstimme?''
Diese Fragen sind aktueller denn je. Denn so wie ein Arzt in letzter Instanz – per Berufsrecht – nur seinem Gewissen verantwortlich ist, so können wir alle gerade in Zeiten wie diesen üben, unserem Gewissen zu folgen. Bereits der Entschluss, sich in letzter Instanz nicht vor Staat, Kirche oder Wissenschaft zu verantworten, sondern vor seinem wahren Ich, seiner innersten Gewissensstimme, regt selbständiges Denken an, macht Mut, stärkt das Herz und damit auch das Immunsystem. Selbstverständlich nimmt man angesichts der Corona-Pandemie Rücksicht auf Bestimmungen, Sorgen und Ängste im eigenen Umfeld. Man weiß sich aber innerlich sicher – im Sinne der fünf Tore zu Krankheit und Gesundung – dass die Entscheidung über Tod und Leben nicht von behördlichen Bestimmungen abhängt, sondern tief im eigenen Schicksal begründet ist, und dass die Entwicklung mit dem Tod nicht aufhört.
Aus solch einer inneren Sicherheit und Lebenshaltung heraus kann man die Balance herstellen zwischen akzeptablen Bestimmungen, die tatsächlich dem Lebensschutz dienen, und absurden Bestimmungen, die zum Selbstzweck werden, lebensfremd sind und die Freiheitsrechte demokratischer Systeme untergraben. Sicherheit höher zu stellen als Freiheit gehorcht der Logik von Materialismus und Machtoptimierung. Sich einzugestehen, dass das einzig Sichere im Leben der Tod ist, lässt uns die kostbare Lebenszeit, jeden einzelnen Augenblick schätzen.
=== ''Das Herz als Sitz des Gewissens'' ===
Auch wenn man sich gedanklich klarmacht, was das Gewissen sagt, so erklingt die Gewissensstimme doch im Herzen. Das Herz kann sich dabei wie verkrampft oder ganz leicht und entspannt anfühlen. Es reagiert unmittelbar auf die Art und Weise, wie wir uns fühlen, ja es ist Zentrum unseres Gefühlslebens. Unser Gefühl atmet zwischen innen und außen, d.h. es wird bestimmt von den Eindrücken dessen, was in der Welt vorgeht, aber auch von den Sehnsüchten, die in unserem Inneren leben: Dazu gehört die Sehnsucht nach Gesundheit, nach der Erfüllung von Wünschen, dazu gehören Hoffnungen auf das Erreichen selbst gesteckter Ziele, aber auch die Sehnsucht nach Identität und Geborgenheit, nach einer neuen Unschuld, nach Reinheit, nach Liebe, Vertrauen, Hoffnung, Zuversicht und Wahrheit, ja letztlich nach Verwandlung und Vollkommenheit. Hier entspringt auch unsere Sehnsucht, zu neuen Ufern aufzubrechen, Vergangenes hinter uns zu lassen, uns zu ändern, Neues anzupacken oder auch Gewesenes mit neuen Augen anzuschauen und zu verarbeiten.
Das Herz ist ein Organ, das sich in ständigem Wechsel öffnet und verschließt. Auch unser Gefühlsleben braucht diesen Rhythmus von Sich-Öffnen und Wieder-Verschließen: sich der Herausforderungen und Probleme dieser Welt gewahr zu werden, und sich dann wieder klar auf die eigenen Möglichkeiten zur Lösung beizutragen zu besinnen.
·      So entspricht die Fähigkeit des Herzens sich zu öffnen dem Sich-Öffnen gegenüber den Inspirationen der Gewissensstimme.
·      Das Sich-auf-sich-selbst-Besinnen hingegen hängt mit der aktuellen Gefühlssituation, mit den eigenen Wünschen, Hoffnungen und Sehnsüchten zusammen.
Wenn Menschen ihrem Gewissen folgen und den Mut haben auch unpopuläre Wahrheiten auszusprechen, ohne Angst vor Stigmatisierung oder Ausgrenzung, stärkt dies nicht nur das Immunsystem, sondern auch das Vertrauen in die Zukunft.
=== ''Drei Gewissensstimmen unterscheiden lernen'' ===
Wenn wir genau lauschen, können wir drei Gewissensstimmen unterscheiden. Zwei der Stimmen drängen sich geradezu auf und konkurrieren manchmal auch miteinander: Die eine bestätigt uns, rechtfertigt unsere Vorhaben als das sogenannte „gute Gewissen“. Die andere geht mit Zweifeln und Schuldgefühlen einher, die an unserer Seele nagen und schlechte Gefühle hervorrufen – das „schlechte Gewissen“. Beide Stimmen sollten erst geprüft werden, bevor wir ihnen „glauben“ oder gar unüberlegt Folge leisten. Zumal die alltägliche Erfahrung zeigt, dass offenbar die männliche Konstitution mehr dazu neigt ein gutes Gewissen zu haben, wohingegen Frauen eher die Schuld bei sich suchen und zu einem schlechten Gewissen neigen. Hat man zum Beispiel in einer Mann-Frau-Partnerschaft gemeinsam etwas erlebt, was auf diese Weise unterschiedlich nachklingt in der Seele, ist es äußerst hilfreich, sich darüber zu unterhalten und durch bewusstes Abwägen der Wahrheit näher zu kommen.
Das notorisch gute Gewissen verführt dazu, in der Entwicklung stehenzubleiben und sich – egal, was geschieht – selbst zu bestätigen. Das führt früher oder später dazu, dass man als sozial schwierig empfunden wird. Das notorisch schlechte Gewissen hingegen führt auch in eine Sackgasse der Entwicklung: in Missstimmung, Selbstzweifel und Depression. Wenn man nicht aufpasst, gerät man dadurch leicht in Abhängigkeit von Freunden und Bekannten, die zu raten und zu helfen versuchen, oder auch von therapeutischen oder geistlichen Autoritäten, die professionelle Hilfe geben wollen.
''Wie aber erkennt man die Wahrheit?''
''Wie wird man dem Leben gerecht, wie fördert man Autonomie, Gesundheit und Wahrhaftigkeit in und um sich?''
Die Antwort ist einfach: indem man an der eigenen Urteilsfähigkeit arbeitet. Dazu gehört die beiden Gewissensstimmen, die eigenartigerweise wie von selbst zu einem sprechen, zwar zu hören, ihren Wahrheitsgehalt aber sorgfältig abzuwägen und zu prüfen, bevor man ihnen blindlings folgt.
=== ''Das Gewissen bewusst befragen'' ===
Die dritte Gewissensstimme spricht nur, wenn man sein Gewissen bewusst befragt:
''Was kann ich aus dieser Situation lernen?  ''
''Wie kann ich, sollte ich in eine ähnliche Situation kommen, meine Sache besser machen?''
''Wie kann ich offener werden?''
''Wie lerne ich intensiver zuzuhören, entschiedener abzulehnen, weniger zu zaudern?''
Geht man mit Fragen dieser Art regelmäßig um, indem man sie in schwierigen Situationen, in denen man nicht ein noch aus weiß, wiederholt mit in die Nacht nimmt, bekommt man tatsächlich Antworten – nicht unbedingt am nächsten Morgen, eher irgendwann am Tag, wenn man es nicht erwartet. Diese dritte Stimme unterscheidet sich von den beiden anderen dadurch, dass sie uns vollkommen frei lässt.
Rudolf Steiner betont in seinen christologischen Vorträgen immer wieder, wie gut und richtig es ist, dass es keine naturwissenschaftlichen Beweise dafür gibt, dass der Christus-Jesus auf der Erde gelebt hat, geschweige denn dafür, dass er vom Kreuzestod auferstanden ist:
''„Gerade mit Bezug auf das Christus-Ereignis muss in unserem Zeitalter verstanden werden, dass man zu dem Christus nur hinkommen kann auf geistige Art. Niemals wird man ihn in Wirklichkeit auf äußere Art finden. Man kann es sich sagen lassen, dass er existiert, aber wirklich finden kann man den Christus nur auf geistige Art. Das ist wichtig zu bedenken, dass in dem Christus-Ereignis ein Ereignis da ist, über das alle diejenigen im Missverständnis leben müssen, die keine geistige Erkenntnis zulassen wollen.“'''[1]'''''
=== ''Die christliche Gewissensstimme'' ===
Wer erkennt, dass er in der Gewissensstimme schon eine Möglichkeit hat, geistige Erkenntnisse zuzulassen, der kann auf diesem Wege auch ganz konkret die Christus-Nähe erleben: die Tatsache, dass er bei uns ist ''„alle Tage, bis an der Welt Ende.“'''[2]'''''
Wenn ER unser Gewissen inspiriert, geschieht es immer freilassend und wirkt in Situationen der Schuld heilsam und ermunternd, weckt die Zuversicht, dass mit dieser Erfahrung neue Entwicklungsschritte möglich sind, die einem selbst und anderen dienen werden. In Situationen aber, in denen man Gefahr läuft selbstgerecht zu urteilen, regt uns das vom Christus inspirierte Gewissen dazu an, unseren Blick auf uns selbst auf gesunde Art zu relativieren und die Bereitschaft zu entwickeln über uns hinauszuwachsen. Man könnte auch sagen: Wenn wir mit uns und unserem Gewissen in dieser Art zurate gehen, bewegen wir uns zwischen der sinnlich gegebenen und der übersinnlichen Welt – zwischen der Welt der Sinne und der Welt des Geistes, die nur dem Denken zugänglich ist. Da sind wir einerseits ganz allein und auf uns selbst angewiesen, andererseits sind wir aber auch offen für das, was uns aus der geistig-übersinnlichen Welt inspirieren möchte.
Einsamkeit und Verbundenheit sind so gesehen weder in der Sinneswelt noch in der Geisteswelt im Widerspruch miteinander: Wir brauchen beide, um uns einerseits als autonome Wesen zu erkennen, uns aber auch bewusst und sinnstiftend in das Ganze unserer Mitwelt eingliedern zu können.
''Vgl. M. Glöckler (Hrsg.), Th. Hardtmuth, Ch. Hueck, A. Neider (Hrsg.), H. Ramm, B. Ruf, „Corona und das Rätsel der Immunität. Ermutigende Gedanken, wissenschaftliche Einsichten und soziale Ideen zur Überwindung der Corona-Krise“, 2020 Akanthos Akademie e.V., Stuttgart''
----[1] Rudolf Steiner, in: ''Schicksalsbildung und Leben nach dem Tode''. GA 157a. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1981, S. 165.
[2] Neues Testament, ''Matthäus 28, 20.''
== KINDER UND CORONA ==
''Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf unsere Kinder aus?''
''Was brauchen Kinder in dieser wie in allen Krisensituationen am allernötigsten?''
''Was ist das wichtigste, damit es ihnen gut geht?''
''Wie sehr sind sie von der COVID-19-Erkrankung direkt betroffen?''
=== ''Kinder sind kaum betroffen'' ===
Die gute Nachricht ist, dass nach den bisherigen Erfahrungen Kinder und Jugendliche offensichtlich nicht schwer erkranken, sondern harmlose bis gar keine Symptome zeigen. Dazu bemerkte ''Prof.'' ''Drosten'' am 16.4.20 im NDR-Podcast, dass sich in Haushalten offenbar nur wenige Menschen anstecken, vermutlich aufgrund einer bisher unbemerkten Hintergrundimmunität durch Erkältungs-Corona-Viren.
In seinem Kommentar in der Stuttgarter Zeitung vom 17. April 2020 „Die Last der Familien - die Politik muss Eltern und Kinder in der Krise stärker unterstützen“ bringt ''Dieter Fuchs'' die Probleme zu Hause auf den Punkt:
''„11,4 Millionen Familien mit minderjährigen Kindern werden gezwungen, Erwerbstätigkeit, Lernen und Kinderfürsorge irgendwie zu organisieren, in einer weitgehenden Isolation von anderen Menschen, die helfen könnten. Vor allem für Familien mit kleinen Kindern ist das auf Dauer kaum machbar. Psychische und wirtschaftliche Probleme sind die Folge – Härten, die von der Politik bisher nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit bedacht werden. Das sollte sich ändern. (…) Es bedarf individueller Lösungen, organisiert womöglich von den Jugendämtern. Bildungsferne und arme Familien könnten sonst durch den Rost fallen. Und den Preis dafür zahlen vor allem die Kinder. Es droht eine Generation Corona.(…) Ihre Grundrechte auf Bildung, Freizügigkeit und sozialen Austausch werden ignoriert. Eine Gesellschaft, die Eltern und Kindern monatelang diese Last aufbürdet, wird einen hohen Preis dafür zahlen.“''
=== ''Kinder brauchen menschliche Nähe'' ===
So wahr diese Worte sind, so wahr ist aber auch, was alles vor Ort von den Verantwortlichen in den Kindertagesstätten, Kindergärten und Schulen ermöglicht wird, um während der Zwangsschließungen Überbrückungsangebote machen, Online- und Telefonberatungen anbieten zu können und damit Solidarität zu zeigen. Eine Lehrerin z.B. hat alle Kinder zu Hause besucht, täglich mit den Eltern per E-Mail und Dropbox Aktivitäten und Aufgaben besprochen. Eine andere steht mit vielen Kindern in ständigem Briefkontakt. Denn: Kinder brauchen vor allem menschliche Verbindlichkeit, Präsenz und Nähe, nicht nur in Krisenzeiten – dann aber vor allem.
Sie brauchen in ihrem Umfeld mindestens einen Erwachsenen, der ihnen das Gefühl gibt, dass die Welt trotz aller Aufregungen um Corona in Ordnung ist. Auch in Kriegszeiten hatten Kinder immer dann den nötigen Schutz, wenn Erwachsene durch ihre innere Sicherheit, ihr Vertrauen in das Leben und die Zukunft Ruhe und Zuversicht ausstrahlen konnten. Das Schöne ist: Den Kindern zuliebe kann man viel leichter diese Qualitäten aufbringen als ohne sie. Gemeinsame Spiele, vorlesen, sich unterhalten, singen, malen, basteln – all das sind hilfreiche Instrumente, um die Verbindung zu intensivieren. Alles, was die unmittelbare menschliche Beziehung vertieft und Nähe erlebbar macht, ist seelische Nahrung, die in solchen Zeiten fast noch wichtiger ist als das gute Essen auf dem Tisch.
=== ''Kinder brauchen freudig tätige Erwachsene'' ===
''Was aber kann man zu Hause und in der näheren Umgebung noch tun für die Kinder?''
Wo immer möglich sollte man die Kinder in die häuslichen Tätigkeiten einbeziehen und mit ihnen gemeinsam kochen, putzen, aufräumen. Wenn die Erwachsenen etwas gerne machen, fühlen sich Kinder davon angezogen und wollen mitmachen. Dazu gehört auch, beim Spazierengehen mit den Augen der Kinder zu schauen, mit ihnen die Natur und ihre Schönheit zu entdecken, sich zu freuen am schönen Wetter, den Blumen, den Wolken, dem Wind.
Eine der Begleiterscheinungen der Corona-Krise ist ja der enorme Bedeutungsschub, den die Digitalisierung dadurch erfahren hat. Die soziale Isolierung verlagerte die Kommunikation auf die elektronischen Medien, Grenzschließungen und Reiseverbote bewirkten, dass man sich stattdessen virtuell per ''Zoom'' oder ''Skype'' zu treffen begann. Die Schulen machten E-Learning Angebote und auch die Nutzung von Medien zum „Spielen“ hat zugenommen. All das erschwerte das tägliche Bemühen vieler Eltern, die Bildschirmzeit zu begrenzen, manche haben sogar aufgegeben.
=== ''Körperliche Aktivität statt Bildschirmzeit'' ===
Umso klarer muss an dieser Stelle gesagt werden, dass es nichts gibt, was eine gesunde Gehirnentwicklung von Kindern und Jugendlichen mehr untergräbt und beeinträchtigt als ein Zuviel an Bildschirmzeit in den Jahren der körperlichen Entwicklung. Das gilt ganz besonders für die ersten drei Lebensjahre, in denen sich das Gehirn am schnellsten entwickelt. Daher lautet hier die goldene Regel: „Unter drei – Bildschirm frei!“
Der Medienratgeber „Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt“, der vom Bündnis für humane Bildung erarbeitet und herausgegeben wurde, sei in diesem Zusammenhang dringend empfohlen.[1] Er bietet nicht nur auf der Basis unabhängiger Forschung die nötige wissenschaftliche Grundlage, um die neurobiologischen Zusammenhänge zu verstehen. Er erläutert auch die verstärkte Sensibilität jugendlicher Gehirne gegenüber dem Elektrosmog und klärt auf über die Möglichkeiten, wie man Kinder vor Cybermobbing und anderen negativen Einflüssen aus dem Internet und den sozialen Netzwerken schützen kann.
Besonders wichtig darin sind aber die positiven Hinweise, was man an die Stelle der Bildschirmzeit setzen kann, um Kindern und Jugendlichen altersgerechte Bildungs- und Entwicklungsanregungen zu geben. Das menschliche Gehirn braucht etwa 16 Jahre, bis die Kontrollzentren im Frontalhirn soweit ausgereift sind, dass selbstständiges Denken, Verantwortungsgefühl und autonome Gewissensfähigkeit möglich sind.
''Wie aber fördert man die Gehirnentwicklung am besten?''
Durch ganzkörperliche Aktivität! Das gilt sowohl für gehirngeschädigte Säuglinge, die mit Gymnastik behandelt werden und durch bestimmte Bewegungsmuster die geschädigten Areale Anreize zur Regeneration und Unterstützung aus nicht geschädigten Bereichen bekommen, wie auch für die Demenzprophylaxe: Nicht Kreuzworträtsel und Kopfrechnen werden empfohlen, sondern körperliche Geschicklichkeits-, Koordinations- und Bewegungsübungen. So sind auch künstlerische Tätigkeiten wie Malen, Plastizieren, Singen, Musizieren, Kasperle- und Puppen-Theater sowie die klassischen Schultätigkeiten wie z.B. das mühsame Schreibenlernen von Hand komplexe ganzkörperliche Aktivitäten, die die Gehirnentwicklung am nachhaltigsten fördern. Tippen und wischen am Touchscreen hingegen bewirken das nicht, im Gegenteil. Am Bildschirm werden die eigene Aktivität des Körpers und eine komplexe sensorische Integrationsarbeit weitgehend ausgeschaltet.
=== ''Starrer Blick statt aktives Sehen'' ===
Schon der Seh-Akt vor dem Bildschirm ist genau das Gegenteil von dem, was ein gesundes Auge tut. Beim Schauen sind die Augenmuskeln aktiv und bewegen sich, um im wahrsten Sinne des Wortes ''wahrzunehmen,'' was man betrachten möchte. Vor dem Bildschirm hingegen bewegt sich das Bild und die Augenmuskeln sind starr und inaktiv. Was für Erwachsene mit ausgebildeten Gehirnstrukturen ein nicht so großes Problem ist, beliebig lange beruflich oder privat vor dem Bildschirm zu sitzen, ist für Kinder und Jugendliche eine permanente Fehlstimulation bei der Organreifung.
''Was sind die Folgen?''
Die Kinder gewöhnen sich daran, jeweils im vorgelegten Schema angemessen zu reagieren. Fantasie, Empathie, selbstständiges Denken werden in ihrer Entwicklung gehemmt. Daher gilt in der Waldorfpädagogik der Grundsatz: Eigeninitiative fördern statt konsumieren, selbst die Dinge lernen, bevor man sie an den Computer delegiert – das fördert die humanen Kernkompetenzen. Pädagog*innen sei der von Prof. ''Edwin Hübner'' erarbeitete Waldorf-Lehrplan zur Medienpädagogik empfohlen, der reichhaltige Anregungen bietet, in kreativer Weise auf die erforderliche Medienkompetenz und Medienmündigkeit hinzuarbeiten.[2] Nicht unerwähnt bleiben soll auch die Initiative der Allianz ELIANT, die sich gemeinsam mit dem „Bündnis für humane Bildung“ für ein Recht auf bildschirmfreie Kindergärten und Grundschulen einsetzt.[3]
''Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, <nowiki>ISBN 9 783751 917919</nowiki>''
----[1] Dr. Med. Michaela Glöckler, Prof. Dr. Edwin Hübner, Stefan Feinauer, Media Protect E.V., ''Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt. Eine Orientierungshilfe für Eltern und alle, die Kinder und Jugendliche begleiten,'' EAN 9783982058504, 2019.
[2] www.waldorfschule.de/fileadmin/bilder/Allgemeines/BdFW_Medienpaed_an_WS.pdf. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die Initiative „echt dabei“ aufmerksam machen und deren ausgezeichnete Website: www.echt-dabei.de, die ebenfalls hilfreiche Anregungen vermittelt, was man an Stelle des Bildschirms setzen kann. Für weitere Hinweise siehe auch das Literaturverzeichnis.
[3] www.eliant.eu.
== STRATEGIEN ZUR EINDÄMMUNG DER CORONA-PANDEMIE ==
''Welche Strategien wurden angewandt, um der COVID-19-Pandemie zu begegnen?''
''Worauf zielen die unterschiedlichen Ansätze ab?''
=== ''Durchseuchung versus Überwachung der Infektion'' ===
Zur gesundheitsstrategischen Bewältigung der Corona-Pandemie in Europa stehen sich zwei sehr unterschiedliche Ansätze gegenüber, beide von führenden Epidemiologen empfohlen.
Schweden setzte auf Anraten von ''Anders Tegnell,'' Arzt, Epidemiologe und maßgeblicher Berater der schwedischen Regierung, auf den Aufbau einer Herdenimmunität durch kontrollierte Durchseuchung, während das Leben weitgehend normal weiterging bei gleichzeitigen Schutzempfehlungen für die Risikogruppen. Die schwedische Regierung zog diese Strategie seit dem Auftreten von COVID-19 als einziges Land konsequent durch.
Die Verantwortlichen in der deutschen Gesellschaft für Infektiologe (DGI) dagegen verfolgten von Anfang an ''„eine Strategie der Überwachung und Kontrolle der Infektion. Dringend notwendig ist hierfür ein Ausbau der Testkapazitäten sowie die Isolation positiv getesteter Personen. Dazu müssen alle Maßnahmen ergriffen werden, die bei der Kontrolle der Epidemie helfen können. Hierzu gehören sowohl das Smartphone-Tracking per COVID-19-App wie auch das Tragen von Gesichtsmasken, wenn die Möglichkeit eines direkten Personenkontaktes besteht.“<sup>'''[1]'''</sup>''
Vielen Menschen ist der Begriff der Herdenimmunität aus der Masern-Impfstrategie der WHO bekannt. Diese Strategie besagt, dass wenn fast alle Menschen immunisiert sind, Neuansteckungen nur noch im Ausnahmefall vorkommen können. Wer eine Herdenimmunität ohne Impfung aufbauen will, weil sie wie im Fall von COVID-19 erst entwickelt werden musste, kann man das nur wagen, wenn das Gesundheitswesen flexibel ist und bestens personell und apparativ ausgestattet, um die Folgen dieses Vorgehens auffangen zu können. Denn man weiß bei einem solchen Vorgehen nicht, wie viele u.U. schwer erkranken werden. Großbritannien hat diesen Weg zunächst versucht, scheiterte aber bald aufgrund der Schwächen seines National Health Service, dem unterfinanzierten nationalen Gesundheitswesen.
=== ''Der schwedische Weg'' ===
So riskierte nur Schweden konsequent diese Vorgehensweise. In einem Interview der Zeitschrift ''Cicero'' vom 26. März 2020 betonte ''Anders Tegnell:''
''„Alle Länder haben dasselbe Ziel: Wir versuchen, die Verbreitung des Virus zu reduzieren (…) Wir sind uns aber auch darin einig, dass es sehr schwer abzusehen ist, was passiert, wenn man Schulen schließt. Viele Dinge passieren, wenn man das macht: Die Kinder sind davon betroffen, die Gesellschaft, besonders die Eltern. Darin unterscheidet sich Schweden von vielen Ländern: Hier arbeiten fast immer beide Elternteile. Und viele von ihnen arbeiten im Gesundheitssystem. Und wenn wir mit ihnen sprechen, sagen sie: Schließt die Schulen nicht. Das bedeutet, dass der Effekt dieser Maßnahme auf die öffentliche Gesundheit viel schlimmer sein wird als die Ausbreitung des Virus‘ in einer Schule. (…) Wir leben jetzt in einer seltsamen Welt. Normalerweise müssen wir im Gesundheitswesen darum kämpfen, damit Dinge getan werden, zum Beispiel Impfkampagnen. Jetzt müssen wir darum kämpfen, dass Dinge NICHT getan werden. Wenn Sie Wissenschaftler in ganz Europa fragen, ob es zu einem Zeitpunkt, zu dem es in jedem Land eine bedeutende Zahl an Corona-Fällen gibt, Sinn macht, die Grenzen zu schließen, wird die Antwort sein: Nein. Es waren die Reisenden, die das Virus am Anfang ins Land gebracht haben, aber jetzt sind sie es nicht mehr (…) Schweden unterscheidet sich in einem wichtigen Punkt von vielen anderen Ländern: Wir haben hier seit Jahrhunderten sehr starke Behörden. Ein Großteil des technischen Wissens liegt in diesen Behörden. Unsere Ministerien dagegen sind klein, sie unterstützen die Politiker bei den Entscheidungen, die diese treffen. Aber Politiker treffen in Schweden keine Entscheidungen in Detailfragen, sie geben nur die generelle Marschrichtung vor. Und die Behörden erarbeiten dann einen Plan, wie man vorgeht. Politiker treffen die Entscheidungen, aber diese basieren auf dem Wissen und der Erfahrung, die wir ihnen liefern (…). Es gab eine Reihe von Umfragen zu unserer Behörde und zu mir persönlich. Das Ergebnis ist: Wir haben unglaublich große Unterstützung.“<sup>'''[2]'''</sup>''
In Schweden ist also das öffentliche Leben nur wenig eingeschränkt, und die Zahl der Ansteckungen ist derzeit rückläufig, viele Intensivbetten sind leer. Tegnell vermutet, dass sich bereits 50 % der Bevölkerung inzwischen angesteckt haben. Das kann aber nur eine spätere Testung belegen. Aktuelle Zahlen aus der Pressekonferenz mit Tegnell vom 16, April 2020 besagen, dass Schweden mit dem schnelleren Ansteckungsmodus ohne Lockdown pro 1 Million Bürger*innen 132 Corona-Tote zu beklagen hat. Im Vergleich dazu haben Länder mit Lockdown, wo die Ansteckung langsamer verläuft, noch deutlich weniger: Finnland 14, Norwegen 28, Dänemark 55 und im Vergleich dazu Deutschland 46 Tote pro 1 Million Einwohner*innen.
=== ''Lockdown als richtige Strategie?'' ===
Die Verantwortlichen in der deutschen Gesellschaft für Infektiologe (DGI) hingegen halten dieses Vorgehen für einen gefährlichen Irrweg. Eine „kontrollierte Durchseuchung“ kommt für sie nicht in Frage. Sie berufen sich dabei auf vorliegende Zahlen und Hochrechnungen, die man daraus ableiten kann. Diese Strategie, zu der auch der Lockdown gehört, der das gesellschaftliche Leben lahmlegt, bestimmte 2020 – weil dies die derzeit herrschende wissenschaftliche Meinung war - den Alltag der meisten Länder. Sie gilt auch für Deutschland, obgleich sein Gesundheitswesen im europäischen Vergleich gut dasteht und obwohl führende Epidemiologen gerade auch in Deutschland sich deshalb für die „kontrollierte Durchseuchung“ ohne Lockdown ausgesprochen haben.
Die Frage nach der „richtigen Vorgehensweise“ kann nur durch den Willen, sie zu finden, beantwortet werden – und das echte Interesse am Wohle aller. Da reichen Statistiken und Hochrechnungen nicht. Sie bieten zwar rechnerische Sicherheit, können aber auch krass an der Lebenswirklichkeit vorbeigehen. Wer dem Leben gerecht werden will, braucht neben Zahlen auch Mut und Realitätssinn.[3]
''Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, <nowiki>ISBN 9 783751 917919</nowiki>''
----[1] <nowiki>https://www.dgi-net.de/senioren-vor-covid-19-schuetzen-junge-infizieren-ein-gefaehrlicher-irrweg/</nowiki>
[2] <nowiki>https://www.cicero.de/aussenpolitik/corona-pandemie-schweden-skifahren-staatsepidemiologe-anders-tegnell/plus</nowiki>
[3] So hat sich beispielsweise gezeigt, dass die in Deutschland am 23. März in Folge der Berechnungen des RKI angeordnete ''Kontaktsperre'' keinerlei Auswirkungen mehr auf den R-Faktor, die Übertragungsrate, von der die Ausbreitung der Pandemie abhängig ist, mehr hatte. Er blieb seit dem 22. März nämlich bei etwa 1 stehen. Vgl. dazu den Bericht des RKI vom 14. 4. 2020, online unter www.rki.de  und den Bericht auf ''heise online,'' vom 14.4. 2020 unter www.heise.de.
== NOTWENDIGES UMDENKEN IM GESUNDHEITSWESEN ==
''Wie müsste das Gesundheitssystem sich verändern, um zukünftig menschlichere Lösungen bei Pandemien zu ermöglichen?''
''Welche Veränderungen bräuchte es konkret?''
''Wo müssten sie ansetzen?''
''Was hat das Gesundheitssystem eines Landes mit dem Lockdown zu tun?''
=== ''Berechtigung und Aufgabe des ersten Lockdowns'' ===
Diese letzte Frage ist leicht zu beantworten: Die Befürchtung, dass das Gesundheitssystem eines Landes nicht auf epidemisches Anwachsen von Lungenentzündungen mit möglicher intensivmedizinischer Intervention vorbereitet ist, hat den ersten Lockdown gerechtfertigt. Unter diesem Aspekt ist so eine Maßnahme auf Zeit vertretbar. Die dadurch gewonnene Zeit hätte genützt werden sollen, um die Versorgung mit Schutzmaterialien, Intensivbetten und vor allem medizinisch ausreichend geschulten Fachkräften sicherzustellen, aber auch die Qualität der Gesundheitsversorgung des Landes unter die Lupe zu nehmen und längst fällige und angemahnte Verbesserungen und Investitionen zu tätigen. Das „social distancing“ sollte dazu dienen, die Ausbreitung des neuen Virus zu verlangsamen, uns alle auf das Risiko aufmerksam zu machen, damit sie sich ihrer Mitverantwortung im Sozialen bewusst werden. Gute Hygiene-Regeln empfehlen sich ja auch für jede Grippe-Epidemie.
In dieser Phase hätte überdacht werden sollen, wohin das „Kaputt-Sparen“ der Krankenhäuser infolge der Privatisierung geführt hat, ganz zu schweigen vom Notstand an Fachkräften in Pflege und sozialen Diensten, der seit Jahrzehnten beklagt wird. All das sind Folgen der materialistischen und auf Gewinnmaximierung hin orientierten Denkweise, die auch unser Gesundheitswesen erfasste. ''Sie'' ist das Problem, das uns den Lockdown beschert hat. Um solche Szenarien in Zukunft zu vermeiden, ist ein grundlegendes Umdenken vonnöten. Man trieb die Digitalisierung voran, um mit ihrer Hilfe Lockdown-Probleme zu kompensieren und fraglichen und tatsächlichen Ansteckungen besser begegnen zu können. Mit ähnlicher Intensität müsste auch in ein gesundes Gesundheitswesen und gute fachliche und menschliche Betreuung investiert werden, das haben uns die Erfahrungen 2020 gelehrt.
Mehr noch: Wollen wir eine „Gesundheitsdiktatur“ vermeiden, muss jeder Einzelne ein klares Bewusstsein dafür entwickeln, wovon individuelle und soziale Gesundheit abhängig sind, und wie ein Gesundheitswesen aussehen kann, das diesen Namen verdient.
=== ''Grenzen der Schulmedizin'' ===
Auch müssen wir ehrlich die Grenzen der Schulmedizin ins Auge fassen. Die naturwissenschaftlich orientierte Medizin vertritt das Konzept, dass Krankheiten Irrtümer der Natur sind, die man in dem Maß ausschalten kann, in dem man den Mechanismus ihrer Entstehung kennt. So segensreich es ist, wenn man Krankheiten effizient behandeln kann, so naiv mutet es einen an, wenn man die verschiedenen Ebenen kennt, von denen Kränkungen und Heilungsvorgänge ausgehen können, dass man meint, von der Krankheit im Physischen aus alles beherrschen zu können – ganz abgesehen davon, dass die menschengemachten Veränderungen unserer Lebensräume und das horrende Gefälle zwischen Arm und Reich sowie fehlende Erziehung und Bildung für die meisten Krankheiten und frühen Todesfälle verantwortlich sind und nicht irgendwelche Krankheitserreger.
Auch die Corona-Krise zeigt dies mit größter Deutlichkeit. So sinnvoll die physisch wirksamen Notmaßnahmen von Isolation und Schutz erst einmal sind, so verheerend wäre es, wenn nach diesem Muster eine neue Art von politisch-medizinwissenschaftlicher Form der Diktatur entstünde, die jeden Einzelnen in seiner Gesundheitsautonomie bis hin zur Entmündigung einschränkt. Die Instrumente dafür sind vorhanden und werden gegenwärtig erfolgreich erprobt. Viele alte Menschen würden – bei entsprechender Aufklärung – die Ansteckungsgefahr und die Möglichkeiten der Palliativmedizin als Alternative zur Intensivstation im Falle einer schweren Erkrankung klar bevorzugen. Viele würden mit Sicherheit sagen: „Meine persönliche Freiheit ist mir wichtiger als eine verordnete Sicherheit – selbst wenn mein Leben früher enden sollte.“ Ein Gesundheitswesen, das den Sinn und die Bedeutung von Krankheit und Tod im Leben eines Menschen nicht anerkennt, kann weder umfassend urteilen noch den individuellen Bedürfnissen von Erkrankten gerecht werden.
=== ''Den ganzen Menschen und seine Rechte miteinbeziehen'' ===
''Warum sollte ein alter Mensch nicht das Recht haben, in ein Konzert zu gehen, auch wenn er weiß, dass er sich dort in einer Grippesaison anstecken kann?''
''Wer ist für die Gesundheit und die Art der Lebensführung eines Menschen verantwortlich?''
''Welche Risiken kann der einzelne selbst tragen, und wo greift der Schutzauftrag des Staates?''
Die Coronapandemie macht deutlich, dass wenn es um die Gesundheit der Bevölkerung geht, in Zukunft Formen gefunden werden müssen, die Bevölkerung hier mitentscheiden und mit beraten zu lassen. Bereits vor 100 Jahren sprach Rudolf Steiner von einer notwendigen Demokratisierung des Gesundheitswesens, von dem mündigen Patienten, der seine Gesundheit selbst mitverantwortet und – wie wir heute sagen würden – dem Arzt auf Augenhöhe begegnet. Wir brauchen eine Erziehung zur Freiheit und ein rechtlich-politisches Leben, welches dafür die Rahmenbedingungen schafft. Sonst ist abzusehen, dass die Menschen zunehmend in Abhängigkeit geraten von den jeweils herrschenden autoritativen Ansichten der Wissenschaft und den politisch wirtschaftlichen Machtstrukturen. Denn es geht um unser Recht, menschlich behandelt zu werden. So gesehen ist zu hoffen, dass Patientenverfügungen in Zukunft auch eine Klausel enthalten, über die man selbst festlegen kann, welchen Schutz zu welchen Bedingungen man annimmt bzw. dass man bei Verzicht auf gewisse Schutzmaßnahmen die entsprechenden Konsequenzen trägt.
Dass das heute nicht möglich ist, zeigt, dass die naturwissenschaftliche Medizin der Gegenwart um ein Menschenbild, das die geistige Dimension des Menschen und sein Recht auf Freiheit und Würde miteinbezieht, ergänzt werden muss, wenn Medizin menschlich bleiben und dem Menschen gerecht werden will. Das wird für die Schulmedizin einschneidende Folgen haben z.B. bei der Behandlung psychosomatischer Probleme.
=== ''Selbstverantwortung im Umgang mit Krankheiten'' ===
Dafür ein Beispiel: Selbstverständlich ist die Behandlung von akuten Symptomen wie Schlafstörungen, „nervösen Herzbeschwerden“, Magenschmerzen, Appetitproblemen, Unruhezuständen, Kopfschmerzen, depressiven Verstimmungen, Angstzuständen, Hass und Frustration mit Schmerzmitteln und Psychopharmaka erst einmal entlastend und hilfreich. Hat aber der Arzt körperliche Ursachen für die Symptome ausgeschlossen, sollte die Behandlung so nicht weitergeführt werden. Was in der akuten Situation durchaus sinnvoll sein kann, führt später unweigerlich in eine Sackgasse der Entwicklung und meist auch in medikamentöse Abhängigkeit.
Dem können wir nur durch einen selbstverantwortlichen Umgang mit unseren Erkrankungen begegnen. Denn wir Menschen sind nicht so geartet wie die Tiere, die von Natur aus alles richtig machen, die alles Lebensnotwendige sehr schnell können. Wir müssen von Anfang an alles eigenaktiv erlernen. Selbst die urmenschlichen Eigenschaften wie das Gehen, Sprechen und Denken werden uns nicht geschenkt. Aber auch so „natürliche“ Dinge wie guten Schlaf, gesunde Ernährung, ein menschlicher Umgang mit der Fortpflanzungsfähigkeit usw. müssen im Laufe des Lebens erlernt werden. Gleiches gilt für die seelischen Eigenschaften wie das Sich-Abgrenzen-Können, gesundes Selbstbewusstsein, Selbstkontrolle, Konzentration, innere Ruhe etc. Wenn eine medizinische Denkweise Entwicklungsarbeit durch Medikamente zu ersetzen versucht, schadet sie dem Betreffenden mehr als sie nützt.
=== ''Den Suchtfaktor der Medien durchschauen'' ===
Die bekannte britische Ökonomin und Kapitalismus-Kritikerin Noreena Hertz[1] antwortete in einem Spiegel-Interview vom 2. Dezember 2020 auf die Frage, was die Regierungen in Bezug auf das Problem der Einsamkeit tun könnten:
Hertz: ''„Sie sollten die sozialen Medien stärker regulieren, vor allem wenn es um Kinder geht. Die sozialen Medien sind die Tabakindustrie des 21. Jahrhunderts. Verbietet die Netzwerke, die Kinder unter 16 süchtig machen.“''
Der Spiegel daraufhin: ''„Klingt fundamentalistisch.''“
Hertz: ''„Wissen Sie, dass viele Leute, die das Silicon Valley groß gemacht haben, ihren eigenen Kindern den Zugang zu Smartphones und Internet so lange wie möglich verbieten? Sie schenken ihren Kindern keine iPads und schicken sie auf die Waldorfschule. Warum? Weil sie wissen, dass soziale Medien süchtig machen, denn sie kennen ja die Algorithmen. Je mehr diese Leute über soziale Medien wissen, desto weniger wollen sie, dass sie von ihren Kindern genutzt werden.“'''[2]'''''
''Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, <nowiki>ISBN 9 783751 917919</nowiki>''
----[1] Noreena Hertz: The Lonely Century: Coming Together in a World that's Pulling Apart, London 2020.
[2] Aus: M. Glöckler (Hrsg.), Th. Hardtmuth, Ch. Hueck, A. Neider (Hrsg.), H. Ramm, B. Ruf, ''Corona und das Rätsel der Immunität. Ermutigende Gedanken, wissenschaftliche Einsichten und soziale Ideen zur Überwindung der Corona-Krise'', 2020 Akanthos Akademie e.V., Stuttgart.
== AUSWIRKUNGEN DER KRISE AUF DIE GESELLSCHAFT ==
''Welche Auswirkungen hat die Krise auf die Gesellschaft in all ihren Bereichen?''
''Welche sollte sie haben, dass es besser werden kann?''
Diese Fragen sollten alle bewegen, die ihre Verantwortung als Zeitgenossen erkannt haben.
=== ''Einschätzung des Ethikrates'' ===
In dem Bericht des Ethikrates der Bunderegierung von Prof. ''Peter Dabrock'' und Prof. ''Steffen Augsberg'' lesen wir u.a.:
''„Für ein Gremium, dessen gesetzliche Aufgabe darin besteht, Bundestag und Bundesregierung zu beraten, aber auch öffentliche Diskurse zu stimulieren, ist das Anhalten der durchaus kontroversen Debatte selbstverständlich kein Grund zur Sorge. Die Debatte kann und sollte von allen, auch der Politik, als Ausdruck der offenen Gesellschaft begrüßt werden. Denn: Wenn Menschen schon in einem bewundernswerten Maß Solidarität zeigen und teils sehr drastische Freiheitseinschränkungen recht klaglos in Kauf nehmen, dann darf man ihnen nicht das Recht absprechen, über die ungekannten Herausforderungen der Gegenwart nachzudenken, ja auch zu klagen, darauf hinzuweisen, was sie bei sich und bei anderen an Belastungen erleben, oder zu hinterfragen, ob die ergriffenen Maßnahmen verhältnismäßig sind. Es ist vor diesem Hintergrund nicht nur legitim, sondern geboten, sich auch Gedanken zu machen, wie es weitergeht und unter welchen Bedingungen Öffnungsperspektiven verantwortbar, ja vielleicht sogar geboten sind. ‚Die Corona-Krise ist die Stunde der demokratisch legitimierten Politik.‘ Mit diesem Satz schließen wir unsere Stellungnahme – verstanden als Einladung und Aufforderung, dass die Entschlossenheit der handelnden Politik gestärkt wird, wenn sie – je länger je mehr – den Resonanzraum der Öffentlichkeit sucht. Den Bürgerinnen und Bürgern, die diese Öffentlichkeit sind, muss ihrerseits eine gewisse Geduld abverlangt werden, weil wir den Höhepunkt der Krise offensichtlich noch vor uns haben. Es ist zu früh, Öffnungen jetzt vorzunehmen. Aber es ist nie zu früh, über Kriterien für Öffnungen nachzudenken. Alles andere wäre ein obrigkeitsstaatliches Denken, das sich bei uns nicht verfangen sollte und mit dem man das so notwendige Vertrauen der Bevölkerung nicht stärken würde. (…) Wir müssen weg von einem Alles-oder-nichts-Denken und -Handeln. Je länger die Krise dauert, je mehr Stimmen dürfen, ja müssen gehört werden. Wir sollten keine Angst haben, viele Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen, aber auch legitimen Interessen zu Wort kommen zu lassen.“'''[1]'''''
Eine solch mutige Stimme ist die des Hamburger Pathologen Prof. Klaus Püschel, Leiter des gerichtsmedizinischen Instituts am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Er hat am 2. April im Hamburger Abendblatt von seinen Untersuchungen erzählt, die er nach dem Tod der dort mit der Diagnose COVID 19 Verstorben durchgeführt hat. Er hätte keinen einzigen Fall gehabt, der nicht durch schwere Vorerkrankungen belastet gewesen sei. Daher kritisiert er das Robert Koch Institut schwer, das die Obduktion der sogenannten Corona-Toten aus hygienischen Gründen wegen mutmaßlicher Ansteckungsgefahr nicht empfiehlt. Man müsste doch von den Toten für die Lebenden lernen. Es würde sich dann seiner Einschätzung nach herausstellen, dass es sich um typische Todesereignisse im hohen Alter gehandelt hätte, wie sie in jeder Grippesaison vorkommen. Auch den wenigen bekannten Einzelfällen, die im jüngeren Alter verstorben seien, hätte man nachgehen müssen, was definitiv zum Tod geführt hätte.
=== ''Moralität und Mitmenschlichkeit versus Überwachung'' ===
Als ich das las, dachte ich an Rudolf Steiners Forderung nach einer Demokratisierung des Gesundheitswesens. Diese Forderung ist in der jetzigen Krise aktueller denn je. Bezugnehmend auf die Angst vor dem jetzt überall in Erprobung begriffenen digitalen Überwachungsstaat möchte ich ''Joseph Weizenbaum'', Professor am Massachusetts Institute of Technology/MIT, zitieren. Er war im 20. Jahrhundert einer der einflussreichsten und innovativsten Mitentwickler dieser Technologien in den USA. In einem Interview im Orwell-Jahr 1984 entgegnete er auf die Frage, ob der totale Überwachungsstaat kommen werde:
„''Natürlich, darauf wird ja konsequent hingearbeitet. Aber wenn er wirklich kommt, dieser Staat, dann ist er viel eher eine Folge davon, dass die Menschen ihre Freiheit nicht stärker verteidigen, als dass der Computer die Schuld daran trüge.“'''[2]'''''
Er nennt das Stalin- und das Hitler-Regime als Beispiele, wie Totalüberwachung auch ohne Computer möglich ist, und wie sehr eine gedeihliche Zukunft der Menschheit davon abhängt, dass sich Moralität und Mitmenschlichkeit weiterentwickeln. Diese Eigenschaften hervorbringen zu helfen, sei die wichtigste Herausforderung für das Erziehungssystem der Zukunft. Wer meint, dass die Digitalisierung dabei förderlich sei, liegt falsch. Moralität kann man nicht lehren, ebenso wenig wie Wertebewusstsein. Beides kann nicht über eine App heruntergeladen werden. Beides kann sich nur im konkreten Umgang mit realen Menschen entwickeln, die diese Qualitäten vorleben, die mit Kindern und Jugendlichen verbindlich zusammenleben und -arbeiten.[3]
Und so kann es einem Mut machen zu sehen, wieviel Positives, wieviel Fürsorglichkeit neben aller Angst und Sorge in der Corona-Krise entstanden ist und weiter entsteht. Viele Menschen sagen und schreiben, wie sie wieder begonnen haben, darüber nachzudenken und zu sprechen, was für sie wirklich wichtig ist, was ihnen echte Freude bereitet; dass es auf reale menschliche Beziehungen ankommt. Es ist zu hoffen, dass im Rahmen der Aufarbeitung dieser durch die Corona-Pandemie ans Tageslicht getretenen Krise – insbesondere wirtschaftlich, sozial und im Gesundheitswesen – andere Leitgedanken herangezogen werden als davor.
Doch noch stecken wir mittendrin und erleben, in welchem Ausmaß unser Wohlbefinden davon abhängt, wie wir über uns und die Lage denken.
=== ''Was uns aus der Krise heraushelfen kann'' ===
''Wie wird es nach Corona weitergehen?''
Diese überlebenswichtige Frage brennt vielen auf der Seele. Manche wollen es genauso haben wie davor, andere wünschen sich längst überfällige Veränderungen. Von Albert Einstein stammt das berühmte Zitat:
''„Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“''
Die meisten Menschen spüren schon seit Jahren, dass ein grundlegender Wandel in Kultur und Wirtschaft notwendig ist, der ein Umdenken aller erfordert, dass es Grenzen des Wachstums auf unserer begrenzten Erde gibt, die ernst genommen werden müssen. Irgendwann ist auch der letzte Urwald abgeholzt, sind die größten Bodenflächen durch Überdüngung nachhaltig geschädigt bis hin zur Unfruchtbarkeit, ist die Klimakrise nicht mehr aufzuhalten.
Im „smarten Zuhause“ ist alles digital gesteuert und vernetzt bis hin zu den Küchengeräten. ''Alexa'' und ähnliche elektronische Geräte helfen bei der Routine-Hausarbeit und kommunizieren mit Anbietern im Internet. Man muss nicht mehr selbst die Haustür aufschließen, beim Eintreten ertönt die Lieblingsmusik, man muss nur noch wenige Stunden arbeiten, kann sich alles selbst einteilen und das eigene Heim wird zur Welt, in dem ständig alle Informationen abrufbar sind.
Dafür steigen die Arbeitslosenzahlen weiter, das Massenelend in den Kriegs- und Krisenregionen hat zugenommen. Selbst wenn das bedingungslose Grundeinkommen kommen würde – das Geld dazu ist vorhanden, es müsste nur etwas umverteilt werden – wären dadurch die nötigen Mittel für die Aufrechterhaltung des Konsums bereitgestellt, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Ändert sich jedoch nicht die Art über Wirtschaft zu denken grundlegend, würde sich genau die Entwicklung weiter fortsetzen, die uns in die Krise hereingeführt hat.
=== ''Notwendige Neugliederung der Gesellschaft'' ===
Rudolf Steiner formulierte bereits nach dem ersten Weltkrieg sehr konkrete Vorschläge:[4]
* Dass das Wirtschaftsleben assoziativ strukturiert sein sollte, was bedeutet, dass alle Beteiligten an der Wertschöpfungskette bis hin zum Verkauf mit den Konsumenten zusammensitzen und sich über nachhaltige Herstellung, adäquate Arbeitsbedingungen und akzeptable Preise so verständigen. Nur dann würde für alle Beteiligten etwas Zufriedenstellendes dabei herauskommen: mit Sicherheit mehr Qualität und weniger Konsum. Es wäre ein Weg, die Wachstumsideologie zu ersetzen durch ein ökologisch orientiertes Denken in Kreisläufen und Wechselbeziehungen, das dem Zusammenleben von Mensch, Natur und Erde auch langfristig gerecht würde.
* Dass wir ein eigenständiges freies Kulturleben – Schulen, Bildungseinrichtungen, Universitäten, künstlerische Tätigkeiten – brauchen, das sich unabhängig von Bildungsplänen entwickeln kann und dessen Finanzierung nicht an Einflussnahme gekoppelt ist, weil eben Freiheit und Selbstbestimmung wichtigste Bildungsziele sind.
* Dass das Rechtsleben so gestaltet werden müsste, dass die Politik lediglich die Gesetze und Rahmenbedingungen schafft, in denen Wirtschaft, Kultur und Soziales im gesellschaftlichen Leben miteinander harmonieren können.
Großartige Bücher wie die bahnbrechenden Publikationen von Rachel Carson „Der stumme Frühling“ und des Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“ sind seither erschienen. Auch ''Ernst Ulrich von Weizsäcker'' und ''Anders Wijkman'' schrieben ein grandioses Buch mit dem Titel „Wir sind dran“.[5] Dieser Band wurde 2018 zusammen mit 33 weiteren Mitgliedern des Club of Rome für dessen 50-jähriges Bestehen erstellt. Wenn nur ein Bruchteil der für Staat und Wirtschaft Verantwortlichen dieses Buch lesen und es ernst nehmen würden, hätte die Menschheit beste Chancen.
=== ''Was uns die Krise lehrt'' ===
''Denn was lehrt uns die Krise? Was die Virusforschung?''
Dass alles mit allem zusammenhängt. Dass wir Menschen ein Teil des Ökosystems sind und unser Leben integraler Bestandteil des Lebens auf unserem Planeten ist – nicht mehr und nicht weniger:
Wir brauchen ein integratives Menschen- und Gesellschaftsverständnis, das auch die geistige Dimension des Daseins umfasst. Wir brauchen zudem eine säkulare Spiritualität, die sich auf das Denken als Brücke zwischen der Sinnes- und Geisteswelt stützt und als solche ihren Beitrag zur Kulturentwicklung der Menschheit leistet. Dazu kann die Anthroposophie mit ihren ganzheitlichen Kulturinitiativen nicht nur auf den bisher schon relativ bekannten Gebieten der Medizin, Pädagogik und Landwirtschaft beitragen, sondern auch vermehrt auf sozialem und wirtschaftlichem Felde: Das haben uns u.a. die Pioniere wie der Begründer der dm-Drogeriemarktkette ''Götz Werner'' oder der Träger des Alternativen Nobelpreises ''Ibrahim Abouleish'' mit der SEKEM-Kulturinitiative in Ägypten eindrücklich gezeigt.
Die große Chance aber, die die Pandemie mit sich bringt, liegt ebenso auf der Hand wie die Gefahren: dass viel mehr Menschen mit viel größerer Wachheit die großen Umwälzungen im politisch-wirtschaftlichen Bereich zu verfolgen beginnen, dass sie die Mitverantwortung am Geschehen erkennen und die Entwicklungsprozesse auch angesichts der mächtig vorangetriebenen digitalen Transformation mit offenen Augen verfolgen und sich tatkräftig dafür einsetzen, sie so konstruktiv wie möglich mitzugestalten.
''Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, <nowiki>ISBN 9 783751 917919</nowiki>''
----[1] www.ethikrat.org/fileadmin/PDF-Dateien/Pressekonferenzen/pk-2020-04-07-dabrock-augsberg.pdf
[2] Joseph Weizenbaum, ''Kurs auf den Eisberg. Die Verantwortung des Einzelnen und die Diktatur der Technik, München 1987, S. 104.''
[3] Siehe die Petition des „Bündnis für humane Bildung“ unter www.eliant.eu
[4] Vgl. Rudolf Steiner, ''Die Kernpunkte der sozialen Frage,'' GA 23, Dornach 1976.
[5]''Wir sind dran: Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen - Club of Rome: Der große Bericht,'' München 2019.  

