Herzlich Willkommen!
Gefühle und Fühlen: Unterschied zwischen den Versionen
Admin (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: „= Gefühle und Fühlen – von Michaela Glöckler = Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/“) |
(Übertragen von Inhalten von Anthroposophie-lebensnah) |
||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
= Gefühle und Fühlen – von Michaela Glöckler = | = Gefühle und Fühlen – von Michaela Glöckler = | ||
Auszüge aus Büchern und Vorträgen von [[Michaela Glöckler]]; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/ | Auszüge aus Büchern und Vorträgen von [[Michaela Glöckler]]; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/ | ||
== GEFÜHL UND WAHRNEHMUNG == | |||
''Wie hängen Wahrnehmung und Gefühl zusammen?'' | |||
=== ''Von der Sinnesempfindung zum Gefühl'' === | |||
Alles, was von außen an den Menschen herankommt, trifft zuerst auf seine Sinne. An dieses Sinneserlebnis schließt das Denken sekundär an durch das Bilden von Vorstellungen, die ermöglichen, dass das Wahrgenommene erinnert wird. Der Übergang von der Sinnesempfindung zum Gefühl kann nur bei sehr genauer Selbstbeobachtung festgestellt werden. Der Sinneseindruck von außen rührt als Sinnesempfindung an das Gefühl und lebt dort weiter, während das Sinneserlebnis, das die Empfindung ausgelöst hat, bereits ein Ende gefunden hat. | |||
So kann z.B. die Erinnerung an eine liebevolle Umarmung zum Abschied über Jahre hin das Gefühl des Geliebt-Werdens und der Geborgenheit immer wieder neu hervorrufen. Es hängt ganz von dem betreffenden Menschen ab, wie ein solches Ereignis in seinem Gefühlsleben fortwirkt – ob es dem Bewusstsein wieder entschwindet oder eine bleibende seelische Kraft wird, die jederzeit wieder in das innere Erleben zurückgerufen werden kann. Sinneswahrnehmung und Denken ''bzw. Erinnern'' sind die Grenzen, an denen das Gefühlsleben erwacht und sich seiner selbst bewusstwird. | |||
=== ''Gefühle als Wahrnehmungsorgane'' === | |||
Gefühle – sind sie einmal geweckt – können zu Wahrnehmungsorganen der Seele werden. Denn ein Gefühl, das man aufgrund einer bestimmten Erfahrung entwickelt hat, macht einen sensibel für Gefühlszustände derselben Art bei einem anderen Menschen. Was ich erlebt habe, macht mich verständnisvoll für entsprechende Erfahrungen und Erlebnisse anderer Menschen. Aus dem eben Ausgeführten geht hervor, dass der Mensch die Wahrnehmung seiner selbst der Sinnestätigkeit, bzw. der Art und Weise, wie er gelernt hat, seine Sinne zu gebrauchen, verdankt. | |||
So sind Wahrnehmungsschwächen und Mangel an Mitgefühl immer auch Zeichen, dass bestimmte Erlebnisse und Erfahrungen noch nicht gemacht werden konnten. Wer unter diesem Gesichtspunkt das Leben der Kinder heute anschaut, wie vieles sie nicht mehr ungestört erleben können, oder wie sehr das Sinneserlebnis bzw. die Zusammenarbeit der Sinne gestört werden, z.B. durch Medienkonsum, den wundert es nicht, dass immer mehr Beeinträchtigungen in der Selbst- und Umweltwahrnehmung auftreten. Auch wird dadurch verständlich, wie schwer es für den Menschen heute ist, die eigene Existenz als sinnerfüllt zu erleben. | |||
Seiner Natur nach ist der Mensch ein ewiges Wesen, integrationsfähig, frei, in sich ruhend, sympathie- und antipathie-begabt. Er kann schmecken, ist voller Wärme und Licht, verfügt über Innigkeit und eine eigene Individualität. Er ist fähig, sich als sinnvoll eingebettet in den Weltzusammenhang erleben. Durch die vielfältigen Sinneserfahrungen, die wir mithilfe unseres Leibes machen können, werden wir uns auch unserer geistig-seelischen Natur bewusst, d.h. an der Sinneswelt lernen wir, die Sinnhaftigkeit unseres eigenen Daseins zu erkennen und unser Leben konstruktiv und entwicklungsorientiert zu handhaben. | |||
''Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 2. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997'' | |||
== GEFÜHL IM SPANNUNGSFELD VON SINNESERFAHRUNG UND DENKEN == | |||
''Inwiefern ist unser Gefühlsleben einem Spannungsfeld ausgesetzt?'' | |||
''Wie können wir konstruktiv damit umgehen?'' | |||
=== ''Von gegensätzlichen Polen geprägt'' === | |||
Das Gefühlsleben empfängt seine bewusste Prägung und Differenzierung über die Sinnesorgane und über das Denken. Im Spannungsfeld dieser beiden Formen des Selbsterlebens erwacht die individuelle Persönlichkeit. Die Welt beeindruckt den Menschen über die Sinne als etwas Objektives, durch das Fühlen werden diese Eindrücke zu etwas Persönlichem. Auch klare, überindividuell gültige Gedanken werden erst durch das Gefühl persönlich bedeutsam, indem sie von verschiedenen Menschen unterschiedlich gewichtet werden – was für den einen von großer Bedeutung ist, ist für den anderen unwichtig oder bleibt unbeachtet. Nur über das Gefühl können wir einen persönlichen Sinnbezug zur Welt herstellen. | |||
Und so ist es berechtigt, das Gefühl als das Zentrum der Persönlichkeit anzusehen. Das erklärt auch, warum die Angst vor Gefühlen oder vor dem Zeigen von Gefühlen noch immer weit verbreitet ist. Man scheut sich, sich so persönlich zu zeigen. Es ist leichter, Gefühle zu unterdrücken oder zu verdrängen, als sie ernst zu nehmen, sie zu fühlen und anderen zu zeigen. Doch erst dadurch kommen wir in die Lage, bewusst daran zu arbeiten. Und darum geht es heute. | |||
=== ''Nötige Anerkennung der Gefühle'' === | |||
Die Zeit ist vorbei, in der man Gefühle ausklammern bzw. über das Persönliche anderer Menschen einfach hinweggehen konnte. Das berufliche und das private Leben verlangen es immer mehr, dass nicht nur die Arbeitsleistung Anerkennung findet, sondern auch der Mensch selber, seine Persönlichkeit mit ihren Stärken und Schwächen. Darauf sind wir kulturell jedoch schlecht vorbereitet. Wo man nur hinschaut, mangelt es an sozialer Wahrnehmung, an Mitgefühl und an „Sensibilität“ für das, was wirklich gebraucht wird. Es erfordert echtes Interesse am Menschen und die Bereitschaft, mit dem anderen mitzufühlen, um seine Lage verstehen zu können und ihm dadurch zu helfen, den für ihn sinnvollen Platz im Leben zu finden. | |||
Es gibt eine Vielzahl spezieller Therapieverfahren, die Menschen dabei unterstützen, ihr Gefühlsleben zu entdecken und zu aktivieren: Körpertherapie, Sensitivity-Training, Massagetechniken, Gestalttherapie, Bioenergetik, Primärtherapie und nicht zuletzt die künstlerischen Therapien.[1] Die wachsende Zahl an Therapiemöglichkeiten macht deutlich, dass wir Menschen uns des Mangels an Gefühlskultur und -erziehung bewusst geworden sind, ''und wir versuchen nun mithilfe von Therapie dieses Defizit auszugleichen.'' | |||
=== ''Gefühle als Voraussetzung für Lernprozesse'' === | |||
In der gegenwärtigen Erziehungspraxis liegt der Schwerpunkt weltweit immer noch auf dem „Beibringen von Wissen“. Einerseits wird eine bestimmte Art des Denkens gefördert, intelligente Leistungen und das Wiedergeben von Informationen werden einseitig benotet. Als Ausgleich werden in reichem Maße sportliche Aktivitäten angeboten und damit der Pol der körperlichen Aktivität angesprochen. Doch das Zentrum der menschlichen Persönlichkeit, das Gefühlsleben, wird vernachlässigt. Das ist umso unverständlicher, als man aus der Lernpsychologie weiß, dass Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene dasjenige am besten lernen und behalten, wofür sie sich wirklich interessieren und auch begeistern. Was man ohne Gefühlsbeteiligung lernt, wird entweder gar nicht erst behalten oder rasch wieder vergessen. Das Gewinnen nachhaltiger Erkenntnisse wie auch das Erinnerungsvermögen sind in hohem Maß abhängig davon, wofür wir uns gefühlsmäßig „erwärmen“. | |||
Diese fundamentale Tatsache wird auch von Rudolf Steiner in seinem Schulungsbuch „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“[2] von den verschiedensten Seiten beleuchtet und angesprochen. So lesen wir schon im ersten Kapitel mit der Überschrift „Bedingungen“, welch zentrale Bedeutung dem Gefühlsleben für die höhere Erkenntnis geistiger Zusammenhänge zukommt. | |||
=== ''Gefühl und höhere Erkenntnis'' === | |||
''„Es wird dem Menschen anfangs nicht leicht, zu glauben, dass Gefühle wie Ehrerbietung, Achtung usw. etwas mit seiner Erkenntnis zu tun haben. Dies rührt davon her, dass man geneigt ist, die Erkenntnis als eine Fähigkeit für sich hinzustellen, die mit dem in keiner Verbindung steht, was sonst in der Seele vorgeht. Man bedenkt dabei aber nicht, dass die Seele es ist, welche erkennt. Und für die Seele sind Gefühle das, was für den Leib die Stoffe sind, welche seine Nahrung ausmachen. Wenn man dem Leib Steine statt Brot gibt, so erstirbt seine Tätigkeit. Ähnlich ist es mit der Seele. Für sie sind Verehrung, Achtung, Devotion nährende Stoffe, die sie gesund, kräftig machen; vor allem kräftig zur Tätigkeit des Erkennens. Missachtung, Antipathie, Unterschätzung des Anerkennenswerten bewirken Lähmung und Ersterben der erkennenden Tätigkeit. [...] Erst was wir im Innern erleben, gibt uns den Schlüssel zu den Schönheiten der Außenwelt. Der eine fährt über das Meer, und nur wenig innere Erlebnisse ziehen durch seine Seele; der andere empfindet dabei die ewige Sprache des Weltengeistes; ihm enthüllen sich geheime Rätsel der Schöpfung. Man muss gelernt haben, mit seinen eigenen Gefühlen, Vorstellungen umzugehen, wenn man ein inhaltsvolles Verhältnis zur Außenwelt entwickeln will. Die Außenwelt ist in all ihren Erscheinungen erfüllt von göttlicher Herrlichkeit; aber man muss das Göttliche erst in seiner Seele selbst erlebt haben, wenn man es in der Umgebung finden will.''“ [3] | |||
Die Schulung des Gefühlslebens über die verschiedenen Sinnestätigkeiten und das Erarbeiten gedanklicher Zusammenhänge, deren Sinnhaftigkeit man über das Gefühl erlebt, ''kann als Vorbereitung dienen'' für eine bewusste seelische Schulung, bei der Gefühlskultur und Persönlichkeitsentwicklung Hand in Hand gehen. | |||
=== ''Suche nach dem verlorenen Paradies'' === | |||
''Alice Miller'' hat in ihrem Buch ''„Das Drama des begabten Kindes“'''[4]''''' dargestellt, wie viele Menschen im späteren Leben daran kranken, dass sie in der Kindheit ihre eigenen Gefühle nicht äußern, leben und bejahen durften. Es war ihnen verwehrt, auf dieser Grundlage ein ehrliches und starkes Selbstwertgefühl zu entwickeln. Um es den Erwachsenen recht zu machen und sich an deren Bedürfnisse anzupassen, mussten sie vieles verdrängen, was sie dann im späteren Leben suchten. | |||
Miller sehnte sich schon als Kind | |||
* angenommen zu werden, wie sie war, | |||
* ihre Gefühle und Reaktionen spontan und ehrlich zeigen zu dürfen, | |||
* keine Angst zu haben, deswegen von ihrem Umfeld abgelehnt oder lächerlich gemacht zu werden. | |||
So erging und ergeht es vielen Menschen. Im späteren Leben werden dann Freunde, Lebenspartner oder die eigenen Kinder Opfer einer Suche nach ''„dem verlorenen Paradies“:'' Von ihnen wird nun erwartet, dass sie das geben können, was man selbst in der frühen Kindheit vermisst hat. Auch wenn Alice Miller als psychoanalytisch geschulte Psychotherapeutin die Bedeutung des Denkens für die seelische Entwicklung unterschätzt und die spirituelle Dimension der Entwicklung nicht einbezieht, ist es doch ihr Verdienst, Millionen von Menschen auf die zentrale Stellung des Gefühls für die Persönlichkeitsentwicklung aufmerksam gemacht zu haben. | |||
=== ''Erziehung in einem repressiven System'' === | |||
In diesem Zusammenhang sei auch auf die Bücher von ''Hans-Joachim Maaz'' hingewiesen, der die Folgen des repressiven Systems der ehemaligen DDR mit ihren verheerenden Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Erwachsenen beschreibt. In seinem ''„Psychogramm der DDR“'' sagt er: | |||
''„Die wesentlichen Gefühlsqualitäten (Angst bei Bedrohung der Befriedigung und bei Befriedigungsstau, Wut bei der Behinderung der Befriedigung, Schmerz bei Mangel an Befriedigung, Trauer bei Verlust der Befriedigungsquelle und Lust bei erfolgter Befriedigung) waren allesamt tabuisiert [...] Die Erziehungsmittel gegen Angst waren Beschämung und Forderung, gegen Wut wurden moralische Erschütterung oder autoritäre Gewalt und Strafen eingesetzt, bei Schmerz waren vor allem Ablenkung und billiger Trost probate Mittel, und Trauer wurde meist durch schnellen Ersatz, durch Orientierung auf neue Möglichkeiten, vermieden. Auch hier waren sich Eltern, Schule und Staat einig: Das Kind hatte sich anzupassen, zu gehorchen, ruhig und gefügig zu sein. Die gefühlsunterdrückende Erziehung konnte man auf jedem Kinderspielplatz, in jedem Eisenbahnabteil, in jeder Schulklasse beobachten. Die Erwachsenen reagierten entnervt auf Gefühlsäußerungen, sie ermahnten, beruhigten, sprachen Verbote aus oder verteilten drohende Klapse. Eine Bejahung und Förderung des Gefühls war so gut wie unbekannt. [...] So beherrschten unterdrückte und abgespaltene Gefühle das Leben unserer Kinder, machten sie blass und gehemmt und mitunter, scheinbar zusammenhanglos, aggressiv-unruhig, gereizt oder still-depressiv und kontaktscheu.“'''[5]''''' | |||
