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Erzengel Raphael: Unterschied zwischen den Versionen

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Auszüge aus Büchern und Vorträgen von [[Michaela Glöckler]]; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
Auszüge aus Büchern und Vorträgen von [[Michaela Glöckler]]; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
== RAPHAEL UND DIE MYSTERIEN DES HEILENS ==
''Was besagen die Mysterien des Heilens?''
''Was ist raphaelische Gesinnung?''
=== ''Raphael, Erzengel der Heilkunst'' ===
Goethe lässt den Erzengel Raphael in seinem Faust sagen:
''Die Sonne tönt''
''Nach alter Weise''
''In Brudersphären Wettgesang''
''Und ihre vorgeschriebene Reise''
''Vollendet sie mit Donnergang.''
''Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke''
''Da keiner sie ergründen mag''
''Die unbegreiflich hohen Werke''
''Sind herrlich wie am ersten Tag.'''[1]'''''
„Rapha“ heißt auf Hebräisch Arzt. „El“ ist die Abkürzung des Gottesnamens Elohim aus der biblischen Schöpfungsgeschichte. Wir begegnen diesem Erzengel als dem von Gott gesandten Begleiter und beratenden Arzt in der biblischen Tobias-Legende.[2] Wir begegnen ihm aber auch dem Geiste nach im Buch Hiob, durch das wir Zeuge werden von den Ursachen der weltberühmtesten Krankengeschichte, deren Verlauf und der schließlich glücklichen Heilung des Hiob. Raphaels Name kommt zwar im Buch Hiob nicht vor, jedoch „raphaelischer Geist“. Raphael ist der Geist, der Ursachen und Folgen des Krankseins als in der geistigen Entwicklung des Menschen begründet sieht und aus dieser Quelle heraus die Mysterien der Heilkunst lehrt.
=== ''Verantwortung für die eigene Entwicklung übernehmen'' ===
Die Entwicklung im Sinne der Individualisierung des Menschen findet durch das Erleben des ganz Persönlichen im Schicksal statt. Nur darin sind wir ganz auf uns selbst verwiesen. Daher gehört der Impuls der Anthroposophie, die Lehre von Reinkarnation und Karma dem Individuum zugänglich zu machen, auch deutlich in Raphaels Wirkensgebiet. Sich mit seinem Schicksal identifizieren zu lernen, den eigenen individuellen Entwicklungsweg darin zu erkennen und (Mit-)Verantwortung dafür zu übernehmen ist eine große Herausforderung. Oft ist dies nur auf therapeutischen Wegen in Folge des Erlebens von Krankheit und Krise zu erreichen. Die dafür beispielhafte und prophetisch auf diese Zukunft der Menschheit hinweisende Tobias-Geschichte zeugt eindrücklich davon, wie wichtig dabei der therapeutische Begleiter sein kann.
Sich Wissen nicht nur traditionell lernend anzueignen, sondern auf dem Weg der Selbsterfahrung, ist ohne Irrtum und Schuld und die Möglichkeit zu erkranken nicht möglich. Daher ist die Schule Raphaels die Schule des Lebens, ''„der Weg der Einweihung durch das Leben“''. Hier lernt jeder, sich durch das Erkennen der Gesetze seiner eigenen Entwicklung gesund zu erhalten bzw. aus diesen den Sinn seiner Krankheit oder seines Irrtums zu verstehen.
=== ''Was der Merkurstab symbolisiert'' ===
''Das Mysterium von Krankheit und Heilung'' ist zugleich das Geheimnis der Aufrichtekraft des Ich – körperlich wie geistig (als „Aufrichtigkeit“). Der Merkurstab ist Zeichen und Symbol für den ich-durchwärmten und ich-geführten Ätherleib.
==== '''·''' Wirken des Ätherleibes bei Tag ====
Dieser arbeitet bei Tag polar gegliedert:
* als „inkarnierende“ und belebende Kraft, die den Körper gesund erhält
* und als „exkarnierter“, außerkörperlich tätiger Gedankenorganismus, der der – ebenfalls außerkörperlich tätigen – Ich-Organisation das bewusste Gedankenbilden ermöglicht, wodurch aber auch Abbau, Abnutzung geschieht.[3]
==== '''·''' Wirken des Ätherleibes bei Nacht ====
In der Nacht hingegen arbeitet der Ätherleib im Sinne der Regeneration der Bilde- und Lebenskräfte. Welche Nachwirkungen das Gedankenleben tatsächlich hat, hängt von den Gedanken des Betreffenden ab:
* War das Ich bei Tage begeistert und durchwärmend im Gedankenorganismus tätig, so sind die Nachwirkungen aus dem Gedankenleben im Zuge des nächtlichen Regenerationsgeschehens im Nervensystem aufbauend und lebensfördernd als notwendige Stärkung, die der Mensch für sein tägliches Leben braucht.
* War das Denken primär an den materiellen Gegebenheiten des Lebens orientiert, so wirkt es sich als fixierend, lähmend und chaotisierend aus, was mit der Zeit dazu führen kann, dass eine „karmische Krankheit“ entsteht.[4]
Diese Zusammenhänge zeigen, was uns alltäglich und allnächtlich gefährdet und kränkt, sie weisen aber auch auf medizinisch-therapeutische Gesichtspunkte des Raphael-Mysteriums hin: welche Kräfte „zum Heil“ des Menschen aufgerufen werden können und müssen.
''Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015''
----[1] Johann Wolfgang Goethe, Beginn des Prologs im Himmel in ''Faust''.
[2] ''Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung,'' Medizinische Sektion am Goetheanum 2015, S.50 ff.
[3] Siehe auch Michaela Glöckler (Hrsg.), ''Medizin an der Schwelle'', Dornach 1993, S. 19-29.
[4] Rudolf Steiner und Ita Wegman'', Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen'', GA 27, I. Kapitel, Dornach 1991.
== RAPHAEL ALS QUELLE ALLES HEILENDEN ==
''Inwiefern ist Raphael die Quelle von allem Heilenden?''
''Welche Heilfaktoren fallen in sein „Ressort“?''
Die Macht des Erzengels Raphael ist ganz anderer Art als die des Erzengels Michael. Die Welt Raphaels ist die Mitte, er lebt im rhythmischen System, im Atmen zwischen Oben und Unten und ist der Begleiter jeder Atemregung. Das Verhältnis zwischen Herz- und Atemrhythmus, 4:1, ist zugleich das Geheimnis der Heilung, das Geheimnis alles Heilenden. Das Zusammenwirken der beiden Erzengel Michael und Raphael wird durch das Geschehen zwischen Herz (Michael) und Lunge (Raphael) physiologisch abgebildet.[1]
=== ''Kränkendem Ungleichgewicht ausgleichend begegnen'' ===
Wenn Kränkendes auf uns einwirkt durch ein Überwiegen
* der Kräfte aus dem oberen Menschen, dem '''Nerven-Sinnes-System''' (bewusstes Leben)
* oder aus dem unteren Menschen, dem '''Stoffwechsel-Gliedmaßen-System''' (unbe­wuss­tes Leben)
* brauchen wir einen größeren Atem, um diesem Ungleichgewicht
* durch ein Atmen zwischen diesen beiden Polen
* sowie durch Selbstüberwindung im Fühlen
ausgleichend zu begegnen – sonst tritt Krankheit auf. Denn wenn die Schwelle zwischen dem oberen und dem unteren System nicht mehr respektiert bzw. gehalten wird durch eine starke Mitte, kann Unteres unverwandelt in das Obere eindringen bzw. kann Oberes das Untere ergreifen und Krankheit hervorrufen.
Die allen Menschen eingeborene raphaelische Kompetenz, das rhythmische System der Atmung, reicht dann nicht mehr aus, um dieses Ungleichgewicht zu regulieren bzw. zu harmonisieren. Dann müssen wir auf die Kraft viel größerer Rhythmen zurückgreifen, auf die Kraft aus der Natur und die wunderbaren anthroposophischen Heilmittel. Das ist das eine.
=== ''Beziehung und Heilerwille als Heilfaktor'' ===
Das andere ist die Tatsache, dass immer auch bestimmte Schicksalsgegebenheiten und -konstellationen, eine bestimmte Art von menschlichen Beziehungen, helfen können, das Gleichgewicht wieder herzustellen und Heilung herbeizuführen. Als ich einen Freund aus meiner Studentenzeit nach langer Zeit einmal wiedertraf – er war inzwischen leitender Arzt einer staatlichen psychiatrischen Klinik – fragte ich ihn:
''Auf wie viele Psychopharmaka könntest du verzichten, wenn du per Rezept die geeignete menschliche Beziehung verordnen könntest, genau diejenige, nach der ein Mensch sich in dem Moment sehnt, die er brauchen würde?''
Ohne zu überlegen sagte er: auf 70-80 %. Ich habe bisher noch niemanden getroffen, der dem widersprochen hätte. Das ist tief bewegend und zeigt, wie wichtig der Heilerwille des Arztes bzw. des Therapeuten, der den Gesund-Werde-Willen im Kranken anspricht, für die Gesundung ist.
Sehr oft liegen die geeigneten Schicksalsbedingungen im Umkreis eines Patienten jedoch nicht vor. Dann müssen wir als Arzt oder Therapeut/Pflegender auf professionelle Art und Weise ersetzen, was dem andern fehlt und etwas Väterliches, Mütterliches, Brüderliches, Schwesterliches, manchmal sogar etwas kindlich Fragendes in die Beziehung zu unseren Patienten einbringen. Wir müssen sehr flexibel sein in der Art, wie wir einen Patienten begleiten, müssen uns zu „instrumentalisieren“ lernen, damit er genau das in der Begegnung mit uns erleben kann, was er gerade braucht. Als ich in Herdecke in der Klinik arbeitete, hatten wir immer wieder Patienten, die zu den Pflegenden, den Therapeuten und manchmal auch zu den Ärzten sagten: „Was ich hier an Menschlichkeit erlebt habe, hat mir den Glauben an das Menschsein zurückgegeben.“ Das war für uns dann das schönste Erlebnis, der größte Erfolg, von dem noch lange gesprochen wurde. Ihr kennt das sicher alle aus euren Kliniken und Praxen.
=== ''Entwicklungszeit nützen'' ===
Im Rahmen meines praktischen Jahres in der Klinik war auf der Station der inneren Medizin eine über 60jährige Rheumapatientin, um die ich mich sehr bemühte. Am dritten oder vierten Tag sagte sie: ''„Ach, Fräulein Michaela, geben Sie sich doch mit mir nicht solche Mühe, das lohnt sich doch nicht mehr!“'' Dann stellte sich heraus, dass sie wirklich ganz allein war und das Gefühl hatte, ihr Leben habe keinen Sinn mehr, weil alles nur noch Leid, Schmerz und Elend war – und nur noch schlimmer werden konnte. Ich habe mich damals unglaublich „ins Zeug gelegt“, habe mich sehr bemüht ihr zu vermitteln, dass jede Stunde zählt. Ich sagte zu ihr: ''„Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach ihrem Tod darauf, dass Sie Entwicklungszeit vergeudet haben! Jetzt, wo Sie niemanden mehr haben, der sich für Sie interessiert, ist das offensichtlich der Zeitpunkt, an dem Sie anfangen müssen, sich für sich selbst zu interessieren! Vielleicht können Sie auch beginnen, mehr Interesse für die Menschen in ihrer Umgebung aufzubringen, auch wenn Sie Ihnen nicht unbedingt nahestehen?“''
Sie war zuerst einmal total schockiert, fragte mich aber, wie ich das genau meine. Wir machten einen weiteren Termin aus, um diese Gedanken näher zu besprechen. Es ist mir damals tatsächlich gelungen, sie auf den inneren Entwicklungsweg aufmerksam zu machen. Das hat ihr auch in Bezug auf ihre Krankheit sehr geholfen – die Ergebnisse ihrer Therapie auf der Station und auch ihre Prognose haben sich dadurch entscheidend verbessert.
Auch wenn man nicht immer solches Glück hat, wollte ich diesen Verlauf als Beispiel nehmen, um zu zeigen, dass man allem eine Wendung geben kann, die in Richtung Heilung führt – vorausgesetzt, man hat ein entsprechendes Verständnis
* von Entwicklung
* und von dem, was Schicksal bedeutet.
Immer – auch wenn es sich um eine infauste Prognose handelt – geht es darum, den Willen gesund zu werden anzuspannen und die verbleibende Zeit noch gut zu nützen. Das ist oft wertvoller als ganze Jahre, die man irgendwie „herumgebracht“ hat. Das Leben geht immer weiter, das wissen wir – es fragt sich nur wie.
=== ''Zusammenfassung'' ===
Es gibt also nicht nur äußere und innere Krankheitsursachen, sondern auch äußere und innere Heilmittel:
* zum einen die aus der Natur zum Menschen gebrachten prozessorientierten Arzneimittel