Aktuelle Version vom 23. März 2025, 21:41 Uhr

COVID-19 – von Michaela Glöckler

Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/

MEMORANDUM – FÜR EIN UMDENKEN IN DER CORONA-POLITIK

Mehr Verständnis für die Meinungsvielfalt in der Krise

Die Corona-Pandemie ist nicht nur ein äußerst komplexes Geschehen in gesundheitlicher Hinsicht. Sie fällt auch in eine Zeit großer ökologischer, gesellschaftlicher und geopolitischer Veränderungen, ja, sie ist selbst Teil dieser Veränderungen. Denn zu den uns alle belastenden Problemen in Form von Klima-, Hunger- und Armutskrise – begleitet von bewaffneten Konflikten, Flüchtlingselend und Not – kommen laut UNICEF infolge der Pandemie zu den weltweit 700 Millionen Hungernden noch 130 Millionen hinzu.

Die Pandemie und die Art ihrer Bewältigung hat den größten Teil der Weltbevölkerung mit der Tatsache konfrontiert, dass vieles, was bis eben noch selbstverständlich war, schlagartig nicht mehr gegeben ist: der tägliche Gang zur Arbeit, so wie in Kindergarten und Schule, die persönliche Bewegungsfreiheit, das Einkaufen, die Teilnahme an Veranstaltungen, an Hochzeiten, Trauer-feierlichkeiten, Familienfesten, Freizeitangeboten und vieles mehr.

Der Bildschirm ist zum zentralen Begegnungs- und Kommunikationsort geworden. Die forciert vorangetriebene Digitalisierung aller Lebensbereiche wird dabei jedoch nicht nur als Segen erlebt. Kinder und Jugendliche brauchen für ihre gesunde Entwicklung an erster Stelle realweltliche Erfahrungen und Kontakte.

Hinzu kommt die Sorge, ob nicht die konsequente Nachverfolgung von Infektionsketten und Impfnachweisen sowie weitere als notwendig erachtete Kontroll- und Überwachungsinstrumente in eine Zukunft führen, in der man damit rechnen muss, dass diese Überwachungsinstrumente jederzeit wieder zum Einsatz kommen, wenn nationale Notlagen wie Terrorgefahr oder Pandemien auftreten.

Wie muss sich die Demokratie weiterentwickeln, dass die Angst vor Gewalt, Krankheit und Tod nicht zum Feind der Freiheits- und Persönlichkeitsrechte wird?

Viele Menschen fragen sich:

Welche Zukunft kommt da auf uns zu?

Welche Art der Bürgerbeteiligung braucht es, um die Demokratie angesichts dieser geänderten Gesamtsituation zukunftsfähig zu erhalten?

Wie kann die Zivilgesellschaft in den Prozess eines notwendigen Umdenkens – auch in der Corona-Politik – konkret einbezogen werden?

Dabei sind Kinder und Jugendliche von dieser neuen Zeitlage besonders hart betroffen. Sie erleben nicht nur Angst und Sorge der sie umgebenden Erwachsenen mit, sondern haben auch ihre eigenen Zukunftsängste. Zudem erleben sie soziale Isolation, viele auch vermehrt häusliche Gewalt. Vorhandene Sorgentelefone sowie Kinder- und Jugendpsychiatrien sind bereits anhaltend überlastet.

Angesichts dieser Tatsachen ist es verständlich, dass sich die Gesellschaft zunehmend in diejenigen polarisiert hat, die die bisherige Corona-Politik bejahen, rechtfertigen und unterstützen und eine wachsende Zahl von Bürger*innen, die dies immer weniger können und aus den verschiedensten Erwägungen heraus dagegen aufbegehren. Streit und Konflikte in Familien, Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz sind die Folge. Ein Jahr nach Veröffentlichung unseres ersten Buches zum Thema „Corona - eine Krise und ihre Bewältigung“ sowie zwei Folgepublikationen hat uns das Erleben dieses Konfliktpotentials, aber auch die Tabuisierung des Themas um des sozialen Friedens willen immer wieder neu betroffen gemacht. Es hat uns aber auch motiviert, die verschiedenen zum Teil hart aufeinanderprallenden Denkweisen anzuschauen, die hierfür verantwortlich sind. Denn je nachdem, welche Ansicht jemand hat, werden diese mit den dazu passenden Fakten argumentativ untermauert und die Möglichkeit gegenseitigen Verstehens schwindet.

Kann man jedoch die Denkweise des anderen nachvollziehen und lässt man es zu, nach Lösungen zu suchen, die den unterschiedlichen Standpunkten gerecht werden, so haben nicht nur Toleranz und sozialer Frieden eine Chance. Es wächst vielmehr die Motivation, sich gemeinsam zu engagieren und angesichts der belastenden Konflikte kreative Lösungen zu finden. Fünf dieser Denkansätze, die mit ihren Folgeargumenten bisher besonders zur Polarisierung beigetragen haben, möchten wir hier vorstellen. Unser Memorandum ist dem Ziel gewidmet, diese Denkansätze verständlich zu machen und dadurch zu einem konstruktiven Dialog beizutragen.

1. Welche Denkweise liegt den weltweit abgestimmten Maßnahmen, um die Pandemie erfolgreich zu bekämpfen, zu Grunde?

Es ist die reduktionistische Denkweise der modernen Naturwissenschaft. Sie geht davon aus, dass es sich bei COVID-19 um eine schwere, ansteckende Virus-Erkrankung handelt – nicht vergleichbar mit einer saisonalen Grippe. Die Schreckensbilder aus den Medien über schwerste Verläufe mit Todesfolge und viele Särge haben sich in das Gedächtnis von Milliarden Menschen eingegraben.

Der sich aus dieser Sicht ergebende Handlungsansatz der Regierungsverantwortlichen und der WHO ist klar: Das Virus ist die Ursache und muss unter allen Umständen bekämpft werden. Hinzu kommt die Sorge, dass das Gesundheitssystem schnell überlastet sein würde und unfähig alle Erkrankten aufzunehmen, wenn man der Pandemie außer mit den bekannten Hygienemaßnahmen wie Social Distancing, Maskengebrauch und Händewaschen nicht auch mit drastischen Maßnahmen wie Lock-down und Ausgangssperren begegnen würde. Auch zeigen erste Studien bald, dass insbesondere Menschen mit Vorerkrankungen und in höherem Alter gefährdet und speziell zu schützen sind.

Die Konsequenz aus diesem Denkansatz ist, alles zu tun, um die Infektionsketten zu durchbrechen, den schweren Verläufen vorzubeugen, wirksame Impfstoffe zu entwickeln und die Bevölkerung auf die als unerlässlich erachteten Massenimpfungen vorzubereiten. Diese Betrachtungsart ist in sich schlüssig, die 7-Tage-Inzidenz dient als einheitliche Bemessungsgrundlage. Zahlen und auf statistische Evidenz gebaute Fakten bestimmen das Vorgehen und wirken – medial einheitlich kommuniziert – auf die Mehrheit überzeugend.

Schmerzhafte persönliche, soziale, kulturelle und wirtschaftliche Kollateralschäden zeigen jedoch deutlich an, in welch hohem Maß die Lebensverhältnisse unter diesem einseitig durchdachten Vorgehen leiden. Zumal ja gerade auch eindrucksvolle Zahlen des RKI und der WHO belegen, dass gut 20% der positiv Getesteten symptomfrei sind und die Mehrheit der verbleibenden knapp 80% Infizierten nur unter geringen bis mittelgradigen Symptomen zu leiden hat. Es erscheint so gesehen unerlässlich, wei¬tere Gesichtspunkte einzubeziehen und eine Diskussion darüber anzuregen, wie sich diese so verbinden lassen, dass lebensfreundlichere Handlungsoptionen wirksam werden können.

2. Der salutogenetische Denkansatz fragt: Warum werden nicht alle Infizierten krank und von denen die krank werden, nicht alle schwer krank? Was hält den Menschen gesund?

Um Gesundheit zu verstehen, braucht es eine komplexe Denkweise. Gesundheit ist der labile Gleich-gewichtszustand zwischen den Faktoren, die den Organismus schädigen können und den Regenerationsmöglichkeiten und Widerstandskräften, die unter dem Begriff der Immunkompetenz zusammengefasst werden. Diesem Denkansatz zu Folge, ist nicht das Virus alleinige Ursache der Pandemie, sondern ebenso die Empfänglichkeit des Organismus für das Virus. Von dieser Empfänglichkeit hängt es ab, ob sich Krankheitssymptome entwickeln können oder nicht. Diesen Tatbestand spiegeln auch die aktuellen Infektionszahlen der WHO und des RKI wider (Stand 21. März 2021):

  • Gegenwärtig leben 7.87 Milliarden Menschen auf der Erde.
  • Davon wurden bisher weltweit positiv getestet: 122.542.424 = 1,58%
  • Von den positiv Getesteten verstorben sind: 2.703.620 CFR = 2,21% (CFR= Case-Fatality-Rate)

Diese Zahlen zeigen auf, dass am 21. März 2021 von den weltweit 7,87 Milliarden Menschen bisher 122.5 Millionen Corona positiv gemeldet wurden und dass von diesen positiv Gemeldeten 2,2% verstorben sind (CFR).

In Deutschland wurden im Vergleich durch das RKI am selben Tag insgesamt 2.66 Millionen Corona positiv Getestete gemeldet. Das sind bei einer Gesamtbevölkerung von 83 Millionen 3,2%. Von diesen 3,2% Corona positiv Gemeldeten sind 2,8% an oder mit Corona verstorben (CFR):

  • Einwohnerzahl: 83 Millionen
  • Positiv getestet 2.659.516 = 3,2%
  • Davon gestorben 74.664 CFR = 2,8%

Für Deutschland ist zudem bekannt, dass bisher 89 % der Verstorbenen über 70 Jahre alt waren und die meisten von ihnen Vorerkrankungen hatten. Beides spricht für eine eingeschränkte oder altersbedingt abnehmende Immunkompetenz.

Das heißt, je robuster das Immunsystem und die damit verbundene Abwehrsituation des Körpers ist, umso geringer ist die Gefährdung zu erkranken. Angesichts dieser Zahlen ist verständlich, dass nicht nur viele Bürger*innen sondern auch Fachleute das Pandemie-Management der Regierung unverhältnismäßig erleben und beispielsweise fragen:

Warum wird nicht in das Gesundheitssystem und in die Ausbildung zusätzlicher Pflege- und Fachkräfte investiert, um eine optimale Versorgung zu gewährleisten?

Braucht es hier nicht ein Umdenken weg vom gewinnorientiert betriebenen zum patienten-orientiert betriebenen Krankenhaus, das auch auf Pandemien vorbereitet ist?

Warum nicht die Risikogruppen auf hohem Niveau schützen, hochwertige Schutzkleidung für Besucher in Senioren- und Pflegeheimen zur Verfügung stellen und auf Qualität geprüften FFP2-Maskenschutz?

Warum werden nicht Verfahren zur realen Risikoabwägung vor Ort in den Betrieben, in Kindergärten und Schulen gemeinsam mit den betroffenen Bürger*innen entwickelt, die nicht nur die potentielle Tatsache in Erwägung ziehen, dass das Virus theoretisch jeden treffen kann, sondern auch mit der viel größeren Wahrscheinlichkeit rechnet, dass die meisten Menschen gesund bleiben, insbesondere Kinder und Jugendliche, bei denen schwere Verläufe oder Komplikationen extrem selten sind?

3. Der psychoimmunologische Denkansatz: Was macht die Angst vor Krankheit und Tod mit uns? Was macht Mut und gibt Hoffnung und Zuversicht?

Schon während des ersten Lockdowns war in einem Kommentar von Dieter Fuchs in der Stuttgarter Zeitung vom 17. April 2020 zu lesen: „11,4 Millionen Familien mit minderjährigen Kindern werden gezwungen, Erwerbstätigkeit, Lernen und Kinderfürsorge irgendwie zu organisieren, in einer weit-gehenden Isolation von anderen Menschen, die helfen könnten (…) Ihre Grundrechte auf Bildung, Freizügigkeit und sozialen Austausch werden ignoriert. Eine Gesellschaft, die Eltern und Kindern monatelang diese Last aufbürdet, wird einen hohen Preis dafür zahlen.“

Seither nehmen die warnenden Stimmen exponentiell zu. Doch auch Erwachsene bezahlen einen hohen Preis. Depressionen nehmen zu, chronische Krankheiten verschlimmern sich. Die Angst vor Krankheit und Tod, die Sorge um die eigene Existenz, den Arbeitsplatz, dass finanzielle Überleben oder weniger gute Ausbildungschancen zu haben – all dies schlägt einem auf das Gemüt.

Was kann man dem entgegensetzen?

Warum wird nicht parallel zu den täglichen Ansteckungs- und Todesfallzahlen in den Medien auch hervorgehoben, was Mut machen kann und was das Immunsystem stärkt?

Zu Beginn der zweiten Pandemiewelle im Herbst forderte zum Beispiel der Intensivmediziner und Internist Harald Mattes, Professor an der Berliner Charité und leitender Arzt des Krankenhauses Havelhöhe, eine Abkehr vom Krisenmanagement hin zu einem „risikostratifizierten Handeln“. Braucht es nicht runde Tische, wo solche Vorschläge diskutiert werden und die Möglichkeit, kreative Vorschläge unter kontrollierten Bedingungen praktisch umzusetzen? Erfreuliche Ansätze dazu sind ja gegenwärtig hier und da schon in Erprobung. Dabei spielt die Eigenverantwortung der Bürger*innen für ihre Gesundheit eine zentrale Rolle.

Die Gesundheits- und Resilienzforschung der siebziger und achtziger Jahre sowie die psychoneuro-immunologische Forschung haben jedenfalls hinreichend belegt, in wie hohem Maß negative Gefühle wie Stress, Angst, Unsicherheit, Ohnmacht, anhaltende Sorge und Verzweiflung das Immunsystem beeinträchtigen, ja schädigen. Wohingegen positive Gefühle wie Mut, Hoffnung, Zuversicht, Vertrauen, Nähe und Geborgenheit dieses stärken. Nicht zuletzt ist bekannt, wie Gebet und Meditation gerade auch in Krisenzeiten positive Gefühle wecken und stabilisieren können.

4. Der basisdemokratische Denkansatz: Autonomie, Teilhabe und Mitverantwortung

Als der bekannte amerikanische Computerexperte Josef Weizenbaum im „George Orwell“-Jahr 1984 zu Vorträgen und Interviews in Deutschland war, wurde er auch gefragt, ob der Computer den Überwachungsstaat bringen würde. Da konnte er dies nur bestätigen, und er berichtete, dass seine Forschungs- und Entwicklungsarbeit vollumfänglich vom amerikanischen Verteidigungsministerium finanziert worden sei. Er stellte dann aber sogleich auch klar (das Interview wurde 1984 unter dem Titel „Kurs auf den Eisberg“ veröffentlicht), dass wenn es zum Überwachungsstaat kommen würde, nicht der Computer daran schuld wäre, sondern die Menschen, die ihre Freiheit nicht verteidigen. Hitler und Stalin hätten doch demonstriert, dass Überwachungsstaaten nicht vom Computer abhängig sind.

Demokratische Systeme brauchen, um funktionsfähig zu bleiben, einerseits den „Reiz der Freiheit“ (Novalis). Andererseits ist dafür die Freude am Dialog mit Andersdenkenden erforderlich, an runden Tischen, an Bürgerforen und einer fairen Debattenkultur.

Welche Bedingungen braucht es in Erziehung und Bildung, damit sich solche Fähigkeiten entwickeln können?

Dieser Frage gehen Bildungsexperten wie Gerald Hüther schon lange nach. In seinem Buch „Würde“ fordert er eine Erziehung, die den Kindern und Jugendlichen hilft, das Bewusstsein von Menschenwürde und Freiheit zu entwickeln.

Wie aber soll das gelingen, wenn die vom Staat vorgegebenen Normen und Reglementierungen eher zu- als abnehmen?

Ganz abgesehen von dem zusätzlichen Anpassungsdruck, der jetzt unter Pandemie-Bedingungen auf die Kinder und Jugendlichen einwirkt. Dass auf diesem Feld besonders viel Sensibilität und Gesprächsbereitschaft erforderlich sind, um ein risikostratifiziertes Handeln für den Kindergarten- und Schulalltag unter den verantwortlichen Pädagog*innen, Eltern und Behörden zu vereinbaren, liegt auf der Hand. Umso mehr lohnt sich jede diesbezügliche Bemühung vor Ort – denn Schulzeit ist kostbare Entwicklungszeit!

5. Der spirituelle Denkansatz und die Weltanschauungsfrage

Die von Rudolf Steiner begründete Anthroposophie hat nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Gebieten der Landwirtschaft, der Medizin, der Heilpädagogik und Pädagogik sowie sozialer Wirtschaftsformen Bedeutendes geleistet – nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit. Auch wenn diese Leistungen respektiert und anerkannt sind, steht man doch ihrem „geistigen Überbau“, d. h. der spirituellen Denkweise, von Steiner auch Geisteswissenschaft genannt, eher verständnislos gegenüber.

Selbstverständlich ist in der herrschenden materialistisch-naturwissenschaftlichen Denkweise für eine Wissenschaft vom Geist, wie sie in der Anthroposophie oder anderen spirituellen Arbeitsrichtungen und Philosophien vertreten wird, kein Platz. Es ist aber de facto nicht gleichgültig für das eigene Denken und Handeln, welche Vorstellung vom Menschen man sich macht. Je nach Denkweise und Vorstellungsvermögen differieren die Menschenbilder und die Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Auch der Umgang mit Krankheit und Tod und das für möglich halten einer spirituellen Prä- und Postexistenz sind dadurch geprägt. Dafür Respekt und Toleranz zu entwickeln, ist Kern humanistischer Kultur.

Fazit

Die hier dargestellten fünf Denkansätze sind ein Plädoyer dafür, bei der Bewältigung der Pandemie mehr Interdisziplinarität und unterschiedliche Betrachtungsweisen zuzulassen. Denn das Leben ist ein komplexer Vorgang und, was ihm dient, ebenso. Zudem ist eine Entwicklung zu Freiheit und Würde ohne Risiko nicht zu haben. Indem sich Denkweisen und daraus resultierende Handlungsoptionen ergänzen und Alleinvertretungsansprüche relativiert werden, wird man dem Leben in seiner Komplexität eher gerecht. So notwendig klare politische Rahmenbedingungen zur Eindämmung des Pandemiegeschehens sind, so unerlässlich sind auch die Ermutigung der Bevölkerung zu Selbst- und Mitverantwortung und die realistische Risikoeinschätzung vor Ort.

Vgl. Memorandum – Ostern 2021 gemeinsam mit Andreas Neider

CORONA-STANDORTBESTIMMUNG JANUAR 22

Der Staat selbst ist niemals Zweck, er ist nur wichtig als eine Bedingung, unter welcher der Zweck der Menschheit erfüllt werden kann, und dieser Zweck der Menschheit ist kein anderer als die Ausbildung aller Kräfte des Menschen, Fortschreitung.

Friedrich Schiller

Wo stehen wir jetzt in der Corona-Pandemie?

Was hilft, konstruktiv mit ihren Folgen zu leben?

Vorbemerkung

Im Verlaufe der Corona-Pandemie ist bereits so viel zum Thema erschienen, dass die Frage nur zu berechtigt ist:

Was sollte denn jetzt noch geschrieben werden?

Wem könnte es dienen? Wem helfen?

Wen mag es in der Flut der verschiedenen Ansichten und Interpretationen von Zahlen, Fakten, Statistiken interessieren?

Hinzu kommt, dass das Pandemiegeschehen die Gesellschaft derartig polarisiert hat, dass viele inzwischen das Thema tabui­sie­rt haben, um den sozialen Frieden nicht noch mehr zu gefährden. So ist es nur zu begreiflich, dass Verunsicherung, Ängste und Orien­tierungs­losigkeit die Folge sind - trotz der politischen und medialen Einheitlichkeit in der Kom­mu­ni­kation, der strategischen Ziele und der daraus abgeleiteten Maßnahmen. Jedenfalls waren es die Sprach­losigkeit und das Ohnmachts­erleben, die mir in vielen Gesprächen zum Thema begegnet sind, die mich letzt­lich motiviert haben, diesen Beitrag zu schreiben. Zumal die Krise ja chronisch zu werden droht und der Ruf nach der Impfpflicht mit unbekannt vielen Folgeimpfungen im Gegensatz zu den Hoffnungen steht, dass die Pandemie doch in absehbarer Zeit in eine Endemie einmünden und damit enden könnte. Wirklich klar ist jedenfalls inzwischen nur eines: Das Auftreten der Omikron-Variante, die sich schneller und umfassender unter Geimpften und Ungeimpften ausbreitet, macht deutlich, dass wir mit dem Virus und seinen Mutationen leben lernen müssen. Zudem hat sich im Laufe der Pandemie deutlich gezeigt, dass sie auf drei verschiedenen Ebenen Diskussionsstoff bietet:  auf der Ebene persönlicher Betroffenheit im Krankheitsfall oder in der Sorge um Freunde und Bekannte, auf der Ebene der verschiedenen Länder mit ihren teils unterschiedlichen Vorgehensweisen und schließlich auf der globalen wirtschaftspolitischen Ebene. Für diese drei Diskussionsebenen konstruktive Zukunfts­perspektiven aufzuzeigen ist mein Anliegen – ebenso die Kraftquellen zu charakterisieren, die angesichts der Sorgen und Ängste zur inneren Stabilisierung beitragen können.

Die drei Diskussionsebenen der Pandemie

1.     Die Globale Ebene

Die Pandemie war und ist ein globales Ereignis, das kaum einen Menschen unberührt gelassen hat. Global erlebbar war auch der Gleichklang in der strategischen Grund­orien­tierung, mit der die internationale Staatengemein­schaft sich bemüht hat, die Pandemie zu bewältigen. Der wirt­schaftspolitische Kontext zeigt klare Entwick­lungs­per­spektiven auf. Sie sind geprägt durch die Technisierung und Digitalisierung aller Arbeitsbereiche, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich entwickelt und weltweit etabliert haben. Damit verbunden ist auch der globale Aufbau elektronischer Kontroll- und Überwachungs­systeme im Dienste von Sicherheit und Gesundheit, der im Kontext der Pandemie vorange­trieben wurde und wo er schon existierte, wie in China, perfektioniert worden ist. Aufgrund der verbreiteten Ängste vor Terror, schwerer Krankheit und Tod kann und konnte man diesbezüglich zwar mit großer sozialer Akzeptanz rechnen. Es sind jedoch auch viele Menschen dafür sensibilisiert worden, dass diese Entwicklung für die demokratisch-westliche Welt eine große Herausforderung darstellt. Das hat mich daran erinnert, dass der amerikanische Computerspezialist Josef Weizenbaum bereits 1984 in einem in Deutschland gegebenen Interview auf die Frage von Journalisten, ob der Computer den Überwachungsstaat bringen wird, klar mit Ja geantwortet hat. Selbstverständlich sei dies der Fall – darauf sei doch von Anfang an hingearbeitet worden. Wenn er aber kommen würde, dieser Überwachungsstaat, dann wäre nicht der Computer daran schuld, sondern die Menschen, die ihre Freiheit nicht verteidigen.[1]

Heute sind Bücher wie „Covid-19: Der große Umbruch“ von Klaus Schwab und Thierry Malleret[2] oder „Chronik einer angekündigten Krise“ von Paul Schreyer, sowie die Auf­klärungsbücher und Videos von Ernst Wolff zum globa­len Finanzmanagement und seiner Zukunft[3], schon klassische Augenöffner geworden, indem sie die Diskus­sion zu diesem Thema mit markanten Fakten aus Wirtschaft und Politik untermauern.

Dass China aufgrund seines kommunistischen Sozialverständnisses der große Vorreiter in Bezug auf die Einführung der Über­wachungstechnologie ist und auch bereits an der digitalen Landeswährung arbei­tet als Vorbild für die Welt, liegt ebenfalls offen zutage. Auch dass in Pandemiezeiten schon aus Angst um Leib und Leben die Menschen mehrheitlich Sicherheit über Freiheit stellen und soziale Erfor­dernisse über persönliche Bedürfnisse, erscheint inzwischen fast selbstverständlich. Die Angst vor dem Virus legitimiert nicht nur die Verlagerung vieler Arbeitsbereiche in den virtuellen Raum, sondern rechtfertigt auch den enormen Digitalisierungsschub im Bildungswesen und die Etablie­rung der Kontrollsysteme zur Überwachung von Ansteckungsketten, Test-, Impf- und Genesenen-Status im öffentlichen Raum.

Dabei vollzieht sich diese Entwicklung unter dem Druck der Ereignisse so unausweichlich schnell, dass sie sich demo­kratischer Kontrolle entzieht, indem wenigen Fachleuten und Verantwortungsträgern die Entscheidung überlassen wird. Zudem trägt die Gefahr der Unterwanderung friedlicher Demonstrationen durch gewaltbereite rechte Gruppierungen und die mediale Diskriminierung Andersdenkender auch nicht zur Motivation bei, diese Entwicklungen kritisch zu kommentieren und zu hinterfragen. Zu groß ist die Sorge, in die Ecke von Verschwörungstheoretikern und Coronaleugnern geschoben und nicht mehr ernst genommen zu werden.

Tagesthemen-Interview mit Bill Gates April 2020

Bei meinem Versuch, diese globale Situation besser zu verstehen, hat mir das in den Tagesthemen am 14. April 2020 ausgestrahlte Interview mit Bill Gates im deutschen Fernsehen sehr geholfen. Seine klare Beschreibung der pandemischen Lage und was er der globalen Staaten­gemeinschaft empfiehlt, machte mir deutlich, warum weltweit bisher nur ein Weg aus der Krise aufgezeigt und realisiert wurde - nämlich der der Impfung.[4] Ich fasse seine Aussagen hier kurz zusammen, es lohnt sich aber, dieses programmatische Interview in seiner Gänze zu hören. Denn hier wendet sich einer der mächtigsten und reichsten Männer der Welt unmittelbar an die Bevölkerung und macht dadurch transparent und ver­ständlich, was wir alle seit bald zwei Jahren erleben.

Es handelt sich dabei um die Darstellung klar konzi­pier­ter strate­gischer Ziele, die nicht nur festliegen, sondern offenbar auch den Konsens von knapp 200 Staaten weltweit haben – was für sich genommen schon ein Wunder ist, wenn man sich vor Augen hält, wie schwierig es sonst bei wichtigen Fragen ist, zu einem irgendwie gearteten Kon­sens zu kommen.

Warum ging es hier wie im Hand­um­drehen, dass alle an einem Strang ziehen, während man sich bei anderen wichtigen Fragen wie Klima und Umwelt, Hunger und soziales Elend infolge von Kriegen und Migration, Ernährung und Boden­gesundheit mit kleinsten zäh errungenen Etappenzielen zufriedengeben muss?