=== ''Gefühle bestimmen über das soziale Miteinander'' === | |||
Gefühle sind die stärksten Kräfte der Persönlichkeit, aber auch die verletzlichsten. Sie stehen im Zentrum menschlicher Beziehungen. Über sie kann in großem Ausmaß Einfluss auf andere genommen und Abhängigkeit erzeugt werden. Daher ist das Umgehen-Lernen mit dem eigenen Gefühlsleben und mit den Wirkungen, die es auf andere Menschen haben kann, ausschlaggebend für die heranreifende Persönlichkeit und ihre „Ausstrahlung“. | |||
Das Gefühlsleben bestimmt die Art und Weise, wie das Beziehungsnetz der Menschen untereinander geknüpft wird und trägt. Es schützt uns davor, unseren Mitmenschen zu schaden und ihnen Destruktives anzutun. Ein Mangel an Mitgefühl bringt den Menschen in Gefahr, seine Intelligenz zu missbrauchen und nicht zum Wohle seiner Umgebung einzusetzen. Denken und Handeln werden erst durch Mitgefühl „menschlich“. So ist auch zu verstehen, warum wir immer wieder so viel Brutalität erleben. Denn unserer Kultur mangelt es nicht an Intelligenz und „Aktion“ – sondern an der Ausbildung und Pflege eines gesunden Gefühlslebens. | |||
''Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 2. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997'' | |||
----[1] Vgl. hierzu M. Treichler, ''Mensch - Kunst – Therapie,'' Urachhaus, Stuttgart 1996. | |||
[2] Rudolf Steiner, ''Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?,'' GA 10 | |||
[3] Ebenda, Erscheinungsjahr, S. 25f. | |||
[4] Alice Miller, ''Das Drama des begabten Kindes und die Suche nach dem wahren Selbst.'' Frankfurt a. M. 1995. | |||
[5] H.-J. Maaz, ''Der Gefühlsstau,'' Argon 1990. | |||
== ANREGUNG DER GEFÜHLE DURCH SINNESSCHULUNG == | |||
''Wie und wodurch kann das Gefühlsleben angeregt werden?'' | |||
=== ''Gefühlsmeditation mit Hilfe von Sinneswahrnehmung'' === | |||
Die vielfältigen Sinnesempfindungen, die über die Sinnesorgane vermittelt werden, können anregend auf das Gefühlsleben wirken: Sie sind jedoch zart und flüchtig und werden uns nur bewusst, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf sie richten. Dann kann eine Sinnesempfindung das ihr entsprechende Gefühl wecken. | |||
Eine kleine Übung möge dies verdeutlichen: | |||
==== 1. Schritt – einlassen auf Sinneseindruck ==== | |||
Man kann einen Strauß Sonnenblumen so betrachten, dass man zunächst einmal seine ganze Aufmerksamkeit auf das Gelb der Blüten richtet und sein warmes strahlendes Leuchten ganz auf sich wirken lässt. Diese Wahrnehmung löst ein Empfinden von Wärme und Helligkeit in der Seele aus. Anders ist es beim matten, moosartig-samtigen Grün der Blätter. Die Empfindung, die hier wach wird, hat etwas Stilles, zur Ruhe Bringendes, Ausgleichendes. | |||
Es fällt heute sehr vielen Menschen schwer, sich angesichts der permanenten Reizüberflutung in Ruhe auf bestimmte Sinneseindrücke einzulassen. Entschließt man sich jedoch dazu, so kann man deutlich spüren, wie das Empfinden dessen, was man wahrnimmt, unmittelbar Nahrung ist für das in der Alltagshetze oft übergangene Gefühlsleben. | |||
==== 2. Schritt – Empfindungen mit starkem Gefühl verbinden ==== | |||
Nimmt man nun dieses anregende Gelb und beruhigende Grün wahr, kann man die Augen schließen und versuchen, die entstandenen Empfindungen mit einem starken Gefühl zu verbinden – die flüchtige Sinnesempfindung hat nun ein Gefühl geweckt, das unabhängig vom Sinneseindruck in der Seele festgehalten werden kann. | |||
Übungen wie diese können helfen, die eigenen Gefühlsstimmungen positiv zu beeinflussen und negative Seelenstimmungen wie Langeweile, Lustlosigkeit, Unruhe oder Ängstlichkeit zu überschreiben mit hellen, ruhigen Seelenstimmungen. Das ist bereits eine Gefühlsmeditation mit Hilfe einer Sinneswahrnehmung. | |||
=== ''Reichtum des Gefühlslebens erschließen'' === | |||
Der Sinn solcher Meditationen liegt darin, sich der Quellen und des Reichtums der Gefühle wieder bewusst zu werden. Gleichzeitig lernt der Übende, zarte Gefühle in sich zu verstärken und starke Gefühle abzuschwächen, indem man andere, Ausgleich schaffende Gefühle weckt. Friedrich Rittelmeyer nennt diesen bewussten Umgang mit Gefühlen in seinem Buch „Meditationen“[1] das Sich-Erarbeiten einer „seelischen Hausapotheke“, in der man sich immer besser auskennen lernt. Je nach Situation kann man in sich das wachrufen, was man als Gefühlsstimmung und unterstützende Kraft benötigt. | |||
Es gehört zu den Eigentümlichkeiten des Gefühlslebens, dass es „schlafen“ kann. Es kann aber augenblicklich geweckt werden und so viel „Raum“ in der Seele einnehmen, dass sie ganz davon erfüllt ist. Daher spricht man auch vom „Ruhenlassen“, vom „Verdrängen“ oder „Untertauchen“ von Gefühlen. Sie sind potentiell immer vorhanden und machen einen großen Teil des unbewussten Seelenlebens aus. Wenn schlafende Gefühle durch einen Eindruck von außen geweckt werden, sind wir manchmal sehr erstaunt, zu welchen Gefühlen wir fähig sind: Wir können reinste Freude und Helligkeit oder Eifersucht, Zorn und Hass in der Seele erleben mit einer Intensität, die wir uns nicht zugetraut hätten. Wenn wir uns diesen Gefühlen überlassen, können sie uns mitreißen, uns erheben und beglücken oder aber umtreiben und verfolgen. | |||
=== ''Körperliche Grundlage von Gefühlen und Emotionen'' === | |||
Damit stoßen wir auf eine weitere Eigentümlichkeit des Gefühlslebens: | |||
* Es ist zum einen der allerpersönlichste Bereich in uns, | |||
* zum anderen müssen wir uns auf diesem Gebiet auch mit Emotionen auseinandersetzen, die uns als etwas „Fremdes“ vorkommen können. | |||
Unsere Emotionen werden von elementaren Wünschen und Begierden angefacht, die den Funktionsabläufen des Organismus entspringen. Ist doch der ganze Leib „beseelt“. Nicht nur der „Trieb“ mit allem, was an Spannung und Sehnsucht durch ihn bewusstwerden kann, sondern auch das „Begehren“ der anderen Organsysteme macht den Reichtum dieser unbewussten Welt der Emotionen aus: | |||
* ''Mut, Herzlichkeit'' und das Gefühl von Frische stützen sich auf unsere '''Herzfunktion'''. | |||
* Das ''Erspüren'' ''weisheitsvoller Zusammenhänge'' geschieht mithilfe der '''Lebertätigkeit'''. | |||
* Die ''Spannungs- und Lösungsdynamik des Gefühlsleben''s stützt sich auf die Konzentrations- und Verdünnungsleistung der '''Nieren'''. | |||
Nichts wird seelisch erlebt und empfunden, was nicht im Körper seine funktionelle Grundlage hätte. Das Nervensystem macht uns unsere Gefühle zwar bewusst – es ist aber nicht der Erzeuger der Gefühle. | |||
=== ''Menschlichkeit durch Arbeit an sich selbst'' === | |||
Von psychoanalytischer Seite wird immer wieder geltend gemacht, wie entscheidend das freie Ausleben der im Körper veranlagten Triebimpulse und emotionalen Spannungen ist. Dem muss entgegengehalten werden, dass nur das Tier von Natur aus die Möglichkeit hat, sich ganz auf die Weisheit seiner Instinkte und Triebe verlassen zu können. Ein Tier kann nicht vollkommener werden, als es seinem typisch artgemäßen Verhalten nach ist. Es verhält sich umso artgemäßer, je natürlicher es in seinem Lebensraum aufwächst. | |||
Beim Menschen hingegen ist das Natürliche nicht so geartet, dass es uns „von Natur aus“ zu mehr Menschlichkeit, zum „vollendeten Menschsein“, hinführt, wenn wir uns ihm ganz überlassen. Vielmehr bedarf alles Naturgegebene der zusätzlichen kulturellen Arbeit und Pflege. So muss selbst das erst gelernt werden, was für jedes Tier etwas ganz Selbstverständliches ist: Essen, Schlafen, Fortpflanzen'''.''' Der Mensch kann im Laufe seiner Entwicklung immer „noch menschlicher“ werden durch Arbeit an sich selbst. So wichtig es ist, zu seinen Bedürfnissen, Trieben und Emotionen zu stehen und sie nicht zu verdrängen, so nötig ist es auch, an ihnen zu arbeiten und ihnen einen immer menschlicheren Ausdruck zu verleihen. | |||
Gerade die bewusste Pflege der Sinnesempfindungen kann viel dazu beitragen, dass die aus dem Körper aufsteigenden Begierden und Emotionen auf angenehme und dennoch geordnete Weise an der Welt erwachen und dadurch eine Klärung erfahren und handhabbar werden. Dem Egoismus kann nur Einhalt geboten werden, wenn die „Daseinslust“ des gesunden Organismus sich in bewusste Anteilnahme an der Welt verwandelt und so zu etwas Objektivem wird. | |||
Insofern kommt der Sinnesschulung in der Kindheit eine durch nichts zu ersetzende Bedeutung zu, um das Gefühlsleben zu wecken und zu pflegen und damit die Voraussetzungen zu schaffen, dass es sich primär an der Umwelt orientiert und nicht an den Bedürfnissen des eigenen Körpers. Geschieht dies vor der Pubertät[2] und findet das Gefühlsleben in diesem Alter den Anschluss an die Welt, resultiert daraus ein gesundes Selbsterleben, wodurch möglichen Gefährdungen der Pubertätszeit vorgebeugt wird. | |||
''Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 2. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997'' | |||
----[1] Friedrich Rittelmeyer, ''Meditationen.'' In: ders., ''Aus meinem Leben.'' Stuttgart, 3. Aufl. 1986. | |||
[2] Vgl. Stefan Leber, ''Geschlechtlichkeit und Erziehungsauftrag.'' Stuttgart 1991; | |||
A. Suchantke, ''Sexualität - Individualität - Bewusstsein''. In: ''Die Geschlechtlichkeit des Menschen.'' Freies Geistesleben, Stuttgart 1989. | |||
== SCHULUNG DER GEFÜHLE DURCH DAS DENKEN == | |||
''Wie können wir die Gefühle über unser Denken schulen?'' | |||
''Welche Lernschritte beinhaltet das?'' | |||
=== ''Emanzipation des Gefühlslebens vom Körper'' === | |||
In der frühen Kindheit spielt die Prägung des Gefühlslebens über die Sinne die entscheidende Rolle, da das Kind als nachahmendes Wesen mit offenen Sinnen und größtem Interesse auf seine Umwelt zugeht. Mit Beginn der Schulzeit ändert sich das. Der Lehrer hat nun während der kommenden sechs bis acht Jahre Tag für Tag daran zu arbeiten, dass das noch stark an den Körper und die Sinne gebundene Gefühlsleben sich emanzipieren lernt und an das Denken Anschluss findet.[1] Damit wird der Übergang vollzogen vom kindlich selbstbezogenen Erleben zu einem wirklichen Mitgefühl mit anderen Menschen, Dingen und Vorgängen. | |||
Während in der frühen Kindheit die Ausbildung eines gesunden Selbstgefühls und Selbsterlebens in der Begegnung mit der Welt im Vordergrund steht, muss nun geübt werden, dieses Selbstgefühl zu erweitern zu einem Weltgefühl, zu einem Mitgefühl mit allem, was im Umkreis existiert. Mitgefühl ist eine Qualität, die unabhängig von der eigenen persönlichen Sympathie und Antipathie existiert. Es ist die Bereitschaft zu empfinden, wie es einem ''anderen'' geht, indem man sowohl dem Freund als auch dem Feind dasselbe beobachtende, mitempfindende Interesse entgegenbringt. Das ist allerdings erst nach der Pubertät in vollem Umfang möglich. Erst wenn es gelingt, unabhängig von Sympathie und Antipathie im Miterleben herauszufinden, wie es einem anderen geht, kann von wirklichem Mitgefühl gesprochen werden. | |||
=== ''Erwerb von Mitgefühl'' === | |||
Eine solche Loslösung von der eigenen körperlichen Befindlichkeit und dem, was persönlich gefällt und missfällt, kann nur gelingen, wenn das Gefühlsleben an das Denken Anschluss gefunden hat. Denn das Charakteristische am Gedanken ist, dass er unabhängig von persönlichen Sympathien und Antipathien entsteht und seine Wahrheit in sich selber trägt. Wird nun geübt, die Schönheit, Hässlichkeit, Stimmigkeit oder Durchsichtigkeit eines Gedankens zu fühlen, so lernt man, sich auch für Gedanken, Ideen und Ideale zu begeistern und die Wärme der Sympathie bzw. Kälte der Antipathie des Gefühls dabei zu erleben. | |||
Es liegt ja im Wesen des Gefühls, dass es eine persönlich empfundene Beziehung darstellt. Jedes Gefühl ist gleichsam eine Saite, die zwischen mir und dem, was ich fühlen möchte, aufgespannt ist und einen ganz bestimmten Klang, einen ganz bestimmten Bezug herstellt. Das Wort Mit-Gefühl bringt diese Grundeigenschaft des Gefühlslebens am deutlichsten zum Ausdruck: Man selbst als der Fühlende lebt ganz mit dem anderen mit. Selbst und Welt sind durch das Gefühl verbunden. Ich erfahre etwas in objektiver Weise über die Welt und erlebe zugleich mich selbst an der Welt. | |||