* zum anderen alle Heilfaktoren, die „modifizierte Liebe“ sind. Nur sie können aus dem Hass und allem Destruktiven, das Menschen an sich und oder an anderen seelisch erleben müssen, herausführen in Richtung Heilung.
Beide Quellen der Heilkunst gehören in den Bereich Raphaels, weil sie eine ausgleichende Wirkung haben. Das Heilgeschehen vollzieht sich dann über größere Rhythmen, über Schicksalsrhythmen, über die Art, wie wir „uns wiedersehen“.
''Vgl. Vortrag „Vom Zusammenwirken der Erzengel Michael und Raphael“ an der JK 2017''
----[1] Vgl. ''Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung'', Kapitel: ''Das Geheimnis des Merkurstabs: die Metamorphose der Wachstumskräfte in Gedankenkräfte''. Herausgeber: Medizinische Sektion am Goetheanum 2015.
== DIE RAPHAELISCHE SIGNATUR IN GOETHES FAUST ==
''Was ist unter der raphaelischen Signatur zu verstehen?''
=== ''Gewinn durch die individuelle Auseinandersetzung mit dem Bösen'' ===
Goethe lässt Faust im Prolog im Himmel mit den Worten Raphaels beginnen. Raphael wird Zeuge der Verabredung, die Gott mit dem Teufel trifft und diesem – wie im Falle des Hiob – die Erlaubnis gibt, einen Gott wohlgefälligen, strebenden Menschen, den Faust, mit allem zu plagen, was auf der Erde in der Macht des Teufels liegt. Auch hier interessiert nicht das, was man normalerweise unter Schuld versteht, die bestraft werden müsste. Darum geht es gerade nicht.
Wie bei Hiob geht es um das Gegenteil: um einen Gott wohlgefälligen Menschen, der besonders weit entwickelt ist. Einen Menschen also, der reif ist für einen nächsten Entwicklungsschritt. Den HERRN interessiert, was dieser Mensch durch die individuelle Auseinandersetzung mit dem Bösen gewinnt – von Strafe und Richteramt ist nicht mit einem Wort die Rede. Vielmehr hören wir den HERRN die verständnisvollen Worte sagen: ''„Es irrt der Mensch, solang er strebt...“''
Auch Raphael steht nicht als Hüter der Moral da. Er ist vielmehr derjenige, der mit den Harmonien des Kosmos verbunden ist – den Brudersphären. Er kennt das Verbindende und das von innen her Aufbauende und Heilende. Er weiß um die Stärkung, die von dem Anblick des Guten, Schönen, Wahren – des Vollkommenen – ausgeht. Er weiß, dass dieses Herrliche, Heilsame stärker ist als die Zerstörungswut, die immer wieder die Menschen auf der Erde heimsucht und an dem Sinn der Schöpfung irrewerden lässt. Das ursprüngliche „Herrliche“, das Wissen um die Gesundheit, „die Stärke“, ist sein Gebiet.
=== ''Wenn das Leben zur Last wird'' ===
Faust erlebt nach diesem Dialog zwischen Gott und Teufel im Himmel Ähnliches wie Hiob. Es zeigt sich bei ihm jedoch in seelischen Symptomen – nicht in Form von körperlichem oder äußerem Elend. Ihm wird alles leid und zunichte, was er vorher geschätzt hat, so dass er an den Punkt kommt, sich sagen zu müssen: „''Und so ist mir das Leben eine Last'' – ''der Tod erwünscht, das Leben mir verhasst''.“[1] Zuvor hatte er geklagt:
''Und sehe, dass wir nichts wissen können!''
''Das will mir schier das Herz verbrennen.''
''Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen,''
''Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;''
''Mich plagen keine Skrupel und Zweifel,''
''Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –''
''Dafür ist mir auch alle Freude entrissen,''
''Bilde mir nicht ein, was rechtes zu wissen,''
''Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,''
''Die Menschen zu bessern und zu bekehren.''
''(...)''
''Es möchte kein Hund so länger leben!''
=== ''Wie man zu einem freien Wesen wird'' ===
Seine bisherige Identität ist unbrauchbar geworden – er sucht bis an den Rand des Selbstmords verzweifelt eine neue. Das von Gott und Natur geschenkte, auch das durch die akademischen Studien und die äußere Anerkennung erworbene Selbstbild trägt nicht mehr. Jetzt ist er ganz allein gefragt, sich etwas zu erringen auf seinen eigenen Irrtums- und Strebenswegen, auf denen er eine neue Identität aufbauen kann. Seine bisherige Wegsuche durch Überlieferung, Übung und Schulung reicht dafür nicht aus. Ein entscheidender Schritt fehlt noch. So wird er wach für die Schule des Schicksals, für ''den Weg der Einweihung durch das Leben'', dem auch das Geheimnis des Bösen, Zerstörenden beigegeben ist.
Rudolf Steiner bemerkt dazu in seiner Philosophie der Freiheit: ''„Die Natur macht aus dem Menschen bloß ein Naturwesen;'' ''die Gesellschaft ein gesetzmäßig handelndes;'' ''ein freies Wesen kann er nur selbst aus sich machen.“'''[2]''''' Alles Lernen vom Schicksal dient der Individualisierung und der Gesundung des Individuums. Rudolf Steiner nennt diesen Erkenntniszusammenhang auch ''Hygienischen Okkultismus'''[3]'''''. Goethe macht dies im Faust im ersten Teil anhand der Szene der Hexenküche deutlich. Hier geht es um einen Verjüngungstrank.
''Warum wird uns diese Verjüngungszeremonie in der Hexenküche gezeigt?''
Faust ist ein Mann im besten Alter zwischen 30 und 40 Jahren. In diesem Alter braucht man eigentlich keinen Verjüngungstrank, um sich zu verlieben und/oder eine Frau zu verführen.
=== ''Blick auf die dunklen Seiten der Menschennatur'' ===
''Und warum wird die Walpurgisnacht gezeigt?''
Mit der Walpurgisnacht werden wir in einen Bereich geführt, der magisch-böse wirkt. Im Gegensatz zur weißen Magie der Rosenkreuzer lernen wir hier die schwarze Magie kennen. Goethe lässt uns dies schauen, um uns die dunklen Seiten der Menschennatur bewusst zu machen.
Der „Herd des Bösen“ im Menschen, das Stoffwechselsystem, hat eben nicht nur die aufbauenden, sondern auch die abbauenden, zerstörenden Kräfte in sich. In der Hexenküche wird gezeigt, wie dieser Stoffwechsel – symbolisiert durch „den Kessel“ – auch fehlgesteuert werden kann. Und damit wird er zum Ort, wo
* Krankheit in Gesundheit und Gesundheit in Krankheit übergehen kann
* wir Gefahr laufen, unsere Mission zu vergessen, unsere Entwicklung zu verleugnen
* Impulse der Regression, des in der Entwicklung in pathologischer Weise Rückwärts-Gehens und damit „Jünger-Werdens“ wirksam werden können
* ungelebtes Leben sich mit Begierdengewalt und zur falschen Zeit Bahn brechen kann, mit allen Folgen für das Schicksal der davon betroffenen Menschen, die es dann wiederum zu heilen gilt
* der Ursprung für jede Form von Machtmissbrauch deutlich wird.
=== ''Hexeneinmaleins als Beispiel für fehlgeleitete Entwicklung'' ===
Am Beispiel des Hexen-Einmaleins zeigt Goethe, wie dies geschieht, wie Verkehrungen grundsätzlich möglich sind, wie das Ziel der menschlichen Entwicklung gefährdet werden kann, wie Gutes an den falschen Platz gelangen kann. Es wird etwas getan, was das Gegenteil kosmischer Harmonie ist – in der alles Obere und Untere ausgewogen, jede Kraft am rechten Ort und im rechten Verhältnis wirkt – zum Wohl des Ganzen.
Es zeigt zudem die Möglichkeit, auch physiologisch-körperlich zu irren, den Stoffwechsel bewusst zu manipulieren und das Geheimnis zu durchschauen, wie Leibliches auf Seelisches und Seelisches auf Leibliches wirkt. Es zeigt das Mysterium des Bösen so, wie es mit der menschlichen Natur, dem Stoffwechsel-Blutsystem, zusammenhängt.
Das Hexen-Einmaleins beginnt mit einem Appell an die menschliche Intelligenz: „''Du musst versteh'n“.'' Auch schwarze Magie muss gelernt werden. Intelligenz ist nicht per se gut oder wahr – erst der Zusammenhang, in dem sie wirkt und die Ziele, denen sie dient, machen sie „menschenwürdig“ oder zum Diener destruktiver Impulse. Auf den ersten Blick erleben wir ein verwirrendes Zahlenspiel, wenn die Hexe sagt:
''Du mußt versteh 'n!''
''Aus Eins mach' Zehn,''
''Und Zwei laß gehn,''
''Und Drei mach' gleich,''
''So bist Du reich.''
''Verlier' die Vier!''
''Aus Fünf und Sechs,''
''So sagt die Hex',''
''Mach' Sieben und Acht,''
''So ist 's vollbracht:''
''Und Neun ist Eins,''
''Und Zehn ist keins.''
''Das ist das Hexen-Einmal-Eins!''
=== ''Deutung der Zahlen des Hexeneinmaleins'' ===
==== '''·''' Die Zahl 10 als Zahl der Menschwerdung ====
Die Zahl 10 ist die sog. Tetraktys des Pythagoras, welche die Besonderheit hat, dass sie die Summe von 1+2+3+4 darstellt. Diese vier („tetra“) Zahlen sind zugleich die Zahlen der menschlichen Wesensglieder, weswegen die 10 auch immer angesehen wurde als die heilige Zahl des Menschen. Sie steht für die Menschwerdung.
==== '''·''' Die Zahl 4 und die vier Elemente des physischen Leibes ====
Die Vier steht für den vierfachen physischen Leib. Sie ist die Zahl der vier Elemente: des Festen, Flüssigen, Gasförmigen, der Wärme. Dabei hat Wärme selber keine Materie, sie ist kein Aggregatzustand, beherrscht aber die Zustände der Materie. Durch Erhitzen   ändern sich die Aggregatzustände und durch Abkühlen ebenfalls. Die Vier ist zugleich auch die Zahl der Elementarwelten
* mit den Gnomen für den physischen Leib
* den Undinen für den Ätherleib
* den Sylphen für den Astralleib
* und den Salamandern für das Ich bzw. für die Wärme.
Sie müssen alle zusammenwirken, wenn der physische Leib entstehen soll.
==== '''·''' Die Zahl 3 und der Ätherleib ====
Die Drei ist die Zahl des Ätherleibes, der dreigliedrig ist. Das Leben ist ein ständiges Ringen um Gleichgewicht, eine Prozess-Gestalt. Deswegen ist ausgleichend zwischen dem Sinnes-Nervensystem und dem Stoffwechsel-Gliedmaßen-System das rhythmische System der Herz- und Lungentätigkeit eingeschaltet: „''ein wechselnd Weben, ein glühend Leben“'' – wie der Erdgeist in der Osternacht zu Faust sagt.
==== '''·''' Die Zahl 2 und der Astralleib ====
Die Zwei ist die Zahl des Astralleibes. Die Polarität Yin/Yang, oben/unten, himmlisch/irdisch. „''Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“''. Faust fühlt die Doppelnatur seines Astralleibes. Die eine, dunkle, ist inkarniert, begierdenhaft in seinem Leib – „''die andre hebt gewaltsam sich vom Dust in die Gefilde hoher Ahnen“''. So sagt es Faust zu Wagner am Ende des Osterspaziergangs.
==== '''·''' Die Zahl 1 und die Ich-Organisation ====
Die Eins fasst alles zusammen, sie steht für unsere Ich-Organisation.
=== ''Angriff auf die Wesensglieder'' ===
Mit diesen Zahlen wird nun in der Hexenküche gespielt.
* ''„Aus Eins mach' Zehn“''
Die Zahl des Ich wird zur Zahl der Menschwerdung, so weit, so gut. Ist das Ich bei Tage begeistert und durchwärmend im Gedankenorganismus tätig, so sind die Nachwirkungen aus dem Gedankenleben im Zuge des nächtlichen Regenerationsgeschehens im Nervensystem aufbauend und lebensfördernd als notwendige Stärkung, die der Mensch für sein tägliches Leben braucht.
* „''Die Zwei lass geh'n''.“
Mit diesem nächsten Vers erfolgt jedoch ein klarer Abschied von der höheren Seele, der ich-geführten Astralität. Der Zweifel, der Zwiespalt, dasjenige, was die Menschen auf den Weg zum Geist bringt, wird ausgeschaltet. Der Mensch soll zur rein begierdenhaften Naturkraft werden, beherrscht von den Mächten der Natur – eine Art bewusstes Elementarwesen.
* „''Die Drei mach gleich''.“
Hier wird dem Ätherleib sein Entwicklungspotential genommen: Genieße dein Leben, lebe es aus, mach' dir keine Gedanken, folge deinen Trieben, beende die innere Spannung in deinem Denken, Fühlen und Wollen. So bist du reich. Dann hast du alles und brauchst nach nichts mehr suchen.
* „''Aus Fünf und Sechs/So sagt die Hex/Mach Sieben und Acht/So ist's vollbracht.“''
Keine Entwicklung findet mehr statt.
* „''Und Neun ist Eins''.“