Mit Begeisterung setzt sich jedenfalls Bill Gates in diesem Interview für eine globale, gemeinsame Strategie zur Be­kämpfung der Coronapandemie ein. Je besser alle Staaten zusammen­arbeiten und unterstützen, dass weltweit an geeigneten Standorten Fabriken gebaut werden, um genügend quali­tativ hochwertigen Impfstoff herzustellen, desto schneller werden wir es – so Gates – schaffen, diese Pandemie zu bewältigen. Insbesondere aber werden wir dadurch auch für zu­künftige Pandemien, die mit Sicherheit kommen werden, gerüstet sein. Diesem Ziel diene auch die intensive For­schung und Entwicklung von mRNA-Impf­stoffen, die für alle möglichen Virusinfektionskrankheiten maß­ge­schnei­dert sein werden und dann bedeutend schneller zur Verfügung stehen können, als dies bei Covid-19 der Fall war.

Denn wenn man keine Wunder­heil­mittel für gefährliche Viruserkrankungen findet, braucht es die Impfstoffe, um in Zukunft die Isolierungen, Schulschlie­ßun­gen, Lockdowns etc. vermeiden zu können. Wenn es aber gelingt, 7 Milliarden Menschen zu impfen, dann „haben wir es gemeinsam geschafft!“ Darauf können wir dann stolz sein und werden in einem neuen Zeitalter leben, in dem künftige Pandemien keine Schrecken mehr verbreiten können.

Pandemiemanagement seither

Die seit diesem Interview vergangenen eindreiviertel Jahre haben gezeigt, wie die Staaten – unterstützt durch die mediale Berichterstattung – weltweit alles nur Mögliche unternommen haben, gemäß dieser strategischen Vor­gaben das Pandemiemanagement umzu­setzen und die dafür nötigen Gesetzesgrundlagen zu schaffen. Politiker, Wissenschaftler, Juristen, Fachleute aus der Medizin – alle zogen an einem Strang. Dass hier große wirt­schafts­politische Machtfaktoren entscheidende Trieb­kräfte sind, um solch rasche internationale Überein­künfte zuwege zu bringen, ist das eine.

Das andere aber ist die noch tiefer liegende Frage, welche Denkweise einer solchen Moti­vation zu Grunde liegt, dass sie dem damit verbundenen wirtschaftspolitischen Willen eine solche Schubkraft ver­leihen und die Menschen mehrheitlich überzeugen kann.

Warum konnte und kann sich diese Denkweise bis heute quasi „alternativlos“ durch­setzen?

Eine solche Strategie kann doch nur dann begeis­tern, wenn man ein Menschen­bild hat, in dem der menschliche Organismus in Gesund­heit und Krankheit ein steuerbares Objekt in einer macht­voll zu steuernden Gesellschaft darstellt. Es ist dies aber nicht nur der natur­wissenschaftlich-materialistische, sondern auch der sozial­darwinistische und transhumanistische Gedanken­ansatz. Bekanntermaßen liegt dieser Ansatz aber auch dem rassis­ti­schen Ideengut zugrunde, sowie den nationalsozia­listi­schen und kommunistischen Diktaturen.

Doch jetzt, wo es um die Gesundheit geht und die Angst, schwer zu erkranken oder zu sterben, den größten Teil der Mensch­heit erfasst hat, wird diese Tat­sache offenbar verdrängt, obgleich die in das persön­liche und soziale Leben tief eingreifenden Schutz­maßnahmen eine deutlich lebens­feind­liche Sprache gesprochen haben und noch immer sprechen. Dazu gehört auch, dass die Menschen, die infolge der Maßnahmen zu Schaden kamen oder infolge von Hunger, Armut, Einsamkeit gestorben sind, nicht annähernd so registriert und kommuniziert wurden wie die positiven Testergebnisse und nachgewie­senen Covid-19-Infektionen, bei denen man zudem ver­misst, ebenso regelmäßig zu erfahren, wie viele Geimpfte unter den positiv Getesteten und Erkrankten sind.

Warum werden diese Unklarheiten in Kauf genom­men, warum wurden die maßnahmenbedingten immensen Kollateral­schäden bei Kindern und Erwachsenen bisher nicht zum Anlass genommen, das Krisenmanagement zu überdenken oder zumindest faire öffentliche Diskussionen darüber zuzu­lassen?

Oder wenigstens Menschen unbeschadet zu lassen, die sich Kritik erlauben?

Könnte das geschehen, müsste man sich zu einer anderen Denk- und Hand­lungsweise entschließen. Das erscheint jedoch derzeit nicht gewollt.

Daher wundert es mich auch nicht, dass der seit Jahr­zehnten stattfindende Umbau der Kranken­häuser in wirtschaftlich rentable Unter­nehmen nahezu wider­spruchslos über die Bühne gegangen ist und weiterhin geht. Das Vorhalten von Betten und qualifiziertem Fach­personal – d.h. das vorsorgliche Bereitstellen von Betten, die nicht belegt sind für allfällige Notfälle – bedeutet eben Investitionen ohne Gewinn. Und wer will das schon?

Muss dann nicht Personal wo immer möglich eingespart und überzählige Betten abgebaut werden? Je besser belegt, vor allem auf der Intensivstation, umso rentabler ist das Krankenhaus. Dass bei solch profitorientiertem Manage­ment die Kapazitäts­grenzen schnell erreicht sind, ist selbst­verständlich, auch dass sich das Pandemieregime dann daran anpasst, weil es von derselben ökonomisch aus­ge­richteten Logik be­herrscht wird. Wenn jedoch die geltenden Spielregeln des Welt­marktes auch zum Maßstab für die Gesundheits­fürsorge und den Umgang mit hilfs­bedürftigen Menschen werden, geht dies mit Not­wen­digkeit auf Kosten humaner Werte und Entwicklungs­möglichkeiten.

Eine am Menschen orientierte Denkweise kann sich nicht primär am „homo oeconomicus“ orientieren, da die damit verbundenen ethisch-moralischen Defizite allzu offensichtlich sind. Jeder weiß doch im Grunde, dass, wenn man in die Entwicklung von Mensch­lichkeit nicht investiert, sie schwindet. Wenn sich politi­sches Handeln primär an Zahlen und Statistiken orientiert und nicht an den realen Lebens­verhältnissen, muss es Gefahr laufen, inhuman zu werden.

Hinzu kommt, dass äußerst kapitalkräftige Vertreter der transhumanistischen Idee nicht nur vom durch künstliche Intelligenz technisch perfek­tio­nierten Menschen träumen, sondern längst an der Realisierung dieser Visionen arbeiten. Was vor Jahr­zehn­ten noch als Science-Fiction anmutete, wird zunehmend Realität, auch wenn dies in der öffentlichen Wahrnehmung noch nicht im Vordergrund steht.

Wesentliche Fragen

Die Coronapandemie mit ihren schmerzhaften Kollateral­schäden hat jedoch dazu beigetragen, dass immer mehr Menschen aufwachen und sich neu die Frage nach dem stellen, was wirklich wesentlich ist.

Was ist denn mein Bild vom Menschen?

Wie stelle ich mir die Zukunft vor?

In welcher Gesellschaft möchte ich leben?

Welche Rolle soll die Technik in meinem Leben spielen?

Wie weit dient die sich immer mehr verselbständigende künstliche Intelligenz (KI) noch dem Zivilisationsfortschritt und dem einzelnen Menschen in seiner Entwicklung?

Wo fängt sie an, den Menschen so zu verein­nahmen und zu beherr­schen, dass Selbst­bestim­mung und Autonomie­entwicklung des Ein­zel­nen behindert oder unmöglich gemacht werden?

Ganz abgesehen davon, dass viele Bereiche, die durch KI kontrolliert und weiterentwickelt werden, inzwischen so komplex geworden sind, dass sie von Menschen ohne Unterstützung durch KI nicht mehr überschaut werden können.

Die Autoren Kissinger, Schmidt und Huttenlocher nehmen sich dieser Fragen eindringlich an, einschließlich der KI- gestützten Kontrolle modernster Waffensysteme und Sicherheitsfragen.[5]

Transhumanistische Zukunftsvisionen

Hinzu kommen die Zukunfts­visionen der Transhumanisten.

Möchte ich wirklich mein Gehirn mit KI zur Optimierung meines Bewusstseins verbinden?

Und – wenn dieses Gehirn biologisch nachlässt und der Körper verfällt – als Roboter meiner selbst ein technisch perfektes ewiges Leben haben?

Wie stehe ich zu den Zukunftsvisionen, in denen menschliche und künstliche Intelligenz zunehmend verschmelzen werden?

Wie mutet das an, wenn so gedacht und in diese Richtung konsequent gearbeitet wird: „Maschinen werden mensch­lich sein, auch wenn sie nicht biologisch sind. Darin besteht der nächste Evolutionsschritt, der nächste große Paradigmenwechsel.“„Die meiste Intelligenz der Zivili­sation wird letztlich nicht biologisch sein. Bis zum Ende des Jahr­hunderts wird sie das menschliche Denkvermögen viele Milliarden mal über­steigen.“ (Nach: Ray Kurzweil: Menschheit 2.0, S. 31). „Der AI-Tag wird in weniger als 25 Jahren Weihnachten als den wichtigsten Feiertag ersetzen (…) Eine Sache für die menschliche Spezies ist sicher: Die Geburt einer fortge­schrittenen künstlichen Intelligenz wird viel wichtiger als die Geburt Christi werden. Weih­nachten, wenn es über­haupt überlebt, wird zu einem bloß gewerblichen und kul­turellen Feiertag absteigen, den die Supermärkte und die großen Unternehmen aufleben lassen. Unterdessen wer­den vernünftige Menschen den AI-Tag als den realen Moment in der Geschichte feiern, wo der Retter der Zivili­sation geboren wurde.“[6]

Prominente Transhumanisten wie Elon Musk, der Google-Mitbegründer Larry Page und Ray Kurzweil sind große Visionäre. Mit ihren Plänen zur digitalen Transformation und deren konsequenter Umsetzung für die Schaffung einer neuen globalen wissenschaftlich und technisch fun­dierten Kultur haben sie einen entscheidenden Einfluss auf den Alltag jedes Einzelnen gewonnen. Auch wenn sich dieser Einfluss demokratischer Kon­trolle entzieht - sind wir es doch alle, die durch unsere willige Teilnahme am Digitalisierungs-Hype diese Kultur mitgestalten und da­durch auch legitimieren. Edwin Hübner ist dieser Tat­sache in seiner umfangreichen Recherche zur künstlichen Intelli­genz und dem menschlichen Geist nachgegangen.[7]

Er kontrastiert diese neue technokratische Weltanschau­ung aber auch eindrücklich mit der spirituell fundierten Anthroposophischen Weltsicht. Auch in der Anthroposo­phie geht es um Visionen für die Zukunft der Menschheit, auch hier steht die Erlangung eines umfassenden „ewigen“ Bewusstseins im Zentrum der Bemühungen –  aber gebaut auf die spirituelle Kraft des Denkens und dessen Weiter­entwicklung durch Konzentration und Meditation.

Selbstverständlich ist es faszinierend, sich durch die Intelli­genz der technischen Dienstleister bedienen zu lassen. Die feine Schwelle aber, die Abhängigkeit von Autonomie trennt, geht durch jedes menschliche Herz.

Dort rumoren auch Fragen wie:

Warum nehmen wir diese globalen technischen Entwicklungen und immer perfek­te­ren Steuerungs- und Überwachungsinstrumente noch immer nicht so ernst, dass die Zivilgesellschaft hier ihr Recht zur Mitgestaltung mit demokratischen Mitteln klar einfordert?

Offenbar hält die Mehrheit der Menschen diese Entwick­lungen bisher für die moderne unausweich­liche Zukunfts­perspektive für das 21. Jahrhundert. Andere hin­gegen machen sich Sorgen und fragen:

Was muss denn noch alles geschehen, wann ist sozusagen die Schmerz­grenze erreicht für Umwelt und Mensch, so dass ein Umdenken auch in eine lebensgemäße und ökologisch heilsame politische Willensbildung einmünden kann?

Oder: Wann kommt der sogenannte Kipp­punkt, dass nicht nur das ökologische Gleichgewicht irreversibel aus den Fugen gerät – sondern auch der Mensch selbst sich so von seinen eigenen spiri­tuellen Entwicklungsmöglichkeiten entfremdet und das Menschenfeindliche und Destruktive dieser ökonomisch-technisch orientierten Denkweise sich überall zu zeigen beginnt?

Selbstverständlich können solche Fragen nicht im Sinne eines Entweder-Oder mit Bezug auf „fortschrittlich-technisch“ oder „rückwärtsgewandt-technikfeindlich“ be­ant­­wortet werden.

Vielmehr geht es darum, wie jeder einzelne von uns um seine ganz individuelle Antwort ringt. Wie man für sich die Frage beantwortet, wo und wie man sich im digitalen Zeitalter persönlich und sozial positio­nieren und engagieren möchte. Goethe lässt in seinem „Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie“ den Alten mit der Lampe sagen: Ein Einzelner hilft nicht, sondern, wer sich mit vielen zur rechten Stunde vereinigt. Unter diesem Motto hat sich auch die europäische Allianz von Initiativen angewandter Anthroposophie begründet – als Beitrag zum Umdenken und zur Unterstützung von an humanen Werten orientierten Kulturinitiativen.[8]

Technik funktioniert intelligent – ist aber selber tote Gegen­ständlichkeit.

Leben als komplexer Zusammenhang

Leben hingegen ist ein umfassender komplexer Zusammenhang, aus dem sich im gesunden Zustand nichts isoliert, sondern worin jedes Teil dem Ganzen dient und zugleich seine klare eigene funktionale Identität hat. Um Leben zu verstehen und dem Leben zu dienen, braucht es eine an den Lebensverhältnissen orientierte Denkweise. Diese kann nicht linear oder kausal sein – sie braucht Komplexität und Multiperspektivität.

Der russische Dichter und Philosoph Leo Tolstoi (1828-1910) hat in seinem Buch „Leben“ dieses Erfordernis ein­drucksvoll an­hand vieler Beispiele charakterisiert. Beson­ders berüh­rend ist, wie er auch den Tod in das Leben integriert und sein eigenes Erleben von der Postexistenz nach dem Tod beschreibt:

„Mein Bruder ist gestorben, sein Kokon, es ist wahr, ist leer geworden, ich sehe ihn nicht mehr in der Form in der ich ihn bisher gesehen, aber sein Entschwinden aus meinen Blicken hat meine Beziehung zu ihm nicht ver­nichtet. Mir ist, wie wir sagen, die Erinnerung an ihn geblieben. (…) Und diese Erinnerung ist umso lebhafter, je übereinstimmender das Leben meines Freundes, meines Bruders mit dem Gesetze der Vernunft war, je mehr es sich in der Liebe offenbart hat. Diese Erinnerung ist nicht bloß eine Vorstellung, sondern diese Erinnerung ist etwas, das auf mich einwirkt, und zwar ebenso einwirkt, wie das Leben meines Bruders auf mich während der Zeit seines irdischen Daseins eingewirkt hat. Diese Erinnerung ist dieselbe unsichtbare immaterielle Atmosphäre, die sein Leben umgeben und während seines leiblichen Daseins auf mich und auf andere eingewirkt hat, ebenso wie sie auch nach seinem Tode auf mich einwirkt. (…) Mehr als das: diese Erinnerung wird für mich nach seinem Tode viel bindender, als sie es bei seinen Lebzeiten war. Jene Kraft des Lebens, die in meinem Bruder gewesen ist, ist nicht nur nicht verschwunden und nicht geringer geworden, sie ist auch nicht dieselbe geblieben, sie ist sogar größer gewor­den und wirkt auf mich stärker als früher. Die Kraft seines Lebens wirkt nach seinem leiblichen Tode ebenso oder noch stärker als vor dem Tode, und wirkt wie alles wahr­haft Lebende. (…) Dieses mir unsichtbare Leben meines Bruders wirkt nicht bloß auf mich, sondern es dringt in mich ein. (…) Der Mensch ist gestor­ben, aber sein Verhältnis zur Welt wirkt fort auf die Menschen, und nicht nur so wie im Leben, sondern um ein Bedeutendes stärker, und die Wirkung steigert sich in dem Maße der Ver­nünftigkeit und der Liebe und wächst wie alles Lebende, ohne je aufzuhören und ohne Unter­brechungen zu kennen. Sein besonderes lebendes Ich, sein Verhältnis zur Welt wird das meinige.“[9]

Dass Tolstoi so schreiben kann, von tiefster innerer Gewissheit durchdrungen, ist Folge seiner intensiven lebenslangen Suche nach dem Sinn der menschlichen Existenz, nach seiner eigenen spirituellen Identität, die ihn dann im Alter von 49 Jahren so in eine innere Christus­begegnung hereinführt, dass er sich ab da erst wirklich als Mensch erlebt. Die für das sinnliche Auge nicht wahr­nehmbaren Gedanken und Gefühle werden für ihn reales seelisches und geistiges Leben, wie der komplexe Zusam­menhang seines körperlichen Lebens in der natür­lichen und sozialen Umwelt seine biologische Grundlage hat.

Fazit: Unsere Zukunft in globaler Perspektive wird von der Art und Weise abhängen, welche Antwort wir Menschen auf die Frage geben, „was Ziel und Zweck“ eines menschlichen Lebens auf der Erde ist. Friedrich Schiller hat darauf bereits die zukunft­weisende Antwort gegeben, die ich daher diesem Beitrag als Motto vorangestellt habe. Eins scheint jedenfalls gewiss: Halten sich die transhuma­nisti­schen Menschengruppierungen und die auf spiri­tuel­len We­gen ihre Weiterentwicklung Suchenden die Waage, so wird es interessant und konstruktiv weitergehen. Werden die letzteren lächerlich ge­macht, diskriminiert, verun­glimpft und womöglich ausgeschal­tet, stehen unange­neh­me Zeiten bevor.

2. Regional-nationale Ebene

Hier geht es um die Situation der Gesund­heitssysteme in den verschiedenen Ländern und die Art und Weise, wie dort mit entsprechenden Maß­nahmen auf statistische Voraussagen und Empfehlungen von mei­nungsführen­den Wissenschaftlern und Medizinern reagiert wurde und wird. Dabei ist interessant, dass der Pandemieverlauf in den verschiedenen Ländern zeigt, dass die Vor- und Nachteile strengerer oder lockerer Pandemie-Bekämpfungs­maß­nahmen sich durchaus die Waage halten. Ein gutes Beispiel dafür ist der Vergleich von England und Deutschland.[10]

Auch der bekannteste Virologe in Deutschland, Professor Drosten, hat bestätigt und zudem ehrlich klargestellt, dass eine Viruspandemie mit ihren Mutationen erst endet, wenn die Bevölkerung durch­immunisiert ist – durch einen Mix aus Durchimpfung und Durchseuchung der Bevölkerung.

Warum haben Schweden und England keine vierte Welle mit einschneidenden Maßnahmen zur Eindämmung, sondern ein annähernd normales Leben?

Weil sie neben ihrer hohen Impfquote bedeutend mehr Genesene haben als dies für Deutschland der Fall ist.

Interview mit Drosten, November 2021

In einem Interview mit der Wochen­schrift „Die Zeit“ vom 11. November 2021 resumiert Drosten: „Bevor die Virusvarianten auftauchten, konnten wir hoffen, dass nach der Impfung auch ein monatelanger Übertragungsschutz besteht. Damals haben wir zu Recht über einen möglichen Herden­schutz diskutiert: Man impft 70 %, und der Rest infiziert sich nach und nach in den nächsten Monaten bis Jahren. Nach eineinhalb Jahren wären die meisten durch, die Intensivstationen wären über lange Zeit ausgelastet, aber nicht überlastet. Dann hätte man keine weiteren Kontroll­maßnahmen gebraucht. (…) jetzt können wir auf diesen Effekt nicht mehr hoffen. Das Delta-Virus verbreitet sich bei einer erheblichen Fraktion der Geimpften weiter. (…) Die Virus­last - und ich meine die isolierbare infektiöse Viruslast - ist in den ersten paar Tagen der Infektion durchaus ver­gleichbar. Dann sinkt sie bei Geimpften schneller. Das Dumme ist, diese Infektion wird gleich am Anfang über­tragen.“

Auf die Frage: Wie blicken Sie auf das nächste Jahr? antwortet Drosten: „Das Virus wird ende­misch werden. Wir können es auf keinen Fall weg­impfen, weil wir nicht die ganze Weltbevölkerung impfen können. Und bald kommen auch Immun Escape Varianten, gegen die die Impfung nicht mehr wirkt. Darum müssen wir bewusst in die endemische Phase eintreten.“

Und auf die Frage, wie diese denn aussehen könnte verweist Drosten auf England: „Das können Sie in England beobachten. England hat unge­fähr eine so hohe Impf­quote wie wir und leider doppelt so viele Tote pro Einwohner. England ist nun in einer Nachdurchseuchungsphase, die seit dem Spät­sommer anhält. Diese natürlichen Infektionen bauen den Gemein­­schaftsschutz auf (Hervorhebungen durch die Verfas­serin). Bei uns geht das noch nicht, denn es gibt weniger Genesene, und die Alten sind schlechter geimpft. Bei uns würde eine unkon­trollierte Nachdurchseuchung minde­stens noch einmal 100.000 Tote bedeuten, wenn wir nicht die Impf­lücken vorher schließen.“

Und auf die Frage, ob sich denn dann jeder im Rahmen dieser Nachdurch­seuchung anste­cken wird, bemerkt er: „Ich halte das für unausweichlich. Wir werden uns alle - hoffentlich auf dem Fundament einer vollständigen Impfimmunisierung – irgendwann anstecken müssen, schon damit wir eine relevante Immunisierung kriegen.“

Offenbar reicht die Immunisierung durch Impfung nicht aus, weswegen Drosten nachsetzt und sagt: „Die Impfimmunisierung wirkt systemisch, sie schützt die Lunge, man erleidet keinen schwereren Verlauf mehr. Aber die Grund­immu­ni­tät schwindet allmählich, und die Schleimhaut in Nase und Rachen ist wieder ungeschützt. Das ist bei allen anderen Coronaviren auch so. Alle eineinhalb Jahre holen wir uns jedes dieser vier Corona­viren, ob wir daran erkranken oder nicht. Dadurch wird unsere Immunität immer wieder upgedatet. Bei diesem Coronavirus müssen wir auch in diesen Modus kommen“ (Hervorhebung durch die Verfasserin). Diese Einschätzung des weiteren Pandemieverlaufs könnte auch zu wesentlich differenzierteren und humaneren Bewältigungsstrategien der Pandemie Anlass geben und das immer gleiche wiederholen des Paradigmas „Impfen, impfen, impfen als der einzige Ausweg aus der Krise“ relativieren.

Das Interview schließt damit ab, dass in den kommenden Jahren das Virus harmlos werden wird, wie ein normales Erkältungsvirus und wir schluss­endlich als Gesellschaft dagegen immun sein werden. Auf die Frage, ob dann nicht neue Viren mit pandemischem Charakter auftreten können, verweist Drosten auf die schlechten Lebens­bedingungen in vielen Teilen der Welt und den brutalen Umgang mit den Tieren, die das Entste­hen von Pandemien eindeutig fördern.

Durchgehend einseitige Begleitung durch die Medien

Bedauerlich ist jedoch, wie konsequent einseitig in fast allen Ländern die mediale Begleitung der Pandemie mit dem Impfparadigma im Zentrum vonstattengeht.

Warum kommen Stimmen namhafter Fachleute aus Psychologie, Soziologie und Philo­sophie allenfalls im Gastkommentar der Leitmedien zu Wort, wohingegen sie in den Entscheidungsgremien keine Stimme haben?

Warum riskieren nicht wenige Ruf und berufliche Stellung, wenn sie sich öffentlich kritisch gegenüber den Pandemie-Maßnahmen äußern?

Ein typisches Beispiel für solches Vorgehen ist der Wissenschaftler und Allgemeinmediziner Andreas Sönnichsen in Österreich, der sich vehement gegen die dort bereits beschlossene Impfpflicht eingesetzt hat. Er ist inzwischen von seiner leitenden Funktion als Leiter der Abteilung für Allgemeinmedizin an der Med­izinischen Universität in Wien entbunden worden.[11]

Selbst Gabor Steingart, der sonst erstaunlich konsequent das Main­stream­narrativ vertritt, schrieb am 16.11.21 in seinem Morgenbriefing sinnierend: „Mit den Infektionszahlen steigt der Druck im Kessel der Demo­kratie. Vielerorts wird nicht mehr gesprochen, es wird gegiftet. Die Tyrannei der Ungeimpften, schimpfen die einen. Von der Corona-Dikta­tur sprechen die anderen. Die Impfgegner und ihre Antagonisten sind einander zuweilen ähnlicher als sie wahr­haben wollen. (…) Die aggressive Uneinsichtigkeit der Einen ist das Problem, das durch das demonstrative Unverständnis der anderen verstärkt und nicht gemildert wird. Private Angst trifft auf staatliche Autorität, so oft und so heftig, bis wir von beidem mutmaßlich mehr erleben werden: mehr Angst und mehr Autorität.“

Kritische Ansichten als Beitrag zum Ganzen

Ein am Menschen und an der Lebens­wirk­lichkeit orientiertes Denken würde für gegenseitiges Verständnis sorgen und das Berechtigte der beiden polaren Ansichten als Beitrag zum Ganzen unterstreichen. Es würde Mittel und Wege finden, dass sich die Meinungsvielfalt konstruktiv im gesellschaftlichen Diskurs zur Lage artikulieren kann. Wohingegen unilaterales Denken Feindbilder braucht, um sich zu legitimieren und die eigene Durchsetzungsfähigkeit zu stärken.

Umso erfreulicher sind vereinzelte Gastkommentare großer Zeitungen wie zum Bei­spiel in der Neuen Zürcher Zeitung vom 30. Oktober 2021 in dem Beitrag von Kristina Schröder und Andreas Rödder „Für eine bürgerliche Renaissance. Offene Gesell­schaften sind inno­vativer, leistungsfähiger und humaner. Aber wie könnten neue Konzepte bürgerlicher Politik ohne Denk­verbote aus­sehen?“ Darin heißt es: „Eine neue bürgerliche Politik reagiert auf alle genannten Heraus­forderungen weder mit retro-nostalgischer Ignoranz noch mit der ideologischen Versuchung, eine neue Welt zu formen. Eine nachhaltige und zukunftsfähige bürgerliche Politik sucht vielmehr nach neuen Antworten aus den be­währ­ten Prinzipien, die seit der Aufklärung ein beispiel­loses Maß an Freiheit und Lebensqualität begründet haben: Selbst­verantwortung und Subsidiarität, Freiheit und Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit, Ordnungs­politik und soziale Markt­wirtschaft, Wett­bewerb­s­orientierung und Technologie­offenheit. Sie alle sind keine Selbst­verständ­lichkeiten gegenüber staatlich gelenkter Transfor­mation und neuer Ständegesellschaft, Einzel-Couch und Twitter-Mobs, nationalistischen Res­senti­ments, Fake News oder angeb­lichen pandemischen Imperativen.“

Die beiden Autoren sind Mitbegründer der Denkfabrik R21: „Wir wollen auf einen breiten respektvollen öffent­lichen Diskurs ohne Denk- und Sprechverbote hinwirken, indem die aufklärerische Errungenschaft wieder gilt: es kommt nicht darauf an, wer etwas sagt, sondern darauf, was er oder sie zu sagen hat.“ Und: „Denn Bürgerinnen und Bürger sehen sich nicht als Gefangene übermächtiger äußerer Kräfte, sondern als Gestalter ihres eigenen Glücks“. Da kann man gespannt sein, welche Denkweisen dort diskutiert werden und in welcher Form die Ergebnisse medial aufgegriffen werden.

Denn es ist außerordentlich bedrückend, wie derzeit mit mutigen Einzelpersonen aus dem Journalismus wie Ole Skambraks[12] nach seinem kritischen Beitrag[13] zu der ein­seiti­gen Berichterstattung in den Leitmedien umge­gangen wird. Er schließt diese Berichterstattung und seine darin gestellten Fragen zur Coronapandemie und ihren Wider­sprüchen mit den Worten: „Diese Zeilen schreibend komme ich mir vor wie ein Ketzer; jemand, der Hoch­verrat begeht und mit Strafe rechnen muss. Vielleicht ist es gar nicht so. Vielleicht riskiere ich hiermit gar nicht meinen Job, und Meinungsfreiheit und Pluralismus sind nicht gefährdet. Ich wünsche es mir sehr und freue mich über einen konstruktiven Austausch mit Kolleginnen und Kollegen.“ Leider war dies nicht der Fall. Was hat er geschrieben? Er hat eine Liste von Ungereimtheiten und offenen Fragen zusammengestellt – gut belegt und kommentiert – die bisher keine substanzielle Berichterstattung in den Medien erfahren haben.

Ungereimtheiten hinterfragt

Ich kann warm empfehlen, diese im Internet nachzulesen. Einige wenige füge ich hier an:

Warum steht im neuen Infektionsschutzgesetz, dass das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit und die Un­verletzlichkeit der Wohnung fortan eingeschränkt werden kann - auch unabhängig von einer epidemischen Lage?

Warum wird über das „Event 201“ und die glo­balen Pandemieübungen im Vorfeld der Aus­brei­tung von SARS-CoV-2 nicht oder nur in Ver­bindung mit Verschwö­rungsmythen gesprochen?

Warum wurde das den Medien bekannte, interne Papier aus dem Bundesinnenministerium nicht in Gänze ver­öffentlicht - und in der Öffentlichkeit diskutiert, in dem gefordert wurde, dass Behörden eine „Schockwirkung“ erzielen müssten, um Auswirkungen der Corona-Pande­mie auf die menschliche Gesellschaft zu verdeutlichen?

Warum werden Menschen mit schweren Impf­neben­wirkungen nicht im gleichen Maß portraitiert wie Menschen mit schweren Covid-19-Verläufen?

Am Ende schreibt der Redakteur:

„Die Einschränkung des Diskurses geht mittlerweile so weit, dass der Bayerische Rundfunk mehrfach bei der Übertragung von Parlamentsdebatten des Landtags die Reden von Abgeordneten, die kritisch zu den Maßnahmen stehen, nicht ausgestrahlt hat. Sieht so das neue Demokratieverständnis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus?“

Michael Esfeld, Professor für Philosophie an der Univer­sität Lausanne und Mitglied in der Deutschen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, hat in seinem Beitrag „Die Rückkehr des Kollektivismus“[14] das Problem auf den Punkt gebracht:

„Das Wissen der modernen Naturwissenschaft kann seinem Wesen nach nicht zur Steuerung der Gesellschaft eingesetzt werden. Aus den Theorien der Naturwissen­schaften folgt nur technisches Wissen, das uns sagen kann, wie man jeweils ein von außerhalb dieses Wissens stam­mendes konkretes Ziel verwirklichen kann. (….) Das Problem ist nun, dass es kein einheitliches Lebensziel für alle und keine einheitliche Risikoabwägung für alle gibt.“ Hingegen bemerkt der Literatur-Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa zu dieser Problematik in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung vom 2. November 2020: „Der Grat zwischen vernünftigen Maßnahmen zur Eindäm­mung der Pandemie und Machtanmaßungen der Politik ist naturgemäß sehr schmal … Und wenn wir die Freiheit verlieren, verlieren wir auf die Dauer alles. Ohne sie ist alles nichts.“

Der politische Wille hinter den Maßnahmen

Worauf fokussiert sich der „politische Wille“?

Das angeführte Interview mit Professor Drosten ist charakteristisch für das Pandemie-Dilemma, dessen Zeuge wir gegenwärtig alle sind. Die systemischen Ursachen der Pandemie lassen sich nur langsam und aufgrund wach­sender Einsicht bekämpfen. Gesundheitsversorgung mit mehr statt weniger Intensivbetten und besserer Ausstat­tung – auch finanziell und personell – im Bereich qualifi­zierter Pflege ist jedoch etwas, dem der politi­sche Wille derzeit nicht primär gilt. Im Gegenteil: Der Bürgermeister aus Neuhaus am Rennweg in Thüringen gibt sogar öffentlich zu – verbunden mit einer Entschuldigung gegenüber den Bürgern seines Einzugsgebietes –, dass aus ökonomischen Gründen nicht wenige Intensivbetten seit Pandemiebeginn abgebaut worden sind und die Krankenhäuser für jedes abgebaute Intensivbett einen Bonus in Höhe von 4500 bis 12000 Euro bekommen haben.[15]

In solcher Sachlage bleibt natürlich nur noch das Impf-Paradigma und die Kontakt­beschränkungen als einziger Weg zur Normalisierung, um den Prozess der Immunisierung der Gesamtbevöl­kerung so zu verlangsamen, dass das knapp gehaltene Gesund­heitswesen nicht überfordert ist. Die Konsequenzen einer solch einseitigen Prioritätensetzung trägt die Gesamt­bevölkerung – mit allen schmerzhaften Einschränkungen, finanziellen Einbußen, der Vernichtung von Arbeits­plätzen, und nicht zuletzt die von Schulschließungen und anderen Einschränkungen psychosozial geschädigte Generation von Schülerinnen und Schülern.

Ehrlicherweise möchte ich da­zu sagen, dass ich schon als Medizinstudentin in den siebziger Jahren keine Erkältungssaison zwischen Herbst und Frühjahr erlebt habe, wo Kliniken nicht vorüber­gehend Aufnahmestopp hatten und Patienten in andere Kliniken verlegt werden mussten, weil vor Ort alle Betten belegt waren. Und damals gab es noch bedeu­tend mehr Krankenhäuser und Betten als heute! So war das Argument der Überlastung der Krankenhäuser und Inten­sivstationen bei der ersten Welle durchaus nachvoll­ziehbar, weil man die notwendigen Präventions- und Schutzmaß­nahmen noch nicht genügend kannte und die ersten Annahmen davon ausgingen, dass schwere Verläufe weit häufiger sein würden, als dies dann tatsächlich der Fall war.

Warum aber dann in der Folge so viele Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte und soziales Elend in Kauf nehmen, nur weil der politisch-ökonomische Wille fehlt, sich darauf zu konzentrieren, wie man die pflegerische und stationäre Versorgungslage der Krankenhäuser verbessert und den Schutz der vulnerablen Gruppen optimiert?

Zudem war ja nach der zweiten Welle den Fachleuten klar, dass sich das Virus nicht stoppen lassen wird – allen Maßnahmen zum Trotz. Dass es, wie alle anderen Viren selbstverständlich auch, sich verändert, aber nicht verschwin­det.

Warum also jetzt kein Strategie­wechsel, der der tatsächlichen Lage gerecht wird?

Angesichts dieser Tatsachen ist die schmerzhafte Frage berechtigt, warum sich der politische Wille nach wie vor im Panikmodus befindet.

Warum bewegt sich der politische Wille nicht in Richtung eines möglichen, am realen Risiko orientierten „risikostratifizierten“ Krisen­management?

Diesen Begriff habe ich von Prof. Harald Mattes übernommen. Als Leiter einer großen Corona-Ambulanz und aufgestockter Corona-Intensivbetten­station in Berlin hat er sich bereits nach den Erfahrungen mit der ersten Welle im Oktober 2020 öffentlich für ein risikostratifiziertes Handeln im Pandemiegeschehen eingesetzt. Er kennt die Krankheit und ihre Risiken gut, aber auch die Tatsache, dass die große Mehrheit der Bevölkerung nichts zu befürchten hat.[16]

Fazit: Demokratie und ihr Fundament, die Grund- und Menschenrechte, sind durch das chronisch gewordene Krisenmanagement in Gefahr. Die im Zuge der Pandemiebewältigung installierten Über­wachungsinstrumente werden bleiben und weiterent­wickelt. Die Bevölkerung soll zu regelmäßigen Impfungen gezwungen werden können. Das Krisenmanagement, das im akuten Notfall seine tiefe Berechtigung hatte, steht aber inzwi­schen nicht mehr alternativlos da![17] Es braucht aber einen angstfreien Debattenraum, damit Vor­schläge für ein risikostratifiziertes Handeln durchdacht und - ggf. auch regional begrenzt und wissenschaftlich begleitet - realisiert werden können. Sonst drohen die ökonomiegetriebenen wissen­schafts- bzw. gesundheitsdirektorialen Verhält­nisse zu persistieren, und eine Denkweise übernimmt die Herrschaft, die dem spirituellen Wesensanteil des Menschen nicht gerecht wird.

3. Zivilgesellschaftliche, persönliche Ebene

Auf dieser Ebene steht die persönliche Betroffenheit jedes einzelnen im Zentrum – familiär und beruflich-sozial: Angst vor der Infektion oder auch vor möglichen Nebenwirkungen der empfoh­lenen Impfung, existenzielle Sorgen vor wirtschaftlichem Abstieg und Armut, Angst vor der Zukunft insbesondere bei der jungen Generation. Die Gesell­schaft hat sich polarisiert, Aggression und Depression belasten in noch nie dagewesenem Umfang Familien- und Arbeitszusam­men­hänge.

Die Impfung wird als einziger Hoffnungsträger gegenüber dem gesam­ten Pandemiegeschehen propagiert. Die Ein­füh­rung aber einer Impfpflicht nahezu für alle mit den Mitteln von Zwang und Aus­grenzung zeigt auch hier, dass das oben charakterisierte konformistische und technokratische Steuerungs­denken unseren Alltag nicht nur erreicht hat, sondern bereits beherrscht und für menschen­unwürdige Alltagsszenarien sorgt.


[1] Joseph Weizenbaum: Kurs auf den Eisberg. Die Verantwortung des Einzelnen und die Diktatur der Technik. Piper, München und Zürich 1987.

[2] Forum Publishing 2020

[3] www.youtube.com/c/ErnstWolff1/videos

Ernst Wolff: Die 4. industrielle Revolution - Ende aller Demokratie?

Oder Aufbruch in eine neue Welt? - YouTube

Ernst Wolff: Wolff of Wall Street: Ernst Wolff erklärt das globale Finanzsystem, Wien 2020

[4] https://www.youtube.com/watch?v=083VjebhzgI

[5] Henry A. Kissinger, Eric Schmidt, Daniel Huttenlocher: The Age of AI. And Our Human Future, London 2021

[6] Nach Zoltan Istran: Huffpost vom 24.11.2013

[7]    Edwin Hübner: Menschlicher Geist und künstliche Intelligenz. Die Entwicklung des Humanen inmitten einer digitalen Welt

[8] www.eliant.eu

[9]   Leo N. Tolstoi: Das Leben, Bd. 7 der gesammelten Werke Diederichs Jena 1911, Kapitel 31, Seite 219 ff.

[10] https://www.welt.de/kultur/plus235506042/Corona-Politik-Das-Beispiel-England-spricht-gegen-die-Impfpflicht.html

[11] https://www.heute.at/s/corona-kritischer-professor-andreas-soennichsen-von-med-uni-wien-gefeuert-100179350

https://www.youtube.com/watch?v=RZaMxzt8cV0&ab_channel=FP%C3%96TV

https://www.youtube.com/watch?v=3H-JVJ-Q2w4&ab_channel=WienerTV

[12] Ole Skambraks, Jahrgang 1979, studierte Politikwissenschaften und Französisch an der Queen Mary University, London sowie Medien­management an der ESCP Business School, Paris. Er war Moderator, Reporter und Autor bei Radio France Internationale, Onlineredakteur und Community Manager bei cafebabel.com, Sendungsmanager der Morgenshow bei MDR Sputnik und Redakteur bei WDR Funkhaus Europa/Cosmo. Zuletzt arbeitete er als Redakteur im Programm-Management/Sounddesign bei SWR2.