Die künstlerische Erziehung ist eine große Hilfe, das Gefühlsleben darauf vorzubereiten, den Anschluss an die Objektivität der Weltvorgänge zu finden. Man kann lernen, die Schönheit einer Form zu empfinden, kann an Musikstücken so lange üben, bis sie wirklich klingen, kann am sprachlichen Ausdruck arbeiten, bis die Stimmung eines Textes tatsächlich erlebbar wird. | |||
Unter diesem Aspekt kann man auch die enorme Sehnsucht der Kinder und Jugendlichen nach Musik und Bewegung verstehen als altersgemäßen Drang nach künstlerischer Betätigung und künstlerischem Ausdruck. Sie suchen die Brücke, die ihr Gefühlsleben mit der Welt verbindet. Sie wollen sich mit ihrem Gefühlsleben an etwas objektiv Gegebenes, wie Töne, Formen und Farben, anschließen. | |||
=== ''Gedanken fühlen lernen'' === | |||
Gelingt das, ist auch der nächste Schritt zu schaffen: sich ''den Gedanken selbst'' so zuzuwenden, dass man auch sie als etwas Konkretes, als objektiv gegebene Tatsachen erlebt, die man fühlen kann. Daher ist es entscheidend, wie in Elternhaus und Schule mit Gedanken umgegangen wird. Gedanken werden uns beim Erzählen und beim Lesen über die Sprache vermittelt. Indem wir über unsere Erfahrungen nachdenken oder aktiv etwas lernen, machen wir uns selbst Gedanken. Es ist jedoch ein grundlegender Unterschied, ob man einen Gedanken nur hat oder ob man ein solches Verhältnis zu Gedanken bekommt, dass sie einem persönlich etwas sagen, indem man sie wirklich fühlt. | |||
Als Beispiel sei der Gedanke der Ehrlichkeit angeführt. Das Denken selbst hat ja elementar mit Wahrheit, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit zu tun. Es gibt jedoch Menschen, die begeisternd über diese Qualitäten des Denkens sprechen können und dennoch selbst unehrlich sind. Das ist kein Widerspruch, wohl aber ein Problem. Man fragt sich, wie das möglich ist. Die Antwort ist, dass bei diesen Menschen das Wahrheitsgefühl nicht ausgebildet ist. Sie empfinden es nicht, wenn sie die Unwahrheit sagen. Wo immer Denken und Handeln auseinanderklaffen, fehlt die Brücke in Form des Gefühls. Denn nur mit Hilfe des Gefühls können wir erleben, ob Denken und Handeln wirklich zusammenstimmen. Es gibt Menschen, die ihre Handlungsweisen – selbst, wenn sie kriminell sind – mit ungeheurer Intelligenz und Beredsamkeit erklären und legitimieren können und schlichtweg nicht empfinden, dass es sich dabei um Ausreden handelt. Was uns an unseren eigenen Gedanken oder denen anderer Menschen wesentlich und wertvoll erscheint, können wir erst dann zu etwas Verbindlichem für uns machen, wenn es uns gelingt, Gefühle damit zu verbinden. | |||
=== ''Pädagogische Herausforderung'' === | |||
Die Frage ist, wie das in der Schule gelingen kann. Jeder, der Kinder unterrichtet hat, weiß, wie sehr man sich anstrengen kann, und dennoch blickt man unter Umständen nur in gelangweilte Gesichter. Man merkt, dass das Gefühl der Schüler nicht angesprochen wurde, dass sie kein Interesse am Thema haben, obwohl der Kopf alles mitbekommen hat. | |||
Dem Erwachsenen ist es freigestellt, etwas als Information zur Kenntnis zu nehmen oder es existentiell einzubeziehen und zu prüfen. Es kommt tagtäglich zu viel an uns heran, als dass wir uns alles in gleicher Weise „zu Herzen nehmen“ könnten. Dadurch laufen wir Gefahr, oberflächlich und der Tendenz nach auch unwahrhaftig zu werden. | |||
Umso wichtiger ist es, die in der Schule anfallenden Themen gründlich zu behandeln, nach dem Prinzip „weniger ist mehr“, damit die Kinder und Jugendlichen lernen können, sich existentiell und damit auch gefühlsmäßig mit der Geschichte, der Naturkunde, ja selbst der Mathematik und den Sprachen, auseinanderzusetzen. Je mehr Zeit Schüler haben, den behandelten Stoff selbst nachzuarbeiten, zu ergänzen und mit Fragen zu versehen, umso größer ist die Chance, dass sie sich mit dem, was sie tun, auch gefühlsmäßig verbinden. Erst dann wird eine Sache auch zu ihrer Sache und es entsteht eine persönliche Beziehung und Verantwortlichkeit ihr gegenüber. | |||
=== ''Unterschied zwischen Jungen und Mädchen'' === | |||
Das Gefühlsleben der Mädchen kann sich leichter an das Gedankenleben anschließen, ist dafür aber nicht so begabt, sich über die Sinneserfahrung anregen zu lassen. Es kann sich stark nach außen wenden, weil es weniger stark an die körperlichen Sinne gebunden ist, dafür aber umso mehr disponiert, sich an das Gedankenleben anzuschließen. Es ist charakteristisch für Mädchen, dass sie eher dazu neigen, Tagebuch zu schreiben oder für alles Mögliche zu schwärmen. | |||
Jungen desselben Alters nehmen gerne einen Computer auseinander. Sie sind wacher im Bereich der Sinnesempfindungen, wohingegen sie dem Denken gegenüber abstrakter und weniger empfindsam organisiert sind.[2] Darauf sind sie oft stolz, und das entspricht auch insgesamt dem Trend zur Sachlichkeit in unserem Kulturkreis. Es handelt sich dabei um eine spezifisch männliche Art zu denken. Das Gefühlsleben sitzt in anderen Regionen und braucht zunächst einmal weniger den Anschluss an das Denken'''.''' Man(n) empfindet Gefühlsregungen als unsachlich und unnötig – das Persönliche soll draußen bleiben. Das ist charakteristisch für die männliche Konstitution, die eine hinreichende Gefühlsbefriedigung über die Sinne bezieht und deshalb den Anschluss des Gefühlslebens an die Gedanken für das eigene Selbsterleben nicht in dem Maße braucht. | |||
Neben diesen geschlechtsspezifischen Unterschieden (die natürlich im Einzelfall sehr unterschiedlich ausgeprägt sein können), gilt es bei jedem Schüler herauszufinden, wo seine Gefühlsneigungen liegen. Denn nur, wenn man ihn da abholt, wo er steht, wo er seine Sympathien und auch seine Antipathien hat, kann man ihm helfen, einen Weg zu finden, das eigene Gefühlsleben an das Denken anzuschließen. | |||
''Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 2. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997'' | |||
----[1] Rudolf Steiner, ''Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik'', GA 293, Dornach 1932; 8. Aufl. 1980. 4-/5, Vortrag, S. 62 ff. | |||
[2] Vgl. Michaela Glöckler, ''Die männliche und weibliche Konstitution. Medizinische Aspekte zur Ehe,'' Stuttgart 1987, 3. Aufl. 1992. | |||
== MÜDE, KRAFTLOS, UNKONZENTRIERT – WAS SIND DIE URSACHEN? == | |||
''Wie können wir konstruktiv umgehen mit Kraftlosigkeit und dem Gefühl, nicht mehr mit sich zurechtzukommen, nur noch gelebt zu werden, statt zu leben, nur noch zu funktionieren, statt kreativ zu sein?'' | |||
=== ''Abklären der möglichen Ursachen für Kräfteschwund'' === | |||
Konzentrationsstörungen, Müdigkeit und Kraftlosigkeit können auch Symptome ernstzunehmender Erkrankungen sein – das bedarf sorgfältiger ärztlicher Abklärung. Auch ungesunde Lebens- und Ernährungsgewohnheiten gilt es zu erkennen und zu beheben. Zumeist handelt es sich jedoch „nur" um einen schleichenden Motivations- und Kräfteschwund, den sich der Betreffende nicht recht erklären kann und der ihn schließlich mit der Frage konfrontiert: | |||
''Was ist bloß mit mir los?'' | |||
''Ich war doch früher nicht so – was kann ich tun, um einen neuen Zugang zu mir selbst zu bekommen?'' | |||
Neben belastenden Umweltfaktoren zehren vor allem Existenzängste und Sorgen im Hinblick auf die Zukunft und auf nahe Angehörige, insbesondere aber die damit verbundenen negativen Gefühle ''–'' wie Angst, Sorge, Hass, Neid, Verzweiflung '' –'' an den Lebenskräften und machen müde. Dazu kommen oft auch gestörte menschliche Beziehungen. Jeder kennt aus seiner Biografie zumindest phasenweise die Stärke, die aus einer fraglos guten Beziehung zu einem oder mehreren Menschen erwächst. Umgekehrt gibt es nichts, was die Gesundheit mehr untergräbt, als das Scheitern von Beziehungen. | |||
=== ''Was unser Gefühlsleben bedroht'' === | |||
„Gesundheitskiller", wie Hektik und Zeitmangel, sind allgegenwärtige Begleiter im modernen Alltag. So können wir zwar in Bruchteilen von Sekunden Gedanken entwickeln und Beobachtungen machen, wenn wir aber einen Gedanken vertiefen, ihn uns wirklich aneignen wollen, und wenn wir ein Gefühl an diesen Gedanken anschließen wollen, müssen wir uns Zeit dafür nehmen. Gefühle brauchen Minuten, um sich wirklich entfalten zu können. Jeder kann an sich selbst beobachten, wie lange er braucht, um eine Nachricht gefühlsmäßig zu erfassen. Wenn nun das Gefühlsleben „verdorrt“ und abstirbt, weil Gefühle keine Zeit mehr haben sich zu entwickeln, prallen Gedanken als wache intellektuelle, strukturierende Impulse auf triebhafte Emotionen – dann droht das Leben unmenschlich zu werden. | |||
Die Pflege des Menschlichen, Liebevollen, Sensiblen, Mitfühlenden braucht Zeit, braucht Atempausen und lässt sich nicht auf die Schnelle herbeizwingen. Alltag und Beruf verlangen vom heutigen Menschen Tempo und gleichmäßiges Funktionieren. Also werden Verstand und Körper trainiert und vieles, was gelernt wurde, geht nach längerem Üben in Gewohnheit über, wird zur Routine. In diesem Moment verlangen Geist und Seele des erwachsenen Menschen aber schon wieder nach neuer Betätigung. Nur Kinder haben einige Jahre lang Freude am gleichen Spiel, an der gleichen Geschichte, sagen ''„noch mal – noch mal – noch mal"'', wenn ihnen etwas gefallen hat. Ist nun der Alltag des Erwachsenen so angefüllt mit Routine, dass für Neues kein Platz mehr ist, bahnt sich früher oder später zuerst unbewusst, dann immer bewusster, Erschöpfung an. Denn wenn die produktiven Kräfte nicht mehr angeregt werden, erschöpft sich auch der laufende Betrieb – als würde die Brennwärme langsam ausgehen und zum Schluss weiß man nicht mehr, wozu man sich anstrengt. | |||
=== ''Wenn das Herz erkaltet'' === | |||
Bevor es jedoch soweit kommt, stellt sich meist die Frage nach dem Sinn: | |||
''Macht überhaupt noch Sinn, was ich tue?'' | |||
''Für wen engagiere ich mich?'' | |||
''Muss das sein?'' | |||
''Geht es nicht auch ohne mich?'' | |||
Der Mensch verliert seinen Mittelpunkt, wenn er nicht mehr weiß, wozu er da ist. Ist ihm dieser Mittelpunkt genommen, erlebt er schmerzlich, dass ihm sein Herz fremd geworden ist und er wie neben sich steht. | |||
Wenn man das Herz nicht mehr mitnehmen kann bei dem, was man tut, wird es kalt und schlägt nur noch routiniert: Der Punkt, worum sich alles dreht, ist nicht mehr erlebbar. Das kann zu Depressionen führen, die heute epidemischen Charakter angenommen haben. Erschreckend ist auch, dass die Rate der Suizide, der Selbsttötungen, seit einiger Zeit die Zahl der Todesopfer durch Gewalt und Verkehrsunfälle übersteigt. | |||
''Vgl. „Kraftquelle Rhythmus“, gesundheit aktiv, 2. Auflage, Bad Liebenzell 2008'' | |||
== ATMUNG UND GEFÜHLSLEBEN == | |||
''Wie hängt das Gefühlsleben mit dem physischen Leib zusammen?'' | |||
''Inwiefern entsprechen sich Gefühls- und Wachstumskräfte?'' | |||
=== ''Einfluss von Atmung und Kreislauf auf das Gefühlsleben'' === | |||
Blicken wir auf den Zusammenhang von Leib und Seele, so finden wir im Organismus zwei Organsysteme, die ein getreues Abbild der musikalisch-rhythmischen Qualität des Gefühlslebens sind: Atmung und Kreislauf. Herz und Lungen sind unentwegt von der Geburt bis zum Tod rhythmisch tätig. Die Atmung vermittelt durch Spannung und Entspannung, Betätigung und Ruhe unausgesetzt zwischen Welt und Selbst, das Herz zwischen Körperzentrum und Körperperipherie. Daher erstaunt es nicht, dass jede Sinnesempfindung und jedes Gefühl auf Atmung und Herzschlag einen unmittelbaren Einfluss haben. Eine aufregende Nachricht lässt uns tief Luft holen und das Herz schneller schlagen. Unter Anspannung wechseln flache, schnelle und tiefe Atemzüge auf unharmonische Weise einander ab. In der Aufregung kann das Herz bis zum Halse klopfen und vor Schreck stolpern, ja sogar fast „stehenbleiben“. Umgekehrt kann ruhiges, geführtes Atmen, z.B. beim Zahnarzt oder bei der Geburt, die Angst nehmen und die Schmerzen erträglicher machen. | |||
=== ''Gesunde Grundgestimmtheit veranlagen'' === | |||