Die Zehn und die Eins, als die Repräsentanten von Ursprung und Ziel des Menschen, wurden ausgeschaltet. Die Neun wird zur Eins, nicht mehr die Zehn. Neun ist die neue Eins.
* „''Und Zehn ist keins.“''
Zehn und eins sind verschwunden, man hat sich vom Menschenziel verabschiedet. Die Neun ist jetzt die Eins. Was vom Menschen noch übrig ist, kocht als „Suppe“ im Kessel der Hexenküche. Es taugt noch zum Selbstgenuss, zum Erleben der Geschehnisse der Walpurgisnacht, aber nicht mehr zur selbstbestimmten Wandlung und Entwicklung. Und dann wird in der Walpurgisnacht die ganze bunte Landschaft dessen gezeigt, was übrigbleibt, wenn der Mensch die Entwicklung, die Individualisierung seines Ich verweigert.
=== ''Selbstbewusstsein angesichts des Bösen'' ===
Faust versteht nicht ganz, was da geschieht – er bleibt aber wach und sagt zu sich in dieser Situation: ''„Dass ich mich nur nicht selbst vergesse.“'' Er denkt, noch Herr seiner selbst zu sein, bemerkt aber doch, dass er „geschoben“ wird. Und er merkt, dass es sich um eine (schwarze) Messe handelt, um dunkle Magie. Er erlebt angesichts des Bösen eine Erkraftung seines Selbstbewusstseins.
Was ''Goethe'' im Bilde der Hexenküche beschreibt und Faust erleben lässt, zeigt, was geschieht, wenn die Erkenntniskräfte und die Lebensvollzüge nicht in Harmonie miteinander sind und dadurch den Menschen körperlich oder seelisch gefährden.
Er beschreibt das Geheimnis des Merkurstabs, das sowohl das Geheimnis der Abirrungsmöglichkeiten und Kränkungen umfasst, die im Hexeneinmaleins angesprochen werden, als auch der Wirkzusammenhänge, von denen alle Gesundung ausgeht.
''Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015''
----[1] Johann Wolfgang von Goethe, ''Faust. Der Tragödie erster Teil. Kap. 7, Studierzimmer'', München 2014.
[2] Rudolf Steiner, ''Die Philosophie der Freiheit'', GA 4, Dornach 1995, S. 170.
[3] Rudolf Steiner, ''Die soziale Grundforderung unserer Zeit in geänderter Zeitlage'', GA 186, Dornach 1990, S. 74 ff.
== DIE HARMONISIERENDE KRAFT DES KARMA UND DIE SCHULE RAPHAELS ==
''Was ist unter Harmonisierung von Karma zu verstehen?''
''Was ist mit der Schule des Raphael gemeint?''
=== ''Schicksalsbeziehungen harmonisieren dank Raphael'' ===
Je mehr Menschen beginnen, ihr Leben im Sinne des hygienischen Okkultismus als individuellen Erkenntnis- und Einweihungsweg zu begreifen, umso heilkräftiger können sie auch im Sozialen wirken. Wenn sich Schicksalsbeziehungen harmonisieren, werden sie tragfähig für heilsame Aufgaben.
Dies galt in höchstem Maße für die Schicksalsbeziehung zwischen Rudolf Steiner und seiner ärztlichen Mitarbeiterin ''Ita Wegman''.[1]<sup>,[2]</sup> So konnte sich durch ihr Zusammenwirken der Erzengel der Heilkunst, Raphael, offenbaren und dadurch das Fundament für die Anthroposophische Medizin gelegt werden. Ihr Ziel ist es, die individuelle Gesundheit im Kontext der sozialen zu fördern. Diese „Ur-Gesundheit“ wurzelt im Ich des Menschen als individuellem und sozialem Wesen, das sich und sein Schicksal erkennen möchte. Dabei ist Raphael der lehrende Begleiter.
Als ''Ernst Lehrs'', ein Waldorflehrer der ersten Stunde und Autor des Werkes ''Mensch und Materie,'''[3]''''' Rudolf Steiner fragte, wie man denn das Wesen Raphaels erkennen könne, antwortete dieser, der Weg zu Michael sei heute relativ leicht zu finden. Dann aber komme lange nichts – und dann erst käme man zu Raphael.
Ich habe diese Äußerung von Ernst Lehrs selber in meiner Studentenzeit erzählt bekommen. Er gehörte zu der Gruppe junger Leute, für die Rudolf Steiner den ''„Jugendkurs''“[4]gehalten hatte, in dem die Suche nach dem Zeitgeist Michael im Zentrum stand. Ich fragte mich immer wieder:
''Wollte Rudolf Steiner dem hochbegabten Mathematiker und Naturwissenschaftler damals einfach nur mit dieser Antwort erst einmal zum „Selber-Nachdenken“ bringen?''
''Oder war die Antwort Steiners an ihn: Du hast noch lange Zeit mit der Michael-Erkenntnis zu tun, frage nicht schon nach dem nächsten Arbeitsvorhaben?''
=== ''Der lange Weg zu Raphael'' ===
Die Antwort kann aber auch einfach ganz wörtlich genommen eine schlichte Wahrheit ausdrücken: dass es ein langer Weg ist, von der gedachten und auch gefühlten Einsicht zur persönlichen Lebenserfahrung und Realisierung zu kommen.
''Ist nicht der lange Weg, der vom Kopf durch das Herz in die Hand – und in den die Hand erkraftenden Stoffwechsel – führt, der Weg von Michael zu Raphael?''
Das Gute kann nur gefunden werden, wenn man es tut. Solange man es nur denkt und fühlt ist es nicht da. Die Meditation von Rudolf Steiner, die er den jungen Ärzten und Medizinstudenten gab, wäre unter diesem Aspekt die zentrale Raphael-Meditation. Sie trägt den Titel: „''Wie finde ich das Gute?“'' [5]
In seinem Vortrag über den hygienischen Okkultismus beschreibt Rudolf Steiner das Leben selber als analog zu einem Krankheitsprozess, der fortwährend der Heilung bedarf. Er ergänzt diesen Hinweis, indem er von der Merkurweisheit der Doppelnatur des Ätherischen spricht, die sich zeigt
* als Lebenstätigkeit und Heilkraft einerseits
* und als denkendes Erkennen andererseits.
Der Heilkraft im Organismus entspricht die echte spirituell erleuchtete Erkenntnis: „''Die dem menschlichen Organismus innewohnende Heilkraft in Erkenntnis umgewandelt, gibt eben okkulte Erkenntnisse.“'''[6]'''''
=== ''Die Raphael-Schule'' ===
Als Medizinstudentin fragte ich die Onkologin und langjährige Leiterin der Lukas Klinik in Arlesheim, Rita Leroi,[7] wie man sich dem Erzengel Raphael verbinden könne. Sie antwortete: Michael ist das Antlitz Christi, Raphael seine helfende Hand. Er lebt in der Arzt-Patienten-Beziehung, „''wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind“'''[8]'''''. Er ist ein brüderlicher Wegbegleiter, ein Ratgeber und Helfer in jeder Not. Er verkörpert das Wesen selbstloser Hilfeleistung und den Dienst am anderen sowie am Leben selbst.
Sehr begeistert war ich dann, als ich hörte, dass mit der esoterischen Begründung der Medizinischen Sektion am Goetheanum im September 1924 auch eine „Raphael-Schule“ begründet werden sollte, die damals aber nur keimhaft veranlagt werden konnte und die es immer weiter zu entwickeln gilt. Die Hinweise Rudolf Steiners hierzu weisen einerseits in Richtung Karma-Erkenntnis als Schule des Lebens und der Entwicklung. Andererseits weisen sie Ärzten und Pharmazeuten den Weg zum Verstehen des Wesens der Substanzen und ihrer Heilwirkungen für den individuellen Menschen und für typische Krankheitsprozesse. Keimhaft und klar charakterisiert Rudolf Steiner diesen Impuls einer Raphael-Schule im sogenannten ''„pastoral-medizinischen Mantram“'', einer wegweisenden Meditation, die er zum Abschluss des „''Pastoral-Medizinischen Kurses“'' für Ärzte und Seelsorger gemeinsam formuliert:
''Ich werde gehen den Weg,''
''Der die Elemente in Geschehen löst''
''Und mich führt nach unten zum Vater''
''Der die Krankheit schickt zum Ausgleich des Karma''
''Und mich führt nach oben zum Geiste''
''Der die Seele in Irrtum zum Erwerb der Freiheit leitet''
''Christus führt nach unten und nach oben''
''Harmonisch Geistesmensch in Erdenmenschen zeugend.'''[9]'''''
=== ''Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst'' ===
==== '''·''' Mensch und Makrokosmos – Kap. 1 bis 7 ====
Am ausführlichsten jedoch werden wir über diese neue Schulweisheit belehrt durch die gemeinsam mit Ita Wegman erarbeiteten Ausführungen in dem Buch „''Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geistes-wissenschaftlichen Erkenntnissen“''.[10] Die ersten sieben Kapitel sind der Gesundheit gewidmet – dem Verhältnis des gesunden   Mikrokosmos Mensch zum Makrokosmos.
'''Im ersten Kapitel''' wird das Geheimnis des Merkurstabs enthüllt: die Metamorphose der Wachstumskräfte in Gedankenkräfte.
'''Im zweiten Kapitel''' wird eingehend erläutert, wie Krankheit dadurch entstehen kann, dass der Mensch geistig seelisch tätig ist und in Einseitigkeit und Irrtum verfallen kann.
'''Im dritten bis fünften Kapitel''' werden die mikrokosmische und makrokosmische Natur der menschlichen Wesensglieder und ihrer spezifischen Kräftekonfigurationen eingeführt. Es wird aber auch in zu Herzen gehender Weise geschildert, welchen Opfergang und welches Schicksal die Welt der irdisch gewordenen Substanzen dabei erfährt. Und wie dieser Opfergang der Substanzen seine Erlösung und Erfüllung findet, wenn die Substanz im   Menschen ''„geisttragend“'' werden kann. Wenn ''„geistgetragene Menschenseelen“'' diesem Opfer zum Segen werden.
'''Im sechsten Kapitel''' wird dann das embryonale Bildegeschehen des menschlichen Körpers so dargestellt, dass man die physiologischen Prozesse des Wesensgliederwirkens denken lernen und sich für die verschiedenen Organbildungen anschaulich machen kann.
'''Im siebten Kapitel''' wird der entwicklungsoffene, in sich ''nicht'' abgeschlossene gesunde Gesamtorganismus geschildert und daran das Prinzip der Selbstkränkung und das Wesen der Selbstheilungskräfte verdeutlicht.
==== '''·''' Ursachen für Stoffwechselerkrankungen – Kap. 8 bis 12 ====
'''Die Kapitel acht bis zwölf''' dienen der Beschreibung der fünf zentralen Ursachen der Entstehung von Erkrankungen des Stoffwechsels. Diese werden anhand der Wirkweise von Zucker, Eiweiß, Fett, Harnsäure und Wärme anschaulich gemacht. Dabei werden auch die diese Stoffwechselprozesse regulierenden Wesensglieder in ihrem leiblich-seelischen Wirken anschaulich.
==== '''·''' Therapie-Kapitel – Kap. 13 bis 18 ====
'''Es folgen fünf Therapie-Kapitel''', in denen die therapeutische Regulierung des Verhältnisses zwischen Ätherleib und Astralleib im Mittelpunkt steht, dann die regulierende Kraft der Ich-Organisation, dann die mögliche Schwächung der physisch-ätherischen Konstitution im Laufe des Älterwerdens, das Prinzip der Arzneimittelfindung und die Einführung in das Wesen der Substanzerkenntnis als Grundlage der Heilmittel-Erkenntnis.
==== '''·''' Das Wirkprinzip der Heileurythmie – Kap. 19 bis 21 ====
'''Die letzten drei Kapitel des Buches''' sind dem Wirkprinzip der Heileurythmie gewidmet, einem Einblick in die Praxis der Anthroposophischen Medizin anhand von neun individuellen Krankheitsfällen, so wie dem Einsatz von typischen Arzneimitteln, die bestimmten typischen Erkrankungen angepasst sind.
Dies ist ein ''grundlegender Lehrgang'', der – wie es Ita Wegman in ihrem damals nicht veröffentlichten Vorwort zu diesem Buch schreibt – jeden Arzt in die Lage versetzt, selbst die Krankheiten geistig anzuschauen, wenn er bereit ist, das „''ganz richtige Lesen dieses Buches“'' zu üben.
''Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015''
----[1] J. Emanuel Zeylmans van Emmichoven, ''Die Erkraftung des Herzens: Eine Mysterienschulung der Gegenwart. Rudolf Steiners Anleitungen für Ita Wegman'', Arlesheim 2009.
[2] Margarete und Erich Kirchner-Bockholt, ''Die Menschheitsaufgabe Rudolf Steiners und Ita Wegman.'' Dornach 1981.
[3] Ernst Lehrs, ''Mensch und Materie. Ein Beitrag zur Erweiterung der Naturerkenntnis nach der Methode Goethes'', Frankfurt am Main 1987.
[4] Rudolf Steiner, ''Geistige Wirkenskräfte im Zusammenleben von alter und junger Generation. Pädagogischer Jugendkurs'', GA 217, Dornach 1988.
[5] Siehe auch Peter Selg, ''Die «Wärme-Meditation»: Geschichtlicher Hintergrund und ideelle Beziehungen'', Dornach 2005.