[13] https://multipolar-magazin.de/artikel/ich-kann-nicht-mehr

[14] In der Wochenschrift „Das Goetheanum“

[15] https://www.epochtimes.de/gesellschaft/ueben-wir-toleranz-appell-eines-thueringer-buergermeisters-a3655563.html

[16] S. z.B. www.berliner-zeitung.de/news/leitender-arzt-corona-massnahmen-sind-in-dieser-pauschalitaet-nicht-mehr-zu-rechtfertigen-li.108933-

[17] https://info3-verlag.de/blog/die-corona-massnahmen-sind-in-dieser-pauschalitaet-nicht-mehr-zu-rechtfertigen/

https://dasgoetheanum.com/alles-fragt-nach-dem-sinn/

https://www.anthroposophie-lebensnah.de/fileadmin/ anthro po sophie_lebensnah/user_upload/Memorandum_Version_4.4.pdf

MEINE PERSÖNLICHE COVID 19 ERFAHRUNG UND PLÄDOYER GEGEN DIE ANGST

Da ich inzwischen auch die Covid-19-Erkrankung durchgemacht habe – in Form der Delta Variante – hat sich mir einmal mehr bestätigt, was ich aus rein ärztlicher Perspektive in zwei früheren Publikationen zum Thema bereits geschrieben hatte:[1] Es ist ein eigenständiges Krank­heitsbild, keine „normale Grippe“, aber ein schwerer Verlauf bis hin zum möglichen Tod sind selten und treffen entweder auf alters- oder gesundheitliche Vorbedingungen und Risiken. Oder aber es handelt sich dabei um unerwar­tete, besondere, schicksalhafte Ereignisse, wenn z.B. ein zuvor gesunder jüngerer Mensch infolge der Infektion verstirbt. Solche sehr seltenen Einzelfälle jedoch zu ver­all­gemeinern im Sinne von: „das kann jedem passieren“, und dadurch Ängste zu schüren, ist sachwidrige Panikmache.

Auch wenn wir uns klar machen, dass es in Deutschland 2020 40.000 an und mit an Covid-19 Verstor­bene gab, zu denen bis Ende November 2021 gut 60 000 hinzukamen und die Gesamt­bevölkerung etwa 83 Millionen zählt, ist es doch sehr unwahrscheinlich, dass man lebens­bedrohlich erkran­ken wird. An dieser Tatsache hat auch die enorme Ausbreitung der milderen Omikron Variante nichts geändert. Daher empfinde ich es nach wie vor geradezu unverzeihlich, dass man angesichts dieser Zahlen nicht in bessere gesundheitliche Versorgung[2] und in den Schutz der vulnerablen Gruppen investiert, sondern weit über 99 % der der nicht ernsthaft gefährdeten Bevölkerung konsequent und täglich in Angst und Schrecken ver­setzt. Zumindest ist dies in Deutschland so, während man beispielsweise aus Spanien, England und der Schweiz bereits deutliche Entwarnungstöne hört. Besonders problematisch war und ist dies für Kinder und Jugendliche und diejenigen, deren wirtschaftliche Existenz dadurch vernichtet wird.

Fragen, die erlaubt sein müssen

Da muss doch die Frage erlaubt sein:

Warum darf eine seltene aber mögliche schwere Covid-19-Erkrankung nicht zu den Lebensrisiken gehören, mit denen jeder lebt, der beispielsweise Auto fährt oder sich eine ungesunde Lebensweise leistet?

Warum wird hier nicht an die Eigenverantwortung und den Selbstschutz appel­liert, wie dies bei den weitverbreiteten Zivilisations­krank­heiten der Fall ist, die gesellschaftlich akzeptiert sind und ebenfalls hohe Gesundheitskosten und viele Krankenhausaufenthalte verursachen?

Und nicht zuletzt: Warum soll mit der angekündigten Covid-19 Impfpflicht dem Individuum die Freiheit genommen werden, sich zu entscheiden, ob man mit dem Risiko dieser Krankheit leben möchte oder mit einer mögli­chen Nebenwirkung infolge der Impfung?

Zumal diese Impfung ja nicht vor Ansteckung schützt auch nicht davor, andere anzustecken. Sie soll ja nur Schutz bieten vor einem schweren Verlauf und auch dies nur über einige Monate.[3]

Zudem ist jeder Krankheits­verlauf sehr individuell. Bei mir war es so, dass ich in der ersten Woche nach Infektion bisher nie erlebte Kopfschmerzen hatte, Fieber, trockenen Husten, Geruchsverlust, erstaunliche Kreislaufschwäche, Appetit- und Schlaf-losigkeit. Da ich als alleinlebende 75-Jährige mich unter diesen Umständen selbst versorgen musste, überlegte ich wiederholt, ob es nicht doch klüger wäre, sich in der Klinik pflegen zu lassen. Ich bin jedoch meiner Ärztin dankbar, mit der ich im Telefon­kontakt stand, dass sie mir zugetraut hat, es mithilfe der Anthro­posophischen Medizin[4] zu Hause zu schaffen. Auch für mich traf zu: Das Virus ist das eine, die Empfänglichkeit für das Virus das andere.

Warum bin ich nicht schon im ersten Jahr erkrankt, sondern erst im Oktober 2021?

Was die Empfäng­lichkeit für das Virus bewirkt hat und was den Genesungs­prozess unterstützen konnte, sind Fragen, die sich jeder Betroffene selber stellen kann. Denn das Immunsystem reagiert sensibel im psychosomatischen Kontext. Bei mir hing die Empfänglichkeit für das Virus jedenfalls klar mit einer Überlastungssituation zusammen und die Krankheit sorgte für den notwendigen Ausgleich. In der zweiten Woche ließ das Fieber nach, in der dritten verschwand es und ab der vierten Woche kam ich wieder zu Kräften. Dabei haben sich die Anthroposophischen Arzneimittel, insbesondere auf dem Wege der Inhalation und zur Stärkung des Kreislaufs eindrücklich bewährt[5] und ich habe einmal mehr bedauert, dass die Mainstreammedien nur berichten, dass die Schul­medizin an Arzneimitteln arbeitet und einige bereits vorhandene bei schweren Ver­läufen in der Klinik mit bedingtem Erfolg zum Einsatz kommen - nicht jedoch, welche Erfolge in der täglichen Praxis die komplementär-medizinischen und integrativmedizinischen Behandlungsmethoden haben.

Ganz abge­sehen von der man­gelnden Bericht­erstattung über positive und negative seelische Einfluss­faktoren auf das Immun­system und seine reaktive Kom­petenz. Umso erfreulicher ist es, dass dazu jetzt von ausgewiesenen Fach­leuten aus der Sicht der Psychoneuroimmunologie (PNI) eine Publi­kation erschie­nen ist, die allgemeinverständlich und viel­seitig informiert und die zu lesen ich empfehlen möchte.[6] Auf dem Fachgebiet der Psychoneuroimmunologie wird seit Jahr­zehnten unter­sucht, in wie hohem Maß, Gedanken und Gefühle die Gesundheits-/Krankheits-Dynamik und die Funktions­weise des Immun­systems beeinflussen.

Und wie sehr positive Gefühle das Immunsystem stärken, wo­hin­gegen Angst, Unsicherheit Misstrauen – kurz negative Gefühle – das Gegenteil bewirken. So möchte auch ich ehrlich sagen, dass Angst meinen Zustand vermutlich verschlimmert hätte – zumindest hätte ich nicht gezögert, mich in die Klinik einweisen zu lassen.


[1] Michaela Glöckler, Andreas Neider, Hartmut Ramm: Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Stuttgart 2020; Michaela Glöckler, Andreas Neider, Thomas Hardtmuth, Christoph Hueck, Bernd Ruf, Hartmut Ramm: Corona und das Rätsel der Immunität, Stuttgart 2021.

[2] www.zeit.de/kultur/2021-12/pflegenotstand-intensiv-stationen-corona-pflegekraefte-10ach8?wt_zmc=sm.ext.zonaudev. mail.ref.zeitde.share.link.x

[3] Weltbild der Medizin - Medizin ohne Menschlichkeit | Cicero Online

Immer mehr stehen auf - Impfen & Impfentscheidung - Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung e.V. (individuelle-impfentscheidung.de)

Pressekonferenz kritischer Ärzte: Impfung hat versagt, Impfzwang kostet Menschenleben (report24.news)

Ein neuer Trick des RKI um den hohen Anteil der Geimpften an den Intensivpatienten zu senken – Geld und mehr (norberthaering.de)

[4] Matthias Girke (Hg), Michaela Glöckler (Hg), Georg Soldner (Hg): Anthroposophische Medizin - Arzneitherapie für 350 Krankheits-bilder. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2020, S.705-719

[5] Johannes Wilkens, Frank Meyer: Corona natürlich behandeln.

[6] Christian Schubert, Magdalena Singer: Das Unsichtbare hinter dem Sichtbaren. Gesundheit und Krankheit neu denken, Perspektiven der Psychoneuroimmunologie, Norderstedt 2020

WAS FÜR DEN FREIEN COVID-19-IMPFENTSCHEID SPRICHT

Die Autorinnen der „Kindersprechstunde“[1] haben im Hinblick auf die schrittweise Einführung der Covid-19-Impfpflicht einen Aufruf an die im Gesundheitssystem Verantwortlichen sowie die Abgeordneten im Deutschen Bundestag geschrieben und dabei vier gute Gründe angeführt, die gegen die Impfpflicht sprechen.[2] Auch die europäische Allianz von Initiativen angewandter Anthroposophie/ ELIANT hat deswegen an alle Abgeordneten im Europa-parlament geschrieben – basierend auf der Resolution des Europaparlaments vom 27. Januar 2021. In dieser Resolution sprach man sich klar gegen eine Pflicht zur Covid-19-Impfung aus. Man wollte sicher gehen, „dass niemand diskriminiert wird, weil er nicht geimpft ist, weil er möglicherweise ein Gesundheitsrisiko hat oder sich nicht impfen lassen will“.[3]

Was sind die wesentlichen Gesichtspunkte, die gegen einen Covid 19 Impfzwang sprechen?

1.    Wissenschaftliche Gründe

In einer Pandemie geht es um den Schutz vor Ansteckung[4]/[5], Krankheit[6] und möglichem Tod. Die bisher entwickelten Impfstoffe leisten diesen Schutz jedoch nur bis zu einem gewissen Grad. Sie bieten zwar vulnerableren Menschen mit Vorerkrankungen und in vorgerücktem Alter einen zeitlich begrenzten Schutz vor schweren Krankheitsverläufen. Sie können jedoch weder das Auftreten der Erkrankung noch eine mögliche Anste­ckung Anderer nachhaltig verhindern. Auch sind die bisher bekannt gewordenen – zum Teil leider auch schweren und schwersten – Nebenwirkungen häufiger als wir dies von konventionellen Impfstoffen kennen, insbe­sondere bei jüngeren Menschen. Das empfinde ich als besonders belastend, da sie ihr Leben noch vor sich haben. [7] Daher halte ich eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung für unabding­bar.

2.    Kapazitätsgrenzen gewinnorientiert betriebener Krankenhäuser

Das gesamte Pandemie-Management hat sich an den Kapazitäten der Krankenhäuser ausgerichtet. Die Hygienemaßnahmen und Lockdowns dienten der Verlangsamung der Ausbreitung der Pandemie in der Hoffnung, bald einen Impfstoff zu haben, der die weitere Verbreitung stoppen kann. Der indirekten Gefährdung der Bevölkerung durch eine Überlastung des Gesundheitssystems sollte aber durch eine Erhöhung der Kapazitäten begegnet werden. Gegenüber den Beschränkungen der Freiheitsrechte und der in Aus­sicht gestellten Impfpflicht, stellt dies eine verhältnis­mäßi­gere, patientenorientierte und nachhaltigere Option dar.

3.     Salutogenetische Gesichtspunkte

Aus der Salutogenese, Resilienz- und psychoneuroimmu­nologischen Forschung wissen wir, dass Menschen mit innerem Wertesystem, optimistischer Lebensein­stellung und religiöser oder spiritueller Orientierung über stärkere Widerstandsressourcen verfügen. Angst und Zwang hinge­gen sind mit Emotionen verbunden, die die Resilienz untergraben. Daher sollten sich alle, ganz besonders aber diejenigen, die in der Gesundheitsversorgung arbeiten und damit höheren Risiken ausgesetzt sind, frei und selbst­bestimmt für oder gegen eine Covid-19-Impfung ent­scheiden dürfen. Zum einen wissen MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen ohnehin am besten, wie man sich und andere schützen kann – sind doch die Hygieneregeln bei ihnen Alltag. Zum anderen erleben sie am häufigsten direkt vor Ort, dass auch Geimpfte und sogar Geboosterte erkranken und die Krankheit an Dritte weitergeben können.

4.     Ohne Freiheit und Respekt vor der Menschenwürde des Individuums verliert die Demokratie ihren Boden

Wie oft konnte man hören: „Ich lasse mich aus sozialen Gründen impfen! Ungeimpfte verhalten sich unsozial!“ Ganz abgesehen davon, dass man auch das Gegenteil sagen könnte: Ungeimpfte wissen um ihr Risiko für sich und andere. Geimpfte hingegen fühlen sich sicher und realisieren oft nicht, dass sie die Krankheit ja auch weitergeben können, selbst wenn sie keine oder nur geringe Symptome haben. Problematisch ist aber auch die Haltung, die dem Individuum die Würde nimmt, in intimen Gesundheitsfragen selbst zu entscheiden.

Geht nicht die größte Gefahr für die Demokratie einerseits von konformistischen Systemen aus, wie wir sie aus nationalsozialistischen oder kommunistischen Diktaturen kennen?

Dort war es selbstverständlich, dass der Einzelne sich dem Wohl der Gesellschaft unterzuordnen hat. Die andere Gefahr ist aber der Egoismus, der sich in gewinngetriebenem Wirtschaftskapitalismus auslebt und großen Einfluss auf die Politik hat. Gemeinsam ist beiden, dass dem Individuum seine Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt oder genommen werden. Umso erfreulicher ist es, dass sich immer mehr Fachverbände und Bürgerinitiativen zu Wort melden, um sich für einen freien Covid-19-Impfentscheid einzusetzen.[8]

Warum es eine neue Erziehungskultur braucht

Wiederholt habe ich mich gefragt, warum Medienschaffende und Politi­ker im Kontext ihrer moralischen Vorwürfe gegenüber den „egoistischen Ungeimpften“ sich nicht daran erinnern, dass z.B. die sozial klingende Parole „Gemeinnutz geht vor Eigen­nutz“ in der nationalsozialistischen Diktatur der moralische Kompass war, so wie dies auch für andere totalitäre Regime gilt. D. h. wer sich staatskonform verhält – auch in Fragen der eigenen Gesundheit - ist sozial. Das bedeutet aber im Ernstfall, dass der Einzelne nichts gilt, sondern nur das Wohl der Gemeinschaft. Kultur hingegen lebt von dem Spannungsfeld zwischen den Entwicklungs­bedürfnissen der einzelnen Menschen und dem sozial Erforderlichen.

Eine funktionierende Demo­kratie hat dafür geeignete Instrumente, die nicht verhandelbar sein sollten. Rudolf Steiner formuliert diesen konstruktiven Antagonis­mus so: „Heilsam ist nur, wenn im Spiegel der Menschenseele sich bildet die ganze Gemeinschaft und in der Gemeinschaft lebet der Einzelseele Kraft.“[9]

Wie aber kann so etwas geübt werden?

Das gegenwärtige Bildungssystem steht im Zeichen der Anpassung an bestimmte Erfordernisse, Tests und Prüfungsverfahren. Es braucht dafür eine Erziehungskultur die jeden Menschen in seiner Entwicklungsbedürftigkeit ernst nimmt und unterstützt. Dass das öffentliche Schulwesen dem nicht gerecht wird, wird schon seit Jahrzehnten von Fach­leuten beklagt, zuletzt von Menschen wie Joachim Bauer und Gerald Hüther.[10] Umso erfreulicher ist es, dass angesichts der vielfältigen Probleme, die durch die Schulschließungen, die forcierte Digitalisierung, den Masken- und Testzwang für viele Kinder und Jugendliche entstanden sind, auch sehr viele Menschen begonnen haben, anders über Entwicklung und die Bedeutung von Schule für die Heranwachsenden zu denken.

Persönliches Wachstum durch die Krise

So hat die Coronakrise gerade auf dieser Ebene der persönlichen Betroffenheit schon viel Positives in Bewe­gung gebracht. Nicht Wenige fragen sich auch:

Was ist seit Be­ginn der Pandemie mit mir und meinem Umfeld geschehen?

Was habe ich bisher durch das Miterleben der Krise gelernt?

Worauf kann ich in Momenten der Gefahr wirk­lich zählen?

Was hat die Angst mit mir gemacht?

Woran konnte ich mich innerlich halten?

Denn wie auch immer man die Argumentationen von Politik, Leitmedien und repräsentativen Einzelstimmen bewerten und beurteilen mag – es kommt letztlich darauf an, wie ich mich als Einzelner dazu stelle. Es ist eine Chance größten Ausmaßes für jeden von uns, sich diese innere Freiheit bewusst zu machen und Stellung zu beziehen. Auch wenn die Versuchung groß ist, Autonomieverzicht zu leisten und sich von Meinungsführern, von Gruppen, von sozialen Zusammenhängen, die morali­schen Druck erzeu­gen, vereinnahmen zu lassen. Sozu­sagen zu kapitu­lie­ren angesichts der massiven neuen Konfor­mität und dem Bedürfnis, „dazuzugehören“ und sich nicht ausgegrenzt zu erleben. Wie oft habe ich gehört: „Ich bin doch kein Fach­mann, ich kann das nicht beurteilen“. „Unsere Politiker tun doch ihr Bestes - ich möchte nicht in ihrer Haut stecken“. So richtig dies auch erscheint, so problema­tisch sind die Konsequenzen, weil man sich mit solchen Sätzen in eine selbst gewählte Unmündigkeit begibt. „Sapere aude“ lautete der Leitspruch der Aufklärung: „Wage es, weise zu sein“.

Fazit: Viele spüren, dass es mehr denn je darauf ankommt, das „Selber-Denken“ zu wagen – und Anschluss an spirituelle Kraftquellen in uns zu finden.


[1] Kindersprechstunde. Ein medizinisch-pädagogischer Ratgeber, Stuttgart 2018

[2]https://eliant.eu/fileadmin/user_upload/pdf/eliant_Aufruf_fuer_freien_Covid_19_Impfentscheid_02.pdf

[3] https://pace.coe.int/en/files/29004/html (s. Punkt 7.3.1 und 7.3.2)

[4]www.thelancet.com/journals/laninf/article/PIIS1473-3099(21)00648-4/fulltext

[5] www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-coronavirus-montag-235.html#Drosten-Geimpfte-mit-substanziellem-Risiko

[6] www.bmj.com/content/375/bmj-2021-067873

[7]https://www.hartgroup.org/open-letter-to-the-mhra-regarding-child-death-data/?fbclid=IwAR21JmOYR-3SfymLu1DxQePTmNOT9iPF9wRtbvqzt9bveVqc8SptqQRa5Wc

www.pei.de/DE/newsroom/dossier/coronavirus/coronavirus-inhalt.html;jsessionid=B5DDF4217EAD1D9212E90CE0E013ADE9.intranet221?nn=169730&cms_pos=6 (09.12.2021)

[8] Vgl. dazu auch die Zusammenstellung auf der Webseite der Akanthos-Akademie:

https://www.akanthos-akademie.de/übersicht-probleme-mit-der-impfpflicht/

[9] Rudolf Steiner, GA 40, Seite 298

[10] Joachim Bauer: Lob der Schule; Heyne Verlag

Joachim Bauer: Prinzip Menschlichkeit, Heyne Verlag

Gerald Hüther: Würde, Knaus Verlag

SPIRITUELLE KRAFTQUELLEN ERSCHLIESSEN

Wie lerne ich, meinen eigenen Standpunkt zu finden?

Wie gewinne ich meinen Lebensoptimismus, mein Selbstvertrauen zurück?

Wo sind die Quellen des Mutes, der seelischen Gesundheit und der Zuversicht verortet?

Wie kann ich meine Gesundheitspotenziale entfalten und konstruktiv an den komplexen Folgeerscheinungen der Pandemie mitarbeiten?

Was sagt unser Herz zu all dem, welche Botschaft hat unsere Gewissensstimme?

Gibt es ihn, den gesunden Menschenverstand, auf den ich vertrauen kann?

Und: Welches Menschenbild liegt der heutigen Humanmedizin zugrunde?

Braucht nicht gerade die Medizin ein integratives Menschenbild, das die geistige und seelische Daseinsform des Menschen ebenso berücksichtigt wie seine körperliche Existenz?

Im Folgenden möchte ich verschiedene Wege aufzeigen, wie sich aus uns heraus Antworten auf diese Fragen finden lassen.

1.     Durch gesunden Menschenverstand

Das klingt schlicht und anspruchsvoll zugleich. Schlicht, weil jeder Mensch unabhängig von seinem Bildungsgrad die Veranlagung dazu hat. Anspruchsvoll, weil es immer schwieriger wird, ihn bewusst zu handhaben und weiter­zuentwickeln. Denn er lebt vom Interesse an der Wahr­heitsfindung und von der Liebe zum Leben. Menschen mit gesundem Menschenverstand sind umfassend interessiert, aber sie prüfen Gehörtes und gelesene Fakten daran, welche Konsequenzen sie wohl im Lebensalltag haben werden. Dadurch haben sie eine gesun­de Urteilsgrundlage – denn was dem Leben dient, kann nicht falsch sein, selbst wenn das eine oder andere Detail im Zuge weiterer Forschung ergänzt, revidiert oder auch ersetzt werden sollte.

Auf jeden Fall bringt man dem „neuesten Stand der Wissenschaft“ keinen blinden Glauben entgegen oder ein bequemes: „Das kann ich ja sowieso nicht beurteilen“. Vielmehr entwickelt man durch echtes Interesse für die Fakten und deren mögliche Konsequenzen einen Blick für das Wesentliche.

Denn Fakten sind das Eine – deren Interpretation und Konsequenzen im Alltag das andere. Und wer sich diesbezüglich kein Urteil zutraut, verabschiedet sich in dieser Situation von seinem gesunden Menschenverstand. Denn gesund kann dieser nur erhalten werden, wenn man geistesgegenwärtig bleibt und weiß, warum man dies oder jenes glaubt und tut. Wenn es sich später als falsch oder unproduktiv erweist, so freut man sich, daraus zu lernen, wie es nächstens besser zu machen ist. Schon Konfuzius sagte sinngemäß: „Es gibt drei Wege zu lernen: einen einfachen durch Nachahmung, einen schmerzvollen durch Erfahrung und einen schwierigen durch Einsicht.“ Wer gesunden Menschenverstand übt, macht sich klar, was gerade dran ist und wie sich diese Lernstrategien ergänzen.

Gesunder Menschenverstand zeichnet sich auch dadurch aus, dass er Fakten nicht isoliert betrachtet, sondern im Kontext von Lebens­erfahrungen. Denn da, wo ich auf eigene Erfahrungen und deren Verarbeitung bauen kann, entsteht innere Sicherheit und Selbstvertrauen und damit ein gesundes Selbstwertgefühl. Gesunder Menschen­verstand ent­wickelt sich am Leben für das Leben. Es geht darum, wach zu bleiben und das, was man liest und täglich erlebt, ernst zu nehmen und zu hinterfragen, wenn einem etwas merk­würdig vor­kommt.

Je mehr Menschen dies tun und den Mut haben, es zu teilen, umso weniger Angst und Sorge muss man vor einer möglichen Total­über­wachung haben. In der voll digitalisierten Alltäglichkeit, wo zunehmend die Möglich­keit schwindet, bar zu bezahlen, analog eine Speise­karte zu studieren und zu bestellen etc. und eine unabseh­bare Flut neuer Daten zentraler Aus­wertung harren, braucht es neue Formen zum Schutz der Privatsphäre und demokratische Mitbestimmung. Diese werden aber nur kommen, wenn sich die Menschen mehrheitlich dieser Problematik zuwenden, sich interes­sieren und sich entsprechend engagieren.

Gesunder Menschen­verstand verträgt sich nicht mit Bequemlichkeit, Oberfläch­lichkeit und Sicherheitsdenken, sondern ist Folge von persönlicher Initiative und echtem Menschen- und Welt-Interesse, d.h. dem, was Friedrich Schiller den Zweck des Menschseins nennt: die Ausbildung aller menschlichen Kräfte, Fortschreitung. Zu diesen menschli­chen Kräften zählen insbesondere Freiheit und Würde, Selbstbestimmung und soziale Kom­petenz. Dass jedoch Freiheitsdenken, Mut und Risikobereitschaft nicht ins Chaos führen, ist die zentrale Erziehungsfrage unserer Zeit.

Die gegenwärtigen Schul- und Bildungssysteme entsprechen dieser moralischen Herausforderung nicht. Sie fördern vielmehr durch ihre einseitige Leistungs­orientierung und Testkultur Anpas­sung und Absiche­rungsdenken. Und sie korrumpieren durch das ständige Verglichen-Werden mit „besseren“ und „schlechteren“ Schüler*innen die Entwicklung eines gesunden Selbst­bewusstseins und Respekts für Schwä­chere und Stärkere. Die „Besseren“ werden überheblich, die „Schlechteren“ deprimiert.[1] Ein gesundes Selbstbe­wusst­sein braucht als Grundbedingung für seine Ent­wick­lung jedoch, dass jedes Kind nur mit sich selbst verglichen wird und Freude am eigenen Fortschritt erlebt. Und es braucht die Begleitung von Pädagog*innen, die ihm helfen aus seinen Fehlern zu lernen. Denn ohne diese Kompetenz der Selbstreflexion und des Lernens aus eigenen Fehlern und aus Fehlern anderer kann sich gesunder Menschen­verstand ebenso wenig entwickeln wie ein gesundes Selbstbewusstsein und Verständnis für das Fehl­verhalten anderer, d.h. soziale Kompetenz.

Auch wird dadurch vorge­beugt, andere Menschen zu überschätzen oder zu unterschätzen. Solch eine Lebenseinstellung und Grund­haltung kann man nicht lehren – man muss sie Kindern und Jugendlichen vorleben, es mit ihnen üben – was eine entwicklungsorientierte Pädagogik leisten kann. Denn da­für braucht es gute, verbindliche menschliche Beziehun­gen. Wer meint, dies sei durch eine noch so gut ausge­dachte Lernsoftware ersetzbar, irrt sich leider sehr.[2]

Daher nennen die Fachleute des „Bündnisses für humane Bildung“ die Digitalisierung von Kindergärten und Grund­schulen zu Recht Kindswohlgefährdung.[3]

Warum kostbare Ent­wicklungszeit mit Maschinen verbringen statt ganz­körperlich und analog aktiv im Umgang mit Natur und Mensch, so wie es die gesunde Gehirnreifung benötigt?

Der bedenken- und kritiklose Umgang mit den digitalen Endgeräten in Kindheit und Jugend ist ein gravierendes Versagen von gesundem Menschenverstand bei Politikern, Fachleuten und Laien.

2.    Durch Gewissenskultur

Kannst du mir die Natur des Gewissens erklären? So fragt Heinrich von Ofterdingen im gleichnamigen Roman von Novalis im zweiten Teil den Arzt mit Namen Sylvester. Dieser antwortet: Wenn ich das könnte, so wäre ich Gott. Denn indem man das Gewissen begreift, entsteht es. Es entspinnt sich ein intensiver Dialog, an dessen Ende deutlich wird, dass die Gewissensstimme „Gottes Wort“ ist. Durch das Gewissen hat der Mensch unmittelbaren Anschluss an die Ebene der Spiritualität, d. h. an Inspirationen, die nicht von dieser Welt sind, sondern aus einer umfassenderen, höhe­ren Einsicht hervorgehen. Um sich dafür zu sensibili­sieren, braucht es den genannten gesunden Menschen­verstand und echte Wahr­heits­liebe. Ohne diese fehlt einem auf spirituellen Entwicklungswegen der Proviant und für die Gewissensstimme das Ohr.

Selbstverständlich kennt jeder das sogenannte „gute“ oder „schlechte“ Gewissen. Es entwickelt sich in Abhängigkeit von Umwelt, Erziehungspraxis und Erfahrung. Was jedoch neu und selbstständig gelernt werden kann, ist das Sensibel-Werden für die leise, unaufdringliche Gewissensstimme, die nur spricht, wenn man ehrlich fragt und wissen möchte, was in einer bestimmten Situation richtig ist oder vor wem man sich verschuldet hat. Das spontan auftretende „gute“ Gewissen dient dem Rechtfertigungsbedürfnis im Sinne von: Man hat sich doch nichts vorzuwerfen!

Das spontan auftretende „schlechte“ Gewissen stellt einem vor Augen, wie man jetzt von anderen eventuell gesehen oder be- und verurteilt wird. Es quält und erzeugt Abhängigkeit von Autoritäten oder Meinungsführern. Beide Qualitäten behindern so ehrliche Selbsterkenntnis und den Willen, für alles verantwortlich zu zeichnen, was man im Guten wie im Schlechten getan hat. Wer sein Fehlverhalten aus eigenem Antrieb einsieht und daraus lernen möchte, wie er in Zukunft handeln will, der ruht in sich und steht zu dem was war und ist. Er ist selbst motiviert, das nötige oder mögliche zum Ausgleich zu tun.

So wie der Arzt in letzter Instanz – per Berufsrecht – nur seinem Gewissen verantwortlich ist, so kann dies das Privileg für jeden Menschen sein. Das setzt aber eine Erziehungskultur voraus, die eine gesunde Gewissens­bildung ermöglicht.[4] Dieser Entschluss, sich in letzter Instanz nicht vor Staat, Kirche oder Wissenschaft zu verantworten, sondern vor seinem autonomiebegabten „besseren Selbst“ bzw. „Höheren Ich“, regt das selbstän­dige Denken an, macht Mut, stärkt das Herz und damit auch das Immunsystem und wird so zu einer bedeutenden spirituellen Kraftquelle.

Selbstverständlich nimmt man angesichts der Corona-Pandemie Rücksicht auf Bestim­mungen, Sorgen und Ängste im eigenen Umfeld – man ist sich jedoch sicher, dass die Entscheidung über Tod und Leben nicht von behördlichen Bestimmungen abhängt, sondern tief im eigenen Lebensschicksal begründet ist. Unschwer wird man auch die Balance herstellen können zwischen der Akzeptanz von Bestim­mungen, die tatsäch­lich dem Lebensschutz dienen und der Absurdität von Bestimmungen, die zum Selbstzweck werden und damit lebensfremd. Sicherheit höher zu stellen als Freiheit, blinden Gehorsam zu fordern und Prinzipien wichtiger zu nehmen als die Lebens­realität sind typisch für die Logik des Materialismus und der Optimierung von Kontroll- und Machtstrukturen. Sich einzugestehen, dass das einzig Sichere im Leben der Tod ist, setzt Kräfte frei, die Kostbarkeit der Lebenszeit umso intensiver zu schätzen und Schicksalsvertrauen zu entwickeln.

Vorbildlich war in diesem Sinne das Pandemieregime in Schweden, wo man auf Lebensrealismus und Selbstverant­wortung setzte. Dadurch konnten sich die Menschen dort ein weitgehend normales Leben erhalten. Auch haben sie aus ihren Anfangs­fehlern gelernt und diese auch öffentlich zugegeben. Warum sie aber im Abklingen der Pandemie die Zwangsimpfung eingeführt haben, kann ich mir nur wirtschaftspolitisch erklären. Medizinisch und epidemiologisch spricht eigentlich alles dagegen.

Die Stimme des Gewissens spricht zu jedem Menschen – unabhängig von Geschlecht, Bildungsgrad, Hautfarbe und sozialer Stellung. Vor ihr sind alle Menschen gleich „Ich-begabt“. Dieser Ich-Begabung auf die Spur zu kommen, ist zugleich auch der Weg, das eigene Gewissen zu verstehen. Denn wenn wir unserem Gewissen folgen, folgen wir einerseits uns selbst und andererseits auch einer höheren Weisheit, wenn wir uns nicht vom sogenannten guten oder schlechten Gewissen ablenken lassen. Der Anschluss aber an diese höhere Weisheit ist die stärkste spirituelle Kraft­quelle, die wir uns erschließen können.

3.    Durch „Erwachen im Denken“

Im dritten Kapitel des Johannesevangeliums belehrt Jesus den Pharisäer Nikodemus über die zweite Geburt „aus Wasser und Geist“, ohne die man nicht in das Reich Gottes kommen kann. Und in der Apokalypse des Johannes wird an ver­schiedenen Stellen (z.B. Offenbarung 20,6) vom zweiten Tod als dem Seelentod gesprochen. Geburt und Tod begrenzen unseren Lebenslauf. Die zweite Geburt zu bewerkstelligen, um dadurch dem zweiten Tod zu entgehen, ist die Aufgabe, die sich der Selbsterkenntnis jedes Menschen stellt: Kann ich mich schon während des Lebens kraft meines Den­kens, Fühlens und Wollens als „ewiges“ Wesen begreifen, so bleibt mir dieses leibunabhängige Bewusst­sein auch nach dem Tod erhalten, und ich schlafe nicht ein bzw. verliere das Selbstbewusstsein nach dem Tod nicht.

So schwer verständlich dies auch erscheinen mag – es kann sich durch eine einfache Überlegung klären: Wenn ich mich selbst nicht denkend erfasse, mir kein Leitbild für meine eigene Ent­wicklung gebe, mache ich mir Sinn und Wert meines Ich nicht bewusst. Selbstverständlich bleibe ich Teil dieser Schöpfung, lasse aber mein Entwicklungs­potential zum autonomen, selbstdenkenden und entscheidenden Wesen ungenutzt. Im Johannes­evangelium steht dieser Autono­miegedanke, diese indi­vi­duelle Entscheidungskompetenz ganz im Zentrum.

Nicht nur, dass es im achten Kapitel direkt so formuliert wird: Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen – es ist die Kernbotschaft, der Ent­wick­lungsweg, der sich durch das ganze Evangelium einschließlich der Apokalypse hindurchzieht. Es ist die Frage nach dem inneren Kompass, nach unserem Lebens­ideal, das uns in allem Auf und Ab die Orientierung gibt. Wer sich zum Beispiel mit den drei Entwicklungsidealen der Wahrhaftigkeit, der Liebe und der Freiheit identifiziert und sein Leben dafür benützt, diese Charaktereigenschaften so viel wie möglich zu üben, der hat einen inneren rein geistigen Führer. Denn diese drei Ideale gehören nicht der Sinneswelt an. Sie lassen sich auch nicht mathematisch definieren. Hingegen eignet ihnen die Kraft der Orientierung, indem man mit ihnen lebt. Wir können sie denken, uns dafür begeistern und unser Leben und Handeln nach ihnen richten. Wer dies tut, erlebt diese Ideale als unversiegliche Kraftquelle.

Und wenn man dann im Johannesevangelium liest: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben[5], ich bin unter euch, wenn ihr euch liebt[6] und die Wahrheit wird euch frei machen[7]  – dann kann man auch ahnen, woher die innere Stärkung kommt. Es ist dies das Geheimnis der Identifikation: womit ich mich verbinde, das stärkt mich auch, das lebt in mir. Rudolf Steiner hat in seinem Buch zur Selbst­schulung diese Konfrontation mit sich selbst mit schlichten Worten beschrieben: Schaffe dir Augenblicke innerer Ruhe und lerne in diesen Augenblicken das Wesentliche von dem Unwesentlichen unterscheiden.[8]

4.    Durch ein spirituelles Menschenbild

Da Spiritualität kein sinnlich fassbares Faktum ist, ist sie Gegenstand von Philosophie, Religion und esoterischen Bestrebungen in Ost und West. Wer materialistisch erzo­gen ist, dem ist diese Welt nicht nur verschlossen, sondern er hält sie für unnötig, abwegig, um nicht zu sagen schräg oder verrückt. Auch machen Gespräche darüber unter Umständen Angst, weil man hier keinen sicheren Boden unter den Füßen hat. Wenn man sich aber klarmacht, dass ja jeder Mensch spirituell begabt ist und auch spirituelle Fähigkeiten hat, auch wenn er diese bisher gar nicht als real vorhanden bemerkt hat, so kann sich dies schnell ändern. Wer nur ein wenig über das Denken nachdenkt oder sich klarmacht, welche stärkende oder destruktive Wirkung Gefühle haben können, wird aufmerksam auf diese unsichtbare Welt innerer Realitäten, mit denen wir ebenso zurechtkommen müssen wie mit den äußeren Gegebenheiten. Nichts anderes ist mit „höheren Welten“ gemeint.

Denn auch religiöse Urkunden erschlie­ßen sich über Gedanken und Worte über Mythologien und Bilder, die sich die modernen Menschen auch nur durch Nachdenken und künstlerisches Empfinden erschließen können. Wenn zum Beispiel im Johannesevangelium das Wandeln des Jesus auf dem galiläi­schen Meer beschrieben wird, so kann man dies wortwörtlich nehmen und ein Wunder bestaunen. Man kann aber auch das Bild zu sich sprechen lassen und empfinden, dass es hier um das Urbild geht, wie die Ich-Kraft im Menschen auf eine solche Entwicklungshöhe kommen kann, dass sie Herrscher im Auf und Ab seelischer Schwankungen wird.

Brückenfunktion des Denkens

Denken ist sozu­sagen die Brücke zwischen der Sinneswelt und der Geisteswelt. Es erklärt uns die Welterscheinungen, ist aber selbst nicht sinnlich wahrnehmbar. Rudolf Steiner nannte die Mathematik eine Vorschule der Geist­erkenntnis[9], weil hier ganz bewusst an Gesetzmäßigkeiten gearbeitet wird, denen die sichtbare Welt gehorcht, die aber selbst nicht sinnlicher Natur sind.

Zum Glück kann man auch ohne tiefere mathematische Erkenntnisse sich von der geistig-regula­tiven Kompe­tenz seines Denkens überzeugen und die Brückenfunktion des Denkens zwischen Materie und Geist entdecken: So wie Vorstellungen unmittelbar an den Sinneswahrneh­mun­gen gebildet werden, so entziehen sich Begriffe bereits vollständig dem sinnlich Erfahrbaren. Der Begriff des Kreises gilt für alle vorstellbaren Kreise. Deswegen werden Begriffe auch definiert und nicht vorgestellt. Der Kreis ist definiert als geometrischer Ort aller Punkte, die von einem Mittelpunkt gleich weit ent­fernt sind. Wieder anders ist es jedoch mit den Gedanken, die wir Ideen nennen.

Ideen kann man sich nicht begriff­lich erarbeiten. Sie müssen einem vielmehr „ein­fallen“. Man freut sich über gute Einfälle, negative ängstigende Einfälle hingegen beunruhigen. Doch nur selten fragen wir uns, aus welcher unsichtbaren Welt solche Ideen stammen und wohin sie wieder ver­schwin­den. Interessant ist auch, dass große wissenschaftliche Entdeckungen oft im selben Zeitraum an verschiedenen Orten gemacht werden.

