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Jugend heute: Unterschied zwischen den Versionen

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Auszüge aus Büchern und Vorträgen von [[Michaela Glöckler]]; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
Auszüge aus Büchern und Vorträgen von [[Michaela Glöckler]]; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
== JUGEND UND IDEALE ==
''Was ist die Aufgabe der Jugend in einer Welt, in der Ideale nur noch wenig gelten?''
''Welche Bedeutung haben Ideale für Jugendliche?''
=== ''Aufgabe der Jugend'' ===
Der Verlust von Idealen ist nicht nur ein biologisches Problem. Denn die Werte gehen auch den Alten verloren, nicht nur den Jungen. Sich für Werte zu begeistern, ist ein Ausdruck, ein Zeichen von Jung-Sein, bedeutet Jung-Sein. Es gibt junge Leute, die uralt sind, die eine unglaublich kritische Haltung und große Ansprüche an die Welt haben, aber keine Ideale. Im Gegensatz dazu gibt es ältere Menschen, die große Ideale haben, was ihnen eine junge Ausstrahlung verleiht. Ideale und Werte zu haben macht jung.
Die Aufgabe der Jugend in einer Zeit ohne Werte besteht darin, wirklich jung zu werden, wirklich jung zu ''sein''. Sich für Werte zu entscheiden, neue Werte zu schaffen, neue Wertmaßstäbe zu setzen. Es gehört zum Initiationsweg, dass man sich für ein Ideal, wie z.B. die Freiheit, entscheidet. Die drei christlichen Ideale, Ehrlichkeit, liebevolles Interesse und Autonomie oder Freiheit, sind die schönsten menschlichen Werte, die es gibt. Wenn man sich dafür begeistern kann, ist man jung und bleibt auch das ganze Leben lang jung. Jünger kann man gar nicht werden.
=== ''Jeder auf seine Art'' ===
Es liegt aber am einzelnen Individuum, wie man diese Begeisterung lebt: Jeder muss das auf seine Art machen. Werte wollen auf ganz individuelle Art und Weise ins Leben integriert werden. Deswegen ist jeder junge Mensch anders, aber auch jede Generation.
Ich bin im Grunde sehr froh darüber, dass die alten Wertesysteme kaputtgehen, weil das ein Signal dafür ist, dass das Zeitalter des Individualismus angebrochen ist. Die Werte, die derzeit verloren gehen, sind kollektive Werte. Individuell gesetzte Werte können nicht verloren gehen. Die Werte, die kollektiv sterben, müssen individuell auferstehen. Das verstehen junge Leute am besten. Es ist die Aufgabe der Jugend, den Alten etwas darüber zu erzählen. So gesehen ist es überhaupt nicht schlimm, dass Ideale sterben: Wir lassen sie neu erstehen, diesmal jedoch nicht angepasst an die Auffassung der Gesellschaft, sondern so, wie jeder sie selbst versteht.
''Vgl. Ausführungen vom IPMT in Santiago di Chile 2010 im Gespräch mit jungen Menschen''
== WAS JUGENDLICHE BRAUCHEN ==
''Was stimuliert im dritten Jahrsiebt die volle Ausreifung des Stoffwechselgliedmaßensystems?''
''Gibt es einen Leitgedanken für zwischenmenschliche Beziehungen?''
=== ''Aufrichtigkeit und Eigenständigkeit'' ===
Stellen Sie sich einen fünfzehnjährigen Adoleszenten in der Schule vor, am Montagmorgen, der in seinem Stuhl hängt und den Unterricht über sich ergehen lässt. Plötzlich sagt der Lehrer etwas, was den Jugendlichen interessiert – dann passiert Folgendes: Er rutscht am Stuhl hoch, zieht seine Beine an, richtet sich auf.
Wir haben im Deutschen das Wort „Aufrichtigkeit“. Wenn jemand vertikal und authentisch denkt und auch sagt und tut, was er denkt – soweit das irgend möglich ist – nennen wir das „Aufrichtigkeit“. Am Beispiel des Schülers kann man sehen, inwiefern diese Sprachweisheit einen physiologischen Vorgang abbildet: Zum eigenständigen Denken muss der Mensch sich aufrichten und das erfordert Muskelarbeit. Bewusstsein zeigt sich durch die Haltung, sie gehen Hand in Hand.
Der mittelalterliche Mystiker Meister Eckhart sagte: ''„Wär ich ein König und wüsste es nicht, ich wäre kein König.“''
Hätte ich ein wundervolles Menschen-Ich und keinen Leib, durch den ich mir meine Kompetenzen bewusst machen könnte, wüsste ich nicht, wer ich bin. Der Sinn einer Erden-Inkarnation liegt darin, schrittweise ein möglichst umfassendes Bewusstsein der eigenen Menschenwürde und des eigenen Menschentums zu erlangen und sie auch anderen zuzusprechen.
=== ''Drei Inkarnations-Typen'' ===
Wenn man in einer Fußgängerzone sitzt und Jugendliche beobachtet, wie sie gehen, kann man drei verschiedene Typen sehen: Zwei davon sind gefährdet drogenabhängig zu werden oder sind es bereits.
* Es gibt die exkarnierten Jugendlichen, die traumatisiert sind, und keine Möglichkeit hatten, sich wirklich gut zu verkörpern, die '''nicht ganz „da“''' sind. Ihre Gedanken sind draußen, sind nicht individualisiert. Sie selbst werden von Stimmungen und Trieben geleitet. Was sie tun, bleibt unverbindlich.
* Dann gibt es diejenigen, die '''zu tief drin''' stecken in ihrem Körper, die überhaupt keine Möglichkeit hatten, sich spirituell zu verankern, sich im Denken als spirituelles Wesen zu erfassen. Ganz in sich drinzustecken macht rücksichtslos.
* Zuletzt gibt es den Jugendlichen, der nie angesprochen wird von einem Dealer. Er wirkt '''zentriert''' und geht zielorientiert: Man sieht förmlich den Gedanken, der ihn aufrichtet und in Bewegung setzt, der sich durch die Muskeln hindurch realisieren will.
=== ''Den Jugendlichen helfen, sie selbst zu sein'' ===
Unsere Aufgabe ist es nun, Jugendlichen bei ihrer Inkarnation zu helfen, ihnen die Möglichkeiten zu geben, ein Bewusstsein ihres Menschentums zu erlangen, das über die auf den Leib beschränkten Kompetenzen hinausgeht, das ihnen ermöglicht, zwischen Himmel und Erde zu atmen, ganz bei sich und auch ganz „draußen“ zu sein.
Wir sind grundsätzlich aufgerufen, ein Bewusstsein für die Dimension der Autonomie, Authentizität und Freiheit eines anderen zu entwickeln, egal, ob dieser andere unser Partner, unser Kind oder einfach ein Mitmensch ist. Auch wenn der Weg oder das Verhalten eines andern uns Sorgen macht oder sogar Schmerzen bereitet, ist es doch wertvoll und wichtig, ihn in seinen Intentionen zu unterstützen und ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu entwickeln.
Aus dem Ringen darum, einem anderen zu helfen, er selbst zu werden und sein Leben führen zu lernen, kann eine tiefere Freude erwachsen, als wenn man selbst bekommt, was man braucht.
''Vgl. Vortrag „Gesundheit und Lebensfreude im Alltag“, 25.11.2007''
== ANGST IM KLEIDE DER DEPRESSION BEI JUGENDLICHEN ==
''Wie hängen Angst und Depression zusammen?''
''Wie äußert sich Depression im Jugendalter?''
''Warum gibt es während der Pubertät so viele Suizide?''
''Welche therapeutischen Maßnahmen gibt es, was hilft?''
=== ''Depression aufgrund von Perspektivlosigkeit'' ===
Eine der Hauptursachen für Depression ist, dass der Betreffende keinen Neuanfang sieht, dass er sich am Ende fühlt und fürchten muss, dass es immer so weitergeht.
Genauso empfindet ein junger Mensch am Beginn des 3. Jahrsiebtes. Viele Jugendliche haben das Gefühl, dass sie es nie schaffen werden, gute, normale, tüchtige Menschen zu werden, die ein sinnvolles Leben führen, weil sie es sich entweder nicht zutrauen oder weil sie nicht die Geduld haben, noch so viele Jahre darauf zu warten und die Schule einfach weiterzumachen. Deshalb tritt mit der Pubertät oft auch echte Schulmüdigkeit auf. Es findet im Grunde ein Umschwung statt, bei dem Ende und Anfang sehr eng miteinander verbunden sind. Und beides macht Angst: am Ende zu sein, aber auch: am Anfang zu stehen.