[6] Rudolf Steiner, ''Die soziale Grundforderung unserer Zeit In geänderter Zeitlage,'' GA 186, Dornach 1990, S. 75.
[7] Silke Helwig, ''‚Es geht um mein Leben': Zum 100. Geburtstag von Rita Leroi,'' Basel 2013.
[8] ''Neues Testament,'' ''Matthäus'' 18,20.
[9] Rudolf Steiner, ''Das Zusammenwirken von Ärzten und Seelsorgern. Pastoral-Medizinischer Kurs'', GA 318, Dornach 1994, GA 318.
[10] Rudolf Steiner, Ita Wegman, ''Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen,'' GA 27, Dornach 1991.
== RAPHAEL ALS SUBSTANZVERWANDLER ==
''Was ist unter Substanzverwandlung zu verstehen?''
''Welches Opfer bringt die Substanz auf Erden?''
''Wie kann sie im Menschen wieder vergeistigt werden?''
=== ''Der Weg der Substanz'' ===
Die mineralischen Substanzen sind auf Erden ihrer ursprünglich geistigen Heimat, in der sie noch Wesensoffenbarungen waren, vollkommen entfremdet. Rudolf Steiner sagt nun, dass die im Menschen geisttragend gewordene Substanz sich wiederum ihrer physischen Natur entfremdet hat. D.h. wenn wir uns ernähren, darf die entfremdete, physisch gewordene, aus dem Entwicklungsprozess herausgefallene, gekochte, zerstörte Nahrungssubstanz sich wieder auf den Weg zur geistigen Heimat zurückbegeben. Jedes gesunde Nahrungsmittel, jedes gesundende Arzneimittel, das auf den Weg des Menschen gebracht wird, erlöst die von Gott entfremdete Natur und bringt sie ihrem Ursprung wieder nahe.
Das gilt es in seiner Tragweite zu begreifen: Die Selbstlosigkeit der Substanz äußert sich darin, dass sie sich vollkommen entäußern kann – allen Wesen das sinnliche „geistentfremdete“ Dasein ermöglichend, das sie zum Erlebnis der Freiheit führt.
=== ''Substanz im Dienste Raphaels'' ===
Die Substanz, die sich den Weltgesetzen und jeder menschlichen Individualität zur Verfügung stellt, wird zu unserem Wesen. Sie entfremdet den Menschen nicht von sich selbst, sondern tritt in seinen Dienst. Rudolf Steiner war es wichtig, dass wir begreifen, dass diese Selbstlosigkeit der Substanz und ihre Rolle in der Natur, das Rhythmische des Sich-Materialisierens und Wieder-Vergeistigens, Raphaels Dienst an unserer Entwicklung ist.
* '''Erzengel Michael''' ist der ''leuchtende Gedankenfürst''
* '''Erzengel Raphael''' der ''dienende Substanzverwandler''
Beide dienen der Entwicklung, sind Diener des Christus, des schöpferischen Logos.
* Wo Michael führend ist, hält sich der Mensch gesund durch gesundes Denken und eine gesunde Lebensführung, gesunde Lebensregeln und Grundsätze. Das ist das Prinzip der Salutogenese, der Erziehung und Selbsterziehung, der Selbstentwicklung, der Prävention.
* Raphael wird gerade da heilend wirksam, wo der Mensch aus dem gesunden Entwicklungsgeschehen – aus welchen Gründen auch immer – für eine gewisse Zeit herausgefallen ist.
''Vgl. Vortrag „Vom Zusammenwirken der Erzengel Michael und Raphael“ an der JK 2017''
== RAPHAELS WIRKEN ALS OSTERIMAGINATION ==
''Was zeigt die Osterimagination?''
''Was sagt sie aus über Raphael?''
=== ''Der Mensch muss Harmonie selbst herstellen'' ===
In umfassender Weise beschreibt Rudolf Steiner im Herbst 1923 das Wirken Raphael-Merkurs in der ''Osterimagination''.[1] Er stellt dar, wie der Jahreskreislauf Urbild jedes Heilungsvorgangs ist. Was in einer Jahreszeit als Einseitigkeit und damit als Möglichkeit der Kränkung entsteht, wird durch eine andere ausgeglichen. Er zeigt auf, wie in den Elementen
* des Festen und Flüssigen die ahrimanischen Gewalten wirksam sind
* und die luziferischen in Luft und Wärme.
Er macht deutlich, wie die vatergöttliche Naturordnung immer wieder neu Harmonie, den gesunden Ausgleich schafft. Im Menschen aber ist diese ausgleichschaffende Naturordnung nur in der naturgegebenen Körperlichkeit wirksam. Da die Wesensglieder „inkarniert“ sind, werden die „Teufel“, die in der Natur einseitig wirkenden luziferischen und ahrimanischen Gewalten, im unbewusst wirkenden Teil der menschlichen Natur ausgeglichen.
Im bewussten Gedanken-, Willens- und Gefühlsleben jedoch, wo die Wesensglieder „exkarniert“, d.h. außerkörperlich wirksam sind und vom Menschen selber gelenkt werden müssen, ist der Mensch in die Eigenverantwortung entlassen und damit in jede mögliche Einseitigkeit hinein verführbar. Diese Einseitigkeiten können sich fixieren und den Ausgleich behindern. Der Mensch ist darauf angewiesen, bewusst die Harmonie herstellen zu lernen und die Tatsache seiner vielfältigen Irrtumsmöglichkeiten zu bejahen.
=== ''Christus, das heilende Prinzip'' ===
Dabei ist Christus der große Helfer. Christus lebt als der dem Menschen verbundene „Herr der Elemente“ und als der „Herr des Karmas“, der „das Buch des Lebens“ führt, in dem jedes „strebende Bemühen“ verzeichnet ist. Er richtet nicht, sondern hilft und „rettet“. Dabei ist Raphael als „christlicher Merkur“ sein Bote, der die in diesem Sinne arbeitende Gemeinschaft der Ärzte und Therapeuten inspiriert:
„''Aber jetzt, wo der Mensch in die Freiheit aufgerückt ist, jetzt soll er gerade unter dem Einfluss seiner Freiheit dieses Bedrohliche aus der Welt schaffen, dass ihn Ahriman an die Erdenverhältnisse kettet. Dieses Bedrohliche steht als eine Perspektive der Zukunft vor ihm. Und da sehen wir denn, wie ein Objektives in der Erdenentwickelung geschehen ist: das Mysterium von Golgatha.''
''Das Mysterium von Golgatha ist nicht als einmaliges Ereignis bloß geschehen. Wohl musste es sich als einmaliges Ereignis hinstellen in das Erdengeschehen, aber es wird dieses Ereignis, dieses Mysterium von Golgatha, jedes Jahr in einer gewissen Weise für den Menschen erneuert. Wer ein Gefühl dafür entwickelt, wie da oben das Luziferische im Kohlensäuredampf ersticken will die physische Menschheit, wie da unten das Ahrimanische im astralischen Regen die ganze Erde so beleben will in ihren Kalkmassen, dass der Mensch sich in ihr zunächst sklerotisiert, auflöst, wer das durchschaut, für den ersteht zwischen dem Luziferischen und dem Ahrimanischen die Gestalt des Christus, die Gestalt des sich von der Materie befreienden Christus, der den Ahriman zu seinen Füßen hat, sich heraus entwickelt aus dem Ahrimanischen, nicht berücksichtigend das Ahrimanische, es überwindend, wie es hier [im Goetheanum, Anm. MG] malerisch und plastisch dargestellt worden ist. Und er sieht diesen Christus, wie er auf der anderen Seite überwindet, was nur eben das Obere des Menschen wegziehen will von der Erde. Es erscheint der Kopf jener Gestalt, die über den Ahriman siegt, es erscheint der Christus-Kopf in einer solchen Physiognomie, in einem solchen Blick, in einer solchen Antlitzgebärde, dass dieser Blick, diese Antlitzgebärde abgerungen ist den verflüchtigenden Kräften des Luzifer. Hereingezogen die luziferische Gewalt in das Irdische, hineingestellt in das Irdische, das ist die Gestalt des Christus, wie er jedes Jahr im Frühling erscheint, wie wir ihn uns vorstellen müssen: Stehend auf dem Irdischen, das zum Ahrimanischen gemacht werden soll, siegend über den Tod, auferstehend aus dem Grab, sich hinauferhebend als Auferstandener zur Verklärung, zur Verklärung, die da kommt durch das Hinüberführen des Luziferischen in die irdische Schönheit des Christus-Antlitzes.''
''Und so erscheint zwischen dem Ahrimanischen und dem Luziferischen der in seiner Auferstehungsgestalt sich vor das Auge rückende Christus als die Ostererscheinung, die Ostererscheinung, die sich so hinstellt vor den Menschen: Der auferstandene Christus, oben überschwebt von luziferischen Gewalten, unten gegründet auf ahrimanische Gewalten.''
''(...)''
=== ''Der Mensch und Raphael'' ===
''Aber es wird in irgendeiner Form noch eine Ergänzung nötig, wenn man die ganze Sache auffasst. Denn alles das, was da geschaut werden kann als das drohende Luziferische, als das drohende Ahrimanische, das ist ja das innere Wesen der Naturkräfte, das ist das, wohin die Naturkräfte tendieren wollen in der Frühlingszeit gegen den Sommer zu, und dem sich gesundend entgegenstellt das heilende Prinzip, das vom Christus ausstrahlt. Aber ein lebendiges Gefühl von alledem wird man erlangen, wenn, nachdem das Ganze architektonisch und plastisch geworden ist und in der Architektur und Plastik dasteht, was ich beschrieben habe, wenn dann in der Zukunft auch noch einmal die Möglichkeit herbeigeführt werden kann, ein Lebendig-Dramatisches vor dieses Plastische hinzustellen gerade zur Osterzeit, ein Lebendig-Dramatisches, in dem namentlich zwei Hauptpersonen sein würden: der Mensch und Raphael. Es müsste sich als eine Art Mysterienspiel gerade innerhalb dieser Plastik und innerhalb dieses Architektonischen abspielen ein Mysterienspiel, Hauptpersonen der Mensch und Raphael, Raphael mit dem Merkurstab, Raphael mit alledem, was sich an den Merkurstab anknüpft. Im Lebendig-Künstlerischen ist alles, alles fordernd, und es gibt im Grunde genommen keine Plastik und keine Architektur, die nicht, wenn sie in ihrem Inneren kosmische Wahrheit ist, fordern würde dasjenige, was künstlerisch drinnen geschieht in einem Raum, der diese Architektur, diese Plastik hat.''
=== ''Raphael und der Osterkultus'' ===
''Und zur Osterzeit würde diese Architektur, diese Plastik, ein Mysterienspiel fordern: der Mensch, belehrt von Raphael, inwiefern die ahrimanischen und luziferischen Kräfte den Menschen krankmachen, und inwiefern man durch die Raphael-Gewalt angeleitet werden kann, das heilende Prinzip, die große Weltentherapie, die im Christus-Prinzip lebt, zu durchschauen, zu erkennen. Und wenn dies alles ganz gemacht werden könnte'' – ''denn auf das alles war das Goetheanum veranlagt'' –'', dann würde zum Beispiel unter vielem andern dieses stehen, dass alles, was aus den ahrimanischen und luziferischen Geheimnissen in den Menschen hineinfließen kann, eine gewisse Krönung gerade zur Osterzeit erführe.''
''(...)''
''Der Weltenheiland wird gefühlt, derjenige, der das große Übel der Erde als Heiland heben wollte, er wird gefühlt. Denn er war ja, wie ich schon öfter dargestellt habe, der große Therapeut der Menschheitsentwickelung. Das wird gefühlt, und ihm wird geopfert mit allem, was man an Weisheit haben kann über Heilwirkungen. Es würde sich das hineingliedern in das Ostergeheimnis, in den Osterkult, indem man in Wirklichkeit gerade diesen Osterkult in dieser Weise so vollbringen würde, so begehen würde, dass er sich in ganz selbstverständlicher Weise in den Jahreslauf einfügte.''
''(...)''
''Alles das, was, ich möchte sagen, unter der Einwirkung des großen Lehrmeisters Raphael, der eigentlich in christlicher Terminologie der Merkur ist, der im christlichen Gebrauche den Merkurstab zu tragen hat, alles das, was unter dem großen Lehrmeister Raphael auf diesem Gebiete gelernt werden kann, das kann nur seine würdige Krönung dadurch erlangen, dass es hineingeheimnisst wird in den Osterkultus, der vieles noch umfassen kann, wie ich Ihnen in einer folgenden Betrachtung darstellen werde.“'''[2]'''''
''Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015''
----[1] Rudolf Steiner, ''Das Miterleben des Jahreslaufes in vier kosmischen Imaginationen. Vortrag vom 7. Oktober 1923'', GA 229, Dornach 1999.
[2] Rudolf Steiner, ''Das Miterleben des Jahreslaufes in vier kosmischen Imaginationen. Vortrag vom 7. Oktober 1923'', GA 229, Dornach 1999, S. 50 ff.