Rudolf Steiner benützt für die Welt der Gedanken, die allen Menschen zugänglich ist und die uns mit den außersinnlichen Welten und ihren Wesen verbinden, den Begriff der ätherischen Welt. Das griechische Wort Äther bezeichnete den durchsonnten blauen Himmel, dessen Licht als Energiespender die Fotosynthese der Pflanzen ermöglicht. Steiners Entdeckung war, dass das biologische Leben auf der Erde durch dieselben Gesetze und Kräfte zustande kommt, die auch im Denken walten, im sogenannten „ewigen Leben“. Er nannte dieses von ihm gefundene neue psychosomatische Paradigma: die Metamorphose von Wachstums- und Lebenstätigkeit in Gedankentätigkeit.[10]

Prüft man diesen neuen Ansatz zum Ver­ständnis der Natur des Denkens am eigenen Denk­vermögen im Verhältnis zum biologischen Entwicklungszustand seines Körpers, so kann man z. B. bemerken: Das wache, selbstbewusste Denken beginnt in der Regel erst im dritten, vierten Lebensjahr und reift erst nach dem pubertären Wachs­tumsschub vom 15./16. Lebensjahr an zur vollen Erwachsenenkompetenz aus. Dann nimmt es in der zweiten Lebenshälfte weiter zu, auch wenn die Alterungs­prozesse beginnen und die Regenerationskraft nachlässt. Beim gesund alternden Menschen kann geistige Frische durchaus mit körperlicher Hinfälligkeit verein­bar sein. D.h., die ätherischen Kräfte, die der Körper nicht mehr für Wachstum und Entwicklung braucht, hat er dafür als zunehmende Altersweisheit. Auch zeigen die gut dokumentierten Nahtodeserlebnisse,[11] dass im schein­baren Todesaugenblick ein Erwachen im Gedanken­organismus eintritt, was überzeugend als außerkörperliche Erfahrung beschrieben wird. Im Köper erscheinen die ätherischen Kräfte als Lebensenergie, als vergängliche Lebenszeit. Im Denken hin­gegen als Gedankenkraft und Träger des „ewigen Lebens“.

Nachstehende Skizze möge dies verdeutlichen und zugleich das spirituelle Menschenbild der Anthroposophie ins Bild bringen. Die Skizze zeigt neben der Metamorphose der ätherischen Kräfte aus Wachstums- in Gedankenkräfte auch noch zwei weitere Kraft-Metamorphosen. Die „astralischen“ Kräfte bewirken im Körper die Zell- und Organdifferenzierung und metamorphosieren sich danach in das spannungs- und differenzierungsreiche Gefühlsleben. Die Gesetzmäßigkeiten aber, die bewirken, dass sich letztlich eine harmonische Gesamtgestalt bildet, in der man sich als fokussiertes, selbstbewusstes Ich erleben kann, werden von Steiner „Ich – Organisation“ genannt. Es sind die Kräfte der Integration, der Fokussierung. Steiner verwendet für die seelischen und geistigen Kräfte nicht das Wort Energie sondern bevorzugt den Ausdruck Kraft, entsprechend auch für die Kraft der Persönlichkeit, des Ich.

Abb. Das spirituelle Menschenbild der Anthroposophie mit seinen vier Gesetzes­zusammenhängen, die in ihrem Zusammenwirken die leibliche, seelische und geistige Existenz des Menschen ermöglichen.[12]

Eingebettet in vorgeburtliche und nachtodliche Existenz

Ein solcher psychosomatischer Betrachtungsansatz macht es denkbar, das menschliche Leben eingebettet zu sehen in eine konkrete Prä- und Postexistenz. Sind es doch dieselben Gesetzmäßigkeiten, die sich bei der Konzeption mit der befruchteten Eizelle verbinden und das „Embodiment“, die „Inkarnation“ d.h. die „Verkörperung“ ermöglichen, die uns dann als „Leben“, „Seele“ und „Geist“ individuell bewusstwerden und sich im Tode wieder aus dem materiellen Tätigkeitsfeld herauslösen für ein außerzeitliches Dasein. Was dafür spricht, ist, dass die menschliche Entwicklung unaufhaltsam fortschreitet, jedes Jahrhundert den Menschengemein­schaften und der Erde ein anderes Gesicht gibt, weil jeder Mensch die gemachten Erfahrungen in einem Erdenleben nachtodlich in einer rein geistigen Welt verarbeiten und mit neuen Impulsen in ein nächstes Erdenleben eintreten kann.

Auch bietet dieser Ansatz die Möglichkeit, den freien Willen als „außer körperliche“, d.h. wirklich unbestimmt-freie Tätigkeit zu beschreiben. Da diese nicht mehr der biologischen Naturgesetzlichkeit im Körper unterliegt, muss der Mensch erst lernen, Verantwortung für die jetzt der Anlage nach „freien“ Seelen- und Geisteskräfte zu übernehmen. Damit ist aber auch der Missbrauchsmöglichkeit dieser Freiheit Tür und Tor geöffnet.  Aus einer ähnlichen Anschauung und Erfahrung heraus hat wohl Goethe in seinen Sprüchen in Prosa formuliert, dass das Tier durch seine Organe belehrt wird, der Mensch hingegen in der Lage ist, seine Organe zu belehren. Rudolf Steiner formuliert diesen Sachverhalt in seiner Philosophie der Freiheit so: „Die Natur macht aus dem Menschen bloß ein Naturwesen; die Gesellschaft ein gesetzmäßig handelndes; ein freies Wesen kann er nur selbst aus sich machen“ [13].

Die in den vorhergehenden Unterkapiteln angeführten Kraftquellen können vielleicht auf der Grundlage dieses hier in aller Kürze skizzierten Menschenbildes noch besser verstanden werden. Wir sind als Menschen einerseits ein Teil dieser Schöpfung und andererseits der einzige Ort in den uns bekannten Naturreichen, wo die wirkmächtigen Gesetze dieser Schöpfung aus dem Naturzusammenhang herausgelöst werden und als rein nur gedanklich erfahrbare Gesetze in Erscheinung treten.

Darauf beruht die „Physiologie der Freiheit“.  Wir selbst bestimmen die Art und Weise, wie wir mit unserem außerkörperlichen, „freien“ Denken, Fühlen und Wollen umgehen. Wir sind aber auch dafür verantwortlich – und leben infolgedessen in den Konsequenzen dessen, was wir gedacht, gefühlt und getan haben. Diese Konsequenzen haben dann auch wiederum Einfluss auf die Gestaltung unseres Körpers im nächsten Erdenleben. Wir werden immer mehr der, der wir werden wollen.

Friedrich Schiller, der ja auch Arzt war, lässt Wallenstein im gleichnamigen Drama sagen: Es ist der Geist, der sich den Körper baut. Für die Vertreter des deutschen Idealismus und der Frühromantik war dies eine selbstverständliche Annahme und auch innere Erlebnis­qualität. Wer sich mit der Anthroposophie eingehender beschäftigt und zum Beispiel Vorträge Rudolf Steiners wie „Die Evolution vom Gesichts­punkt des Wahrhaftigen“ liest, kann sich auf der Grundlage dieses spirituellen Menschenbildes auch leichter vorstellen, dass es auch übersinnliche Wesen gibt, die sich zwar seelisch und geistig den Menschen mitteilen können, sich aber nicht so wie Mensch, Tier und Pflanze in der sichtbaren Welt „verkörpern“.[14]

Zumutung Anthroposophie

„Zumutung Anthroposophie“ – so heißt ein lesenswertes Buch, das der langjährige Redakteur beim Norddeutschen Rundfunk in den Ressorts Wissenschaft und Zeitgeschich­­te geschrieben hat.[15] Im Klappentext schreibt er: „Das Phänomen Steiner bleibt erstaunlich und leicht angreifbar. Nur diejenigen werden es für relevant halten, die wenigstens in Teilbereichen den klaren Eindruck gewin­nen, dass hier große Durchblicke gelungen sind, die unserer Zeit bitter fehlen; und die bereit sind anzuerkennen, dass Bedeutendes nicht immer auf die Weise in die Welt tritt, wie man das nach den gewohnten Kategorien erwarten würde.“

Dem naturwissen­schaft­lichen Materialismus eine Geisteswissenschaft an die Seite zu stellen, war Rudolf Steiners Lebensaufgabe. Wer diese Geistes­wissenschaft studiert, lernt alle materiellen Gegebenheiten in ihrem Entstehen und Vergehen auf geistige Ursachen und Zielsetzungen hin zu betrachten – so auch Gesundheit und Krankheit.[16] Dieses neue westliche, auf klares Denken gebaute spirituelle Menschen- und Weltverständnis ist geeignet, einen heilsamen Ausgleich zu schaffen für die Einseitigkeiten, die infolge der Ökonomisierung und Technisierung aller Arbeitsbereiche entstanden sind.

Es braucht jedoch dafür den gegenseitigen Respekt. Und so möchte ich diesen Beitrag mit der Hoffnung abschlie­ßen, dass im weiteren Verlauf des „Lebens mit dem Virus“ solcher Respekt wieder wachsen kann und die Destruk­ti­vität von Feindbildern erkannt wird. Es braucht aber auch den Mut, ebenso klar und selbstbewusst für eine spirituelle Weltsicht und Kulturarbeit einzutreten, wie dies die Vertreter der Optimierung des Menschen mithilfe der Technik und der transhumanistischen Visionen tun.

Fazit: Spiritualität ist nicht nur Privat- oder Glaubens­sache. Sie ist heute ein dringendes Zeiterfordernis, um die Schäden zu kompensieren, die infolge des einseitig technokratischen Kulturfortschritts entstan­den sind. Da sie immaterielle Entwicklungsziele und Werte mit sich bringt, führt dies wie von selbst zum Verzicht auf Unwesentliches, zu einem bewussten Konsumverhalten, zu Toleranz und Menschen­ver­ständnis und dem Arbeiten an einer Friedens­kultur.


[1] Vgl. Michaela Glöckler: Kita, Kindergarten und Schule als Orte gesunder Entwicklung, Stuttgart, 2. Auflage 2020

[2] Edwin Hübner, Michaela Glöckler: Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt, Hrsg. Diagnose:media

[3]   www.aufwach-s-en.de

[4] Gerald Hüther: Würde, Knaus-Verlag

[5] Neues Testament, Johannes 14,6

[6] Ebenda, Johannes 15,9

[7] Ebenda, Johannes 8,32

[8] Rudolf Steiner: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? GA 10, Seite 26

[9] Louis Locher-Ernst; Mathematik als Vorschule zur Geist-Erkenntnis, Verlag am Goetheanum

[10]  Rudolf Steiner: Theosophie, GA 9

Rudolf Steiner und Ita Wegman: Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geistes­wissenschaftlichen Erkenntnissen, GA 27

Rudolf Steiner: Allgemeine Menschenkunde, GA 293

[11]  z.B. Pim van Lommel: Endloses Bewusstsein, Patmos

[12] Ausführlich dargestellt und erläutert in: Michaela Glöckler: Kita, Kindergarten und Schule als Orte gesunder Entwicklung, S. 63

[13] Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit. Dornach 2021, S. 170

[14]Rudolf Steiner: Die Evolution vom Gesichtspunkt des Wahrhaftigen, GA 132

Rudolf Steiner: Die geistigen Wesenheiten in den Himmelskörpern und Naturreichen, GA 136

Rudolf Steiner: Geistige Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der physischen Welt, GA 110

[15] Wolfgang Müller: Zumutung Anthroposophie. Rudolf Steiners Bedeutung für die Gegenwart, Frankfurt 2021

[16] Michaela Glöckler: Meditation in der Anthroposophischen Medizin, Berlin 2021

ÖKOLOGISCHE UND ÖKONOMISCHE URSACHEN VON PANDEMIEN

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Corona-Pandemie und den derzeitigen ökologischen und ökonomischen Verhältnissen?

COVID-19 ist Teil der ökologischen und sozialen Krise unserer Zeit, die uns gerade durch diese Pandemie deutlicher bewusst werden kann. Wir erleben uns in diesen Tagen vielfach ohnmächtig, und gleichzeitig wird die Selbsterkenntnis immer unabweisbarer, dass wir selbst die Urheber dieser Krise und damit auch die Verursacher dieser Pandemie sind, die im Rahmen der Risikoanalyse zum Bevölkerungsschutz des deutschen Bundestags vom Januar 2013 bereits vorhergesagt wurde,[1] ohne dass seitens der Regierung an den auslösenden Ursachen etwas verändert, ohne dass vorgesorgt wurde.

Ursachen für zunehmende Seuchengefahr

Die ökologischen Probleme unserer Zeit müssen als Hauptursache heutiger Pandemien diagnostiziert und global behandelt werden. Dazu gehört der grausame Umgang mit Wildtieren genauso wie die widernatürliche Massentierhaltung von Nutztieren.

Unter der Überschrift „Pandemien und ihre Ursachen: So züchtet der Mensch ungewollt neue Seuchen“ schrieb der Wissenschaftsjournalist und Biologe Philip Bethge am 3. April 2020 in Spiegel/Wissenschaft einen bemerkenswerten Beitrag.[2] Er schreibt, dass der Ausbruch der jetzigen Pandemie kein Zufall gewesen sei. Artensterben, Naturzerstörung und Klimawandel würden seit langem das Risiko erhöhen, dass Krankheiten von Tieren auf Menschen überspringen. Besonders geeignete Wirte dafür seien Fledermäuse und Flughunde, bei denen man schon gut 3200 verschiedene Corona-Viren identifiziert hat. Wir wissen zwar nicht, wie lange es gedauert hat, bis Sars-CoV-2 der Sprung auf den Menschen gelungen ist, es handle sich dabei jedoch um klassische Mechanismen der Evolution, durch die solche Epidemien entstehen können. Der Mensch würde dabei die Hauptrolle spielen.

Hinzu kommt der überhöhte Fleischverzehr reicherer Länder. Fleischmärkte und Fleischfabriken wurden zu Hotspots. Der Mensch als Fleischkonsument ist Verursacher von Tierleid und Umweltzerstörung und, wie wir jetzt erkennen, wesentlich beteiligt an der Entstehung bzw. Übertragung neuer, gefährlicher Virusvarianten auf andere Menschen.

·      Missbrauch von Wildtieren

Wildtiere, die eng an eng in Gefangenschaft gehalten werden, unter akuter Bedrohung ihres Lebens, die in ihrer Vitalität oft stark beeinträchtigt sind, wobei es zu einer unnatürlichen Nähe verschiedener Arten kommt, z. B. von Fledermaus und Schuppentier sowie von Mensch und Wildtier überhaupt. In dieser Situation ist das Immunsystem der Tiere selbst stark beeinträchtigt. So können sich Viren in den Tieren stark vermehren, sind Doppelinfektionen und in der Folge auch die Bildung von Chimären aus zwei verschiedenen Virusspezies möglich. SARS-CoV-2 kann so entstanden sein.

Auch das zu Rodungszwecken übliche Vordringen des Menschen in früher abgeschiedene Regionen, in denen Tiere zurückgezogen lebten, kann ein Grund für den Kontakt mit Tierviren und deren Überspringen auf den Menschen sein. Diese sogenannten Zoonosen und die damit verbundene Entstehung und Ausbreitung von Pandemien nehmen aufgrund von Bevölkerungswachstum und Naturzerstörung, Artensterben und Klimawandel weltweit zu, weil die Veränderung der Lebensräume das Überschreiten der Artgrenzen bedingt und fördert. Das weiß man im Grunde seit Jahren, es wurden aber nicht die nötigen Konsequenzen aus diesem Wissen gezogen.

Eine mögliche Variante ist auch der Übergang von tierspezifischen Viren auf den Menschen und wieder zurück, wie er z.B. in diesem Frühjahr in niederländischen Pelztierfarmen an Nerzen bewiesen wurde und wovon man auch in Dänemark, Hauptproduzent von Nerzfellen, ausgehen kann. In solchen Farmen werden weltweit pro Jahr rund 100 Millionen Wildtiere nur für Pelzaccessoires und Pelzteile in engen Käfigen gehalten und nach einem Leben, an das sich Wildtiere niemals anpassen können, getötet. Diesen missbräuchlichen Umgang mit Wildtieren zu beenden, der ermöglicht, dass Pelzteilchen von Nerzen und Marderhunden, aber auch Schuppen und Fleisch von Schuppentieren o. Ä. in den Handel gelangen, ist ein unabweisbares Muss! Der weltweite Wildtierschutz stellt spätestens seit Corona eine unabdingbare Priorität dar.

·       Entwürdigende Massentierhaltung

Dazu zwei Beispiele aus dem genannten Aufsatz von Thomas Hartmuth:

„Dass die modernen Geflügelmästereien mit artgerechter Haltung wenig zu tun haben, braucht wohl nicht betont zu werden. In den letzten Jahren tauchten plötzlich mutierte Virenstämme (H5Nx) auf, die zu einem Anstieg der Sterberaten durch Vogelgrippe führten und von denen befürchtet wurde, sie könnten auf den Menschen überspringen und eine globale Seuche auslösen. Es wurden nun – aus welchen Gründen auch immer – hauptsächlich Forschungsresultate der industrienahen Institute publiziert, wonach dieses neue Virus angeblich von asiatischen Wildvögeln nach Europa importiert worden sei. Wie der US-amerikanische Evolutionsbiologe Robert Wallace (2016) von der Universität Minnesota in seinem Buch ‚Big farms make big flu‘ (‚Große Farmen machen große Grippewellen‘) stichhaltig nachwies, stammen diese neuen Erreger (Campylobacter, Nipah-Virus, Q-Fieber, Hepatitis E und verschiedene neuartige Influenza-Varianten) ausnahmslos aus der industriellen Landwirtschaft. Bei Wildvögeln konnten die mutierten Stämme nicht nachgewiesen werden.

2011 kauften die Tierzüchter in den USA 14.000 Tonnen Antibiotika. Das sind 70–80% des gesamten jährlichen Verbrauchs in den USA, also nur ein Viertel kommt in der Humanmedizin zum Einsatz. Solche Verbrauchszahlen gelten für fast alle westlichen Industrienationen. Ohne diesen massiven Antibiotikaeinsatz würde es in den Mästereien zu einem Massensterben durch Seuchen kommen.“[3]

Mit Verweis auf Prof. Christine Moissl-Eichinger, Professorin für Interaktive Mikrobiom-forschung an der Medizinischen Universität Graz, wird auf zahlreiche Untersuchungen aufmerksam gemacht, bei denen man pathogene Erreger wie zum Beispiel multiresistente Keime auf Intensivstationen nicht durch zusätzliche Bakterizide und Antibiotika eliminiert hat, sondern indem man das mikrobielle Gesamtsystem durch Zusatz von hoch diversen Bakteriengemeinschaften (Fenster öffnen, Zusatz von ‚gesunden‘ Bakterien zum Wisch-wasser) so verändert hat, dass die pathogenen Keime neutralisiert wurden“.[4]

Solange man Massentierhaltung und großflächige Monokulturen als zwingend für die Welternährung darstellt und deshalb dorthin der größte Teil staatlicher Subventionen fließt und Kleinbauern kaum Hilfe erfahren, werden diese weiter ihre Länder an Großunternehmer verkaufen. Es braucht eine gesunde Denkweise über die Kreisläufe des Lebens und darüber, wie in der Natur und Entwicklung alles mit allem zusammenhängt.

Gefährdung der Lebensgrundlagen durch den Menschen

Wir alle ersehnen ein Ende dieser Pandemie. Doch wir sollten uns nicht einfach nach der Welt vor dieser Pandemie sehnen, sondern gemeinsam neue Strukturen, Werte und Wege finden, die in eine andere Zukunft führen. Denn fassen wir diese Krise in ihrem ganzen Umfang ins Auge, müssen wir feststellen, dass heute das Leben der Erde als Ganzes in akuter Gefahr ist. Für die Erde aber gibt es kein Beatmungsgerät. Wir Menschen zerstören die Wälder, die Lungen der Erde und die Lebensräume der Tiere, um sie technischer Kontrolle zugunsten von ökonomischer Ausbeutung zu unterwerfen.

Die Medizin selbst war technisch noch nie so mächtig, und noch nie sind so viele Zuwendungen aus der Wirtschaft in die Medizin geflossen. Gleichzeitig zerstört die einseitige Form der Wissenschaft und des Wirtschaftens unsere Lebensgrundlagen. So gefährden pharmazeutische wie auch chemische Industrie die planetarische und dadurch auch die menschliche Gesundheit: Monokulturen sind erst durch Pestizide, die moderne Massentierhaltung ist erst durch Antibiotika möglich geworden. Genau das aber führt dazu, dass Antibiotika für die Behandlung von schwerkranken Menschen zunehmend unwirksam sind und multiresistente Bakterien um sich greifen. In wenigen Branchen ist Ökologie ein stärker gefürchtetes Reizwort als in der konventionellen Pharmazie.

COVID-19 zeigt uns die Grenzen dieser technisch und ökonomisch hochgerüsteten Medizin, die noch nicht versteht, dass die vorausblickende Förderung von Gesundheit individuell wie global andere wissenschaftliche Grundlagen, ein anderes Denken und Handeln braucht als punktuelle Feldzüge gegen ansteckende Krankheiten – wobei die meisten chronischen Krankheiten auf diese Weise gar nicht erfasst werden können.

Antibiotikum bedeutet „das gegen das Leben Gerichtete“ und wurde zum erfolgreichsten und prägendsten Medikament des 20. Jahrhunderts. Im 21. Jahrhundert brauchen wir eine probiotische, das Leben fördernde und die Gesundheit erhaltende Medizin. Die Gesundheit von Pflanzen, Tieren und Menschen lassen sich nicht trennen. Es gibt nur EINE Gesundheit (One health). So fordert diese Pandemie ein neues, weltweites Bewusstsein von Gesundheit unseres Planeten, der Planetary health, und damit einhergehend eine nachhaltige Medizin und eine ökologische Pharmazie, wollen wir nicht demnächst noch wesentlich gefährlichere Pandemien erleben. Gesundheit wird nicht durch immer stärkere Kontrolle von außen erreicht, sondern durch die Fähigkeit aller Lebewesen, selbst ein lebendiges Gleichgewicht zwischen kränkenden und heilenden Einflüssen im Sinne einer Selbstregulierung herstellen und erhalten zu können. Das gilt für Pflanzen, Tiere und Menschen gleichermaßen.

Gegenseitige Entwicklungsabhängigkeit

Natur und Mensch sind voneinander abhängig, um überhaupt diese Fähigkeit der gesundenden Selbstregulierung erwerben zu können. Das sehen wir am Beispiel der Allergieentwicklung: Zur Allergie-Prophylaxe ist ein Kontakt mit gesunden Tieren und ihrer Mikroflora nötig, während wir durch den Aufenthalt in einem Stall der Massentierhaltung gefährdet sind, multiresistente Bakterien aufzunehmen. Auch ist es inzwischen bewiesen, dass steril aufgezogene Tiere eine gestörte Gehirnentwicklung und Verhaltensstörungen aufweisen. Wir sehen: Gesundheitsentwicklung gelingt nur in einem gesunden Kontext, ist dabei auf gesunde Beziehungen der Spezies untereinander angewiesen. Solange es uns gleichgültig ist, dass für wirtschaftliche Zwecke das lebendige Gleichgewicht einer Landschaft zerstört wird, wenn es uns kalt lässt, dass ein Wildtier lebenslang in einem 40 x 60 cm großen Käfig dahinvegetieren muss, dass Millionen von Kindern von Hunger bedroht sind oder sterben, dass Milliarden von Menschen durch Fehlernährung erkranken, wird auch die mächtigste Medizin diese Zerstörung begünstigende Fehlhaltung nicht ausgleichen können.

Medizin hat einen pädagogischen Auftrag

Was befähigt uns, für die Gesundung der Erde und die Vorbeugung von Pandemien zu sorgen?

Die Medizin muss zur Diagnose und Therapie in umfassendem Sinn fähig werden. Es kann nicht nur darum gehen, Viren mit Tests, Impfungen, Hyperimmunglobulinen und Virostatika zu bekämpfen. Eine zukunftweisende Medizin hat einen pädagogischen Auftrag: Sie muss Aufklärungsarbeit leisten unter den Erwachsenen,  warum Nahrungsmittel auf eine artgemäße und ökologisch sinnvolle Erzeugung angewiesen sind und warum täglicher Fleischkonsum eher gesundheitsschädlich als förderlich ist etc. Und den Kindern dieser Erde müssen wir weltweit eine Resilienz und Gesundheit fördernde Erziehung ermöglichen lassen.[5] Denn gute Erziehung, die zu selbständigem Denken befähigt und weiterführende Bildungschancen eröffnet, ist längerfristig das beste Mittel, um das Wachstum der Weltbevölkerung auf gesunde Art zu regulieren.

Jeder von uns ist dazu aufgerufen, die Grundannahmen der eigenen Denkweise zu überprüfen und die eigene Haltung zu verändern. Eine echte Wende wird erst möglich, wenn genügend Menschen bereit sind eine „Gedankenwende“ zu vollziehen.

Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, ISBN 9 783751 917919


[1] Bundestagsdrucksache 17/12051 vom 03.01.2013, https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/120/1712051.pdf., aus: Georg Soldner, Markus Sommer, „Ökologie und Pandemie. Was lernen wir an COVID-19?“ Rundbrief Medizinisches Seminar Bad Boll am7. November 2020

[2] https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/pandemien-und-ihre-ursachen-so-zuechtet-der-mensch-ungewollt-neue-seuchen-a-00000000-0002-0001-0000-000170323296

[3] Thomas Hardtmuth, Die Rolle der Viren in Evolution und Medizin, in: Jahrbuch für Goetheanismus, Band 36, 1. Auflage, 2019, Pädagogische Forschungsstelle Stuttgart, S. 47.

[4] Ebenda, S. 46.

[5] Vgl. Michaela Glöckler, Schule als Ort gesunder Entwicklung, März 2020, ISBN: 978-3-939374-76-3

WESEN UND WIRKUNG VON VIREN

Geschichte und Bedingungen der Virusforschung

Das Wort Virus stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Schleim, Gift, Geifer. In die Medizin eingeführt hat es der römische Enzyklopädist Aulus Cornelius Celsus (25 v.Chr. – 50 n.Chr.). [1] Seine acht Bücher zu den medizinischen Fachgebieten wurden im 15. Jahrhundert erstmals gedruckt und breit zugänglich. Viele seiner Behandlungsvorschläge – zum Beispiel die physiologische Fieberbehandlung bei Entzündungen – machen auch heute noch Sinn. Da es damals noch keine Elektronenmikroskope gab, konnte man zwar Gift beinhaltende Flüssigkeiten wie Speichel und andere Sekrete und Exkremente oder verdorbenes Wasser als Krankheitsursache identifizieren, nicht jedoch die darin vorhandenen Verursacher des Problems. Entsprechend ist die Virusforschung ein Kind des 20. Jahrhunderts. Die Corona-Viren kennen wir seit den späten sechziger Jahren. Aber erst seit Erfindung der Kryo-Elektronenmikroskopie, für die 2017 der Chemienobelpreis an Jacques Dubochet (Schweiz), den gebürtigen Deutschen Joachim Frank (Vereinigte Staaten) und Richard Henderson (Großbritannien) ging, ist das Sichtbarmachen von einzelnen Biomolekülen möglich. Sie entwickelten die sogenannte Kryo-Elektronenmikroskopie zur hochauflösenden Strukturbestimmung von Biomolekülen. Diese Methode vereinfacht und verbessert das Sichtbarmachen von Biomolekülen so sehr, dass damit eine neue Ära der Biochemie begonnen hat.

Ein Virus ist kein eigenständiges Lebewesen. Es besteht nur aus einem kürzeren oder längeren Stück Erbgut entweder vom Typ DNS (DNA-Viren) oder RNS (RNA-Viren). Dieses ist von einer unterschiedlich geformten Proteinkapsel oder Hülle umgeben, oft geometrisch geformt. So verdankt das Corona-Virus seinen Namen seiner schönen kugeligen Form. Viren können sich deshalb nur kurz am Leben erhalten, wenn sie nicht in eine funktionstüchtige Zelle von Bakterien, Pflanzen, Tieren oder Menschen eindringen. Sonnenlicht und Wärme vernichten sie rasch, im Feuchten oder auch im Eis können sie dagegen lange aktionsfähig bleiben.

Die kontextabhängige Natur der Viren

Viren machen nicht automatisch krank. Sie richten sich in ihrer Arbeitsweise vielmehr nach der Situation des Milieus, des Wirtsorganismus, in den sie eindringen. Das Masernvirus stammt z.B. ursprünglich vom Rind und bildet für den Menschen einen Krankheitserreger, während es in Fledermauspopulationen vorkommt, ohne diese zu beeinträchtigen und krank zu machen.

Thomas Hardtmuth hat zu diesem Thema einen sehr lesenswerten Aufsatz geschrieben, in dem er diese kontextabhängige Natur der Viren als hochplastische genetische Informationsträger bzw. Informationsvermittler anhand vieler Beispiele herausarbeitet.[2] Er fasst die Ergebnisse seiner bisherigen Recherche so zusammen:

„Aus systemwissenschaftlicher Perspektive stellen die Viren in ihrer Gesamtheit (Virosphäre) das vermittelnde Medium einer globalen genetischen Kommunikation unter den Organismen dar. Die Genome einzelner Lebewesen sind daher weniger das Ergebnis zufälliger Mutationen, sondern können als umkreis- und kontextabhängige, evolutive Neuarrangements aus diesem grundsätzlich dialogisch organisierten System der Virosphäre verstanden werden. (…) Die hohe genetische Plastizität, Adaptivität und Mutabilität der Viren wurde über unzählige Entwicklungsschritte in den hochkomplexen, intrazellulären RNA- Elementen der genetischen ‚Textbearbeitung‘ aller Lebewesen internalisiert und konserviert, die als epigenetisches Regulativ zwischen Umwelt und Organismus vermitteln und damit die Voraussetzung für Weiterentwicklung und Artenvielfalt sind. Viren haben eine Doppelnatur, indem sie genetische Impulsgeber und Krankheitserreger gleichzeitig sind. Ihre Pathogenität erweist sich vor diesem Hintergrund lediglich als Sonderfall im Sinne einer Stress- und Störanfälligkeit jeder innovativen, lebendigen Entwicklung.“[3]

Damit beantwortet sich die Frage, warum die Menschen durch ihre modernen Lebensformen und Wirtschaftsweisen für so etwas wie die Corona-Epidemie/Pandemie entschieden mitverantwortlich sind.

Sesshafte Viren als Evolutionshelfer

Thomas Hardtmuth verweist in diesem Zusammenhang auf Günther Witzanys Konzept der Biokommunikation:

„Wie sich in den letzten Jahren herausstellte, sind die infektiösen, hochgefährlichen Auswirkungen viraler Infektionen eine Art Sonderfall und kennzeichnen jene Viren, die keinen dauerhaft sesshaften Lebensstil in Wirtsorganismen entwickeln können. In den meisten Fällen leben Viren in einem Wirtsorganismus und helfen ihm dabei, konkurrierende Parasiten abzuwehren (wodurch er ein höheres Immunitätsniveau erreicht, Anm. Th. H.). Sie werden damit oft zu einem Teil der Evolutionsgeschichte des Wirtsorganismus bzw. der ganzen Wirtsart. Sesshafte Viren sind entscheidend für Artenvielfalt und Wirts-Genom-Bearbeitung. Praktisch alle Kompetenzen der natürlichen Genombearbeitung, wie sie in der Konservierung von Gen-Ablesung, Transkription, Translation und Rekombination repräsentiert sind (mit all ihren Schritten und Zwischenschritten), stammen von viralen Fähigkeiten ab. (…) Seit durch mehrere Beobachtungen klar geworden ist, dass Viren fähig sind, genetisches Material in die Wirtsgenome zu integrieren, wurde deutlich, dass Viren neben infektiösen Lebensstrategien auch symbiotische und symbiogenetische Lebensstile haben. Sie übertragen phänotypische Eigenschaften auf den Wirt, die ein nicht infizierter Wirt der gleichen Wirtsart nicht hat. Als endosymbiontische Viren, die von der Wirtsvervielfältigung abhängen, sind sie Teil der Wirtsgeschichte, indem sie vererbbar werden und damit Teil der genomischen Identität des Wirts.“[4]

Viren erfüllen damit seit Urzeiten eine wichtige Aufgabe in der Evolution.

Wenn Viren zu Krankheitserregern werden

Bei Irritationen des Systems können Viren jedoch pathogene, das heißt krankheitserzeugende Eigenschaften entwickeln. Um nun die Problematik und Herausforderung von Viruserkrankungen verstehen zu können, muss man die anfangs erwähnte besondere Natur der Viren in Betracht ziehen. Zur Bedrohung können sie vor allem werden, wenn sie neu in einen lebenden Organismus eintreten und dessen Lebensprozesse umsteuern, um sich selbst zu vermehren. Bei virusbedingten Erkrankungen beginnen Viren den gastlichen Wirt zu zerstören, indem sie immer weitere neue Zellen befallen, bis das Immunsystem diesem Geschehen Einhalt gebietet. Die Bedrohlichkeit der meisten Viren hängt demnach unmittelbar von der immunologischen Reaktionsfähigkeit des „Wirtes“ ab, die mit dem Alter generell abnimmt. Auch für Bevölkerungen, die ein Virus überhaupt nicht kennen, so wie einst die südamerikanische Bevölkerung das Masernvirus und die heutigen Bewohner Amazoniens das SARS-CoV-2-Virus, kann die massenhafte Ansteckung verheerend verlaufen, weil sie nicht angemessen darauf reagieren können.

Das SARS-CoV-2-Virus ist für viele Menschen im Grunde nicht zur Gänze neu. Es besteht in der Bevölkerung wahrscheinlich sogar eine Hintergrund- oder Teilimmunität durch den Kontakt mit anderen Coronaviren, die in jedem Winter für durchschnittlich 10 % aller Atemwegsinfekte verantwortlich sind. Da man nicht wissen konnte, wie stark unser Immunsystem auf das neue Corona-Virus reagieren würde, waren die Prognosen zu Anfang der Pandemie sehr pessimistisch.

Ob nun Viren oder Bakterien im Menschen eine positive Rolle spielen oder aber Krankheit erzeugen, hängt vom Zustand des Organismus und seiner Umwelt ab. Je nach Klima und Ort können sie sogar unterschiedliche Krankheiten hervorrufen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Pfeiffersche Drüsenfieber (Mononukleose). Es wird durch das Epstein-Barr-Virus ausgelöst. Dasselbe Virus aber kann zum Beispiel in Afrika das Burkitt-Lymphom hervorrufen, eine bösartige Lymphdrüsen-Erkrankung. In China hingegen ist es für eine bestimmte Form von Rachenkrebs verantwortlich.

Viren als genetische Assistenten

Auch das sogenannte Genetic-Engineering, das wir aus der Medizin bzw. der Landwirtschaft als Gentechnik oder Genmanipulation kennen, basiert auf dem Studium der natürlichen Lebensart der Viren. Sie bringen sich quasi als ein Stück Erbgut in fremde Zellen ein und existieren friedlich mit diesen zusammen, wobei sie deren Erbgut etwas modifizieren, indem sie Teile davon zwischen verschiedenen Individuen austauschen. Man kann sogar sagen, dass sie Elementen dieses Erbgutes entsprechen, dass unsere DNA zu einem großen Anteil aus ehemaliger Virussubstanz besteht. Durch das Einschleusen bestimmter Erbgutsequenzen Organismen zu verändern, ist also von jeher „Tagesgeschäft“ von Viren und keine Erfindung des Menschen. Eine plötzlich auftretende Veränderung im Erbgut wurde in der klassischen Genetik noch als genetischer Zufall oder Spontanmutation bezeichnet. Heute wissen wir, dass es im Wesentlichen der Arbeit von Viren geschuldet ist. Auch wenn die Forschung samt ihren Erkenntnissen auf diesem Gebiet erst wenige Jahrzehnte alt ist, so weiß man bereits genug darüber, um diesen „genetischen Assistenten“ in der Evolution der Welt des Lebendigen höchsten Respekt zu zollen. Als Beispiel für die unverzichtbare Entwicklungshilfe durch Viren nennt Hardtmuth u.a. die Tatsache, dass Menschen heute stärkehaltige Nahrung deshalb gut verdauen können, weil sie diese Fähigkeit durch die Integration einer Nukleotid-Sequenz aus einem Virus genetisch erworben haben, wodurch die Expression des dazu nötigen Amylase-Gens in den Speicheldrüsen kodiert wird. Man macht sich normalerweise nicht klar, wieviel man diesem „wandernden Erbgut“ auf dessen weisheitsvollen Wegen verdankt und dass ein Hauptteil des menschlichen Erbmaterials auf Integration von Viren während der Evolution zurückzuführen ist.

So wie heute das Mikrobiom des Darms zunehmend in seiner Bedeutung für Gesundheit und Krankheit des menschlichen Organismus erforscht wird, so wird die Virusforschung immer deutlicher zutage fördern, auf welcher Grundlage das menschliche Epigenom, das ohne Viren undenkbar wäre, „in jedem Moment unseres Lebens“ nachhaltig beeinflusst wird: „durch Ernährung, Lebensstil, Gewohnheiten, Krankheiten, durch unsere psychische Verfassung – ja sogar durch unsere gebildeten Vorstellungen, die ebenso ihr genomisches Korrelat haben.“[5] Demnach entscheidet der gesundende oder krankmachende Umgang mit uns selbst und unserer Mitwelt darüber, ob die Viren in uns ihrer natürlichen Aufgabe als Entwicklungshelfer nachkommen können oder zu Krankheitserregern werden.

Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, ISBN 9 783751 917919


[1] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Aulus_Cornelius_Celsus

[2] Thomas Hardtmuth, Die Rolle der Viren in Evolution und Medizin – Versuch einer systemischen Perspektive. In: Jahrbuch für Goetheanismus, Band 36, Stuttgart 2019, S. 3-61.

[3] Ebd, S. 3.

[4] Günther Witzany, Biokommunikation und natürliche Bearbeitung genetischer Texte – die Anwendung der sprachpragmatischen Philosophie der Biologie. Norderstedt 2010, S. 121. Zitiert nach Thomas Hardtmuth, a.a.O., S. 15 f.

[5] Thomas Hardtmuth, a.a.O., S. 27.

CHARAKTERISTISCHE SYMPTOME UND STADIEN VON COVID-19

Welche Symptome sind charakteristisch für COVID-19?

Welche Stadien und Verläufe sind mittlerweile bekannt?

Die Familie der Coronaviridae ist groß und für ein breites Spektrum von Erkrankungen bei Mensch und Tier verantwortlich. Beim Menschen verursachen sie allermeist nur Schnupfen, können aber – wie SARS, MERS und COVID-19 zeigen – eben doch auch zu lebensbedrohlichen Krankheitszuständen führen.

Auch zu diesem Thema habe ich auszugsweise meine geschätzten Kollegen Georg Soldner[1] und Markus Sommer[2] zu Wort kommen lassen,[3] ohne die Passagen eigens zu markieren.

Charakteristisch für die COVID-19-Erkrankung ist der Angriff des Virus als Aerosolbildner auf die Mitte des menschlichen Organismus: auf das Atemwegssystem und vor allem die Lungen einerseits, auf das System der Blutgefäße und Blutzirkulation andererseits. Über die Atmung stehen wir in permanentem substantiellem Austausch mit der Umwelt. Wie und was wir einatmen, wirkt sich unmittelbar auf unser Blut und damit auf den gesamten menschlichen Organismus aus. COVID-19 bedroht im Erkrankungsfall massiv unsere inneren Lebensgrundlagen.

Stadien von COVID-19 versus Grippe

·      Erste Symptome

Nach Aufnahme des Erregers über die Schleimhäute bemerken Infizierte, die erkranken, zunächst oft Müdigkeit, Kopfschmerzen, Kratzen im Hals, meist trockenen Husten. Relativ spezifisch ist ein vorübergehender, manchmal anhaltender Geschmacks- und Geruchsverlust, evtl. Durchfall. Es kann zu tagelang anhaltendem hohem Fieber kommen.