Deswegen ist die Pubertät natürlicherweise eine Zeit, in der Zukunftsängste, allgemeine Ängste, neue Ängste (wenn Kinder mutig waren, werden sie jetzt ängstlich), neue Körperängste, bei Frauen z.B. Vergewaltigungsängste, Angst davor, nachts alleine unterwegs zu sein usw., aber auch ganz diffuse Angstproblematiken auftauchen.
=== ''Angst vor eigenem destruktiven Potential'' ===
Im 3. Jahrsiebt erwacht ja auch das. Mit der Pubertät wird man in die Abgründigkeit entlassen, man entwickelt ein Bewusstsein für den Abgrund. Dieser wird einem zunehmend bewusst durch bestimmte Erlebnisse mit Kameraden, durch Dinge, die man sieht und erfährt, z.B. durch einen Selbstmord in der Klasse oder in der Schicksals- oder Schulgemeinschaft. Jetzt erlebt der Jugendliche zum ersten Mal auch Angst vor sich selbst, weil ihm dämmert, wozu er in der Lage ist. Er erkennt das unglaublich destruktive Potential des Menschen und fragt sich, wie man damit zurechtkommt – das macht Angst!
Erst jetzt, wo der Astralleib mit der Pubertät in der Lage ist, sich nachts vom physischen Leib zu trennen, weil er leibfrei geworden ist für das Fühlen, beginnt seine nächtliche Mitarbeit an seinem zukünftigen Karma. Denn wir alle beeinflussen unser Karma Nacht für Nacht und gestalten es auf diese Weise mit. Das wiederum hat zu tun mit der Art, wie wir Tag für Tag leben. D.h. durch die Art und Weise, wie wir tagsüber leben, bauen wir an unserer zukünftigen Natur.
Dieser Meilenstein der Entwicklung markiert die Schwelle, an der die geistige Nabelschnur durchgeschnitten wird. Man hat zwar ein gewisses Ausmaß an Selbstbewusstsein errungen, ist aber total auf sich selbst zurückgeworfen. Man weiß noch nicht, ob man das aushält und damit zurechtkommt. Man fühlt bereits mit sechzehn, dass man selbstverantwortlich sein sollte, ist dem aber überhaupt nicht gewachsen. Deswegen erlebt man, dass man den Weg zu sich selbst finden muss. Die Tatsache, dass ''„die zur Wahrheit wandern, allein wandern“,'''[1]''''' gemäß dem Gedicht von Christian Morgenstern, wird erstmals erlebt. Jugendliche mögen solche Gedichte, fühlen ihren Wahrheitsgehalt, aber sie erleben auch sehr stark den Abgrund des Bösen, des eigenen Egoismus.
=== ''Suizide im Jugendalter'' ===
Hier gibt es eine riesige Dunkelziffer. Auch liegt in dieser Phase eine große Suizidgefahr vor. Der versuchte Suizid aufgrund von Depression liegt zwischen 10 – 15%. Nach dem statistischen Bundesamt in Deutschland 2012 ist Suizid nach Unfällen jedoch die zweithäufigste Todesursache im Kindes- und Jugendalter, Tendenz steigend.
Das ist sehr erschütternd, denn für den Jugendsuizid ist noch das Umfeld verantwortlich, wenn man davon ausgeht, dass erst mit der Pubertät das persönliche Schicksal beginnt. Die Zeit bis zur Pubertät steht noch ganz im Zeichen vergangenen Schicksals, aus dem heraus man sich die Wesensglieder und den Körper gebildet hat. Das geschieht noch ganz unter der Führung dessen, was aus dem Vorgeburtlichen veranlagt ist.
Suizide beginnen oft schon mit dem Rubikon und kulminieren mit siebzehn, wenn die Abnabelung sich vollzogen hat. Analysiert man Suizide, entdeckt man meist schwere Schäden aufgrund der ganzen Art, wie die Entwicklung begleitet wurde: Der Jugendliche hat dadurch das Gefühl gehabt, dass mit ihm nichts mehr anzufangen ist und machte deshalb Schluss.
=== ''Diverse Symptome als Zeichen für Angst erkennen'' ===
Jugendliche haben oft auch Angst zu sagen, dass sie Angst haben. Deswegen sollten bei Untersuchungen Symptome wie Atemnot, Beklemmungen, Druckgefühle, Schwindel, Parästhesien, „weiche Knie“, Herzklopfen, Zittern, bestimmte Formen von Tics, abdominelle Beschwerden gut hinterfragt werden. Denn sie führen sehr häufig zum Arzt, sind aber im Grunde Ausdruck von Jugendangst, die sich auf den Magen oder die Verdauung schlägt. Dazu können auch Kopfschmerzen und Schlafstörungen zählen, die normalerweise nicht auftreten in dem Alter. Wir können immer davon ausgehen, dass sich eine Angststörung dahinter verbirgt.
Die Regel ist deshalb: Wenn ein Jugendlicher mit solchen Beschwerden kommt, ist das viel ernster zu nehmen, als bei Erwachsenen. Denn die Symptome sind nur eine Aufforderung, genau hinzuschauen – sie sind ein Hilferuf. Über die anamnestischen Fragen kann man sich vorsichtig herantasten an ein Gespräch, in dem sich der Jugendliche öffnen kann. Als Arzt hat man schöne Möglichkeiten – man darf ja fragen. Wenn man merkt, dass er noch ganz verschlossen ist, kann man ihm ein Medikament geben und ihm in der Woche darauf einen weiteren Termin geben, um zu sehen, ob es schon besser wird oder noch mehr getan werden muss. Man muss ihn in engen Intervallen wieder kommen lassen. Ist der Termin zu weit weg, sieht man den Betreffenden vielleicht nie wieder…
Als Vollzeit-Schularzt kann man den Schüler in der Zwischenzeit in der Schule im Vorbeigehen auch sehen und auf den Termin verweisen. Dann hat er die moralische Verpflichtung zu kommen. Sobald es ihm wieder besser geht und er etwas lockerer geworden ist, traut er sich eher über seine Ängste zu sprechen.
=== ''Beispiel aus der eigenen Schularzt-Praxis'' ===
Ich erinnere mich an einen Fall, in dem der Alkoholismus des Vaters das Problem war. Der Sohn hatte große Angst, auch so zu werden wie sein Vater. Er war unglaublich erleichtert, als ich ihm sagte, dass er ganz anders als sein Vater wäre, dass ihm das nicht passieren könnte. Ich stärkte sein Selbstvertrauen, indem ich betonte, dass keiner Alkoholiker werden ''muss''. Ich brachte ihm seine Andersartigkeit und seine Vorzüge zu Bewusstsein. Allerdings führte ich auch mit der Mutter, einer typischen Co-Abhängigen, ein langes Gespräch: Sie sorgte dafür, dass die Kinder in die Waldorfschule kamen, sie managte alles – der trinkende Vater wurde immer schwächer und sie immer stärker. Ihr Thema war es, sich zu fragen, was es bedeutet, Ehefrau eines Alkoholikers zu sein: wie sie sich verhalten könnte, dass er weniger trinkt anstatt umgekehrt.
Das ist ein Beispiel für Angst, das häufiger vorkommt, als man denkt. Der Jugendliche quält sich mit der Frage: ''Muss ich auch so werden wie jemand, den ich bisher schätzte und von dem ich merke, dass er jetzt abstürzt?'' Das löst massive Ängste aus. Oft sind auch Trennungsproblematiken der Eltern Auslöser für große Angst.
=== ''Was betroffenen Jugendlichen hilft'' ===
Bei der Depression im Jugendalter, hinter der sich Angst verbirgt, ist das Lenken des Gefühlslebens in eine objektive Richtung das Entscheidende.
==== '''·''' Eigenaktivität und Mut ====
Einem Jugendlichen hilft es angesichts von Angst, aktiv zu werden, Mut zu zeigen. Ein gesunder Jugendlicher versucht zu beruhigen, wenn er merkt, dass die Erwachsenen Angst haben, obwohl er eigentlich auch Angst hat: ''„Mama, sei doch nicht so ängstlich! Du wirst schon sehen, mir geschieht nichts!“''
==== '''·''' Den Jugendlichen frei lassen ====
Wichtig ist, dass die Jugendlichen spüren, dass der Erwachsene etwas riskiert und sie gehen lässt. Im Moment der Trennung, wenn sie selbst verängstigt sind, sind sie besonders offen für einen Rat oder eine Regel, die man noch mit auf den Weg geben kann. Darüber hinaus muss der Erwachsene sich seinerseits bemühen, die Angst, dass dem Jugendlichen etwas passieren könnte, zu überwinden. Diese Überwindung wirkt enorm bestärkend auf den Jugendlichen, sodass er selbst mutig den neuen Freiraum ergreifen und versuchen kann, die eigenen Ängste zu überwinden.