Rudolf Steiner hat diese Tatsache nach 30jähriger Forschung erstmals 1917 in seinem Buch ''„Von Seelenrätseln“'''[1]''''' beschrieben. Will man einem Kind eine gute Lebensgrundgestimmtheit mit auf den Weg geben, so müssen die heranreifenden rhythmische Systeme von Atmung und Kreislauf in gesunder Weise angeregt und unterstützt werden. Ein gesundes soziales Klima im Umkreis des Kindes, wie z.B. ein harmonisches Familienleben, bildet die wichtigste Voraussetzung. Folgt der Tageslauf einem gesunden Rhythmus, in dem Arbeit und Ruhe sich sinnvoll abwechseln, so kann beim Kind ein Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit entstehen. Es erlebt sich eingebettet in sinnvolle Zusammenhänge und wiederkehrende Ereignisse, auf die es sich verlassen und freuen kann, und mit denen es auch rechnet. Auf diese Weise entsteht eine stabile Grundlage, um späteren Stress-Situationen gewachsen zu sein. Denn auf der Basis einer harmonischen Grundgestimmtheit lassen sich extreme Lebenssituationen leichter aushalten und ausbalancieren. | |||
Gelingt es dem Lehrer, seine Schüler gefühlsmäßig zu erreichen und in jeder Unterrichtsstunde mit den Elementen von Spannung und Lösung zu arbeiten, Freudiges und Ernstes zum Erlebnis zu bringen, so wird sich das regulierend und stimulierend auf die Entwicklung von Atmung und Kreislauf auswirken. Nur bei wenigen Menschen werden heutzutage in Familie und Schule die Voraussetzungen für einen ausgeglichenen Gemütszustand geschaffen. Dann müssen die Betroffenen lebenslang in Form von Selbsterziehung selbst daran arbeiten. | |||
=== ''Gefühlserziehung durch Kunst'' === | |||
Die künstlerischen Therapien können dabei eine große Hilfe sein. Denn in der Kunst haben wir es mit denselben Gesetzmäßigkeiten zu tun, nach denen der Leib gebildet ist: | |||
* Die '''Gesetze des Lebendigen''', des Wachsens, Gestaltens und Bildens finden wir in ''Plastik und Architektur'' wieder. | |||
* Die '''Gesetze, die dem Gefühlsleben zugrundeliegen''', in ''Malerei und Musik.'' | |||
* Und die '''Gesetze des Willenslebens''' in ''Sprache und Eurythmie''. | |||
Das Gefühlsleben hängt mit den ''differenzierenden Wachstumskräften'' zusammen: Die Differenzierung von Geweben und Organen während der Embryonalentwicklung beruht auf bestimmten Proportionen und Zahlenverhältnissen, die ihrerseits wieder musikalisch darstellbar sind.[2] Das Zusammenspiel von Herz- und Atemrhythmus bildet das Zentrum der musikalischen Konstitution des menschlichen Organismus. Das Erwachen und Erleben von Gefühlen ist an diese Organe genauso gebunden wie die Bildung und das Bewusstwerden von Gedanken an das Nervensystem. | |||
''Vgl. Kapitel „Wie sind Leib, Seele und Geist in Gesundheit und Krankheit verbunden?“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart'' | |||
----[1] Rudolf Steiner, ''Von Seelenrätseln'', GA 21. | |||
[2] Vgl. Armin Huseman, ''Der musikalische Bau des Menschen'', Stuttgart 1989. | |||
== GEFÜHL UND WESENSGLIEDER == | |||
''Worin ist die gesundende Wirkung von Worten und Gedanken begründet?'' | |||
=== ''Die Wesensglieder gesund erhalten'' === | |||
# Ich möchte an dieser Stelle ein paar menschenkundliche Gesichtspunkte erwähnen, um verständlich zu machen, wieso Worte und Gedanken, wie z.B. religiöse und philosophische Texte, aber auch sonstige Lyrik und Prosa, unmittelbar gesundend wirken können. Sie wirken sich auf die Gesundheit unserer vier Wesensglieder aus:unseres '''physischen Leibes''', | |||
# unseres '''Ätherleibes''', | |||
# unserer Seele oder unseres '''Astralleibes''', | |||
# unserer '''Ich-Organisation''', die in der Wärme lebt und eng mit unserer geistigen Gesundheit zusammenhängt. | |||
Anliegen der Waldorfpädagogik ist die möglichst harmonische Inkarnation dieser menschlichen Wesensanteile, damit auch der Prozess ihres Frei-Werdens aus dem Leib zu den freien geistigen Tätigkeiten des | |||
* '''Denkens''' | |||
* '''Fühlens''' | |||
* und selbständigen '''Wollens''' bzw. '''Handelns''' | |||
möglichst harmonisch verläuft. So gesehen lässt sich Waldorfpädagogik auch als Präventivmaßnahme verstehen – darauf gehe ich im Folgenden näher ein. | |||
Rudolf Steiner hat Ärzte und Lehrer auf wunderbare Weise einander gegenübergestellt und gesagt, | |||
* die '''Ärzte der Zukunft''' werden Lehrer der Gesundheitswissenschaft sein | |||
* und die '''Lehrer der Zukunft''' werden Heiler sein, indem sie einen wichtigen Beitrag dazu leisten, bei den Kindern Gesundheit für ihr ganzes Leben zu veranlagen. | |||
Ganz so weit sind wir noch nicht, aber wir befinden uns auf dem Wege dahin. | |||
=== ''Gefühle und Wesensglieder'' === | |||
==== 1. Gefühl im Kontext von physischem Leib und Ätherleib ==== | |||
Im Physischen entwickeln wir die Seelenfähigkeit der Sinnesempfindung. Durch den physischen Leib sind wir unmittelbar an die Sinneswelt angeschlossen und damit an alle Qualitäten dieser Welt. Der physische Leib, sagt Rudolf Steiner, gestaltet sich nach der Gesetzmäßigkeit der Sinnesorgane.[1] Jeder Sinneseindruck kann gesundend oder kränkend wirken: Je nachdem, ob das, was man sieht und hört, konstruktiv, aufbauend und sinnvoll ist oder ob es verstörend, zerstörerisch und unharmonisch ist, kommt es über die Sinne zu leisen Kränkungen oder zu leisen Impulsen zur Gesundung. Entscheidend ist dabei, was man ''empfindet''. In der Sinnesanschauung erlebt der Ätherleib alles mit. Denn die reine Schicht der Empfindung, noch bevor sie sich zum Gefühl verdichtet, ist ätherischer Natur und hat dadurch einen unmittelbaren Bezug zum Denken. | |||
==== 2. Gefühl im Kontext von Astralleib und Ich ==== | |||
Die Sinnesempfindung kann sich dann einerseits zum Gefühl verdichten, kann aber auch zur Vorstellung werden, zum Bild, das fortan im Denken lebt. Wir können andersrum aber auch lernen, immer stärker zu empfinden, was wir denken, z.B. In der Meditation. Und wir können üben, immer stärker seelisch mitzuerleben, was wir sehen und hören. Das nennen wir dann Empathie. | |||
Das Gefühlsleben, unser Fühlen hat also zu allen Bereichen Zutritt, ist an alle Wesensglieder angeschlossen. Es ist das Zentrum unseres Seelenlebens und in umfassender Weise den Kränkungen über die Sinne, über das Erleben, das Mitgefühl, aber auch über die Art und Weise, wie das Ich mit diesen Eindrücken umgeht, ausgesetzt. | |||
==== ''Die Bedeutung des 5. Prinzips'' ==== | |||
Paracelsus fasste die leibfrei gewordenen Seelenfähigkeiten des Denkens, Fühlens und Wollens unter dem Begriff „Quinta Essentia“, zusammen. Man könnte es neben den 4 oben genannten Prinzipien der Wesensglieder das 5. Prinzip nennen, bei dem es sich um eine normale außerkörperliche Erfahrung handelt, die, je nachdem wie sie verläuft, endscheidend ist für unsere Gesundheit – warum? | |||
* Wenn ich Wahrhaftiges ''denke'', wird mein '''Ätherleib''' gestärkt. | |||
* Wenn ich liebevoll ''fühle'', wird mein '''Astralleib''' gestärkt. | |||
* Wenn ich kraftvoll und entschlossen ''handle'', wird das '''Ich''' gestärkt. | |||
Auch alles regelmäßige Tun, egal ob in Form von regelmäßiger Wiederholung, regelmäßigem Gebet, regelmäßigem rituellen Erleben, wirkt immer willensstärkend. Das macht verständlich, warum Rudolf Steiner die Religion, also religiöses Tun, dem Willen zuordnet, das ich-stärkend wirkt. In dem kleinen Bändchen ''„Philosophie, Kosmologie und Religion“'''[2]''''' ordnet Rudolf Steiner | |||
* die Psychologie dem physischen Leib zu, | |||
* die Philosophie dem Ätherleib, | |||
* die Kosmologie dem Astralleib | |||
* und die Religion dem Ich. | |||
Durch die ''„Allgemeine Menschenkunde“'''[3]''''' zieht sich die Frage nach der pädagogischen Bedeutung und Wertigkeit des Gefühlslebens wie ein roter Faden hindurch – bis hin zu dem Lehrermotto am Ende: ''„Durchdringe Dich mit Phantasiefähigkeit, haben den Mut zur Wahrheit, schärfe Dein Gefühl für seelische Verantwortlichkeit.“''[4] | |||
''Vortrag „Die salutogenetische Wirkung von Kinderhandlung, Jugendfeier und Opferfeier“, für Religionslehrer 2012'' | |||
----[1] Vgl. u.a. Rudolf Steiner, ''Die Geheimwissenschaft im Umriss'', GA 13. | |||
[2] Rudolf Steiner, ''Die Philosophie, Kosmologie und Religion in der Anthroposophie.'' GA 215. | |||
[3] Rudolf Steiner, ''Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik.'' GA 293. | |||
[4] Ebd. S. 181 (8. Aufl., 1980) | |||
== EMOTIONALE GESUNDHEIT == | |||
''Wie kann das Gefühlsleben gepflegt werden?'' | |||
''Wie wirkt sich das auf die Gesundheit aus?'' | |||
=== ''Gleichgewicht zwischen Sympathie oder Antipathie herstellen'' === | |||
Es ist nicht leicht, das Gefühlsleben bewusst zu pflegen, denn es wird nicht so losgelöst vom körperlichen Dasein erlebt wie das Gedankenleben, mit dem wir objektiv umgehen können. Die Gefühle sind stärker mit den körperlichen Funktionen verbunden. Ihre Eigendynamik beruht auf der großen Polarität von Sympathie und Antipathie. Halten diese Kräfte sich die Waage, so ist es möglich, Seelenruhe herzustellen. Diese Ruhe entspricht der Ruhe zwischen zwei Atemphasen und zwischen zwei Herzschlägen. Die gegensätzliche Dynamik des Ein- und Ausatmens geht immer durch diesen Nullpunkt der Ruhe, in dem für einen winzigen Augenblick nichts geschieht. Aus dieser Ruhe erwächst die Kraft zum Ausgleich, aber auch zum neuen Tätig-Werden. Überwiegt eine dieser Kräfte, fällt die Selbsterziehung im Gefühlsleben bedeutend schwerer, weil Sympathie oder Antipathie das Bewusstsein erfüllt, wenn man zur Ruhe kommen will. | |||
=== ''Liebe als Kraft der Mitte'' === | |||
Hier kann die Besinnung auf die Gefühlsqualität hilfreich sein, die zwischen Sympathie und Antipathie vermittelnd wirkt, gleichsam als ruhendes Zentrum im Gefühlsbereich: die Kraft der Liebe. Liebe wird oft mit Sympathie verwechselt. Wer schon einmal erlebt hat, wie Liebe in Hass umgeschlagen ist, weiß, dass er Sympathie mit Liebe verwechselt hatte. Sympathie kann in Antipathie, Antipathie kann in Sympathie umschlagen – je nach Stimmungslage. Die Liebe hingegen eröffnet die Möglichkeit, antipathische und sympathische Reaktionen im liebevollen Miterleben, der Empathie, zu beruhigen. Beide, Antipathie und Sympathie, können den Menschen unfrei machen, ihn seelisch und im Sozialen in starke Abhängigkeit bringen. Fehlt die Liebe als vermittelnde Qualität, die uns hilft, die nötige Ausgewogenheit herzustellen, ist es um den Frieden im Sozialen schlecht bestellt. Die Liebesfähigkeit ist das Herzstück des Gefühlslebens; sie macht seine spannungsreichen Extreme erst erträglich. | |||
=== ''Pflege des Gefühlslebens macht gesund'' === | |||
Wer beginnt, aktiv an einer Harmonisierung seiner Gefühle zu arbeiten, wird bemerken, wie unharmonische Stimmungen oder ungelöste Spannungen die Gesundheit direkter und nachhaltiger beeinträchtigen als z.B. ungelöste gedankliche Probleme, denen wir viel objektiver gegenübertreten können. Das Gefühlsleben befindet sich eben in unmittelbarer Beziehung zu den zentralen Körperfunktionen von Atmung und Kreislauf, die für den Erhalt der Vitalität verantwortlich sind. Das bewusste Gedankenleben ist dagegen nicht direkt mit dem Vitalbereich der Stoffwechseltätigkeit verbunden und bedarf der ständigen Unterstützung und Ernährung seitens dieser Organe. Im Falle von Schlafstörungen sind es nicht die Gedanken, die den Menschen wachhalten, sondern die zehrenden Gemütsstimmungen, an denen man mit Hilfe der Gedanken zu arbeiten versucht. Sie sind es, die das Rad der Gedanken kreisen lassen. Freudige und traurige Ereignisse halten wach, wohingegen gedankliche Anspannung und Konzentration müde machen. Viele Menschen schlafen bei dem Versuch, am Abend eine Meditation durchzuführen, ein. | |||
Sich bewusst anzuschauen, welche Erlebnisse des Tages positiv und welche negativ gewesen sind, beeinflusst das Gefühlsleben positiv. Man wird bald bemerken, dass es nichts gibt, was nicht von zwei entgegengesetzten Gesichtspunkten aus betrachtet und bewertet werden könnte. Wer spontan immer negativ interpretiert und reagiert, hat viel zu tun. Jeder Versuch jedoch, einem Ereignis die positive Seite abzugewinnen, wirkt sich befreiend auf die Atmung und erfrischend auf das ganze Gemütsleben aus. Bewährt hat sich auch das Erlernen eines Musikinstrumentes und das damit verbundene Sich-Einleben in große musikalische Kunstwerke. | |||
''Vgl. Kapitel'' „''Wie sind Leib, Seele und Geist in Gesundheit und Krankheit verbunden?''“, ''Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart'' |
Aktuelle Version vom 31. März 2025, 15:18 Uhr
Gefühle und Fühlen – von Michaela Glöckler
Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
GEFÜHL UND WAHRNEHMUNG
Wie hängen Wahrnehmung und Gefühl zusammen?