·      Interstitielle Pneumonie bei COVID-19

Das nächste Stadium, die COVID-19-assoziierte Lungenentzündung, ist besonders heimtückisch und klinisch besonders, weil sie zunächst schleichend beginnt und oft von den Patienten als solche nicht erkannt wird. Das entzündliche Anschwellen der feinen Bindegewebestrukturen, die die Atemwege und Lungenbläschen umgeben, auch interstitielle Pneumonie genannt, verursacht ein Schwerwerden der Lunge mit Flüssigkeitsanschoppung im Bindegewebe, was die Empfindung zu ertrinken auslösen kann. Kann aber plötzlich hochdramatische Formen annehmen, die dann intensivmedizinische Betreuung, u.a. Sauerstoffgabe bis hin zu künstlicher maschineller Beatmung erfordern.

Weil sich die COVID-19-Pneumonie oft zunächst mit nur sehr geringen Symptomen einschleicht (s. u.), ist eine gute ärztliche Begleitung wichtig. Bei Hausbesuchen muss man auf den Eigenschutz achten – nicht zuletzt, weil eine Erkrankung von Ärzten weitere Patienten gefährdet. Wenn die betroffenen Patienten vor der Untersuchung einen Mund-Nasen-Schutz anlegen und das Zimmer gut gelüftet wird, bevor man es betritt, so reduziert dies das Risiko, angesteckt zu werden, erheblich.

·      Bakterielle Pneumonie zum Vergleich

Bei der klassischen Lungenentzündung, die durch Pneumokokken hervorgerufen wird und bei Bedarf antibiotisch gut behandelbar ist, sind dagegen die Lungenbläschen betroffen. Diese beginnt meist mit akuten Symptomen wie Fieber, körperlicher Schwäche und großem Unwohlsein und zwingt ins Bett. Demgegenüber werden die durch Viren hervorgerufenen Lungenentzündungen als atypisch bezeichnet, weil sie langsam beginnen, sich dann plötzlich dramatisch zuspitzen.

·      Hyperinflammation und Organversagen

Bei Fortschreiten der COVID-19-Erkrankung kann es zu einem Kontrollverlust im Immunsystem kommen, einer Über-Entzündung (auch cytokine storm genannt) mit Schädigung der Blutgefäßinnenwände und Gerinnungsstörungen, Blutgerinnsel und vorübergehenden Ausfall lebenswichtiger Organe wie die Nieren bis hin zu Multiorganversagen.

·       Rekonvaleszenz

Wichtig für den Prozess der Genesung von COVID-19, egal aus welchem Stadium, sind Schonung und Vermeiden zu früher Belastung. Typisch ist, dass Patienten, die sich oft schon ganz kräftig fühlen, plötzlich wieder einen Einbruch erleben, bis dahin, dass sie sich zwischendrin hinlegen müssen. Auch kann es lange dauern, bis Geruchs- und Geschmacksempfinden sich zur Gänze wiederherstellen.

·      Langzeitfolgen

Die Erkrankung kann erhebliche Organschäden im Sinne einer Versteifung, Sklerosierung hinterlassen. Geruchs- und Geschmacksempfinden können dauerhaft beeinträchtigt bleiben.

Allgemeine Gesichtspunkte zur Behandlung von COVID-19 gemäß der Anthroposophischen Medizin werde ich in einem gesonderten Kapitel erläutern. Konkrete Medikamentengaben und therapeutische Maßnahmen für die einzelnen Stadien von COVID-19 können dem unten erwähnten Rundbrief entnommen werden.

Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, ISBN 9 783751 917919

sowie Georg Soldner, Markus Sommer, „Ökologie und Pandemie. Was lernen wir an COVID-19?“ Rundbrief Medizinisches Seminar Bad Boll am7. November 2020


[1] Georg Soldner ist Arzt, Autor, stellv. Leiter der Medizinischen Sektion am Goetheanum.

[2] Markus Sommer ist Autor zahlreicher Beiträge in Zeitschriften und Bücher zum Krankheits- und Heilmittelverständnis. Er ist Mitherausgeber des Vademecum Anthroposophische Arzneimittel und arbeitet für das Bundesamt für Arzneimittel.

[3] Aus: Georg Soldner, Markus Sommer, Ökologie und Pandemie. Was lernen wir an COVID-19? Rundbrief Medizinisches Seminar Bad Boll am7. November 2020.

BEDEUTUNG VON KRANKHEITEN FÜR DIE ENTWICKLUNG DES MENSCHEN

Warum reagieren wir im Laufe unserer Entwicklung auf körperliche, seelische und geistige Irritationen mit Krankheit?

Warum haben wir nicht von Natur aus die Möglichkeit uns problemlos überall anzupassen?

Warum braucht der Mensch einen anderen Umgang mit Krankheit als Tiere und Pflanzen?

Die Corona-Pandemie gibt Anlass zu grundsätzlichen Überlegungen in Bezug auf Krankheiten und ihre Auswirkungen auf uns Menschen. In der außermenschlichen Natur kommen Krankheiten nur als „Regler“ des ökologischen Gleichgewichts vor. Wenn ein wildlebendes Tier erkrankt oder verunfallt, wird es rasch gefressen oder stirbt, weil es sich nicht mehr ernähren kann. Oder aber Pflanzen und Tierarten sterben aus, weil ihre Lebensräume vom Menschen so verändert wurden, dass sie sich nicht mehr anpassen können und ihre Existenzfähigkeit gefährdet ist oder erlischt. Dass dies bei Haustieren anders ist, liegt an ihrer Symbiose mit den Menschen und der damit verbundenen Tiermedizin.  

Krankheiten als Impulsgeber für das Immunsystem

Das zeigt: Leben mit Krankheit ist etwas spezifisch Menschliches. Dabei muss man vor allem drei Arten von „normalen“ Erkrankungen unterscheiden:

  • in Kindheit und Jugend sind akute Infekte vorherrschend
  • zwischen 20 und 40 sind es überwiegend psychosomatische Beschwerden, die für die Zeit von Ausbildung, Berufsweg und Familiengründung typisch sind
  • und danach beginnen früher oder später chronische Krankheiten, die die Betroffenen oft bis ans Lebensende begleiten.

Diese „normalen Krankheiten“ sind Begleiter jeder Biographie – im Einzelfall stärker oder schwächer ausgeprägt oder nur tendenziell vorhanden. Denn auch wenn jemand sagt: „Ich war immer gesund!“, so übergeht er oder sie den gelegentlichen Schnupfen oder einen Durchfall im Urlaub. Daher schreiben Ärzte in solchen Fällen bei der Anamnese: Nie ernstlich krank gewesen.

Die drei genannten Krankheitsformen haben unverzichtbare positive Nebeneffekte:

1.     Akute Infekte im 1. Lebensdrittel

Durch die akuten Infekte im Wachstumsalter wird die Entwicklung eines stabilen Immunsystems ermöglicht, das im Laufe des Lebens vor ernstlichen Erkrankungen schützt.

2.     Psychosomatische Beschwerden im 2. Lebensdrittel

Die psychosomatischen Probleme hingegen bewirken, dass Menschen im mittleren Lebensalter nach Mitteln und Wegen suchen, stresstolerant zu werden, Frustrationen besser verarbeiten zu können, selbstbewusster zu werden, zu sich zu stehen, sich so anzunehmen wie sie sind. Viele beginnen mit Selbstcoaching und Selbstmanagement oder greifen nach spirituellen Schulungsbüchern wie Rudolf Steiners „Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten?“. Andere beginnen Yoga oder einen Zen-Kurs zu machen.

Das Ergebnis ist immer ein stabileres „seelisches Immunsystem“, die Fähigkeit mit sich selbst und der Mitwelt besser zurechtzukommen. Und es sind gerade diese Unpässlichkeiten und Krankheitssymptome, die dabei helfen. Sie weisen den Weg und machen wach für die notwendigen Lernziele. Vögel, Hunde und Katzen dagegen können nicht perfekter werden als sie sind. Ein Vogel würde durch die Auseinandersetzung mit Krankheitssymptomen dadurch nicht „vogeliger“. Es macht also keinen Sinn für sie, sich mit Krankheitssymptomen herumplagen zu müssen. Nur wir Menschen ringen lebenslang darum menschlicher zu werden.

3.     Chronische Krankheiten im 3. Lebensdrittel

Die positiven Nebeneffekte chronischer Krankheiten im letzten Lebensdrittel sind oft Anlass, Entwicklungs- und Sinnfragen zu stellen, die auch die Frage nach dem Tod und einer möglichen Postexistenz in körperloser Form beinhalten. Solche existentiellen Reflexionen können Anlass für eine geistige Neuorientierung sein. Wer die Begrenztheit und Zerbrechlichkeit der körperlichen Existenz selber erlebt, in dem werden neue Gefühle und Gedanken wach, die ihn auf seine unvergängliche, rein geistige Existenz hinweisen. Diese lebt nicht im Körper, wohl aber in den Kräften der Gedanken, Gefühle und Intentionen – in der Identität, die bewusster entwickelt wird. Auf diesem Wege entsteht dann die sogenannte „geistige Immunität“.

Sinn von altersunabhängigen Erkrankungen und Unfällen

Außer diesen drei Formen von Krankheit, die jeden Lebenslauf mehr oder weniger intensiv begleiten, gibt es dann noch die Gruppe schwer verständlicher, schicksalhaft auftretender unerwarteter Krankheiten wie z.B. Leukämie im Kinderalter, angeborene Herzfehler, eine Lebensmittelvergiftung, ein Unfall, der eine Behinderung nach sich zieht. Hier ist „Sinnfindung“ nur möglich, wenn man von den „normalen Krankheiten“, die das Leben begleiten, gelernt hat, dass Krankheiten nicht schädigen, sondern Entwicklungshelfer sein wollen. Dass sie keine „Strafe Gottes“ sind, sondern der individuellen Entwicklung dienen.

Dabei ist es wichtig, dass die Betroffenen sich ehrlich fragen:

Warum ist gerade mir das geschehen?

Was hat sich dadurch in meinem Leben geändert?

Was konnte ich nur durch dieses Ereignis lernen?

Wer es ernstlich will, wird durch die Antworten einen Sinn, eine persönliche Botschaft für den weiteren Weg finden.

Entwicklung über mehrere Erdenleben

Bleibt die Frage:

Und wenn durch Krankheit der Tod eintritt?

Warum so viel lernen, wenn man doch plötzlich stirbt und dann vielleicht „alles aus“ ist?[1]

Fragen wie diese legen nahe, dass menschliche Entwicklung in einem Leben nicht „zur Vollkommenheit“ führen kann. Dass der Tod zwar das Erdenleben beendet, die Entwicklung damit aber nicht beendet sein kann.

Wie soll denn z.B. die Prophetie aus dem Johannesevangelium wahr werden, wo gesagt wird: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh. 8, 32), wenn der Mensch nur einmal leben würde?

Und das noch dazu entweder als Mann oder Frau oder etwas Selbstbestimmtem dazwischen?

Sobald man ernsthaft über die Entwicklungsfähigkeit des Menschen nachdenkt, kommt einem der Gedanke der Reinkarnation ganz natürlich vor. Dann ist der Gedanke erlösend, dass man die Errungenschaften eines Erdenlebens in ein Leben zwischen Tod und neuer Geburt mitnehmen kann und dort in einer geistigen Daseinsform ein nächstes Leben vorbereitet, in dem neue Aufgaben für die Weiterentwicklung anstehen. In diese andere nicht körperliche Daseinsform können wir aber nur mitnehmen, was wir als denkende, fühlende und wollende Menschen bisher geworden sind.[2]

Eine weitere Folge solcher Überlegungen ist ein wachsendes Gefühl der Mitverantwortung für den Planeten Erde, damit dieser uns die Chance zur Weiterentwicklung noch lange bieten kann. Unter diesem Aspekt kann die Corona-Pandemie eine völlig neue Bedeutung gewinnen: als globaler Entwicklungshelfer, der uns als Menschheit wachrüttelt für die brennenden Fragen des Lebens, die alle Lebensformen und -wesen auf diesem Planeten mit einschließen.

Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, ISBN 9 783751 917919


[1] Michaela Glöckler, Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung, zu beziehen über https://www.buch-engel.com/GLOECKLER-MICHAELA-HRSG-Raphael, oder die Medizinische Sektion am Goetheanum.

[2] Siehe dazu Rudolf Steiners Vorträge Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt, GA 153, Dornach 1997.

ANTHROPOSOPHISCHE MEDIZIN – EIN INTEGRATIVMEDIZINISCHER ANSATZ

Was unterscheidet integrativmedizinische Ansätze von der vorherrschenden Schulmedizin?

Welchen Beitrag könnte er leisten, um das Gesundheitswesen menschlicher zu machen?

Gesundheit und Demokratie gemeinsam stärken

Die Anthroposophische Medizin wurde von dem österreichischen Philosophen Rudolf Steiner (1861 – 1925) und der holländischen Ärztin Ita Wegman (1876 – 1943) 1920 in Dornach/Schweiz begründet.[1] Sie feiert im Jahr der Corona-Pandemie ihren 100. Geburtstag. Dabei ist interessant, dass Steiner in seinem Begründungskurs von 20 Vorträgen in der Osterzeit 1920[2] nicht nur auf die damals noch virulente Spanische Grippe eingeht und das einseitige Ansteckungsmodell zum Verständnis von Infektionskrankheiten kritisch beleuchtet. Am 7. April 1920 warnt er auch in einem eingeschalteten öffentlichen Vortrag vor der Gefahr, dass gesundheitliche und hygienische Fragen der demokratischen Kontrolle entzogen und strikt autoritär von der herrschenden wissenschaftlichen Meinung und Politik entschieden werden.

„Das Undemokratische dieses Autoritätsglaubens tritt der Sehnsucht nach Demokratie gegenüber (…) Sollte nicht ein stärkeres Demokratisieren, als es heute unter den gegenwärtigen Verhältnissen möglich ist, auf einem solchen Gebiete angestrebt werden können, das so nahe, so unendlich nahe jeden einzelnen Menschen und damit die Menschengemeinschaft angeht, wie die öffentliche Gesundheitspflege?“[3]

Selbstverständlich geht es Steiner nicht darum, Fach- und Sachautoritäten in Frage zu stellen. Wohl aber die Art und Weise, wie eine bestimmte Hygiene-Auffassung mit Staatsgewalt durchgesetzt wird, ohne dass die Menschen, um deren Gesundheit es ja geht, ein Mitspracherecht haben – zumal es ja nicht nur das naturwissenschaftliche Denkmodell über den Menschen gibt und die damit verbundene Auffassung von Gesundheit und Krankheit. Da schon das Wort Anthroposophie – griechisch: Anthropos/Mensch, Sophia/Weisheit –andeutet, dass es dabei um Menschlichkeit geht, ist klar, dass Steiner auf das Recht des Menschen auf umfassende Selbstbestimmung und Selbstentwicklung verweist und ein Gemeinwesen mündiger Menschen fordert, die wissen, dass sie einander brauchen und für- und miteinander leben.

Einer Gesundheitsdiktatur entgegenwirken

Liest man diese Worte jetzt, 100 Jahre später, inmitten der Corona-Krise, so bekommen sie eine fast dramatisch anmutende Aktualität. Zumal wenn man Steiners Sorgen und Fragen mit denen von Bill Gates vergleicht, die er auf seiner Website der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung als seine führende Ansicht geltend macht: Dort spricht er sich für flächendeckende Tests in der Weltbevölkerung aus, für globale Impfstrategien und bei Bedarf für gesundheitliche Totalüberwachung mit Hilfe der Informationstechnologie. Auch betont er, wie Staat und Privatwirtschaft hier zusammenarbeiten müssen, damit das alles effizient ungesetzt werden kann. Damit wird eine moderne Wissenschafts- und Wirtschaftsdiktatur zur realisierbaren Möglichkeit.

Angesichts einer solchen Gefahr betont Steiner, dass das Wirtschaftliche nicht zum „Herrn über das Geistige“ werden darf. Der Gesundheit der Menschen sollte man nicht mit ökonomischer Gesinnung dienen, sondern aus „sozialem Sinn“. So seien etwa zur Erklärung und Bekämpfung z.B. von Typhus noch ganz andere Dinge notwendig als die Ausmerzung von Typhusbazillen. Hängen doch hygienische Fragen eminent mit sozialem Status und Erziehungsfragen zusammen. Steiner sieht die Notwendigkeit des gesundheitsbewussten Patienten, den „mündig gewordenen Menschen“, welcher „dem als einem Gleichen gegen-überstehen (wird), der ihm das oder jenes sagt: dem sachverständigen Mediziner“.[4]

Dazu wäre aber eine Schulbildung nötig, die das Fundament dazu legt. Nicht aus Autoritätsglauben sollte der Kranke therapeutische Vorschläge an- und Medikamente einnehmen, sondern wo immer möglich aus Einsicht. Steiners Credo war: Soziale Fragen müssen mit pädagogischen Mitteln angegangen werden und pädagogische Fragen mit einem Schulsystem, das sich an der gesunden Entwicklung der Kinder und Jugendlichen orientiert anstatt an den Leistungsvorgaben aus Wirtschaft und Politik. Daher auch seine Forderung bei der Begründung der Waldorfpädagogik 1919, dass es ein Recht auf Bildung geben müsse bis zum 18. Lebensjahr und erst danach die Vorbereitung auf welchen Schulabschluss auch immer erfolgen solle – je nachdem, was der Jugendliche dann vorhat. Erziehung war für Steiner deshalb Teil der wichtigsten Gesundheitsvorsorge: der Prävention bzw. Präventivmedizin. [5]

Gesetzmäßigkeiten, die den Menschen ausmachen

In der Anthroposophischen Medizin werden diese verschiedenen Ebenen, von denen Kränkung oder Schwächung der körperlichen Konstitution ausgehen können, differenziert beschrieben und als physische, ätherische, astralische und Ich-Organisation des Menschen benannt. Diese „Organisationen“ sind komplexe Zusammenhänge von Gesetzmäßigkeiten, die Rudolf Steiner auch als „Wesensglieder“ bezeichnet hat – handelt es sich dabei doch um die zentralen Wesensäußerungen des Menschen als physisch-körperlich, belebt, beseelt und geistbegabt.

Entscheidend ist dabei, dass diese Gesetzeszusammenhänge nicht nur den Körper in seiner Komplexität konstituieren, sondern sich im Verlaufe des Lebens auch durch Wachstum und Entwicklung wieder von der Tätigkeit in der Körperkonstitution emanzipieren können. Sie stehen dann als die Seelenfähigkeiten des Denkens, Fühlens und Wollens zur Verfügung, die den inneren Entwicklungsraum der Seele ausmachen. [6] Eine solche Betrachtung erlaubt es dann auch, das vorgeburtliche und nachtodliche Menschenwesen konkret zu denken. Das Gesetz des freien Falls, das wirkt, wenn ein Körper zu Boden fällt, kann man auch „nur“ denken, ohne dass gerade etwas fällt. Ebenso kann man sich den Menschen als „ewig“, d.h. in Gedanken, Gefühlen und Absichten lebend vorstellen, als vorgeburtliche nachtodliche Existenz, die nach jedem Erdenleben ihren Erdenkörper ablegt und Rückblick auf ihr Leben und die bisherige Entwicklung hält, um im Sinne des Entwicklungszieles der Menschheit ein weiteres Erdenleben vorzubereiten.

Ökologisches Bewusstsein durch umfassendes Menschenbild

Durch diese Sichtweise auf den Menschen wird nicht nur eine integrative Medizin denkbar, die auf der physischen Ebene die Möglichkeiten der Schulmedizin mit einschließt. Vielmehr wird dadurch konkret verständlich, warum die Gesundheit über Lebensstil, Selbsterziehung im Seelischen und geistig-meditative und religiöse Übungen ebenfalls unmittelbar beeinflusst werden kann. Diese Zusammenhänge lassen sich im Einzelnen studieren. Dadurch wird die geistige Realität von Gedanken erlebbar – auch des Gedankens des eigenen Ich. Wer anfängt, bewusst in seinem Denken, Fühlen und Wollen als in einer nichtsinnlichen Welt zu leben, in der sein Wesen „ewig“ beheimatet ist, so wie sein Körper in der vergänglichen Welt, steht mit einer anderen Kraft im Leben, als jemand, dem die geistige Welt verschlossen ist.

Ein spirituelles Menschenbild wie dieses kann aber auch als eine Art Heilmittel empfunden werden gegenüber der Kränkung durch die materialistische Weltanschauung.

Ist es nicht kränkend, den Menschen zu einem Zufallsprodukt materieller Vorgänge zu erklären?

Ihn über seine innere Natur im Ungewissen zu lassen, was begreiflicher Weise Angst und Depression verursacht?

Und voll von Hohn und Spott ein geistiges Weiterleben nach dem Tod für Spinnerei oder eine vorwissenschaftliche Glaubenssache zu erklären?

Wer so denkt, hat es schwer ein ökologisches und empathisches Bewusstsein zu entwickeln, das ist nur zu verständlich.

Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, ISBN 9 783751 917919


[1] Siehe Michaela Glöckler, Was ist Anthroposophische Medizin?

[2] Siehe Rudolf Steiner, Geisteswissenschaft und Medizin. Erster Ärztekurs. GA 312, Dornach 2020.

[3] Rudolf Steiner, Die Hygiene als soziale Frage, öffentlicher Vortrag, 7. April 1920. In: Fachwissenschaften und Anthroposophie, GA 73a, Dornach 2005.

[4] Ebd.

[5] Ebd.

[6] Vgl. Rudolf Seiner, Ita Wegmann, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geistes-wissenschaftlichen Erkenntnissen, GA 27, Dornach 1991, S. 12 f.

VORBEUGUNG UND BEHANDLUNG VON COVID-19 DURCH ANTHROPOSOPHISCHE MEDIZIN

Welche alternativen Behandlungsmöglichkeiten von COVID-19-Infektionen gibt es?

Und wie kann man einer Infektion vorbeugen?

Was kann jeder selbst dafür tun?

Behandlungskonzept der Anthroposophischen Medizin

Anthroposophische Medizin versteht sich als Integrativmedizin, die ihre Behandlungsansätze auf allen Ebenen menschlicher Existenz den jeweils individuellen Gegebenheiten anpasst. Bereits am 9. März 2020 stellte die Medizinische Sektion am Goetheanum den ärztlichen Kolleginnen und Kollegen aller Länder ein erstes integratives Behandlungskonzept der Anthroposophischen Medizin vor, das auf Basis der jahrzehntelangen Erfahrung anthroposophischer Kliniken und Ärzte in aller Welt und in enger Kommunikation untereinander bei der Behandlung von Lungenentzündungen ohne bakterielle Ursache entwickelt worden war.[1] Im Laufe des Jahres wurden COVID-19-Patienten aller Krankheitsstadien mit großem Erfolg nach diesen Richtlinien behandelt.

Die anthroposophischen Krankenhäuser in Berlin/Havelhöhe, Herdecke/Ruhr und die Filderklinik bei Stuttgart sind Teil der Regionalversorgung. Berlin/ Havelhöhe hat unmittelbar zu Beginn der Krise eine Corona-Ambulanz eingerichtet,[2] und alle Häuser haben ihre intensiv-medizinischen Kapazitäten erweitert. Neben den Möglichkeiten der schulmedizinischen Behandlung kommen dort auch die supportiven Arzneimittel der Anthroposophischen Medizin zum Einsatz, die die Selbstregulation des Körpers unterstützen.

Bedeutung der Komplementärmedizin bei COVID-19

Ende März 2020 kam es bei einer WHO-Konferenz, die sich für Behandlungsmöglichkeiten der Komplementärmedizin interessierte, zu einem gegenseitigen Austausch mit chinesischen Kollegen, die damals 91,5 % aller COVID-Patienten ergänzend mit Mitteln der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) behandelt hatten und von einer deutlichen Senkung der Rate schwerer und fataler Krankheitsfälle berichteten. China wie auch die Anthroposophische Medizin hatten die Erfahrung gemacht, dass eine konsequente frühe Behandlung, also bereits in der ersten Krankheitsphase, mit Naturarzneimitteln sehr wirksam und geeignet ist, ein Fortschreiten der Erkrankung bzw. Komplikationen abzuwenden. So können Bitterstoffe die Infektabwehr des Organismus verstärken und die Genesung einleiten, während Antipyretika und Schmerzmittel das Immunsystem schwächen.

In Klinik und ambulanter Praxis kommt der Fieberbehandlung dabei eine zentrale Bedeutung zu. Viren reagieren nicht nur an der Luft empfindlich auf Sonnenlicht und Wärme, sondern auch im Organismus. Der Körper entwickelt deshalb Fieber, um die Viren abzutöten. Dabei sind eine fröhlich-helle Stimmung und liebevolle Versorgung und Begleitung äußerst hilfreich für den Genesungsprozess.[3] Fiebersenkende Arzneimittel (Antipyretika) werden nur dann erwogen, wenn die Selbstregulation des Kranken zu schwach ist. Ansonsten wird der Körper mit physikalisch-physiologischen Maßnahmen (z. B. Wadenwickel) in seinem Bestreben, durch Erhöhung des Wärmezustands die Viren zu bekämpfen, positiv unterstützt und das Fieber in gesundenden Grenzen gehalten, aber nicht unnötig gesenkt.

Der anthroposophische Kinderarzt Prof. David Martin hat die Grundprinzipien einer physiologischen Fieberbehandlung auf seiner Website und in einem Video erläutert und viel dazu beigetragen, die Angst vor dem Fieber zu nehmen. Auch gibt es von ihm zwölf Interviews zu allen Fragen rund um Fieber, Allergie und Immunsystem.[4] Wichtig sind aber auch ausreichender Schlaf, gesunde Ernährung und regelmäßige körperliche Bewegung und Spaziergänge an der frischen Luft. Die bisherigen Erfahrungen zur anthroposophischen Behandlung von Atemwegsinfekten finden sich im Vademekum ausführlich dokumentiert.[5]

Behandlungsansätze der Schulmedizin

Im Gegensatz zur klassischen Lungenentzündung, die antibiotisch behandelt werden kann, hat die Schulmedizin keine spezifischen Medikamente, die die Aktivitäten des Virus stoppen könnten. Es gibt zwar sogenannte antivirale Medikamente – diese sind jedoch nicht Covid-19-spezifisch und haben erhebliche Nebenwirkungen. Daher setzt man bei der Behandlung virusbedingter Erkrankungen auf Impfungen und, so vorhanden, auf Behandlung mit spezifischen Antikörpern, den sogenannten Hyperimmunglobulinen, die die Viren deaktivieren können. Diese werden aus Organismen gewonnen, auch von Menschen, die die Krankheit bereits überwunden haben und durch die Überwindung der Krankheit die entsprechenden Immunglobuline bilden konnten. Diese Behandlungsmöglichkeit wird es wohl in Zukunft vermehrt geben, sie stand im Jahr 2020 aber nicht ausreichend zur Verfügung.

Umso interessanter ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass in China die meisten Krankenhäuser und Patienten in der Krise auf die Traditionelle Chinesische Medizin gesetzt haben,[6] und sich auch in Europa in zahlreichen Fällen die supportiven Therapieverfahren der Homöopathie und Anthroposophischen Medizin bewährt haben. Insofern kann man auf die Auswertungen der Krankengeschichten nach der Krise gespannt sein.

Immunabwehr durch gesunde Gefühle und Gedanken

Hauptanliegen der Anthroposophischen Medizin ist es, den Menschen auf allen Ebenen zu stärken und so seine Immunabwehr zu verbessern – als Prävention wie auch als Therapie. Welche Möglichkeiten es neben der medikamentösen Behandlung gibt, möchte ich hier kurz erläutern.

Da die Atemwege bei COVID-19 besonders betroffen sein können, bis hin zur lebensbedrohlichen Pneumonie, ist es besonders wichtig sich bewusst zu machen, wie stark positive Gefühle uns helfen gesund zu bleiben. Unsere Gefühle nehmen sehr stark Einfluss auf die Art und Weise, wie tief oder wie oberflächlich wir atmen, wie regelmäßig und entspannt oder angespannt und stockend. Das kennt jeder aus eigener Erfahrung.

Wie aber kann man positive Gefühle erzeugen, wenn man Angst vor Ansteckung hat?

Wenn man mit Stress und Wut zu kämpfen hat aufgrund der beengten häuslichen Verhältnisse?

Wenn man Sorgen hat um Kranke oder alte Familienangehörige, mit denen man nur noch telefonisch Kontakt aufnehmen und die man nicht besuchen kann?

Da gibt es verschiedene Möglichkeiten: An erster Stelle steht sicher Musik, die man liebt. Hört man sie und kann sich auf sie einlassen, so erlebt man unmittelbar, wie sich die Seelenstimmung, der Gefühlszustand und das Atmungsverhalten ändern. Auch die Besinnung auf Momente im Leben, in denen man dankbar, zufrieden und glücklich war, können einem deutlich machen, dass dies zwar jetzt eine Krise ist, aber sicher auch wieder andere Zeiten kommen werden.

·       Immun-Booster auf seelischer Ebene: Gebet, Meditation, gute Gespräche

Hinzu kommen Gebete und Meditationssprüche, die man sich vornehmen kann. Zum Beispiel ein solcher von Rudolf Steiner, der hilft, innere Ruhe wiederherzustellen:

Ich trage Ruhe in mir,

Ich trage ihn mir selbst

Die Kräfte die mich stärken.

Ich will mich erfüllen

Mit dieser Kräfte Wärme,

Ich will mich durchdringen

Mit meines Willens Macht.

Und fühlen will ich

wie Ruhe sich ergießt

Durch all mein Sein,

Wenn ich mich stärke,

Die Ruhe als Kraft

In mir zu finden

Durch meines Strebens Macht.

Im Zwischenmenschlichen hilft sehr, wenn man bewusster zuhört, was der andere sagen will, und, anstatt sofort zu reagieren, einen Moment überlegt, wie man die Antwort so formuliert, dass sie gut aufgenommen werden kann.

Der Salutogenese-Forscher Aaron Antonovsky (1923–1994) fand drei Gefühlsqualitäten heraus, die den Menschen innerlich sicher und widerstandsfähig (resilient) machen können.[7] Übt man diese im zwischenmenschlichen Dialog zu Hause und am Arbeitsplatz (wenn dies wieder möglich ist), so kann man sich und anderen helfen, freier zu atmen und sich gesünder zu fühlen. Es entsteht ein Gefühl von Kohärenz, wenn man etwas versteht, es als sinnstiftend erlebt und schließlich Freude daran hat es umzusetzen. Dieses dreifache Kohärenzgefühl der Verstehbarkeit, Sinnhaftigkeit und Handhabbarkeit spielt im zwischenmenschlichen Bereich eine zentrale Rolle. Sich verstanden zu fühlen tut gut, beim Denken und Tun Sinn zu erleben ebenfalls – und schließlich die Erfahrung zu machen, dass man mithilfe der erworbenen Fähigkeiten helfen kann.

Andersherum ist nichts kränkender, als sich unverstanden, sinnlos und ohnmächtig zu erleben. Es sind eben Gefühle, durch die wir uns mit uns selbst und der Welt im Zusammenhang erleben. Kein Lebewesen könnte ohne den Bezug zur Umwelt überleben. Aus dem Zusammenhang herauszufallen und Isolation zu erleben sind lebensfeindliche und kränkende Umstände, die bis zum Tod führen können, wenn sie zu lange anhalten.

·      Immun-Booster auf geistiger Ebene: gute Gedanken und Motivation

Auf geistiger Ebene wirken gute Gedanken und Motivationen immunstimulierend, die auf das Wesentliche gerichtet sind und uns spüren lassen, dass wir nicht nur aus einem physischen Leib bestehen, sondern auch eine dem Denken zugängliche geistige unzerstörbare Identität haben. Jeder kennt die Kraft, die man plötzlich hat, wenn man sich für etwas begeistert. Wenn man ein Ideal hat, für dessen Realisierung man sich einsetzt. Gute Gedanken verbinden die Menschen geistig und erzeugen so eine Verbundenheit, die uns in Zeiten der Isolation geistig stärken können. Wie stark wird es oft von Kranken erlebt, wenn Menschen gute Gedanken schicken!

Eine einfache Überlegung macht deutlich, woher diese „Macht der Gedanken“ kommt: Letztlich wird das Leben, wird unsere Mitwelt – einschließlich der technischen Instrumente, die wir erschaffen – von Gesetzmäßigkeiten bestimmt. Jeder Gesetzmäßigkeit liegt aber ein Gedanke zugrunde. Gedanken sind sozusagen selbst wirkmächtige Gesetzmäßigkeiten.

Auch in der Selbsterziehung ist dies tägliche Erfahrung: Ich entwickle mich in der Richtung, wie ich es mir zunächst einmal gedanklich vornehme und dann übend realisiere. Wer z.B. Ehrlichkeit im täglichen Leben übt, wird irgendwann einmal ein echt ehrlicher Mensch. Und so ist es auch mit dem Glauben und dem Vertrauen: Ich kann nur an etwas glauben, auf etwas vertrauen, was ich denken kann – selbst wenn ich es noch nicht voll verstehe. Im Griechischen werden Glauben und Vertrauen mit demselben Wort ausgedrückt: Pistis. Vertrauen ist das Grundgefühl, das wir dem Denken gegenüber haben. Die beiden gehören zusammen. Denn wir vertrauen unserem Denken bedingungslos, weswegen Gedanken des Zweifels uns so quälen können. Würden wir ihnen keinen Glauben schenken, hätten sie diese Macht nicht über uns. Das ist die Schattenseite.

Die lichtvolle Wirkung von Worten und Gedanken wird am Beispiel des Gebetes, das der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer wenige Monate vor seiner Hinrichtung im Gefängnis niedergeschrieben hat, deutlich. Diese Zeilen sind mittlerweile Bestandteil jeder größeren Gebetssammlung. Eine Strophe daraus möge daran erinnern:

Von guten Mächten wunderbar geborgen

Erwarten wir getrost was kommen mag

Gott ist bei uns am Abend und am Morgen

Und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Gedanken und Worte wie diese haben deswegen eine unmittelbar heilsame und Ich-stärkende Wirkung, weil Gedanken nicht nur als Naturgesetze die materielle Welt beherrschen, sondern auch die Brücke schlagen in die unsichtbare göttlich-geistige Welt. Wer sich mit seinem Denken auch hier beheimaten lernt und sich mit Zielen und Idealen identifiziert, die aus dieser Welt stammen, hat sich eine Gesundheitsquelle erschlossen, die nie versiegt.

Körperliche Gesundheit durch seelische und geistige Immunität

Letztlich sichert das Immunsystem unsere körperliche Identität. Es wird stärkend beeinflusst durch unsere seelische und geistige Immunität, die durch die Identifikation mit dem entsteht, was uns begeistert und unserem Leben Sinn verleiht. Goethe hat dieses Erlebnis von der Ewigkeit und Unzerstörbarkeit der Gedanken in seinem Gedicht „Vermächtnis“ zum Ausdruck gebracht:

Kein Wesen kann zu nichts zerfallen!

Das Ew`ge regt sich fort in allen!

Am Sein erhalte ich beglückt!

Das Sein ist ewig; denn Gesetze

Bewahren die lebendigen Schätze,

Aus welchen sich das All geschmückt.

Rudolf Steiner hat diese ewigen Werte und Ideale einmal für einen Schüler so formuliert:

Das Schöne bewundern,

Das Wahre behüten,

Das Edle verehren,

Das Gute beschließen.

Es führet den Menschen

Im Leben zu Zielen,

Im Handeln zum Rechten,

Im Fühlen zum Frieden

Im Denken zum Licht

Und lehrt ihn Vertrauen

Auf göttliches Walten

In allem, was ist

Im Weltenall

Im Seelengrund.           

Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, ISBN 9 783751 917919


[1] Eine Übersicht kann abgerufen werden unter: https://www.anthromedics.org/PRA-0939-DE#list-sections-4.

[2] Vgl. www.tagesspiegel.de/berlin/neue-coronavirus-ambulanz-in-berlin-spandau-wir-sehen-eine-extreme-verunsicherung-der-bevoelkerung/25622712.html

[3] Vgl. www.tagesspiegel.de/berlin/neue-coronavirus-ambulanz-in-berlin-spandau-wir-sehen-eine-extreme-verunsicherung-der-bevoelkerung/25622712.html

[4] Siehe www.warmuptofever.org , www.youtube.com/watch?v=iVURD9lmteU sowie www.medsektion-goetheanum.org/anthroposophische-medizin/care-praxis-anthroposophische-medizin/umgang-mit-fieber-und-infektionserkrankungen-care-ii/.

[5] Vademecum Anthroposophische Arzneimittel, Supplement Der Merkurstab 70, Berlin 2017. Für die Selbstbehandlung zu Hause bei leichteren Formen der Infektion kann ich die Publikation von Markus Sommer, Grippe und Erkältungskrankheiten natürlich heilen, Stuttgart 2009, sehr empfehlen.

[6] Z.B. mit dem auch hierzulande immer bekannter werdenden TCM CC08 Shufeng Jiedu 18.15, das wesentlich zum Abklingen der Corona-Welle beigetragen hat.

[7] Aaron Antonovsky, Salutogenese Zur Entmystifizierung der Gesundheit, Tübingen 1997.

ZUR IMPFFRAGE BEI COVID-19

Ist eine Impfung gegen COVID-19 empfehlenswert?

Wer sollte geimpft werden und wer lieber nicht?

Gibt es Kriterien zur Entscheidungsfindung für den ganz normalen Bürger?

Zu dieser Thematik lasse ich gerne meine Kollegen Georg Soldner[1] und Markus Sommer[2] zu Wort kommen – herzlichen Dank für die übersichtliche Zusammenstellung der Fakten:[3]

„Die Kinderlähmungspandemie ist ein Beispiel für eine erfolgreiche Impfkampagne und kann uns den Wert eines guten Impfstoffes deutlich machen. Viele Viren, etwa das HI-Virus, trotzen hingegen bis heute jedem Versuch einer Impfstoffentwicklung. Bis vor Kurzem galt das auch für Coronaviren, wo seit Jahrzehnten erfolglos an Impfstoffen geforscht wird.

Zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie strebt man einen Impfstoff an, der in milliardenfacher Menge hergestellt werden kann. Das ist mit traditionellen Impfstoffen, die auf der Anzüchtung von Viren beruhen, die dann in Teilen (Totimpfstoffe) oder abgeschwächt (Lebendimpfstoffe) angewendet werden, schwer möglich. Andererseits sind solche konventionellen Impfstoffe am ehesten in ihren biologischen Auswirkungen bekannt. Die Nase vorn dürften hier derzeit wiederum chinesische Hersteller haben.

Die FAZ berichtet in ihrer Ausgabe vom Donnerstag, 8. Oktober, dass in China bereits eine Million Chinesen mit einem – nach unseren Quellen – inaktivierten Impfstoff einer Phase-III-Studie geimpft worden sind, darunter viele Staatsangestellte. »Offiziell war die Einnahme freiwillig«, berichtet eine Managerin einer Schanghaier Bank der FAZ. Praktisch sei es jedoch kaum möglich gewesen, sich dem Experiment mit dem Impfstoff in der Testphase zu verweigern: »Das würde sicher als Kritikpunkt in der Personalakte vermerkt.« Sinopharm heißt offiziell China National Pharmaceutical Group und arbeitet eng mit dem Wuhan Institute of Biological Products / Wuhan Institute of Virology zusammen. Hier schließt sich der Kreis.

Vor allem westliche Firmen forschen an Plattformtechnologien, v.a. mRNA sowie Vektorimpfstoffen, die zentral eine genetische Information in den Körper transportieren, der daraufhin ein Eiweiß, z.B. die Spike-Hülle des Virus, herstellt, die dann als der eigentliche Impfstoff fungiert, gegen den sich nun eine Immunreaktion richten soll. Dabei ist die Herstellung der mRNA selbst billig, ihr Transport in den Organismus aber schwierig. Hier werden entweder Zusatzstoffe mit Nanotechnologie gebraucht oder andere Viren als Träger, sog. Vektoren, wie auch beim umstrittenen russischen Impfstoff. Ein Hauptrisiko dieser Impfstoffe sind unkontrollierte Autoimmunreaktionen, wie sie vereinzelt bereits in laufenden Zulassungsstudien beobachtet wurden.