==== '''·''' Eigene Erfahrung und Einsicht ====
Im 3. Jahrsiebt geschieht Entängstigung durch eigene Erfahrung und durch Einsicht bzw. durch gute Erklärungen – indem man versteht, wo Gefahren auftreten können und man sie ausräumt und/oder sich schützt.
==== '''·''' Weltverstehen ====
Das Motiv für dieses Jahrsiebt lautet: ''„Die Welt ist wahr.“'''[2]''''' Jetzt wird im Unterricht am Verständnis der Welt gearbeitet. Die geistige Isolation wird überwunden durch Weltverstehen. ''„Wir lernen, um die Welt zu verstehen.“''[3] Das hören die Kinder schon in der Kinderhandlung. ''„Wir lernen, um in der Welt zu arbeiten. Die Liebe der Menschen zueinander belebt alle Menschenarbeit.“'' So geht es in der Oberstufe immer um das Lernen, Arbeiten und Verstehen – auf liebevolle Art: indem man sich gegenseitig hilft, erklärt, unterstützt. Das bewirkt geistige Entängstigung.
=== ''Fazit'' ===
Die therapeutische Geste ist immer: Weg von der eigenen Befindlichkeit – hin zur Welt. Zusätzliche Instrumente sind
* die heutigen Therapien
* Elterntraining: Das ist heute von immenser Bedeutung. Denn sehr oft schürt oder verstärkt das Elternhaus die Ängste des Betroffenen.    
''Vgl. „Ängste im Jugendalter und ihre Überwindung“,'' Vortrag auf der Schulärztetagung 2013
----[1] Christian Morgenstern aus: ''Wir fanden einen Pfad. Werke und Briefe. Stuttgarter Ausgabe Band II,'' Stuttgart 1992, S. 207.
[2] Die Motive der Waldorfpädagogik für die ersten drei Jahrsiebte lauten: ''„Die Welt ist gut, die Welt ist schön, die Welt ist wahr“''.
[3] In: Rudolf Steiner, ''Ritualtexte für die Feiern des freien christlichen Religionsunterrichts.'' GA 269.
== ANGST VERLIEREN HELFEN ==
''Was ist Grund und Auslöser für Krisen bei Jugendlichen?''
''Wie können wir Jugendlichen helfen ihre Ängste zu überwinden?''
''Wie lassen sich die höheren Sinne pflegen? ''
=== ''Angst zu versagen'' ===
Grundsätzlich sind Krisen eine Aufforderung zur Entwicklung. Das gilt auch für die klassische Krise des Jugendlichen angesichts des Erwachsenwerdens. Sie kann auch als eine spezielle Ausprägung der Angst des Jugendlichen vor sich selbst sein. Der Jugendliche fühlt sich noch klein und unbedeutend, hat noch nichts geleistet. Die Eltern, die Schule und viele andere Menschen haben in ihn investiert. Er möchte nicht versagen.
Das ist Grund genug, diese existenzielle Krise auszulösen: Plötzlich ist der Heranwachsende mit sich und der Welt unzufrieden, obwohl sich an den Lebensumständen gar nichts verändert hat. Und doch empfindet er alles anders, als es vorher war.
=== ''Hilfreiche Fähigkeit zur Objektivierung           '' ===
Hier hilft, was in der Jugendpsychiatrie „Fähigkeit zur Objektivierung“ genannt wird. Sie entspricht dem Freiwerden des Willens (Ich-Organisation) im Denken und vollzieht sich im dritten Jahrsiebt. Sobald der Wille in Denken, Fühlen und Wollen leibfrei geworden ist, ist der junge Mensch in der Lage, Fühlen und Wollen auf die Welt zu beziehen und nicht mehr nur auf sich: Er liebt Logik, objektiv stimmige Zusammenhänge, ist froh darüber, dass die Dinge nicht von ihm selbst und den eigenen Gefühlen abhängig sind. Weil der Wille jetzt leibfrei ist, kann er die Dinge ganz objektiv sehen.
Denn solange Gefühl und Wille noch körpergebunden sind, bezieht man alles auf sich. Zwischen 16 und 18 lernt der Jugendliche mit einem Mal aus Einsicht Antipathien zu überwinden, weil es nötig und sinnvoll ist. Er wird plötzlich Herr der eigenen Gefühle und genießt es – nach dem Motto: „Ich habe zwar keine Lust, aber ich mache es trotzdem!“ Es ist toll, das zu können. Der Jugendliche ist dann in der Lage, etwas für andere zu tun, sogar etwas, das ihm selbst gar nichts bringt. Der Wille, das Tun, kann jetzt objektiv eingesetzt werden – oder aber sich verweigern.
Deshalb wirkt im 3. Jahrsiebt vor allem die Pflege der höheren Sinne[1] – Hörsinn, Wortsinn, Gedankensinn und Ich-Sinn –, durch die wir Geistiges wahrnehmen können, entängstigend. Denn die dadurch erworbenen Kompetenzen geben die Sicherheit, die der junge Mensch so dringend braucht.
=== ''Spirituelle Inhalte als Anregung'' ===
Auch Theater-Spielen ist angesagt, Ins-Theater-Gehen, Konzerte-Geben und Besuchen, willentliches Gestalten und Auf-sich-wirken-Lassen von großen wesentlichen spirituellen Inhalten. Die Weihnachtsspiele sind so ein Instrument: Schüler der Oberstufe helfen sie vorzubereiten und auch das „Nachbereiten“ ist extrem wichtig. Wenn ein Kollegium es gut macht, werden die oberen Sinne angeregt. Und es ist etwas völlig anderes, wenn die eigenen Lehrer die Weihnachtsspiele selbst aufführen, als wenn eine Spiel-Truppe dazu eingeladen wird. Es ist unglaublich wichtig und bedeutsam, dass die Lehrer im Sinne der Pflege des Ich-Sinns der Schüler für diese in einer dem Menschheits-Ich dienenden Haltung sichtbar werden. Ich habe immer den Eindruck, dass Kollegen, die diese Chance vergeben, die Waldorfpädagogik nicht begriffen haben. Das ist ein echtes Problem.
Bei der Pflege des Hörsinns, des Wortsinns, des Gedankensinns, des Ich-Sinns geht es um die Frage, wie man sich so schult, dass man konstruktiv mit der eigenen Angst umzugehen lernt, aber auch, wie man helfen kann, dass andere ihre Angst verlieren.
''Vgl. „Ängste im Jugendalter und ihre Überwindung“,'' Vortrag auf der Schulärztetagung 2013
----[1] Entsprechend sind im 1. Jahrsiebt die unteren und im 2.Jahrsiebt die mittleren Sinne vorrangig zu pflegen.
== JUGENDLICHE UND DROGEN ==
''Warum greifen Erwachsene, Jugendliche und zunehmend auch Kinder zu Drogen?''
''Wie kommt es, dass Stoffe eingenommen werden, von denen man sicher weiß, dass sie den Körper schädigen und das Leben verkürzen?''
=== ''Warum junge Menschen zu Drogen greifen'' ===
Es ist nötig zu verstehen, ''wie'' selbstverständlich das Drogenproblem zu unserer heutigen Lebenswelt dazugehört, da die Emanzipation und Isolierung aus sozialen Zusammenhängen den Einzelnen schon vom Kindesalter an mit sich selbst und seiner Einsamkeit konfrontieren. Dieses Auf-sich-Zurückgeworfen-Sein im Zuge der geistigen Abnabelung ist schlichtweg nicht auszuhalten, wenn man nicht eine Strategie zur Überwindung dieser quälenden Begleiterscheinungen findet. Daher stellt das Drogenproblem ''die'' Herausforderung für die Erziehung im 21. Jahrhundert dar.
==== '''·''' Droge als Schmerzbetäubung ====
Wenn sich der Jugendliche geistig abnabelt von seinem Kinderglauben, von der Meinung, dass alles irgendwie gut wird, wenn er zum ersten Mal geistig-individuell sein totales Ausgesetzt-Sein erlebt, weil die eigene Glaubenssicherheit nicht mehr trägt, weiß der Betreffende nicht, wohin er geistig gehört. Er hat Angst, die nächsten Bezugspersonen zu verlieren, ist völlig verunsichert und fragt sich mit einem Mal:
''Was wäre, wenn keinerlei Unterstützung mehr von den Eltern käme?''
''Was wäre, wenn sie plötzlich stürben und dies und jenes an Unterstützung wegfiele?''
In dieser Phase greifen viele Jugendliche zur Droge und betäuben sich, weil sie die Einsamkeit der geistigen Abnabelung nicht aushalten.
==== '''·''' Droge als Ersatz für Fehlendes ====
Manchmal sind es auch Neugierde oder soziale Gründe, die zu Drogenkonsum führen. Man möchte nicht durch das Ablehnen der Droge seinen Freund verlieren oder aus der Gruppe ausgeschlossen werden. Oft sind es aber auch schon klar umschriebene persönliche Motive, wie wir sie auch in der Erwachsenenwelt jeden Alters finden:
* '''Flucht''' '''aus einer unbehaglich gewordenen Welt''', aus einem von Streit und Missverstehen geprägten häuslichen Milieu, vor Sorgen und Problemen in der Schule oder am Arbeitsplatz;
* '''Angst zu versagen''' – in einer Beziehung, im Beruf, in der Schule;
* '''Sehnsucht nach Wärme, Licht, Freude, Harmonie,''' nach Nähe und Geborgenheit in einer Gemeinschaft, in der man endlich findet, was einem in    Kindheit und Jugend versagt wurde; aber auch die Sehnsucht nach    spiritueller Erfahrung;
* '''Neugier auf das Besondere, Gefährliche, Abenteuerliche''' – der Wunsch, vom Leben „echt etwas zu haben“.
=== ''Auf Zeit Geborgenheit schenken'' ===
Bei der Behandlung muss sich der Therapeut auf professionelle Art zur Verfügung stellen, damit der Klient vorübergehend Halt finden kann in der Beziehung, als wäre er ein Kind. Manchmal man noch der Leibesangst Rechnung tragen und den Betreffenden beim Begrüßen und Verabschieden in den Arm nehmen. Man muss dem Klienten körperliche Geborgenheit geben, aber auch seelische Geborgenheit vermitteln durch Aussagen wie: ''„Ich schätze Dich sehr! Du bist wichtig! Lass Dich nicht fallen!“'' Man muss zwischen Strenge und Sanftheit Autorität ausstrahlen und dafür sorgen, dass Selbsthilfegespräche in einer Gruppe stattfinden.
Entscheidend und gleichzeitig am schwersten ist es, im Gespräch durch das eigene Verhalten einen Raum zu schaffen, in dem der junge Mensch mit dem Alleinsein umzugehen lernt, und in dem er sich nach und nach an den Gedanken gewöhnt, dass auch der Therapeut wieder weg sein wird. Man muss in der Therapie nachholen, was eine gute Erziehung normalerweise leistet – ab da, wo der betreffende Mensch in seiner Entwicklung stehengeblieben ist.
=== ''Eigenaktiv Mut zu geistigen Erfahrungen entwickeln'' ===
Der Pathologie von Drogensucht liegt die Verweigerung von Geisterkenntnis zugrunde – meist aus Angst –, wobei diese ersetzt wird durch anderes. Ecstasy ist z.B. eine Droge, die kommunikative Schwächen überbrückt. Jugendliche, die nicht kommunizieren können, nehmen eine Tablette und können nach einiger Zeit mit jedem auf der Party schmusen, sprechen – alle Hemmungen sind weg. Drogen entängstigen, reißen Barrieren nieder und machen auch Mut, Neuland zu betreten. Die Droge ersetzt die Ich-Kraft, nach der man sich sehnt und die man nicht handhaben kann.
Es geht nun darum zu versuchen, es ohne Drogen zu schaffen, körperlich-seelisch Mut an der Grenze zu entwickeln, den Mut aufzubringen, eigenaktiv in geistige Bereiche vorzudringen. Viele erleben ja auch Spirituelles in der Drogenerfahrung, aber den Mut für solche Erlebnisse verdanken sie den Drogen. Wenn sie keine Drogen nehmen, haben sie Angst vor der geistigen Welt. Diese Angst gilt es bewusst zu überwinden.
Sinn aller Erziehung – und später auch der Therapie – sollte es sein, die Möglichkeit zu veranlagen, diese Sehnsüchte und Wünsche zunehmend durch innere Arbeit und eigene Aktivität, also durch Selbsterziehung und Entwicklung der eigenen seelischen und geistigen Fähigkeiten, zu befriedigen und nicht durch passiven Konsum und Stimulierung durch Substanzen.
''Vgl. „Die Angst in der Selbsterziehung des jungen Erwachsenen“,'' Vortrag auf der Schulärztetagung 2013
== PFLEGE DES ICH-SINNES DURCH KULTISCHE HANDLUNGEN ==
''Welche Bedeutung haben die kultischen Schulhandlungen für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen?''
''Was macht sie so einzigartig im Rahmen des Schulbetriebs?''
=== ''Über kultische Handlungen an Schulen'' ===
Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, warum wir uns seitens der Schulärzte schon seit vielen Jahren so warmherzig für die kultischen Schulhandlungen einsetzen und zudem seit Anfang der Neunzigerjahre regelmäßig hier in Dornach am Goetheanum im Rahmen der Schulärztetagungen an den im Holzhaus gehaltenen kultischen Handlungen teilnehmen: Wir wollen an den Schulen aus eigener Erfahrung darüber sprechen können.
Die Schulärzte organisieren seit 1959 im Gedenken an ''Eugen Kolisko'' regelmäßig gemeinsam mit Lehrern an verschiedenen Orten sogenannte Kolisko-Tagungen, um den Impuls der Zusammenarbeit zwischen Medizin und Pädagogik zu stärken. Die 2. Kolisko-Tagung war den Sinnen gewidmet. Damals hatte ''Heinz Zimmermann'' die Pädagogische Sektion neu übernommen. Wir fragten ihn, ob er nach Michael-Hall mitkäme, wo wir die Tagung abhalten wollten. Er sagte erfreulicherweise zu und hielt die Opferfeier für die gesamte Tagungsgemeinschaft.
=== ''Stimulation des Ich-Sinns'' ===
In der Vorbereitung hatten wir den 8. Vortrag der ''„Allgemeinen Menschenkunde“'''[1]''''' gelesen und uns überlegt, wie man den Ich-Sinn am besten stimulieren kann bei den Schülern. Rudolf Steiner behandelt dort alle 12 Sinne streng von oben nach unten – anders als üblich beginnend mit dem Ich-Sinn – der Tastsinn wird unter „ferner liefen“ quasi noch mitbehandelt. Die Hauptausführungen macht er zu Ich-Sinn, Gedankensinn, Wortsinn und Hören. Danach fasst er sich relativ kurz.
Das Ideal im Hinblick auf das Unterrichten an sich ist laut Rudolf Steiner, dass der Lehrer ganz selbstlos dem Weltengeiste dient und offenbart, was ihm der Geist eingibt. Das ist der Traum, den wir alle teilen, wenn wir uns ernsthaft darüber austauschen. Als wir das lasen, war uns klar, dass das nur über die kultischen Handlungen geht. Nur in den Handlungen ist der Lehrer kraft seiner Vorbereitung ganz und gar gestimmt, das wahre Höhere Selbst – soweit es irgend geht – mitsprechen und durchleuchten zu lassen. Das hängt mit den ganz besonderen Bedingungen der rituellen kultischen Handlungen zusammen, weil sich der Lehrer in der Vorbereitung ganz und gar darauf besinnt: ''„Ich will hier Diener des Wortes und des Geistes sein, ich will Helfer sein. Ich möchte mich möglichst auslöschen mit meinem niederen Ich, sodass das Höhere durch mich sprechen kann.“''
=== ''Geisterkenntnis durchleuchten lassen'' ===
Insofern hat der Ich-Sinn eine echte Chance, den Kraftanschluss des Lehrers, den der Schüler aus dem Alltag kennt, zu erleben: Plötzlich erscheint der Lehrer ihm wie ein anderer, egal, ob am Sonntag oder in der freiwilligen Religionsstunde. Einer der Gründe, warum ich als Kind und Jugendliche sonntags immer so gerne in die Handlungen ging, war, dass da die Lehrer so freundlich waren. Ich war als Lehrerkind nicht immer so nett, denn ich hatte manchmal Stress mit dieser Rolle und provozierte oft (unnötigerweise), um nicht zu brav zu erscheinen. Ich hatte es also mit dem einen oder anderen Lehrer schwer. Doch am Sonntag begrüßten unsere Lehrer uns so freundlich, als wären wir immer lieb und nett gewesen.
Ich fand diese Harmonie, diese Freundlichkeit, das Besondere zwischen der Herzlichkeit, Freudigkeit und Freundlichkeit beim Begrüßen und Verabschieden und dem Ernst am Altar, so schön. Man merkte, die Person mit ihren Vorlieben und Stimmungen war vollkommen unwichtig geworden, weil der Ernst der Geisterkenntnis durchleuchtete.
Wir Schulärzte interessierten uns zunehmend für die kultischen Handlungen, weil uns war klar, dass der Ich-Sinn der Schüler durch das Bemühen der Lehrer, Anschluss an das Höhere Ich, das Christus-Ich, zu finden, genährt wird. Dieses Bemühen, diese Suche, stellt die Kinder aller Altersstufen vollkommen zufrieden.
''Vgl. Vortrag „Die salutogenetische Wirkung von Kinderhandlung, Jugendfeier und Opferfeier“, für Religionslehrer 2012''
----[1] Rudolf Steiner, ''Allgemeine Menschenkunde,'' GA 293.