Aktuelle Version vom 30. März 2025, 11:25 Uhr

Erzengel Raphael – von Michaela Glöckler

Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/

RAPHAEL UND DIE MYSTERIEN DES HEILENS

Was besagen die Mysterien des Heilens?

Was ist raphaelische Gesinnung?

Raphael, Erzengel der Heilkunst

Goethe lässt den Erzengel Raphael in seinem Faust sagen:

Die Sonne tönt

Nach alter Weise

In Brudersphären Wettgesang

Und ihre vorgeschriebene Reise

Vollendet sie mit Donnergang.

Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke

Da keiner sie ergründen mag

Die unbegreiflich hohen Werke

Sind herrlich wie am ersten Tag.[1]

„Rapha“ heißt auf Hebräisch Arzt. „El“ ist die Abkürzung des Gottesnamens Elohim aus der biblischen Schöpfungsgeschichte. Wir begegnen diesem Erzengel als dem von Gott gesandten Begleiter und beratenden Arzt in der biblischen Tobias-Legende.[2] Wir begegnen ihm aber auch dem Geiste nach im Buch Hiob, durch das wir Zeuge werden von den Ursachen der weltberühmtesten Krankengeschichte, deren Verlauf und der schließlich glücklichen Heilung des Hiob. Raphaels Name kommt zwar im Buch Hiob nicht vor, jedoch „raphaelischer Geist“. Raphael ist der Geist, der Ursachen und Folgen des Krankseins als in der geistigen Entwicklung des Menschen begründet sieht und aus dieser Quelle heraus die Mysterien der Heilkunst lehrt.

Verantwortung für die eigene Entwicklung übernehmen

Die Entwicklung im Sinne der Individualisierung des Menschen findet durch das Erleben des ganz Persönlichen im Schicksal statt. Nur darin sind wir ganz auf uns selbst verwiesen. Daher gehört der Impuls der Anthroposophie, die Lehre von Reinkarnation und Karma dem Individuum zugänglich zu machen, auch deutlich in Raphaels Wirkensgebiet. Sich mit seinem Schicksal identifizieren zu lernen, den eigenen individuellen Entwicklungsweg darin zu erkennen und (Mit-)Verantwortung dafür zu übernehmen ist eine große Herausforderung. Oft ist dies nur auf therapeutischen Wegen in Folge des Erlebens von Krankheit und Krise zu erreichen. Die dafür beispielhafte und prophetisch auf diese Zukunft der Menschheit hinweisende Tobias-Geschichte zeugt eindrücklich davon, wie wichtig dabei der therapeutische Begleiter sein kann.

Sich Wissen nicht nur traditionell lernend anzueignen, sondern auf dem Weg der Selbsterfahrung, ist ohne Irrtum und Schuld und die Möglichkeit zu erkranken nicht möglich. Daher ist die Schule Raphaels die Schule des Lebens, „der Weg der Einweihung durch das Leben“. Hier lernt jeder, sich durch das Erkennen der Gesetze seiner eigenen Entwicklung gesund zu erhalten bzw. aus diesen den Sinn seiner Krankheit oder seines Irrtums zu verstehen.

Was der Merkurstab symbolisiert

Das Mysterium von Krankheit und Heilung ist zugleich das Geheimnis der Aufrichtekraft des Ich – körperlich wie geistig (als „Aufrichtigkeit“). Der Merkurstab ist Zeichen und Symbol für den ich-durchwärmten und ich-geführten Ätherleib.

· Wirken des Ätherleibes bei Tag

Dieser arbeitet bei Tag polar gegliedert:

  • als „inkarnierende“ und belebende Kraft, die den Körper gesund erhält
  • und als „exkarnierter“, außerkörperlich tätiger Gedankenorganismus, der der – ebenfalls außerkörperlich tätigen – Ich-Organisation das bewusste Gedankenbilden ermöglicht, wodurch aber auch Abbau, Abnutzung geschieht.[3]

· Wirken des Ätherleibes bei Nacht

In der Nacht hingegen arbeitet der Ätherleib im Sinne der Regeneration der Bilde- und Lebenskräfte. Welche Nachwirkungen das Gedankenleben tatsächlich hat, hängt von den Gedanken des Betreffenden ab:

  • War das Ich bei Tage begeistert und durchwärmend im Gedankenorganismus tätig, so sind die Nachwirkungen aus dem Gedankenleben im Zuge des nächtlichen Regenerationsgeschehens im Nervensystem aufbauend und lebensfördernd als notwendige Stärkung, die der Mensch für sein tägliches Leben braucht.
  • War das Denken primär an den materiellen Gegebenheiten des Lebens orientiert, so wirkt es sich als fixierend, lähmend und chaotisierend aus, was mit der Zeit dazu führen kann, dass eine „karmische Krankheit“ entsteht.[4]

Diese Zusammenhänge zeigen, was uns alltäglich und allnächtlich gefährdet und kränkt, sie weisen aber auch auf medizinisch-therapeutische Gesichtspunkte des Raphael-Mysteriums hin: welche Kräfte „zum Heil“ des Menschen aufgerufen werden können und müssen.

Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015


[1] Johann Wolfgang Goethe, Beginn des Prologs im Himmel in Faust.

[2] Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015, S.50 ff.

[3] Siehe auch Michaela Glöckler (Hrsg.), Medizin an der Schwelle, Dornach 1993, S. 19-29.

[4] Rudolf Steiner und Ita Wegman, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen, GA 27, I. Kapitel, Dornach 1991.

RAPHAEL ALS QUELLE ALLES HEILENDEN

Inwiefern ist Raphael die Quelle von allem Heilenden?

Welche Heilfaktoren fallen in sein „Ressort“?

Die Macht des Erzengels Raphael ist ganz anderer Art als die des Erzengels Michael. Die Welt Raphaels ist die Mitte, er lebt im rhythmischen System, im Atmen zwischen Oben und Unten und ist der Begleiter jeder Atemregung. Das Verhältnis zwischen Herz- und Atemrhythmus, 4:1, ist zugleich das Geheimnis der Heilung, das Geheimnis alles Heilenden. Das Zusammenwirken der beiden Erzengel Michael und Raphael wird durch das Geschehen zwischen Herz (Michael) und Lunge (Raphael) physiologisch abgebildet.[1]

Kränkendem Ungleichgewicht ausgleichend begegnen

Wenn Kränkendes auf uns einwirkt durch ein Überwiegen

  • der Kräfte aus dem oberen Menschen, dem Nerven-Sinnes-System (bewusstes Leben)
  • oder aus dem unteren Menschen, dem Stoffwechsel-Gliedmaßen-System (unbe­wuss­tes Leben)
  • brauchen wir einen größeren Atem, um diesem Ungleichgewicht
  • durch ein Atmen zwischen diesen beiden Polen
  • sowie durch Selbstüberwindung im Fühlen

ausgleichend zu begegnen – sonst tritt Krankheit auf. Denn wenn die Schwelle zwischen dem oberen und dem unteren System nicht mehr respektiert bzw. gehalten wird durch eine starke Mitte, kann Unteres unverwandelt in das Obere eindringen bzw. kann Oberes das Untere ergreifen und Krankheit hervorrufen.

Die allen Menschen eingeborene raphaelische Kompetenz, das rhythmische System der Atmung, reicht dann nicht mehr aus, um dieses Ungleichgewicht zu regulieren bzw. zu harmonisieren. Dann müssen wir auf die Kraft viel größerer Rhythmen zurückgreifen, auf die Kraft aus der Natur und die wunderbaren anthroposophischen Heilmittel. Das ist das eine.

Beziehung und Heilerwille als Heilfaktor

Das andere ist die Tatsache, dass immer auch bestimmte Schicksalsgegebenheiten und -konstellationen, eine bestimmte Art von menschlichen Beziehungen, helfen können, das Gleichgewicht wieder herzustellen und Heilung herbeizuführen. Als ich einen Freund aus meiner Studentenzeit nach langer Zeit einmal wiedertraf – er war inzwischen leitender Arzt einer staatlichen psychiatrischen Klinik – fragte ich ihn:

Auf wie viele Psychopharmaka könntest du verzichten, wenn du per Rezept die geeignete menschliche Beziehung verordnen könntest, genau diejenige, nach der ein Mensch sich in dem Moment sehnt, die er brauchen würde?

Ohne zu überlegen sagte er: auf 70-80 %. Ich habe bisher noch niemanden getroffen, der dem widersprochen hätte. Das ist tief bewegend und zeigt, wie wichtig der Heilerwille des Arztes bzw. des Therapeuten, der den Gesund-Werde-Willen im Kranken anspricht, für die Gesundung ist.

Sehr oft liegen die geeigneten Schicksalsbedingungen im Umkreis eines Patienten jedoch nicht vor. Dann müssen wir als Arzt oder Therapeut/Pflegender auf professionelle Art und Weise ersetzen, was dem andern fehlt und etwas Väterliches, Mütterliches, Brüderliches, Schwesterliches, manchmal sogar etwas kindlich Fragendes in die Beziehung zu unseren Patienten einbringen. Wir müssen sehr flexibel sein in der Art, wie wir einen Patienten begleiten, müssen uns zu „instrumentalisieren“ lernen, damit er genau das in der Begegnung mit uns erleben kann, was er gerade braucht. Als ich in Herdecke in der Klinik arbeitete, hatten wir immer wieder Patienten, die zu den Pflegenden, den Therapeuten und manchmal auch zu den Ärzten sagten: „Was ich hier an Menschlichkeit erlebt habe, hat mir den Glauben an das Menschsein zurückgegeben.“ Das war für uns dann das schönste Erlebnis, der größte Erfolg, von dem noch lange gesprochen wurde. Ihr kennt das sicher alle aus euren Kliniken und Praxen.

Entwicklungszeit nützen

Im Rahmen meines praktischen Jahres in der Klinik war auf der Station der inneren Medizin eine über 60jährige Rheumapatientin, um die ich mich sehr bemühte. Am dritten oder vierten Tag sagte sie: „Ach, Fräulein Michaela, geben Sie sich doch mit mir nicht solche Mühe, das lohnt sich doch nicht mehr!“ Dann stellte sich heraus, dass sie wirklich ganz allein war und das Gefühl hatte, ihr Leben habe keinen Sinn mehr, weil alles nur noch Leid, Schmerz und Elend war – und nur noch schlimmer werden konnte. Ich habe mich damals unglaublich „ins Zeug gelegt“, habe mich sehr bemüht ihr zu vermitteln, dass jede Stunde zählt. Ich sagte zu ihr: „Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach ihrem Tod darauf, dass Sie Entwicklungszeit vergeudet haben! Jetzt, wo Sie niemanden mehr haben, der sich für Sie interessiert, ist das offensichtlich der Zeitpunkt, an dem Sie anfangen müssen, sich für sich selbst zu interessieren! Vielleicht können Sie auch beginnen, mehr Interesse für die Menschen in ihrer Umgebung aufzubringen, auch wenn Sie Ihnen nicht unbedingt nahestehen?“

Sie war zuerst einmal total schockiert, fragte mich aber, wie ich das genau meine. Wir machten einen weiteren Termin aus, um diese Gedanken näher zu besprechen. Es ist mir damals tatsächlich gelungen, sie auf den inneren Entwicklungsweg aufmerksam zu machen. Das hat ihr auch in Bezug auf ihre Krankheit sehr geholfen – die Ergebnisse ihrer Therapie auf der Station und auch ihre Prognose haben sich dadurch entscheidend verbessert.

Auch wenn man nicht immer solches Glück hat, wollte ich diesen Verlauf als Beispiel nehmen, um zu zeigen, dass man allem eine Wendung geben kann, die in Richtung Heilung führt – vorausgesetzt, man hat ein entsprechendes Verständnis

  • von Entwicklung
  • und von dem, was Schicksal bedeutet.