Keine der aktuell laufenden Zulassungsstudien, wie sie jetzt auch in Deutschland zu COVID-19-Impfstoffen durchgeführt werden sollen, untersucht überhaupt die Verminderung von schweren Verläufen, Krankenhausaufenthalten oder Todesfällen. Das jeweilige Studienziel ist bereits mit einer Verringerung PCR-positiver milder Erkrankungen erreicht. Mit anderen Worten: Werden klinisch letztendlich völlig irrelevante leichte Symptome (z. B. nur Husten) mit positivem SARS-CoV-2-PCR-Test (im Studienjargon ist dies ein »Ereignis«) in ausreichendem Maße verringert, gilt der Impfstoff als wirksam!

In dem sehr lesenswerten Übersichtsartikel zum Thema von Doshi[4] gibt dies z. B. der Chief Medical Officer von Moderna, Tal Zaks, auch offen zu. Zum Untersuchen der (letztendlich einzig relevanten) schweren Verläufe fehle den Studien die statistische Aussagekraft: »The trial is precluded from judging [hospital admissions], based on what is a reasonable size and duration to serve the public good here«.

Auch wenn zwei Studien Kinder mit einschließen und in allen auch ältere Probanden vertreten sind, wird nach Einschätzung des British Medical Journal deren kleine Zahl in keiner der Studien eine Aussage zur Wirksamkeit in diesen »Randgruppen« erlauben – was speziell bei COVID-19 mit der eindeutigen Risikogruppe Älterer den Wert und die Aussagekraft der Untersuchungen weiter kompromittiert.

Paul Offit, einer der renommiertesten Impfspezialisten der Welt, folgert daraus in einem interessanten Interview mit Medscape: »If we don’t have adequate data in the greater than 65 year old group, then the greater than 65 year old person shouldn’t get this vaccine, which would be a shame because they’re the ones who are most likely to die from this infection. [...] You can’t convince minority populations to get this vaccine unless they are represented in these trials. Otherwise, they’re going to feel like they’re guinea pigs, and understandably so.«[5]

Gerade wenn man auf die geplante Durchimpfung des »medizinischen Personals« blickt, ist es kritisch zu sehen, dass die Frage, ob eine Weiterverbreitung der Infektion durch die Impfung unterbunden oder zumindest verringert wird, gar nicht erst untersucht wird. Wir kennen es auch von anderen Impfungen (z. B. Pertussis), dass eine Impfung sehr wenig gegen die Verbreitung einer Erkrankung beiträgt, wenn sie nicht die Weiterverbreitung des Erregers durch Geimpfte unterbindet.

Um zu beweisen, dass eine Gesundheitsstörung, die in der Bevölkerung normalerweise einen von zehntausend Menschen betrifft, nach der Impfung doppelt so häufig auftritt, bräuchte es Studien von 360.000 Teilnehmern mit entsprechend langer Laufzeit. Arzneimittelexperten der Universität Harvard schließen daher folgerichtig: »Finding severe rare adverse events will require the study of tens of thousands of patients, but this requirement will not be met by early adoption of a product that has not completed its full trial evaluation.«[6]

Genau dies: Die Zulassung vor dem Vollenden der vollständigen Studienauswertung wird derzeit aber durch das sog. Rolling-Review-Verfahren der europäischen Arzneimittelbehörde EMA möglich.

Zusammenfassung

Bisher ist die Wirksamkeit dieser Impfstoffe unbekannt, vor allem bezogen auf die gefährdete Gruppe hochbetagter Menschen. Gerade bei ihnen ist gar nicht sicher, dass Impfstoffe, die an jungen Gesunden getestet werden, überhaupt ansprechen. Wir kennen das Problem vom Grippeimpfstoff, der in mancher Saison gerade mal jeden Fünften oder noch weniger der geimpften Personen vor einer Ansteckung schützt und in den letzten Jahren trotz massiver Werbung wenig bis nichts an den winterlichen Grippewellen verändert hat, wenn wir auf die Schwerkranken und Todesfälle blicken. Die Influenza ist insofern ein gutes Beispiel dafür, dass ein Impfstoff keineswegs so wirksam sein muss wie die Impfung gegen Masern oder Polio und damit auch keine Pandemiekontrolle versprechen kann. Das gilt ganz besonders für Coronaviren. Hinsichtlich der Nebenwirkung zeigen schon die bisher bekannt gewordenen Daten, dass gerade die Impfstoffe mit ganz neuen Technologien nicht gerade zu den gut verträglichen gehören werden. Verdächtigerweise werden sie gerne vergleichend mit bekanntermaßen nebenwirkungsreichen Impfstoffen getestet, nicht mit sog. Placebos. Es ist zu erwarten, dass diese Impfstoffe eingesetzt werden, ohne dass das Ausmaß möglicherweise schwerwiegender Nebenwirkungen bekannt sein wird.

Damit ist es zurzeit völlig unklar, welchen Beitrag die Impfung in dieser Pandemie leisten kann, aber es wird sicherlich ein begrenzter sein.“

Michaela Glöckler, zusammengefasst und zitiert aus: Georg Soldner, Markus Sommer, „Ökologie und Pandemie. Was lernen wir an COVID-19?“ Rundbrief Medizinisches Seminar Bad Boll am7. November 2020


[1] Georg Soldner ist Arzt, Autor, stellv. Leiter der Medizinischen Sektion am Goetheanum.

[2] Markus Sommer ist Autor zahlreicher Beiträge in Zeitschriften und Bücher zum Krankheits- und Heilmittelverständnis. Er ist Mitherausgeber des Vademecum Anthroposophische Arzneimittel und arbeitet für das Bundesamt für Arzneimittel.

[3] Aus: Georg Soldner, Markus Sommer, „Ökologie und Pandemie. Was lernen wir an COVID-19?“ Rundbrief Medizinisches Seminar Bad Boll am7. November 2020, kann als PDF heruntergeladen werden.

[4]  Doshi, Peter: Will covid-19 vaccines save lives? Current trials aren’t designed to tellus, BMJ 2020; 371, DOI: https://doi.org/10.1136/bmj.m4037.

[5] Topol, Eric J.: For COVID-19 Vaccines, ACIP Will Be a Critical Gatekeeper, https://www.medscape.com/viewarticle/938494.

[6] Avorn, Jerry et al.: Regulatory Decision-making on COVID-19 Vaccines During a Public Health Emergency, JAMA 2020;324(13):1284-1285, DOI:10.1001/jama.2020.17101.

FRAGEN AN DEN GESUNDEN MENSCHENVERSTAND

An welche Instanz kann appelliert werden angesichts der widersprüchlichen Meinungen und Informationen, die die Flut der täglichen Nachrichten aus Medien und Internet präsentieren?

Ist der sogenannte gesunde Menschenverstand in dieser Lage zur Ohnmacht verdammt?

Sind wir zur Abhängigkeit von den jeweils neusten Erkenntnissen der Wissenschaft und ihren Widersprüchlichkeiten verdammt?

Es betrifft uns alle

„Diese Pandemie verletzt Interessen, berührt Biographien, gefährdet Existenzen. Es gibt in diesen Tagen keine unschuldigen Beschlüsse“ – so Gabor Steingart in seinem Morgenbriefing vom 19.11.20. Das war am Tag nach der Verabschiedung der 3. Novelle des Infektionsschutzgesetzes der Bundesregierung mit 415 Ja-Stimmen, 236 Nein-Stimmen und 8 Enthaltungen, die die Grund- und Freiheitsrechte des Einzelnen gravierend einschränken. Ungezählte Existenzen sind gefährdet, international nehmen Hunger und Armut unerträgliche Ausmaße an, die Flüchtlingskrise verschärft sich weiter, Angst und Aggression sind allgegenwärtig. Täglich hören wir aus den Medien von den neuen Ansteckungszahlen und der Gefahr, dass selbst wenn genügend Intensivbetten da sind unter Umständen die Pflegekräfte fehlen, die für die Betreuung nötig sind.

Die Gesellschaft polarisiert sich zunehmend bis in Familien, Kollegien und Arbeitszusammenhänge hinein. Gespräche zwischen „Panikmachern“ und „Covidioten“ sind kaum möglich, da letztere immer öfter als Rechtsradikale oder Verschwörungstheoretiker dargestellt werden. Dabei möchte der Großteil nur verstehen, was passiert und unterschiedliche Gesichtspunkte miteinander austauschen.

Was wir uns alle fragen sollten

Wie kann hier eine Vermittlung gelingen?

Wo stehe ich denn selbst?

Wie kann ich meine eigene Urteilsfähigkeit nicht nur bewahren, sondern weiter ausbilden angesichts der medialen Verlautbarungen und manch kritischer Stimme aus dem Kreis engagierter Mediziner und Zeitgenossen, die es wagen sich gegenläufig zu äußern?

Was sagt meine Gewissensstimme dazu?

Wie gewinne ich meinen Lebensoptimismus, mein Selbstvertrauen zurück?

Wo sind die Quellen des Mutes, der seelischen Gesundheit und der Zuversicht verortet?

Wie kann ich meine Gesundheitspotenziale entfalten und konstruktiv an den komplexen Folgeerscheinungen der Pandemie mitarbeiten?

Immer mehr Menschen fragen sich, wie die Menschheit all dieser Bedrohungen Herr werden kann, und wie sie wohl in zehn Jahren leben werden:

Etwa in einem globalen Überwachungsstaat, in dem man Sicherheit mehr schätzt als das Risiko eines Lebens in Freiheit?

Werden wir es schaffen, die modernen Technologien in den Dienst kultureller Weiterentwicklung zu stellen oder werden wir uns zunehmend in Abhängigkeit von diesen Technologien befinden?

In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung vom 2. November 2020 sagte der Literatur-Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa: „Der Grat zwischen vernünftigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und Machtanmaßungen der Politik ist naturgemäß sehr schmal … Und wenn wir die Freiheit verlieren, verlieren wir auf die Dauer alles. Ohne sie ist alles nichts.“

Was sagt unser Herz zu alldem, welche Botschaft hat unsere Gewissensstimme?

Und gibt es überhaupt so etwas wie gesunden Menschenverstand?

Gibt es auch einen „medizinischen“ gesunden Menschenverstand?

Was zeichnet gesunden Menschenverstand aus?

Woran erkennt man und wie schult man gesunden Menschenverstand?

Gedankenfreiheit nützen lernen

Um diese Fragen zu beantworten, möchte ich etwas ausholen: Wenn ich etwas nur denke, bin ich vollkommen frei, weil ich diesen Gedanken jederzeit wieder verwerfen kann. Bevor ich einen neuen Gedanken jedoch verwerfe, denke ich ihn durch, setze ihn in Beziehung zu mir bekannten Einsichten und Lebenserfahrungen und prüfe, ob er für mich Sinn macht und daher innerlich evident ist, ob er mein bisheriges Wissen ergänzt und bereichert. Erst dann entscheide ich, ob ich diesen Gedanken weiterverfolge oder nicht.

Dieses Prüfverfahren der inneren Evidenz mithilfe des eigenen Denkens und Beobachtens hat der naturwissenschaftlichen Forschung gegenüber einen Vorzug: Man braucht keine großen Summen an Geld, wie es für die Vorbereitung, Planung und Durchführung einer Studie der Fall ist, muss auch nicht lange warten, bis sich erste Ergebnisse zeigen, sondern kann – wenn einem ein guter Gedanke einleuchtet – unmittelbar danach handeln und beobachten, ob er sich bewährt. Dann zeigt die Lebensrealität, ob er sich als hilfreich und stimmig erweist oder nicht. D h. man steht mit selbständigem Denken im Leben und nicht im Labor. Die Instanz in uns, die uns erlaubt, wirklichkeitsgemäß zu denken und Dinge zu beurteilen, nennen wir gesunden Menschenverstand. Rudolf Steiner appellierte bezüglich seiner geistigen Einsichten und Forschungsergebnisse – der Anthroposophie – immer wieder an den sogenannten gesunden Menschenverstand. Nicht jeder sei in der Lage, durch eigene geistige Schulung nachzuprüfen, wie stimmig seine Forschungsergebnisse sind. Jeder aber könne anhand seiner eigenen Lebenserfahrung überprüfen, ob seine Forschungen Sinn machen oder nicht, ob sie das eigene Selbstverständnis und Weltbegreifen fördern oder behindern.

„Wer sie [die Ergebnisse seiner Forschung] richtig anwendet, dem werden sie sich im Leben dadurch beweisen, dass sie dieses gesund und stark machen. Er wird gerade dadurch, dass sie sich in der Praxis bewähren, ersehen, dass sie wahr sind, und dadurch muss er sie besser bewiesen finden, als durch alle ‚logischen‘ und sogenannten ‚wissenschaftlichen Gründe‘. Die geistigen Wahrheiten erkennt man am besten an ihren Früchten, nicht durch einen angeblich noch so wissenschaftlichen Beweis.“[1]

Plädoyer für den gesunden Menschenverstand

Der sogenannte gesunde Menschenverstand lebt vom Interesse an der Wahrheitsfindung und von der Liebe zum Leben. Denn Fakten sind das eine, Interpretationen derselben und die Konsequenzen für die Lebenswirklichkeit das andere. Ein prominentes Beispiel ist der PCR Test. Auf ihm und seiner Aussagekraft beruht die gesamte Strategie zur Nachverfolgung von Infektionen und damit alle Konsequenzen der Lockdowns.

Zeigen aber nicht gerade die im November 2020 täglich vom Robert-Koch-Institut veröffentlichten Infektionsdaten, dass etwa 80 % der positiv Getesteten keine Symptome entwickeln und daher nicht ansteckend sind?

Positiv Getestete müssen nur aus der Restwahrscheinlichkeit heraus, dass sie vielleicht innerhalb von fünf Tagen nach Ansteckung doch noch Symptome entwickeln könnten, in Quarantäne. Da liegt doch dem gesunden Menschenverstand die Frage nahe:

Wenn 80 % der positiv Getesteten gesund sind und unter den etwa 20 %, die Symptome haben, nur wenige schwer erkranken und davon wiederum nur wenige sterben – und dies zumeist auf der Basis von Vorerkrankungen oder weil sie schon höheren Alters sind – wie groß ist dann das Risiko, dass ich selber erkranken werde?

Ist dieses Krankheitsrisiko größer oder kleiner als sonst in meinem Leben?

Der Schluss liegt nahe, dass es vielmehr die von Politik und Medien geschürte Panik ist u.a. durch die Berichterstattung über grauenvolle Einzelfälle, die uns Angst einjagt und uns wünschen lässt, lieber auf Nummer sicher zu gehen. Deshalb ist es wichtiger denn je zu erkennen, dass die Fakten das eine sind, die Art, wie ich sie interpretiere, das andere. Eins folgt nicht zwingend aus dem anderen.

Das gilt auch für exponentielle Berechnungen. Man weiß, dass ein Säugling in 5 Monaten sein Geburtsgewicht verdoppelt. Es wäre aber nicht lebensgemäß die Frage zu stellen, wie schwer das Kind in drei Jahren sein wird. Ausrechnen kann ich das natürlich – es stimmt aber mit der Lebenswirklichkeit nicht überein. Man kann ohne Weiteres faktenbasiert und logisch denken und rechnen und dennoch angesichts der Lebenswirklichkeit falsch liegen.

Gesunder Menschenverstand entwickelt sich jedoch am Leben für das Leben. Auf ihn zurückzugreifen ist deshalb wichtiger denn je, denn er wurzelt in der Lebensrealität und betrachtet Fakten nie isoliert, sondern immer in einem Kontext auch der eigenen Lebenserfahrungen. Gesunder Menschenverstand hilft uns den Blick für die eigene Lebensrealität zu bewahren, im Auge zu behalten, worauf es als Mensch unter Menschen ankommt. Dadurch entsteht innere Sicherheit, die Mut zur eigenen Sichtweise macht, selbst wenn man damit den Mainstream verlassen muss. Aus dieser Sicherheit heraus werden wir im sozialen Miteinander situativ wissen, wie wir menschlich miteinander umgehen können trotz der immer unmenschlicheren Maßnahmen.

Vgl. M. Glöckler (Hrsg.), Th. Hardtmuth, Ch. Hueck, A. Neider (Hrsg.), H. Ramm, B. Ruf, „Corona und das Rätsel der Immunität. Ermutigende Gedanken, wissenschaftliche Einsichten und soziale Ideen zur Überwindung der Corona-Krise“, 2020 Akanthos Akademie e.V., Stuttgart


[1] Rudolf Steiner: Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft. In: Lucifer-Gnosis 1903-1908. GA 34. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1987, S. 34 f.

GESUNDER MENSCHENVERSTAND IM UMGANG MIT COVID-19

Im Folgenden einige Situationen, die helfen können, die konkrete Gefahr besser einzuschätzen und lebensgemäßer damit umzugehen.

1.     Umgang mit Maskenpflicht im Unterricht

Eine Lehrerin bespricht mit ihren Kolleginnen sowie den Eltern ihrer Klasse und selbstverständlich auch mit den Schülerinnen und Schülern die lebensrealen Risiken, die durch das Tragen von Masken im Klassenzimmer entstehen. Denn auch beim besten Lüften atmen alle am Unterricht Beteiligten dieselbe Luft ein und aus, die mit einem gewissen Maß an Viren (nicht nur Coronaviren!) belastet ist. Auch wenn grobe Tröpfchen durch die Masken wirkungsvoll abgehalten werden können, entweichen doch feine Aerosole durch die Luftlöcher am Rande der Maske, wo die Luft rascher entweicht als durch den Stoff. Das kann jeder selber nachprüfen bei seiner Maske.

Es ist also unbestritten, dass durch die Maske die Viruslast geringer wird, dass jedoch nicht verhindert werden kann, im gemeinsamen Luftaustausch zu sein, noch dazu, wenn man wie in einer Familie täglich mit denselben Menschen zusammen ist. Man bildet dadurch ein sogenanntes Cluster oder salopp gesagt, eine Virusgemeinschaft.

Man könnte doch verabreden, das Restrisiko gemeinsam zu tragen, einen normalen Unterricht zu machen und die Maskenpflicht an der Tür zum Klassenzimmer enden zu lassen. Das geht jedoch nur, wenn alle Beteiligten einverstanden sind. Und man könnte das dann auch mit den örtlichen Behörden besprechen und sogar wissenschaftlich begleiten, indem man einen Vergleich zieht mit anderen Schulklassen, in denen die Maskenpflicht eingehalten und auf das Singen verzichtet wird. Man könnte zudem den Nutzen eines entspannten, herzlichen und normalen Unterrichtsgeschehen dem möglichen Schaden gegenüberstellen, dass im Fall eines positiv getesteten Kindes die ganze Klasse für mindestens fünf wenn nicht gar zehn Tage in Quarantäne muss.

Was spricht gegen eine auf diese Weise „kontrollierte Freiheit“, noch dazu angesichts der Tatsache, dass Kinder selten Erwachsene anstecken und ihre Symptome in der Regel milde sind und Lungenentzündungen bisher nicht vorkamen?

Solch ein an die Lebenswirklichkeit angepasstes Vorgehen hätte zudem den Vorteil, dass man miteinander spricht, sich gegenseitig ernst nimmt und Entscheidungen trifft, die für alle Beteiligten stimmen. In Kombination mit mehr Information über Resilienz-Faktoren und Strategien zur Stärkung des Immunsystems würde diese Lösung zudem die Angst massiv eindämmen helfen.

2.     Bei Uneinigkeit in Bezug auf die Maskenpflicht

Eine Waldorf Erzieherin wird von den Eltern bestürmt, dass sie im Kindergarten ohne Maske ganz normal mit den Kleinen den Alltag gestalten soll. Ein Elternpaar, das die Maskenpflicht befürwortet, droht die Einrichtung anzuzeigen. Man kommt in gegenseitigem Einverständnis überein, dass dieses Elternpaar sein Kind abmeldet und in einem anderen Kindergarten in der Nähe anmeldet. Die Situation ist gerettet, der gesunde Menschenverstand hatte eine Chance, indem man den verschiedenen Lebensbedürfnissen gerecht werden konnte.

3.     Ein zweiter Blick auf die Übersterblichkeit

Stephan Seiler berichtet am 18.11. im Newsletter von Corona Transition: «Außergewöhnlich hohe Übersterblichkeit in der Schweiz.» So die Überschrift des Tagesanzeigers vom 17. November. Die Zahl der Todesfälle der über 65-Jährigen sei – vom 2. bis 8. November (Woche 45) gegenüber dem langjährigen Erwartungswert gerechnet – dramatisch gestiegen. Auch Swissinfo, der internationale Dienst der Schweizer Radio- und Fernsehgesellschaft titelte: «Zweite COVID-Welle führt zu hoher Übersterblichkeit».

Seiler schreibt dazu: „Ich wollte es genauer wissen und rechnete die Daten des Bundesamtes für Statistik (BFS) durch. Ergebnis: In der Woche 45 des laufenden Jahres starben tatsächlich 507 Menschen mehr als im Durchschnitt der letzten fünf Jahre – immerhin eine Steigerung von 36 Prozent. Aber – und das ist sehr wichtig – solche Schwankungen auf Wochenbasis sind normal und alles andere als repräsentativ. Vergleicht man die Zahlen von Sterbefällen der über 65-Jährigen in der Woche 41 des laufenden Jahres mit denen der fünf Vorjahre, sieht es schon ganz anders aus: 59 Sterbefälle mehr in diesem Jahr, das ist ein Plus von 5,2 Prozent gegenüber dem Fünfjahresdurchschnitt und damit rund siebenmal weniger als in der vom Tagesanzeiger und Swissinfo gewählten Woche 45. In der Woche 35 gab es in diesem Jahr sogar 105 Verstorbene weniger als im Durchschnitt der letzten fünf Jahre.“

4.     Unterschied zwischen Denunziation und Anzeigepflicht

Eine Religionslehrerin schreibt mir eine Episode aus dem Religionsunterricht: 28 Fünftklässler sitzen vor ihr. Sie fragt die Kinder im Gespräch: Würdet ihr euren Nachbarn anzeigen, wenn ihr seht, dass sich dort mehr als 2 Familien treffen? (Der zweite Lockdown in Deutschland war gerade voll im Gang) 27 Kinder antworten: Ja, das muss man den Behörden anzeigen. Nur ein Kind sagt „nein“.

Welche der Antworten ist lebensfreundlicher und damit lebensgemäßer?

Für welche Antwort braucht es mehr Mut und Authentizität?

Sicher fühlen sich die 27 Kinder im Recht. Wenn man aber nicht weiß, warum sich beim Nachbarn nicht nur zwei Familien getroffen haben, kann man nicht beurteilen, ob hier nicht eine Ausnahme von der Regel nötig war. Man urteilt nur nach Zahl und Gesetz und verliert die individuell-menschliche Situation aus den Augen. Anhand einer solchen Situation lassen sich wertvolle Gespräche über den Unterschied zwischen Denunziation und Anzeigepflicht führen.

5.     Nicht jeder Corona-Tote hatte Corona

Eine Arzt-Kollegin erzählte mir, dass sie eine Verwandte wegen Herzinfarkt auf der Intensivstation besucht und dann die Angehörigen mit begleitet hat. Die Patientin starb kurz darauf. Es war verabredet, dass die Familie den Sarg abholen kann. Doch dann kam ganz kurzfristig die Nachricht, dass der Sarg wegen Corona nicht herausgegeben wird. Sie kontaktierte daraufhin im Auftrag der Familie die verantwortlichen Kollegen auf der Intensivstation und fragte nach dem Grund: Es stellte sich heraus, dass obwohl der Corona-PCR-Test zweimal negativ gewesen war, man sie jedoch auf dem Totenschein als Corona-positiv markiert hatte. Aufgrund dieser Tatsache und der fachlichen Diskussion unter Kollegen war es dann doch möglich den Sarg abzuholen. Es blieb aber die Diagnose auf dem Papier bestehen: Tod nach Herzinfarkt mit COVID-19. Vermutlich ging es hier um den Abrechnungsmodus. Man bekommt mehr Geld für die intensivmedizinische Behandlung eines COVID-19-Patienten. Meine Kollegin sagte mir nach dieser Episode: Das hat mich gelehrt, auch die Zahlen, die von den Intensivstationen gemeldet werden, mit Vorsicht entgegenzunehmen. Einfach nur glauben kann ich sie nicht mehr. Recht und Gesetz sind das eine, die Lebenswirklichkeit das andere.

Wie sich gesunder Menschenverstand bildet

An angeführten Beispielen kann man erkennen, dass gesunder Menschenverstand nicht auf Bequemlichkeit, Oberflächlichkeit und Sicherheitsdenken beruht, sondern einhergeht mit der Entwicklung von persönlicher Initiative, Selbstwirksamkeit, echtem Interesse und Freiheitsbewusstsein. Dass jedoch Freiheitsdenken, Mut und Risikobereitschaft nicht ins Chaos führen, ist die zentrale Erziehungsfrage unserer Zeit. Die gegenwärtigen Schul- und Bildungssysteme entsprechen dieser moralischen Herausforderung nicht. Sie fördern vielmehr durch ihre einseitige Leistungsorientierung und Testkultur Anpassung und Absicherungsdenken. Und sie korrumpieren durch das ständige Verglichen-Werden mit „besseren“ und „schlechteren“ Schüler*innen die Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins. Die „besseren“ werden überheblich, die „schlechteren“ deprimiert.

Ein gesundes Selbstbewusstsein braucht als Grundbedingung für seine Entwicklung jedoch, dass jedes Kind nur mit sich selbst verglichen wird und Freude am eigenen Fortschritt erlebt. Und es braucht die Begleitung von Pädagog*innen, die ihm helfen aus seinen Fehlern zu lernen. Dann kann sich sowohl ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln als auch Toleranz für das Fehlverhalten anderer. Ethik und Wertebewusstsein kann man nicht lehren – man muss sie von klein auf erleben und üben dürfen, wenn sie zu Charakterzügen werden sollen.[1]

Fazit: Gesunder Menschenverstand behält die Lebensrealität im Blick. Er lässt uns wach bleiben und das, was man liest, hört, sieht und täglich erlebt, ernst nehmen, aber auch hinterfragen, wenn einem etwas merkwürdig vorkommt. Je mehr Menschen dies tun und den Mut aufbringen, Fragen und Rückschlüsse ihres gesunden Menschenverstandes anderen mitzuteilen, umso weniger Angst und Sorge muss man vor der Totalüberwachung haben, die gegenwärtig im Namen von Schutz- und Sicherheit von den Politikern propagiert und von der Mehrheit der Bevölkerung aus Angst vor Ansteckung begrüßt wird. Im anvisierten voll digitalisierten Alltag, in dem es unter vielem anderen kein Bargeld mehr geben wird, darf das Bewusstsein nicht schwinden, dass hier Privatheit ein Fremdwort sein wird. Dafür gewinnen Politik und Wirtschaft enorm an Macht und profitieren von der Datenflut, die wir dann – und zum Teil auch jetzt schon – durch unser Alltagsverhalten produzieren.

Vgl. M. Glöckler (Hrsg.), Th. Hardtmuth, Ch. Hueck, A. Neider (Hrsg.), H. Ramm, B. Ruf, „Corona und das Rätsel der Immunität. Ermutigende Gedanken, wissenschaftliche Einsichten und soziale Ideen zur Überwindung der Corona-Krise“, 2020 Akanthos Akademie e.V., Stuttgart


[1] Vgl. Michaela Glöckler: Kita, Kindergarten und Schule als Orte gesunder Entwicklung, Stuttgart 2. Auflage 2020.

AUTONOMIE, HERZ UND GEWISSEN

Was bedeutet es, dem eigenen Gewissen zu folgen?

Welcher Instanz gehorcht unser Gewissen?

Wo ist der Sitz der Gewissensstimme?

Diese Fragen sind aktueller denn je. Denn so wie ein Arzt in letzter Instanz – per Berufsrecht – nur seinem Gewissen verantwortlich ist, so können wir alle gerade in Zeiten wie diesen üben, unserem Gewissen zu folgen. Bereits der Entschluss, sich in letzter Instanz nicht vor Staat, Kirche oder Wissenschaft zu verantworten, sondern vor seinem wahren Ich, seiner innersten Gewissensstimme, regt selbständiges Denken an, macht Mut, stärkt das Herz und damit auch das Immunsystem. Selbstverständlich nimmt man angesichts der Corona-Pandemie Rücksicht auf Bestimmungen, Sorgen und Ängste im eigenen Umfeld. Man weiß sich aber innerlich sicher – im Sinne der fünf Tore zu Krankheit und Gesundung – dass die Entscheidung über Tod und Leben nicht von behördlichen Bestimmungen abhängt, sondern tief im eigenen Schicksal begründet ist, und dass die Entwicklung mit dem Tod nicht aufhört.

Aus solch einer inneren Sicherheit und Lebenshaltung heraus kann man die Balance herstellen zwischen akzeptablen Bestimmungen, die tatsächlich dem Lebensschutz dienen, und absurden Bestimmungen, die zum Selbstzweck werden, lebensfremd sind und die Freiheitsrechte demokratischer Systeme untergraben. Sicherheit höher zu stellen als Freiheit gehorcht der Logik von Materialismus und Machtoptimierung. Sich einzugestehen, dass das einzig Sichere im Leben der Tod ist, lässt uns die kostbare Lebenszeit, jeden einzelnen Augenblick schätzen.

Das Herz als Sitz des Gewissens

Auch wenn man sich gedanklich klarmacht, was das Gewissen sagt, so erklingt die Gewissensstimme doch im Herzen. Das Herz kann sich dabei wie verkrampft oder ganz leicht und entspannt anfühlen. Es reagiert unmittelbar auf die Art und Weise, wie wir uns fühlen, ja es ist Zentrum unseres Gefühlslebens. Unser Gefühl atmet zwischen innen und außen, d.h. es wird bestimmt von den Eindrücken dessen, was in der Welt vorgeht, aber auch von den Sehnsüchten, die in unserem Inneren leben: Dazu gehört die Sehnsucht nach Gesundheit, nach der Erfüllung von Wünschen, dazu gehören Hoffnungen auf das Erreichen selbst gesteckter Ziele, aber auch die Sehnsucht nach Identität und Geborgenheit, nach einer neuen Unschuld, nach Reinheit, nach Liebe, Vertrauen, Hoffnung, Zuversicht und Wahrheit, ja letztlich nach Verwandlung und Vollkommenheit. Hier entspringt auch unsere Sehnsucht, zu neuen Ufern aufzubrechen, Vergangenes hinter uns zu lassen, uns zu ändern, Neues anzupacken oder auch Gewesenes mit neuen Augen anzuschauen und zu verarbeiten.

Das Herz ist ein Organ, das sich in ständigem Wechsel öffnet und verschließt. Auch unser Gefühlsleben braucht diesen Rhythmus von Sich-Öffnen und Wieder-Verschließen: sich der Herausforderungen und Probleme dieser Welt gewahr zu werden, und sich dann wieder klar auf die eigenen Möglichkeiten zur Lösung beizutragen zu besinnen.

·      So entspricht die Fähigkeit des Herzens sich zu öffnen dem Sich-Öffnen gegenüber den Inspirationen der Gewissensstimme.

·      Das Sich-auf-sich-selbst-Besinnen hingegen hängt mit der aktuellen Gefühlssituation, mit den eigenen Wünschen, Hoffnungen und Sehnsüchten zusammen.

Wenn Menschen ihrem Gewissen folgen und den Mut haben auch unpopuläre Wahrheiten auszusprechen, ohne Angst vor Stigmatisierung oder Ausgrenzung, stärkt dies nicht nur das Immunsystem, sondern auch das Vertrauen in die Zukunft.

Drei Gewissensstimmen unterscheiden lernen

Wenn wir genau lauschen, können wir drei Gewissensstimmen unterscheiden. Zwei der Stimmen drängen sich geradezu auf und konkurrieren manchmal auch miteinander: Die eine bestätigt uns, rechtfertigt unsere Vorhaben als das sogenannte „gute Gewissen“. Die andere geht mit Zweifeln und Schuldgefühlen einher, die an unserer Seele nagen und schlechte Gefühle hervorrufen – das „schlechte Gewissen“. Beide Stimmen sollten erst geprüft werden, bevor wir ihnen „glauben“ oder gar unüberlegt Folge leisten. Zumal die alltägliche Erfahrung zeigt, dass offenbar die männliche Konstitution mehr dazu neigt ein gutes Gewissen zu haben, wohingegen Frauen eher die Schuld bei sich suchen und zu einem schlechten Gewissen neigen. Hat man zum Beispiel in einer Mann-Frau-Partnerschaft gemeinsam etwas erlebt, was auf diese Weise unterschiedlich nachklingt in der Seele, ist es äußerst hilfreich, sich darüber zu unterhalten und durch bewusstes Abwägen der Wahrheit näher zu kommen.

Das notorisch gute Gewissen verführt dazu, in der Entwicklung stehenzubleiben und sich – egal, was geschieht – selbst zu bestätigen. Das führt früher oder später dazu, dass man als sozial schwierig empfunden wird. Das notorisch schlechte Gewissen hingegen führt auch in eine Sackgasse der Entwicklung: in Missstimmung, Selbstzweifel und Depression. Wenn man nicht aufpasst, gerät man dadurch leicht in Abhängigkeit von Freunden und Bekannten, die zu raten und zu helfen versuchen, oder auch von therapeutischen oder geistlichen Autoritäten, die professionelle Hilfe geben wollen.

Wie aber erkennt man die Wahrheit?

Wie wird man dem Leben gerecht, wie fördert man Autonomie, Gesundheit und Wahrhaftigkeit in und um sich?

Die Antwort ist einfach: indem man an der eigenen Urteilsfähigkeit arbeitet. Dazu gehört die beiden Gewissensstimmen, die eigenartigerweise wie von selbst zu einem sprechen, zwar zu hören, ihren Wahrheitsgehalt aber sorgfältig abzuwägen und zu prüfen, bevor man ihnen blindlings folgt.

Das Gewissen bewusst befragen

Die dritte Gewissensstimme spricht nur, wenn man sein Gewissen bewusst befragt:

Was kann ich aus dieser Situation lernen?  

Wie kann ich, sollte ich in eine ähnliche Situation kommen, meine Sache besser machen?

Wie kann ich offener werden?

Wie lerne ich intensiver zuzuhören, entschiedener abzulehnen, weniger zu zaudern?

Geht man mit Fragen dieser Art regelmäßig um, indem man sie in schwierigen Situationen, in denen man nicht ein noch aus weiß, wiederholt mit in die Nacht nimmt, bekommt man tatsächlich Antworten – nicht unbedingt am nächsten Morgen, eher irgendwann am Tag, wenn man es nicht erwartet. Diese dritte Stimme unterscheidet sich von den beiden anderen dadurch, dass sie uns vollkommen frei lässt.

Rudolf Steiner betont in seinen christologischen Vorträgen immer wieder, wie gut und richtig es ist, dass es keine naturwissenschaftlichen Beweise dafür gibt, dass der Christus-Jesus auf der Erde gelebt hat, geschweige denn dafür, dass er vom Kreuzestod auferstanden ist:

„Gerade mit Bezug auf das Christus-Ereignis muss in unserem Zeitalter verstanden werden, dass man zu dem Christus nur hinkommen kann auf geistige Art. Niemals wird man ihn in Wirklichkeit auf äußere Art finden. Man kann es sich sagen lassen, dass er existiert, aber wirklich finden kann man den Christus nur auf geistige Art. Das ist wichtig zu bedenken, dass in dem Christus-Ereignis ein Ereignis da ist, über das alle diejenigen im Missverständnis leben müssen, die keine geistige Erkenntnis zulassen wollen.“[1]

Die christliche Gewissensstimme

Wer erkennt, dass er in der Gewissensstimme schon eine Möglichkeit hat, geistige Erkenntnisse zuzulassen, der kann auf diesem Wege auch ganz konkret die Christus-Nähe erleben: die Tatsache, dass er bei uns ist „alle Tage, bis an der Welt Ende.“[2]

Wenn ER unser Gewissen inspiriert, geschieht es immer freilassend und wirkt in Situationen der Schuld heilsam und ermunternd, weckt die Zuversicht, dass mit dieser Erfahrung neue Entwicklungsschritte möglich sind, die einem selbst und anderen dienen werden. In Situationen aber, in denen man Gefahr läuft selbstgerecht zu urteilen, regt uns das vom Christus inspirierte Gewissen dazu an, unseren Blick auf uns selbst auf gesunde Art zu relativieren und die Bereitschaft zu entwickeln über uns hinauszuwachsen. Man könnte auch sagen: Wenn wir mit uns und unserem Gewissen in dieser Art zurate gehen, bewegen wir uns zwischen der sinnlich gegebenen und der übersinnlichen Welt – zwischen der Welt der Sinne und der Welt des Geistes, die nur dem Denken zugänglich ist. Da sind wir einerseits ganz allein und auf uns selbst angewiesen, andererseits sind wir aber auch offen für das, was uns aus der geistig-übersinnlichen Welt inspirieren möchte.

Einsamkeit und Verbundenheit sind so gesehen weder in der Sinneswelt noch in der Geisteswelt im Widerspruch miteinander: Wir brauchen beide, um uns einerseits als autonome Wesen zu erkennen, uns aber auch bewusst und sinnstiftend in das Ganze unserer Mitwelt eingliedern zu können.

Vgl. M. Glöckler (Hrsg.), Th. Hardtmuth, Ch. Hueck, A. Neider (Hrsg.), H. Ramm, B. Ruf, „Corona und das Rätsel der Immunität. Ermutigende Gedanken, wissenschaftliche Einsichten und soziale Ideen zur Überwindung der Corona-Krise“, 2020 Akanthos Akademie e.V., Stuttgart


[1] Rudolf Steiner, in: Schicksalsbildung und Leben nach dem Tode. GA 157a. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1981, S. 165.

[2] Neues Testament, Matthäus 28, 20.

KINDER UND CORONA

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf unsere Kinder aus?

Was brauchen Kinder in dieser wie in allen Krisensituationen am allernötigsten?

Was ist das wichtigste, damit es ihnen gut geht?

Wie sehr sind sie von der COVID-19-Erkrankung direkt betroffen?

Kinder sind kaum betroffen

Die gute Nachricht ist, dass nach den bisherigen Erfahrungen Kinder und Jugendliche offensichtlich nicht schwer erkranken, sondern harmlose bis gar keine Symptome zeigen. Dazu bemerkte Prof. Drosten am 16.4.20 im NDR-Podcast, dass sich in Haushalten offenbar nur wenige Menschen anstecken, vermutlich aufgrund einer bisher unbemerkten Hintergrundimmunität durch Erkältungs-Corona-Viren.