Aktuelle Version vom 2. April 2025, 10:11 Uhr

Jugend heute – von Michaela Glöckler

Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/

JUGEND UND IDEALE

Was ist die Aufgabe der Jugend in einer Welt, in der Ideale nur noch wenig gelten?

Welche Bedeutung haben Ideale für Jugendliche?

Aufgabe der Jugend

Der Verlust von Idealen ist nicht nur ein biologisches Problem. Denn die Werte gehen auch den Alten verloren, nicht nur den Jungen. Sich für Werte zu begeistern, ist ein Ausdruck, ein Zeichen von Jung-Sein, bedeutet Jung-Sein. Es gibt junge Leute, die uralt sind, die eine unglaublich kritische Haltung und große Ansprüche an die Welt haben, aber keine Ideale. Im Gegensatz dazu gibt es ältere Menschen, die große Ideale haben, was ihnen eine junge Ausstrahlung verleiht. Ideale und Werte zu haben macht jung.

Die Aufgabe der Jugend in einer Zeit ohne Werte besteht darin, wirklich jung zu werden, wirklich jung zu sein. Sich für Werte zu entscheiden, neue Werte zu schaffen, neue Wertmaßstäbe zu setzen. Es gehört zum Initiationsweg, dass man sich für ein Ideal, wie z.B. die Freiheit, entscheidet. Die drei christlichen Ideale, Ehrlichkeit, liebevolles Interesse und Autonomie oder Freiheit, sind die schönsten menschlichen Werte, die es gibt. Wenn man sich dafür begeistern kann, ist man jung und bleibt auch das ganze Leben lang jung. Jünger kann man gar nicht werden.

Jeder auf seine Art

Es liegt aber am einzelnen Individuum, wie man diese Begeisterung lebt: Jeder muss das auf seine Art machen. Werte wollen auf ganz individuelle Art und Weise ins Leben integriert werden. Deswegen ist jeder junge Mensch anders, aber auch jede Generation.

Ich bin im Grunde sehr froh darüber, dass die alten Wertesysteme kaputtgehen, weil das ein Signal dafür ist, dass das Zeitalter des Individualismus angebrochen ist. Die Werte, die derzeit verloren gehen, sind kollektive Werte. Individuell gesetzte Werte können nicht verloren gehen. Die Werte, die kollektiv sterben, müssen individuell auferstehen. Das verstehen junge Leute am besten. Es ist die Aufgabe der Jugend, den Alten etwas darüber zu erzählen. So gesehen ist es überhaupt nicht schlimm, dass Ideale sterben: Wir lassen sie neu erstehen, diesmal jedoch nicht angepasst an die Auffassung der Gesellschaft, sondern so, wie jeder sie selbst versteht.

Vgl. Ausführungen vom IPMT in Santiago di Chile 2010 im Gespräch mit jungen Menschen

WAS JUGENDLICHE BRAUCHEN

Was stimuliert im dritten Jahrsiebt die volle Ausreifung des Stoffwechselgliedmaßensystems?

Gibt es einen Leitgedanken für zwischenmenschliche Beziehungen?

Aufrichtigkeit und Eigenständigkeit

Stellen Sie sich einen fünfzehnjährigen Adoleszenten in der Schule vor, am Montagmorgen, der in seinem Stuhl hängt und den Unterricht über sich ergehen lässt. Plötzlich sagt der Lehrer etwas, was den Jugendlichen interessiert – dann passiert Folgendes: Er rutscht am Stuhl hoch, zieht seine Beine an, richtet sich auf.

Wir haben im Deutschen das Wort „Aufrichtigkeit“. Wenn jemand vertikal und authentisch denkt und auch sagt und tut, was er denkt – soweit das irgend möglich ist – nennen wir das „Aufrichtigkeit“. Am Beispiel des Schülers kann man sehen, inwiefern diese Sprachweisheit einen physiologischen Vorgang abbildet: Zum eigenständigen Denken muss der Mensch sich aufrichten und das erfordert Muskelarbeit. Bewusstsein zeigt sich durch die Haltung, sie gehen Hand in Hand.

Der mittelalterliche Mystiker Meister Eckhart sagte: „Wär ich ein König und wüsste es nicht, ich wäre kein König.“

Hätte ich ein wundervolles Menschen-Ich und keinen Leib, durch den ich mir meine Kompetenzen bewusst machen könnte, wüsste ich nicht, wer ich bin. Der Sinn einer Erden-Inkarnation liegt darin, schrittweise ein möglichst umfassendes Bewusstsein der eigenen Menschenwürde und des eigenen Menschentums zu erlangen und sie auch anderen zuzusprechen.

Drei Inkarnations-Typen

Wenn man in einer Fußgängerzone sitzt und Jugendliche beobachtet, wie sie gehen, kann man drei verschiedene Typen sehen: Zwei davon sind gefährdet drogenabhängig zu werden oder sind es bereits.

  • Es gibt die exkarnierten Jugendlichen, die traumatisiert sind, und keine Möglichkeit hatten, sich wirklich gut zu verkörpern, die nicht ganz „da“ sind. Ihre Gedanken sind draußen, sind nicht individualisiert. Sie selbst werden von Stimmungen und Trieben geleitet. Was sie tun, bleibt unverbindlich.
  • Dann gibt es diejenigen, die zu tief drin stecken in ihrem Körper, die überhaupt keine Möglichkeit hatten, sich spirituell zu verankern, sich im Denken als spirituelles Wesen zu erfassen. Ganz in sich drinzustecken macht rücksichtslos.
  • Zuletzt gibt es den Jugendlichen, der nie angesprochen wird von einem Dealer. Er wirkt zentriert und geht zielorientiert: Man sieht förmlich den Gedanken, der ihn aufrichtet und in Bewegung setzt, der sich durch die Muskeln hindurch realisieren will.

Den Jugendlichen helfen, sie selbst zu sein

Unsere Aufgabe ist es nun, Jugendlichen bei ihrer Inkarnation zu helfen, ihnen die Möglichkeiten zu geben, ein Bewusstsein ihres Menschentums zu erlangen, das über die auf den Leib beschränkten Kompetenzen hinausgeht, das ihnen ermöglicht, zwischen Himmel und Erde zu atmen, ganz bei sich und auch ganz „draußen“ zu sein.

Wir sind grundsätzlich aufgerufen, ein Bewusstsein für die Dimension der Autonomie, Authentizität und Freiheit eines anderen zu entwickeln, egal, ob dieser andere unser Partner, unser Kind oder einfach ein Mitmensch ist. Auch wenn der Weg oder das Verhalten eines andern uns Sorgen macht oder sogar Schmerzen bereitet, ist es doch wertvoll und wichtig, ihn in seinen Intentionen zu unterstützen und ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu entwickeln.

Aus dem Ringen darum, einem anderen zu helfen, er selbst zu werden und sein Leben führen zu lernen, kann eine tiefere Freude erwachsen, als wenn man selbst bekommt, was man braucht.

Vgl. Vortrag „Gesundheit und Lebensfreude im Alltag“, 25.11.2007

ANGST IM KLEIDE DER DEPRESSION BEI JUGENDLICHEN

Wie hängen Angst und Depression zusammen?

Wie äußert sich Depression im Jugendalter?

Warum gibt es während der Pubertät so viele Suizide?

Welche therapeutischen Maßnahmen gibt es, was hilft?

Depression aufgrund von Perspektivlosigkeit

Eine der Hauptursachen für Depression ist, dass der Betreffende keinen Neuanfang sieht, dass er sich am Ende fühlt und fürchten muss, dass es immer so weitergeht.

Genauso empfindet ein junger Mensch am Beginn des 3. Jahrsiebtes. Viele Jugendliche haben das Gefühl, dass sie es nie schaffen werden, gute, normale, tüchtige Menschen zu werden, die ein sinnvolles Leben führen, weil sie es sich entweder nicht zutrauen oder weil sie nicht die Geduld haben, noch so viele Jahre darauf zu warten und die Schule einfach weiterzumachen. Deshalb tritt mit der Pubertät oft auch echte Schulmüdigkeit auf. Es findet im Grunde ein Umschwung statt, bei dem Ende und Anfang sehr eng miteinander verbunden sind. Und beides macht Angst: am Ende zu sein, aber auch: am Anfang zu stehen.