Von der Sinnesempfindung zum Gefühl
Alles, was von außen an den Menschen herankommt, trifft zuerst auf seine Sinne. An dieses Sinneserlebnis schließt das Denken sekundär an durch das Bilden von Vorstellungen, die ermöglichen, dass das Wahrgenommene erinnert wird. Der Übergang von der Sinnesempfindung zum Gefühl kann nur bei sehr genauer Selbstbeobachtung festgestellt werden. Der Sinneseindruck von außen rührt als Sinnesempfindung an das Gefühl und lebt dort weiter, während das Sinneserlebnis, das die Empfindung ausgelöst hat, bereits ein Ende gefunden hat.
So kann z.B. die Erinnerung an eine liebevolle Umarmung zum Abschied über Jahre hin das Gefühl des Geliebt-Werdens und der Geborgenheit immer wieder neu hervorrufen. Es hängt ganz von dem betreffenden Menschen ab, wie ein solches Ereignis in seinem Gefühlsleben fortwirkt – ob es dem Bewusstsein wieder entschwindet oder eine bleibende seelische Kraft wird, die jederzeit wieder in das innere Erleben zurückgerufen werden kann. Sinneswahrnehmung und Denken bzw. Erinnern sind die Grenzen, an denen das Gefühlsleben erwacht und sich seiner selbst bewusstwird.
Gefühle als Wahrnehmungsorgane
Gefühle – sind sie einmal geweckt – können zu Wahrnehmungsorganen der Seele werden. Denn ein Gefühl, das man aufgrund einer bestimmten Erfahrung entwickelt hat, macht einen sensibel für Gefühlszustände derselben Art bei einem anderen Menschen. Was ich erlebt habe, macht mich verständnisvoll für entsprechende Erfahrungen und Erlebnisse anderer Menschen. Aus dem eben Ausgeführten geht hervor, dass der Mensch die Wahrnehmung seiner selbst der Sinnestätigkeit, bzw. der Art und Weise, wie er gelernt hat, seine Sinne zu gebrauchen, verdankt.
So sind Wahrnehmungsschwächen und Mangel an Mitgefühl immer auch Zeichen, dass bestimmte Erlebnisse und Erfahrungen noch nicht gemacht werden konnten. Wer unter diesem Gesichtspunkt das Leben der Kinder heute anschaut, wie vieles sie nicht mehr ungestört erleben können, oder wie sehr das Sinneserlebnis bzw. die Zusammenarbeit der Sinne gestört werden, z.B. durch Medienkonsum, den wundert es nicht, dass immer mehr Beeinträchtigungen in der Selbst- und Umweltwahrnehmung auftreten. Auch wird dadurch verständlich, wie schwer es für den Menschen heute ist, die eigene Existenz als sinnerfüllt zu erleben.
Seiner Natur nach ist der Mensch ein ewiges Wesen, integrationsfähig, frei, in sich ruhend, sympathie- und antipathie-begabt. Er kann schmecken, ist voller Wärme und Licht, verfügt über Innigkeit und eine eigene Individualität. Er ist fähig, sich als sinnvoll eingebettet in den Weltzusammenhang erleben. Durch die vielfältigen Sinneserfahrungen, die wir mithilfe unseres Leibes machen können, werden wir uns auch unserer geistig-seelischen Natur bewusst, d.h. an der Sinneswelt lernen wir, die Sinnhaftigkeit unseres eigenen Daseins zu erkennen und unser Leben konstruktiv und entwicklungsorientiert zu handhaben.
Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 2. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997
GEFÜHL IM SPANNUNGSFELD VON SINNESERFAHRUNG UND DENKEN
Inwiefern ist unser Gefühlsleben einem Spannungsfeld ausgesetzt?
Wie können wir konstruktiv damit umgehen?
Von gegensätzlichen Polen geprägt
Das Gefühlsleben empfängt seine bewusste Prägung und Differenzierung über die Sinnesorgane und über das Denken. Im Spannungsfeld dieser beiden Formen des Selbsterlebens erwacht die individuelle Persönlichkeit. Die Welt beeindruckt den Menschen über die Sinne als etwas Objektives, durch das Fühlen werden diese Eindrücke zu etwas Persönlichem. Auch klare, überindividuell gültige Gedanken werden erst durch das Gefühl persönlich bedeutsam, indem sie von verschiedenen Menschen unterschiedlich gewichtet werden – was für den einen von großer Bedeutung ist, ist für den anderen unwichtig oder bleibt unbeachtet. Nur über das Gefühl können wir einen persönlichen Sinnbezug zur Welt herstellen.
Und so ist es berechtigt, das Gefühl als das Zentrum der Persönlichkeit anzusehen. Das erklärt auch, warum die Angst vor Gefühlen oder vor dem Zeigen von Gefühlen noch immer weit verbreitet ist. Man scheut sich, sich so persönlich zu zeigen. Es ist leichter, Gefühle zu unterdrücken oder zu verdrängen, als sie ernst zu nehmen, sie zu fühlen und anderen zu zeigen. Doch erst dadurch kommen wir in die Lage, bewusst daran zu arbeiten. Und darum geht es heute.
Nötige Anerkennung der Gefühle
Die Zeit ist vorbei, in der man Gefühle ausklammern bzw. über das Persönliche anderer Menschen einfach hinweggehen konnte. Das berufliche und das private Leben verlangen es immer mehr, dass nicht nur die Arbeitsleistung Anerkennung findet, sondern auch der Mensch selber, seine Persönlichkeit mit ihren Stärken und Schwächen. Darauf sind wir kulturell jedoch schlecht vorbereitet. Wo man nur hinschaut, mangelt es an sozialer Wahrnehmung, an Mitgefühl und an „Sensibilität“ für das, was wirklich gebraucht wird. Es erfordert echtes Interesse am Menschen und die Bereitschaft, mit dem anderen mitzufühlen, um seine Lage verstehen zu können und ihm dadurch zu helfen, den für ihn sinnvollen Platz im Leben zu finden.
Es gibt eine Vielzahl spezieller Therapieverfahren, die Menschen dabei unterstützen, ihr Gefühlsleben zu entdecken und zu aktivieren: Körpertherapie, Sensitivity-Training, Massagetechniken, Gestalttherapie, Bioenergetik, Primärtherapie und nicht zuletzt die künstlerischen Therapien.[1] Die wachsende Zahl an Therapiemöglichkeiten macht deutlich, dass wir Menschen uns des Mangels an Gefühlskultur und -erziehung bewusst geworden sind, und wir versuchen nun mithilfe von Therapie dieses Defizit auszugleichen.
Gefühle als Voraussetzung für Lernprozesse
In der gegenwärtigen Erziehungspraxis liegt der Schwerpunkt weltweit immer noch auf dem „Beibringen von Wissen“. Einerseits wird eine bestimmte Art des Denkens gefördert, intelligente Leistungen und das Wiedergeben von Informationen werden einseitig benotet. Als Ausgleich werden in reichem Maße sportliche Aktivitäten angeboten und damit der Pol der körperlichen Aktivität angesprochen. Doch das Zentrum der menschlichen Persönlichkeit, das Gefühlsleben, wird vernachlässigt. Das ist umso unverständlicher, als man aus der Lernpsychologie weiß, dass Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene dasjenige am besten lernen und behalten, wofür sie sich wirklich interessieren und auch begeistern. Was man ohne Gefühlsbeteiligung lernt, wird entweder gar nicht erst behalten oder rasch wieder vergessen. Das Gewinnen nachhaltiger Erkenntnisse wie auch das Erinnerungsvermögen sind in hohem Maß abhängig davon, wofür wir uns gefühlsmäßig „erwärmen“.
Diese fundamentale Tatsache wird auch von Rudolf Steiner in seinem Schulungsbuch „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“[2] von den verschiedensten Seiten beleuchtet und angesprochen. So lesen wir schon im ersten Kapitel mit der Überschrift „Bedingungen“, welch zentrale Bedeutung dem Gefühlsleben für die höhere Erkenntnis geistiger Zusammenhänge zukommt.
Gefühl und höhere Erkenntnis
„Es wird dem Menschen anfangs nicht leicht, zu glauben, dass Gefühle wie Ehrerbietung, Achtung usw. etwas mit seiner Erkenntnis zu tun haben. Dies rührt davon her, dass man geneigt ist, die Erkenntnis als eine Fähigkeit für sich hinzustellen, die mit dem in keiner Verbindung steht, was sonst in der Seele vorgeht. Man bedenkt dabei aber nicht, dass die Seele es ist, welche erkennt. Und für die Seele sind Gefühle das, was für den Leib die Stoffe sind, welche seine Nahrung ausmachen. Wenn man dem Leib Steine statt Brot gibt, so erstirbt seine Tätigkeit. Ähnlich ist es mit der Seele. Für sie sind Verehrung, Achtung, Devotion nährende Stoffe, die sie gesund, kräftig machen; vor allem kräftig zur Tätigkeit des Erkennens. Missachtung, Antipathie, Unterschätzung des Anerkennenswerten bewirken Lähmung und Ersterben der erkennenden Tätigkeit. [...] Erst was wir im Innern erleben, gibt uns den Schlüssel zu den Schönheiten der Außenwelt. Der eine fährt über das Meer, und nur wenig innere Erlebnisse ziehen durch seine Seele; der andere empfindet dabei die ewige Sprache des Weltengeistes; ihm enthüllen sich geheime Rätsel der Schöpfung. Man muss gelernt haben, mit seinen eigenen Gefühlen, Vorstellungen umzugehen, wenn man ein inhaltsvolles Verhältnis zur Außenwelt entwickeln will. Die Außenwelt ist in all ihren Erscheinungen erfüllt von göttlicher Herrlichkeit; aber man muss das Göttliche erst in seiner Seele selbst erlebt haben, wenn man es in der Umgebung finden will.“ [3]
Die Schulung des Gefühlslebens über die verschiedenen Sinnestätigkeiten und das Erarbeiten gedanklicher Zusammenhänge, deren Sinnhaftigkeit man über das Gefühl erlebt, kann als Vorbereitung dienen für eine bewusste seelische Schulung, bei der Gefühlskultur und Persönlichkeitsentwicklung Hand in Hand gehen.
Suche nach dem verlorenen Paradies
Alice Miller hat in ihrem Buch „Das Drama des begabten Kindes“[4] dargestellt, wie viele Menschen im späteren Leben daran kranken, dass sie in der Kindheit ihre eigenen Gefühle nicht äußern, leben und bejahen durften. Es war ihnen verwehrt, auf dieser Grundlage ein ehrliches und starkes Selbstwertgefühl zu entwickeln. Um es den Erwachsenen recht zu machen und sich an deren Bedürfnisse anzupassen, mussten sie vieles verdrängen, was sie dann im späteren Leben suchten.
Miller sehnte sich schon als Kind
- angenommen zu werden, wie sie war,
- ihre Gefühle und Reaktionen spontan und ehrlich zeigen zu dürfen,
- keine Angst zu haben, deswegen von ihrem Umfeld abgelehnt oder lächerlich gemacht zu werden.
So erging und ergeht es vielen Menschen. Im späteren Leben werden dann Freunde, Lebenspartner oder die eigenen Kinder Opfer einer Suche nach „dem verlorenen Paradies“: Von ihnen wird nun erwartet, dass sie das geben können, was man selbst in der frühen Kindheit vermisst hat. Auch wenn Alice Miller als psychoanalytisch geschulte Psychotherapeutin die Bedeutung des Denkens für die seelische Entwicklung unterschätzt und die spirituelle Dimension der Entwicklung nicht einbezieht, ist es doch ihr Verdienst, Millionen von Menschen auf die zentrale Stellung des Gefühls für die Persönlichkeitsentwicklung aufmerksam gemacht zu haben.