In seinem Kommentar in der Stuttgarter Zeitung vom 17. April 2020 „Die Last der Familien - die Politik muss Eltern und Kinder in der Krise stärker unterstützen“ bringt Dieter Fuchs die Probleme zu Hause auf den Punkt:

„11,4 Millionen Familien mit minderjährigen Kindern werden gezwungen, Erwerbstätigkeit, Lernen und Kinderfürsorge irgendwie zu organisieren, in einer weitgehenden Isolation von anderen Menschen, die helfen könnten. Vor allem für Familien mit kleinen Kindern ist das auf Dauer kaum machbar. Psychische und wirtschaftliche Probleme sind die Folge – Härten, die von der Politik bisher nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit bedacht werden. Das sollte sich ändern. (…) Es bedarf individueller Lösungen, organisiert womöglich von den Jugendämtern. Bildungsferne und arme Familien könnten sonst durch den Rost fallen. Und den Preis dafür zahlen vor allem die Kinder. Es droht eine Generation Corona.(…) Ihre Grundrechte auf Bildung, Freizügigkeit und sozialen Austausch werden ignoriert. Eine Gesellschaft, die Eltern und Kindern monatelang diese Last aufbürdet, wird einen hohen Preis dafür zahlen.“

Kinder brauchen menschliche Nähe

So wahr diese Worte sind, so wahr ist aber auch, was alles vor Ort von den Verantwortlichen in den Kindertagesstätten, Kindergärten und Schulen ermöglicht wird, um während der Zwangsschließungen Überbrückungsangebote machen, Online- und Telefonberatungen anbieten zu können und damit Solidarität zu zeigen. Eine Lehrerin z.B. hat alle Kinder zu Hause besucht, täglich mit den Eltern per E-Mail und Dropbox Aktivitäten und Aufgaben besprochen. Eine andere steht mit vielen Kindern in ständigem Briefkontakt. Denn: Kinder brauchen vor allem menschliche Verbindlichkeit, Präsenz und Nähe, nicht nur in Krisenzeiten – dann aber vor allem.

Sie brauchen in ihrem Umfeld mindestens einen Erwachsenen, der ihnen das Gefühl gibt, dass die Welt trotz aller Aufregungen um Corona in Ordnung ist. Auch in Kriegszeiten hatten Kinder immer dann den nötigen Schutz, wenn Erwachsene durch ihre innere Sicherheit, ihr Vertrauen in das Leben und die Zukunft Ruhe und Zuversicht ausstrahlen konnten. Das Schöne ist: Den Kindern zuliebe kann man viel leichter diese Qualitäten aufbringen als ohne sie. Gemeinsame Spiele, vorlesen, sich unterhalten, singen, malen, basteln – all das sind hilfreiche Instrumente, um die Verbindung zu intensivieren. Alles, was die unmittelbare menschliche Beziehung vertieft und Nähe erlebbar macht, ist seelische Nahrung, die in solchen Zeiten fast noch wichtiger ist als das gute Essen auf dem Tisch.

Kinder brauchen freudig tätige Erwachsene

Was aber kann man zu Hause und in der näheren Umgebung noch tun für die Kinder?

Wo immer möglich sollte man die Kinder in die häuslichen Tätigkeiten einbeziehen und mit ihnen gemeinsam kochen, putzen, aufräumen. Wenn die Erwachsenen etwas gerne machen, fühlen sich Kinder davon angezogen und wollen mitmachen. Dazu gehört auch, beim Spazierengehen mit den Augen der Kinder zu schauen, mit ihnen die Natur und ihre Schönheit zu entdecken, sich zu freuen am schönen Wetter, den Blumen, den Wolken, dem Wind.

Eine der Begleiterscheinungen der Corona-Krise ist ja der enorme Bedeutungsschub, den die Digitalisierung dadurch erfahren hat. Die soziale Isolierung verlagerte die Kommunikation auf die elektronischen Medien, Grenzschließungen und Reiseverbote bewirkten, dass man sich stattdessen virtuell per Zoom oder Skype zu treffen begann. Die Schulen machten E-Learning Angebote und auch die Nutzung von Medien zum „Spielen“ hat zugenommen. All das erschwerte das tägliche Bemühen vieler Eltern, die Bildschirmzeit zu begrenzen, manche haben sogar aufgegeben.

Körperliche Aktivität statt Bildschirmzeit

Umso klarer muss an dieser Stelle gesagt werden, dass es nichts gibt, was eine gesunde Gehirnentwicklung von Kindern und Jugendlichen mehr untergräbt und beeinträchtigt als ein Zuviel an Bildschirmzeit in den Jahren der körperlichen Entwicklung. Das gilt ganz besonders für die ersten drei Lebensjahre, in denen sich das Gehirn am schnellsten entwickelt. Daher lautet hier die goldene Regel: „Unter drei – Bildschirm frei!“

Der Medienratgeber „Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt“, der vom Bündnis für humane Bildung erarbeitet und herausgegeben wurde, sei in diesem Zusammenhang dringend empfohlen.[1] Er bietet nicht nur auf der Basis unabhängiger Forschung die nötige wissenschaftliche Grundlage, um die neurobiologischen Zusammenhänge zu verstehen. Er erläutert auch die verstärkte Sensibilität jugendlicher Gehirne gegenüber dem Elektrosmog und klärt auf über die Möglichkeiten, wie man Kinder vor Cybermobbing und anderen negativen Einflüssen aus dem Internet und den sozialen Netzwerken schützen kann.

Besonders wichtig darin sind aber die positiven Hinweise, was man an die Stelle der Bildschirmzeit setzen kann, um Kindern und Jugendlichen altersgerechte Bildungs- und Entwicklungsanregungen zu geben. Das menschliche Gehirn braucht etwa 16 Jahre, bis die Kontrollzentren im Frontalhirn soweit ausgereift sind, dass selbstständiges Denken, Verantwortungsgefühl und autonome Gewissensfähigkeit möglich sind.

Wie aber fördert man die Gehirnentwicklung am besten?

Durch ganzkörperliche Aktivität! Das gilt sowohl für gehirngeschädigte Säuglinge, die mit Gymnastik behandelt werden und durch bestimmte Bewegungsmuster die geschädigten Areale Anreize zur Regeneration und Unterstützung aus nicht geschädigten Bereichen bekommen, wie auch für die Demenzprophylaxe: Nicht Kreuzworträtsel und Kopfrechnen werden empfohlen, sondern körperliche Geschicklichkeits-, Koordinations- und Bewegungsübungen. So sind auch künstlerische Tätigkeiten wie Malen, Plastizieren, Singen, Musizieren, Kasperle- und Puppen-Theater sowie die klassischen Schultätigkeiten wie z.B. das mühsame Schreibenlernen von Hand komplexe ganzkörperliche Aktivitäten, die die Gehirnentwicklung am nachhaltigsten fördern. Tippen und wischen am Touchscreen hingegen bewirken das nicht, im Gegenteil. Am Bildschirm werden die eigene Aktivität des Körpers und eine komplexe sensorische Integrationsarbeit weitgehend ausgeschaltet.

Starrer Blick statt aktives Sehen

Schon der Seh-Akt vor dem Bildschirm ist genau das Gegenteil von dem, was ein gesundes Auge tut. Beim Schauen sind die Augenmuskeln aktiv und bewegen sich, um im wahrsten Sinne des Wortes wahrzunehmen, was man betrachten möchte. Vor dem Bildschirm hingegen bewegt sich das Bild und die Augenmuskeln sind starr und inaktiv. Was für Erwachsene mit ausgebildeten Gehirnstrukturen ein nicht so großes Problem ist, beliebig lange beruflich oder privat vor dem Bildschirm zu sitzen, ist für Kinder und Jugendliche eine permanente Fehlstimulation bei der Organreifung.

Was sind die Folgen?

Die Kinder gewöhnen sich daran, jeweils im vorgelegten Schema angemessen zu reagieren. Fantasie, Empathie, selbstständiges Denken werden in ihrer Entwicklung gehemmt. Daher gilt in der Waldorfpädagogik der Grundsatz: Eigeninitiative fördern statt konsumieren, selbst die Dinge lernen, bevor man sie an den Computer delegiert – das fördert die humanen Kernkompetenzen. Pädagog*innen sei der von Prof. Edwin Hübner erarbeitete Waldorf-Lehrplan zur Medienpädagogik empfohlen, der reichhaltige Anregungen bietet, in kreativer Weise auf die erforderliche Medienkompetenz und Medienmündigkeit hinzuarbeiten.[2] Nicht unerwähnt bleiben soll auch die Initiative der Allianz ELIANT, die sich gemeinsam mit dem „Bündnis für humane Bildung“ für ein Recht auf bildschirmfreie Kindergärten und Grundschulen einsetzt.[3]

Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, ISBN 9 783751 917919


[1] Dr. Med. Michaela Glöckler, Prof. Dr. Edwin Hübner, Stefan Feinauer, Media Protect E.V., Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt. Eine Orientierungshilfe für Eltern und alle, die Kinder und Jugendliche begleiten, EAN 9783982058504, 2019.

[2] www.waldorfschule.de/fileadmin/bilder/Allgemeines/BdFW_Medienpaed_an_WS.pdf. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die Initiative „echt dabei“ aufmerksam machen und deren ausgezeichnete Website: www.echt-dabei.de, die ebenfalls hilfreiche Anregungen vermittelt, was man an Stelle des Bildschirms setzen kann. Für weitere Hinweise siehe auch das Literaturverzeichnis.

[3] www.eliant.eu.

STRATEGIEN ZUR EINDÄMMUNG DER CORONA-PANDEMIE

Welche Strategien wurden angewandt, um der COVID-19-Pandemie zu begegnen?

Worauf zielen die unterschiedlichen Ansätze ab?

Durchseuchung versus Überwachung der Infektion

Zur gesundheitsstrategischen Bewältigung der Corona-Pandemie in Europa stehen sich zwei sehr unterschiedliche Ansätze gegenüber, beide von führenden Epidemiologen empfohlen.

Schweden setzte auf Anraten von Anders Tegnell, Arzt, Epidemiologe und maßgeblicher Berater der schwedischen Regierung, auf den Aufbau einer Herdenimmunität durch kontrollierte Durchseuchung, während das Leben weitgehend normal weiterging bei gleichzeitigen Schutzempfehlungen für die Risikogruppen. Die schwedische Regierung zog diese Strategie seit dem Auftreten von COVID-19 als einziges Land konsequent durch.

Die Verantwortlichen in der deutschen Gesellschaft für Infektiologe (DGI) dagegen verfolgten von Anfang an „eine Strategie der Überwachung und Kontrolle der Infektion. Dringend notwendig ist hierfür ein Ausbau der Testkapazitäten sowie die Isolation positiv getesteter Personen. Dazu müssen alle Maßnahmen ergriffen werden, die bei der Kontrolle der Epidemie helfen können. Hierzu gehören sowohl das Smartphone-Tracking per COVID-19-App wie auch das Tragen von Gesichtsmasken, wenn die Möglichkeit eines direkten Personenkontaktes besteht.“[1]

Vielen Menschen ist der Begriff der Herdenimmunität aus der Masern-Impfstrategie der WHO bekannt. Diese Strategie besagt, dass wenn fast alle Menschen immunisiert sind, Neuansteckungen nur noch im Ausnahmefall vorkommen können. Wer eine Herdenimmunität ohne Impfung aufbauen will, weil sie wie im Fall von COVID-19 erst entwickelt werden musste, kann man das nur wagen, wenn das Gesundheitswesen flexibel ist und bestens personell und apparativ ausgestattet, um die Folgen dieses Vorgehens auffangen zu können. Denn man weiß bei einem solchen Vorgehen nicht, wie viele u.U. schwer erkranken werden. Großbritannien hat diesen Weg zunächst versucht, scheiterte aber bald aufgrund der Schwächen seines National Health Service, dem unterfinanzierten nationalen Gesundheitswesen.

Der schwedische Weg

So riskierte nur Schweden konsequent diese Vorgehensweise. In einem Interview der Zeitschrift Cicero vom 26. März 2020 betonte Anders Tegnell:

„Alle Länder haben dasselbe Ziel: Wir versuchen, die Verbreitung des Virus zu reduzieren (…) Wir sind uns aber auch darin einig, dass es sehr schwer abzusehen ist, was passiert, wenn man Schulen schließt. Viele Dinge passieren, wenn man das macht: Die Kinder sind davon betroffen, die Gesellschaft, besonders die Eltern. Darin unterscheidet sich Schweden von vielen Ländern: Hier arbeiten fast immer beide Elternteile. Und viele von ihnen arbeiten im Gesundheitssystem. Und wenn wir mit ihnen sprechen, sagen sie: Schließt die Schulen nicht. Das bedeutet, dass der Effekt dieser Maßnahme auf die öffentliche Gesundheit viel schlimmer sein wird als die Ausbreitung des Virus‘ in einer Schule. (…) Wir leben jetzt in einer seltsamen Welt. Normalerweise müssen wir im Gesundheitswesen darum kämpfen, damit Dinge getan werden, zum Beispiel Impfkampagnen. Jetzt müssen wir darum kämpfen, dass Dinge NICHT getan werden. Wenn Sie Wissenschaftler in ganz Europa fragen, ob es zu einem Zeitpunkt, zu dem es in jedem Land eine bedeutende Zahl an Corona-Fällen gibt, Sinn macht, die Grenzen zu schließen, wird die Antwort sein: Nein. Es waren die Reisenden, die das Virus am Anfang ins Land gebracht haben, aber jetzt sind sie es nicht mehr (…) Schweden unterscheidet sich in einem wichtigen Punkt von vielen anderen Ländern: Wir haben hier seit Jahrhunderten sehr starke Behörden. Ein Großteil des technischen Wissens liegt in diesen Behörden. Unsere Ministerien dagegen sind klein, sie unterstützen die Politiker bei den Entscheidungen, die diese treffen. Aber Politiker treffen in Schweden keine Entscheidungen in Detailfragen, sie geben nur die generelle Marschrichtung vor. Und die Behörden erarbeiten dann einen Plan, wie man vorgeht. Politiker treffen die Entscheidungen, aber diese basieren auf dem Wissen und der Erfahrung, die wir ihnen liefern (…). Es gab eine Reihe von Umfragen zu unserer Behörde und zu mir persönlich. Das Ergebnis ist: Wir haben unglaublich große Unterstützung.“[2]

In Schweden ist also das öffentliche Leben nur wenig eingeschränkt, und die Zahl der Ansteckungen ist derzeit rückläufig, viele Intensivbetten sind leer. Tegnell vermutet, dass sich bereits 50 % der Bevölkerung inzwischen angesteckt haben. Das kann aber nur eine spätere Testung belegen. Aktuelle Zahlen aus der Pressekonferenz mit Tegnell vom 16, April 2020 besagen, dass Schweden mit dem schnelleren Ansteckungsmodus ohne Lockdown pro 1 Million Bürger*innen 132 Corona-Tote zu beklagen hat. Im Vergleich dazu haben Länder mit Lockdown, wo die Ansteckung langsamer verläuft, noch deutlich weniger: Finnland 14, Norwegen 28, Dänemark 55 und im Vergleich dazu Deutschland 46 Tote pro 1 Million Einwohner*innen.

Lockdown als richtige Strategie?

Die Verantwortlichen in der deutschen Gesellschaft für Infektiologe (DGI) hingegen halten dieses Vorgehen für einen gefährlichen Irrweg. Eine „kontrollierte Durchseuchung“ kommt für sie nicht in Frage. Sie berufen sich dabei auf vorliegende Zahlen und Hochrechnungen, die man daraus ableiten kann. Diese Strategie, zu der auch der Lockdown gehört, der das gesellschaftliche Leben lahmlegt, bestimmte 2020 – weil dies die derzeit herrschende wissenschaftliche Meinung war - den Alltag der meisten Länder. Sie gilt auch für Deutschland, obgleich sein Gesundheitswesen im europäischen Vergleich gut dasteht und obwohl führende Epidemiologen gerade auch in Deutschland sich deshalb für die „kontrollierte Durchseuchung“ ohne Lockdown ausgesprochen haben.

Die Frage nach der „richtigen Vorgehensweise“ kann nur durch den Willen, sie zu finden, beantwortet werden – und das echte Interesse am Wohle aller. Da reichen Statistiken und Hochrechnungen nicht. Sie bieten zwar rechnerische Sicherheit, können aber auch krass an der Lebenswirklichkeit vorbeigehen. Wer dem Leben gerecht werden will, braucht neben Zahlen auch Mut und Realitätssinn.[3]

Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, ISBN 9 783751 917919


[1] https://www.dgi-net.de/senioren-vor-covid-19-schuetzen-junge-infizieren-ein-gefaehrlicher-irrweg/

[2] https://www.cicero.de/aussenpolitik/corona-pandemie-schweden-skifahren-staatsepidemiologe-anders-tegnell/plus

[3] So hat sich beispielsweise gezeigt, dass die in Deutschland am 23. März in Folge der Berechnungen des RKI angeordnete Kontaktsperre keinerlei Auswirkungen mehr auf den R-Faktor, die Übertragungsrate, von der die Ausbreitung der Pandemie abhängig ist, mehr hatte. Er blieb seit dem 22. März nämlich bei etwa 1 stehen. Vgl. dazu den Bericht des RKI vom 14. 4. 2020, online unter www.rki.de  und den Bericht auf heise online, vom 14.4. 2020 unter www.heise.de.

NOTWENDIGES UMDENKEN IM GESUNDHEITSWESEN

Wie müsste das Gesundheitssystem sich verändern, um zukünftig menschlichere Lösungen bei Pandemien zu ermöglichen?

Welche Veränderungen bräuchte es konkret?

Wo müssten sie ansetzen?

Was hat das Gesundheitssystem eines Landes mit dem Lockdown zu tun?

Berechtigung und Aufgabe des ersten Lockdowns

Diese letzte Frage ist leicht zu beantworten: Die Befürchtung, dass das Gesundheitssystem eines Landes nicht auf epidemisches Anwachsen von Lungenentzündungen mit möglicher intensivmedizinischer Intervention vorbereitet ist, hat den ersten Lockdown gerechtfertigt. Unter diesem Aspekt ist so eine Maßnahme auf Zeit vertretbar. Die dadurch gewonnene Zeit hätte genützt werden sollen, um die Versorgung mit Schutzmaterialien, Intensivbetten und vor allem medizinisch ausreichend geschulten Fachkräften sicherzustellen, aber auch die Qualität der Gesundheitsversorgung des Landes unter die Lupe zu nehmen und längst fällige und angemahnte Verbesserungen und Investitionen zu tätigen. Das „social distancing“ sollte dazu dienen, die Ausbreitung des neuen Virus zu verlangsamen, uns alle auf das Risiko aufmerksam zu machen, damit sie sich ihrer Mitverantwortung im Sozialen bewusst werden. Gute Hygiene-Regeln empfehlen sich ja auch für jede Grippe-Epidemie.

In dieser Phase hätte überdacht werden sollen, wohin das „Kaputt-Sparen“ der Krankenhäuser infolge der Privatisierung geführt hat, ganz zu schweigen vom Notstand an Fachkräften in Pflege und sozialen Diensten, der seit Jahrzehnten beklagt wird. All das sind Folgen der materialistischen und auf Gewinnmaximierung hin orientierten Denkweise, die auch unser Gesundheitswesen erfasste. Sie ist das Problem, das uns den Lockdown beschert hat. Um solche Szenarien in Zukunft zu vermeiden, ist ein grundlegendes Umdenken vonnöten. Man trieb die Digitalisierung voran, um mit ihrer Hilfe Lockdown-Probleme zu kompensieren und fraglichen und tatsächlichen Ansteckungen besser begegnen zu können. Mit ähnlicher Intensität müsste auch in ein gesundes Gesundheitswesen und gute fachliche und menschliche Betreuung investiert werden, das haben uns die Erfahrungen 2020 gelehrt.

Mehr noch: Wollen wir eine „Gesundheitsdiktatur“ vermeiden, muss jeder Einzelne ein klares Bewusstsein dafür entwickeln, wovon individuelle und soziale Gesundheit abhängig sind, und wie ein Gesundheitswesen aussehen kann, das diesen Namen verdient.

Grenzen der Schulmedizin

Auch müssen wir ehrlich die Grenzen der Schulmedizin ins Auge fassen. Die naturwissenschaftlich orientierte Medizin vertritt das Konzept, dass Krankheiten Irrtümer der Natur sind, die man in dem Maß ausschalten kann, in dem man den Mechanismus ihrer Entstehung kennt. So segensreich es ist, wenn man Krankheiten effizient behandeln kann, so naiv mutet es einen an, wenn man die verschiedenen Ebenen kennt, von denen Kränkungen und Heilungsvorgänge ausgehen können, dass man meint, von der Krankheit im Physischen aus alles beherrschen zu können – ganz abgesehen davon, dass die menschengemachten Veränderungen unserer Lebensräume und das horrende Gefälle zwischen Arm und Reich sowie fehlende Erziehung und Bildung für die meisten Krankheiten und frühen Todesfälle verantwortlich sind und nicht irgendwelche Krankheitserreger.

Auch die Corona-Krise zeigt dies mit größter Deutlichkeit. So sinnvoll die physisch wirksamen Notmaßnahmen von Isolation und Schutz erst einmal sind, so verheerend wäre es, wenn nach diesem Muster eine neue Art von politisch-medizinwissenschaftlicher Form der Diktatur entstünde, die jeden Einzelnen in seiner Gesundheitsautonomie bis hin zur Entmündigung einschränkt. Die Instrumente dafür sind vorhanden und werden gegenwärtig erfolgreich erprobt. Viele alte Menschen würden – bei entsprechender Aufklärung – die Ansteckungsgefahr und die Möglichkeiten der Palliativmedizin als Alternative zur Intensivstation im Falle einer schweren Erkrankung klar bevorzugen. Viele würden mit Sicherheit sagen: „Meine persönliche Freiheit ist mir wichtiger als eine verordnete Sicherheit – selbst wenn mein Leben früher enden sollte.“ Ein Gesundheitswesen, das den Sinn und die Bedeutung von Krankheit und Tod im Leben eines Menschen nicht anerkennt, kann weder umfassend urteilen noch den individuellen Bedürfnissen von Erkrankten gerecht werden.

Den ganzen Menschen und seine Rechte miteinbeziehen

Warum sollte ein alter Mensch nicht das Recht haben, in ein Konzert zu gehen, auch wenn er weiß, dass er sich dort in einer Grippesaison anstecken kann?

Wer ist für die Gesundheit und die Art der Lebensführung eines Menschen verantwortlich?

Welche Risiken kann der einzelne selbst tragen, und wo greift der Schutzauftrag des Staates?

Die Coronapandemie macht deutlich, dass wenn es um die Gesundheit der Bevölkerung geht, in Zukunft Formen gefunden werden müssen, die Bevölkerung hier mitentscheiden und mit beraten zu lassen. Bereits vor 100 Jahren sprach Rudolf Steiner von einer notwendigen Demokratisierung des Gesundheitswesens, von dem mündigen Patienten, der seine Gesundheit selbst mitverantwortet und – wie wir heute sagen würden – dem Arzt auf Augenhöhe begegnet. Wir brauchen eine Erziehung zur Freiheit und ein rechtlich-politisches Leben, welches dafür die Rahmenbedingungen schafft. Sonst ist abzusehen, dass die Menschen zunehmend in Abhängigkeit geraten von den jeweils herrschenden autoritativen Ansichten der Wissenschaft und den politisch wirtschaftlichen Machtstrukturen. Denn es geht um unser Recht, menschlich behandelt zu werden. So gesehen ist zu hoffen, dass Patientenverfügungen in Zukunft auch eine Klausel enthalten, über die man selbst festlegen kann, welchen Schutz zu welchen Bedingungen man annimmt bzw. dass man bei Verzicht auf gewisse Schutzmaßnahmen die entsprechenden Konsequenzen trägt.

Dass das heute nicht möglich ist, zeigt, dass die naturwissenschaftliche Medizin der Gegenwart um ein Menschenbild, das die geistige Dimension des Menschen und sein Recht auf Freiheit und Würde miteinbezieht, ergänzt werden muss, wenn Medizin menschlich bleiben und dem Menschen gerecht werden will. Das wird für die Schulmedizin einschneidende Folgen haben z.B. bei der Behandlung psychosomatischer Probleme.

Selbstverantwortung im Umgang mit Krankheiten

Dafür ein Beispiel: Selbstverständlich ist die Behandlung von akuten Symptomen wie Schlafstörungen, „nervösen Herzbeschwerden“, Magenschmerzen, Appetitproblemen, Unruhezuständen, Kopfschmerzen, depressiven Verstimmungen, Angstzuständen, Hass und Frustration mit Schmerzmitteln und Psychopharmaka erst einmal entlastend und hilfreich. Hat aber der Arzt körperliche Ursachen für die Symptome ausgeschlossen, sollte die Behandlung so nicht weitergeführt werden. Was in der akuten Situation durchaus sinnvoll sein kann, führt später unweigerlich in eine Sackgasse der Entwicklung und meist auch in medikamentöse Abhängigkeit.

Dem können wir nur durch einen selbstverantwortlichen Umgang mit unseren Erkrankungen begegnen. Denn wir Menschen sind nicht so geartet wie die Tiere, die von Natur aus alles richtig machen, die alles Lebensnotwendige sehr schnell können. Wir müssen von Anfang an alles eigenaktiv erlernen. Selbst die urmenschlichen Eigenschaften wie das Gehen, Sprechen und Denken werden uns nicht geschenkt. Aber auch so „natürliche“ Dinge wie guten Schlaf, gesunde Ernährung, ein menschlicher Umgang mit der Fortpflanzungsfähigkeit usw. müssen im Laufe des Lebens erlernt werden. Gleiches gilt für die seelischen Eigenschaften wie das Sich-Abgrenzen-Können, gesundes Selbstbewusstsein, Selbstkontrolle, Konzentration, innere Ruhe etc. Wenn eine medizinische Denkweise Entwicklungsarbeit durch Medikamente zu ersetzen versucht, schadet sie dem Betreffenden mehr als sie nützt.

Den Suchtfaktor der Medien durchschauen

Die bekannte britische Ökonomin und Kapitalismus-Kritikerin Noreena Hertz[1] antwortete in einem Spiegel-Interview vom 2. Dezember 2020 auf die Frage, was die Regierungen in Bezug auf das Problem der Einsamkeit tun könnten:

Hertz: „Sie sollten die sozialen Medien stärker regulieren, vor allem wenn es um Kinder geht. Die sozialen Medien sind die Tabakindustrie des 21. Jahrhunderts. Verbietet die Netzwerke, die Kinder unter 16 süchtig machen.“

Der Spiegel daraufhin: „Klingt fundamentalistisch.

Hertz: „Wissen Sie, dass viele Leute, die das Silicon Valley groß gemacht haben, ihren eigenen Kindern den Zugang zu Smartphones und Internet so lange wie möglich verbieten? Sie schenken ihren Kindern keine iPads und schicken sie auf die Waldorfschule. Warum? Weil sie wissen, dass soziale Medien süchtig machen, denn sie kennen ja die Algorithmen. Je mehr diese Leute über soziale Medien wissen, desto weniger wollen sie, dass sie von ihren Kindern genutzt werden.“[2]

Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, ISBN 9 783751 917919


[1] Noreena Hertz: The Lonely Century: Coming Together in a World that's Pulling Apart, London 2020.

[2] Aus: M. Glöckler (Hrsg.), Th. Hardtmuth, Ch. Hueck, A. Neider (Hrsg.), H. Ramm, B. Ruf, Corona und das Rätsel der Immunität. Ermutigende Gedanken, wissenschaftliche Einsichten und soziale Ideen zur Überwindung der Corona-Krise, 2020 Akanthos Akademie e.V., Stuttgart.

AUSWIRKUNGEN DER KRISE AUF DIE GESELLSCHAFT

Welche Auswirkungen hat die Krise auf die Gesellschaft in all ihren Bereichen?

Welche sollte sie haben, dass es besser werden kann?

Diese Fragen sollten alle bewegen, die ihre Verantwortung als Zeitgenossen erkannt haben.

Einschätzung des Ethikrates

In dem Bericht des Ethikrates der Bunderegierung von Prof. Peter Dabrock und Prof. Steffen Augsberg lesen wir u.a.:

„Für ein Gremium, dessen gesetzliche Aufgabe darin besteht, Bundestag und Bundesregierung zu beraten, aber auch öffentliche Diskurse zu stimulieren, ist das Anhalten der durchaus kontroversen Debatte selbstverständlich kein Grund zur Sorge. Die Debatte kann und sollte von allen, auch der Politik, als Ausdruck der offenen Gesellschaft begrüßt werden. Denn: Wenn Menschen schon in einem bewundernswerten Maß Solidarität zeigen und teils sehr drastische Freiheitseinschränkungen recht klaglos in Kauf nehmen, dann darf man ihnen nicht das Recht absprechen, über die ungekannten Herausforderungen der Gegenwart nachzudenken, ja auch zu klagen, darauf hinzuweisen, was sie bei sich und bei anderen an Belastungen erleben, oder zu hinterfragen, ob die ergriffenen Maßnahmen verhältnismäßig sind. Es ist vor diesem Hintergrund nicht nur legitim, sondern geboten, sich auch Gedanken zu machen, wie es weitergeht und unter welchen Bedingungen Öffnungsperspektiven verantwortbar, ja vielleicht sogar geboten sind. ‚Die Corona-Krise ist die Stunde der demokratisch legitimierten Politik.‘ Mit diesem Satz schließen wir unsere Stellungnahme – verstanden als Einladung und Aufforderung, dass die Entschlossenheit der handelnden Politik gestärkt wird, wenn sie – je länger je mehr – den Resonanzraum der Öffentlichkeit sucht. Den Bürgerinnen und Bürgern, die diese Öffentlichkeit sind, muss ihrerseits eine gewisse Geduld abverlangt werden, weil wir den Höhepunkt der Krise offensichtlich noch vor uns haben. Es ist zu früh, Öffnungen jetzt vorzunehmen. Aber es ist nie zu früh, über Kriterien für Öffnungen nachzudenken. Alles andere wäre ein obrigkeitsstaatliches Denken, das sich bei uns nicht verfangen sollte und mit dem man das so notwendige Vertrauen der Bevölkerung nicht stärken würde. (…) Wir müssen weg von einem Alles-oder-nichts-Denken und -Handeln. Je länger die Krise dauert, je mehr Stimmen dürfen, ja müssen gehört werden. Wir sollten keine Angst haben, viele Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen, aber auch legitimen Interessen zu Wort kommen zu lassen.“[1]

Eine solch mutige Stimme ist die des Hamburger Pathologen Prof. Klaus Püschel, Leiter des gerichtsmedizinischen Instituts am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Er hat am 2. April im Hamburger Abendblatt von seinen Untersuchungen erzählt, die er nach dem Tod der dort mit der Diagnose COVID 19 Verstorben durchgeführt hat. Er hätte keinen einzigen Fall gehabt, der nicht durch schwere Vorerkrankungen belastet gewesen sei. Daher kritisiert er das Robert Koch Institut schwer, das die Obduktion der sogenannten Corona-Toten aus hygienischen Gründen wegen mutmaßlicher Ansteckungsgefahr nicht empfiehlt. Man müsste doch von den Toten für die Lebenden lernen. Es würde sich dann seiner Einschätzung nach herausstellen, dass es sich um typische Todesereignisse im hohen Alter gehandelt hätte, wie sie in jeder Grippesaison vorkommen. Auch den wenigen bekannten Einzelfällen, die im jüngeren Alter verstorben seien, hätte man nachgehen müssen, was definitiv zum Tod geführt hätte.

Moralität und Mitmenschlichkeit versus Überwachung

Als ich das las, dachte ich an Rudolf Steiners Forderung nach einer Demokratisierung des Gesundheitswesens. Diese Forderung ist in der jetzigen Krise aktueller denn je. Bezugnehmend auf die Angst vor dem jetzt überall in Erprobung begriffenen digitalen Überwachungsstaat möchte ich Joseph Weizenbaum, Professor am Massachusetts Institute of Technology/MIT, zitieren. Er war im 20. Jahrhundert einer der einflussreichsten und innovativsten Mitentwickler dieser Technologien in den USA. In einem Interview im Orwell-Jahr 1984 entgegnete er auf die Frage, ob der totale Überwachungsstaat kommen werde:

Natürlich, darauf wird ja konsequent hingearbeitet. Aber wenn er wirklich kommt, dieser Staat, dann ist er viel eher eine Folge davon, dass die Menschen ihre Freiheit nicht stärker verteidigen, als dass der Computer die Schuld daran trüge.“[2]

Er nennt das Stalin- und das Hitler-Regime als Beispiele, wie Totalüberwachung auch ohne Computer möglich ist, und wie sehr eine gedeihliche Zukunft der Menschheit davon abhängt, dass sich Moralität und Mitmenschlichkeit weiterentwickeln. Diese Eigenschaften hervorbringen zu helfen, sei die wichtigste Herausforderung für das Erziehungssystem der Zukunft. Wer meint, dass die Digitalisierung dabei förderlich sei, liegt falsch. Moralität kann man nicht lehren, ebenso wenig wie Wertebewusstsein. Beides kann nicht über eine App heruntergeladen werden. Beides kann sich nur im konkreten Umgang mit realen Menschen entwickeln, die diese Qualitäten vorleben, die mit Kindern und Jugendlichen verbindlich zusammenleben und -arbeiten.[3]

Und so kann es einem Mut machen zu sehen, wieviel Positives, wieviel Fürsorglichkeit neben aller Angst und Sorge in der Corona-Krise entstanden ist und weiter entsteht. Viele Menschen sagen und schreiben, wie sie wieder begonnen haben, darüber nachzudenken und zu sprechen, was für sie wirklich wichtig ist, was ihnen echte Freude bereitet; dass es auf reale menschliche Beziehungen ankommt. Es ist zu hoffen, dass im Rahmen der Aufarbeitung dieser durch die Corona-Pandemie ans Tageslicht getretenen Krise – insbesondere wirtschaftlich, sozial und im Gesundheitswesen – andere Leitgedanken herangezogen werden als davor.

Doch noch stecken wir mittendrin und erleben, in welchem Ausmaß unser Wohlbefinden davon abhängt, wie wir über uns und die Lage denken.

Was uns aus der Krise heraushelfen kann

Wie wird es nach Corona weitergehen?

Diese überlebenswichtige Frage brennt vielen auf der Seele. Manche wollen es genauso haben wie davor, andere wünschen sich längst überfällige Veränderungen. Von Albert Einstein stammt das berühmte Zitat:

„Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“

Die meisten Menschen spüren schon seit Jahren, dass ein grundlegender Wandel in Kultur und Wirtschaft notwendig ist, der ein Umdenken aller erfordert, dass es Grenzen des Wachstums auf unserer begrenzten Erde gibt, die ernst genommen werden müssen. Irgendwann ist auch der letzte Urwald abgeholzt, sind die größten Bodenflächen durch Überdüngung nachhaltig geschädigt bis hin zur Unfruchtbarkeit, ist die Klimakrise nicht mehr aufzuhalten.

Im „smarten Zuhause“ ist alles digital gesteuert und vernetzt bis hin zu den Küchengeräten. Alexa und ähnliche elektronische Geräte helfen bei der Routine-Hausarbeit und kommunizieren mit Anbietern im Internet. Man muss nicht mehr selbst die Haustür aufschließen, beim Eintreten ertönt die Lieblingsmusik, man muss nur noch wenige Stunden arbeiten, kann sich alles selbst einteilen und das eigene Heim wird zur Welt, in dem ständig alle Informationen abrufbar sind.

Dafür steigen die Arbeitslosenzahlen weiter, das Massenelend in den Kriegs- und Krisenregionen hat zugenommen. Selbst wenn das bedingungslose Grundeinkommen kommen würde – das Geld dazu ist vorhanden, es müsste nur etwas umverteilt werden – wären dadurch die nötigen Mittel für die Aufrechterhaltung des Konsums bereitgestellt, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Ändert sich jedoch nicht die Art über Wirtschaft zu denken grundlegend, würde sich genau die Entwicklung weiter fortsetzen, die uns in die Krise hereingeführt hat.

Notwendige Neugliederung der Gesellschaft

Rudolf Steiner formulierte bereits nach dem ersten Weltkrieg sehr konkrete Vorschläge:[4]

  • Dass das Wirtschaftsleben assoziativ strukturiert sein sollte, was bedeutet, dass alle Beteiligten an der Wertschöpfungskette bis hin zum Verkauf mit den Konsumenten zusammensitzen und sich über nachhaltige Herstellung, adäquate Arbeitsbedingungen und akzeptable Preise so verständigen. Nur dann würde für alle Beteiligten etwas Zufriedenstellendes dabei herauskommen: mit Sicherheit mehr Qualität und weniger Konsum. Es wäre ein Weg, die Wachstumsideologie zu ersetzen durch ein ökologisch orientiertes Denken in Kreisläufen und Wechselbeziehungen, das dem Zusammenleben von Mensch, Natur und Erde auch langfristig gerecht würde.
  • Dass wir ein eigenständiges freies Kulturleben – Schulen, Bildungseinrichtungen, Universitäten, künstlerische Tätigkeiten – brauchen, das sich unabhängig von Bildungsplänen entwickeln kann und dessen Finanzierung nicht an Einflussnahme gekoppelt ist, weil eben Freiheit und Selbstbestimmung wichtigste Bildungsziele sind.
  • Dass das Rechtsleben so gestaltet werden müsste, dass die Politik lediglich die Gesetze und Rahmenbedingungen schafft, in denen Wirtschaft, Kultur und Soziales im gesellschaftlichen Leben miteinander harmonieren können.

Großartige Bücher wie die bahnbrechenden Publikationen von Rachel Carson „Der stumme Frühling“ und des Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“ sind seither erschienen. Auch Ernst Ulrich von Weizsäcker und Anders Wijkman schrieben ein grandioses Buch mit dem Titel „Wir sind dran“.[5] Dieser Band wurde 2018 zusammen mit 33 weiteren Mitgliedern des Club of Rome für dessen 50-jähriges Bestehen erstellt. Wenn nur ein Bruchteil der für Staat und Wirtschaft Verantwortlichen dieses Buch lesen und es ernst nehmen würden, hätte die Menschheit beste Chancen.

Was uns die Krise lehrt

Denn was lehrt uns die Krise? Was die Virusforschung?

Dass alles mit allem zusammenhängt. Dass wir Menschen ein Teil des Ökosystems sind und unser Leben integraler Bestandteil des Lebens auf unserem Planeten ist – nicht mehr und nicht weniger:

Wir brauchen ein integratives Menschen- und Gesellschaftsverständnis, das auch die geistige Dimension des Daseins umfasst. Wir brauchen zudem eine säkulare Spiritualität, die sich auf das Denken als Brücke zwischen der Sinnes- und Geisteswelt stützt und als solche ihren Beitrag zur Kulturentwicklung der Menschheit leistet. Dazu kann die Anthroposophie mit ihren ganzheitlichen Kulturinitiativen nicht nur auf den bisher schon relativ bekannten Gebieten der Medizin, Pädagogik und Landwirtschaft beitragen, sondern auch vermehrt auf sozialem und wirtschaftlichem Felde: Das haben uns u.a. die Pioniere wie der Begründer der dm-Drogeriemarktkette Götz Werner oder der Träger des Alternativen Nobelpreises Ibrahim Abouleish mit der SEKEM-Kulturinitiative in Ägypten eindrücklich gezeigt.

Die große Chance aber, die die Pandemie mit sich bringt, liegt ebenso auf der Hand wie die Gefahren: dass viel mehr Menschen mit viel größerer Wachheit die großen Umwälzungen im politisch-wirtschaftlichen Bereich zu verfolgen beginnen, dass sie die Mitverantwortung am Geschehen erkennen und die Entwicklungsprozesse auch angesichts der mächtig vorangetriebenen digitalen Transformation mit offenen Augen verfolgen und sich tatkräftig dafür einsetzen, sie so konstruktiv wie möglich mitzugestalten.

Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, ISBN 9 783751 917919


[1] www.ethikrat.org/fileadmin/PDF-Dateien/Pressekonferenzen/pk-2020-04-07-dabrock-augsberg.pdf

[2] Joseph Weizenbaum, Kurs auf den Eisberg. Die Verantwortung des Einzelnen und die Diktatur der Technik, München 1987, S. 104.

[3] Siehe die Petition des „Bündnis für humane Bildung“ unter www.eliant.eu

[4] Vgl. Rudolf Steiner, Die Kernpunkte der sozialen Frage, GA 23, Dornach 1976.

[5]Wir sind dran: Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen - Club of Rome: Der große Bericht, München 2019.