Deswegen ist die Pubertät natürlicherweise eine Zeit, in der Zukunftsängste, allgemeine Ängste, neue Ängste (wenn Kinder mutig waren, werden sie jetzt ängstlich), neue Körperängste, bei Frauen z.B. Vergewaltigungsängste, Angst davor, nachts alleine unterwegs zu sein usw., aber auch ganz diffuse Angstproblematiken auftauchen.

Angst vor eigenem destruktiven Potential

Im 3. Jahrsiebt erwacht ja auch das. Mit der Pubertät wird man in die Abgründigkeit entlassen, man entwickelt ein Bewusstsein für den Abgrund. Dieser wird einem zunehmend bewusst durch bestimmte Erlebnisse mit Kameraden, durch Dinge, die man sieht und erfährt, z.B. durch einen Selbstmord in der Klasse oder in der Schicksals- oder Schulgemeinschaft. Jetzt erlebt der Jugendliche zum ersten Mal auch Angst vor sich selbst, weil ihm dämmert, wozu er in der Lage ist. Er erkennt das unglaublich destruktive Potential des Menschen und fragt sich, wie man damit zurechtkommt – das macht Angst!

Erst jetzt, wo der Astralleib mit der Pubertät in der Lage ist, sich nachts vom physischen Leib zu trennen, weil er leibfrei geworden ist für das Fühlen, beginnt seine nächtliche Mitarbeit an seinem zukünftigen Karma. Denn wir alle beeinflussen unser Karma Nacht für Nacht und gestalten es auf diese Weise mit. Das wiederum hat zu tun mit der Art, wie wir Tag für Tag leben. D.h. durch die Art und Weise, wie wir tagsüber leben, bauen wir an unserer zukünftigen Natur.

Dieser Meilenstein der Entwicklung markiert die Schwelle, an der die geistige Nabelschnur durchgeschnitten wird. Man hat zwar ein gewisses Ausmaß an Selbstbewusstsein errungen, ist aber total auf sich selbst zurückgeworfen. Man weiß noch nicht, ob man das aushält und damit zurechtkommt. Man fühlt bereits mit sechzehn, dass man selbstverantwortlich sein sollte, ist dem aber überhaupt nicht gewachsen. Deswegen erlebt man, dass man den Weg zu sich selbst finden muss. Die Tatsache, dass „die zur Wahrheit wandern, allein wandern“,[1] gemäß dem Gedicht von Christian Morgenstern, wird erstmals erlebt. Jugendliche mögen solche Gedichte, fühlen ihren Wahrheitsgehalt, aber sie erleben auch sehr stark den Abgrund des Bösen, des eigenen Egoismus.

Suizide im Jugendalter

Hier gibt es eine riesige Dunkelziffer. Auch liegt in dieser Phase eine große Suizidgefahr vor. Der versuchte Suizid aufgrund von Depression liegt zwischen 10 – 15%. Nach dem statistischen Bundesamt in Deutschland 2012 ist Suizid nach Unfällen jedoch die zweithäufigste Todesursache im Kindes- und Jugendalter, Tendenz steigend.

Das ist sehr erschütternd, denn für den Jugendsuizid ist noch das Umfeld verantwortlich, wenn man davon ausgeht, dass erst mit der Pubertät das persönliche Schicksal beginnt. Die Zeit bis zur Pubertät steht noch ganz im Zeichen vergangenen Schicksals, aus dem heraus man sich die Wesensglieder und den Körper gebildet hat. Das geschieht noch ganz unter der Führung dessen, was aus dem Vorgeburtlichen veranlagt ist.

Suizide beginnen oft schon mit dem Rubikon und kulminieren mit siebzehn, wenn die Abnabelung sich vollzogen hat. Analysiert man Suizide, entdeckt man meist schwere Schäden aufgrund der ganzen Art, wie die Entwicklung begleitet wurde: Der Jugendliche hat dadurch das Gefühl gehabt, dass mit ihm nichts mehr anzufangen ist und machte deshalb Schluss.

Diverse Symptome als Zeichen für Angst erkennen

Jugendliche haben oft auch Angst zu sagen, dass sie Angst haben. Deswegen sollten bei Untersuchungen Symptome wie Atemnot, Beklemmungen, Druckgefühle, Schwindel, Parästhesien, „weiche Knie“, Herzklopfen, Zittern, bestimmte Formen von Tics, abdominelle Beschwerden gut hinterfragt werden. Denn sie führen sehr häufig zum Arzt, sind aber im Grunde Ausdruck von Jugendangst, die sich auf den Magen oder die Verdauung schlägt. Dazu können auch Kopfschmerzen und Schlafstörungen zählen, die normalerweise nicht auftreten in dem Alter. Wir können immer davon ausgehen, dass sich eine Angststörung dahinter verbirgt.

Die Regel ist deshalb: Wenn ein Jugendlicher mit solchen Beschwerden kommt, ist das viel ernster zu nehmen, als bei Erwachsenen. Denn die Symptome sind nur eine Aufforderung, genau hinzuschauen – sie sind ein Hilferuf. Über die anamnestischen Fragen kann man sich vorsichtig herantasten an ein Gespräch, in dem sich der Jugendliche öffnen kann. Als Arzt hat man schöne Möglichkeiten – man darf ja fragen. Wenn man merkt, dass er noch ganz verschlossen ist, kann man ihm ein Medikament geben und ihm in der Woche darauf einen weiteren Termin geben, um zu sehen, ob es schon besser wird oder noch mehr getan werden muss. Man muss ihn in engen Intervallen wieder kommen lassen. Ist der Termin zu weit weg, sieht man den Betreffenden vielleicht nie wieder…

Als Vollzeit-Schularzt kann man den Schüler in der Zwischenzeit in der Schule im Vorbeigehen auch sehen und auf den Termin verweisen. Dann hat er die moralische Verpflichtung zu kommen. Sobald es ihm wieder besser geht und er etwas lockerer geworden ist, traut er sich eher über seine Ängste zu sprechen.

Beispiel aus der eigenen Schularzt-Praxis

Ich erinnere mich an einen Fall, in dem der Alkoholismus des Vaters das Problem war. Der Sohn hatte große Angst, auch so zu werden wie sein Vater. Er war unglaublich erleichtert, als ich ihm sagte, dass er ganz anders als sein Vater wäre, dass ihm das nicht passieren könnte. Ich stärkte sein Selbstvertrauen, indem ich betonte, dass keiner Alkoholiker werden muss. Ich brachte ihm seine Andersartigkeit und seine Vorzüge zu Bewusstsein. Allerdings führte ich auch mit der Mutter, einer typischen Co-Abhängigen, ein langes Gespräch: Sie sorgte dafür, dass die Kinder in die Waldorfschule kamen, sie managte alles – der trinkende Vater wurde immer schwächer und sie immer stärker. Ihr Thema war es, sich zu fragen, was es bedeutet, Ehefrau eines Alkoholikers zu sein: wie sie sich verhalten könnte, dass er weniger trinkt anstatt umgekehrt.

Das ist ein Beispiel für Angst, das häufiger vorkommt, als man denkt. Der Jugendliche quält sich mit der Frage: Muss ich auch so werden wie jemand, den ich bisher schätzte und von dem ich merke, dass er jetzt abstürzt? Das löst massive Ängste aus. Oft sind auch Trennungsproblematiken der Eltern Auslöser für große Angst.

Was betroffenen Jugendlichen hilft

Bei der Depression im Jugendalter, hinter der sich Angst verbirgt, ist das Lenken des Gefühlslebens in eine objektive Richtung das Entscheidende.

· Eigenaktivität und Mut

Einem Jugendlichen hilft es angesichts von Angst, aktiv zu werden, Mut zu zeigen. Ein gesunder Jugendlicher versucht zu beruhigen, wenn er merkt, dass die Erwachsenen Angst haben, obwohl er eigentlich auch Angst hat: „Mama, sei doch nicht so ängstlich! Du wirst schon sehen, mir geschieht nichts!“

· Den Jugendlichen frei lassen

Wichtig ist, dass die Jugendlichen spüren, dass der Erwachsene etwas riskiert und sie gehen lässt. Im Moment der Trennung, wenn sie selbst verängstigt sind, sind sie besonders offen für einen Rat oder eine Regel, die man noch mit auf den Weg geben kann. Darüber hinaus muss der Erwachsene sich seinerseits bemühen, die Angst, dass dem Jugendlichen etwas passieren könnte, zu überwinden. Diese Überwindung wirkt enorm bestärkend auf den Jugendlichen, sodass er selbst mutig den neuen Freiraum ergreifen und versuchen kann, die eigenen Ängste zu überwinden.