Erziehung in einem repressiven System
In diesem Zusammenhang sei auch auf die Bücher von Hans-Joachim Maaz hingewiesen, der die Folgen des repressiven Systems der ehemaligen DDR mit ihren verheerenden Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Erwachsenen beschreibt. In seinem „Psychogramm der DDR“ sagt er:
„Die wesentlichen Gefühlsqualitäten (Angst bei Bedrohung der Befriedigung und bei Befriedigungsstau, Wut bei der Behinderung der Befriedigung, Schmerz bei Mangel an Befriedigung, Trauer bei Verlust der Befriedigungsquelle und Lust bei erfolgter Befriedigung) waren allesamt tabuisiert [...] Die Erziehungsmittel gegen Angst waren Beschämung und Forderung, gegen Wut wurden moralische Erschütterung oder autoritäre Gewalt und Strafen eingesetzt, bei Schmerz waren vor allem Ablenkung und billiger Trost probate Mittel, und Trauer wurde meist durch schnellen Ersatz, durch Orientierung auf neue Möglichkeiten, vermieden. Auch hier waren sich Eltern, Schule und Staat einig: Das Kind hatte sich anzupassen, zu gehorchen, ruhig und gefügig zu sein. Die gefühlsunterdrückende Erziehung konnte man auf jedem Kinderspielplatz, in jedem Eisenbahnabteil, in jeder Schulklasse beobachten. Die Erwachsenen reagierten entnervt auf Gefühlsäußerungen, sie ermahnten, beruhigten, sprachen Verbote aus oder verteilten drohende Klapse. Eine Bejahung und Förderung des Gefühls war so gut wie unbekannt. [...] So beherrschten unterdrückte und abgespaltene Gefühle das Leben unserer Kinder, machten sie blass und gehemmt und mitunter, scheinbar zusammenhanglos, aggressiv-unruhig, gereizt oder still-depressiv und kontaktscheu.“[5]
Gefühle bestimmen über das soziale Miteinander
Gefühle sind die stärksten Kräfte der Persönlichkeit, aber auch die verletzlichsten. Sie stehen im Zentrum menschlicher Beziehungen. Über sie kann in großem Ausmaß Einfluss auf andere genommen und Abhängigkeit erzeugt werden. Daher ist das Umgehen-Lernen mit dem eigenen Gefühlsleben und mit den Wirkungen, die es auf andere Menschen haben kann, ausschlaggebend für die heranreifende Persönlichkeit und ihre „Ausstrahlung“.
Das Gefühlsleben bestimmt die Art und Weise, wie das Beziehungsnetz der Menschen untereinander geknüpft wird und trägt. Es schützt uns davor, unseren Mitmenschen zu schaden und ihnen Destruktives anzutun. Ein Mangel an Mitgefühl bringt den Menschen in Gefahr, seine Intelligenz zu missbrauchen und nicht zum Wohle seiner Umgebung einzusetzen. Denken und Handeln werden erst durch Mitgefühl „menschlich“. So ist auch zu verstehen, warum wir immer wieder so viel Brutalität erleben. Denn unserer Kultur mangelt es nicht an Intelligenz und „Aktion“ – sondern an der Ausbildung und Pflege eines gesunden Gefühlslebens.
Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 2. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997
[1] Vgl. hierzu M. Treichler, Mensch - Kunst – Therapie, Urachhaus, Stuttgart 1996.
[2] Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, GA 10
[3] Ebenda, Erscheinungsjahr, S. 25f.
[4] Alice Miller, Das Drama des begabten Kindes und die Suche nach dem wahren Selbst. Frankfurt a. M. 1995.
[5] H.-J. Maaz, Der Gefühlsstau, Argon 1990.
ANREGUNG DER GEFÜHLE DURCH SINNESSCHULUNG
Wie und wodurch kann das Gefühlsleben angeregt werden?
Gefühlsmeditation mit Hilfe von Sinneswahrnehmung
Die vielfältigen Sinnesempfindungen, die über die Sinnesorgane vermittelt werden, können anregend auf das Gefühlsleben wirken: Sie sind jedoch zart und flüchtig und werden uns nur bewusst, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf sie richten. Dann kann eine Sinnesempfindung das ihr entsprechende Gefühl wecken.
Eine kleine Übung möge dies verdeutlichen:
1. Schritt – einlassen auf Sinneseindruck
Man kann einen Strauß Sonnenblumen so betrachten, dass man zunächst einmal seine ganze Aufmerksamkeit auf das Gelb der Blüten richtet und sein warmes strahlendes Leuchten ganz auf sich wirken lässt. Diese Wahrnehmung löst ein Empfinden von Wärme und Helligkeit in der Seele aus. Anders ist es beim matten, moosartig-samtigen Grün der Blätter. Die Empfindung, die hier wach wird, hat etwas Stilles, zur Ruhe Bringendes, Ausgleichendes.
Es fällt heute sehr vielen Menschen schwer, sich angesichts der permanenten Reizüberflutung in Ruhe auf bestimmte Sinneseindrücke einzulassen. Entschließt man sich jedoch dazu, so kann man deutlich spüren, wie das Empfinden dessen, was man wahrnimmt, unmittelbar Nahrung ist für das in der Alltagshetze oft übergangene Gefühlsleben.
2. Schritt – Empfindungen mit starkem Gefühl verbinden
Nimmt man nun dieses anregende Gelb und beruhigende Grün wahr, kann man die Augen schließen und versuchen, die entstandenen Empfindungen mit einem starken Gefühl zu verbinden – die flüchtige Sinnesempfindung hat nun ein Gefühl geweckt, das unabhängig vom Sinneseindruck in der Seele festgehalten werden kann.
Übungen wie diese können helfen, die eigenen Gefühlsstimmungen positiv zu beeinflussen und negative Seelenstimmungen wie Langeweile, Lustlosigkeit, Unruhe oder Ängstlichkeit zu überschreiben mit hellen, ruhigen Seelenstimmungen. Das ist bereits eine Gefühlsmeditation mit Hilfe einer Sinneswahrnehmung.
Reichtum des Gefühlslebens erschließen
Der Sinn solcher Meditationen liegt darin, sich der Quellen und des Reichtums der Gefühle wieder bewusst zu werden. Gleichzeitig lernt der Übende, zarte Gefühle in sich zu verstärken und starke Gefühle abzuschwächen, indem man andere, Ausgleich schaffende Gefühle weckt. Friedrich Rittelmeyer nennt diesen bewussten Umgang mit Gefühlen in seinem Buch „Meditationen“[1] das Sich-Erarbeiten einer „seelischen Hausapotheke“, in der man sich immer besser auskennen lernt. Je nach Situation kann man in sich das wachrufen, was man als Gefühlsstimmung und unterstützende Kraft benötigt.
Es gehört zu den Eigentümlichkeiten des Gefühlslebens, dass es „schlafen“ kann. Es kann aber augenblicklich geweckt werden und so viel „Raum“ in der Seele einnehmen, dass sie ganz davon erfüllt ist. Daher spricht man auch vom „Ruhenlassen“, vom „Verdrängen“ oder „Untertauchen“ von Gefühlen. Sie sind potentiell immer vorhanden und machen einen großen Teil des unbewussten Seelenlebens aus. Wenn schlafende Gefühle durch einen Eindruck von außen geweckt werden, sind wir manchmal sehr erstaunt, zu welchen Gefühlen wir fähig sind: Wir können reinste Freude und Helligkeit oder Eifersucht, Zorn und Hass in der Seele erleben mit einer Intensität, die wir uns nicht zugetraut hätten. Wenn wir uns diesen Gefühlen überlassen, können sie uns mitreißen, uns erheben und beglücken oder aber umtreiben und verfolgen.
Körperliche Grundlage von Gefühlen und Emotionen
Damit stoßen wir auf eine weitere Eigentümlichkeit des Gefühlslebens:
- Es ist zum einen der allerpersönlichste Bereich in uns,
- zum anderen müssen wir uns auf diesem Gebiet auch mit Emotionen auseinandersetzen, die uns als etwas „Fremdes“ vorkommen können.
Unsere Emotionen werden von elementaren Wünschen und Begierden angefacht, die den Funktionsabläufen des Organismus entspringen. Ist doch der ganze Leib „beseelt“. Nicht nur der „Trieb“ mit allem, was an Spannung und Sehnsucht durch ihn bewusstwerden kann, sondern auch das „Begehren“ der anderen Organsysteme macht den Reichtum dieser unbewussten Welt der Emotionen aus:
- Mut, Herzlichkeit und das Gefühl von Frische stützen sich auf unsere Herzfunktion.
- Das Erspüren weisheitsvoller Zusammenhänge geschieht mithilfe der Lebertätigkeit.
- Die Spannungs- und Lösungsdynamik des Gefühlslebens stützt sich auf die Konzentrations- und Verdünnungsleistung der Nieren.
Nichts wird seelisch erlebt und empfunden, was nicht im Körper seine funktionelle Grundlage hätte. Das Nervensystem macht uns unsere Gefühle zwar bewusst – es ist aber nicht der Erzeuger der Gefühle.
Menschlichkeit durch Arbeit an sich selbst
Von psychoanalytischer Seite wird immer wieder geltend gemacht, wie entscheidend das freie Ausleben der im Körper veranlagten Triebimpulse und emotionalen Spannungen ist. Dem muss entgegengehalten werden, dass nur das Tier von Natur aus die Möglichkeit hat, sich ganz auf die Weisheit seiner Instinkte und Triebe verlassen zu können. Ein Tier kann nicht vollkommener werden, als es seinem typisch artgemäßen Verhalten nach ist. Es verhält sich umso artgemäßer, je natürlicher es in seinem Lebensraum aufwächst.
Beim Menschen hingegen ist das Natürliche nicht so geartet, dass es uns „von Natur aus“ zu mehr Menschlichkeit, zum „vollendeten Menschsein“, hinführt, wenn wir uns ihm ganz überlassen. Vielmehr bedarf alles Naturgegebene der zusätzlichen kulturellen Arbeit und Pflege. So muss selbst das erst gelernt werden, was für jedes Tier etwas ganz Selbstverständliches ist: Essen, Schlafen, Fortpflanzen. Der Mensch kann im Laufe seiner Entwicklung immer „noch menschlicher“ werden durch Arbeit an sich selbst. So wichtig es ist, zu seinen Bedürfnissen, Trieben und Emotionen zu stehen und sie nicht zu verdrängen, so nötig ist es auch, an ihnen zu arbeiten und ihnen einen immer menschlicheren Ausdruck zu verleihen.
Gerade die bewusste Pflege der Sinnesempfindungen kann viel dazu beitragen, dass die aus dem Körper aufsteigenden Begierden und Emotionen auf angenehme und dennoch geordnete Weise an der Welt erwachen und dadurch eine Klärung erfahren und handhabbar werden. Dem Egoismus kann nur Einhalt geboten werden, wenn die „Daseinslust“ des gesunden Organismus sich in bewusste Anteilnahme an der Welt verwandelt und so zu etwas Objektivem wird.
Insofern kommt der Sinnesschulung in der Kindheit eine durch nichts zu ersetzende Bedeutung zu, um das Gefühlsleben zu wecken und zu pflegen und damit die Voraussetzungen zu schaffen, dass es sich primär an der Umwelt orientiert und nicht an den Bedürfnissen des eigenen Körpers. Geschieht dies vor der Pubertät[2] und findet das Gefühlsleben in diesem Alter den Anschluss an die Welt, resultiert daraus ein gesundes Selbsterleben, wodurch möglichen Gefährdungen der Pubertätszeit vorgebeugt wird.
Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 2. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997
[1] Friedrich Rittelmeyer, Meditationen. In: ders., Aus meinem Leben. Stuttgart, 3. Aufl. 1986.
[2] Vgl. Stefan Leber, Geschlechtlichkeit und Erziehungsauftrag. Stuttgart 1991;
A. Suchantke, Sexualität - Individualität - Bewusstsein. In: Die Geschlechtlichkeit des Menschen. Freies Geistesleben, Stuttgart 1989.
SCHULUNG DER GEFÜHLE DURCH DAS DENKEN
Wie können wir die Gefühle über unser Denken schulen?
Welche Lernschritte beinhaltet das?
Emanzipation des Gefühlslebens vom Körper
In der frühen Kindheit spielt die Prägung des Gefühlslebens über die Sinne die entscheidende Rolle, da das Kind als nachahmendes Wesen mit offenen Sinnen und größtem Interesse auf seine Umwelt zugeht. Mit Beginn der Schulzeit ändert sich das. Der Lehrer hat nun während der kommenden sechs bis acht Jahre Tag für Tag daran zu arbeiten, dass das noch stark an den Körper und die Sinne gebundene Gefühlsleben sich emanzipieren lernt und an das Denken Anschluss findet.[1] Damit wird der Übergang vollzogen vom kindlich selbstbezogenen Erleben zu einem wirklichen Mitgefühl mit anderen Menschen, Dingen und Vorgängen.
Während in der frühen Kindheit die Ausbildung eines gesunden Selbstgefühls und Selbsterlebens in der Begegnung mit der Welt im Vordergrund steht, muss nun geübt werden, dieses Selbstgefühl zu erweitern zu einem Weltgefühl, zu einem Mitgefühl mit allem, was im Umkreis existiert. Mitgefühl ist eine Qualität, die unabhängig von der eigenen persönlichen Sympathie und Antipathie existiert. Es ist die Bereitschaft zu empfinden, wie es einem anderen geht, indem man sowohl dem Freund als auch dem Feind dasselbe beobachtende, mitempfindende Interesse entgegenbringt. Das ist allerdings erst nach der Pubertät in vollem Umfang möglich. Erst wenn es gelingt, unabhängig von Sympathie und Antipathie im Miterleben herauszufinden, wie es einem anderen geht, kann von wirklichem Mitgefühl gesprochen werden.
Erwerb von Mitgefühl
Eine solche Loslösung von der eigenen körperlichen Befindlichkeit und dem, was persönlich gefällt und missfällt, kann nur gelingen, wenn das Gefühlsleben an das Denken Anschluss gefunden hat. Denn das Charakteristische am Gedanken ist, dass er unabhängig von persönlichen Sympathien und Antipathien entsteht und seine Wahrheit in sich selber trägt. Wird nun geübt, die Schönheit, Hässlichkeit, Stimmigkeit oder Durchsichtigkeit eines Gedankens zu fühlen, so lernt man, sich auch für Gedanken, Ideen und Ideale zu begeistern und die Wärme der Sympathie bzw. Kälte der Antipathie des Gefühls dabei zu erleben.