Immer – auch wenn es sich um eine infauste Prognose handelt – geht es darum, den Willen gesund zu werden anzuspannen und die verbleibende Zeit noch gut zu nützen. Das ist oft wertvoller als ganze Jahre, die man irgendwie „herumgebracht“ hat. Das Leben geht immer weiter, das wissen wir – es fragt sich nur wie.

Zusammenfassung

Es gibt also nicht nur äußere und innere Krankheitsursachen, sondern auch äußere und innere Heilmittel:

  • zum einen die aus der Natur zum Menschen gebrachten prozessorientierten Arzneimittel
  • zum anderen alle Heilfaktoren, die „modifizierte Liebe“ sind. Nur sie können aus dem Hass und allem Destruktiven, das Menschen an sich und oder an anderen seelisch erleben müssen, herausführen in Richtung Heilung.

Beide Quellen der Heilkunst gehören in den Bereich Raphaels, weil sie eine ausgleichende Wirkung haben. Das Heilgeschehen vollzieht sich dann über größere Rhythmen, über Schicksalsrhythmen, über die Art, wie wir „uns wiedersehen“.

Vgl. Vortrag „Vom Zusammenwirken der Erzengel Michael und Raphael“ an der JK 2017


[1] Vgl. Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung, Kapitel: Das Geheimnis des Merkurstabs: die Metamorphose der Wachstumskräfte in Gedankenkräfte. Herausgeber: Medizinische Sektion am Goetheanum 2015.

DIE RAPHAELISCHE SIGNATUR IN GOETHES FAUST

Was ist unter der raphaelischen Signatur zu verstehen?

Gewinn durch die individuelle Auseinandersetzung mit dem Bösen

Goethe lässt Faust im Prolog im Himmel mit den Worten Raphaels beginnen. Raphael wird Zeuge der Verabredung, die Gott mit dem Teufel trifft und diesem – wie im Falle des Hiob – die Erlaubnis gibt, einen Gott wohlgefälligen, strebenden Menschen, den Faust, mit allem zu plagen, was auf der Erde in der Macht des Teufels liegt. Auch hier interessiert nicht das, was man normalerweise unter Schuld versteht, die bestraft werden müsste. Darum geht es gerade nicht.

Wie bei Hiob geht es um das Gegenteil: um einen Gott wohlgefälligen Menschen, der besonders weit entwickelt ist. Einen Menschen also, der reif ist für einen nächsten Entwicklungsschritt. Den HERRN interessiert, was dieser Mensch durch die individuelle Auseinandersetzung mit dem Bösen gewinnt – von Strafe und Richteramt ist nicht mit einem Wort die Rede. Vielmehr hören wir den HERRN die verständnisvollen Worte sagen: „Es irrt der Mensch, solang er strebt...“

Auch Raphael steht nicht als Hüter der Moral da. Er ist vielmehr derjenige, der mit den Harmonien des Kosmos verbunden ist – den Brudersphären. Er kennt das Verbindende und das von innen her Aufbauende und Heilende. Er weiß um die Stärkung, die von dem Anblick des Guten, Schönen, Wahren – des Vollkommenen – ausgeht. Er weiß, dass dieses Herrliche, Heilsame stärker ist als die Zerstörungswut, die immer wieder die Menschen auf der Erde heimsucht und an dem Sinn der Schöpfung irrewerden lässt. Das ursprüngliche „Herrliche“, das Wissen um die Gesundheit, „die Stärke“, ist sein Gebiet.

Wenn das Leben zur Last wird

Faust erlebt nach diesem Dialog zwischen Gott und Teufel im Himmel Ähnliches wie Hiob. Es zeigt sich bei ihm jedoch in seelischen Symptomen – nicht in Form von körperlichem oder äußerem Elend. Ihm wird alles leid und zunichte, was er vorher geschätzt hat, so dass er an den Punkt kommt, sich sagen zu müssen: „Und so ist mir das Leben eine Lastder Tod erwünscht, das Leben mir verhasst.“[1] Zuvor hatte er geklagt:

Und sehe, dass wir nichts wissen können!

Das will mir schier das Herz verbrennen.

Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen,

Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;

Mich plagen keine Skrupel und Zweifel,

Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –

Dafür ist mir auch alle Freude entrissen,

Bilde mir nicht ein, was rechtes zu wissen,

Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,

Die Menschen zu bessern und zu bekehren.

(...)

Es möchte kein Hund so länger leben!

Wie man zu einem freien Wesen wird

Seine bisherige Identität ist unbrauchbar geworden – er sucht bis an den Rand des Selbstmords verzweifelt eine neue. Das von Gott und Natur geschenkte, auch das durch die akademischen Studien und die äußere Anerkennung erworbene Selbstbild trägt nicht mehr. Jetzt ist er ganz allein gefragt, sich etwas zu erringen auf seinen eigenen Irrtums- und Strebenswegen, auf denen er eine neue Identität aufbauen kann. Seine bisherige Wegsuche durch Überlieferung, Übung und Schulung reicht dafür nicht aus. Ein entscheidender Schritt fehlt noch. So wird er wach für die Schule des Schicksals, für den Weg der Einweihung durch das Leben, dem auch das Geheimnis des Bösen, Zerstörenden beigegeben ist.

Rudolf Steiner bemerkt dazu in seiner Philosophie der Freiheit: „Die Natur macht aus dem Menschen bloß ein Naturwesen; die Gesellschaft ein gesetzmäßig handelndes; ein freies Wesen kann er nur selbst aus sich machen.“[2] Alles Lernen vom Schicksal dient der Individualisierung und der Gesundung des Individuums. Rudolf Steiner nennt diesen Erkenntniszusammenhang auch Hygienischen Okkultismus[3]. Goethe macht dies im Faust im ersten Teil anhand der Szene der Hexenküche deutlich. Hier geht es um einen Verjüngungstrank.

Warum wird uns diese Verjüngungszeremonie in der Hexenküche gezeigt?

Faust ist ein Mann im besten Alter zwischen 30 und 40 Jahren. In diesem Alter braucht man eigentlich keinen Verjüngungstrank, um sich zu verlieben und/oder eine Frau zu verführen.

Blick auf die dunklen Seiten der Menschennatur

Und warum wird die Walpurgisnacht gezeigt?

Mit der Walpurgisnacht werden wir in einen Bereich geführt, der magisch-böse wirkt. Im Gegensatz zur weißen Magie der Rosenkreuzer lernen wir hier die schwarze Magie kennen. Goethe lässt uns dies schauen, um uns die dunklen Seiten der Menschennatur bewusst zu machen.

Der „Herd des Bösen“ im Menschen, das Stoffwechselsystem, hat eben nicht nur die aufbauenden, sondern auch die abbauenden, zerstörenden Kräfte in sich. In der Hexenküche wird gezeigt, wie dieser Stoffwechsel – symbolisiert durch „den Kessel“ – auch fehlgesteuert werden kann. Und damit wird er zum Ort, wo

  • Krankheit in Gesundheit und Gesundheit in Krankheit übergehen kann
  • wir Gefahr laufen, unsere Mission zu vergessen, unsere Entwicklung zu verleugnen
  • Impulse der Regression, des in der Entwicklung in pathologischer Weise Rückwärts-Gehens und damit „Jünger-Werdens“ wirksam werden können
  • ungelebtes Leben sich mit Begierdengewalt und zur falschen Zeit Bahn brechen kann, mit allen Folgen für das Schicksal der davon betroffenen Menschen, die es dann wiederum zu heilen gilt
  • der Ursprung für jede Form von Machtmissbrauch deutlich wird.

Hexeneinmaleins als Beispiel für fehlgeleitete Entwicklung

Am Beispiel des Hexen-Einmaleins zeigt Goethe, wie dies geschieht, wie Verkehrungen grundsätzlich möglich sind, wie das Ziel der menschlichen Entwicklung gefährdet werden kann, wie Gutes an den falschen Platz gelangen kann. Es wird etwas getan, was das Gegenteil kosmischer Harmonie ist – in der alles Obere und Untere ausgewogen, jede Kraft am rechten Ort und im rechten Verhältnis wirkt – zum Wohl des Ganzen.

Es zeigt zudem die Möglichkeit, auch physiologisch-körperlich zu irren, den Stoffwechsel bewusst zu manipulieren und das Geheimnis zu durchschauen, wie Leibliches auf Seelisches und Seelisches auf Leibliches wirkt. Es zeigt das Mysterium des Bösen so, wie es mit der menschlichen Natur, dem Stoffwechsel-Blutsystem, zusammenhängt.

Das Hexen-Einmaleins beginnt mit einem Appell an die menschliche Intelligenz: „Du musst versteh'n“. Auch schwarze Magie muss gelernt werden. Intelligenz ist nicht per se gut oder wahr – erst der Zusammenhang, in dem sie wirkt und die Ziele, denen sie dient, machen sie „menschenwürdig“ oder zum Diener destruktiver Impulse. Auf den ersten Blick erleben wir ein verwirrendes Zahlenspiel, wenn die Hexe sagt:

Du mußt versteh 'n!

Aus Eins mach' Zehn,

Und Zwei laß gehn,

Und Drei mach' gleich,

So bist Du reich.

Verlier' die Vier!

Aus Fünf und Sechs,

So sagt die Hex',

Mach' Sieben und Acht,

So ist 's vollbracht:

Und Neun ist Eins,

Und Zehn ist keins.

Das ist das Hexen-Einmal-Eins!

Deutung der Zahlen des Hexeneinmaleins

· Die Zahl 10 als Zahl der Menschwerdung

Die Zahl 10 ist die sog. Tetraktys des Pythagoras, welche die Besonderheit hat, dass sie die Summe von 1+2+3+4 darstellt. Diese vier („tetra“) Zahlen sind zugleich die Zahlen der menschlichen Wesensglieder, weswegen die 10 auch immer angesehen wurde als die heilige Zahl des Menschen. Sie steht für die Menschwerdung.

· Die Zahl 4 und die vier Elemente des physischen Leibes

Die Vier steht für den vierfachen physischen Leib. Sie ist die Zahl der vier Elemente: des Festen, Flüssigen, Gasförmigen, der Wärme. Dabei hat Wärme selber keine Materie, sie ist kein Aggregatzustand, beherrscht aber die Zustände der Materie. Durch Erhitzen   ändern sich die Aggregatzustände und durch Abkühlen ebenfalls. Die Vier ist zugleich auch die Zahl der Elementarwelten

  • mit den Gnomen für den physischen Leib
  • den Undinen für den Ätherleib
  • den Sylphen für den Astralleib
  • und den Salamandern für das Ich bzw. für die Wärme.

Sie müssen alle zusammenwirken, wenn der physische Leib entstehen soll.

· Die Zahl 3 und der Ätherleib

Die Drei ist die Zahl des Ätherleibes, der dreigliedrig ist. Das Leben ist ein ständiges Ringen um Gleichgewicht, eine Prozess-Gestalt. Deswegen ist ausgleichend zwischen dem Sinnes-Nervensystem und dem Stoffwechsel-Gliedmaßen-System das rhythmische System der Herz- und Lungentätigkeit eingeschaltet: „ein wechselnd Weben, ein glühend Leben“ – wie der Erdgeist in der Osternacht zu Faust sagt.

· Die Zahl 2 und der Astralleib

Die Zwei ist die Zahl des Astralleibes. Die Polarität Yin/Yang, oben/unten, himmlisch/irdisch. „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“. Faust fühlt die Doppelnatur seines Astralleibes. Die eine, dunkle, ist inkarniert, begierdenhaft in seinem Leib – „die andre hebt gewaltsam sich vom Dust in die Gefilde hoher Ahnen“. So sagt es Faust zu Wagner am Ende des Osterspaziergangs.

· Die Zahl 1 und die Ich-Organisation

Die Eins fasst alles zusammen, sie steht für unsere Ich-Organisation.

Angriff auf die Wesensglieder

Mit diesen Zahlen wird nun in der Hexenküche gespielt.

  • „Aus Eins mach' Zehn“

Die Zahl des Ich wird zur Zahl der Menschwerdung, so weit, so gut. Ist das Ich bei Tage begeistert und durchwärmend im Gedankenorganismus tätig, so sind die Nachwirkungen aus dem Gedankenleben im Zuge des nächtlichen Regenerationsgeschehens im Nervensystem aufbauend und lebensfördernd als notwendige Stärkung, die der Mensch für sein tägliches Leben braucht.

  • Die Zwei lass geh'n.“

Mit diesem nächsten Vers erfolgt jedoch ein klarer Abschied von der höheren Seele, der ich-geführten Astralität. Der Zweifel, der Zwiespalt, dasjenige, was die Menschen auf den Weg zum Geist bringt, wird ausgeschaltet. Der Mensch soll zur rein begierdenhaften Naturkraft werden, beherrscht von den Mächten der Natur – eine Art bewusstes Elementarwesen.

  • Die Drei mach gleich.“

Hier wird dem Ätherleib sein Entwicklungspotential genommen: Genieße dein Leben, lebe es aus, mach' dir keine Gedanken, folge deinen Trieben, beende die innere Spannung in deinem Denken, Fühlen und Wollen. So bist du reich. Dann hast du alles und brauchst nach nichts mehr suchen.