· Eigene Erfahrung und Einsicht

Im 3. Jahrsiebt geschieht Entängstigung durch eigene Erfahrung und durch Einsicht bzw. durch gute Erklärungen – indem man versteht, wo Gefahren auftreten können und man sie ausräumt und/oder sich schützt.

· Weltverstehen

Das Motiv für dieses Jahrsiebt lautet: „Die Welt ist wahr.“[2] Jetzt wird im Unterricht am Verständnis der Welt gearbeitet. Die geistige Isolation wird überwunden durch Weltverstehen. „Wir lernen, um die Welt zu verstehen.“[3] Das hören die Kinder schon in der Kinderhandlung. „Wir lernen, um in der Welt zu arbeiten. Die Liebe der Menschen zueinander belebt alle Menschenarbeit.“ So geht es in der Oberstufe immer um das Lernen, Arbeiten und Verstehen – auf liebevolle Art: indem man sich gegenseitig hilft, erklärt, unterstützt. Das bewirkt geistige Entängstigung.

Fazit

Die therapeutische Geste ist immer: Weg von der eigenen Befindlichkeit – hin zur Welt. Zusätzliche Instrumente sind

  • die heutigen Therapien
  • Elterntraining: Das ist heute von immenser Bedeutung. Denn sehr oft schürt oder verstärkt das Elternhaus die Ängste des Betroffenen.    

Vgl. „Ängste im Jugendalter und ihre Überwindung“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013


[1] Christian Morgenstern aus: Wir fanden einen Pfad. Werke und Briefe. Stuttgarter Ausgabe Band II, Stuttgart 1992, S. 207.

[2] Die Motive der Waldorfpädagogik für die ersten drei Jahrsiebte lauten: „Die Welt ist gut, die Welt ist schön, die Welt ist wahr“.

[3] In: Rudolf Steiner, Ritualtexte für die Feiern des freien christlichen Religionsunterrichts. GA 269.

ANGST VERLIEREN HELFEN

Was ist Grund und Auslöser für Krisen bei Jugendlichen?

Wie können wir Jugendlichen helfen ihre Ängste zu überwinden?

Wie lassen sich die höheren Sinne pflegen? 

Angst zu versagen

Grundsätzlich sind Krisen eine Aufforderung zur Entwicklung. Das gilt auch für die klassische Krise des Jugendlichen angesichts des Erwachsenwerdens. Sie kann auch als eine spezielle Ausprägung der Angst des Jugendlichen vor sich selbst sein. Der Jugendliche fühlt sich noch klein und unbedeutend, hat noch nichts geleistet. Die Eltern, die Schule und viele andere Menschen haben in ihn investiert. Er möchte nicht versagen.

Das ist Grund genug, diese existenzielle Krise auszulösen: Plötzlich ist der Heranwachsende mit sich und der Welt unzufrieden, obwohl sich an den Lebensumständen gar nichts verändert hat. Und doch empfindet er alles anders, als es vorher war.

Hilfreiche Fähigkeit zur Objektivierung           

Hier hilft, was in der Jugendpsychiatrie „Fähigkeit zur Objektivierung“ genannt wird. Sie entspricht dem Freiwerden des Willens (Ich-Organisation) im Denken und vollzieht sich im dritten Jahrsiebt. Sobald der Wille in Denken, Fühlen und Wollen leibfrei geworden ist, ist der junge Mensch in der Lage, Fühlen und Wollen auf die Welt zu beziehen und nicht mehr nur auf sich: Er liebt Logik, objektiv stimmige Zusammenhänge, ist froh darüber, dass die Dinge nicht von ihm selbst und den eigenen Gefühlen abhängig sind. Weil der Wille jetzt leibfrei ist, kann er die Dinge ganz objektiv sehen.

Denn solange Gefühl und Wille noch körpergebunden sind, bezieht man alles auf sich. Zwischen 16 und 18 lernt der Jugendliche mit einem Mal aus Einsicht Antipathien zu überwinden, weil es nötig und sinnvoll ist. Er wird plötzlich Herr der eigenen Gefühle und genießt es – nach dem Motto: „Ich habe zwar keine Lust, aber ich mache es trotzdem!“ Es ist toll, das zu können. Der Jugendliche ist dann in der Lage, etwas für andere zu tun, sogar etwas, das ihm selbst gar nichts bringt. Der Wille, das Tun, kann jetzt objektiv eingesetzt werden – oder aber sich verweigern.

Deshalb wirkt im 3. Jahrsiebt vor allem die Pflege der höheren Sinne[1] – Hörsinn, Wortsinn, Gedankensinn und Ich-Sinn –, durch die wir Geistiges wahrnehmen können, entängstigend. Denn die dadurch erworbenen Kompetenzen geben die Sicherheit, die der junge Mensch so dringend braucht.

Spirituelle Inhalte als Anregung

Auch Theater-Spielen ist angesagt, Ins-Theater-Gehen, Konzerte-Geben und Besuchen, willentliches Gestalten und Auf-sich-wirken-Lassen von großen wesentlichen spirituellen Inhalten. Die Weihnachtsspiele sind so ein Instrument: Schüler der Oberstufe helfen sie vorzubereiten und auch das „Nachbereiten“ ist extrem wichtig. Wenn ein Kollegium es gut macht, werden die oberen Sinne angeregt. Und es ist etwas völlig anderes, wenn die eigenen Lehrer die Weihnachtsspiele selbst aufführen, als wenn eine Spiel-Truppe dazu eingeladen wird. Es ist unglaublich wichtig und bedeutsam, dass die Lehrer im Sinne der Pflege des Ich-Sinns der Schüler für diese in einer dem Menschheits-Ich dienenden Haltung sichtbar werden. Ich habe immer den Eindruck, dass Kollegen, die diese Chance vergeben, die Waldorfpädagogik nicht begriffen haben. Das ist ein echtes Problem.

Bei der Pflege des Hörsinns, des Wortsinns, des Gedankensinns, des Ich-Sinns geht es um die Frage, wie man sich so schult, dass man konstruktiv mit der eigenen Angst umzugehen lernt, aber auch, wie man helfen kann, dass andere ihre Angst verlieren.

Vgl. „Ängste im Jugendalter und ihre Überwindung“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013


[1] Entsprechend sind im 1. Jahrsiebt die unteren und im 2.Jahrsiebt die mittleren Sinne vorrangig zu pflegen.

JUGENDLICHE UND DROGEN

Warum greifen Erwachsene, Jugendliche und zunehmend auch Kinder zu Drogen?

Wie kommt es, dass Stoffe eingenommen werden, von denen man sicher weiß, dass sie den Körper schädigen und das Leben verkürzen?

Warum junge Menschen zu Drogen greifen

Es ist nötig zu verstehen, wie selbstverständlich das Drogenproblem zu unserer heutigen Lebenswelt dazugehört, da die Emanzipation und Isolierung aus sozialen Zusammenhängen den Einzelnen schon vom Kindesalter an mit sich selbst und seiner Einsamkeit konfrontieren. Dieses Auf-sich-Zurückgeworfen-Sein im Zuge der geistigen Abnabelung ist schlichtweg nicht auszuhalten, wenn man nicht eine Strategie zur Überwindung dieser quälenden Begleiterscheinungen findet. Daher stellt das Drogenproblem die Herausforderung für die Erziehung im 21. Jahrhundert dar.

· Droge als Schmerzbetäubung

Wenn sich der Jugendliche geistig abnabelt von seinem Kinderglauben, von der Meinung, dass alles irgendwie gut wird, wenn er zum ersten Mal geistig-individuell sein totales Ausgesetzt-Sein erlebt, weil die eigene Glaubenssicherheit nicht mehr trägt, weiß der Betreffende nicht, wohin er geistig gehört. Er hat Angst, die nächsten Bezugspersonen zu verlieren, ist völlig verunsichert und fragt sich mit einem Mal:

Was wäre, wenn keinerlei Unterstützung mehr von den Eltern käme?

Was wäre, wenn sie plötzlich stürben und dies und jenes an Unterstützung wegfiele?

In dieser Phase greifen viele Jugendliche zur Droge und betäuben sich, weil sie die Einsamkeit der geistigen Abnabelung nicht aushalten.

· Droge als Ersatz für Fehlendes

Manchmal sind es auch Neugierde oder soziale Gründe, die zu Drogenkonsum führen. Man möchte nicht durch das Ablehnen der Droge seinen Freund verlieren oder aus der Gruppe ausgeschlossen werden. Oft sind es aber auch schon klar umschriebene persönliche Motive, wie wir sie auch in der Erwachsenenwelt jeden Alters finden:

  • Flucht aus einer unbehaglich gewordenen Welt, aus einem von Streit und Missverstehen geprägten häuslichen Milieu, vor Sorgen und Problemen in der Schule oder am Arbeitsplatz;
  • Angst zu versagen – in einer Beziehung, im Beruf, in der Schule;
  • Sehnsucht nach Wärme, Licht, Freude, Harmonie, nach Nähe und Geborgenheit in einer Gemeinschaft, in der man endlich findet, was einem in Kindheit und Jugend versagt wurde; aber auch die Sehnsucht nach spiritueller Erfahrung;
  • Neugier auf das Besondere, Gefährliche, Abenteuerliche – der Wunsch, vom Leben „echt etwas zu haben“.

Auf Zeit Geborgenheit schenken

Bei der Behandlung muss sich der Therapeut auf professionelle Art zur Verfügung stellen, damit der Klient vorübergehend Halt finden kann in der Beziehung, als wäre er ein Kind. Manchmal man noch der Leibesangst Rechnung tragen und den Betreffenden beim Begrüßen und Verabschieden in den Arm nehmen. Man muss dem Klienten körperliche Geborgenheit geben, aber auch seelische Geborgenheit vermitteln durch Aussagen wie: „Ich schätze Dich sehr! Du bist wichtig! Lass Dich nicht fallen!“ Man muss zwischen Strenge und Sanftheit Autorität ausstrahlen und dafür sorgen, dass Selbsthilfegespräche in einer Gruppe stattfinden.

Entscheidend und gleichzeitig am schwersten ist es, im Gespräch durch das eigene Verhalten einen Raum zu schaffen, in dem der junge Mensch mit dem Alleinsein umzugehen lernt, und in dem er sich nach und nach an den Gedanken gewöhnt, dass auch der Therapeut wieder weg sein wird. Man muss in der Therapie nachholen, was eine gute Erziehung normalerweise leistet – ab da, wo der betreffende Mensch in seiner Entwicklung stehengeblieben ist.

Eigenaktiv Mut zu geistigen Erfahrungen entwickeln

Der Pathologie von Drogensucht liegt die Verweigerung von Geisterkenntnis zugrunde – meist aus Angst –, wobei diese ersetzt wird durch anderes. Ecstasy ist z.B. eine Droge, die kommunikative Schwächen überbrückt. Jugendliche, die nicht kommunizieren können, nehmen eine Tablette und können nach einiger Zeit mit jedem auf der Party schmusen, sprechen – alle Hemmungen sind weg. Drogen entängstigen, reißen Barrieren nieder und machen auch Mut, Neuland zu betreten. Die Droge ersetzt die Ich-Kraft, nach der man sich sehnt und die man nicht handhaben kann.

Es geht nun darum zu versuchen, es ohne Drogen zu schaffen, körperlich-seelisch Mut an der Grenze zu entwickeln, den Mut aufzubringen, eigenaktiv in geistige Bereiche vorzudringen. Viele erleben ja auch Spirituelles in der Drogenerfahrung, aber den Mut für solche Erlebnisse verdanken sie den Drogen. Wenn sie keine Drogen nehmen, haben sie Angst vor der geistigen Welt. Diese Angst gilt es bewusst zu überwinden.

Sinn aller Erziehung – und später auch der Therapie – sollte es sein, die Möglichkeit zu veranlagen, diese Sehnsüchte und Wünsche zunehmend durch innere Arbeit und eigene Aktivität, also durch Selbsterziehung und Entwicklung der eigenen seelischen und geistigen Fähigkeiten, zu befriedigen und nicht durch passiven Konsum und Stimulierung durch Substanzen.

Vgl. „Die Angst in der Selbsterziehung des jungen Erwachsenen“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013

PFLEGE DES ICH-SINNES DURCH KULTISCHE HANDLUNGEN

Welche Bedeutung haben die kultischen Schulhandlungen für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen?

Was macht sie so einzigartig im Rahmen des Schulbetriebs?

Über kultische Handlungen an Schulen

Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, warum wir uns seitens der Schulärzte schon seit vielen Jahren so warmherzig für die kultischen Schulhandlungen einsetzen und zudem seit Anfang der Neunzigerjahre regelmäßig hier in Dornach am Goetheanum im Rahmen der Schulärztetagungen an den im Holzhaus gehaltenen kultischen Handlungen teilnehmen: Wir wollen an den Schulen aus eigener Erfahrung darüber sprechen können.

Die Schulärzte organisieren seit 1959 im Gedenken an Eugen Kolisko regelmäßig gemeinsam mit Lehrern an verschiedenen Orten sogenannte Kolisko-Tagungen, um den Impuls der Zusammenarbeit zwischen Medizin und Pädagogik zu stärken. Die 2. Kolisko-Tagung war den Sinnen gewidmet. Damals hatte Heinz Zimmermann die Pädagogische Sektion neu übernommen. Wir fragten ihn, ob er nach Michael-Hall mitkäme, wo wir die Tagung abhalten wollten. Er sagte erfreulicherweise zu und hielt die Opferfeier für die gesamte Tagungsgemeinschaft.

Stimulation des Ich-Sinns

In der Vorbereitung hatten wir den 8. Vortrag der „Allgemeinen Menschenkunde“[1] gelesen und uns überlegt, wie man den Ich-Sinn am besten stimulieren kann bei den Schülern. Rudolf Steiner behandelt dort alle 12 Sinne streng von oben nach unten – anders als üblich beginnend mit dem Ich-Sinn – der Tastsinn wird unter „ferner liefen“ quasi noch mitbehandelt. Die Hauptausführungen macht er zu Ich-Sinn, Gedankensinn, Wortsinn und Hören. Danach fasst er sich relativ kurz.

Das Ideal im Hinblick auf das Unterrichten an sich ist laut Rudolf Steiner, dass der Lehrer ganz selbstlos dem Weltengeiste dient und offenbart, was ihm der Geist eingibt. Das ist der Traum, den wir alle teilen, wenn wir uns ernsthaft darüber austauschen. Als wir das lasen, war uns klar, dass das nur über die kultischen Handlungen geht. Nur in den Handlungen ist der Lehrer kraft seiner Vorbereitung ganz und gar gestimmt, das wahre Höhere Selbst – soweit es irgend geht – mitsprechen und durchleuchten zu lassen. Das hängt mit den ganz besonderen Bedingungen der rituellen kultischen Handlungen zusammen, weil sich der Lehrer in der Vorbereitung ganz und gar darauf besinnt: „Ich will hier Diener des Wortes und des Geistes sein, ich will Helfer sein. Ich möchte mich möglichst auslöschen mit meinem niederen Ich, sodass das Höhere durch mich sprechen kann.“

Geisterkenntnis durchleuchten lassen

Insofern hat der Ich-Sinn eine echte Chance, den Kraftanschluss des Lehrers, den der Schüler aus dem Alltag kennt, zu erleben: Plötzlich erscheint der Lehrer ihm wie ein anderer, egal, ob am Sonntag oder in der freiwilligen Religionsstunde. Einer der Gründe, warum ich als Kind und Jugendliche sonntags immer so gerne in die Handlungen ging, war, dass da die Lehrer so freundlich waren. Ich war als Lehrerkind nicht immer so nett, denn ich hatte manchmal Stress mit dieser Rolle und provozierte oft (unnötigerweise), um nicht zu brav zu erscheinen. Ich hatte es also mit dem einen oder anderen Lehrer schwer. Doch am Sonntag begrüßten unsere Lehrer uns so freundlich, als wären wir immer lieb und nett gewesen.

Ich fand diese Harmonie, diese Freundlichkeit, das Besondere zwischen der Herzlichkeit, Freudigkeit und Freundlichkeit beim Begrüßen und Verabschieden und dem Ernst am Altar, so schön. Man merkte, die Person mit ihren Vorlieben und Stimmungen war vollkommen unwichtig geworden, weil der Ernst der Geisterkenntnis durchleuchtete.

Wir Schulärzte interessierten uns zunehmend für die kultischen Handlungen, weil uns war klar, dass der Ich-Sinn der Schüler durch das Bemühen der Lehrer, Anschluss an das Höhere Ich, das Christus-Ich, zu finden, genährt wird. Dieses Bemühen, diese Suche, stellt die Kinder aller Altersstufen vollkommen zufrieden.

Vgl. Vortrag „Die salutogenetische Wirkung von Kinderhandlung, Jugendfeier und Opferfeier“, für Religionslehrer 2012


[1] Rudolf Steiner, Allgemeine Menschenkunde, GA 293.