Es liegt ja im Wesen des Gefühls, dass es eine persönlich empfundene Beziehung darstellt. Jedes Gefühl ist gleichsam eine Saite, die zwischen mir und dem, was ich fühlen möchte, aufgespannt ist und einen ganz bestimmten Klang, einen ganz bestimmten Bezug herstellt. Das Wort Mit-Gefühl bringt diese Grundeigenschaft des Gefühlslebens am deutlichsten zum Ausdruck: Man selbst als der Fühlende lebt ganz mit dem anderen mit. Selbst und Welt sind durch das Gefühl verbunden. Ich erfahre etwas in objektiver Weise über die Welt und erlebe zugleich mich selbst an der Welt.
Die künstlerische Erziehung ist eine große Hilfe, das Gefühlsleben darauf vorzubereiten, den Anschluss an die Objektivität der Weltvorgänge zu finden. Man kann lernen, die Schönheit einer Form zu empfinden, kann an Musikstücken so lange üben, bis sie wirklich klingen, kann am sprachlichen Ausdruck arbeiten, bis die Stimmung eines Textes tatsächlich erlebbar wird.
Unter diesem Aspekt kann man auch die enorme Sehnsucht der Kinder und Jugendlichen nach Musik und Bewegung verstehen als altersgemäßen Drang nach künstlerischer Betätigung und künstlerischem Ausdruck. Sie suchen die Brücke, die ihr Gefühlsleben mit der Welt verbindet. Sie wollen sich mit ihrem Gefühlsleben an etwas objektiv Gegebenes, wie Töne, Formen und Farben, anschließen.
Gedanken fühlen lernen
Gelingt das, ist auch der nächste Schritt zu schaffen: sich den Gedanken selbst so zuzuwenden, dass man auch sie als etwas Konkretes, als objektiv gegebene Tatsachen erlebt, die man fühlen kann. Daher ist es entscheidend, wie in Elternhaus und Schule mit Gedanken umgegangen wird. Gedanken werden uns beim Erzählen und beim Lesen über die Sprache vermittelt. Indem wir über unsere Erfahrungen nachdenken oder aktiv etwas lernen, machen wir uns selbst Gedanken. Es ist jedoch ein grundlegender Unterschied, ob man einen Gedanken nur hat oder ob man ein solches Verhältnis zu Gedanken bekommt, dass sie einem persönlich etwas sagen, indem man sie wirklich fühlt.
Als Beispiel sei der Gedanke der Ehrlichkeit angeführt. Das Denken selbst hat ja elementar mit Wahrheit, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit zu tun. Es gibt jedoch Menschen, die begeisternd über diese Qualitäten des Denkens sprechen können und dennoch selbst unehrlich sind. Das ist kein Widerspruch, wohl aber ein Problem. Man fragt sich, wie das möglich ist. Die Antwort ist, dass bei diesen Menschen das Wahrheitsgefühl nicht ausgebildet ist. Sie empfinden es nicht, wenn sie die Unwahrheit sagen. Wo immer Denken und Handeln auseinanderklaffen, fehlt die Brücke in Form des Gefühls. Denn nur mit Hilfe des Gefühls können wir erleben, ob Denken und Handeln wirklich zusammenstimmen. Es gibt Menschen, die ihre Handlungsweisen – selbst, wenn sie kriminell sind – mit ungeheurer Intelligenz und Beredsamkeit erklären und legitimieren können und schlichtweg nicht empfinden, dass es sich dabei um Ausreden handelt. Was uns an unseren eigenen Gedanken oder denen anderer Menschen wesentlich und wertvoll erscheint, können wir erst dann zu etwas Verbindlichem für uns machen, wenn es uns gelingt, Gefühle damit zu verbinden.
Pädagogische Herausforderung
Die Frage ist, wie das in der Schule gelingen kann. Jeder, der Kinder unterrichtet hat, weiß, wie sehr man sich anstrengen kann, und dennoch blickt man unter Umständen nur in gelangweilte Gesichter. Man merkt, dass das Gefühl der Schüler nicht angesprochen wurde, dass sie kein Interesse am Thema haben, obwohl der Kopf alles mitbekommen hat.
Dem Erwachsenen ist es freigestellt, etwas als Information zur Kenntnis zu nehmen oder es existentiell einzubeziehen und zu prüfen. Es kommt tagtäglich zu viel an uns heran, als dass wir uns alles in gleicher Weise „zu Herzen nehmen“ könnten. Dadurch laufen wir Gefahr, oberflächlich und der Tendenz nach auch unwahrhaftig zu werden.
Umso wichtiger ist es, die in der Schule anfallenden Themen gründlich zu behandeln, nach dem Prinzip „weniger ist mehr“, damit die Kinder und Jugendlichen lernen können, sich existentiell und damit auch gefühlsmäßig mit der Geschichte, der Naturkunde, ja selbst der Mathematik und den Sprachen, auseinanderzusetzen. Je mehr Zeit Schüler haben, den behandelten Stoff selbst nachzuarbeiten, zu ergänzen und mit Fragen zu versehen, umso größer ist die Chance, dass sie sich mit dem, was sie tun, auch gefühlsmäßig verbinden. Erst dann wird eine Sache auch zu ihrer Sache und es entsteht eine persönliche Beziehung und Verantwortlichkeit ihr gegenüber.
Unterschied zwischen Jungen und Mädchen
Das Gefühlsleben der Mädchen kann sich leichter an das Gedankenleben anschließen, ist dafür aber nicht so begabt, sich über die Sinneserfahrung anregen zu lassen. Es kann sich stark nach außen wenden, weil es weniger stark an die körperlichen Sinne gebunden ist, dafür aber umso mehr disponiert, sich an das Gedankenleben anzuschließen. Es ist charakteristisch für Mädchen, dass sie eher dazu neigen, Tagebuch zu schreiben oder für alles Mögliche zu schwärmen.
Jungen desselben Alters nehmen gerne einen Computer auseinander. Sie sind wacher im Bereich der Sinnesempfindungen, wohingegen sie dem Denken gegenüber abstrakter und weniger empfindsam organisiert sind.[2] Darauf sind sie oft stolz, und das entspricht auch insgesamt dem Trend zur Sachlichkeit in unserem Kulturkreis. Es handelt sich dabei um eine spezifisch männliche Art zu denken. Das Gefühlsleben sitzt in anderen Regionen und braucht zunächst einmal weniger den Anschluss an das Denken. Man(n) empfindet Gefühlsregungen als unsachlich und unnötig – das Persönliche soll draußen bleiben. Das ist charakteristisch für die männliche Konstitution, die eine hinreichende Gefühlsbefriedigung über die Sinne bezieht und deshalb den Anschluss des Gefühlslebens an die Gedanken für das eigene Selbsterleben nicht in dem Maße braucht.
Neben diesen geschlechtsspezifischen Unterschieden (die natürlich im Einzelfall sehr unterschiedlich ausgeprägt sein können), gilt es bei jedem Schüler herauszufinden, wo seine Gefühlsneigungen liegen. Denn nur, wenn man ihn da abholt, wo er steht, wo er seine Sympathien und auch seine Antipathien hat, kann man ihm helfen, einen Weg zu finden, das eigene Gefühlsleben an das Denken anzuschließen.
Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 2. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997
[1] Rudolf Steiner, Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik, GA 293, Dornach 1932; 8. Aufl. 1980. 4-/5, Vortrag, S. 62 ff.
[2] Vgl. Michaela Glöckler, Die männliche und weibliche Konstitution. Medizinische Aspekte zur Ehe, Stuttgart 1987, 3. Aufl. 1992.
MÜDE, KRAFTLOS, UNKONZENTRIERT – WAS SIND DIE URSACHEN?
Wie können wir konstruktiv umgehen mit Kraftlosigkeit und dem Gefühl, nicht mehr mit sich zurechtzukommen, nur noch gelebt zu werden, statt zu leben, nur noch zu funktionieren, statt kreativ zu sein?
Abklären der möglichen Ursachen für Kräfteschwund
Konzentrationsstörungen, Müdigkeit und Kraftlosigkeit können auch Symptome ernstzunehmender Erkrankungen sein – das bedarf sorgfältiger ärztlicher Abklärung. Auch ungesunde Lebens- und Ernährungsgewohnheiten gilt es zu erkennen und zu beheben. Zumeist handelt es sich jedoch „nur" um einen schleichenden Motivations- und Kräfteschwund, den sich der Betreffende nicht recht erklären kann und der ihn schließlich mit der Frage konfrontiert:
Was ist bloß mit mir los?
Ich war doch früher nicht so – was kann ich tun, um einen neuen Zugang zu mir selbst zu bekommen?
Neben belastenden Umweltfaktoren zehren vor allem Existenzängste und Sorgen im Hinblick auf die Zukunft und auf nahe Angehörige, insbesondere aber die damit verbundenen negativen Gefühle – wie Angst, Sorge, Hass, Neid, Verzweiflung – an den Lebenskräften und machen müde. Dazu kommen oft auch gestörte menschliche Beziehungen. Jeder kennt aus seiner Biografie zumindest phasenweise die Stärke, die aus einer fraglos guten Beziehung zu einem oder mehreren Menschen erwächst. Umgekehrt gibt es nichts, was die Gesundheit mehr untergräbt, als das Scheitern von Beziehungen.
Was unser Gefühlsleben bedroht
„Gesundheitskiller", wie Hektik und Zeitmangel, sind allgegenwärtige Begleiter im modernen Alltag. So können wir zwar in Bruchteilen von Sekunden Gedanken entwickeln und Beobachtungen machen, wenn wir aber einen Gedanken vertiefen, ihn uns wirklich aneignen wollen, und wenn wir ein Gefühl an diesen Gedanken anschließen wollen, müssen wir uns Zeit dafür nehmen. Gefühle brauchen Minuten, um sich wirklich entfalten zu können. Jeder kann an sich selbst beobachten, wie lange er braucht, um eine Nachricht gefühlsmäßig zu erfassen. Wenn nun das Gefühlsleben „verdorrt“ und abstirbt, weil Gefühle keine Zeit mehr haben sich zu entwickeln, prallen Gedanken als wache intellektuelle, strukturierende Impulse auf triebhafte Emotionen – dann droht das Leben unmenschlich zu werden.
Die Pflege des Menschlichen, Liebevollen, Sensiblen, Mitfühlenden braucht Zeit, braucht Atempausen und lässt sich nicht auf die Schnelle herbeizwingen. Alltag und Beruf verlangen vom heutigen Menschen Tempo und gleichmäßiges Funktionieren. Also werden Verstand und Körper trainiert und vieles, was gelernt wurde, geht nach längerem Üben in Gewohnheit über, wird zur Routine. In diesem Moment verlangen Geist und Seele des erwachsenen Menschen aber schon wieder nach neuer Betätigung. Nur Kinder haben einige Jahre lang Freude am gleichen Spiel, an der gleichen Geschichte, sagen „noch mal – noch mal – noch mal", wenn ihnen etwas gefallen hat. Ist nun der Alltag des Erwachsenen so angefüllt mit Routine, dass für Neues kein Platz mehr ist, bahnt sich früher oder später zuerst unbewusst, dann immer bewusster, Erschöpfung an. Denn wenn die produktiven Kräfte nicht mehr angeregt werden, erschöpft sich auch der laufende Betrieb – als würde die Brennwärme langsam ausgehen und zum Schluss weiß man nicht mehr, wozu man sich anstrengt.
Wenn das Herz erkaltet
Bevor es jedoch soweit kommt, stellt sich meist die Frage nach dem Sinn:
Macht überhaupt noch Sinn, was ich tue?
Für wen engagiere ich mich?
Muss das sein?
Geht es nicht auch ohne mich?
Der Mensch verliert seinen Mittelpunkt, wenn er nicht mehr weiß, wozu er da ist. Ist ihm dieser Mittelpunkt genommen, erlebt er schmerzlich, dass ihm sein Herz fremd geworden ist und er wie neben sich steht.
Wenn man das Herz nicht mehr mitnehmen kann bei dem, was man tut, wird es kalt und schlägt nur noch routiniert: Der Punkt, worum sich alles dreht, ist nicht mehr erlebbar. Das kann zu Depressionen führen, die heute epidemischen Charakter angenommen haben. Erschreckend ist auch, dass die Rate der Suizide, der Selbsttötungen, seit einiger Zeit die Zahl der Todesopfer durch Gewalt und Verkehrsunfälle übersteigt.
Vgl. „Kraftquelle Rhythmus“, gesundheit aktiv, 2. Auflage, Bad Liebenzell 2008
ATMUNG UND GEFÜHLSLEBEN
Wie hängt das Gefühlsleben mit dem physischen Leib zusammen?
Inwiefern entsprechen sich Gefühls- und Wachstumskräfte?
Einfluss von Atmung und Kreislauf auf das Gefühlsleben
Blicken wir auf den Zusammenhang von Leib und Seele, so finden wir im Organismus zwei Organsysteme, die ein getreues Abbild der musikalisch-rhythmischen Qualität des Gefühlslebens sind: Atmung und Kreislauf. Herz und Lungen sind unentwegt von der Geburt bis zum Tod rhythmisch tätig. Die Atmung vermittelt durch Spannung und Entspannung, Betätigung und Ruhe unausgesetzt zwischen Welt und Selbst, das Herz zwischen Körperzentrum und Körperperipherie. Daher erstaunt es nicht, dass jede Sinnesempfindung und jedes Gefühl auf Atmung und Herzschlag einen unmittelbaren Einfluss haben. Eine aufregende Nachricht lässt uns tief Luft holen und das Herz schneller schlagen. Unter Anspannung wechseln flache, schnelle und tiefe Atemzüge auf unharmonische Weise einander ab. In der Aufregung kann das Herz bis zum Halse klopfen und vor Schreck stolpern, ja sogar fast „stehenbleiben“. Umgekehrt kann ruhiges, geführtes Atmen, z.B. beim Zahnarzt oder bei der Geburt, die Angst nehmen und die Schmerzen erträglicher machen.