  • Aus Fünf und Sechs/So sagt die Hex/Mach Sieben und Acht/So ist's vollbracht.“

Keine Entwicklung findet mehr statt.

  • Und Neun ist Eins.“

Die Zehn und die Eins, als die Repräsentanten von Ursprung und Ziel des Menschen, wurden ausgeschaltet. Die Neun wird zur Eins, nicht mehr die Zehn. Neun ist die neue Eins.

  • Und Zehn ist keins.“

Zehn und eins sind verschwunden, man hat sich vom Menschenziel verabschiedet. Die Neun ist jetzt die Eins. Was vom Menschen noch übrig ist, kocht als „Suppe“ im Kessel der Hexenküche. Es taugt noch zum Selbstgenuss, zum Erleben der Geschehnisse der Walpurgisnacht, aber nicht mehr zur selbstbestimmten Wandlung und Entwicklung. Und dann wird in der Walpurgisnacht die ganze bunte Landschaft dessen gezeigt, was übrigbleibt, wenn der Mensch die Entwicklung, die Individualisierung seines Ich verweigert.

Selbstbewusstsein angesichts des Bösen

Faust versteht nicht ganz, was da geschieht – er bleibt aber wach und sagt zu sich in dieser Situation: „Dass ich mich nur nicht selbst vergesse.“ Er denkt, noch Herr seiner selbst zu sein, bemerkt aber doch, dass er „geschoben“ wird. Und er merkt, dass es sich um eine (schwarze) Messe handelt, um dunkle Magie. Er erlebt angesichts des Bösen eine Erkraftung seines Selbstbewusstseins.

Was Goethe im Bilde der Hexenküche beschreibt und Faust erleben lässt, zeigt, was geschieht, wenn die Erkenntniskräfte und die Lebensvollzüge nicht in Harmonie miteinander sind und dadurch den Menschen körperlich oder seelisch gefährden.

Er beschreibt das Geheimnis des Merkurstabs, das sowohl das Geheimnis der Abirrungsmöglichkeiten und Kränkungen umfasst, die im Hexeneinmaleins angesprochen werden, als auch der Wirkzusammenhänge, von denen alle Gesundung ausgeht.

Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015


[1] Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil. Kap. 7, Studierzimmer, München 2014.

[2] Rudolf Steiner, Die Philosophie der Freiheit, GA 4, Dornach 1995, S. 170.

[3] Rudolf Steiner, Die soziale Grundforderung unserer Zeit in geänderter Zeitlage, GA 186, Dornach 1990, S. 74 ff.

DIE HARMONISIERENDE KRAFT DES KARMA UND DIE SCHULE RAPHAELS

Was ist unter Harmonisierung von Karma zu verstehen?

Was ist mit der Schule des Raphael gemeint?

Schicksalsbeziehungen harmonisieren dank Raphael

Je mehr Menschen beginnen, ihr Leben im Sinne des hygienischen Okkultismus als individuellen Erkenntnis- und Einweihungsweg zu begreifen, umso heilkräftiger können sie auch im Sozialen wirken. Wenn sich Schicksalsbeziehungen harmonisieren, werden sie tragfähig für heilsame Aufgaben.

Dies galt in höchstem Maße für die Schicksalsbeziehung zwischen Rudolf Steiner und seiner ärztlichen Mitarbeiterin Ita Wegman.[1],[2] So konnte sich durch ihr Zusammenwirken der Erzengel der Heilkunst, Raphael, offenbaren und dadurch das Fundament für die Anthroposophische Medizin gelegt werden. Ihr Ziel ist es, die individuelle Gesundheit im Kontext der sozialen zu fördern. Diese „Ur-Gesundheit“ wurzelt im Ich des Menschen als individuellem und sozialem Wesen, das sich und sein Schicksal erkennen möchte. Dabei ist Raphael der lehrende Begleiter.

Als Ernst Lehrs, ein Waldorflehrer der ersten Stunde und Autor des Werkes Mensch und Materie,[3] Rudolf Steiner fragte, wie man denn das Wesen Raphaels erkennen könne, antwortete dieser, der Weg zu Michael sei heute relativ leicht zu finden. Dann aber komme lange nichts – und dann erst käme man zu Raphael.

Ich habe diese Äußerung von Ernst Lehrs selber in meiner Studentenzeit erzählt bekommen. Er gehörte zu der Gruppe junger Leute, für die Rudolf Steiner den „Jugendkurs“[4]gehalten hatte, in dem die Suche nach dem Zeitgeist Michael im Zentrum stand. Ich fragte mich immer wieder:

Wollte Rudolf Steiner dem hochbegabten Mathematiker und Naturwissenschaftler damals einfach nur mit dieser Antwort erst einmal zum „Selber-Nachdenken“ bringen?

Oder war die Antwort Steiners an ihn: Du hast noch lange Zeit mit der Michael-Erkenntnis zu tun, frage nicht schon nach dem nächsten Arbeitsvorhaben?

Der lange Weg zu Raphael

Die Antwort kann aber auch einfach ganz wörtlich genommen eine schlichte Wahrheit ausdrücken: dass es ein langer Weg ist, von der gedachten und auch gefühlten Einsicht zur persönlichen Lebenserfahrung und Realisierung zu kommen.

Ist nicht der lange Weg, der vom Kopf durch das Herz in die Hand – und in den die Hand erkraftenden Stoffwechsel – führt, der Weg von Michael zu Raphael?

Das Gute kann nur gefunden werden, wenn man es tut. Solange man es nur denkt und fühlt ist es nicht da. Die Meditation von Rudolf Steiner, die er den jungen Ärzten und Medizinstudenten gab, wäre unter diesem Aspekt die zentrale Raphael-Meditation. Sie trägt den Titel: „Wie finde ich das Gute?“ [5]

In seinem Vortrag über den hygienischen Okkultismus beschreibt Rudolf Steiner das Leben selber als analog zu einem Krankheitsprozess, der fortwährend der Heilung bedarf. Er ergänzt diesen Hinweis, indem er von der Merkurweisheit der Doppelnatur des Ätherischen spricht, die sich zeigt

  • als Lebenstätigkeit und Heilkraft einerseits
  • und als denkendes Erkennen andererseits.

Der Heilkraft im Organismus entspricht die echte spirituell erleuchtete Erkenntnis: „Die dem menschlichen Organismus innewohnende Heilkraft in Erkenntnis umgewandelt, gibt eben okkulte Erkenntnisse.“[6]

Die Raphael-Schule

Als Medizinstudentin fragte ich die Onkologin und langjährige Leiterin der Lukas Klinik in Arlesheim, Rita Leroi,[7] wie man sich dem Erzengel Raphael verbinden könne. Sie antwortete: Michael ist das Antlitz Christi, Raphael seine helfende Hand. Er lebt in der Arzt-Patienten-Beziehung, „wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind“[8]. Er ist ein brüderlicher Wegbegleiter, ein Ratgeber und Helfer in jeder Not. Er verkörpert das Wesen selbstloser Hilfeleistung und den Dienst am anderen sowie am Leben selbst.

Sehr begeistert war ich dann, als ich hörte, dass mit der esoterischen Begründung der Medizinischen Sektion am Goetheanum im September 1924 auch eine „Raphael-Schule“ begründet werden sollte, die damals aber nur keimhaft veranlagt werden konnte und die es immer weiter zu entwickeln gilt. Die Hinweise Rudolf Steiners hierzu weisen einerseits in Richtung Karma-Erkenntnis als Schule des Lebens und der Entwicklung. Andererseits weisen sie Ärzten und Pharmazeuten den Weg zum Verstehen des Wesens der Substanzen und ihrer Heilwirkungen für den individuellen Menschen und für typische Krankheitsprozesse. Keimhaft und klar charakterisiert Rudolf Steiner diesen Impuls einer Raphael-Schule im sogenannten „pastoral-medizinischen Mantram“, einer wegweisenden Meditation, die er zum Abschluss des „Pastoral-Medizinischen Kurses“ für Ärzte und Seelsorger gemeinsam formuliert:

Ich werde gehen den Weg,

Der die Elemente in Geschehen löst

Und mich führt nach unten zum Vater

Der die Krankheit schickt zum Ausgleich des Karma

Und mich führt nach oben zum Geiste

Der die Seele in Irrtum zum Erwerb der Freiheit leitet

Christus führt nach unten und nach oben

Harmonisch Geistesmensch in Erdenmenschen zeugend.[9]

Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst

· Mensch und Makrokosmos – Kap. 1 bis 7

Am ausführlichsten jedoch werden wir über diese neue Schulweisheit belehrt durch die gemeinsam mit Ita Wegman erarbeiteten Ausführungen in dem Buch „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geistes-wissenschaftlichen Erkenntnissen“.[10] Die ersten sieben Kapitel sind der Gesundheit gewidmet – dem Verhältnis des gesunden   Mikrokosmos Mensch zum Makrokosmos.

Im ersten Kapitel wird das Geheimnis des Merkurstabs enthüllt: die Metamorphose der Wachstumskräfte in Gedankenkräfte.

Im zweiten Kapitel wird eingehend erläutert, wie Krankheit dadurch entstehen kann, dass der Mensch geistig seelisch tätig ist und in Einseitigkeit und Irrtum verfallen kann.

Im dritten bis fünften Kapitel werden die mikrokosmische und makrokosmische Natur der menschlichen Wesensglieder und ihrer spezifischen Kräftekonfigurationen eingeführt. Es wird aber auch in zu Herzen gehender Weise geschildert, welchen Opfergang und welches Schicksal die Welt der irdisch gewordenen Substanzen dabei erfährt. Und wie dieser Opfergang der Substanzen seine Erlösung und Erfüllung findet, wenn die Substanz im   Menschen „geisttragend“ werden kann. Wenn „geistgetragene Menschenseelen“ diesem Opfer zum Segen werden.

Im sechsten Kapitel wird dann das embryonale Bildegeschehen des menschlichen Körpers so dargestellt, dass man die physiologischen Prozesse des Wesensgliederwirkens denken lernen und sich für die verschiedenen Organbildungen anschaulich machen kann.

Im siebten Kapitel wird der entwicklungsoffene, in sich nicht abgeschlossene gesunde Gesamtorganismus geschildert und daran das Prinzip der Selbstkränkung und das Wesen der Selbstheilungskräfte verdeutlicht.

· Ursachen für Stoffwechselerkrankungen – Kap. 8 bis 12

Die Kapitel acht bis zwölf dienen der Beschreibung der fünf zentralen Ursachen der Entstehung von Erkrankungen des Stoffwechsels. Diese werden anhand der Wirkweise von Zucker, Eiweiß, Fett, Harnsäure und Wärme anschaulich gemacht. Dabei werden auch die diese Stoffwechselprozesse regulierenden Wesensglieder in ihrem leiblich-seelischen Wirken anschaulich.

· Therapie-Kapitel – Kap. 13 bis 18

Es folgen fünf Therapie-Kapitel, in denen die therapeutische Regulierung des Verhältnisses zwischen Ätherleib und Astralleib im Mittelpunkt steht, dann die regulierende Kraft der Ich-Organisation, dann die mögliche Schwächung der physisch-ätherischen Konstitution im Laufe des Älterwerdens, das Prinzip der Arzneimittelfindung und die Einführung in das Wesen der Substanzerkenntnis als Grundlage der Heilmittel-Erkenntnis.

· Das Wirkprinzip der Heileurythmie – Kap. 19 bis 21

Die letzten drei Kapitel des Buches sind dem Wirkprinzip der Heileurythmie gewidmet, einem Einblick in die Praxis der Anthroposophischen Medizin anhand von neun individuellen Krankheitsfällen, so wie dem Einsatz von typischen Arzneimitteln, die bestimmten typischen Erkrankungen angepasst sind.

Dies ist ein grundlegender Lehrgang, der – wie es Ita Wegman in ihrem damals nicht veröffentlichten Vorwort zu diesem Buch schreibt – jeden Arzt in die Lage versetzt, selbst die Krankheiten geistig anzuschauen, wenn er bereit ist, das „ganz richtige Lesen dieses Buches“ zu üben.

Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015


[1] J. Emanuel Zeylmans van Emmichoven, Die Erkraftung des Herzens: Eine Mysterienschulung der Gegenwart. Rudolf Steiners Anleitungen für Ita Wegman, Arlesheim 2009.

[2] Margarete und Erich Kirchner-Bockholt, Die Menschheitsaufgabe Rudolf Steiners und Ita Wegman. Dornach 1981.

[3] Ernst Lehrs, Mensch und Materie. Ein Beitrag zur Erweiterung der Naturerkenntnis nach der Methode Goethes, Frankfurt am Main 1987.

[4] Rudolf Steiner, Geistige Wirkenskräfte im Zusammenleben von alter und junger Generation. Pädagogischer Jugendkurs, GA 217, Dornach 1988.

[5] Siehe auch Peter Selg, Die «Wärme-Meditation»: Geschichtlicher Hintergrund und ideelle Beziehungen, Dornach 2005.

[6] Rudolf Steiner, Die soziale Grundforderung unserer Zeit In geänderter Zeitlage, GA 186, Dornach 1990, S. 75.

[7] Silke Helwig, ‚Es geht um mein Leben': Zum 100. Geburtstag von Rita Leroi, Basel 2013.

[8] Neues Testament, Matthäus 18,20.

[9] Rudolf Steiner, Das Zusammenwirken von Ärzten und Seelsorgern. Pastoral-Medizinischer Kurs, GA 318, Dornach 1994, GA 318.

[10] Rudolf Steiner, Ita Wegman, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen, GA 27, Dornach 1991.

RAPHAEL ALS SUBSTANZVERWANDLER

Was ist unter Substanzverwandlung zu verstehen?

Welches Opfer bringt die Substanz auf Erden?

Wie kann sie im Menschen wieder vergeistigt werden?

Der Weg der Substanz

Die mineralischen Substanzen sind auf Erden ihrer ursprünglich geistigen Heimat, in der sie noch Wesensoffenbarungen waren, vollkommen entfremdet. Rudolf Steiner sagt nun, dass die im Menschen geisttragend gewordene Substanz sich wiederum ihrer physischen Natur entfremdet hat. D.h. wenn wir uns ernähren, darf die entfremdete, physisch gewordene, aus dem Entwicklungsprozess herausgefallene, gekochte, zerstörte Nahrungssubstanz sich wieder auf den Weg zur geistigen Heimat zurückbegeben. Jedes gesunde Nahrungsmittel, jedes gesundende Arzneimittel, das auf den Weg des Menschen gebracht wird, erlöst die von Gott entfremdete Natur und bringt sie ihrem Ursprung wieder nahe.

Das gilt es in seiner Tragweite zu begreifen: Die Selbstlosigkeit der Substanz äußert sich darin, dass sie sich vollkommen entäußern kann – allen Wesen das sinnliche „geistentfremdete“ Dasein ermöglichend, das sie zum Erlebnis der Freiheit führt.

Substanz im Dienste Raphaels

Die Substanz, die sich den Weltgesetzen und jeder menschlichen Individualität zur Verfügung stellt, wird zu unserem Wesen. Sie entfremdet den Menschen nicht von sich selbst, sondern tritt in seinen Dienst. Rudolf Steiner war es wichtig, dass wir begreifen, dass diese Selbstlosigkeit der Substanz und ihre Rolle in der Natur, das Rhythmische des Sich-Materialisierens und Wieder-Vergeistigens, Raphaels Dienst an unserer Entwicklung ist.

  • Erzengel Michael ist der leuchtende Gedankenfürst
  • Erzengel Raphael der dienende Substanzverwandler

Beide dienen der Entwicklung, sind Diener des Christus, des schöpferischen Logos.

  • Wo Michael führend ist, hält sich der Mensch gesund durch gesundes Denken und eine gesunde Lebensführung, gesunde Lebensregeln und Grundsätze. Das ist das Prinzip der Salutogenese, der Erziehung und Selbsterziehung, der Selbstentwicklung, der Prävention.
  • Raphael wird gerade da heilend wirksam, wo der Mensch aus dem gesunden Entwicklungsgeschehen – aus welchen Gründen auch immer – für eine gewisse Zeit herausgefallen ist.

Vgl. Vortrag „Vom Zusammenwirken der Erzengel Michael und Raphael“ an der JK 2017

RAPHAELS WIRKEN ALS OSTERIMAGINATION

Was zeigt die Osterimagination?

Was sagt sie aus über Raphael?

Der Mensch muss Harmonie selbst herstellen

In umfassender Weise beschreibt Rudolf Steiner im Herbst 1923 das Wirken Raphael-Merkurs in der Osterimagination.[1] Er stellt dar, wie der Jahreskreislauf Urbild jedes Heilungsvorgangs ist. Was in einer Jahreszeit als Einseitigkeit und damit als Möglichkeit der Kränkung entsteht, wird durch eine andere ausgeglichen. Er zeigt auf, wie in den Elementen

  • des Festen und Flüssigen die ahrimanischen Gewalten wirksam sind
  • und die luziferischen in Luft und Wärme.

Er macht deutlich, wie die vatergöttliche Naturordnung immer wieder neu Harmonie, den gesunden Ausgleich schafft. Im Menschen aber ist diese ausgleichschaffende Naturordnung nur in der naturgegebenen Körperlichkeit wirksam. Da die Wesensglieder „inkarniert“ sind, werden die „Teufel“, die in der Natur einseitig wirkenden luziferischen und ahrimanischen Gewalten, im unbewusst wirkenden Teil der menschlichen Natur ausgeglichen.

Im bewussten Gedanken-, Willens- und Gefühlsleben jedoch, wo die Wesensglieder „exkarniert“, d.h. außerkörperlich wirksam sind und vom Menschen selber gelenkt werden müssen, ist der Mensch in die Eigenverantwortung entlassen und damit in jede mögliche Einseitigkeit hinein verführbar. Diese Einseitigkeiten können sich fixieren und den Ausgleich behindern. Der Mensch ist darauf angewiesen, bewusst die Harmonie herstellen zu lernen und die Tatsache seiner vielfältigen Irrtumsmöglichkeiten zu bejahen.

Christus, das heilende Prinzip

Dabei ist Christus der große Helfer. Christus lebt als der dem Menschen verbundene „Herr der Elemente“ und als der „Herr des Karmas“, der „das Buch des Lebens“ führt, in dem jedes „strebende Bemühen“ verzeichnet ist. Er richtet nicht, sondern hilft und „rettet“. Dabei ist Raphael als „christlicher Merkur“ sein Bote, der die in diesem Sinne arbeitende Gemeinschaft der Ärzte und Therapeuten inspiriert:

Aber jetzt, wo der Mensch in die Freiheit aufgerückt ist, jetzt soll er gerade unter dem Einfluss seiner Freiheit dieses Bedrohliche aus der Welt schaffen, dass ihn Ahriman an die Erdenverhältnisse kettet. Dieses Bedrohliche steht als eine Perspektive der Zukunft vor ihm. Und da sehen wir denn, wie ein Objektives in der Erdenentwickelung geschehen ist: das Mysterium von Golgatha.

Das Mysterium von Golgatha ist nicht als einmaliges Ereignis bloß geschehen. Wohl musste es sich als einmaliges Ereignis hinstellen in das Erdengeschehen, aber es wird dieses Ereignis, dieses Mysterium von Golgatha, jedes Jahr in einer gewissen Weise für den Menschen erneuert. Wer ein Gefühl dafür entwickelt, wie da oben das Luziferische im Kohlensäuredampf ersticken will die physische Menschheit, wie da unten das Ahrimanische im astralischen Regen die ganze Erde so beleben will in ihren Kalkmassen, dass der Mensch sich in ihr zunächst sklerotisiert, auflöst, wer das durchschaut, für den ersteht zwischen dem Luziferischen und dem Ahrimanischen die Gestalt des Christus, die Gestalt des sich von der Materie befreienden Christus, der den Ahriman zu seinen Füßen hat, sich heraus entwickelt aus dem Ahrimanischen, nicht berücksichtigend das Ahrimanische, es überwindend, wie es hier [im Goetheanum, Anm. MG] malerisch und plastisch dargestellt worden ist. Und er sieht diesen Christus, wie er auf der anderen Seite überwindet, was nur eben das Obere des Menschen wegziehen will von der Erde. Es erscheint der Kopf jener Gestalt, die über den Ahriman siegt, es erscheint der Christus-Kopf in einer solchen Physiognomie, in einem solchen Blick, in einer solchen Antlitzgebärde, dass dieser Blick, diese Antlitzgebärde abgerungen ist den verflüchtigenden Kräften des Luzifer. Hereingezogen die luziferische Gewalt in das Irdische, hineingestellt in das Irdische, das ist die Gestalt des Christus, wie er jedes Jahr im Frühling erscheint, wie wir ihn uns vorstellen müssen: Stehend auf dem Irdischen, das zum Ahrimanischen gemacht werden soll, siegend über den Tod, auferstehend aus dem Grab, sich hinauferhebend als Auferstandener zur Verklärung, zur Verklärung, die da kommt durch das Hinüberführen des Luziferischen in die irdische Schönheit des Christus-Antlitzes.

Und so erscheint zwischen dem Ahrimanischen und dem Luziferischen der in seiner Auferstehungsgestalt sich vor das Auge rückende Christus als die Ostererscheinung, die Ostererscheinung, die sich so hinstellt vor den Menschen: Der auferstandene Christus, oben überschwebt von luziferischen Gewalten, unten gegründet auf ahrimanische Gewalten.

(...)

Der Mensch und Raphael

Aber es wird in irgendeiner Form noch eine Ergänzung nötig, wenn man die ganze Sache auffasst. Denn alles das, was da geschaut werden kann als das drohende Luziferische, als das drohende Ahrimanische, das ist ja das innere Wesen der Naturkräfte, das ist das, wohin die Naturkräfte tendieren wollen in der Frühlingszeit gegen den Sommer zu, und dem sich gesundend entgegenstellt das heilende Prinzip, das vom Christus ausstrahlt. Aber ein lebendiges Gefühl von alledem wird man erlangen, wenn, nachdem das Ganze architektonisch und plastisch geworden ist und in der Architektur und Plastik dasteht, was ich beschrieben habe, wenn dann in der Zukunft auch noch einmal die Möglichkeit herbeigeführt werden kann, ein Lebendig-Dramatisches vor dieses Plastische hinzustellen gerade zur Osterzeit, ein Lebendig-Dramatisches, in dem namentlich zwei Hauptpersonen sein würden: der Mensch und Raphael. Es müsste sich als eine Art Mysterienspiel gerade innerhalb dieser Plastik und innerhalb dieses Architektonischen abspielen ein Mysterienspiel, Hauptpersonen der Mensch und Raphael, Raphael mit dem Merkurstab, Raphael mit alledem, was sich an den Merkurstab anknüpft. Im Lebendig-Künstlerischen ist alles, alles fordernd, und es gibt im Grunde genommen keine Plastik und keine Architektur, die nicht, wenn sie in ihrem Inneren kosmische Wahrheit ist, fordern würde dasjenige, was künstlerisch drinnen geschieht in einem Raum, der diese Architektur, diese Plastik hat.

Raphael und der Osterkultus

Und zur Osterzeit würde diese Architektur, diese Plastik, ein Mysterienspiel fordern: der Mensch, belehrt von Raphael, inwiefern die ahrimanischen und luziferischen Kräfte den Menschen krankmachen, und inwiefern man durch die Raphael-Gewalt angeleitet werden kann, das heilende Prinzip, die große Weltentherapie, die im Christus-Prinzip lebt, zu durchschauen, zu erkennen. Und wenn dies alles ganz gemacht werden könntedenn auf das alles war das Goetheanum veranlagt, dann würde zum Beispiel unter vielem andern dieses stehen, dass alles, was aus den ahrimanischen und luziferischen Geheimnissen in den Menschen hineinfließen kann, eine gewisse Krönung gerade zur Osterzeit erführe.

(...)

Der Weltenheiland wird gefühlt, derjenige, der das große Übel der Erde als Heiland heben wollte, er wird gefühlt. Denn er war ja, wie ich schon öfter dargestellt habe, der große Therapeut der Menschheitsentwickelung. Das wird gefühlt, und ihm wird geopfert mit allem, was man an Weisheit haben kann über Heilwirkungen. Es würde sich das hineingliedern in das Ostergeheimnis, in den Osterkult, indem man in Wirklichkeit gerade diesen Osterkult in dieser Weise so vollbringen würde, so begehen würde, dass er sich in ganz selbstverständlicher Weise in den Jahreslauf einfügte.

(...)

Alles das, was, ich möchte sagen, unter der Einwirkung des großen Lehrmeisters Raphael, der eigentlich in christlicher Terminologie der Merkur ist, der im christlichen Gebrauche den Merkurstab zu tragen hat, alles das, was unter dem großen Lehrmeister Raphael auf diesem Gebiete gelernt werden kann, das kann nur seine würdige Krönung dadurch erlangen, dass es hineingeheimnisst wird in den Osterkultus, der vieles noch umfassen kann, wie ich Ihnen in einer folgenden Betrachtung darstellen werde.“[2]

Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015


[1] Rudolf Steiner, Das Miterleben des Jahreslaufes in vier kosmischen Imaginationen. Vortrag vom 7. Oktober 1923, GA 229, Dornach 1999.

[2] Rudolf Steiner, Das Miterleben des Jahreslaufes in vier kosmischen Imaginationen. Vortrag vom 7. Oktober 1923, GA 229, Dornach 1999, S. 50 ff.