Gesunde Grundgestimmtheit veranlagen
Rudolf Steiner hat diese Tatsache nach 30jähriger Forschung erstmals 1917 in seinem Buch „Von Seelenrätseln“[1] beschrieben. Will man einem Kind eine gute Lebensgrundgestimmtheit mit auf den Weg geben, so müssen die heranreifenden rhythmische Systeme von Atmung und Kreislauf in gesunder Weise angeregt und unterstützt werden. Ein gesundes soziales Klima im Umkreis des Kindes, wie z.B. ein harmonisches Familienleben, bildet die wichtigste Voraussetzung. Folgt der Tageslauf einem gesunden Rhythmus, in dem Arbeit und Ruhe sich sinnvoll abwechseln, so kann beim Kind ein Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit entstehen. Es erlebt sich eingebettet in sinnvolle Zusammenhänge und wiederkehrende Ereignisse, auf die es sich verlassen und freuen kann, und mit denen es auch rechnet. Auf diese Weise entsteht eine stabile Grundlage, um späteren Stress-Situationen gewachsen zu sein. Denn auf der Basis einer harmonischen Grundgestimmtheit lassen sich extreme Lebenssituationen leichter aushalten und ausbalancieren.
Gelingt es dem Lehrer, seine Schüler gefühlsmäßig zu erreichen und in jeder Unterrichtsstunde mit den Elementen von Spannung und Lösung zu arbeiten, Freudiges und Ernstes zum Erlebnis zu bringen, so wird sich das regulierend und stimulierend auf die Entwicklung von Atmung und Kreislauf auswirken. Nur bei wenigen Menschen werden heutzutage in Familie und Schule die Voraussetzungen für einen ausgeglichenen Gemütszustand geschaffen. Dann müssen die Betroffenen lebenslang in Form von Selbsterziehung selbst daran arbeiten.
Gefühlserziehung durch Kunst
Die künstlerischen Therapien können dabei eine große Hilfe sein. Denn in der Kunst haben wir es mit denselben Gesetzmäßigkeiten zu tun, nach denen der Leib gebildet ist:
- Die Gesetze des Lebendigen, des Wachsens, Gestaltens und Bildens finden wir in Plastik und Architektur wieder.
- Die Gesetze, die dem Gefühlsleben zugrundeliegen, in Malerei und Musik.
- Und die Gesetze des Willenslebens in Sprache und Eurythmie.
Das Gefühlsleben hängt mit den differenzierenden Wachstumskräften zusammen: Die Differenzierung von Geweben und Organen während der Embryonalentwicklung beruht auf bestimmten Proportionen und Zahlenverhältnissen, die ihrerseits wieder musikalisch darstellbar sind.[2] Das Zusammenspiel von Herz- und Atemrhythmus bildet das Zentrum der musikalischen Konstitution des menschlichen Organismus. Das Erwachen und Erleben von Gefühlen ist an diese Organe genauso gebunden wie die Bildung und das Bewusstwerden von Gedanken an das Nervensystem.
Vgl. Kapitel „Wie sind Leib, Seele und Geist in Gesundheit und Krankheit verbunden?“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart
[1] Rudolf Steiner, Von Seelenrätseln, GA 21.
[2] Vgl. Armin Huseman, Der musikalische Bau des Menschen, Stuttgart 1989.
GEFÜHL UND WESENSGLIEDER
Worin ist die gesundende Wirkung von Worten und Gedanken begründet?
Die Wesensglieder gesund erhalten
- Ich möchte an dieser Stelle ein paar menschenkundliche Gesichtspunkte erwähnen, um verständlich zu machen, wieso Worte und Gedanken, wie z.B. religiöse und philosophische Texte, aber auch sonstige Lyrik und Prosa, unmittelbar gesundend wirken können. Sie wirken sich auf die Gesundheit unserer vier Wesensglieder aus:unseres physischen Leibes,
- unseres Ätherleibes,
- unserer Seele oder unseres Astralleibes,
- unserer Ich-Organisation, die in der Wärme lebt und eng mit unserer geistigen Gesundheit zusammenhängt.
Anliegen der Waldorfpädagogik ist die möglichst harmonische Inkarnation dieser menschlichen Wesensanteile, damit auch der Prozess ihres Frei-Werdens aus dem Leib zu den freien geistigen Tätigkeiten des
- Denkens
- Fühlens
- und selbständigen Wollens bzw. Handelns
möglichst harmonisch verläuft. So gesehen lässt sich Waldorfpädagogik auch als Präventivmaßnahme verstehen – darauf gehe ich im Folgenden näher ein.
Rudolf Steiner hat Ärzte und Lehrer auf wunderbare Weise einander gegenübergestellt und gesagt,
- die Ärzte der Zukunft werden Lehrer der Gesundheitswissenschaft sein
- und die Lehrer der Zukunft werden Heiler sein, indem sie einen wichtigen Beitrag dazu leisten, bei den Kindern Gesundheit für ihr ganzes Leben zu veranlagen.
Ganz so weit sind wir noch nicht, aber wir befinden uns auf dem Wege dahin.
Gefühle und Wesensglieder
1. Gefühl im Kontext von physischem Leib und Ätherleib
Im Physischen entwickeln wir die Seelenfähigkeit der Sinnesempfindung. Durch den physischen Leib sind wir unmittelbar an die Sinneswelt angeschlossen und damit an alle Qualitäten dieser Welt. Der physische Leib, sagt Rudolf Steiner, gestaltet sich nach der Gesetzmäßigkeit der Sinnesorgane.[1] Jeder Sinneseindruck kann gesundend oder kränkend wirken: Je nachdem, ob das, was man sieht und hört, konstruktiv, aufbauend und sinnvoll ist oder ob es verstörend, zerstörerisch und unharmonisch ist, kommt es über die Sinne zu leisen Kränkungen oder zu leisen Impulsen zur Gesundung. Entscheidend ist dabei, was man empfindet. In der Sinnesanschauung erlebt der Ätherleib alles mit. Denn die reine Schicht der Empfindung, noch bevor sie sich zum Gefühl verdichtet, ist ätherischer Natur und hat dadurch einen unmittelbaren Bezug zum Denken.
2. Gefühl im Kontext von Astralleib und Ich
Die Sinnesempfindung kann sich dann einerseits zum Gefühl verdichten, kann aber auch zur Vorstellung werden, zum Bild, das fortan im Denken lebt. Wir können andersrum aber auch lernen, immer stärker zu empfinden, was wir denken, z.B. In der Meditation. Und wir können üben, immer stärker seelisch mitzuerleben, was wir sehen und hören. Das nennen wir dann Empathie.
Das Gefühlsleben, unser Fühlen hat also zu allen Bereichen Zutritt, ist an alle Wesensglieder angeschlossen. Es ist das Zentrum unseres Seelenlebens und in umfassender Weise den Kränkungen über die Sinne, über das Erleben, das Mitgefühl, aber auch über die Art und Weise, wie das Ich mit diesen Eindrücken umgeht, ausgesetzt.
Die Bedeutung des 5. Prinzips
Paracelsus fasste die leibfrei gewordenen Seelenfähigkeiten des Denkens, Fühlens und Wollens unter dem Begriff „Quinta Essentia“, zusammen. Man könnte es neben den 4 oben genannten Prinzipien der Wesensglieder das 5. Prinzip nennen, bei dem es sich um eine normale außerkörperliche Erfahrung handelt, die, je nachdem wie sie verläuft, endscheidend ist für unsere Gesundheit – warum?
- Wenn ich Wahrhaftiges denke, wird mein Ätherleib gestärkt.
- Wenn ich liebevoll fühle, wird mein Astralleib gestärkt.
- Wenn ich kraftvoll und entschlossen handle, wird das Ich gestärkt.
Auch alles regelmäßige Tun, egal ob in Form von regelmäßiger Wiederholung, regelmäßigem Gebet, regelmäßigem rituellen Erleben, wirkt immer willensstärkend. Das macht verständlich, warum Rudolf Steiner die Religion, also religiöses Tun, dem Willen zuordnet, das ich-stärkend wirkt. In dem kleinen Bändchen „Philosophie, Kosmologie und Religion“[2] ordnet Rudolf Steiner
- die Psychologie dem physischen Leib zu,
- die Philosophie dem Ätherleib,
- die Kosmologie dem Astralleib
- und die Religion dem Ich.
Durch die „Allgemeine Menschenkunde“[3] zieht sich die Frage nach der pädagogischen Bedeutung und Wertigkeit des Gefühlslebens wie ein roter Faden hindurch – bis hin zu dem Lehrermotto am Ende: „Durchdringe Dich mit Phantasiefähigkeit, haben den Mut zur Wahrheit, schärfe Dein Gefühl für seelische Verantwortlichkeit.“[4]
Vortrag „Die salutogenetische Wirkung von Kinderhandlung, Jugendfeier und Opferfeier“, für Religionslehrer 2012
[1] Vgl. u.a. Rudolf Steiner, Die Geheimwissenschaft im Umriss, GA 13.
[2] Rudolf Steiner, Die Philosophie, Kosmologie und Religion in der Anthroposophie. GA 215.
[3] Rudolf Steiner, Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik. GA 293.
[4] Ebd. S. 181 (8. Aufl., 1980)
EMOTIONALE GESUNDHEIT
Wie kann das Gefühlsleben gepflegt werden?
Wie wirkt sich das auf die Gesundheit aus?
Gleichgewicht zwischen Sympathie oder Antipathie herstellen
Es ist nicht leicht, das Gefühlsleben bewusst zu pflegen, denn es wird nicht so losgelöst vom körperlichen Dasein erlebt wie das Gedankenleben, mit dem wir objektiv umgehen können. Die Gefühle sind stärker mit den körperlichen Funktionen verbunden. Ihre Eigendynamik beruht auf der großen Polarität von Sympathie und Antipathie. Halten diese Kräfte sich die Waage, so ist es möglich, Seelenruhe herzustellen. Diese Ruhe entspricht der Ruhe zwischen zwei Atemphasen und zwischen zwei Herzschlägen. Die gegensätzliche Dynamik des Ein- und Ausatmens geht immer durch diesen Nullpunkt der Ruhe, in dem für einen winzigen Augenblick nichts geschieht. Aus dieser Ruhe erwächst die Kraft zum Ausgleich, aber auch zum neuen Tätig-Werden. Überwiegt eine dieser Kräfte, fällt die Selbsterziehung im Gefühlsleben bedeutend schwerer, weil Sympathie oder Antipathie das Bewusstsein erfüllt, wenn man zur Ruhe kommen will.
Liebe als Kraft der Mitte
Hier kann die Besinnung auf die Gefühlsqualität hilfreich sein, die zwischen Sympathie und Antipathie vermittelnd wirkt, gleichsam als ruhendes Zentrum im Gefühlsbereich: die Kraft der Liebe. Liebe wird oft mit Sympathie verwechselt. Wer schon einmal erlebt hat, wie Liebe in Hass umgeschlagen ist, weiß, dass er Sympathie mit Liebe verwechselt hatte. Sympathie kann in Antipathie, Antipathie kann in Sympathie umschlagen – je nach Stimmungslage. Die Liebe hingegen eröffnet die Möglichkeit, antipathische und sympathische Reaktionen im liebevollen Miterleben, der Empathie, zu beruhigen. Beide, Antipathie und Sympathie, können den Menschen unfrei machen, ihn seelisch und im Sozialen in starke Abhängigkeit bringen. Fehlt die Liebe als vermittelnde Qualität, die uns hilft, die nötige Ausgewogenheit herzustellen, ist es um den Frieden im Sozialen schlecht bestellt. Die Liebesfähigkeit ist das Herzstück des Gefühlslebens; sie macht seine spannungsreichen Extreme erst erträglich.
Pflege des Gefühlslebens macht gesund
Wer beginnt, aktiv an einer Harmonisierung seiner Gefühle zu arbeiten, wird bemerken, wie unharmonische Stimmungen oder ungelöste Spannungen die Gesundheit direkter und nachhaltiger beeinträchtigen als z.B. ungelöste gedankliche Probleme, denen wir viel objektiver gegenübertreten können. Das Gefühlsleben befindet sich eben in unmittelbarer Beziehung zu den zentralen Körperfunktionen von Atmung und Kreislauf, die für den Erhalt der Vitalität verantwortlich sind. Das bewusste Gedankenleben ist dagegen nicht direkt mit dem Vitalbereich der Stoffwechseltätigkeit verbunden und bedarf der ständigen Unterstützung und Ernährung seitens dieser Organe. Im Falle von Schlafstörungen sind es nicht die Gedanken, die den Menschen wachhalten, sondern die zehrenden Gemütsstimmungen, an denen man mit Hilfe der Gedanken zu arbeiten versucht. Sie sind es, die das Rad der Gedanken kreisen lassen. Freudige und traurige Ereignisse halten wach, wohingegen gedankliche Anspannung und Konzentration müde machen. Viele Menschen schlafen bei dem Versuch, am Abend eine Meditation durchzuführen, ein.
Sich bewusst anzuschauen, welche Erlebnisse des Tages positiv und welche negativ gewesen sind, beeinflusst das Gefühlsleben positiv. Man wird bald bemerken, dass es nichts gibt, was nicht von zwei entgegengesetzten Gesichtspunkten aus betrachtet und bewertet werden könnte. Wer spontan immer negativ interpretiert und reagiert, hat viel zu tun. Jeder Versuch jedoch, einem Ereignis die positive Seite abzugewinnen, wirkt sich befreiend auf die Atmung und erfrischend auf das ganze Gemütsleben aus. Bewährt hat sich auch das Erlernen eines Musikinstrumentes und das damit verbundene Sich-Einleben in große musikalische Kunstwerke.
Vgl. Kapitel „Wie sind Leib, Seele und Geist in Gesundheit und Krankheit verbunden?“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart