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Medienpädagogik: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Geistesforschung
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= Medienpädagogik – von Michaela Glöckler =
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Auszüge aus Büchern und Vorträgen von [[Michaela Glöckler]]; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
Auszüge aus Büchern und Vorträgen von [[Michaela Glöckler]]; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
== VORWORT ZUM MEDIENRATGEBER ==
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht Aktuelles zum Thema Digitalisierung zu lesen oder zu hören ist. Man geht davon aus, dass in den nächsten 20 Jahren 60 bis 70% der aktuell vorhandenen Berufe durch elektronische Geräte und Roboter ersetzt werden können. Kein Wunder, dass viele Eltern denken:
''In diese Welt wachsen die Kinder hinein – warum sollten sie nicht auch schon von Anfang an mit dieser Technik konfrontiert und daran gewöhnt werden nach dem Motto: Früh übt sich, wer ein Meister werden will?''
''Noch dazu, wo die offiziellen bildungspolitischen Empfehlungen genau in diese Richtung zielen?''
Dabei wird übersehen, dass eine Technologie, die vom menschlichen Bewusstsein bedient wird, dieses auch stark in seiner Entwicklung beeinflusst. Das ist für ältere Jugendliche und Erwachsene kein Problem, wenn sich ihre Gehirne in der analogen Welt gesund entwickeln konnten – wohl aber für die Heranwachsenden, bei denen dieser Prozess noch nicht genügend abgeschlossen ist. Daher gibt es zunehmend auch die warnenden Stimmen, vor allem aus wissenschaftlicher, medizinischer und entwicklungspsychologischer Sicht.
In vielen Studien und aus großen Metaanalysen werden Forschungsergebnisse vorgestellt, die auf Nebenwirkungen und Gefahren einer zu frühen Digitalisierung in Kindergarten und Schule hinweisen: Beeinträchtigung der Frontalhirnentwicklung und des damit verbundenen autonomen Denk- und Kontrollvermögens, Haltungs- und Augenschäden, Empathieverlust, Defizite im sprachlichen Ausdrucksvermögen, Abhängigkeiten von sozialen Netzwerken, Suchtgefährdung – ganz abgesehen von den noch viel zu wenig beachteten Nebenwirkungen des Elektrosmogs auf das Nervensystem, das in Kindheit und Jugend viel sensibler reagiert als später.
Dabei gibt es auch zu bedenken, dass prominente IT-Größen wie Steve Jobs, Bill Gates, Jeff Bezos ihren Kindern den frühen Zugang zu Smartphone & Co. versagten und gemäß Statistiken die Kinder von Akademikern weit weniger Zeit vor dem Bildschirm verbringen als die der übrigen Bevölkerung. Auch sind sich Entwicklungsneurologen wie Prof. Gerald Hüther und Wirtschaftsexperten wie McAfee, Direktor für Digital Business am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge einig, dass es in der durch Informationstechnologie bestimmten Welt von morgen vor allem Kreativität, soziale Kompetenz sowie unternehmerisches Denk- und Handlungsvermögen braucht.
Der chinesische Unternehmer Jack Ma, der den asiatischen Amazon-Konkurrenten Alibaba aufgebaut hat, brachte es beim Weltwirtschaftsforum in Davos auf den Punkt: Statt Wissen zu pauken, das doch jeder Computer schneller parat hat, sollten die Schulen „Werte, Vertrauen, unabhängiges Denken, Teamwork“ lehren und kreativen Fächern wie Kunst, Kultur, Musik und Sport mehr Raum geben. Diese kreativen und unternehmerischen Kompetenzen jedoch haben ihr Entwicklungsfundament in der analogen Welt, nicht in der digitalen!
Diesem Paradox müssen wir uns stellen: Soziale Fähigkeiten, Kreativität und schöpferisches Denken brauchen für ihre Entwicklung den unmittelbaren Umgang mit Menschen und das Gespräch mit Andersdenkenden, nicht den Computer.
''Was also ist zu tun?''
All dies zu wissen hilft ja noch nicht, den Familienalltag zu meistern, in dem das Smartphone nicht nur zum unentbehrlichen Begleiter, sondern oft auch zum Streitpunkt geworden ist. Es braucht hier klare Hinweise und praktische Tipps, wie man Kinder und Jugendliche in ihrem jeweiligen Lebensalter so begleitet, dass die möglichen Schäden vermieden werden können. Dafür ist dieser Medienratgeber[1] gedacht. Er zeigt auf, was Kinder und Jugendliche für einen gesunden Einstieg ins mediale Zeitalter brauchen. Viele Fachleute und Organisationen haben dafür den Autoren – Medienexperten und Pädagogen – zur Seite gestanden, wie die Liste der Unterstützer und Förderer dieses Ratgebers zeigt. Was sie verbindet ist die Liebe zu den Heranwachsenden und die große Verantwortung, die wir ihnen gegenüber haben. Unsere Hoffnung ist, möglichst vielen Kindern und Jugendlichen ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen, damit sie ihrer digitalen Zukunft kompetent begegnen können und den Anforderungen ihres Lebens gewachsen sind.
''Vgl. Michaela Glöckler, Vorwort zu „Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt'''“,''' Stuttgart 2018''
----[1] Hrsg. ''Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt (Glomer shop).''
== AUFRUF GEGEN ZU FRÜHE GEWÖHNUNG AN MEDIEN ==
''Worum geht es bei diesem Aufruf?''
''Was sind die Gefahren zu früher Gewöhnung an Medien?''
''Woran liegt es, dass immer mehr Kinder immer früher Medien ausgesetzt sind?''
Die Unterzeichner dieses Aufrufs sind um die gesunde Entwicklung der nachkommenden Generationen besorgt. Sie möchten sich für konstruktive Bildungsinvestitionen in Kindertagesstätten, Kinderkrippen, Kindergärten sowie im Vorschulbereich einsetzen und ein breites Netzwerk bilden, um mit dieser Initiative rasch und überzeugend voranzukommen.
=== ''Erschreckende Risiken und Nebenwirkungen'' ===
Die Haltung vieler Erwachsener scheint sich durchzusetzen, dass die frühe Gewöhnung an das digitale Zeitalter unvermeidlich ist, zumal ja auch namhafte Bildungspolitiker mit hohen Investitionen in diesem Bereich imponieren. Umso erschreckender ist es, in welchem Ausmaß die Risiken und Nebenwirkungen der digitalen Informationstechnik dabei vergessen werden. Diese Risiken und Nebenwirkungen sind umso stärker ausgeprägt, je jünger das Kind ist. Dies liegt daran, dass das Gehirn umso plastischer ist, je jünger ein Mensch ist – und deshalb viel empfindlicher für Fehlstimulationen und störende Einflüsse.
Ein Drittel aller einjährigen Kinder in den USA hat Umgang mit dem Computer, bevor die Kinder laufen oder sprechen können. In Deutschland verbringen bereits 70% der 2- bis 5-jährigen eine halbe Stunde täglich mit einem Smartphone. Die am häufigsten von 6-jährigen in Deutschland verwendete App ist Facebook. Alle Vorschulkinder schauen fern, oft weit über eine Stunde am Tag.
Dabei ist erwiesen: Tablets für Babys fördern nicht ihre Bildung, sondern führen zu Bewegungslosigkeit, sensorischer Fehlstimulation und Isolation von der realen Umwelt. Entsprechendes gilt für das Baby-Töpfchen mit iPad-Halter. Da sitzt das Kleinkind auf dem Töpfchen vor dem iPad, um auch diese kostbare Zeit zum Lernen zu nutzen. Das Gerät verfehlt auch hier seinen Zweck, indem es das Kind von der in diesem Alter so notwendigen körperlichen Selbsterfahrung ablenkt.
=== ''Eigenaktivität und Entwicklung'' ===
''Warum ist Eigenaktivität so wichtig?''
Es gehört zu den wichtigsten Erkenntnissen aus der Gehirnforschung der vergangenen Jahrzehnte, dass Kinder Geschicklichkeit, Laufen, Sprechen und Denken am besten durch Eigenaktivität lernen – durch Versuch und Irrtum, durch freies Spielen, durch Nachahmung im direkten Kontakt mit anderen. Ganz allgemein gilt: Gehirne machen keine Downloads. Sie ändern sich vielmehr aufgrund aktiver Nutzung durch eigenes Beobachten, Entdecken, Untersuchen, Hören, Tasten, Riechen, Schmecken, Mit- und Einfühlen, Denken, Sprechen, Handeln: Alles was ein Mensch tut, und vor allem eigenständig tut, ist begleitet von konstruktiver Gehirnaktivität. Denn diese aktive Inanspruchnahme des Gehirns ist der Anreiz für seine tagtägliche Weiterentwicklung. Eigenaktivität sorgt für gesunde Gehirn- und Körperentwicklung. Auch das später in der Schule oft vermisste Konzentrationsvermögen wird insbesondere im ersten Lebensjahr veranlagt.
Bittet man ein 4-jähriges Kind darum, die Nadel, den Stift, den Schlüssel, das Ei oder den Eimer zu halten, oder sich selbst an einer Stange festzuhalten, dann macht es spontan und ohne jede sichtbare Anstrengung diese komplexen Bewegungen der Hand, die zudem an Gewicht, Größe und Oberflächeneigenschaften der Objekte automatisch angepasst werden. Alle Sinne sind dabei beteiligt.
Im Gegensatz zu einem Computer mit Verarbeitungs- und Speichermodul für Informationen gibt es im Gehirn keine Trennung von Verarbeitung und Speicherung: Wenn das Gehirn Informationen verarbeitet, ändern sich die Verbindungen zwischen Nervenzellen – und diese sind der Speicher. Je mehr ein Gehirn verarbeitet hat, desto mehr hat es auch gespeichert und desto besser kann es wiederum verarbeiten. Je mehr Sprachen ein Mensch spricht, desto leichter fällt es ihm eine weitere neue zu lernen. Die Sprachzentren werden dabei nicht „voll“, sondern können ganz im Gegenteil umso mehr speichern, je mehr schon in ihnen gespeichert ist! Diese Eigenschaft eines paradoxen Speichers gilt ganz allgemein. Je mehr Musikinstrumente ein Mensch spielen kann, je mehr Werkzeuge er benutzen kann, je mehr Bücher über ein bestimmtes Sachgebiet er gelesen hat, desto leichter fällt es ihm, noch ein weiteres Instrument oder Werkzeug verwenden zu lernen oder noch ein Buch über das Sachgebiet zu lesen.
=== ''Mit dem Alter abnehmende Bedeutung nicht digitaler Bildungsangebote'' ===
Eine Darstellung des Zusammenhanges zwischen Alter und Lerngeschwindigkeit, dargestellt als Abnahme der Rendite von Bildungsinvestitionen über die Lebensspanne des zu bildenden Menschen (nach Heckman 2006), zeigt anhand einer Kurve, wie stark die Lerngeschwindigkeit über das Lebensalter hin abnimmt. Wer mit einem Vierjährigen Memory spielt, hat einen unmittelbaren Beweis hierfür. Weil das so ist, möchten die Bildungsverantwortlichen gerade die ersten Jahre intensiv für das Lernen – und warum nicht auch den Umgang mit den Medien? – nutzen. Doch genau dieses Vorgehen ist wenig zielführend, wie die nachstehenden Ausführungen zeigen. Im Gegenteil: Konstruktive, gesundheitsfördernde, nicht digitale Bildungsangebote lohnen sich
* in der Kita am allermeisten,
* in der Schule noch recht gut
* und danach deutlich weniger.
So fördern z.B. Fingerspiele mathematische Fähigkeiten und die Entwicklung des Frontalhirns, der Umgang mit Tablet-Computern hingegen nicht. Denn geistige Leistungen werden von Gehirnarealen erbracht, die ihre Signale aus den aktivierten sensorischen und motorischen Arealen empfangen.
Deswegen ist es so wichtig, in Kindheit und Jugend auf eine breite Bildung zu setzen und insbesondere die Sensorik und Motorik zu fördern. Denn nichts ist ungeeigneter zum Training sensorischer und motorischer Gehirnareale als das Wischen mit der immer gleichen Bewegung über eine Glasoberfläche ohne jegliche sensorische Differenziertheit. Und da höhere geistige Leistungen von Gehirnarealen vollbracht werden, die ihre Signale aus sensorischen und motorischen Arealen empfangen, wird komplexeres Denken durch Wischen über Tablets seiner Voraussetzungen beraubt.
Es geht uns hier nicht um Technologie-Feindlichkeit – es geht uns vielmehr um den Schutz des Entwicklungsraums Kindheit, um das Kindeswohl, das Menschenrecht auf Kindheit, damit Jugendliche und Erwachsene kompetente Nutzer von Technologie sein können – da, wo sie am Platz ist.
=== ''Beispiel Südkorea'' ===
Kinderärzte in den USA warnen seit Jahren vor den genannten Risiken und Nebenwirkungen und fordern für Kleinkinder eine völlige Abwesenheit von digitalen Medien und für Kinder eine deutliche Verminderung der Zeiten, in denen sie diesen ausgesetzt sind. Dem sind die südkoreanischen Bildungspolitiker jetzt gefolgt. Südkorea ist das erste Land, in dem die Regierung bereits im Jahr 2015 per Gesetz damit begonnen hat, die junge Generation vor den schlimmsten Auswirkungen der neuen Technik aktiv zu schützen. Wer unter 19 Jahren alt ist und ein Smartphone kauft, muss darauf eine Software installiert haben, die
# den Zugang zu Gewalt und Pornographie sperrt,
# die tägliche Nutzungszeit des Smartphones registriert und den Eltern eine Mitteilung sendet, wenn diese einen voreingestellten Wert überschreitet und die
# nach Mitternacht die Verbindung zu Spiele-Servern unterbricht.
Man hat also im digital am weitesten entwickelten Land begriffen, wie wichtig es ist, die nachfolgende Generation vor den Risiken und Nebenwirkungen dieser Technik zu schützen. Denn Südkorea ist das Land mit der weltweit fortschrittlichsten digitalen Infrastruktur und produziert weltweit die meisten Smartphones. Daher gibt es dort in der Altersgruppe der Menschen von 10 bis 19 Jahren bereits über 90% kurzsichtige und über 30% Kinder und Jugendliche mit einer Smartphone-Sucht.
''Wollen wir so lange warten, bis dies bei uns in Europa auch so ist?''
=== ''Sprachentwicklung durch Beziehung'' ===
Ein eingeschalteter Fernsehapparat im Hintergrund stört die Sprachentwicklung ebenso wie elektronische Bücher, die sich selbst vorlesen, oder aber die Beschäftigung mit den digitalen Medien. Der Dialog mit dem Kind, auch das von Gesprächen begleitete Vorlesen, ist für dessen sprachliche und gedankliche Entwicklung am wichtigsten. Hier gilt: Viel hilft viel. So beträgt der Unterschied eines Oberschichtkindes zu einem Unterschichtkind bei der Einschulung 30 Millionen Wörter, die das Oberschichtkind mehr gehört hat als das Unterschichtkind (Hart & Risley 1995). Entsprechend sind dessen Sprachzentren besser trainiert und der Eintritt in die Bildungskarriere fällt leichter.
Auch die soziale Kompetenz wird nicht am Tablet geschult, sondern durch direkten Umgang mit anderen Menschen, von denen jeder einmalig ist und nicht programmierbar. Die Tatsache, dass ein Erwachsener das Kind mit Interesse wahrnimmt und das Kind sich in diesem Wahrgenommen-Werden „gut fühlt“, regt es zu eigenem Tun an.
=== ''Warum wir alle gefragt sind'' ===
Wir dürfen weder die Gesundheit und Bildung der nächsten Generation und damit unsere Zukunft, noch die Grundpfeiler unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft den ökonomischen Interessen der reichsten Firmen der Welt überlassen! Daher müssen unsere Bildungseinrichtungen, allen voran die Kinderkrippen und Kindertagesstätten, frei bleiben von den nachweislich negativen Einflüssen von deren Produkten auf unsere Kinder! Es geht um nichts weniger als um die Verteidigung der Grundwerte unserer Gemeinschaft gegenüber einer übermächtigen Wirtschafts-Lobby. Wer sich hier nicht einmischt, handelt verantwortungslos gegenüber der nächsten Generation, der wir schon genug Probleme – Schulden, Konflikte und einen vermüllten Planeten – hinterlassen haben.
''Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer, Dr. med. Dr. hc. Michaela Glöckler, Dr. med. Silke Schwarz, Elisabeth von Kügelgen, Dagmar Scharfenberg, Beate Wohlgemuth, Oliver Langscheid, Michael Wetenkamp, Frank Linde, Johannes Stüttgen, Helga Kühl, Angelika Fried''
''Vgl. Aufruf gegen Digital-Kindergärten, Dezember 2016, www.eliant.eu''
== Medienpädagogik und Erziehung zur Freiheit ==
''Warum muss Erziehung zur Freiheit Hand in Hand gehen mit Medienpädagogik?'''[1]'''''
''Was sagt Rudolf Steiner zur Technik bzw. zu den damals zukünftigen Medien?''
''Was können und müssen wir tun, um die kulturelle Entwicklung positiv zu beeinflussen?''
Rudolf Steiner hat sich einige Male sehr dezidiert darüber geäußert, wie das Leben in 100 bis 400 Jahren aussehen wird – so auch bezüglich der Technik. Ich bin immer wieder berührt, wie präzise diese Voraussagen sind und wünsche mir, dass sich eine Gruppe von Menschen findet, die Rudolf Steiner einmal als Menschen beschreibt, der die Zeichen der Zeit „lesen konnte“ und dadurch einen prophetischen Blick entwickelte.
=== ''Rudolf Steiners Aussagen zum technischen Fortschritt'' ===
==== '''·''' Der todbringende Aspekt der Technik ====
Rudolf Steiner spricht aus der geisteswissenschaftlichen Forschung heraus mit großer Begeisterung über das Wesen der Technik. Augenzeugen berichten, dass er im Auto durch das Ruhrgebiet fuhr, damals die größte Industriezone von Deutschland. Er schaute aus dem Fenster und sagte: „Alles tot.“ Er war aber nicht etwa traurig darüber, sondern stellte es einfach fest. In seinen Vorträgen führte er aus: Die Technik wird der Erde den Tod bringen, weil sie von ihren Energiereserven zehrt und Zerstörung und tiefgreifende Umwälzungen mit sich bringt. Technik ist nicht nur an sich etwas Totes, sondern wirkt sich auch todbringend aus. Die Stahlindustrie ist nicht nur für viele „friedliche“ Maschinen und Schneidewerkzeuge verantwortlich, sondern auch weltweit eng mit der Produktion von Waffen verknüpft, die todbringend sind. Diese Zusammenhänge stellen ''eine'' Richtung der Imagination für die Zukunft dar.
==== '''·''' Der befreiende Aspekt der Technik ====
Es gibt aber noch einen anderen Aspekt: Sterbeprozesse geben uns Menschen die Möglichkeit, uns von dem Materiellen zu lösen und somit frei zu werden von allem, was uns mit der Natur und der Umwelt quasi handgreiflich verbindet. Darauf beruht ja auch unser Denkvermögen. Die Todes- und Sterbeprozesse als Voraussetzung des Freiwerdens des Geistigen und der Entstehung von Freiheitsbewusstsein implizieren die Möglichkeit wunderbarer kultureller Wandlungsschritte, werfen aber auch Fragen auf:
''Was soll der Mensch mit seiner Freiheit anfangen?''
''Kann er mit sich und der Welt etwas anfangen?''
''Ist er zur Freiheit erzogen worden?''
Die sogenannte Arbeitslosigkeit, die wir meist beklagen, hat zugegebenermaßen etwas Furchtbares. Sie hat aber den Effekt, dass Millionen von Menschen bereits frei sind, den ganzen Tag lang zu machen, was sie wollen. Arbeitslosigkeit eröffnet die Möglichkeit, sich selbst in Freiheit Aufgaben zu suchen. Wenn aber Menschen nur zu Lohnempfängern erzogen wurden, die große Ansprüche an den Staat stellen, können sie mit der ihnen zur Verfügung stehenden Freiheit nichts anfangen und werden zu verzweifelten Arbeitslosen, die sich irgendwie mit dem Internet und anderen Medien als Zeitvertreibern über Wasser halten. Wir sollten deshalb nicht nur über Medienpädagogik, sondern vorbereitend auch über „Freiheitspädagogik“ sprechen, das erscheint mir ebenso wichtig.
=== ''Erziehung zur Freiheit – aber wie?'' ===
Mich hat in diesem Zusammenhang immer gewundert, warum man nicht überall die Frage stellt:
''Wie müssen unsere Bildungspläne und -einrichtungen aussehen, dass Lust auf Freiheit geweckt wird?''
''Dass Menschen den Moment herbeisehnen, in dem sie nicht mehr müssen, sondern nur noch dürfen?''
Die Waldorfpädagogik sagt als einzige dezidiert: Wir wollen zur Freiheit erziehen. Man wird in Zukunft immer besser verstehen, warum das so wichtig ist. Erziehung zur Freiheit muss mit der Erziehung zu Medienkompetenz Hand in Hand gehen. Technik schafft die Voraussetzungen für Freiheit und Freiheit ist ein Kulturgut des Menschen. Der technische Fortschritt dient demnach der Menschheitsentwicklung.
=== ''Moral als Interesse an anderen'' ===
Die Frage, was der Mensch mit seiner Freiheit anfangen soll, ist damit noch nicht beantwortet, auch nicht die Frage, was er überhaupt tun kann, bzw. aus welcher geistigen Orientierung heraus er etwas tun sollte. Bei all diesen Fragen geht es um die Frage nach dem Guten:
''Will ich Gutes tun mit meiner Freiheit oder will ich meine Menschenkraft der Zerstörung, dem Bösen und Destruktiven widmen?''
Das ist im Grunde die Frage nach Moral und Verantwortung. Rudolf Steiner definiert Moral als Interesse für den anderen – das finde ich einen sehr schönen Moralbegriff: Jemand ist umso moralischer, je mehr Interesse er für andere Menschen, für die Natur, für die Welt aufbringt und je mehr er aus diesem Interesse heraus die Zusammenhänge und Erscheinungen im Großen wie in Kleinen wirklich zu verstehen beginnt.
=== ''Rudolf Steiner Visionen von PC und Laptop'' ===
Ich möchte Worte vorlesen, die im nächsten Jahr 100 Jahre alt werden und die ich sehr berührend finde: ''„Heute sind wir noch nicht so weit, dass in der Schule keine religiösen Überlieferungen mehr gelehrt werden, aber wie viele verlangen nicht schon, dass nur dasjenige gelehrt wird, was die Naturwissenschaft bringt.“ (''Deutschland gehört zu den wenigen Ländern, in denen Religion an der Schule noch gelehrt wird. In ganz Amerika ist das ein Tabu genauso wie im Norden Europas – dort gibt es nur noch Ethikunterricht. Diese Zukunftsvision hat sich zu großen Teilen schon erfüllt.)
''„Für das äußere Leben werden ja die Forderungen dieser Menschen so mächtig werden, dass in sehr kurzer Zeit die Menschheit ungeheuer veräußerlicht sein wird. Heute lernt der Mensch noch schreiben, in einer nicht sehr fernen Zukunft wird man sich nur noch daran erinnern, dass die Menschen in früheren Jahrhunderten geschrieben haben, es wird eine Art der mechanischen Stenografie geben, die dazu noch auf der Maschine geschrieben werden wird.“''[2]
Rudolf Steiner sah PC und Laptop voraus mitsamt den wunderbaren Wortergänzungsprogrammen: Man muss nur noch den Wortanfang eingeben und bekommt sofort drei, vier Angebote – ein Klick und schon steht das richtige Wort da. Es gibt auch schon Programme zur Spracherkennung. Man hat förmlich vor Augen, wie Rudolf Steiner all das vor sich sah. Ich kenne einen anderen Vortrag, in dem er sagt, man werde ''„einen Ballen Baumwolle von Liverpool nach Rom verschieben“'' und bringt das Wort „schieben“ immer wieder – wie man auf dem Computer per Klick Dateien verschiebt. Er hat ganz präzise vor Augen, wie das aussehen wird: ''„… So wird die Mechanisierung des Lebens vor sich gehen.“'''[3]'''''
=== ''Notwendigkeit der Aufklärung über sich selbst'' ===
''Was kann jeder inzelne von uns tun, um noch konsequenter, noch intensiver, da wo er es vermag, einen positiven Einfluss auf die nächsten Jahrzehnte menschlicher Kulturentwicklung zu nehmen?''
Rudolf Steiner betont an all diesen Stellen, dass diese Entwicklung sich vollziehen wird, dass es keinen Sinn habe, etwas dagegen unternehmen zu wollen. Es müsse aber eine Parallelentwicklung stattfinden, eine Ergänzung, die nur gelingen könne, wenn der Mensch seine Freiheit zum Guten gebraucht. Hier nun seine Vision einer parallelen Entwicklung:
''„Das äußere Leben wird veräußerlicht werden, aber das innere Leben wird sein Recht fordern, dasjenige, was wir heute als Geisteswissenschaft treiben, mögen die Menschen jetzt noch verspotten, aber vor dem Sehnsuchtsschrei der Menschen nach der geistigen Welt werden sich die Materialisten zurückziehen müssen und so wird man anfangen, den Christus zu erkennen, in denjenigen Zeitepochen, die einen offenen Sinn für die Spiritualität haben werden, dann allerdings durch die Reaktion gegen das veräußerlichte Leben.“'''[4]'''''
Rudolf Steiner sieht in der technischen Entwicklung die Möglichkeit aufzuwachen für die Notwendigkeit, durch die Oberflächlichkeit hindurch in die eigenen Wesenstiefen vorzudringen und den Christus als innersten Evolutionsfaktor zu erkennen. Die Sehnsucht der Menschen wird dahin gehen, von größtmöglicher Veräußerlichung zur größtmöglichen Verinnerlichung zu gelangen. Auch das ist eine Frage der Erziehung.
Erziehung zur Freiheit ist nicht nur Erziehung zur Medienkompetenz, zum Umgang mit der modernsten Spielart der Technik, der digitalen Welt. Erziehung zur Freiheit ist auch Erziehung zur Spiritualität. Dabei geht es nicht darum, Heranwachsende für ein bestimmtes Glaubensbekenntnis zu „präparieren“, sondern sie zu einer vollkommen freien Spiritualität zu führen, die ihnen die Möglichkeit gibt, ''sich selbst zu finden'' bzw. die Spiritualität zu finden, die zu ihnen gehört, die ihrem Menschentum entspricht. Aus diesem Grunde benutzt Rudolf Steiner für seine Geisteswissenschaft das nicht ganz einfache Wort aus dem Griechischen „Anthroposophie“, das nur das Eine aussagen will: Es gibt ein Wissen von der Menschlichkeit. Man kann ein Bewusstsein vom eigenen Menschentum entwickeln. Um diese Bewusstseinsbildung geht es, um die Aufklärung über sich selbst. Deswegen ist der edelste Bereich der Anthroposophie die Menschenkunde – aus medizinischer und pädagogischer Sicht, aber auch unter dem Gesichtspunkt der Evolution.
''Vgl. „Ich im Netz“, Was geschieht mit uns im Internet?“, Amthor Verlag, Heidenheim 2015''
----[1] <nowiki>https://eliant.eu/aktuelles/wissenschaftliche-referenzen-und-materialien-zur-konferenz/</nowiki>
[2] ''Rudolf Steiner''. ''Gegenwärtiges und Vergangenes im Menschengeiste'', ''GA 167'', 12 Vorträge, Berlin 1916.
[3] Ebenda., S. 98.
[4] ''Ebenda.''
== BEFREIUNG DURCH TECHNIK UND IHRE FOLGEN ==
''Welche Auswirkungen hat die um sich greifende Technisierung auf unsere Fähigkeiten?[1]''
''Wofür wird der Mensch, der die Arbeit von den Maschinen machen lässt, frei?''
== ''Bedeutung der Technik für die Entwicklung des Menschen'' ==
Technik und die Multimedia-Kultur begeistern und beschäftigen die Erwachsenen und dementsprechend auch die Kinder. Ein entwicklungsfreundlicher Umgang mit dieser elek­tronischen Welt gelingt erst, wenn die Bedeutung der Technik für die Entwicklung des Menschen gesehen wird. Unsere Zeit wird mittlerweile vollständig bestimmt von einem Technisierungsprozess, der sich in drei Stufen vollzog und enorme Folgen für jeden einzelnen hat, über die sich die meisten Menschen viel zu wenig im Klaren sind:
==== 1. Abnahme der körperlichen Arbeit durch Maschinen ====
Beginnend mit der industriellen Revolution in England in der Mitte des 18. Jahrhunderts kam die Umstellung von der Handarbeit auf die maschinelle Produktion. Grundlage hierfür war die Entwicklung der Dampfmaschine, gefolgt von Generationen von Verbrennungsmotoren. Die Maschinen wurden dafür gepriesen, dass sie den Menschen die schwere körperliche Arbeit abnahmen – inzwischen einen Großteil der Hand- und Beinarbeit: Den heutigen Arbeitern („Werkern“) bleibt neben dem Steuern von Land-, Bau- sowie Transportmaschinen meist nur noch das Arbeiten am Fließband, das stressig und eintönig zugleich ist, bzw. das öde Drücken von Knöpfen, das aber Wach­samkeit und hohe Konzentration erfordert.
==== 2. Abnahme des Selber-Abspürens durch Messtechnik ====
Mit der großtechnischen Nutzung der Elektrizität und der Elektrifizierung der Haushalte kamen kleiner und handlicher werdende Geräte hinzu. Es ist kaum vorstellbar, in welch kurzem Zeitraum sich die Nutzung der Elektrizität global ausgebreitet hat, wenn man be­denkt, dass die Glühbirne, durch Heinrich Goebel 1854 erfunden und von Thomas Edison weiter optimiert, erst 1879 zum wirtschaftlichen Erfolg geführt hat. Die Erfindung des Kinematografen (Filmaufnahmeapparat) sowie des Kohlekörnermikrofons fällt in den­selben Zeitraum.
Zu dieser zweiten Maschinengeneration gehörte auch eine Fülle an Messinstrumenten, die den Menschen durch die Messtechnik das Fühlen, das sensible Abspüren und Beobachten mit den eigenen Sinnen abnahmen. Man hatte jetzt ein Thermometer und musste nicht mehr den Arm ins Wasser halten, sondern nur das Thermometer eintunken. Die Folge ist, dass wir Menschen die Fähigkeit, unsere Umwelt selbst zu fühlen, das Abmessen, Abwägen, Abspüren, Wittern usw., nicht mehr erlernen.
==== 3. Abnahme des Denkens durch Informationstechnologie ====
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte dann die dritte große technische Revolution ein. Ma­schinen wurden entwickelt, die Intelligenzarbeit übernehmen können: die Informations- und Computersysteme. Die Informationstechnologie ist die dritte Maschinengeneration, die uns Menschen viele Facetten der Verstandesarbeit abnimmt. Man kann fast alles vom Computer errechnen lassen bzw. abfragen oder bestellen, braucht dafür nirgendwo mehr hinzugehen, kein Buch mehr aufzuschlagen.
Die Medientechnologie nimmt uns aber auch das ''Hervorbringen von Gefühlen'' ab – wir konsumieren Gefühle nur noch, wählen per Knopfdruck, was wir in diesem oder jenem Moment fühlen wollen.
=== ''Arbeitslosigkeit und Sinnkrise als Folge'' ===
Damit sind menschlicher Wille und Arbeitskraft auf körperlicher, seelischer und geistiger Ebene nicht mehr gefordert – worauf sich logischerweise die Frage stellt, wozu der Mensch überhaupt noch gebraucht wird. Diese Sinnkrise ist eine notwendige Folge der Technisierung: Der Wille des Menschen ist arbeitslos geworden. Und nicht nur das: Diese dreifache technische Revolution hat große Schübe von Massenarbeitslosigkeit mit sich gebracht. Dadurch sind aber auch – neben Armut – geradezu epidemische Erscheinungen von Sinnlosigkeitserleben, Resignation und Depression aufgetreten. Millionen von Menschen erleben sich nicht mehr als sinnvoll tätig in das gesellschaftliche Leben integriert. Das Problem, das mit der technischen Entwicklung entstanden ist, ist die Konfrontation mit der Zweck- und Sinnbestimmung des eigenen Wollens, des Umgangs mit den eigenen Fähigkeiten. Denn Arbeit bedeutet immer auch Entwicklung von Fähigkeiten und ein damit verbundenes Sinnerlebnis.
''Was ist also der Sinn des Lebens im digitalen Zeitalter?''
Die Technik hat uns befreit. Wir unterliegen nicht mehr dem Zwang pausenlos aktiv zu sein, um überleben zu können; Maschinen verrichten den Großteil der körperlichen Arbeit. Kinder und Jugendliche wachsen zudem mit dem Wissen heran, dass sie nichts mehr auswendig lernen müssen, weil sie alles Benötigte aus dem Internet herunterladen können. Beides bringt im Grunde eine unglaubliche Freiheit – doch wofür? Damit der Mensch kreativ werden kann und sich nicht mehr mit würdelosen Routinearbeiten abgeben muss; dass er auf seine Art seinen Teil zum Weltgeschehen im Großen und im Kleinen bei­zusteuern kann und frei ist zu tun, was benötigt wird.
=== ''Möglichkeiten nützen lernen'' ===
Doch all diese positiven Möglichkeiten stecken noch in den Kinderschuhen. Würden wir sie wirklich begreifen und konstruktiv nützen, würde Arbeitslosigkeit zu einem Fremdwort bzw. würde sie total umgedeutet werden. Solange Menschen jedoch meinen, sie hätten ein Recht, in dem Beruf beschäftigt zu werden, den sie gelernt haben, werden sie dadurch arbeitslos und abhängig von dem, was auf einen zukommt. Man reagiert nur und hat obendrein den Anspruch, dass einem der passende Job angeboten, dass dies und das vom Arbeitsamt unternommen wird.
In dem Maße, in dem die Medien zunehmend auch in die Schule geholt werden, kann die Erziehung immer weniger ausgleichend wirken. Die Kinder werden dadurch noch unfähiger, unmündiger und weniger kreativ. Würden sie dazu angehalten werden, Maschinen und Medien gezielt nur dafür zu benützen, dass ihnen alle Routinearbeit abgenommen wird, wären sie frei für schöpferische Tätigkeiten im geistigen und sozialen Bereich. Denn die Technik sollte unserem Leben assistieren, es aber nicht so dominieren, wie es heute immer mehr der Fall ist. Wir sind Opfer einer technisierten Kultur, die noch keine adäquaten Erziehungsmodalitäten ausgebildet hat, wie man der technologischen Entwicklung mit zeitgemäßen Bildungs-, Arbeits- und Entwicklungsplänen begegnet.
''Vgl. „Gesundheit durch Erziehung“, Kapitel 16, „Medienmündigkeit und Technik, Dornach 2006''
----[1] Michaela Glöckler, Wolfgang Göbel, ''Kindersprechstunde.'' Stuttgart 2005, S. 470.
== KULTURFÖRDERNDE MÖGLICHKEITEN VON INTERNET UND SOCIAL MEDIA ==
''Was sind die kulturfördernden Aspekte der Medien?''
''Was ist das richtige Timing dafür?''
''Wodurch muss Mediennutzung kompensiert werden, um nicht zu schaden?''
=== ''Gesellschaftlicher Nutzen von Medien'' ===
Gute Medienpädagogik muss um den richtigen Zeitpunkt für den Einsatz von Medien wissen, und zugleich die große Kulturleistung und die Nützlichkeit der Medien anerkennen. Ich bin ein begeisterter Nutzer der Social Media, weil ich darin die einzige Möglichkeit sehe, dass überhaupt Demokratie realisiert werden kann – über die Bildung von Zivilgesellschaften. Ich hoffe sehr, dass das Internet noch lange frei bleibt, weil es, in Ermangelung von politischen Instrumenten, das einzig brauchbare Instrument für die Bildung von NGOs ist. Es ist ein geniales Instrument für zivilgesellschaftliches Engagement, für die Bildung von globalem Bewusstsein. Wenn es genügend freie Menschen gibt, ist das Internet eine grandiose Sache. Für abhängige, spielsüchtige User, wie sie in Scharen die Schulen verlassen, ist es dagegen eine lebenslange Gefährdung.
Ich bin noch gar nicht so lange bei Facebook und habe schon Tausende Follower. Ich finde das rührend. Wenn ich unterwegs bin, spricht mich manchmal jemand an und sagt: „Wir sind Facebook-Freunde“ – das finde ich schön, obwohl ich meinen Freundeskreis längst nicht mehr überblicken kann. Ich sehe es aber als notwendig an, mich auch im Internet zu engagieren. Eine Millionen Unterschriften zu sammeln für unsere Aktion ELIANT[1] hätten wir ohne Internet nicht geschafft. Ich sehe darin zukünftige Möglichkeiten für die anthroposophische Kultur – wenn man meint, es ginge ohne, hat man nicht das Ganze im Auge.
=== ''Spiritualität zur Kompensation'' ===
Wir brauchen beides, wie Rudolf Steiner immer wieder betonte:
* Größtmögliche Veräußerlichung durch Medien, wie sie heute Trend ist
* Maximale seelisch-geistige Vertiefung als Kompensation
Beide Welten sind außerkörperlich, unser spirituelles Leben und die Elektronik. Deshalb brauchen wir ein starkes Geistesleben, um die Schäden der Elektronik – Schwächung des Ätherischen, Dauerermüdung – zu kompensieren. Nur dann kann man sich wirklich auf medienmündige Art und Weise mit den elektromagnetischen Superwaves auseinandersetzen.
Was wir alle tun können, was für den Umgang mit Technik im Allgemeinen gilt, auch für den Fahrstuhl, die Rolltreppe und den Lichtschalter: Wir sollten sie nur benützen, wenn wir sie wirklich brauchen, mit großer Dankbarkeit, nie aus Bequemlichkeit oder Gedankenlosigkeit. Dadurch sparen wir unendlich viel Energie. Denn durch die Eigenaktivität, die an die Stelle der nicht in Anspruch genommenen Technik tritt, halten wir uns gesund und sparen gleichzeitig Energie, Strom.
Ein solcher Umgang ist nicht technikfeindlich, sondern technikmündig. Es geht darum, ständig wach zu sein, um sich von der Welt der Technik nicht gefangen nehmen zu lassen.
''Vgl. „Ich im Netz. Was geschieht mit uns im Internet?“, Amthor Verlag, Heidenheim 2015''
----[1] Mehr unter: www.eliant.eu
== GOLDENE REGEL FÜR DEN UMGANG MIT TECHNIK UND MEDIEN ==
''Wie muss Erziehung im Hinblick auf einen gesunden Umgang mit der technischen Ent­wicklung aussehen?''
''Ab welchem Alter wird der Umgang mit Medien frühestens empfohlen?''
=== ''Vernünftigen Umgang mit Medien veranlagen'' ===
Gerade auf diesem Gebiet ist es nötig, dass das Kind von Anfang an die Möglichkeit bekommt, durch Nachahmung am Vorbild des geliebten Erwachsenen zu lernen. Wird ihm vorgelebt, dass Tablet und Smartphone ähnlich wie das Auto Dinge sind, die im Leben der älteren Jugendlichen und der Erwachsenen ihren festen Platz haben, so können im Laufe der Schulzeit die notwendigen Fähigkeiten erworben werden, um den eigenen Umgang mit der Informationstechnologie und die selbstbestimmte Nutzung der sozialen Medien und Netzwerke zu lernen.[1]<sup>,[2]</sup> Computer sollten nicht zu ständigen Begleitern der Schüler werden, bevor diese die Arbeiten kennen und schätzen gelernt haben, die er übernimmt, und bevor sie wissen, wie er überhaupt funktioniert.
Je einfacher das Bedienen der Geräte wird, desto mehr ist der Erwachsene gefordert, das Kind und den Jugendlichen vernünftig zu begleiten, ihm deutlich zu machen, warum „einfach und kinderleicht“ nicht bedeutet, dass es auch „für Kinder gut ist“. Denn wenn in den wichtigsten Entwicklungsjahren digitale Eindrücke verarbeitet werden müssen, die nur Auge und Ohr ansprechen und alle anderen Sinne ausgrenzen und keine reale Interaktion mit der Umwelt darstellen, kann sich kein gesundes Nerven-Sinnessystem ausbilden. Auch die Entwicklung von Empathie kann nachgewiesenermaßen auf solchen Wegen nicht erfolgen. Kindheit und Jugend sind einmalige Entwicklungsräume und -zeiten, in denen sich ein gesundes Verhältnis zu Mensch und Umwelt entwickeln muss:
* In der '''Kindheit''' braucht es neben empathischen, nachahmenswerten Vorbildern viel Raum für Eigenaktivität und Entdeckerfreude.
* In der '''Jugendzeit''' braucht es freilassende Erwachsene, die die notwendigen Selbstfindungsprozesse interessiert begleiten.
Sind diese Entwicklungsbedingungen in jungen Jahren nicht gegeben, ist Versäumtes später sehr schwer nachzuholen und braucht zumeist therapeutische Bedingungen, um es doch noch zu erwerben.
=== ''Höchste Priorität für Beziehungspflege am Lebensanfang'' ===
Clifford Stoll – Astronom und Spezialist für Datenschutz und Computersicherheit – hat in seinen Büchern[3] ein Doppelbekenntnis abgelegt: ''für'' einen sachgemäßen Umgang mit dem PC im Jugend- und Erwachsenenalter und ''gegen'' einen Gebrauch in Kindergarten sowie den Unterstufen der Schule und zu Hause. Denn in dieser Zeit kommt dem Aufbau und der Pflege menschlicher Beziehungen höchste Priorität zu. Zu Hause spielen Ruhe und Frieden, Nachdenklichkeit und Wärme eine Rolle – Qualitäten also, die einem nicht primär einfallen, wann man an den PC und andere Medien denkt.
Dazu kommt ein zweiter wichtiger Aspekt: So wie auch im Laufe der Geschichte die Übernahme menschlicher Arbeit durch Maschinen erst sukzessive erfolgte, so ist es auch für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen notwendig, dass sie die verschiedenen Bereiche menschlicher Arbeit und Befähigung selbst kennen und entwickeln lernen, ehe sie sich diese durch die entsprechenden technischen Geräte (z.B. Geräte für Küchen, Haushalt, Garten, aber auch Taschenrechner und Computer) abnehmen lassen. In der Schule – und optimaler Weise auch zuhause – sollte der Taschenrechner bzw. Computer erst dann eingeführt werden, wenn die Fähigkeiten im Bereich der Grundrechenarten und insbesondere des Kopfrechnens gut entwickelt sind.
=== ''Zuerst selbst machen lassen'' ===
Die goldene Regel in der Pädagogik für den Umgang mit Technik lautet deshalb:
''Eigenaktivität ermöglichen: Tätigkeiten und Aktivitäten so weit wie möglich selbst ma­chen und erleben lassen, bevor sie an Maschine und Medien abgegeben werden''.
* Es '''lähmt das schöpferische Vermögen''', wenn man von der Technik alles und von sich selbst nicht viel erwartet. Auch erzieht es zu Anspruchshaltung und Undankbarkeit, wenn man selbst keinen Maßstab gewonnen hat für dasjenige, was einem durch die technischen Leistungen an eigener Arbeit erspart wird.
* Dagegen '''verstärkt es die Selbstwirksamkeit''', wenn Kinder daheim wie auch in Kinder­garten und Schule singen, malen, gestalten, tanzen und Theater spielen lernen, bevor sie von Bildern, Farben und Tönen durch optische und akustische Medien mit Eindrücken überschüttet werden und das eigene schöpferische Vermögen lahm gelegt zu werden droht.
Im Sinne des Vorbildseins ist es zudem äußerst wichtig, den Schülern vorzuleben, dass es nicht selbstverständlich ist, dass jederzeit warmes Wasser aus der Leitung kommt und Licht sowie Energie in beliebiger Menge per Knopfdruck verfügbar sind. Wie gut für ein Kind, wenn es Urlaubserfahrungen auf einem abgelegenen Bauernhof machen darf oder beim Camping bzw. Urlaub in zivilisationsferner Umgebung, wo die Wäsche noch von Hand gewaschen werden muss, Wasser über dem Feuer oder mit Hilfe eines Gaskochers erwärmt wird, so dass man den Segen technischer Errungenschaften wirklich schätzen lernt.
=== ''Nötiger Schutz vor Gefahren'' ===
Wir alle müssen außerdem mit der Tatsache zurechtkommen, dass wir in einer Kultursituation leben, die voller Gefahren steckt: Wenn man die Zeitung aufschlägt, das Radio einschaltet, erfährt man nur von Gräueltaten. Die Medien sind voll davon. Nach 60 Jahren, in denen die gezeigte Gewalt im Fernsehen ständig zugenommen hat, wurden erstmals ernsthafte Überlegungen angestellt, ob man nicht Kinder davor schützen sollte. Das ist richtig rührend!
Jeder, der mit Kindern zu tun hat, weiß jedoch, dass solche Entscheidungen in der Familie getroffen werden müssen. Man kann per Gesetz niemanden mehr vor irgendwelchen Einflüssen schützen! Durch das Internet und die Smartphones ist alles für die Kinder frei zugänglich – da reichen auch die sogenannten Kindersicherungen nicht aus. Das erfordert eine viel größere Wachheit seitens der Eltern als früher, Kindern zumindest über bestimmte Jahre ihres Lebens einen gewissen Schutz zukommen zu lassen, sie vor manchen Einflüssen zu behüten, damit sie gut ausgerüstet in die Welt der Ängste entlassen werden, und nicht traumatisiert oder unvorbereitet hineingeraten.
''Vgl. „Gesundheit durch Erziehung“, Kapitel 16, „Medienmündigkeit und Technik, Dornach 2006''
----[1] Glöckler, Michaela / Goebel, Wolfgang / Michael, Karin: ''Kindersprechstunde. Ein medizinisch-pädagogischer Ratgeber''. Kap. Multimedia und die Kinder. Urachhaus Verlag, Stuttgart 2015, S. 566 - 580.
[2] Manfred Spitzer, ''Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen''. Droemer Verlag, München 2012.
[3] Clifford Stoll, ''Kuckucksei - Die Jagd auf die deutschen Hacker, die das Pentagon knackten, 1998, Die Wüste Internet: Geisterfahrten auf der Datenautobahn, 2001'' und ''LogOut'': ''Warum Computer nichts im'' ''Klassenzimmer zu suchen haben und andere High-Tech-Ketzereien, 2002.''
== NEGATIVE FOLGEN EINER ZU FRÜHEN GEWÖHNUNG AN DIGITALE MEDIEN ==
''Was sind die negativen Folgen von frühem häufigem Umgang mit Medien?''
=== ''Störungen und Beeinträchtigungen'' ===
Kinder, die viel Zeit vor dem Bildschirm verbringen und häufig Umgang mit digitalen Medien haben, zeigen nachweislich folgende Störungen und Beeinträchtigungen:
* '''Störungen der Sprachentwicklung''' und Aufmerksamkeitsstörungen (Zimmerman et al. 2007)
* ein deutlich '''geringeres Bildungsniveau''' (Hancox et al. 2005)
* Neigung zur '''Übergewichtigkeit''' (Hancox et al. 2004)
* Disposition – aufgrund antisozialer Verhaltensweisen – zu '''kriminellem Verhalten''' (Robertson et al. 2013)
* Die Nutzung einer Spielekonsole verursacht bei Grundschulkindern nachweislich '''schlechte Noten im Lesen und Schreibe'''n sowie Verhaltensprobleme in der Schule (Weis & Cerankosky 2010).
* Je mehr Zeit junge Menschen vor dem Bildschirm verbringen, '''desto geringer ist ihr Mitgefühl''' (Empathie) für ihre Eltern und ihre Freunde (Richards et al. 2010).
* Die Nutzung von Smartphones bewirkt bei jungen Menschen '''geringere Schulleistungen''', geringere Lebenszufriedenheit und '''vermehrte Depressivität''' (Lepp et al. 2014), mehr '''Aufmerksamkeitsstörungen''' (Zheng et al. 2014), '''Kurzsichtigkeit, Schlafstörungen und Suchtverhalten.''' Über 60% der Nutzer von Smartphones haben zudem Angst, etwas zu verpassen und Angst, von ihrem Telefon getrennt bzw. nicht mit dem Netz verbunden zu sein. Diese '''Ängste''' wiederum unterstützen den exzessiven Gebrauch, der leicht zur Sucht werden kann.
Die genannten Auswirkungen sind wissenschaftlich belegt und werden von Eltern, Erziehern und Lehrern täglich mit Sorge beobachtet. Demgegenüber gibt es keine wissenschaftlich belastbaren Erkenntnisse zu den immer wieder unterstellten positiven Auswirkungen digitaler Informationstechnik auf die geistige, seelische und körperliche Entwicklung von Kindern – was bedeutet: Die Schäden sind belegt, der Nutzen nicht!
''Vgl. Aufruf gegen Digital-Kindergärten, Dezember 2016, www.eliant.eu''
== HERAUSFORDERUNGEN DES DIGITALEN ZEITALTERS FÜR ERZIEHUNG UND THERAPIE ==
''Wie muss eine Erziehung aussehen, die den Auswirkungen der Digitalisierung wirksam gegensteuern kann?''
''Wie kann dem Verlust von Autonomie, sozialen Beziehungen, einem individuellen Zugang zur Spiritualität und zunehmender Willenslähmung vorgebeugt werden?''
=== ''Besorgniserregende Phänomene'' ===
Wer mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, egal, ob im Familienzusammenhang oder beruflich, wird unweigerlich mit folgenden Phänomenen konfrontiert, die der digitalen Revolution geschuldet sind:
* die Neigung vieler Kinder und Jugendlicher zur Abhängigkeit aufgrund von '''fehlendem Freiheitswillen''' und damit auch zur Suchterkrankung
* die Tatsache, dass immer mehr Menschen interesselos aneinander vorbeigehen, sich nicht verstehen, beziehungsunfähig und –unwillig sind. Als Folgeerscheinungen machen sich '''soziale Isolation''', '''Sinnlosigkeits- und Hassempfindungen''' geltend
* Gefahr von '''Realitätsverlust und Suchtverhalten''' im Umgang mit den allgegenwärtigen Medien, ''Computerspielsucht'' und der abnehmenden Fähigkeit, selbständig zu denken
* '''eine Lähmung des Willens''', die sich angesichts des „Zuviel“ an Informationen breitmacht. Es wird über alles geredet, vielen fällt es aber schwer, sich auf eine Sache zu konzentrieren und eine von den vielen Möglichkeiten auch wirklich umzusetzen.
Dass darin die Ursache vieler sozialer, aber auch gesundheitlicher Probleme zu suchen ist, liegt auf der Hand. Sich für ein Erziehungssystem stark zu machen, das den einzelnen Schüler in seiner individuellen Entwicklungssituation wahrnimmt und diese in Methodik und Didaktik sowie der Lehrplangestaltung berücksichtigt, ist dringend erforderlich. Insbesondere braucht es Erwachsene, die Vorbild sein können in Bezug auf Selbständigkeit im Denken, Entscheiden und Handeln. Dabei ist wichtig, dass Kinder und Jugendliche erleben, dass Erwachsene an einem sinnstiftenden ganzheitlichen Weltverständnis arbeiten.
=== ''Der präventive und therapeutische Aspekt der Waldorfpädagogik'' ===
Waldorfpädagogik baut auf fünf gesundheitsfördernden Grundprinzipien auf, die präventiv wie auch kurativ wirken:
# die '''positive Einflussnahme auf den physischen Leib''' durch Sinnespflege
# die '''Unterstützung des Ätherleibes''' durch die Pflege der chronobiologisch wertvollen Rhythmen und einen altersentsprechenden Lehrplan
# die '''Kultivierung des Astralleibes''' durch die Pflege guter, persönlicher Beziehungen zu den Schülern und ihren Eltern und eine künstlerische Unterrichtsgestaltung
# die '''Aktivierung der Ich-Organisation''' durch ein immer wieder neu zu erarbeitendes echtes Interesse am Unterrichtsfach, das der Lehrer den Schülern gegenüber authentisch vertreten muss
# eine '''bewusst gelebte spirituelle Orientierung''', die den Schülern das Vertrauen gibt, auch selbst einmal ein charakterfester Mensch zu werden und den Weg „zu sich“ und zum Sinn des Lebens zu finden
Jedes Kind bringt sein eigenes Schicksal mit und ist darauf angewiesen, dasjenige erleben und aufgreifen zu können, was zu ihm passt. Daher ist ein altersgerechtes, vielseitiges Bildungsangebot notwendig, damit das Kind das zu ihm Passende erleben und aufgreifen kann.[1]
''Vgl. „Gesundheit durch Erziehung“, Kapitel 16, „Medienmündigkeit und Technik“, Dornach 2006''
----[1] Christof Wiechert, ''Die Waldorfschule: Eine Einführung.'' Verlag am Goetheanum, Dornach 2014.
== DIFFERENZIERTER UMGANG MIT NATUR, MITMENSCH UND TECHNIK ==
''Wie erlernen Kinder einen differenzierten, ressourcenschonenden Umgang mit Natur und Technik?''
''Was macht der Umgang mit der Technik mit uns?''
''Zu welcher Haltung und Lebenseinstellung erzieht uns die Technik?''
''Welchen Umgang erfordern Mensch und Natur?''
=== ''Ringende Erwachsene als Vorbild'' ===
Einen ressourcenorientierten Umgang mit Energie und Technik zu erlernen ist keine Selbstverständlichkeit – im Gegenteil: Über Jahrzehnte wurden und werden Ressourcen um des zivilisatorischen Fortschritts und des ökonomischen Wachstums willen gnadenlos verschwendet. Das ist – leider immer noch! – die bestimmende Grundhaltung der Welt, in der unsere Kinder heute aufwachsen.
''Wie also sollen sie lernen können, dass mit Ressourcen verantwortlich umgegangen werden muss?''
''Und dass der Einsatz technischer Möglichkeiten nur da geschehen sollte, wo er tatsächlich gebraucht wird und unter Berücksichtigung des Gemeinwohls sinnvoll ist?''
Die Sensibilisierung für diese Themen muss in der frühen Kindheit stattfinden, vor allem durch das verantwortungsbewusste Verhalten Erwachsener im Umfeld des Kindes zuhause und in der jeweiligen Betreuungseinrichtung, die um einen authentischen Umgang mit diesen brennenden Fragen ringen, Fragen, die nicht nur die Umwelt, sondern auch das gesamte Wirtschaftssystem und das soziale Miteinander betreffen. Seitens der Erwachsenen ist ein Umgang mit Energie und Technik nötig, der dem Kind von Anfang an die Möglichkeit gibt, durch Nachahmung am Vorbild des geliebten Menschen zu lernen, dass die Ressourcen nicht unbegrenzt sind und der Einsatz technischer Möglichkeiten nur da geschehen sollte, wo er tatsächlich gebraucht wird und sinnvoll ist. Wird vorgelebt, dass Tablet und Smartphone ähnlich wie das Auto etwas sind, das im Leben der älteren Jugendlichen und der Erwachsenen seinen festen Platz hat, so können im Laufe der Schulzeit die notwendigen Fähigkeiten erworben werden, um den eigenen Umgang mit der Informationstechnologie und die selbstbestimmte Nutzung der sozialen Medien und Netzwerke zu lernen.
Je einfacher das Bedienen der Geräte wird, je mehr braucht es die Vernunft des Erwachsenen, der das Kind und den Jugendlichen begleitet, um ihm deutlich zu machen, warum „einfach und kinderleicht“ nicht bedeutet, dass das „für Kinder gut ist“, sondern etwas „für Erwachsene“. Kindheit und Jugend sind einmalige Entwicklungsräume und Zeiten, in denen sich ein gesundes Verhältnis zu Mensch und Umwelt entwickeln muss. Geschieht das nicht, ist es später sehr schwer nachholbar und braucht dann meist therapeutische Bedingungen, um es im Nachhinein zu erwerben. Das ist das eine.
=== ''Technik und Natur im Vergleich'' ===
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Themas hängt mit dem gravierenden Unterschied zwischen der lebendigen Natur und der „toten“ Technik zusammen:
==== '''·''' Technische Qualität und angemessener Umgang mit Technik ====
Zur Technik gehören Perfektion und Optimierung – das betrifft nicht nur den Aufbau technischer Geräte, sondern auch die Bedienung. Treten Probleme auf, müssen sie analysiert und beseitigt werden. Defekte werden repariert, unbrauchbar gewordene oder alte Modelle verschrottet.
==== '''·''' Lebendige Qualität und angemessener Umgang mit Lebendigem ====
Die Natur dagegen ist niemals perfekt, niemals fertig. Alles Lebendige unterliegt dem Zyklus von Werden und Vergehen und braucht Pflege. Es muss zudem immer in Zusammenhang mit seiner Umgebung gesehen werden. Dazu ist ein Wissen über die Rhythmen nötig, die das Leben beeinflussen und tragen, sowie ein Blick für Ungleichgewichte und Störfaktoren im lebendigen Geschehen. Anders als bei der Technik sind Störungen und Fehler nicht einfach zu beseitigen, sondern eine Aufforderung genauer hinzuschauen: in sich selbst, in die Welt. Denn wer etwas gesund pflegen bzw. erhalten will, muss das Gesunde kennen und wissen, dass Entwicklung in der Zeit verläuft. Das heißt auch: Menschliches Zusammenleben erfordert die Fähigkeit, auch Fehler und Fehlverhalten anzunehmen, selbst wenn diese nicht „rasch behebbar“ sind, sondern man mit ihnen erst einmal leben lernen muss.
=== ''Von der Technik beeinflusste Lebenshaltung'' ===
Es gibt aber noch weitere besorgniserregende Aspekte übermäßigen Umgangs mit Medien – ganz abgesehen von den Inhalten, die man dabei konsumiert: Beschäftigen sich Kinder und Erwachsene über viele Stunden des Tages sehr intensiv mit ihrem Computer, Tablet oder Smartphone, entwickeln sie oft ein distanziertes Verhalten zur Umwelt – mit der Folge, dass ihnen ein interessierter, warmherziger, toleranter Umgang mit anderen Menschen auf der sogenannten Beziehungsebene immer weniger gelingt.
Bestürzend ist in diesem Zusammenhang auch, dass diese Menschen den genannten Medien gegenüber die Qualitäten aufbringen, die sie in der Begegnung miteinander oft vermissen lassen: volle Aufmerksamkeit, Interesse für die Reaktionen, Fragen, Nöte und Sorgen des anderen. Je mehr seelischer Umgang mit diesen Geräten gepflegt wird, die so reagieren, wie man es erwartet, bzw. die man nach einigen Korrekturen dahin bringt, den Erwartungen zu entsprechen, desto unfähiger und unwilliger werden die Betreffenden, sich mit der Unvollkommenheit der Natur und ihrer Mitmenschen auseinanderzusetzen. Denn diese reagieren nicht immer erwartungsgemäß, sondern aus ihren eigenen Lebens- und Entwicklungsbedingungen heraus. Anstelle sich an die soziale Wirklichkeit anzupassen, dadurch zu lernen und diese wiederum positiv zu verändern, entwickelt sich ein stereotypes Verhalten durch die einseitige Anpassung an die Notwendigkeiten der technischen Welt. Es entsteht sozusagen der an die technischen Zweckgeschöpfe gefesselte Mensch.
=== ''Was lebendiges Miteinander erfordert'' ===
Menschliches Zusammenleben erfordert die Fähigkeit, auch Fehler und Fehlverhalten anzunehmen, selbst wenn diese nicht rasch zu beheben sind, sondern man mit ihnen erst einmal leben lernen muss. Offen zu sein für Lernprozesse, für Neues, Unerwartetes – das ist es, worauf es ankommt. Das seelisch so enge Zusammenleben mit den Möglichkeiten der Technik fördert unbewusst ein distanziertes Verhalten zur Umwelt, sodass es nicht verwunderlich ist, wenn es im Umgang mit anderen Menschen und auf der sogenannten Beziehungsebene immer weniger „klappt“ bzw. „funktioniert“.
Im Sozialen kommt es darauf an, dass wir lernen
* sozial kompetent zu werden
* miteinander zurechtzukommen
* Toleranz zu entwickeln gegenüber den Eigenarten des anderen
* uns seelisch zu verändern und weiterzuentwickeln
Dafür braucht es warme soziale Zusammenhänge, lebendige Übungsfelder, in denen die unter Menschen und allem Lebendigen gegenüber erforderliche Offenheit für Lernprozesse, für Neues und Unerwartetes, als Qualitäten erlebt werden, die das Leben erst wirklich lebenswert machen.
''Vgl. „Ich im Netz. Was geschieht mit uns im Internet?“, Amthor Verlag, Heidenheim 2015''
== TECHNIK BRAUCHT INNEREN AUSGLEICH ==
''Weshalb und wofür braucht es diesen inneren Ausgleich?''
''Welchen Gefahren gilt es dadurch gegenzuhalten?''
Vergleicht man die Entwicklung schöpferischer Möglichkeiten beim Menschen mit der Entwicklung der Technik, so fallen eindrucksvolle Konkordanzen auf. Werner Schäfer, der in den 60er Jahren begeistert als Beat-Musiker aktiv war, bemerkte Anfang der 70er Jahre, dass etwas mit ihm „nicht mehr stimmte“: ''Störungen des inneren, gedanklichen und meditativen Lebens,'' ''Wahrnehmungsdämpfungen im Sozialen und für Naturvorgänge'' machten ihn darauf aufmerksam. Neben vielem, was er zur Analyse der Medienwirkung verfasst hat, gehört auch eine Zusammenfassung darüber, welcher Ausgleich durch innere schöpferische Aktivität notwendig ist, um ohne Gefahr die verschiedenen technischen Medien zu nutzen. Diese Zusammenstellung sei hier wiedergegeben:[1]
{| class="wikitable"
|'''Technik'''
|'''Notwendiger Ausgleich durch innere Arbeit'''
|-
|Foto, z.B.  „Erinnerungsfoto“
|Aktive, bildhaft situationsreale Wahrnehmungs- und Sinnesschulung,  Erinnerungskultur, „Geisterinnern“.
|-
|Lichtbild
|Dasselbe noch „durchleuchtet“ von spirituellem Sinn. Rudolf  Steiners Vorträge zum 1. Goetheanum mit Lichtbildern oder seine Kunstvorträge  (GA 292) weisen hier die Richtung.
|-
|Stummfilm
|Michaelisches Raum-Zeiterleben, Beherrschen echter, objektiver  Imagination.
|-
|„Zeitlupe“,  Rückwärtsfilme
|Beherrschung des astralen Schauvermögens, das „rückwärts“  läuft (Ursache folgt der Wirkung) und geschult wird z.B. in der abendlichen  „Tages-Rückschau-Übung“.
|-
|Tonfilm, TV
|Beherrschung echter, objektiver Inspiration.
|-
|Cyberspace etc.
|Beherrschung echter, objektiver Intuition (auf allen Ebenen).
|-
|„Backwardmasking“[2]
(rückwärts eingespielte Worte und Melodien)
|Klares exaktes und deutliches Rückwärtsvorstellen von Melodien  und Worten, das Gewohnheit wurde und jederzeit vollbracht werden kann. – Dies  geht jedoch nur, wenn sie hörbar sind, was bei Backwardmasking fast immer  vermieden wird. Sie werden scharf unter der Hörschwelle eingeprägt.
Dadurch  werden diese Einwirkungen „subliminal“, d.h. unmittelbar unter Umgehung des  Bewusstseins ins leibliche Unterbewusste eingeschmuggelt, wo sie ihre  Wirkungen entfalten. – (Man kann bei keiner „CD“ usw. ohne aufwendige  Untersuchung wissen, ob solche Befehlssuggestionen unterlegt sind oder  nicht.)
|-
|Computer etc.
|Beherrschung sowohl des lebendigen als auch des leibfreien  Denkens auf Grundlage einer vollreifen, im spirituellen Sinne  herzlich-sozialfähigen Persönlichkeit.
|}
''Vgl. „ Ich im Netz. Was geschieht mit uns im Internet?“, Amthor Verlag, Heidenheim 2015''
----[1] Werner Schäfer sendet auf Wunsch gerne Informationen zu über seine Arbeit bezüglich der Gefährdung der menschlichen Höherentwicklung durch unsachgemäßen Gebrauch der Technik: Werner Schäfer, Veitlahn 28, DE – 95336 Mainleus.
<sup>[2]</sup> Heinz Buddemeier, Jürgen Strube ''Die unüberhörbare Suggestion''. stuttgart 1990.
== GRUNDLEGENDES ZU TECHNIKUNTERRICHT UND LERNEN MIT DIGITALEN GERÄTEN ==
''Wie wird unsere Welt aussehen, wenn die Zukunftsvisionen der Internetgiganten und Machtpolitiker Wirklichkeit werden?''
''Welche Herangehensweise haben Waldorfschulen und warum?''
=== ''Digitale Zukunftsvisionen'' ===
In der kanadischen Provinz Ontario soll das Budget der Schulen bis 2023 einschneidende Kürzungen erfahren. Ab September 2024 sollen dort sogar reine Online-Schulabschlüsse durchgeführt werden können. Grund dafür ist der Entscheid der Bildungsverantwortlichen, auf E-Learning-Kurse zu setzen und Lehrer*innen einzusparen – so wurde auf ''FAZ.net'' vom 1.2.2020 berichtet. Zunehmend mischt sich jedoch in die von Wirtschaft und Politik begeistert propagierten digitalen Zukunftsvisionen auch Sorge um die Zukunft – nicht nur der Bildung, sondern auch der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung in unserer globalisierten Welt.
Je mehr das gesamte Berufsleben von der Digitalisierung abhängig wird und idealiter schon in der Kita die Kleinen mit ihren Tablets und ersten Smartphones spielen, umso mehr wird auch deutlich, dass infolge dieser Durchtechnisierung die Möglichkeit der Totalüberwachung von Kindern und Erwachsenen potenziell in jedem Staat – auch in Europa – möglich ist. Es wird dann jeweils von der moralischen Verfassung der Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft abhängen, ob und inwiefern diese nie dagewesene Macht über Daten und menschliche Verhaltensweisen gesellschaftspolitisch missbraucht wird oder nicht.
Man kann jedoch angesichts dieser Entwicklung auch deutlich empfinden, wie es im Hinblick auf diese Zukunft darauf ankommen wird, den heranwachsenden Generationen möglichst viel Mut, Eigenständigkeit, Kreativität sowie Welt- und Menscheninteresse mit auf den Weg zu geben, also typisch menschlich-moralische Qualifikationen, damit die Entwicklung in Richtung Humanisierung fortschreiten kann und nicht in ihr Gegenteil, in Richtung Dehumanisierung, umschlägt.
=== ''Eintreten für Pädagogik der Humanisierung'' ===
Dieser Perspektive möchte insbesondere der Technologieunterricht an der Waldorfschule dienen. Deshalb die Art und Weise vieler Schulen, wie digitale Endgeräte in das Unterrichtsgeschehen einbezogen werden bzw. bewusst nicht einbezogen werden.
An der Freien Hochschule Stuttgart, Seminar für Waldorfpädagogik, wurde ein Stiftungslehrstuhl angegliedert mit dem Forschungsschwerpunkt ''Medienkonzepte für Schulen, insbesondere Waldorfschulen – Kulturelle und anthropologische'' ''Aspekte des Lebens mit Technik und Medien. Mediendidaktik''. Ihr Leiter ist Prof. Dr. Edwin Hübner, Professor für Medienpädagogik und ehemaliger Waldorflehrer für Mathematik und Physik. Er ist Mitglied des Bündnis für humane Bildung (www.aufwach-s-en.de) und nicht nur Autor grundlegender Bücher zum Thema, sondern auch Verfasser der vom Bund der Waldorfschulen herausgegebenen Schriften und Empfehlungen zum Lehrplan Medienpädagogik, digitale Bildung und Technologieunterricht.
Ich verdanke der Lektüre seiner Schriften und den Gesprächen mit ihm die fachlichen Einsichten zum Thema und möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei ihm bedanken, dass er sich dieser wichtigen Bildungsfrage schon zu einer Zeit angenommen hat, als sich noch kaum jemand dafür interessierte. Denn dadurch, dass die Technologie mit solcher Geschwindigkeit den Markt überflutete und kaum Zeit zur Besinnung war, ob und in welcher Form man diese Entwicklung in sein Leben integrieren will, waren die meisten Menschen froh, überhaupt mit dieser Entwicklung mithalten zu können und up-to-date zu sein. Wer hier mit Fragen oder gar mit „Wenn und Aber“ kam, wurde als rückständig belächelt und nur selten ernst genommen.
Dies hat sich inzwischen geändert. An vielen Waldorfschulen existieren Medienkreise, die sich des Themas gründlich annehmen, Elternaufklärung betreiben und an einer klaren Linie arbeiten, wie der Technologie-Lehrplan und die Medienpädagogik vor Ort gehandhabt werden sollen. In den USA ist man hier schon weiter – insbesondere in den Waldorfschulen im Silicon Valley, auf die nicht wenige Kinder von IT-Größen gehen, da man dort mit Informationstechnologie in der Schule äußerst zurückhaltend ist. Auf Edwin Hübners Website ist zu lesen:
''„Da Kinder in einer von Technik und Medien geprägten Welt aufwachsen, muss neben einer direkten Medienpädagogik, die in die kompetente Nutzung der Medien einführt, eine indirekte Medienpädagogik ins Auge gefasst werden. Die indirekte Medienpädagogik fördert alle die menschlichen Fähigkeiten, welche das Leben in einer hochtechnisierten Welt voraussetzt, die aber im bloßen Umgang mit Technik zu verkümmern drohen. Es bedarf neuer Ansätze, um Nebenwirkungen der Technologien auszugleichen und dadurch eine weitere Voraussetzung für die spätere Medienmündigkeit zu legen.“''
=== ''Der medienpädagogische Ansatz'' ===
Kinder müssen in den ersten Jahren ihres Lebens ihren naturgegebenen Körper entdecken, entwickeln und beherrschen lernen. Daraus ergibt sich die pädagogische Aufgabe, für sie innerhalb der technischen Welt einen Raum zu schaffen, der ihnen eine gesunde Entwicklung ermöglicht.
Wie das geschehen kann, wurde im Kontext der Schilderung der Jahresmeilensteine bereits beschrieben. Pädagogik im Zeitalter der intelligenten digitalen Technologien zielt vor allem auf die Ausbildung des Willens und der Eigeninitiative durch möglichst vielseitige Betätigungen in der realen Umwelt ab. Im Laufe der Schulzeit lernen die Kinder dann viele analoge Techniken kennen und beherrschen, um zuletzt auch ihre Kompetenzen bezüglich der digitalen Technologien auszubilden. Stellt man nicht die Technik, sondern den Entwicklungsbedarf von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt des Interesses, kann man den medienpädagogischen Ansatz der Waldorfpädagogik gut nachvollziehen:
* erst die '''reale Welt kennenlernen''' und den eigenen Leib gesund ausbilden
* dann '''analoge Techniken''' beherrschen lernen
* zuletzt '''digitale Technologien''' verstehen und produktiv anwenden.
Wie das im Einzelnen durchgeführt werden kann, darüber informiert der von der Initiative diagnose: media herausgegebene Ratgeber ''Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt. Eine'' ''Orientierungshilfe für Eltern und alle, die Kinder und Jugendliche begleiten.'''[1]''''' Hier findet man auf der Basis unabhängiger Forschung zur Wirksamkeit der Medien in Kindheit und Jugend in einer sehr guten knappen Zusammenstellung alle wesentlichen Hinweise für Elternhaus und Schule. Auch die vom Bund der Freien Waldorfschulen herausgegebene Broschüre ''Struwwelpeter 2.1.'' ''Ein Leitfaden für Eltern durch den Medien-Dschungel'''[2]''''' gibt auf knappem Raum wertvolle Anregungen und Hinweise. Kürzlich wurde auch der aktuelle Ratgeber mit dem kompletten Technologie-Lehrplan der Waldorfschulen publiziert.[3] Daher beschränkt sich dieser Beitrag zum Thema auf einige wesentliche Aspekte, die den Technologieunterricht inspirieren können. Er stellt auch Beziehungen zu anderen Unterrichtsgebieten her.
''Vgl. „Schule als Ort gesunder Entwicklung“, März 2020, ISBN: 978-3-939374-76-3''
----[1] Dr. Med. Michaela Glöckler, Prof. Dr. Edwin Hübner, Stefan Feinauer, Media Protect E.V., ''Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt. Eine Orientierungshilfe für Eltern und alle, die Kinder und Jugendliche begleiten,'' EAN 9783982058504, 2019.
[2] Kurzlink: <nowiki>https://t1p.de/j5z0</nowiki> (Zugriff 17.01.2020)
[3] Siehe auch: Bund der Freien Waldorfschulen (Hrsg.): ''Medienpädagogik an Waldorfschulen. Curriculum – Ausstattung''. Kurzlink: <nowiki>https://t1p.de/lxwg</nowiki>
== INDIREKTE UND DIREKTE MEDIENPÄDAGOGIK ==
''Inwiefern hilft Medienpädagogik Kindern und Jugendlichen medienkompetent zu werden?''
''Was genau ist unter Medien zu verstehen?''
=== ''Konzept der indirekten und direkten Medienpädagogik'' ===
Kinder und Jugendliche wachsen in der von Informationstechnologien beherrschten und gelenkten Welt auf. Davon hat Pädagogik auszugehen. Das bedeutet aber nicht, dass man überall technische Geräte wie Tablets usw. einsetzen muss. Jeglicher Unterricht muss darauf hinwirken, dass die Kinder und Jugendlichen Gelegenheiten finden, innerlich stark zu werden und seelisch zu reifen, sodass sie einerseits den Versuchungen des Medienzeitalters gewachsen sind und andererseits technische Geräte für ihre eigenen Initiativen sinnvoll einsetzen können. Daraus ergibt sich das Konzept der indirekten und direkten Medienpädagogik:
* Die '''indirekte Medienpädagogik''' fördert die Kinder darin, ihre eigenen individuellen Fähigkeiten möglichst stark auszubilden, sodass sie menschlich den Anforderungen der intelligenten Gerätewelt gewachsen sind.
* Die '''direkte Medienpädagogik''' führt die Kinder dahin, dass sie analoge und digitale Medien in ihrer prinzipiellen Funktionsweise verstehen und sie sinnvoll und geschickt handhaben können.
=== ''Zum Medienbegriff'' ===
Das Wort „Medium“ stammt von dem lateinischen Adjektiv „medius“ ab, das man mit „in der Mitte befindlich, vermittelnd“ übersetzen kann. Ab dem 17. Jahrhundert verwenden es die Naturwissenschaftler als Fremdwort, um ein Element zu bezeichnen, das chemische oder physikalische Prozesse vermittelt. Im 19. Jahrhundert wurden im Umfeld des Spiritismus Personen als Medien bezeichnet, durch die der Verkehr mit Geistern möglich war. Erst Ende der 1950er-Jahre verwendete man das Wort „Medien“ im heutigen Sinne von Massenmedien. Als Medien können die verschiedensten Dinge bezeichnet werden: Handschrift, Druckschrift in Zeitungen, Zeitschriften, Büchern usw., Filme, Radio, Fernsehen, Computer usw. Allerdings unterscheidet sich beispielsweise die Schrift deutlich von einem Film, sodass die gemeinsame Bezeichnung durch das Wort Medien vorhandene Unterschiede verwischt.
Derzeit kann man in der medialen Welt im Wesentlichen drei verschiedene Formen antreffen:
* Schrift
* konservierte oder übertragene Sprache und Musik
* stehende oder bewegte Bilder
Sowohl durch Schrift als auch durch Ton und Bild können Inhalte vermittelt werden. Allerdings ist der aktive Umgang des Menschen mit dem Inhalt jeweils ein anderer, je nachdem, ob er durch Schrift oder durch Ton übermittelt wird. Wenn der Mensch etwas liest, sind vor allem seine Augen tätig und er muss sich anhand der wahrgenommenen Buchstabengruppen eigene Vorstellungen bilden. Bei übertragenen Bildern, vor allem bei Filmen, braucht der Mensch seine Fantasietätigkeit kaum, da die Bilder bereits vorgegeben sind.
Der Umgang eines Menschen mit einem Medium vollzieht sich immer in einem Spannungsfeld. Er lenkt einerseits seine Aufmerksamkeit auf den vermittelten Inhalt. Dabei wird sein Vorstellen und Denken angesprochen, Gefühl und Willensvermögen werden jedoch vernachlässigt. Daher wundert es nicht, dass 130 Leseforscher aus ganz Europa im Januar 2019 eine Erklärung zur Zukunft des Lesens im digitalen Zeitalter publiziert haben, die diesen Mangel und dessen Folgen bewusst machen sollte. Sie verweisen auf eine Metastudie mit insgesamt mehr als 170.000 Teilnehmern, die zeigt, „dass das Verständnis langer Informationstexte beim Lesen auf Papier besser ist als beim Bildschirmlesen, insbesondere wenn die Leser unter Zeitdruck stehen.“ Auch sei die Gefahr einer Verzögerung der Entwicklung des kindlichen Leseverständnisses und der nicht zureichenden Entwicklung des kritischen Denkens gegeben.[1]
Das gilt auch für das Schreiben. Schreibe ich mit Stift auf Papier, bin ich natürlich sehr auf den Inhalt dessen, was ich schreiben will, konzentriert und meine Hand macht kleine, aber sehr differenzierte Bewegungen. Das Schreiben mit der Hand wird von einer Reihe organischer Prozesse begleitet. Es wird dabei die Feinmotorik gefordert und geschult und es sind auch die entsprechenden Areale im Gehirn tätig. Denselben gedanklichen Inhalt kann man auch auf einem Tablet eintippen. Dabei geht die Tätigkeit bzw. Handlung, die man beim Schreiben auf Papier mit dem Stift vollzieht, in ein „Fingern“ (Byun-Chul Han) über, die Feinmotorik wird nur noch wenig geübt.
=== ''Medien unter vier Aspekten betrachten'' ===
Im Zusammenhang mit dem Thema Medien müssen also vier Aspekte unterschieden werden, die bei pädagogischen Überlegungen beachtet werden sollten:
* '''Medieninhalt:''' das, was der Mensch in sein Vorstellen und Denken aufnimmt, beispielsweise den Inhalt eines Romans oder eines Films
* '''Medienform:''' das Verfahren, wie der Inhalt präsentiert wird, also Schrift, Ton oder Bild
* '''Medienträger:''' die materielle Grundlage, auf der oder innerhalb der die Medienformen präsentiert werden, also Papier, E-Book, Smartphone, Computerbildschirm usw.
* '''Medienkonsument:''' Der werdende Mensch, der sich durch das, was er tut, entwickelt und selbst erlebt.
Neben den unendlichen Möglichkeiten, Computer zur Steuerung technischer Vorgänge einzusetzen, kann man sie auch als Medienträger nutzen. Nur weil im Alltag Computer als Medienträger besonders ins Auge fallen, bezeichnet man sie als Medien, aber sie sind weit mehr als das. Sie können an die Stelle des Menschen treten, in Art und Umfang, wie Menschen dies wollen.
An dem oben beschriebenen Medienbegriff lässt sich gut verdeutlichen, welche Fähigkeiten die Medienmündigkeit eines Menschen beinhaltet. Sie erstreckt sich einerseits auf die verschiedenen Medien und umfasst dazu auch persönliche und soziale Fähigkeiten. Die Inhalte, die durch die verschiedenen Medien an den Menschen herantreten, sind unzusammenhängend und oft einseitig oder gar falsch. Der Mensch muss das erkennen und beurteilen können.
=== ''Voraussetzungen für das Erlangen von Medienmündigkeit'' ===
Das setzt eine gute Allgemeinbildung voraus. Pädagogik hat daher dafür Sorge zu tragen, dass Kinder und Jugendliche in ihrer Schulzeit eine möglichst umfassende und kohärente Allgemeinbildung erwerben können.
==== '''·''' Schreiben und Lesen ====
Kinder müssen die drei Medienformen Schrift, Bild und Ton beherrschen. Flüssiges Schreiben und Lesen sind eine Grundvoraussetzung für den Umgang mit den Inhalten des Internets – wenn man von YouTube & Co absieht. Denn alle wissenschaftlichen Darstellungen, alle Internetlexika wie Wikipedia usw. setzen die Fähigkeit voraus, anspruchsvolle Texte lesen und verstehen zu können.
==== '''·''' Knowhow in Bezug auf Film- und Audio-Produktion ====
Ein kompetenter Umgang mit der Filmkultur setzt voraus, dass Jugendliche erfahren und gelernt haben, wie ein Film entsteht. Sie müssen einmal selbst einen Film gedreht haben. Dasselbe gilt für die Medienform „Ton“. Jugendliche sollten einmal in ihrem Leben ein Radiofeature produziert haben, um von dieser Erfahrung aus beurteilen zu können, wie Radioberichte entstehen.
==== '''·''' Wissen um Funktionieren von Computer, Internet und Suchmaschinen ====
Selbstverständlich sollten Jugendliche auch verstehen, wie der Medienträger Computer prinzipiell funktioniert, wie das Internet aufgebaut ist und wie Suchmaschinen arbeiten. Dass die Schüler*innen auch üben, wie man analoge und digitale Medienträger sinnvoll zur Recherche und Präsentation einsetzt, ist ein wichtiges Thema im Oberstufenunterricht.
==== '''·''' Sich bewusst auf ausgesuchte Inhalte konzentrieren ====
Achtsamkeit und Aufmerksamkeit sind weitere Fähigkeiten, die der Mensch für den sinnvollen Umgang mit Informationstechnologien braucht, denn in jeder Sekunde, in der der Mensch online ist, muss er Entscheidungen treffen, worauf er seine Aufmerksamkeit lenken soll. Er muss daher lernen, sorgfältig darauf zu achten, was er beachten möchte und was nicht.
Der Kommunikationsexperte Howard Rheingold fasste die notwendigen Fähigkeiten, über die man verfügen muss, um digitale Medien und Netzwerke sinnvoll zu nutzen, sehr prägnant zusammen:
''„Digitale Medien und Netzwerke können nur diejenigen Menschen ermächtigen, die sie zu nutzen lernen – und stellen Gefahren für jene dar, die nicht wissen, was sie eigentlich tun. [...] Diejenigen Menschen, die keine grundlegende Bildung ihrer Aufmerksamkeit, im Erkennen von Unsinn, in der Teilhabe, in der Zusammenarbeit und im Netzwerkbewusstsein erwerben, sind potenzielle Opfer all jener Fallen, auf die Kritiker hinweisen – Oberflächlichkeit, Leichtgläubigkeit, Ablenkung, Entfremdung, Sucht. Ich mache mir Sorgen um die Milliarden von Menschen, die Zugang zum Netz haben, ohne auch nur die geringste Ahnung davon zu besitzen, wie sie Wissen finden und es auf Korrektheit überprüfen können, wie man sich für etwas einsetzt und an etwas teilhat, anstatt passiv zu konsumieren, wie man die Aufmerksamkeit in einem Dauerbetriebsmilieu diszipliniert und einsetzt, wie und warum jener Privatheitsschutz verwendet werden soll, der in einer zunehmend aufdringlichen Umwelt noch verfügbar ist.“[2]''
==== '''·''' Empathie und soziale Verantwortung ====
Informationstechnologien ermöglichen die Bildung sozialer Netzwerke. Aber dort begegnet man sich nur virtuell, zum Teil sogar nur vermittels der Schrift. Wie sich immer wieder zeigt, braucht man gerade beim Agieren in sozialen Netzwerken besonders gut ausgebildete empathische Fähigkeiten.
Auch das soziale Verantwortungsbewusstsein muss stärker ausgebildet sein als im realen Leben, denn man sieht die Folgen seiner virtuellen „Handlungen“ nicht unmittelbar.
''Vgl. „Schule als Ort gesunder Entwicklung“, März 2020, ISBN: 978-3-939374-76-3''
----[1] Kurzlink: <nowiki>https://t1p.de/jpyw</nowiki> (Zugriff 17.01.2020).
[2] Howard Rheingold: ''Aufmerksamkeit, Erkennen von Unsinn und Netz-Bewusstsein''. In: John Brockman: ''Wie hat das Internet Ihr Denken verändert? Die führenden Köpfe unserer Zeit über das digitale Dasein''. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011, S. 202.
== DAS ENTWICKLUNGSORIENTIERTE MEDIENCURRICULUM DER WALDORFPÄDAGOGIK ==
''Welche pädagogischen Maßnahmen und Schritte umfasst das Mediencurriculum?''
''Welche Grundsatzüberlegungen stehen dahinter?''
=== ''Indirekte Medienpädagogik in der frühen Kindheit'' ===
In der frühen Kindheit hat – wie schon mehrfach betont – die indirekte Medienpädagogik unbedingten Vorrang. Sobald das Kind in die Schule kommt, beginnt die direkte Medienpädagogik. Sinnvollerweise geschieht dies auf analoge Weise: mit Stift und Papier. Denn das Schreiben mit der Hand übt Feinmotorik und Geschicklichkeit. Hat man mit Kindern zu tun, die von zu Hause her den Umgang mit Tablet & Co bereits gewöhnt sind, so ist es wichtig, ihnen deutlich zu machen, wie schön es ist, das, was die Maschinen einem bieten, auch selbst zu können, damit man von ihnen unabhängig sein kann. Auch sollten aktuelle Probleme im Zusammenhang mit Computerspielen oder sozialen Netzwerken in allen Unterrichtsfächern und Jahrgangsstufen jeweils behandelt werden, wenn ein Anlass dazu in der Klasse gegeben ist.
Wenn dann etwa mit zwölf Jahren sich die Denk- und Urteilsfähigkeit der Kinder so weit entwickelt hat, dass sie logisch-kausale Zusammenhänge genauer erfassen können, ist es sinnvoll und notwendig, mit ihnen auch eingehender über Computertechnologie zu sprechen. Allerdings ist zu beachten, dass zwölfjährige Kinder zwar fähig sind, grundlegende Aspekte und Zusammenhänge der digitalen Kommunikationswelt und ihre Möglichkeiten und Risiken zu verstehen, dass sie aber doch noch mehrere Jahre brauchen, bis sie die Fähigkeit der Selbstreflexion sowie der Selbstregulation so weit ausgebildet haben, dass sie den vielfältigen Versuchungen der Cyberwelt widerstehen können. Jugendliche brauchen daher gerade in dieser Zeit noch die helfende Hand ihrer Eltern sowie der Lehrkräfte, die ihnen Grenzen setzen bzw. sie vor dem zu frühen Gebrauch der digitalen Endgeräte schützen.
=== ''Zum Fachgebiet Medienpädagogik'' ===
Die langjährige Beobachtung zeigt, dass Schüler*innen erst ab der elften Klasse, d. h. vom 17. Lebensjahr an, in der Lage sind, Informationstechnologien sinnvoll und selbstbestimmt in ihr Leben zu integrieren. Daher ist es ratsam, bis zum zehnten Schuljahr den Schwerpunkt auf das Technologieverstehen zu legen als Voraussetzung für die sachgerechte Handhabung im elften und zwölften Schuljahr.
Für die Waldorfschulen wird empfohlen, allen Unterricht mit medienpädagogischem Bewusstsein zu gestalten. Das setzt aber bei den Lehrkräften Interesse für die Welt, Engagement und fortwährende – auch autodidaktische – Weiterbildung voraus. So können beispielsweise Klassenlehrer*innen im siebten und achten Schuljahr die dort im Lehrplan vorgesehenen Geschäftsbriefe zum Anlass nehmen, das Zehnfingerschreiben an der Tastatur zu lernen. Die Schüler*innen können ihre Geschäftsbriefe offline am Computer schreiben. Oder man kann beispielsweise die große Kunstgeschichtsepoche im neunten Schuljahr zum Anlass nehmen, auch über die digitalen Möglichkeiten der Bildbearbeitung zu sprechen. Auch ist es wichtig, dass die Jugendlichen – wiederum anhand praktischer Projekte – die Sprache der fotografischen und filmischen Bilder kennenlernen.
=== ''Voraussetzungen für sinnvolle Nutzung von Medien an Schulen'' ===
Die pädagogische Forschung zeigt, dass eine Ausstattung von Schulen mit digitalen Medien nur unter bestimmten Voraussetzungen sinnvoll ist. 2013 erschien in deutscher Übersetzung die von John Hattie veröffentlichte Metastudie ''Lernen sichtbar machen''. Diese extrahiert die Ergebnisse von 800 Meta-Analysen, die ihrerseits rund 80.000 Einzelstudien zusammenfassen.[1] Es ist also eine der umfassendsten Metastudien, die je gemacht wurden.
Diese Studie stellte als zentrales Ergebnis fest, dass es in erster Linie die Persönlichkeit der Lehrerin oder des Lehrers ist, welche die Kinder am meisten zum Lernen anregt. Die Individualität der Lehrperson beeinflusst die schulischen Leistungen der Kinder und Jugendlichen am stärksten. Von der wechselseitigen Durchdringung ihrer pädagogischen und didaktischen Kompetenzen mit ihrer Fachkompetenz hängt der Bildungserfolg der Kinder am stärksten ab – und von der Kooperation mit denjenigen, die ebenfalls an der Erziehung und Bildung beteiligt sind: den Eltern.
Diese Studie geht auch der Frage nach, wie sehr der Einsatz technischer Medien zum Lernerfolg der Kinder beiträgt. Das Ergebnis: Wesentliche Bildungserfolge ergeben sich nur dann, wenn durch den Einsatz von Medien neue Lernsituationen entstehen, die man durch die bisher zur Verfügung stehenden Medien nicht hätte schaffen können.[2] Also: Tablets anstelle von Schulbüchern einzusetzen, ist für den Lernerfolg irrelevant; Kinder lernen dadurch nicht besser.
=== ''Produzieren vor Konsumieren'' ===
Der Einsatz von Technik hat nur dann einen Sinn, wenn dadurch neue Aufgaben erschlossen werden. Eine kleine Schüler*innengruppe erhält beispielsweise den Auftrag, über eine geschichtliche Persönlichkeit einen Film zu drehen. Einem solchen Film gehen zahlreiche Recherchen voraus, die sich nach vielen Überlegungen in einem kleinen Video kondensieren. Das Wesentliche dabei ist nicht der Film, sondern die dazu notwendige intensive Beschäftigung mit der Biografie der porträtierten Person.
Man kann auch eine Oberstufenklasse damit beauftragen, über einen mathematischen Sachverhalt ein Erklärvideo zu drehen, wie sie ja tausendfach auf YouTube zu finden sind. Das wäre ein Gegengewicht gegen eine deutlich sichtbare Tendenz in der Kultur. Immer wieder wird gesagt oder geschrieben, wie glücklich Schüler*innen, Eltern und auch Pädagog*innen über die im Internet angebotenen Lern- und Erklärvideos seien. Lehrer*innen benutzen sie für ihre Vorbereitung, eine wachsende Anzahl von Schüler*innen kann sich ohne sie den Schulalltag nicht mehr vorstellen.
Das alles hat aber auch eine Kehrseite: „Erklärvideos verändern allerdings auch das Lernverhalten der Jugendlichen. ‚Während es beim Lernen in der Klasse vor allem um den Austausch geht, steht bei YouTube-Videos schnelles, auf Effizienz getrimmtes Einverleiben von Fakten im Vordergrund‘, gibt Philippe Wampfler zu bedenken. ‚Ich konsumiere nur, bin selber aber passiv.‘“[3] Der Lehrer und Fachdidaktiker Philippe Wampfler, der durch seine Veröffentlichungen auch als Experte für Lernen mit Neuen Medien gilt, schlägt daher mit Recht vor, dass Lehrer*innen und Schüler*innen gemeinsam ein Erklärvideo herstellen. Es geht in der Schule nicht nur um Wissensvermittlung, sondern auch um Entwicklung und Menschenbildung und dafür braucht es neue Impulse für die Lehrer*innenbildung und eine deutlich erhöhte Wertschätzung dieses Berufes.
''Vgl. „Schule als Ort gesunder Entwicklung“, März 2020, ISBN: 978-3-939374-76-3''
----[1] 171. John Hattie: ''Lernen sichtbar machen''. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von Visible Learning. Hrsg. Wolfgang Beywl, Klaus Zierer. Baltmannsweiler 2013.
[2] 172. Klaus Zierer: Lernen 4.0. Pädagogik vor Technik. Möglichkeiten und Grenzen einer Digitalisierung im Bildungsbereich. Baltmannsweiler 2017, S. 63.
[3] 173. Kristina Reiss: Lehrer aus dem Netz. In: Migros-Magazin 03/2020 vom 13.01.2020, S. 53 f. Kurzlink: <nowiki>https://t1p.de/abml</nowiki> (Zugriff 17.01.2020).
== TECHNISCHE ENTWICKLUNG UND BRENNENDE GEGENWARTSFRAGEN ==
''Welche Stadien der technischen Entwicklung gibt es?''
''Was zeichnet sie aus?''
''Welche Risiken birgt der neue Schub der Digitalisierung?''
''Welche Chancen eröffnen sich damit?''
=== ''Zum Verhältnis Mensch und Maschine'' ===
Betrachtet man die Entwicklungsgeschichte der Technik in den letzten 200 Jahren, so erfand der Mensch mit der Dampfmaschine, dem Elektromotor, dem Zweitakt-, Otto- und Dieselmotor Kraftmaschinen, die seine körperliche Bewegung und Arbeit ersetzen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelingt es ihm, Maschinen zu bauen, die seine Sprache aufzeichnen (Grammofon) und auch zu anderen Menschen in der Ferne übertragen werden können (Telefon). 1895 werden die ersten bewegten Bilder vorgeführt. Dadurch kann man nicht nur statische Bilder reproduzieren, sondern auch Bewegungen aufzeichnen und wiedergeben.
Mitte des 20. Jahrhunderts gelingt es Ingenieuren Geräte zu bauen, die das algorithmische Denken des Menschen imitieren (Computer). Die Computertechnologie, in der sich das menschliche logische Denken „sedimentiert“, beginnt immer mehr Geräte zu durchdringen. Computer steuern mittlerweile fast jeden Apparat: von der Waschmaschine, der Heizung, dem Auto bis hin zu ganzen Häusern (smart houses), Produktionsstätten und Fabriken. Computer können aber auch sich selbst steuern, sich selbst aufgrund neuen Inputs verändern. Sie können sich anpassen, dadurch erscheinen sie als „lernfähig“.
=== ''Technische Imitation von Gehen, Sprechen und Denken'' ===
Die Durchdringung mit technischer Intelligenz gibt allen bisherigen Technologien eine neue Charakteristik:
* Wenn Kraftmaschinen von Computern gesteuert werden, spricht man von Robotern, die unabhängig vom Menschen sinnvolle Arbeit verrichten können. Sie sind in der Lage, das menschliche Gehen zu imitieren.
* Wenn Maschinen, die die menschliche Sprache aufzeichnen können, von Computern gesteuert werden, dann entstehen Geräte, die fähig sind, das menschliche Sprechen zu imitieren.
* Wenn Computer ihre Funktionsweise selbst verändern und an neue Gegebenheiten anpassen, dann erscheinen sie so, als ob sie selbstständig zu denken in der Lage wären.
Der Mensch baut sich sozusagen Maschinen „nach seinem Bilde“ und überlässt diesen Maschinensklaven einen Großteil seiner Arbeit. Dadurch stellt sich auch zunehmend die existenzielle Frage, was er mit der dadurch gewonnenen Freiheit („Arbeitslosigkeit“) anfangen will.
Aber nicht nur das: Auch die Frage nach dem Sinn der menschlichen Existenz und ihrer Identität stellt sich neu. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das Telefon eine Maschine, durch die Menschen ''miteinander'' sprechen konnten. Mit SIRI in Apples iPhone, Cortana in Microsoft Windows, dem Debater von IBM oder Alexa bei Amazon Echo tritt eine völlig neue Qualität innerhalb unserer Kultur auf: Menschen sprechen jetzt nicht mehr mit Menschen, sondern mit Maschinen.
=== ''Maschine als vermeintliches Gegenüber'' ===
Die Maschine ist nicht mehr nur ein Werkzeug wie die Axt, der Hammer oder die Säge, sie ist auch nicht mehr ein Gerät, mit dem wir unsere Arbeit erledigen, sie ist nicht nur Lebenswelt, sondern sie wird zu einem personalisierten Gegenüber, sie wird gewissermaßen zur „Mit-Maschine“, die das Potenzial hat, sich anstelle des „Mit-Menschen“ zu setzen und einen autonom agierenden Partner zu simulieren.
Das stellt nicht nur die Mitmenschlichkeit infrage, sondern birgt eine weitere Gefahr: Durch die zunehmend perfekte Imitation seiner selbst kommt der Mensch in die Versuchung, sich ebenfalls als Maschine zu sehen. Diese seit ''René Descartes'' immer wieder diskutierte Idee ist gegenwärtig bei vielen technischen Forschungsprojekten bestimmend. Das alltägliche Leben mit den von den Techniker*innen geschaffenen Geräten suggeriert dem Menschen, dass er tatsächlich bloß eine Maschine sei. Dabei wird seine seelische und geistige Dimension ausgeblendet.
''Frank Schirrmacher'' bezeichnete die ersten mechanischen Androiden, die im 18. Jahrhundert die Menschen faszinierten, als Weltbildfabriken, denn sie zeigten, ''„wie ein Mensch funktionieren würde, wenn er eine Maschine wäre. Der Zugang ins Innere der Androiden war der Zugang ins Innere des Menschen, denn indem die Menschen ins Innere der Maschinen blickten, veränderte die Maschine das Innere ihrer Köpfe. Der Flötenspieler und der Trommler und die Tänzerin und sogar die Ente waren Weltbildfabriken.“'''[1]'''''
Solche Weltbilder werden auch hervorgebracht, wenn man Kindern kleine Spielzeugroboter zum Spielen gibt oder gar Roboter einsetzt, um ihnen eine zweite Fremdsprache beizubringen, wie es derzeit in einigen Forschungsprojekten versucht wird. Hier wird dem Kind unterschwellig eine Anthropologie vermittelt: „Du bist eine Maschine. Werde, was Du bist!“[2]
=== ''Menschliche Pädagogik erfordert Weltbild-Bewusstsein'' ===
Für die Pädagogik im 21. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Roboter, heißt dies: Erzieher*innen und Pädagog*innen müssen sich bewusstwerden, aus welchem Menschenbild heraus sie arbeiten.
''Ist der Mensch bloß eine Maschine oder ist er ein geistiges Wesen, das sich seinen Leib zum „Werkzeug des Lebens“ gestaltet?''
Der letzte von Rudolf Steiner geschriebene Aufsatz ist dieser Thematik gewidmet:
''„Das weitaus meiste dessen, was heute durch die Technik in der Kultur wirkt und in das er mit seinem Leben in höchstem Grade versponnen ist, das ist nicht Natur, sondern Unter-Natur. Es ist eine Welt, die sich nach unten hin von der Natur emanzipiert.“[3]''
Wir haben für die enorm starken Kräfte des Elektromagnetismus und der Atomkraft keine Sinnesorgane. Steiner nennt daher diese nur gedanklich und experimentell zugängliche Welt „untersinnliche Kräfte“ und stellt ihnen in dem genannten Aufsatz die ebenfalls nur an ihren Wirkungen erkennbaren, nicht jedoch sinnlich sichtbaren „übersinnlichen Kräfte“ gegenüber.
Die Natur steht als sinnlich erfahrbare Umwelt dazwischen – von diesen beiden unsichtbaren Kräftearten durchdrungen. Dadurch ist der Mensch frei, wie er sich in diesem Kräftespiel positionieren will. Um ihm diese Freiheit zu erhalten, braucht es aber eine Erziehung, die zur freien Handhabung dieser Kräfte befähigt.
Jeder Mensch kann heute wissen, dass die Welt von Big Data nicht nur Instrumente für Kommunikation, Unterhaltung, wissenschaftliche Untersuchungen und Lernvorgänge bereitstellt. Vielmehr handelt es sich dabei – wie eingangs schon erwähnt – auch um gigantische politische Kontrollsysteme und wirtschaftliche Marktanteile, denen gegenüber sich der Einzelne ohnmächtig vorkommen kann. Der schon genannte Pionier der Computer- und Roboter-Technologie ''Joseph Weizenbaum'' formulierte demgegenüber in seinem auch heute noch lesenswerten Buch ''Kurs auf den Eisberg[4]'': ''„Die sogenannte Ohnmacht des Einzelnen ist vielleicht die gefährlichste Illusion, die ein Mensch überhaupt haben kann. Wer sich seiner Freiheit und Würde bewusst ist, wird dieser Illusion nicht verfallen.“''
=== ''Wie die Chance der neuen Freiheit nutzen?'' ===
Die technische Welt erspart dem Menschen viele eigene Tätigkeiten. Die Geräte tun es für ihn. Das ist Chance und Gefahr zugleich. Die Bequemlichkeit kann ihn dazu verführen, dass er den Maschinen sein Leben überlässt: Die Unterhaltungsindustrie gestaltet seine freie Zeit, während seine kreativen Fähigkeiten verkümmern. Wer jedoch Initiative und eigene Ideen hat, die er verwirklichen will, kann die durch Maschinen gegebenen äußeren Freiheiten nutzen und sich selbst weiterentwickeln, indem er seine Vorhaben mithilfe der Technologien besser realisieren kann.
Für die Pädagogik in einer von digitalisierter Technik geprägten Welt bedeutet dies, dass Kinder in erster Linie befähigt werden müssen, mit dieser Freiheit zu oder für etwas aktiv umgehen zu lernen, dass sie lernen müssen zu sagen, was sie mit ihrem Leben machen wollen:
''Genieße ich meine »Freiheit von der Sklavenarbeit« und lebe nach Lust und Laune?''
''Mache ich mich abhängig und lasse ich mich bestimmen?''
''Ergreife ich selbst die Verantwortung für meine Entwicklung – und wenn ja, wofür will ich''
''mich im Leben einsetzen?''
''Vgl. „Schule als Ort gesunder Entwicklung“, März 2020, ISBN: 978-3-939374-76-3''
----[1] Frank Schirrmacher: ''Ego. Das Spiel des Lebens''. Karl Blessing Verlag, München 2013, S. 119.
[2] Werner Sesink: ''„Du bist eine Maschine. Werde, was Du bist!“ Die Pädagogik virtueller Maschinen.'' In: ''Bildung nach dem Zeitalter der Großen Industrie. Jahrbuch für Pädagogik'' 1998. Redaktion Josef Rützel und Werner Sesink. Peter Lang, Frankfurt a. M. 1998. S. 195–204.
[3]176. Rudolf Steiner: ''Anthroposophische Leitsätze. Der Erkenntnisweg der Anthroposophie. Das Michael-Mysterium''. GA 26. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1976, S. 256.
[4] Joseph Weizenbaum: ''Kurs auf den Eisberg. Die Verantwortung des Einzelnen und die Diktatur der Technik'', Zürich 1984.
== WELT- UND MENSCHENINTERESSE ENTWICKELN ==
''Warum ist das Interesse an Welt und Mitmenschen von so vitaler Bedeutung für uns Menschen?''
''Wie kann dieses Interesse geweckt und gepflegt werden?''
''Wie findet der Mensch den Sinn der eigenen Existenz?''
=== ''Fragen, was das Leben von uns erwartet'' ===
Der Psychologe ''Viktor E. Frankl'' (1905–1997) hat immer wieder darauf hingewiesen, dass Menschen zwar über immer mehr freie Zeit verfügen, aber nicht wissen, womit sie diese sinnvoll ausfüllen können.[1] Sie wissen mit sich nichts anzufangen und finden keinen Sinn in ihrem Dasein. Viele Menschen leiden, so Frankl, „an dem Mangel an einem Lebensinhalt“.[2] Dieses existenzielle Vakuum gab es in den vergangenen Jahrhunderten nicht, denn Religion und bewährte Traditionen vermittelten den Menschen allgemein verbindliche tragende Werte. Diese zerbrachen in dem Maße, wie sich ab dem 17./18. Jahrhundert der Individualismus geltend machte. Selbst Werte zu finden, dem eigenen Leben Orientierung und Sinn zu geben, wurde zunehmend zur Aufgabe jedes einzelnen Menschen.
Im Rückblick auf seine furchtbaren Erfahrungen im Konzentrationslager erkannte ''Viktor Frankl'', dass der Sinn des eigenen Lebens eine über die selbstbezogene Subjektivität hinausgehende Dimension hat:
''„Was hier nottut, ist eine Wendung in der ganzen Fragestellung nach dem Sinn des Lebens: Wir müssen lernen und die verzweifelten Menschen lehren, dass es eigentlich nie und nimmer darauf ankommt, was wir vom Leben noch zu erwarten haben, vielmehr lediglich darauf: was das Leben von uns erwartet! Zünftig philosophisch gesprochen könnte man sagen, dass es hier also um eine Art kopernikanische Wende geht, so zwar, dass wir nicht mehr einfach nach dem Sinn des Lebens fragen, sondern dass wir uns selbst als die Befragten erleben, als diejenigen, an die das Leben täglich und stündlich Fragen stellt – Fragen, die wir zu beantworten haben, indem wir nicht durch ein Grübeln oder Reden, sondern nur durch ein Handeln, ein richtiges Verhalten, die rechte Antwort geben. Leben heißt letztendlich eben nichts anderes als: Verantwortung tragen für die rechte Beantwortung der Lebensfragen, für die Erfüllung der Aufgaben, die jedem Einzelnen das Leben stellt, für die Erfüllung der Forderung der Stunde.“[3]''
=== ''Erkennen, was der Mitwelt nottut'' ===
Rudolf Steiner bemerkte einmal: ''„Diese Änderung der Menschheit, dieses Gleichgültigwerden der Menschheit gegenüber den großen Schicksalen des Daseins, das ist die auffälligste Erscheinung. Es prallt ja alles ab von der Menschheit heute. Die umfassendsten, einschneidendsten, intensivsten Tatsachen nimmt man auf wie eine Sensation. Sie wirken nicht erschütternd genug. Und das rührt nur davon her, weil der immer stärker und stärker werdende intelligente Egoismus die Interessen der Menschen einengt.“[4]''
Den Sinn meines Lebens kann ich offenbar nicht finden, indem ich bloß mich frage, was „ich will“, sondern indem ich auch wahrnehme, was meiner Mitwelt nottut. Dazu braucht es aber auch einen entsprechenden Blick auf die Welt, eine adäquate Weltanschauung. Bedingungen in der Schule dafür zu schaffen, dass die Heranwachsenden in die Lage versetzt werden, sich ihren eigenen Blick auf die Welt zu erarbeiten, ist die vornehmste Aufgabe der Waldorfpädagogik. Weltinteresse wecken kann eine Lehrer*innenschaft aber nur, wenn sie selbst mitten im Leben steht. Rudolf Steiner formulierte dies in wünschenswerter Klarheit:
''„Richtiges Menscheninteresse für das ganze Leben ist nicht möglich, wenn nicht ein richtiges Weltinteresse erregt worden ist beim fünfzehn-, sechzehnjährigen Menschen.“[5]''
All dies sind wesentliche Hintergrundfragen für den Technologieunterricht und einen altersentsprechenden Umgang mit den digitalen Endgeräten im Elternhaus und in der Schule.
=== ''Die Lehrplanempfehlungen im Überblick'' ===
Tabellarisch zusammengefasst:
* '''Erste Kindheit:''' selbst erfundene Geschichten erzählen – ohne jegliches Medium
* '''Vorschulzeit:''' den Kindern regelmäßig vorlesen, die Erwachsenen leben den Kindern den Umgang mit Büchern vor.
* '''Erste Klasse:''' schreiben und lesen lernen.
* '''Ab der zweiten und dritten Klasse:''' Freude am Schreiben und am Lesen fördern durch eine Klassenbibliothek, Lesekreise usw. Das Lesen zu Hause intensiv unterstützen.
* '''Ab der vierten und fünften Klasse:''' in Buchbeständen recherchieren lernen, öffentliche Bibliotheken kennenlernen.
* '''Siebte oder achte Klasse:''' das 10-Finger-System auf der Tastatur beherrschen lernen.
* '''Achte oder neunte Klasse:''' anhand von Praktikumsberichten die vielfältigen Möglichkeiten eines Textverarbeitungsprogramms kennen- und beherrschen lernen.
* '''Zehnte Klasse:''' Typografie⁄Schriftschnitt: Erstellen einer eigenen Schriftart.
* '''Ende der Schulzeit:''' Wo sachlich sinnvoll, Gebrauch von Informationstechnologie und Textverarbeitung in der Schule und zu Hause.
=== ''Geschichte der Medien nachvollziehbar machen'' ===
An diesem Aufbau des Curriculums wird ein weiterer prinzipieller Gedanke deutlich: Ein entwicklungsorientierter Lehrplan lässt die Kinder zugleich mit ihrer eigenen Entwicklung die Geschichte der Medien nachvollziehen. Die Kinder lernen die Möglichkeiten der Schrift von allen Aspekten her verstehen und vor allem können sie diese auch aktiv beherrschen. Eine solche Vorgehensweise ermöglicht eine umfassende Medienkompetenz, die nicht nur auf digitale Medienträger beschränkt ist. In den ''ersten fünf'' Schuljahren beginnt die Medienpädagogik mit der Beherrschung der Handschrift.
Zudem muss die Fähigkeit, konzentriert und verständig zu lesen, gut geübt werden. Auch die Recherche in Buchbeständen sollten die Kinder kennengelernt haben.
In der ''sechsten'' Klasse sollte den Kindern eine erste Einführung gegeben werden, wie das Internet prinzipiell funktioniert, wo die Chancen seiner Nutzung liegen, vor allem aber auch, auf welche Risiken man zu achten hat. Da oft schon in diesem Alter, leider auch schon früher, erste Erfahrungen mit Cybermobbing gemacht werden, muss diese Frage unbedingt thematisiert werden, vor allem auch, wie und wo man sich im Ernstfall Hilfe holen kann. Treten schon in den ersten Schuljahren soziale Probleme auf, sollten sie immer im Schulzusammenhang aufgegriffen und thematisiert werden.
Kommen die Schüler*innen in die ''siebte'' und ''achte'' Klasse, ist es sinnvoll, dass sie lernen, wie man mit zehn Fingern blind auf der Tastatur schreibt. Die Jahresarbeit am Ende der achten Klasse oder der erste Praktikumsbericht in der ''neunten'' Klasse sind dann Gelegenheiten, bei denen man zusammen mit den Schüler*innen erarbeitet, wie man die vielfältigen Funktionen eines Textverarbeitungsprogramms sinnvoll und kreativ nutzen kann.
In der ''zehnten'' Klasse kann man den Jugendlichen zeigen, wie man eine eigene Schriftart herstellt. Sie lernen, wie man eine individuelle Schrifttype produziert, die beispielsweise der eigenen Handschrift ähnelt. Sie können dann ihre Texte individuell formatieren.
Im ''elften'' und ''zwölften'' Schuljahr können dann die Möglichkeiten der Informationstechnologie überall da in den Unterricht einbezogen werden, wo es die Sache erfordert.
Fazit: Entwicklung first – Digitalisierung second!
=== ''Belastung durch Elektrosmog minimieren'' ===
Nicht angesprochen ist in diesem Kontext die Frage nach einer möglichst elektrosmogarmen Schul- und Klassenzimmer-Umgebung. Ratschläge dazu finden sich in dem mehrfach zitierten Ratgeber: ''Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt.'' Die gesundheitlichen Langzeitfolgen der gepulsten Mikrowellenstrahlung sind zwar noch nicht zureichend erforscht; was jedoch bis jetzt vorliegt, mahnt zur Vorsicht, insbesondere im Wachstumsalter. Es sei dazu auf die sehr informative Website diagnose-funk.org[6] verwiesen. Dort werden auch alternative Technologien vorgestellt, wie etwa die Nutzung von Licht als Datenüberträger, die jedoch noch nicht marktreif sind. Es ist dringend zu wünschen, die flächendeckende Versorgung mit 5G zu verlangsamen und womöglich auszusetzen, bis die gesundheitlichen Risiken eingehender erforscht und mögliche Alternativen zur Datenübertragung weiter entwickelt sind.
''Vgl. „Schule als Ort gesunder Entwicklung“, März 2020, ISBN: 978-3-939374-76-3''
----[1] Viktor Frankl: ''Das Leiden am sinnlosen Leben''. Freiburg, Basel, Wien 1991, S. 76.
[2] Viktor Frankl: ''Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie''. Bern, Stuttgart, Wien 1982, S. 11.
[3] Viktor Frankl: ''... trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager''. München 2002, S. 124 f.
[4] Rudolf Steiner: ''Die Erziehungsfrage als soziale Frage. Die spirituellen, kulturgeschichtlichen und sozialen Hintergründe der Waldorfschul-Pädagogik''. Dornach 17. August 1919. GA 296. Verlag der Rudolf Steiner Nachlassverwaltung, Dornach 1960, S. 106.
[5] Rudolf Steiner: ''Erziehung und Unterricht aus Menschenerkenntnis''. GA 302a. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1993, S. 84.
[6] www.diagnose-funk.org

Version vom 4. April 2025, 16:11 Uhr

Medienpädagogik – von Michaela Glöckler

Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/

VORWORT ZUM MEDIENRATGEBER

Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht Aktuelles zum Thema Digitalisierung zu lesen oder zu hören ist. Man geht davon aus, dass in den nächsten 20 Jahren 60 bis 70% der aktuell vorhandenen Berufe durch elektronische Geräte und Roboter ersetzt werden können. Kein Wunder, dass viele Eltern denken:

In diese Welt wachsen die Kinder hinein – warum sollten sie nicht auch schon von Anfang an mit dieser Technik konfrontiert und daran gewöhnt werden nach dem Motto: Früh übt sich, wer ein Meister werden will?

Noch dazu, wo die offiziellen bildungspolitischen Empfehlungen genau in diese Richtung zielen?

Dabei wird übersehen, dass eine Technologie, die vom menschlichen Bewusstsein bedient wird, dieses auch stark in seiner Entwicklung beeinflusst. Das ist für ältere Jugendliche und Erwachsene kein Problem, wenn sich ihre Gehirne in der analogen Welt gesund entwickeln konnten – wohl aber für die Heranwachsenden, bei denen dieser Prozess noch nicht genügend abgeschlossen ist. Daher gibt es zunehmend auch die warnenden Stimmen, vor allem aus wissenschaftlicher, medizinischer und entwicklungspsychologischer Sicht.

In vielen Studien und aus großen Metaanalysen werden Forschungsergebnisse vorgestellt, die auf Nebenwirkungen und Gefahren einer zu frühen Digitalisierung in Kindergarten und Schule hinweisen: Beeinträchtigung der Frontalhirnentwicklung und des damit verbundenen autonomen Denk- und Kontrollvermögens, Haltungs- und Augenschäden, Empathieverlust, Defizite im sprachlichen Ausdrucksvermögen, Abhängigkeiten von sozialen Netzwerken, Suchtgefährdung – ganz abgesehen von den noch viel zu wenig beachteten Nebenwirkungen des Elektrosmogs auf das Nervensystem, das in Kindheit und Jugend viel sensibler reagiert als später.

Dabei gibt es auch zu bedenken, dass prominente IT-Größen wie Steve Jobs, Bill Gates, Jeff Bezos ihren Kindern den frühen Zugang zu Smartphone & Co. versagten und gemäß Statistiken die Kinder von Akademikern weit weniger Zeit vor dem Bildschirm verbringen als die der übrigen Bevölkerung. Auch sind sich Entwicklungsneurologen wie Prof. Gerald Hüther und Wirtschaftsexperten wie McAfee, Direktor für Digital Business am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge einig, dass es in der durch Informationstechnologie bestimmten Welt von morgen vor allem Kreativität, soziale Kompetenz sowie unternehmerisches Denk- und Handlungsvermögen braucht.

Der chinesische Unternehmer Jack Ma, der den asiatischen Amazon-Konkurrenten Alibaba aufgebaut hat, brachte es beim Weltwirtschaftsforum in Davos auf den Punkt: Statt Wissen zu pauken, das doch jeder Computer schneller parat hat, sollten die Schulen „Werte, Vertrauen, unabhängiges Denken, Teamwork“ lehren und kreativen Fächern wie Kunst, Kultur, Musik und Sport mehr Raum geben. Diese kreativen und unternehmerischen Kompetenzen jedoch haben ihr Entwicklungsfundament in der analogen Welt, nicht in der digitalen!

Diesem Paradox müssen wir uns stellen: Soziale Fähigkeiten, Kreativität und schöpferisches Denken brauchen für ihre Entwicklung den unmittelbaren Umgang mit Menschen und das Gespräch mit Andersdenkenden, nicht den Computer.

Was also ist zu tun?

All dies zu wissen hilft ja noch nicht, den Familienalltag zu meistern, in dem das Smartphone nicht nur zum unentbehrlichen Begleiter, sondern oft auch zum Streitpunkt geworden ist. Es braucht hier klare Hinweise und praktische Tipps, wie man Kinder und Jugendliche in ihrem jeweiligen Lebensalter so begleitet, dass die möglichen Schäden vermieden werden können. Dafür ist dieser Medienratgeber[1] gedacht. Er zeigt auf, was Kinder und Jugendliche für einen gesunden Einstieg ins mediale Zeitalter brauchen. Viele Fachleute und Organisationen haben dafür den Autoren – Medienexperten und Pädagogen – zur Seite gestanden, wie die Liste der Unterstützer und Förderer dieses Ratgebers zeigt. Was sie verbindet ist die Liebe zu den Heranwachsenden und die große Verantwortung, die wir ihnen gegenüber haben. Unsere Hoffnung ist, möglichst vielen Kindern und Jugendlichen ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen, damit sie ihrer digitalen Zukunft kompetent begegnen können und den Anforderungen ihres Lebens gewachsen sind.

Vgl. Michaela Glöckler, Vorwort zu „Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt“, Stuttgart 2018


[1] Hrsg. Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt (Glomer shop).

AUFRUF GEGEN ZU FRÜHE GEWÖHNUNG AN MEDIEN

Worum geht es bei diesem Aufruf?

Was sind die Gefahren zu früher Gewöhnung an Medien?

Woran liegt es, dass immer mehr Kinder immer früher Medien ausgesetzt sind?

Die Unterzeichner dieses Aufrufs sind um die gesunde Entwicklung der nachkommenden Generationen besorgt. Sie möchten sich für konstruktive Bildungsinvestitionen in Kindertagesstätten, Kinderkrippen, Kindergärten sowie im Vorschulbereich einsetzen und ein breites Netzwerk bilden, um mit dieser Initiative rasch und überzeugend voranzukommen.

Erschreckende Risiken und Nebenwirkungen

Die Haltung vieler Erwachsener scheint sich durchzusetzen, dass die frühe Gewöhnung an das digitale Zeitalter unvermeidlich ist, zumal ja auch namhafte Bildungspolitiker mit hohen Investitionen in diesem Bereich imponieren. Umso erschreckender ist es, in welchem Ausmaß die Risiken und Nebenwirkungen der digitalen Informationstechnik dabei vergessen werden. Diese Risiken und Nebenwirkungen sind umso stärker ausgeprägt, je jünger das Kind ist. Dies liegt daran, dass das Gehirn umso plastischer ist, je jünger ein Mensch ist – und deshalb viel empfindlicher für Fehlstimulationen und störende Einflüsse.

Ein Drittel aller einjährigen Kinder in den USA hat Umgang mit dem Computer, bevor die Kinder laufen oder sprechen können. In Deutschland verbringen bereits 70% der 2- bis 5-jährigen eine halbe Stunde täglich mit einem Smartphone. Die am häufigsten von 6-jährigen in Deutschland verwendete App ist Facebook. Alle Vorschulkinder schauen fern, oft weit über eine Stunde am Tag.

Dabei ist erwiesen: Tablets für Babys fördern nicht ihre Bildung, sondern führen zu Bewegungslosigkeit, sensorischer Fehlstimulation und Isolation von der realen Umwelt. Entsprechendes gilt für das Baby-Töpfchen mit iPad-Halter. Da sitzt das Kleinkind auf dem Töpfchen vor dem iPad, um auch diese kostbare Zeit zum Lernen zu nutzen. Das Gerät verfehlt auch hier seinen Zweck, indem es das Kind von der in diesem Alter so notwendigen körperlichen Selbsterfahrung ablenkt.

Eigenaktivität und Entwicklung

Warum ist Eigenaktivität so wichtig?

Es gehört zu den wichtigsten Erkenntnissen aus der Gehirnforschung der vergangenen Jahrzehnte, dass Kinder Geschicklichkeit, Laufen, Sprechen und Denken am besten durch Eigenaktivität lernen – durch Versuch und Irrtum, durch freies Spielen, durch Nachahmung im direkten Kontakt mit anderen. Ganz allgemein gilt: Gehirne machen keine Downloads. Sie ändern sich vielmehr aufgrund aktiver Nutzung durch eigenes Beobachten, Entdecken, Untersuchen, Hören, Tasten, Riechen, Schmecken, Mit- und Einfühlen, Denken, Sprechen, Handeln: Alles was ein Mensch tut, und vor allem eigenständig tut, ist begleitet von konstruktiver Gehirnaktivität. Denn diese aktive Inanspruchnahme des Gehirns ist der Anreiz für seine tagtägliche Weiterentwicklung. Eigenaktivität sorgt für gesunde Gehirn- und Körperentwicklung. Auch das später in der Schule oft vermisste Konzentrationsvermögen wird insbesondere im ersten Lebensjahr veranlagt.

Bittet man ein 4-jähriges Kind darum, die Nadel, den Stift, den Schlüssel, das Ei oder den Eimer zu halten, oder sich selbst an einer Stange festzuhalten, dann macht es spontan und ohne jede sichtbare Anstrengung diese komplexen Bewegungen der Hand, die zudem an Gewicht, Größe und Oberflächeneigenschaften der Objekte automatisch angepasst werden. Alle Sinne sind dabei beteiligt.

Im Gegensatz zu einem Computer mit Verarbeitungs- und Speichermodul für Informationen gibt es im Gehirn keine Trennung von Verarbeitung und Speicherung: Wenn das Gehirn Informationen verarbeitet, ändern sich die Verbindungen zwischen Nervenzellen – und diese sind der Speicher. Je mehr ein Gehirn verarbeitet hat, desto mehr hat es auch gespeichert und desto besser kann es wiederum verarbeiten. Je mehr Sprachen ein Mensch spricht, desto leichter fällt es ihm eine weitere neue zu lernen. Die Sprachzentren werden dabei nicht „voll“, sondern können ganz im Gegenteil umso mehr speichern, je mehr schon in ihnen gespeichert ist! Diese Eigenschaft eines paradoxen Speichers gilt ganz allgemein. Je mehr Musikinstrumente ein Mensch spielen kann, je mehr Werkzeuge er benutzen kann, je mehr Bücher über ein bestimmtes Sachgebiet er gelesen hat, desto leichter fällt es ihm, noch ein weiteres Instrument oder Werkzeug verwenden zu lernen oder noch ein Buch über das Sachgebiet zu lesen.

Mit dem Alter abnehmende Bedeutung nicht digitaler Bildungsangebote

Eine Darstellung des Zusammenhanges zwischen Alter und Lerngeschwindigkeit, dargestellt als Abnahme der Rendite von Bildungsinvestitionen über die Lebensspanne des zu bildenden Menschen (nach Heckman 2006), zeigt anhand einer Kurve, wie stark die Lerngeschwindigkeit über das Lebensalter hin abnimmt. Wer mit einem Vierjährigen Memory spielt, hat einen unmittelbaren Beweis hierfür. Weil das so ist, möchten die Bildungsverantwortlichen gerade die ersten Jahre intensiv für das Lernen – und warum nicht auch den Umgang mit den Medien? – nutzen. Doch genau dieses Vorgehen ist wenig zielführend, wie die nachstehenden Ausführungen zeigen. Im Gegenteil: Konstruktive, gesundheitsfördernde, nicht digitale Bildungsangebote lohnen sich

  • in der Kita am allermeisten,
  • in der Schule noch recht gut
  • und danach deutlich weniger.

So fördern z.B. Fingerspiele mathematische Fähigkeiten und die Entwicklung des Frontalhirns, der Umgang mit Tablet-Computern hingegen nicht. Denn geistige Leistungen werden von Gehirnarealen erbracht, die ihre Signale aus den aktivierten sensorischen und motorischen Arealen empfangen.

Deswegen ist es so wichtig, in Kindheit und Jugend auf eine breite Bildung zu setzen und insbesondere die Sensorik und Motorik zu fördern. Denn nichts ist ungeeigneter zum Training sensorischer und motorischer Gehirnareale als das Wischen mit der immer gleichen Bewegung über eine Glasoberfläche ohne jegliche sensorische Differenziertheit. Und da höhere geistige Leistungen von Gehirnarealen vollbracht werden, die ihre Signale aus sensorischen und motorischen Arealen empfangen, wird komplexeres Denken durch Wischen über Tablets seiner Voraussetzungen beraubt.

Es geht uns hier nicht um Technologie-Feindlichkeit – es geht uns vielmehr um den Schutz des Entwicklungsraums Kindheit, um das Kindeswohl, das Menschenrecht auf Kindheit, damit Jugendliche und Erwachsene kompetente Nutzer von Technologie sein können – da, wo sie am Platz ist.

Beispiel Südkorea

Kinderärzte in den USA warnen seit Jahren vor den genannten Risiken und Nebenwirkungen und fordern für Kleinkinder eine völlige Abwesenheit von digitalen Medien und für Kinder eine deutliche Verminderung der Zeiten, in denen sie diesen ausgesetzt sind. Dem sind die südkoreanischen Bildungspolitiker jetzt gefolgt. Südkorea ist das erste Land, in dem die Regierung bereits im Jahr 2015 per Gesetz damit begonnen hat, die junge Generation vor den schlimmsten Auswirkungen der neuen Technik aktiv zu schützen. Wer unter 19 Jahren alt ist und ein Smartphone kauft, muss darauf eine Software installiert haben, die

  1. den Zugang zu Gewalt und Pornographie sperrt,
  2. die tägliche Nutzungszeit des Smartphones registriert und den Eltern eine Mitteilung sendet, wenn diese einen voreingestellten Wert überschreitet und die
  3. nach Mitternacht die Verbindung zu Spiele-Servern unterbricht.

Man hat also im digital am weitesten entwickelten Land begriffen, wie wichtig es ist, die nachfolgende Generation vor den Risiken und Nebenwirkungen dieser Technik zu schützen. Denn Südkorea ist das Land mit der weltweit fortschrittlichsten digitalen Infrastruktur und produziert weltweit die meisten Smartphones. Daher gibt es dort in der Altersgruppe der Menschen von 10 bis 19 Jahren bereits über 90% kurzsichtige und über 30% Kinder und Jugendliche mit einer Smartphone-Sucht.

Wollen wir so lange warten, bis dies bei uns in Europa auch so ist?

Sprachentwicklung durch Beziehung

Ein eingeschalteter Fernsehapparat im Hintergrund stört die Sprachentwicklung ebenso wie elektronische Bücher, die sich selbst vorlesen, oder aber die Beschäftigung mit den digitalen Medien. Der Dialog mit dem Kind, auch das von Gesprächen begleitete Vorlesen, ist für dessen sprachliche und gedankliche Entwicklung am wichtigsten. Hier gilt: Viel hilft viel. So beträgt der Unterschied eines Oberschichtkindes zu einem Unterschichtkind bei der Einschulung 30 Millionen Wörter, die das Oberschichtkind mehr gehört hat als das Unterschichtkind (Hart & Risley 1995). Entsprechend sind dessen Sprachzentren besser trainiert und der Eintritt in die Bildungskarriere fällt leichter.

Auch die soziale Kompetenz wird nicht am Tablet geschult, sondern durch direkten Umgang mit anderen Menschen, von denen jeder einmalig ist und nicht programmierbar. Die Tatsache, dass ein Erwachsener das Kind mit Interesse wahrnimmt und das Kind sich in diesem Wahrgenommen-Werden „gut fühlt“, regt es zu eigenem Tun an.

Warum wir alle gefragt sind

Wir dürfen weder die Gesundheit und Bildung der nächsten Generation und damit unsere Zukunft, noch die Grundpfeiler unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft den ökonomischen Interessen der reichsten Firmen der Welt überlassen! Daher müssen unsere Bildungseinrichtungen, allen voran die Kinderkrippen und Kindertagesstätten, frei bleiben von den nachweislich negativen Einflüssen von deren Produkten auf unsere Kinder! Es geht um nichts weniger als um die Verteidigung der Grundwerte unserer Gemeinschaft gegenüber einer übermächtigen Wirtschafts-Lobby. Wer sich hier nicht einmischt, handelt verantwortungslos gegenüber der nächsten Generation, der wir schon genug Probleme – Schulden, Konflikte und einen vermüllten Planeten – hinterlassen haben.

Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer, Dr. med. Dr. hc. Michaela Glöckler, Dr. med. Silke Schwarz, Elisabeth von Kügelgen, Dagmar Scharfenberg, Beate Wohlgemuth, Oliver Langscheid, Michael Wetenkamp, Frank Linde, Johannes Stüttgen, Helga Kühl, Angelika Fried

Vgl. Aufruf gegen Digital-Kindergärten, Dezember 2016, www.eliant.eu

Medienpädagogik und Erziehung zur Freiheit

Warum muss Erziehung zur Freiheit Hand in Hand gehen mit Medienpädagogik?[1]

Was sagt Rudolf Steiner zur Technik bzw. zu den damals zukünftigen Medien?

Was können und müssen wir tun, um die kulturelle Entwicklung positiv zu beeinflussen?

Rudolf Steiner hat sich einige Male sehr dezidiert darüber geäußert, wie das Leben in 100 bis 400 Jahren aussehen wird – so auch bezüglich der Technik. Ich bin immer wieder berührt, wie präzise diese Voraussagen sind und wünsche mir, dass sich eine Gruppe von Menschen findet, die Rudolf Steiner einmal als Menschen beschreibt, der die Zeichen der Zeit „lesen konnte“ und dadurch einen prophetischen Blick entwickelte.

Rudolf Steiners Aussagen zum technischen Fortschritt

· Der todbringende Aspekt der Technik

Rudolf Steiner spricht aus der geisteswissenschaftlichen Forschung heraus mit großer Begeisterung über das Wesen der Technik. Augenzeugen berichten, dass er im Auto durch das Ruhrgebiet fuhr, damals die größte Industriezone von Deutschland. Er schaute aus dem Fenster und sagte: „Alles tot.“ Er war aber nicht etwa traurig darüber, sondern stellte es einfach fest. In seinen Vorträgen führte er aus: Die Technik wird der Erde den Tod bringen, weil sie von ihren Energiereserven zehrt und Zerstörung und tiefgreifende Umwälzungen mit sich bringt. Technik ist nicht nur an sich etwas Totes, sondern wirkt sich auch todbringend aus. Die Stahlindustrie ist nicht nur für viele „friedliche“ Maschinen und Schneidewerkzeuge verantwortlich, sondern auch weltweit eng mit der Produktion von Waffen verknüpft, die todbringend sind. Diese Zusammenhänge stellen eine Richtung der Imagination für die Zukunft dar.

· Der befreiende Aspekt der Technik

Es gibt aber noch einen anderen Aspekt: Sterbeprozesse geben uns Menschen die Möglichkeit, uns von dem Materiellen zu lösen und somit frei zu werden von allem, was uns mit der Natur und der Umwelt quasi handgreiflich verbindet. Darauf beruht ja auch unser Denkvermögen. Die Todes- und Sterbeprozesse als Voraussetzung des Freiwerdens des Geistigen und der Entstehung von Freiheitsbewusstsein implizieren die Möglichkeit wunderbarer kultureller Wandlungsschritte, werfen aber auch Fragen auf:

Was soll der Mensch mit seiner Freiheit anfangen?

Kann er mit sich und der Welt etwas anfangen?

Ist er zur Freiheit erzogen worden?

Die sogenannte Arbeitslosigkeit, die wir meist beklagen, hat zugegebenermaßen etwas Furchtbares. Sie hat aber den Effekt, dass Millionen von Menschen bereits frei sind, den ganzen Tag lang zu machen, was sie wollen. Arbeitslosigkeit eröffnet die Möglichkeit, sich selbst in Freiheit Aufgaben zu suchen. Wenn aber Menschen nur zu Lohnempfängern erzogen wurden, die große Ansprüche an den Staat stellen, können sie mit der ihnen zur Verfügung stehenden Freiheit nichts anfangen und werden zu verzweifelten Arbeitslosen, die sich irgendwie mit dem Internet und anderen Medien als Zeitvertreibern über Wasser halten. Wir sollten deshalb nicht nur über Medienpädagogik, sondern vorbereitend auch über „Freiheitspädagogik“ sprechen, das erscheint mir ebenso wichtig.

Erziehung zur Freiheit – aber wie?

Mich hat in diesem Zusammenhang immer gewundert, warum man nicht überall die Frage stellt:

Wie müssen unsere Bildungspläne und -einrichtungen aussehen, dass Lust auf Freiheit geweckt wird?

Dass Menschen den Moment herbeisehnen, in dem sie nicht mehr müssen, sondern nur noch dürfen?

Die Waldorfpädagogik sagt als einzige dezidiert: Wir wollen zur Freiheit erziehen. Man wird in Zukunft immer besser verstehen, warum das so wichtig ist. Erziehung zur Freiheit muss mit der Erziehung zu Medienkompetenz Hand in Hand gehen. Technik schafft die Voraussetzungen für Freiheit und Freiheit ist ein Kulturgut des Menschen. Der technische Fortschritt dient demnach der Menschheitsentwicklung.

Moral als Interesse an anderen

Die Frage, was der Mensch mit seiner Freiheit anfangen soll, ist damit noch nicht beantwortet, auch nicht die Frage, was er überhaupt tun kann, bzw. aus welcher geistigen Orientierung heraus er etwas tun sollte. Bei all diesen Fragen geht es um die Frage nach dem Guten:

Will ich Gutes tun mit meiner Freiheit oder will ich meine Menschenkraft der Zerstörung, dem Bösen und Destruktiven widmen?

Das ist im Grunde die Frage nach Moral und Verantwortung. Rudolf Steiner definiert Moral als Interesse für den anderen – das finde ich einen sehr schönen Moralbegriff: Jemand ist umso moralischer, je mehr Interesse er für andere Menschen, für die Natur, für die Welt aufbringt und je mehr er aus diesem Interesse heraus die Zusammenhänge und Erscheinungen im Großen wie in Kleinen wirklich zu verstehen beginnt.

Rudolf Steiner Visionen von PC und Laptop

Ich möchte Worte vorlesen, die im nächsten Jahr 100 Jahre alt werden und die ich sehr berührend finde: „Heute sind wir noch nicht so weit, dass in der Schule keine religiösen Überlieferungen mehr gelehrt werden, aber wie viele verlangen nicht schon, dass nur dasjenige gelehrt wird, was die Naturwissenschaft bringt.“ (Deutschland gehört zu den wenigen Ländern, in denen Religion an der Schule noch gelehrt wird. In ganz Amerika ist das ein Tabu genauso wie im Norden Europas – dort gibt es nur noch Ethikunterricht. Diese Zukunftsvision hat sich zu großen Teilen schon erfüllt.)

„Für das äußere Leben werden ja die Forderungen dieser Menschen so mächtig werden, dass in sehr kurzer Zeit die Menschheit ungeheuer veräußerlicht sein wird. Heute lernt der Mensch noch schreiben, in einer nicht sehr fernen Zukunft wird man sich nur noch daran erinnern, dass die Menschen in früheren Jahrhunderten geschrieben haben, es wird eine Art der mechanischen Stenografie geben, die dazu noch auf der Maschine geschrieben werden wird.“[2]

Rudolf Steiner sah PC und Laptop voraus mitsamt den wunderbaren Wortergänzungsprogrammen: Man muss nur noch den Wortanfang eingeben und bekommt sofort drei, vier Angebote – ein Klick und schon steht das richtige Wort da. Es gibt auch schon Programme zur Spracherkennung. Man hat förmlich vor Augen, wie Rudolf Steiner all das vor sich sah. Ich kenne einen anderen Vortrag, in dem er sagt, man werde „einen Ballen Baumwolle von Liverpool nach Rom verschieben“ und bringt das Wort „schieben“ immer wieder – wie man auf dem Computer per Klick Dateien verschiebt. Er hat ganz präzise vor Augen, wie das aussehen wird: „… So wird die Mechanisierung des Lebens vor sich gehen.“[3]

Notwendigkeit der Aufklärung über sich selbst

Was kann jeder inzelne von uns tun, um noch konsequenter, noch intensiver, da wo er es vermag, einen positiven Einfluss auf die nächsten Jahrzehnte menschlicher Kulturentwicklung zu nehmen?

Rudolf Steiner betont an all diesen Stellen, dass diese Entwicklung sich vollziehen wird, dass es keinen Sinn habe, etwas dagegen unternehmen zu wollen. Es müsse aber eine Parallelentwicklung stattfinden, eine Ergänzung, die nur gelingen könne, wenn der Mensch seine Freiheit zum Guten gebraucht. Hier nun seine Vision einer parallelen Entwicklung:

„Das äußere Leben wird veräußerlicht werden, aber das innere Leben wird sein Recht fordern, dasjenige, was wir heute als Geisteswissenschaft treiben, mögen die Menschen jetzt noch verspotten, aber vor dem Sehnsuchtsschrei der Menschen nach der geistigen Welt werden sich die Materialisten zurückziehen müssen und so wird man anfangen, den Christus zu erkennen, in denjenigen Zeitepochen, die einen offenen Sinn für die Spiritualität haben werden, dann allerdings durch die Reaktion gegen das veräußerlichte Leben.“[4]

Rudolf Steiner sieht in der technischen Entwicklung die Möglichkeit aufzuwachen für die Notwendigkeit, durch die Oberflächlichkeit hindurch in die eigenen Wesenstiefen vorzudringen und den Christus als innersten Evolutionsfaktor zu erkennen. Die Sehnsucht der Menschen wird dahin gehen, von größtmöglicher Veräußerlichung zur größtmöglichen Verinnerlichung zu gelangen. Auch das ist eine Frage der Erziehung.

Erziehung zur Freiheit ist nicht nur Erziehung zur Medienkompetenz, zum Umgang mit der modernsten Spielart der Technik, der digitalen Welt. Erziehung zur Freiheit ist auch Erziehung zur Spiritualität. Dabei geht es nicht darum, Heranwachsende für ein bestimmtes Glaubensbekenntnis zu „präparieren“, sondern sie zu einer vollkommen freien Spiritualität zu führen, die ihnen die Möglichkeit gibt, sich selbst zu finden bzw. die Spiritualität zu finden, die zu ihnen gehört, die ihrem Menschentum entspricht. Aus diesem Grunde benutzt Rudolf Steiner für seine Geisteswissenschaft das nicht ganz einfache Wort aus dem Griechischen „Anthroposophie“, das nur das Eine aussagen will: Es gibt ein Wissen von der Menschlichkeit. Man kann ein Bewusstsein vom eigenen Menschentum entwickeln. Um diese Bewusstseinsbildung geht es, um die Aufklärung über sich selbst. Deswegen ist der edelste Bereich der Anthroposophie die Menschenkunde – aus medizinischer und pädagogischer Sicht, aber auch unter dem Gesichtspunkt der Evolution.

Vgl. „Ich im Netz“, Was geschieht mit uns im Internet?“, Amthor Verlag, Heidenheim 2015


[1] https://eliant.eu/aktuelles/wissenschaftliche-referenzen-und-materialien-zur-konferenz/

[2] Rudolf Steiner. Gegenwärtiges und Vergangenes im Menschengeiste, GA 167, 12 Vorträge, Berlin 1916.

[3] Ebenda., S. 98.

[4] Ebenda.

BEFREIUNG DURCH TECHNIK UND IHRE FOLGEN

Welche Auswirkungen hat die um sich greifende Technisierung auf unsere Fähigkeiten?[1]

Wofür wird der Mensch, der die Arbeit von den Maschinen machen lässt, frei?

Bedeutung der Technik für die Entwicklung des Menschen

Technik und die Multimedia-Kultur begeistern und beschäftigen die Erwachsenen und dementsprechend auch die Kinder. Ein entwicklungsfreundlicher Umgang mit dieser elek­tronischen Welt gelingt erst, wenn die Bedeutung der Technik für die Entwicklung des Menschen gesehen wird. Unsere Zeit wird mittlerweile vollständig bestimmt von einem Technisierungsprozess, der sich in drei Stufen vollzog und enorme Folgen für jeden einzelnen hat, über die sich die meisten Menschen viel zu wenig im Klaren sind:

1. Abnahme der körperlichen Arbeit durch Maschinen

Beginnend mit der industriellen Revolution in England in der Mitte des 18. Jahrhunderts kam die Umstellung von der Handarbeit auf die maschinelle Produktion. Grundlage hierfür war die Entwicklung der Dampfmaschine, gefolgt von Generationen von Verbrennungsmotoren. Die Maschinen wurden dafür gepriesen, dass sie den Menschen die schwere körperliche Arbeit abnahmen – inzwischen einen Großteil der Hand- und Beinarbeit: Den heutigen Arbeitern („Werkern“) bleibt neben dem Steuern von Land-, Bau- sowie Transportmaschinen meist nur noch das Arbeiten am Fließband, das stressig und eintönig zugleich ist, bzw. das öde Drücken von Knöpfen, das aber Wach­samkeit und hohe Konzentration erfordert.

2. Abnahme des Selber-Abspürens durch Messtechnik

Mit der großtechnischen Nutzung der Elektrizität und der Elektrifizierung der Haushalte kamen kleiner und handlicher werdende Geräte hinzu. Es ist kaum vorstellbar, in welch kurzem Zeitraum sich die Nutzung der Elektrizität global ausgebreitet hat, wenn man be­denkt, dass die Glühbirne, durch Heinrich Goebel 1854 erfunden und von Thomas Edison weiter optimiert, erst 1879 zum wirtschaftlichen Erfolg geführt hat. Die Erfindung des Kinematografen (Filmaufnahmeapparat) sowie des Kohlekörnermikrofons fällt in den­selben Zeitraum.

Zu dieser zweiten Maschinengeneration gehörte auch eine Fülle an Messinstrumenten, die den Menschen durch die Messtechnik das Fühlen, das sensible Abspüren und Beobachten mit den eigenen Sinnen abnahmen. Man hatte jetzt ein Thermometer und musste nicht mehr den Arm ins Wasser halten, sondern nur das Thermometer eintunken. Die Folge ist, dass wir Menschen die Fähigkeit, unsere Umwelt selbst zu fühlen, das Abmessen, Abwägen, Abspüren, Wittern usw., nicht mehr erlernen.

3. Abnahme des Denkens durch Informationstechnologie

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte dann die dritte große technische Revolution ein. Ma­schinen wurden entwickelt, die Intelligenzarbeit übernehmen können: die Informations- und Computersysteme. Die Informationstechnologie ist die dritte Maschinengeneration, die uns Menschen viele Facetten der Verstandesarbeit abnimmt. Man kann fast alles vom Computer errechnen lassen bzw. abfragen oder bestellen, braucht dafür nirgendwo mehr hinzugehen, kein Buch mehr aufzuschlagen.

Die Medientechnologie nimmt uns aber auch das Hervorbringen von Gefühlen ab – wir konsumieren Gefühle nur noch, wählen per Knopfdruck, was wir in diesem oder jenem Moment fühlen wollen.

Arbeitslosigkeit und Sinnkrise als Folge

Damit sind menschlicher Wille und Arbeitskraft auf körperlicher, seelischer und geistiger Ebene nicht mehr gefordert – worauf sich logischerweise die Frage stellt, wozu der Mensch überhaupt noch gebraucht wird. Diese Sinnkrise ist eine notwendige Folge der Technisierung: Der Wille des Menschen ist arbeitslos geworden. Und nicht nur das: Diese dreifache technische Revolution hat große Schübe von Massenarbeitslosigkeit mit sich gebracht. Dadurch sind aber auch – neben Armut – geradezu epidemische Erscheinungen von Sinnlosigkeitserleben, Resignation und Depression aufgetreten. Millionen von Menschen erleben sich nicht mehr als sinnvoll tätig in das gesellschaftliche Leben integriert. Das Problem, das mit der technischen Entwicklung entstanden ist, ist die Konfrontation mit der Zweck- und Sinnbestimmung des eigenen Wollens, des Umgangs mit den eigenen Fähigkeiten. Denn Arbeit bedeutet immer auch Entwicklung von Fähigkeiten und ein damit verbundenes Sinnerlebnis.

Was ist also der Sinn des Lebens im digitalen Zeitalter?

Die Technik hat uns befreit. Wir unterliegen nicht mehr dem Zwang pausenlos aktiv zu sein, um überleben zu können; Maschinen verrichten den Großteil der körperlichen Arbeit. Kinder und Jugendliche wachsen zudem mit dem Wissen heran, dass sie nichts mehr auswendig lernen müssen, weil sie alles Benötigte aus dem Internet herunterladen können. Beides bringt im Grunde eine unglaubliche Freiheit – doch wofür? Damit der Mensch kreativ werden kann und sich nicht mehr mit würdelosen Routinearbeiten abgeben muss; dass er auf seine Art seinen Teil zum Weltgeschehen im Großen und im Kleinen bei­zusteuern kann und frei ist zu tun, was benötigt wird.

Möglichkeiten nützen lernen

Doch all diese positiven Möglichkeiten stecken noch in den Kinderschuhen. Würden wir sie wirklich begreifen und konstruktiv nützen, würde Arbeitslosigkeit zu einem Fremdwort bzw. würde sie total umgedeutet werden. Solange Menschen jedoch meinen, sie hätten ein Recht, in dem Beruf beschäftigt zu werden, den sie gelernt haben, werden sie dadurch arbeitslos und abhängig von dem, was auf einen zukommt. Man reagiert nur und hat obendrein den Anspruch, dass einem der passende Job angeboten, dass dies und das vom Arbeitsamt unternommen wird.

In dem Maße, in dem die Medien zunehmend auch in die Schule geholt werden, kann die Erziehung immer weniger ausgleichend wirken. Die Kinder werden dadurch noch unfähiger, unmündiger und weniger kreativ. Würden sie dazu angehalten werden, Maschinen und Medien gezielt nur dafür zu benützen, dass ihnen alle Routinearbeit abgenommen wird, wären sie frei für schöpferische Tätigkeiten im geistigen und sozialen Bereich. Denn die Technik sollte unserem Leben assistieren, es aber nicht so dominieren, wie es heute immer mehr der Fall ist. Wir sind Opfer einer technisierten Kultur, die noch keine adäquaten Erziehungsmodalitäten ausgebildet hat, wie man der technologischen Entwicklung mit zeitgemäßen Bildungs-, Arbeits- und Entwicklungsplänen begegnet.

Vgl. „Gesundheit durch Erziehung“, Kapitel 16, „Medienmündigkeit und Technik, Dornach 2006


[1] Michaela Glöckler, Wolfgang Göbel, Kindersprechstunde. Stuttgart 2005, S. 470.

KULTURFÖRDERNDE MÖGLICHKEITEN VON INTERNET UND SOCIAL MEDIA

Was sind die kulturfördernden Aspekte der Medien?

Was ist das richtige Timing dafür?

Wodurch muss Mediennutzung kompensiert werden, um nicht zu schaden?

Gesellschaftlicher Nutzen von Medien

Gute Medienpädagogik muss um den richtigen Zeitpunkt für den Einsatz von Medien wissen, und zugleich die große Kulturleistung und die Nützlichkeit der Medien anerkennen. Ich bin ein begeisterter Nutzer der Social Media, weil ich darin die einzige Möglichkeit sehe, dass überhaupt Demokratie realisiert werden kann – über die Bildung von Zivilgesellschaften. Ich hoffe sehr, dass das Internet noch lange frei bleibt, weil es, in Ermangelung von politischen Instrumenten, das einzig brauchbare Instrument für die Bildung von NGOs ist. Es ist ein geniales Instrument für zivilgesellschaftliches Engagement, für die Bildung von globalem Bewusstsein. Wenn es genügend freie Menschen gibt, ist das Internet eine grandiose Sache. Für abhängige, spielsüchtige User, wie sie in Scharen die Schulen verlassen, ist es dagegen eine lebenslange Gefährdung.

Ich bin noch gar nicht so lange bei Facebook und habe schon Tausende Follower. Ich finde das rührend. Wenn ich unterwegs bin, spricht mich manchmal jemand an und sagt: „Wir sind Facebook-Freunde“ – das finde ich schön, obwohl ich meinen Freundeskreis längst nicht mehr überblicken kann. Ich sehe es aber als notwendig an, mich auch im Internet zu engagieren. Eine Millionen Unterschriften zu sammeln für unsere Aktion ELIANT[1] hätten wir ohne Internet nicht geschafft. Ich sehe darin zukünftige Möglichkeiten für die anthroposophische Kultur – wenn man meint, es ginge ohne, hat man nicht das Ganze im Auge.

Spiritualität zur Kompensation

Wir brauchen beides, wie Rudolf Steiner immer wieder betonte:

  • Größtmögliche Veräußerlichung durch Medien, wie sie heute Trend ist
  • Maximale seelisch-geistige Vertiefung als Kompensation

Beide Welten sind außerkörperlich, unser spirituelles Leben und die Elektronik. Deshalb brauchen wir ein starkes Geistesleben, um die Schäden der Elektronik – Schwächung des Ätherischen, Dauerermüdung – zu kompensieren. Nur dann kann man sich wirklich auf medienmündige Art und Weise mit den elektromagnetischen Superwaves auseinandersetzen.

Was wir alle tun können, was für den Umgang mit Technik im Allgemeinen gilt, auch für den Fahrstuhl, die Rolltreppe und den Lichtschalter: Wir sollten sie nur benützen, wenn wir sie wirklich brauchen, mit großer Dankbarkeit, nie aus Bequemlichkeit oder Gedankenlosigkeit. Dadurch sparen wir unendlich viel Energie. Denn durch die Eigenaktivität, die an die Stelle der nicht in Anspruch genommenen Technik tritt, halten wir uns gesund und sparen gleichzeitig Energie, Strom.

Ein solcher Umgang ist nicht technikfeindlich, sondern technikmündig. Es geht darum, ständig wach zu sein, um sich von der Welt der Technik nicht gefangen nehmen zu lassen.

Vgl. „Ich im Netz. Was geschieht mit uns im Internet?“, Amthor Verlag, Heidenheim 2015


[1] Mehr unter: www.eliant.eu

GOLDENE REGEL FÜR DEN UMGANG MIT TECHNIK UND MEDIEN

Wie muss Erziehung im Hinblick auf einen gesunden Umgang mit der technischen Ent­wicklung aussehen?

Ab welchem Alter wird der Umgang mit Medien frühestens empfohlen?

Vernünftigen Umgang mit Medien veranlagen

Gerade auf diesem Gebiet ist es nötig, dass das Kind von Anfang an die Möglichkeit bekommt, durch Nachahmung am Vorbild des geliebten Erwachsenen zu lernen. Wird ihm vorgelebt, dass Tablet und Smartphone ähnlich wie das Auto Dinge sind, die im Leben der älteren Jugendlichen und der Erwachsenen ihren festen Platz haben, so können im Laufe der Schulzeit die notwendigen Fähigkeiten erworben werden, um den eigenen Umgang mit der Informationstechnologie und die selbstbestimmte Nutzung der sozialen Medien und Netzwerke zu lernen.[1],[2] Computer sollten nicht zu ständigen Begleitern der Schüler werden, bevor diese die Arbeiten kennen und schätzen gelernt haben, die er übernimmt, und bevor sie wissen, wie er überhaupt funktioniert.

Je einfacher das Bedienen der Geräte wird, desto mehr ist der Erwachsene gefordert, das Kind und den Jugendlichen vernünftig zu begleiten, ihm deutlich zu machen, warum „einfach und kinderleicht“ nicht bedeutet, dass es auch „für Kinder gut ist“. Denn wenn in den wichtigsten Entwicklungsjahren digitale Eindrücke verarbeitet werden müssen, die nur Auge und Ohr ansprechen und alle anderen Sinne ausgrenzen und keine reale Interaktion mit der Umwelt darstellen, kann sich kein gesundes Nerven-Sinnessystem ausbilden. Auch die Entwicklung von Empathie kann nachgewiesenermaßen auf solchen Wegen nicht erfolgen. Kindheit und Jugend sind einmalige Entwicklungsräume und -zeiten, in denen sich ein gesundes Verhältnis zu Mensch und Umwelt entwickeln muss:

  • In der Kindheit braucht es neben empathischen, nachahmenswerten Vorbildern viel Raum für Eigenaktivität und Entdeckerfreude.
  • In der Jugendzeit braucht es freilassende Erwachsene, die die notwendigen Selbstfindungsprozesse interessiert begleiten.

Sind diese Entwicklungsbedingungen in jungen Jahren nicht gegeben, ist Versäumtes später sehr schwer nachzuholen und braucht zumeist therapeutische Bedingungen, um es doch noch zu erwerben.

Höchste Priorität für Beziehungspflege am Lebensanfang

Clifford Stoll – Astronom und Spezialist für Datenschutz und Computersicherheit – hat in seinen Büchern[3] ein Doppelbekenntnis abgelegt: für einen sachgemäßen Umgang mit dem PC im Jugend- und Erwachsenenalter und gegen einen Gebrauch in Kindergarten sowie den Unterstufen der Schule und zu Hause. Denn in dieser Zeit kommt dem Aufbau und der Pflege menschlicher Beziehungen höchste Priorität zu. Zu Hause spielen Ruhe und Frieden, Nachdenklichkeit und Wärme eine Rolle – Qualitäten also, die einem nicht primär einfallen, wann man an den PC und andere Medien denkt.

Dazu kommt ein zweiter wichtiger Aspekt: So wie auch im Laufe der Geschichte die Übernahme menschlicher Arbeit durch Maschinen erst sukzessive erfolgte, so ist es auch für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen notwendig, dass sie die verschiedenen Bereiche menschlicher Arbeit und Befähigung selbst kennen und entwickeln lernen, ehe sie sich diese durch die entsprechenden technischen Geräte (z.B. Geräte für Küchen, Haushalt, Garten, aber auch Taschenrechner und Computer) abnehmen lassen. In der Schule – und optimaler Weise auch zuhause – sollte der Taschenrechner bzw. Computer erst dann eingeführt werden, wenn die Fähigkeiten im Bereich der Grundrechenarten und insbesondere des Kopfrechnens gut entwickelt sind.

Zuerst selbst machen lassen

Die goldene Regel in der Pädagogik für den Umgang mit Technik lautet deshalb:

Eigenaktivität ermöglichen: Tätigkeiten und Aktivitäten so weit wie möglich selbst ma­chen und erleben lassen, bevor sie an Maschine und Medien abgegeben werden.

  • Es lähmt das schöpferische Vermögen, wenn man von der Technik alles und von sich selbst nicht viel erwartet. Auch erzieht es zu Anspruchshaltung und Undankbarkeit, wenn man selbst keinen Maßstab gewonnen hat für dasjenige, was einem durch die technischen Leistungen an eigener Arbeit erspart wird.
  • Dagegen verstärkt es die Selbstwirksamkeit, wenn Kinder daheim wie auch in Kinder­garten und Schule singen, malen, gestalten, tanzen und Theater spielen lernen, bevor sie von Bildern, Farben und Tönen durch optische und akustische Medien mit Eindrücken überschüttet werden und das eigene schöpferische Vermögen lahm gelegt zu werden droht.

Im Sinne des Vorbildseins ist es zudem äußerst wichtig, den Schülern vorzuleben, dass es nicht selbstverständlich ist, dass jederzeit warmes Wasser aus der Leitung kommt und Licht sowie Energie in beliebiger Menge per Knopfdruck verfügbar sind. Wie gut für ein Kind, wenn es Urlaubserfahrungen auf einem abgelegenen Bauernhof machen darf oder beim Camping bzw. Urlaub in zivilisationsferner Umgebung, wo die Wäsche noch von Hand gewaschen werden muss, Wasser über dem Feuer oder mit Hilfe eines Gaskochers erwärmt wird, so dass man den Segen technischer Errungenschaften wirklich schätzen lernt.

Nötiger Schutz vor Gefahren

Wir alle müssen außerdem mit der Tatsache zurechtkommen, dass wir in einer Kultursituation leben, die voller Gefahren steckt: Wenn man die Zeitung aufschlägt, das Radio einschaltet, erfährt man nur von Gräueltaten. Die Medien sind voll davon. Nach 60 Jahren, in denen die gezeigte Gewalt im Fernsehen ständig zugenommen hat, wurden erstmals ernsthafte Überlegungen angestellt, ob man nicht Kinder davor schützen sollte. Das ist richtig rührend!

Jeder, der mit Kindern zu tun hat, weiß jedoch, dass solche Entscheidungen in der Familie getroffen werden müssen. Man kann per Gesetz niemanden mehr vor irgendwelchen Einflüssen schützen! Durch das Internet und die Smartphones ist alles für die Kinder frei zugänglich – da reichen auch die sogenannten Kindersicherungen nicht aus. Das erfordert eine viel größere Wachheit seitens der Eltern als früher, Kindern zumindest über bestimmte Jahre ihres Lebens einen gewissen Schutz zukommen zu lassen, sie vor manchen Einflüssen zu behüten, damit sie gut ausgerüstet in die Welt der Ängste entlassen werden, und nicht traumatisiert oder unvorbereitet hineingeraten.

Vgl. „Gesundheit durch Erziehung“, Kapitel 16, „Medienmündigkeit und Technik, Dornach 2006


[1] Glöckler, Michaela / Goebel, Wolfgang / Michael, Karin: Kindersprechstunde. Ein medizinisch-pädagogischer Ratgeber. Kap. Multimedia und die Kinder. Urachhaus Verlag, Stuttgart 2015, S. 566 - 580.

[2] Manfred Spitzer, Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen. Droemer Verlag, München 2012.

[3] Clifford Stoll, Kuckucksei - Die Jagd auf die deutschen Hacker, die das Pentagon knackten, 1998, Die Wüste Internet: Geisterfahrten auf der Datenautobahn, 2001 und LogOut: Warum Computer nichts im Klassenzimmer zu suchen haben und andere High-Tech-Ketzereien, 2002.

NEGATIVE FOLGEN EINER ZU FRÜHEN GEWÖHNUNG AN DIGITALE MEDIEN

Was sind die negativen Folgen von frühem häufigem Umgang mit Medien?

Störungen und Beeinträchtigungen

Kinder, die viel Zeit vor dem Bildschirm verbringen und häufig Umgang mit digitalen Medien haben, zeigen nachweislich folgende Störungen und Beeinträchtigungen:

  • Störungen der Sprachentwicklung und Aufmerksamkeitsstörungen (Zimmerman et al. 2007)
  • ein deutlich geringeres Bildungsniveau (Hancox et al. 2005)
  • Neigung zur Übergewichtigkeit (Hancox et al. 2004)
  • Disposition – aufgrund antisozialer Verhaltensweisen – zu kriminellem Verhalten (Robertson et al. 2013)
  • Die Nutzung einer Spielekonsole verursacht bei Grundschulkindern nachweislich schlechte Noten im Lesen und Schreiben sowie Verhaltensprobleme in der Schule (Weis & Cerankosky 2010).
  • Je mehr Zeit junge Menschen vor dem Bildschirm verbringen, desto geringer ist ihr Mitgefühl (Empathie) für ihre Eltern und ihre Freunde (Richards et al. 2010).
  • Die Nutzung von Smartphones bewirkt bei jungen Menschen geringere Schulleistungen, geringere Lebenszufriedenheit und vermehrte Depressivität (Lepp et al. 2014), mehr Aufmerksamkeitsstörungen (Zheng et al. 2014), Kurzsichtigkeit, Schlafstörungen und Suchtverhalten. Über 60% der Nutzer von Smartphones haben zudem Angst, etwas zu verpassen und Angst, von ihrem Telefon getrennt bzw. nicht mit dem Netz verbunden zu sein. Diese Ängste wiederum unterstützen den exzessiven Gebrauch, der leicht zur Sucht werden kann.

Die genannten Auswirkungen sind wissenschaftlich belegt und werden von Eltern, Erziehern und Lehrern täglich mit Sorge beobachtet. Demgegenüber gibt es keine wissenschaftlich belastbaren Erkenntnisse zu den immer wieder unterstellten positiven Auswirkungen digitaler Informationstechnik auf die geistige, seelische und körperliche Entwicklung von Kindern – was bedeutet: Die Schäden sind belegt, der Nutzen nicht!

Vgl. Aufruf gegen Digital-Kindergärten, Dezember 2016, www.eliant.eu

HERAUSFORDERUNGEN DES DIGITALEN ZEITALTERS FÜR ERZIEHUNG UND THERAPIE

Wie muss eine Erziehung aussehen, die den Auswirkungen der Digitalisierung wirksam gegensteuern kann?

Wie kann dem Verlust von Autonomie, sozialen Beziehungen, einem individuellen Zugang zur Spiritualität und zunehmender Willenslähmung vorgebeugt werden?

Besorgniserregende Phänomene

Wer mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, egal, ob im Familienzusammenhang oder beruflich, wird unweigerlich mit folgenden Phänomenen konfrontiert, die der digitalen Revolution geschuldet sind:

  • die Neigung vieler Kinder und Jugendlicher zur Abhängigkeit aufgrund von fehlendem Freiheitswillen und damit auch zur Suchterkrankung
  • die Tatsache, dass immer mehr Menschen interesselos aneinander vorbeigehen, sich nicht verstehen, beziehungsunfähig und –unwillig sind. Als Folgeerscheinungen machen sich soziale Isolation, Sinnlosigkeits- und Hassempfindungen geltend
  • Gefahr von Realitätsverlust und Suchtverhalten im Umgang mit den allgegenwärtigen Medien, Computerspielsucht und der abnehmenden Fähigkeit, selbständig zu denken
  • eine Lähmung des Willens, die sich angesichts des „Zuviel“ an Informationen breitmacht. Es wird über alles geredet, vielen fällt es aber schwer, sich auf eine Sache zu konzentrieren und eine von den vielen Möglichkeiten auch wirklich umzusetzen.

Dass darin die Ursache vieler sozialer, aber auch gesundheitlicher Probleme zu suchen ist, liegt auf der Hand. Sich für ein Erziehungssystem stark zu machen, das den einzelnen Schüler in seiner individuellen Entwicklungssituation wahrnimmt und diese in Methodik und Didaktik sowie der Lehrplangestaltung berücksichtigt, ist dringend erforderlich. Insbesondere braucht es Erwachsene, die Vorbild sein können in Bezug auf Selbständigkeit im Denken, Entscheiden und Handeln. Dabei ist wichtig, dass Kinder und Jugendliche erleben, dass Erwachsene an einem sinnstiftenden ganzheitlichen Weltverständnis arbeiten.

Der präventive und therapeutische Aspekt der Waldorfpädagogik

Waldorfpädagogik baut auf fünf gesundheitsfördernden Grundprinzipien auf, die präventiv wie auch kurativ wirken:

  1. die positive Einflussnahme auf den physischen Leib durch Sinnespflege
  2. die Unterstützung des Ätherleibes durch die Pflege der chronobiologisch wertvollen Rhythmen und einen altersentsprechenden Lehrplan
  3. die Kultivierung des Astralleibes durch die Pflege guter, persönlicher Beziehungen zu den Schülern und ihren Eltern und eine künstlerische Unterrichtsgestaltung
  4. die Aktivierung der Ich-Organisation durch ein immer wieder neu zu erarbeitendes echtes Interesse am Unterrichtsfach, das der Lehrer den Schülern gegenüber authentisch vertreten muss
  5. eine bewusst gelebte spirituelle Orientierung, die den Schülern das Vertrauen gibt, auch selbst einmal ein charakterfester Mensch zu werden und den Weg „zu sich“ und zum Sinn des Lebens zu finden

Jedes Kind bringt sein eigenes Schicksal mit und ist darauf angewiesen, dasjenige erleben und aufgreifen zu können, was zu ihm passt. Daher ist ein altersgerechtes, vielseitiges Bildungsangebot notwendig, damit das Kind das zu ihm Passende erleben und aufgreifen kann.[1]

Vgl. „Gesundheit durch Erziehung“, Kapitel 16, „Medienmündigkeit und Technik“, Dornach 2006


[1] Christof Wiechert, Die Waldorfschule: Eine Einführung. Verlag am Goetheanum, Dornach 2014.

DIFFERENZIERTER UMGANG MIT NATUR, MITMENSCH UND TECHNIK

Wie erlernen Kinder einen differenzierten, ressourcenschonenden Umgang mit Natur und Technik?

Was macht der Umgang mit der Technik mit uns?

Zu welcher Haltung und Lebenseinstellung erzieht uns die Technik?

Welchen Umgang erfordern Mensch und Natur?

Ringende Erwachsene als Vorbild

Einen ressourcenorientierten Umgang mit Energie und Technik zu erlernen ist keine Selbstverständlichkeit – im Gegenteil: Über Jahrzehnte wurden und werden Ressourcen um des zivilisatorischen Fortschritts und des ökonomischen Wachstums willen gnadenlos verschwendet. Das ist – leider immer noch! – die bestimmende Grundhaltung der Welt, in der unsere Kinder heute aufwachsen.

Wie also sollen sie lernen können, dass mit Ressourcen verantwortlich umgegangen werden muss?

Und dass der Einsatz technischer Möglichkeiten nur da geschehen sollte, wo er tatsächlich gebraucht wird und unter Berücksichtigung des Gemeinwohls sinnvoll ist?

Die Sensibilisierung für diese Themen muss in der frühen Kindheit stattfinden, vor allem durch das verantwortungsbewusste Verhalten Erwachsener im Umfeld des Kindes zuhause und in der jeweiligen Betreuungseinrichtung, die um einen authentischen Umgang mit diesen brennenden Fragen ringen, Fragen, die nicht nur die Umwelt, sondern auch das gesamte Wirtschaftssystem und das soziale Miteinander betreffen. Seitens der Erwachsenen ist ein Umgang mit Energie und Technik nötig, der dem Kind von Anfang an die Möglichkeit gibt, durch Nachahmung am Vorbild des geliebten Menschen zu lernen, dass die Ressourcen nicht unbegrenzt sind und der Einsatz technischer Möglichkeiten nur da geschehen sollte, wo er tatsächlich gebraucht wird und sinnvoll ist. Wird vorgelebt, dass Tablet und Smartphone ähnlich wie das Auto etwas sind, das im Leben der älteren Jugendlichen und der Erwachsenen seinen festen Platz hat, so können im Laufe der Schulzeit die notwendigen Fähigkeiten erworben werden, um den eigenen Umgang mit der Informationstechnologie und die selbstbestimmte Nutzung der sozialen Medien und Netzwerke zu lernen.

Je einfacher das Bedienen der Geräte wird, je mehr braucht es die Vernunft des Erwachsenen, der das Kind und den Jugendlichen begleitet, um ihm deutlich zu machen, warum „einfach und kinderleicht“ nicht bedeutet, dass das „für Kinder gut ist“, sondern etwas „für Erwachsene“. Kindheit und Jugend sind einmalige Entwicklungsräume und Zeiten, in denen sich ein gesundes Verhältnis zu Mensch und Umwelt entwickeln muss. Geschieht das nicht, ist es später sehr schwer nachholbar und braucht dann meist therapeutische Bedingungen, um es im Nachhinein zu erwerben. Das ist das eine.

Technik und Natur im Vergleich

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Themas hängt mit dem gravierenden Unterschied zwischen der lebendigen Natur und der „toten“ Technik zusammen:

· Technische Qualität und angemessener Umgang mit Technik

Zur Technik gehören Perfektion und Optimierung – das betrifft nicht nur den Aufbau technischer Geräte, sondern auch die Bedienung. Treten Probleme auf, müssen sie analysiert und beseitigt werden. Defekte werden repariert, unbrauchbar gewordene oder alte Modelle verschrottet.

· Lebendige Qualität und angemessener Umgang mit Lebendigem

Die Natur dagegen ist niemals perfekt, niemals fertig. Alles Lebendige unterliegt dem Zyklus von Werden und Vergehen und braucht Pflege. Es muss zudem immer in Zusammenhang mit seiner Umgebung gesehen werden. Dazu ist ein Wissen über die Rhythmen nötig, die das Leben beeinflussen und tragen, sowie ein Blick für Ungleichgewichte und Störfaktoren im lebendigen Geschehen. Anders als bei der Technik sind Störungen und Fehler nicht einfach zu beseitigen, sondern eine Aufforderung genauer hinzuschauen: in sich selbst, in die Welt. Denn wer etwas gesund pflegen bzw. erhalten will, muss das Gesunde kennen und wissen, dass Entwicklung in der Zeit verläuft. Das heißt auch: Menschliches Zusammenleben erfordert die Fähigkeit, auch Fehler und Fehlverhalten anzunehmen, selbst wenn diese nicht „rasch behebbar“ sind, sondern man mit ihnen erst einmal leben lernen muss.

Von der Technik beeinflusste Lebenshaltung

Es gibt aber noch weitere besorgniserregende Aspekte übermäßigen Umgangs mit Medien – ganz abgesehen von den Inhalten, die man dabei konsumiert: Beschäftigen sich Kinder und Erwachsene über viele Stunden des Tages sehr intensiv mit ihrem Computer, Tablet oder Smartphone, entwickeln sie oft ein distanziertes Verhalten zur Umwelt – mit der Folge, dass ihnen ein interessierter, warmherziger, toleranter Umgang mit anderen Menschen auf der sogenannten Beziehungsebene immer weniger gelingt.

Bestürzend ist in diesem Zusammenhang auch, dass diese Menschen den genannten Medien gegenüber die Qualitäten aufbringen, die sie in der Begegnung miteinander oft vermissen lassen: volle Aufmerksamkeit, Interesse für die Reaktionen, Fragen, Nöte und Sorgen des anderen. Je mehr seelischer Umgang mit diesen Geräten gepflegt wird, die so reagieren, wie man es erwartet, bzw. die man nach einigen Korrekturen dahin bringt, den Erwartungen zu entsprechen, desto unfähiger und unwilliger werden die Betreffenden, sich mit der Unvollkommenheit der Natur und ihrer Mitmenschen auseinanderzusetzen. Denn diese reagieren nicht immer erwartungsgemäß, sondern aus ihren eigenen Lebens- und Entwicklungsbedingungen heraus. Anstelle sich an die soziale Wirklichkeit anzupassen, dadurch zu lernen und diese wiederum positiv zu verändern, entwickelt sich ein stereotypes Verhalten durch die einseitige Anpassung an die Notwendigkeiten der technischen Welt. Es entsteht sozusagen der an die technischen Zweckgeschöpfe gefesselte Mensch.

Was lebendiges Miteinander erfordert

Menschliches Zusammenleben erfordert die Fähigkeit, auch Fehler und Fehlverhalten anzunehmen, selbst wenn diese nicht rasch zu beheben sind, sondern man mit ihnen erst einmal leben lernen muss. Offen zu sein für Lernprozesse, für Neues, Unerwartetes – das ist es, worauf es ankommt. Das seelisch so enge Zusammenleben mit den Möglichkeiten der Technik fördert unbewusst ein distanziertes Verhalten zur Umwelt, sodass es nicht verwunderlich ist, wenn es im Umgang mit anderen Menschen und auf der sogenannten Beziehungsebene immer weniger „klappt“ bzw. „funktioniert“.

Im Sozialen kommt es darauf an, dass wir lernen

  • sozial kompetent zu werden
  • miteinander zurechtzukommen
  • Toleranz zu entwickeln gegenüber den Eigenarten des anderen
  • uns seelisch zu verändern und weiterzuentwickeln

Dafür braucht es warme soziale Zusammenhänge, lebendige Übungsfelder, in denen die unter Menschen und allem Lebendigen gegenüber erforderliche Offenheit für Lernprozesse, für Neues und Unerwartetes, als Qualitäten erlebt werden, die das Leben erst wirklich lebenswert machen.

Vgl. „Ich im Netz. Was geschieht mit uns im Internet?“, Amthor Verlag, Heidenheim 2015

TECHNIK BRAUCHT INNEREN AUSGLEICH

Weshalb und wofür braucht es diesen inneren Ausgleich?

Welchen Gefahren gilt es dadurch gegenzuhalten?

Vergleicht man die Entwicklung schöpferischer Möglichkeiten beim Menschen mit der Entwicklung der Technik, so fallen eindrucksvolle Konkordanzen auf. Werner Schäfer, der in den 60er Jahren begeistert als Beat-Musiker aktiv war, bemerkte Anfang der 70er Jahre, dass etwas mit ihm „nicht mehr stimmte“: Störungen des inneren, gedanklichen und meditativen Lebens, Wahrnehmungsdämpfungen im Sozialen und für Naturvorgänge machten ihn darauf aufmerksam. Neben vielem, was er zur Analyse der Medienwirkung verfasst hat, gehört auch eine Zusammenfassung darüber, welcher Ausgleich durch innere schöpferische Aktivität notwendig ist, um ohne Gefahr die verschiedenen technischen Medien zu nutzen. Diese Zusammenstellung sei hier wiedergegeben:[1]

Technik Notwendiger Ausgleich durch innere Arbeit
Foto, z.B. „Erinnerungsfoto“ Aktive, bildhaft situationsreale Wahrnehmungs- und Sinnesschulung, Erinnerungskultur, „Geisterinnern“.
Lichtbild Dasselbe noch „durchleuchtet“ von spirituellem Sinn. Rudolf Steiners Vorträge zum 1. Goetheanum mit Lichtbildern oder seine Kunstvorträge (GA 292) weisen hier die Richtung.
Stummfilm Michaelisches Raum-Zeiterleben, Beherrschen echter, objektiver Imagination.
„Zeitlupe“, Rückwärtsfilme Beherrschung des astralen Schauvermögens, das „rückwärts“ läuft (Ursache folgt der Wirkung) und geschult wird z.B. in der abendlichen „Tages-Rückschau-Übung“.
Tonfilm, TV Beherrschung echter, objektiver Inspiration.
Cyberspace etc. Beherrschung echter, objektiver Intuition (auf allen Ebenen).
„Backwardmasking“[2]

(rückwärts eingespielte Worte und Melodien)

Klares exaktes und deutliches Rückwärtsvorstellen von Melodien und Worten, das Gewohnheit wurde und jederzeit vollbracht werden kann. – Dies geht jedoch nur, wenn sie hörbar sind, was bei Backwardmasking fast immer vermieden wird. Sie werden scharf unter der Hörschwelle eingeprägt.

Dadurch werden diese Einwirkungen „subliminal“, d.h. unmittelbar unter Umgehung des Bewusstseins ins leibliche Unterbewusste eingeschmuggelt, wo sie ihre Wirkungen entfalten. – (Man kann bei keiner „CD“ usw. ohne aufwendige Untersuchung wissen, ob solche Befehlssuggestionen unterlegt sind oder nicht.)

Computer etc. Beherrschung sowohl des lebendigen als auch des leibfreien Denkens auf Grundlage einer vollreifen, im spirituellen Sinne herzlich-sozialfähigen Persönlichkeit.

Vgl. „ Ich im Netz. Was geschieht mit uns im Internet?“, Amthor Verlag, Heidenheim 2015


[1] Werner Schäfer sendet auf Wunsch gerne Informationen zu über seine Arbeit bezüglich der Gefährdung der menschlichen Höherentwicklung durch unsachgemäßen Gebrauch der Technik: Werner Schäfer, Veitlahn 28, DE – 95336 Mainleus.

[2] Heinz Buddemeier, Jürgen Strube Die unüberhörbare Suggestion. stuttgart 1990.

GRUNDLEGENDES ZU TECHNIKUNTERRICHT UND LERNEN MIT DIGITALEN GERÄTEN

Wie wird unsere Welt aussehen, wenn die Zukunftsvisionen der Internetgiganten und Machtpolitiker Wirklichkeit werden?

Welche Herangehensweise haben Waldorfschulen und warum?

Digitale Zukunftsvisionen

In der kanadischen Provinz Ontario soll das Budget der Schulen bis 2023 einschneidende Kürzungen erfahren. Ab September 2024 sollen dort sogar reine Online-Schulabschlüsse durchgeführt werden können. Grund dafür ist der Entscheid der Bildungsverantwortlichen, auf E-Learning-Kurse zu setzen und Lehrer*innen einzusparen – so wurde auf FAZ.net vom 1.2.2020 berichtet. Zunehmend mischt sich jedoch in die von Wirtschaft und Politik begeistert propagierten digitalen Zukunftsvisionen auch Sorge um die Zukunft – nicht nur der Bildung, sondern auch der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung in unserer globalisierten Welt.

Je mehr das gesamte Berufsleben von der Digitalisierung abhängig wird und idealiter schon in der Kita die Kleinen mit ihren Tablets und ersten Smartphones spielen, umso mehr wird auch deutlich, dass infolge dieser Durchtechnisierung die Möglichkeit der Totalüberwachung von Kindern und Erwachsenen potenziell in jedem Staat – auch in Europa – möglich ist. Es wird dann jeweils von der moralischen Verfassung der Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft abhängen, ob und inwiefern diese nie dagewesene Macht über Daten und menschliche Verhaltensweisen gesellschaftspolitisch missbraucht wird oder nicht.

Man kann jedoch angesichts dieser Entwicklung auch deutlich empfinden, wie es im Hinblick auf diese Zukunft darauf ankommen wird, den heranwachsenden Generationen möglichst viel Mut, Eigenständigkeit, Kreativität sowie Welt- und Menscheninteresse mit auf den Weg zu geben, also typisch menschlich-moralische Qualifikationen, damit die Entwicklung in Richtung Humanisierung fortschreiten kann und nicht in ihr Gegenteil, in Richtung Dehumanisierung, umschlägt.

Eintreten für Pädagogik der Humanisierung

Dieser Perspektive möchte insbesondere der Technologieunterricht an der Waldorfschule dienen. Deshalb die Art und Weise vieler Schulen, wie digitale Endgeräte in das Unterrichtsgeschehen einbezogen werden bzw. bewusst nicht einbezogen werden.

An der Freien Hochschule Stuttgart, Seminar für Waldorfpädagogik, wurde ein Stiftungslehrstuhl angegliedert mit dem Forschungsschwerpunkt Medienkonzepte für Schulen, insbesondere Waldorfschulen – Kulturelle und anthropologische Aspekte des Lebens mit Technik und Medien. Mediendidaktik. Ihr Leiter ist Prof. Dr. Edwin Hübner, Professor für Medienpädagogik und ehemaliger Waldorflehrer für Mathematik und Physik. Er ist Mitglied des Bündnis für humane Bildung (www.aufwach-s-en.de) und nicht nur Autor grundlegender Bücher zum Thema, sondern auch Verfasser der vom Bund der Waldorfschulen herausgegebenen Schriften und Empfehlungen zum Lehrplan Medienpädagogik, digitale Bildung und Technologieunterricht.

Ich verdanke der Lektüre seiner Schriften und den Gesprächen mit ihm die fachlichen Einsichten zum Thema und möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei ihm bedanken, dass er sich dieser wichtigen Bildungsfrage schon zu einer Zeit angenommen hat, als sich noch kaum jemand dafür interessierte. Denn dadurch, dass die Technologie mit solcher Geschwindigkeit den Markt überflutete und kaum Zeit zur Besinnung war, ob und in welcher Form man diese Entwicklung in sein Leben integrieren will, waren die meisten Menschen froh, überhaupt mit dieser Entwicklung mithalten zu können und up-to-date zu sein. Wer hier mit Fragen oder gar mit „Wenn und Aber“ kam, wurde als rückständig belächelt und nur selten ernst genommen.

Dies hat sich inzwischen geändert. An vielen Waldorfschulen existieren Medienkreise, die sich des Themas gründlich annehmen, Elternaufklärung betreiben und an einer klaren Linie arbeiten, wie der Technologie-Lehrplan und die Medienpädagogik vor Ort gehandhabt werden sollen. In den USA ist man hier schon weiter – insbesondere in den Waldorfschulen im Silicon Valley, auf die nicht wenige Kinder von IT-Größen gehen, da man dort mit Informationstechnologie in der Schule äußerst zurückhaltend ist. Auf Edwin Hübners Website ist zu lesen:

„Da Kinder in einer von Technik und Medien geprägten Welt aufwachsen, muss neben einer direkten Medienpädagogik, die in die kompetente Nutzung der Medien einführt, eine indirekte Medienpädagogik ins Auge gefasst werden. Die indirekte Medienpädagogik fördert alle die menschlichen Fähigkeiten, welche das Leben in einer hochtechnisierten Welt voraussetzt, die aber im bloßen Umgang mit Technik zu verkümmern drohen. Es bedarf neuer Ansätze, um Nebenwirkungen der Technologien auszugleichen und dadurch eine weitere Voraussetzung für die spätere Medienmündigkeit zu legen.“

Der medienpädagogische Ansatz

Kinder müssen in den ersten Jahren ihres Lebens ihren naturgegebenen Körper entdecken, entwickeln und beherrschen lernen. Daraus ergibt sich die pädagogische Aufgabe, für sie innerhalb der technischen Welt einen Raum zu schaffen, der ihnen eine gesunde Entwicklung ermöglicht.

Wie das geschehen kann, wurde im Kontext der Schilderung der Jahresmeilensteine bereits beschrieben. Pädagogik im Zeitalter der intelligenten digitalen Technologien zielt vor allem auf die Ausbildung des Willens und der Eigeninitiative durch möglichst vielseitige Betätigungen in der realen Umwelt ab. Im Laufe der Schulzeit lernen die Kinder dann viele analoge Techniken kennen und beherrschen, um zuletzt auch ihre Kompetenzen bezüglich der digitalen Technologien auszubilden. Stellt man nicht die Technik, sondern den Entwicklungsbedarf von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt des Interesses, kann man den medienpädagogischen Ansatz der Waldorfpädagogik gut nachvollziehen:

  • erst die reale Welt kennenlernen und den eigenen Leib gesund ausbilden
  • dann analoge Techniken beherrschen lernen
  • zuletzt digitale Technologien verstehen und produktiv anwenden.

Wie das im Einzelnen durchgeführt werden kann, darüber informiert der von der Initiative diagnose: media herausgegebene Ratgeber Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt. Eine Orientierungshilfe für Eltern und alle, die Kinder und Jugendliche begleiten.[1] Hier findet man auf der Basis unabhängiger Forschung zur Wirksamkeit der Medien in Kindheit und Jugend in einer sehr guten knappen Zusammenstellung alle wesentlichen Hinweise für Elternhaus und Schule. Auch die vom Bund der Freien Waldorfschulen herausgegebene Broschüre Struwwelpeter 2.1. Ein Leitfaden für Eltern durch den Medien-Dschungel[2] gibt auf knappem Raum wertvolle Anregungen und Hinweise. Kürzlich wurde auch der aktuelle Ratgeber mit dem kompletten Technologie-Lehrplan der Waldorfschulen publiziert.[3] Daher beschränkt sich dieser Beitrag zum Thema auf einige wesentliche Aspekte, die den Technologieunterricht inspirieren können. Er stellt auch Beziehungen zu anderen Unterrichtsgebieten her.

Vgl. „Schule als Ort gesunder Entwicklung“, März 2020, ISBN: 978-3-939374-76-3


[1] Dr. Med. Michaela Glöckler, Prof. Dr. Edwin Hübner, Stefan Feinauer, Media Protect E.V., Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt. Eine Orientierungshilfe für Eltern und alle, die Kinder und Jugendliche begleiten, EAN 9783982058504, 2019.

[2] Kurzlink: https://t1p.de/j5z0 (Zugriff 17.01.2020)

[3] Siehe auch: Bund der Freien Waldorfschulen (Hrsg.): Medienpädagogik an Waldorfschulen. Curriculum – Ausstattung. Kurzlink: https://t1p.de/lxwg

INDIREKTE UND DIREKTE MEDIENPÄDAGOGIK

Inwiefern hilft Medienpädagogik Kindern und Jugendlichen medienkompetent zu werden?

Was genau ist unter Medien zu verstehen?

Konzept der indirekten und direkten Medienpädagogik

Kinder und Jugendliche wachsen in der von Informationstechnologien beherrschten und gelenkten Welt auf. Davon hat Pädagogik auszugehen. Das bedeutet aber nicht, dass man überall technische Geräte wie Tablets usw. einsetzen muss. Jeglicher Unterricht muss darauf hinwirken, dass die Kinder und Jugendlichen Gelegenheiten finden, innerlich stark zu werden und seelisch zu reifen, sodass sie einerseits den Versuchungen des Medienzeitalters gewachsen sind und andererseits technische Geräte für ihre eigenen Initiativen sinnvoll einsetzen können. Daraus ergibt sich das Konzept der indirekten und direkten Medienpädagogik:

  • Die indirekte Medienpädagogik fördert die Kinder darin, ihre eigenen individuellen Fähigkeiten möglichst stark auszubilden, sodass sie menschlich den Anforderungen der intelligenten Gerätewelt gewachsen sind.
  • Die direkte Medienpädagogik führt die Kinder dahin, dass sie analoge und digitale Medien in ihrer prinzipiellen Funktionsweise verstehen und sie sinnvoll und geschickt handhaben können.

Zum Medienbegriff

Das Wort „Medium“ stammt von dem lateinischen Adjektiv „medius“ ab, das man mit „in der Mitte befindlich, vermittelnd“ übersetzen kann. Ab dem 17. Jahrhundert verwenden es die Naturwissenschaftler als Fremdwort, um ein Element zu bezeichnen, das chemische oder physikalische Prozesse vermittelt. Im 19. Jahrhundert wurden im Umfeld des Spiritismus Personen als Medien bezeichnet, durch die der Verkehr mit Geistern möglich war. Erst Ende der 1950er-Jahre verwendete man das Wort „Medien“ im heutigen Sinne von Massenmedien. Als Medien können die verschiedensten Dinge bezeichnet werden: Handschrift, Druckschrift in Zeitungen, Zeitschriften, Büchern usw., Filme, Radio, Fernsehen, Computer usw. Allerdings unterscheidet sich beispielsweise die Schrift deutlich von einem Film, sodass die gemeinsame Bezeichnung durch das Wort Medien vorhandene Unterschiede verwischt.

Derzeit kann man in der medialen Welt im Wesentlichen drei verschiedene Formen antreffen:

  • Schrift
  • konservierte oder übertragene Sprache und Musik
  • stehende oder bewegte Bilder

Sowohl durch Schrift als auch durch Ton und Bild können Inhalte vermittelt werden. Allerdings ist der aktive Umgang des Menschen mit dem Inhalt jeweils ein anderer, je nachdem, ob er durch Schrift oder durch Ton übermittelt wird. Wenn der Mensch etwas liest, sind vor allem seine Augen tätig und er muss sich anhand der wahrgenommenen Buchstabengruppen eigene Vorstellungen bilden. Bei übertragenen Bildern, vor allem bei Filmen, braucht der Mensch seine Fantasietätigkeit kaum, da die Bilder bereits vorgegeben sind.

Der Umgang eines Menschen mit einem Medium vollzieht sich immer in einem Spannungsfeld. Er lenkt einerseits seine Aufmerksamkeit auf den vermittelten Inhalt. Dabei wird sein Vorstellen und Denken angesprochen, Gefühl und Willensvermögen werden jedoch vernachlässigt. Daher wundert es nicht, dass 130 Leseforscher aus ganz Europa im Januar 2019 eine Erklärung zur Zukunft des Lesens im digitalen Zeitalter publiziert haben, die diesen Mangel und dessen Folgen bewusst machen sollte. Sie verweisen auf eine Metastudie mit insgesamt mehr als 170.000 Teilnehmern, die zeigt, „dass das Verständnis langer Informationstexte beim Lesen auf Papier besser ist als beim Bildschirmlesen, insbesondere wenn die Leser unter Zeitdruck stehen.“ Auch sei die Gefahr einer Verzögerung der Entwicklung des kindlichen Leseverständnisses und der nicht zureichenden Entwicklung des kritischen Denkens gegeben.[1]

Das gilt auch für das Schreiben. Schreibe ich mit Stift auf Papier, bin ich natürlich sehr auf den Inhalt dessen, was ich schreiben will, konzentriert und meine Hand macht kleine, aber sehr differenzierte Bewegungen. Das Schreiben mit der Hand wird von einer Reihe organischer Prozesse begleitet. Es wird dabei die Feinmotorik gefordert und geschult und es sind auch die entsprechenden Areale im Gehirn tätig. Denselben gedanklichen Inhalt kann man auch auf einem Tablet eintippen. Dabei geht die Tätigkeit bzw. Handlung, die man beim Schreiben auf Papier mit dem Stift vollzieht, in ein „Fingern“ (Byun-Chul Han) über, die Feinmotorik wird nur noch wenig geübt.

Medien unter vier Aspekten betrachten

Im Zusammenhang mit dem Thema Medien müssen also vier Aspekte unterschieden werden, die bei pädagogischen Überlegungen beachtet werden sollten:

  • Medieninhalt: das, was der Mensch in sein Vorstellen und Denken aufnimmt, beispielsweise den Inhalt eines Romans oder eines Films
  • Medienform: das Verfahren, wie der Inhalt präsentiert wird, also Schrift, Ton oder Bild
  • Medienträger: die materielle Grundlage, auf der oder innerhalb der die Medienformen präsentiert werden, also Papier, E-Book, Smartphone, Computerbildschirm usw.
  • Medienkonsument: Der werdende Mensch, der sich durch das, was er tut, entwickelt und selbst erlebt.

Neben den unendlichen Möglichkeiten, Computer zur Steuerung technischer Vorgänge einzusetzen, kann man sie auch als Medienträger nutzen. Nur weil im Alltag Computer als Medienträger besonders ins Auge fallen, bezeichnet man sie als Medien, aber sie sind weit mehr als das. Sie können an die Stelle des Menschen treten, in Art und Umfang, wie Menschen dies wollen.

An dem oben beschriebenen Medienbegriff lässt sich gut verdeutlichen, welche Fähigkeiten die Medienmündigkeit eines Menschen beinhaltet. Sie erstreckt sich einerseits auf die verschiedenen Medien und umfasst dazu auch persönliche und soziale Fähigkeiten. Die Inhalte, die durch die verschiedenen Medien an den Menschen herantreten, sind unzusammenhängend und oft einseitig oder gar falsch. Der Mensch muss das erkennen und beurteilen können.

Voraussetzungen für das Erlangen von Medienmündigkeit

Das setzt eine gute Allgemeinbildung voraus. Pädagogik hat daher dafür Sorge zu tragen, dass Kinder und Jugendliche in ihrer Schulzeit eine möglichst umfassende und kohärente Allgemeinbildung erwerben können.

· Schreiben und Lesen

Kinder müssen die drei Medienformen Schrift, Bild und Ton beherrschen. Flüssiges Schreiben und Lesen sind eine Grundvoraussetzung für den Umgang mit den Inhalten des Internets – wenn man von YouTube & Co absieht. Denn alle wissenschaftlichen Darstellungen, alle Internetlexika wie Wikipedia usw. setzen die Fähigkeit voraus, anspruchsvolle Texte lesen und verstehen zu können.

· Knowhow in Bezug auf Film- und Audio-Produktion

Ein kompetenter Umgang mit der Filmkultur setzt voraus, dass Jugendliche erfahren und gelernt haben, wie ein Film entsteht. Sie müssen einmal selbst einen Film gedreht haben. Dasselbe gilt für die Medienform „Ton“. Jugendliche sollten einmal in ihrem Leben ein Radiofeature produziert haben, um von dieser Erfahrung aus beurteilen zu können, wie Radioberichte entstehen.

· Wissen um Funktionieren von Computer, Internet und Suchmaschinen

Selbstverständlich sollten Jugendliche auch verstehen, wie der Medienträger Computer prinzipiell funktioniert, wie das Internet aufgebaut ist und wie Suchmaschinen arbeiten. Dass die Schüler*innen auch üben, wie man analoge und digitale Medienträger sinnvoll zur Recherche und Präsentation einsetzt, ist ein wichtiges Thema im Oberstufenunterricht.

· Sich bewusst auf ausgesuchte Inhalte konzentrieren

Achtsamkeit und Aufmerksamkeit sind weitere Fähigkeiten, die der Mensch für den sinnvollen Umgang mit Informationstechnologien braucht, denn in jeder Sekunde, in der der Mensch online ist, muss er Entscheidungen treffen, worauf er seine Aufmerksamkeit lenken soll. Er muss daher lernen, sorgfältig darauf zu achten, was er beachten möchte und was nicht.

Der Kommunikationsexperte Howard Rheingold fasste die notwendigen Fähigkeiten, über die man verfügen muss, um digitale Medien und Netzwerke sinnvoll zu nutzen, sehr prägnant zusammen:

„Digitale Medien und Netzwerke können nur diejenigen Menschen ermächtigen, die sie zu nutzen lernen – und stellen Gefahren für jene dar, die nicht wissen, was sie eigentlich tun. [...] Diejenigen Menschen, die keine grundlegende Bildung ihrer Aufmerksamkeit, im Erkennen von Unsinn, in der Teilhabe, in der Zusammenarbeit und im Netzwerkbewusstsein erwerben, sind potenzielle Opfer all jener Fallen, auf die Kritiker hinweisen – Oberflächlichkeit, Leichtgläubigkeit, Ablenkung, Entfremdung, Sucht. Ich mache mir Sorgen um die Milliarden von Menschen, die Zugang zum Netz haben, ohne auch nur die geringste Ahnung davon zu besitzen, wie sie Wissen finden und es auf Korrektheit überprüfen können, wie man sich für etwas einsetzt und an etwas teilhat, anstatt passiv zu konsumieren, wie man die Aufmerksamkeit in einem Dauerbetriebsmilieu diszipliniert und einsetzt, wie und warum jener Privatheitsschutz verwendet werden soll, der in einer zunehmend aufdringlichen Umwelt noch verfügbar ist.“[2]

· Empathie und soziale Verantwortung

Informationstechnologien ermöglichen die Bildung sozialer Netzwerke. Aber dort begegnet man sich nur virtuell, zum Teil sogar nur vermittels der Schrift. Wie sich immer wieder zeigt, braucht man gerade beim Agieren in sozialen Netzwerken besonders gut ausgebildete empathische Fähigkeiten.

Auch das soziale Verantwortungsbewusstsein muss stärker ausgebildet sein als im realen Leben, denn man sieht die Folgen seiner virtuellen „Handlungen“ nicht unmittelbar.

Vgl. „Schule als Ort gesunder Entwicklung“, März 2020, ISBN: 978-3-939374-76-3


[1] Kurzlink: https://t1p.de/jpyw (Zugriff 17.01.2020).

[2] Howard Rheingold: Aufmerksamkeit, Erkennen von Unsinn und Netz-Bewusstsein. In: John Brockman: Wie hat das Internet Ihr Denken verändert? Die führenden Köpfe unserer Zeit über das digitale Dasein. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011, S. 202.

DAS ENTWICKLUNGSORIENTIERTE MEDIENCURRICULUM DER WALDORFPÄDAGOGIK

Welche pädagogischen Maßnahmen und Schritte umfasst das Mediencurriculum?

Welche Grundsatzüberlegungen stehen dahinter?

Indirekte Medienpädagogik in der frühen Kindheit

In der frühen Kindheit hat – wie schon mehrfach betont – die indirekte Medienpädagogik unbedingten Vorrang. Sobald das Kind in die Schule kommt, beginnt die direkte Medienpädagogik. Sinnvollerweise geschieht dies auf analoge Weise: mit Stift und Papier. Denn das Schreiben mit der Hand übt Feinmotorik und Geschicklichkeit. Hat man mit Kindern zu tun, die von zu Hause her den Umgang mit Tablet & Co bereits gewöhnt sind, so ist es wichtig, ihnen deutlich zu machen, wie schön es ist, das, was die Maschinen einem bieten, auch selbst zu können, damit man von ihnen unabhängig sein kann. Auch sollten aktuelle Probleme im Zusammenhang mit Computerspielen oder sozialen Netzwerken in allen Unterrichtsfächern und Jahrgangsstufen jeweils behandelt werden, wenn ein Anlass dazu in der Klasse gegeben ist.

Wenn dann etwa mit zwölf Jahren sich die Denk- und Urteilsfähigkeit der Kinder so weit entwickelt hat, dass sie logisch-kausale Zusammenhänge genauer erfassen können, ist es sinnvoll und notwendig, mit ihnen auch eingehender über Computertechnologie zu sprechen. Allerdings ist zu beachten, dass zwölfjährige Kinder zwar fähig sind, grundlegende Aspekte und Zusammenhänge der digitalen Kommunikationswelt und ihre Möglichkeiten und Risiken zu verstehen, dass sie aber doch noch mehrere Jahre brauchen, bis sie die Fähigkeit der Selbstreflexion sowie der Selbstregulation so weit ausgebildet haben, dass sie den vielfältigen Versuchungen der Cyberwelt widerstehen können. Jugendliche brauchen daher gerade in dieser Zeit noch die helfende Hand ihrer Eltern sowie der Lehrkräfte, die ihnen Grenzen setzen bzw. sie vor dem zu frühen Gebrauch der digitalen Endgeräte schützen.

Zum Fachgebiet Medienpädagogik

Die langjährige Beobachtung zeigt, dass Schüler*innen erst ab der elften Klasse, d. h. vom 17. Lebensjahr an, in der Lage sind, Informationstechnologien sinnvoll und selbstbestimmt in ihr Leben zu integrieren. Daher ist es ratsam, bis zum zehnten Schuljahr den Schwerpunkt auf das Technologieverstehen zu legen als Voraussetzung für die sachgerechte Handhabung im elften und zwölften Schuljahr.

Für die Waldorfschulen wird empfohlen, allen Unterricht mit medienpädagogischem Bewusstsein zu gestalten. Das setzt aber bei den Lehrkräften Interesse für die Welt, Engagement und fortwährende – auch autodidaktische – Weiterbildung voraus. So können beispielsweise Klassenlehrer*innen im siebten und achten Schuljahr die dort im Lehrplan vorgesehenen Geschäftsbriefe zum Anlass nehmen, das Zehnfingerschreiben an der Tastatur zu lernen. Die Schüler*innen können ihre Geschäftsbriefe offline am Computer schreiben. Oder man kann beispielsweise die große Kunstgeschichtsepoche im neunten Schuljahr zum Anlass nehmen, auch über die digitalen Möglichkeiten der Bildbearbeitung zu sprechen. Auch ist es wichtig, dass die Jugendlichen – wiederum anhand praktischer Projekte – die Sprache der fotografischen und filmischen Bilder kennenlernen.

Voraussetzungen für sinnvolle Nutzung von Medien an Schulen

Die pädagogische Forschung zeigt, dass eine Ausstattung von Schulen mit digitalen Medien nur unter bestimmten Voraussetzungen sinnvoll ist. 2013 erschien in deutscher Übersetzung die von John Hattie veröffentlichte Metastudie Lernen sichtbar machen. Diese extrahiert die Ergebnisse von 800 Meta-Analysen, die ihrerseits rund 80.000 Einzelstudien zusammenfassen.[1] Es ist also eine der umfassendsten Metastudien, die je gemacht wurden.

Diese Studie stellte als zentrales Ergebnis fest, dass es in erster Linie die Persönlichkeit der Lehrerin oder des Lehrers ist, welche die Kinder am meisten zum Lernen anregt. Die Individualität der Lehrperson beeinflusst die schulischen Leistungen der Kinder und Jugendlichen am stärksten. Von der wechselseitigen Durchdringung ihrer pädagogischen und didaktischen Kompetenzen mit ihrer Fachkompetenz hängt der Bildungserfolg der Kinder am stärksten ab – und von der Kooperation mit denjenigen, die ebenfalls an der Erziehung und Bildung beteiligt sind: den Eltern.

Diese Studie geht auch der Frage nach, wie sehr der Einsatz technischer Medien zum Lernerfolg der Kinder beiträgt. Das Ergebnis: Wesentliche Bildungserfolge ergeben sich nur dann, wenn durch den Einsatz von Medien neue Lernsituationen entstehen, die man durch die bisher zur Verfügung stehenden Medien nicht hätte schaffen können.[2] Also: Tablets anstelle von Schulbüchern einzusetzen, ist für den Lernerfolg irrelevant; Kinder lernen dadurch nicht besser.

Produzieren vor Konsumieren

Der Einsatz von Technik hat nur dann einen Sinn, wenn dadurch neue Aufgaben erschlossen werden. Eine kleine Schüler*innengruppe erhält beispielsweise den Auftrag, über eine geschichtliche Persönlichkeit einen Film zu drehen. Einem solchen Film gehen zahlreiche Recherchen voraus, die sich nach vielen Überlegungen in einem kleinen Video kondensieren. Das Wesentliche dabei ist nicht der Film, sondern die dazu notwendige intensive Beschäftigung mit der Biografie der porträtierten Person.

Man kann auch eine Oberstufenklasse damit beauftragen, über einen mathematischen Sachverhalt ein Erklärvideo zu drehen, wie sie ja tausendfach auf YouTube zu finden sind. Das wäre ein Gegengewicht gegen eine deutlich sichtbare Tendenz in der Kultur. Immer wieder wird gesagt oder geschrieben, wie glücklich Schüler*innen, Eltern und auch Pädagog*innen über die im Internet angebotenen Lern- und Erklärvideos seien. Lehrer*innen benutzen sie für ihre Vorbereitung, eine wachsende Anzahl von Schüler*innen kann sich ohne sie den Schulalltag nicht mehr vorstellen.

Das alles hat aber auch eine Kehrseite: „Erklärvideos verändern allerdings auch das Lernverhalten der Jugendlichen. ‚Während es beim Lernen in der Klasse vor allem um den Austausch geht, steht bei YouTube-Videos schnelles, auf Effizienz getrimmtes Einverleiben von Fakten im Vordergrund‘, gibt Philippe Wampfler zu bedenken. ‚Ich konsumiere nur, bin selber aber passiv.‘“[3] Der Lehrer und Fachdidaktiker Philippe Wampfler, der durch seine Veröffentlichungen auch als Experte für Lernen mit Neuen Medien gilt, schlägt daher mit Recht vor, dass Lehrer*innen und Schüler*innen gemeinsam ein Erklärvideo herstellen. Es geht in der Schule nicht nur um Wissensvermittlung, sondern auch um Entwicklung und Menschenbildung und dafür braucht es neue Impulse für die Lehrer*innenbildung und eine deutlich erhöhte Wertschätzung dieses Berufes.

Vgl. „Schule als Ort gesunder Entwicklung“, März 2020, ISBN: 978-3-939374-76-3


[1] 171. John Hattie: Lernen sichtbar machen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von Visible Learning. Hrsg. Wolfgang Beywl, Klaus Zierer. Baltmannsweiler 2013.

[2] 172. Klaus Zierer: Lernen 4.0. Pädagogik vor Technik. Möglichkeiten und Grenzen einer Digitalisierung im Bildungsbereich. Baltmannsweiler 2017, S. 63.

[3] 173. Kristina Reiss: Lehrer aus dem Netz. In: Migros-Magazin 03/2020 vom 13.01.2020, S. 53 f. Kurzlink: https://t1p.de/abml (Zugriff 17.01.2020).

TECHNISCHE ENTWICKLUNG UND BRENNENDE GEGENWARTSFRAGEN

Welche Stadien der technischen Entwicklung gibt es?

Was zeichnet sie aus?

Welche Risiken birgt der neue Schub der Digitalisierung?

Welche Chancen eröffnen sich damit?

Zum Verhältnis Mensch und Maschine

Betrachtet man die Entwicklungsgeschichte der Technik in den letzten 200 Jahren, so erfand der Mensch mit der Dampfmaschine, dem Elektromotor, dem Zweitakt-, Otto- und Dieselmotor Kraftmaschinen, die seine körperliche Bewegung und Arbeit ersetzen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelingt es ihm, Maschinen zu bauen, die seine Sprache aufzeichnen (Grammofon) und auch zu anderen Menschen in der Ferne übertragen werden können (Telefon). 1895 werden die ersten bewegten Bilder vorgeführt. Dadurch kann man nicht nur statische Bilder reproduzieren, sondern auch Bewegungen aufzeichnen und wiedergeben.

Mitte des 20. Jahrhunderts gelingt es Ingenieuren Geräte zu bauen, die das algorithmische Denken des Menschen imitieren (Computer). Die Computertechnologie, in der sich das menschliche logische Denken „sedimentiert“, beginnt immer mehr Geräte zu durchdringen. Computer steuern mittlerweile fast jeden Apparat: von der Waschmaschine, der Heizung, dem Auto bis hin zu ganzen Häusern (smart houses), Produktionsstätten und Fabriken. Computer können aber auch sich selbst steuern, sich selbst aufgrund neuen Inputs verändern. Sie können sich anpassen, dadurch erscheinen sie als „lernfähig“.

Technische Imitation von Gehen, Sprechen und Denken

Die Durchdringung mit technischer Intelligenz gibt allen bisherigen Technologien eine neue Charakteristik:

  • Wenn Kraftmaschinen von Computern gesteuert werden, spricht man von Robotern, die unabhängig vom Menschen sinnvolle Arbeit verrichten können. Sie sind in der Lage, das menschliche Gehen zu imitieren.
  • Wenn Maschinen, die die menschliche Sprache aufzeichnen können, von Computern gesteuert werden, dann entstehen Geräte, die fähig sind, das menschliche Sprechen zu imitieren.
  • Wenn Computer ihre Funktionsweise selbst verändern und an neue Gegebenheiten anpassen, dann erscheinen sie so, als ob sie selbstständig zu denken in der Lage wären.

Der Mensch baut sich sozusagen Maschinen „nach seinem Bilde“ und überlässt diesen Maschinensklaven einen Großteil seiner Arbeit. Dadurch stellt sich auch zunehmend die existenzielle Frage, was er mit der dadurch gewonnenen Freiheit („Arbeitslosigkeit“) anfangen will.

Aber nicht nur das: Auch die Frage nach dem Sinn der menschlichen Existenz und ihrer Identität stellt sich neu. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das Telefon eine Maschine, durch die Menschen miteinander sprechen konnten. Mit SIRI in Apples iPhone, Cortana in Microsoft Windows, dem Debater von IBM oder Alexa bei Amazon Echo tritt eine völlig neue Qualität innerhalb unserer Kultur auf: Menschen sprechen jetzt nicht mehr mit Menschen, sondern mit Maschinen.

Maschine als vermeintliches Gegenüber

Die Maschine ist nicht mehr nur ein Werkzeug wie die Axt, der Hammer oder die Säge, sie ist auch nicht mehr ein Gerät, mit dem wir unsere Arbeit erledigen, sie ist nicht nur Lebenswelt, sondern sie wird zu einem personalisierten Gegenüber, sie wird gewissermaßen zur „Mit-Maschine“, die das Potenzial hat, sich anstelle des „Mit-Menschen“ zu setzen und einen autonom agierenden Partner zu simulieren.

Das stellt nicht nur die Mitmenschlichkeit infrage, sondern birgt eine weitere Gefahr: Durch die zunehmend perfekte Imitation seiner selbst kommt der Mensch in die Versuchung, sich ebenfalls als Maschine zu sehen. Diese seit René Descartes immer wieder diskutierte Idee ist gegenwärtig bei vielen technischen Forschungsprojekten bestimmend. Das alltägliche Leben mit den von den Techniker*innen geschaffenen Geräten suggeriert dem Menschen, dass er tatsächlich bloß eine Maschine sei. Dabei wird seine seelische und geistige Dimension ausgeblendet.

Frank Schirrmacher bezeichnete die ersten mechanischen Androiden, die im 18. Jahrhundert die Menschen faszinierten, als Weltbildfabriken, denn sie zeigten, „wie ein Mensch funktionieren würde, wenn er eine Maschine wäre. Der Zugang ins Innere der Androiden war der Zugang ins Innere des Menschen, denn indem die Menschen ins Innere der Maschinen blickten, veränderte die Maschine das Innere ihrer Köpfe. Der Flötenspieler und der Trommler und die Tänzerin und sogar die Ente waren Weltbildfabriken.“[1]

Solche Weltbilder werden auch hervorgebracht, wenn man Kindern kleine Spielzeugroboter zum Spielen gibt oder gar Roboter einsetzt, um ihnen eine zweite Fremdsprache beizubringen, wie es derzeit in einigen Forschungsprojekten versucht wird. Hier wird dem Kind unterschwellig eine Anthropologie vermittelt: „Du bist eine Maschine. Werde, was Du bist!“[2]

Menschliche Pädagogik erfordert Weltbild-Bewusstsein

Für die Pädagogik im 21. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Roboter, heißt dies: Erzieher*innen und Pädagog*innen müssen sich bewusstwerden, aus welchem Menschenbild heraus sie arbeiten.

Ist der Mensch bloß eine Maschine oder ist er ein geistiges Wesen, das sich seinen Leib zum „Werkzeug des Lebens“ gestaltet?

Der letzte von Rudolf Steiner geschriebene Aufsatz ist dieser Thematik gewidmet:

„Das weitaus meiste dessen, was heute durch die Technik in der Kultur wirkt und in das er mit seinem Leben in höchstem Grade versponnen ist, das ist nicht Natur, sondern Unter-Natur. Es ist eine Welt, die sich nach unten hin von der Natur emanzipiert.“[3]

Wir haben für die enorm starken Kräfte des Elektromagnetismus und der Atomkraft keine Sinnesorgane. Steiner nennt daher diese nur gedanklich und experimentell zugängliche Welt „untersinnliche Kräfte“ und stellt ihnen in dem genannten Aufsatz die ebenfalls nur an ihren Wirkungen erkennbaren, nicht jedoch sinnlich sichtbaren „übersinnlichen Kräfte“ gegenüber.

Die Natur steht als sinnlich erfahrbare Umwelt dazwischen – von diesen beiden unsichtbaren Kräftearten durchdrungen. Dadurch ist der Mensch frei, wie er sich in diesem Kräftespiel positionieren will. Um ihm diese Freiheit zu erhalten, braucht es aber eine Erziehung, die zur freien Handhabung dieser Kräfte befähigt.

Jeder Mensch kann heute wissen, dass die Welt von Big Data nicht nur Instrumente für Kommunikation, Unterhaltung, wissenschaftliche Untersuchungen und Lernvorgänge bereitstellt. Vielmehr handelt es sich dabei – wie eingangs schon erwähnt – auch um gigantische politische Kontrollsysteme und wirtschaftliche Marktanteile, denen gegenüber sich der Einzelne ohnmächtig vorkommen kann. Der schon genannte Pionier der Computer- und Roboter-Technologie Joseph Weizenbaum formulierte demgegenüber in seinem auch heute noch lesenswerten Buch Kurs auf den Eisberg[4]: „Die sogenannte Ohnmacht des Einzelnen ist vielleicht die gefährlichste Illusion, die ein Mensch überhaupt haben kann. Wer sich seiner Freiheit und Würde bewusst ist, wird dieser Illusion nicht verfallen.“

Wie die Chance der neuen Freiheit nutzen?

Die technische Welt erspart dem Menschen viele eigene Tätigkeiten. Die Geräte tun es für ihn. Das ist Chance und Gefahr zugleich. Die Bequemlichkeit kann ihn dazu verführen, dass er den Maschinen sein Leben überlässt: Die Unterhaltungsindustrie gestaltet seine freie Zeit, während seine kreativen Fähigkeiten verkümmern. Wer jedoch Initiative und eigene Ideen hat, die er verwirklichen will, kann die durch Maschinen gegebenen äußeren Freiheiten nutzen und sich selbst weiterentwickeln, indem er seine Vorhaben mithilfe der Technologien besser realisieren kann.

Für die Pädagogik in einer von digitalisierter Technik geprägten Welt bedeutet dies, dass Kinder in erster Linie befähigt werden müssen, mit dieser Freiheit zu oder für etwas aktiv umgehen zu lernen, dass sie lernen müssen zu sagen, was sie mit ihrem Leben machen wollen:

Genieße ich meine »Freiheit von der Sklavenarbeit« und lebe nach Lust und Laune?

Mache ich mich abhängig und lasse ich mich bestimmen?

Ergreife ich selbst die Verantwortung für meine Entwicklung – und wenn ja, wofür will ich

mich im Leben einsetzen?

Vgl. „Schule als Ort gesunder Entwicklung“, März 2020, ISBN: 978-3-939374-76-3


[1] Frank Schirrmacher: Ego. Das Spiel des Lebens. Karl Blessing Verlag, München 2013, S. 119.

[2] Werner Sesink: „Du bist eine Maschine. Werde, was Du bist!“ Die Pädagogik virtueller Maschinen. In: Bildung nach dem Zeitalter der Großen Industrie. Jahrbuch für Pädagogik 1998. Redaktion Josef Rützel und Werner Sesink. Peter Lang, Frankfurt a. M. 1998. S. 195–204.

[3]176. Rudolf Steiner: Anthroposophische Leitsätze. Der Erkenntnisweg der Anthroposophie. Das Michael-Mysterium. GA 26. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1976, S. 256.

[4] Joseph Weizenbaum: Kurs auf den Eisberg. Die Verantwortung des Einzelnen und die Diktatur der Technik, Zürich 1984.

WELT- UND MENSCHENINTERESSE ENTWICKELN

Warum ist das Interesse an Welt und Mitmenschen von so vitaler Bedeutung für uns Menschen?

Wie kann dieses Interesse geweckt und gepflegt werden?

Wie findet der Mensch den Sinn der eigenen Existenz?

Fragen, was das Leben von uns erwartet

Der Psychologe Viktor E. Frankl (1905–1997) hat immer wieder darauf hingewiesen, dass Menschen zwar über immer mehr freie Zeit verfügen, aber nicht wissen, womit sie diese sinnvoll ausfüllen können.[1] Sie wissen mit sich nichts anzufangen und finden keinen Sinn in ihrem Dasein. Viele Menschen leiden, so Frankl, „an dem Mangel an einem Lebensinhalt“.[2] Dieses existenzielle Vakuum gab es in den vergangenen Jahrhunderten nicht, denn Religion und bewährte Traditionen vermittelten den Menschen allgemein verbindliche tragende Werte. Diese zerbrachen in dem Maße, wie sich ab dem 17./18. Jahrhundert der Individualismus geltend machte. Selbst Werte zu finden, dem eigenen Leben Orientierung und Sinn zu geben, wurde zunehmend zur Aufgabe jedes einzelnen Menschen.

Im Rückblick auf seine furchtbaren Erfahrungen im Konzentrationslager erkannte Viktor Frankl, dass der Sinn des eigenen Lebens eine über die selbstbezogene Subjektivität hinausgehende Dimension hat:

„Was hier nottut, ist eine Wendung in der ganzen Fragestellung nach dem Sinn des Lebens: Wir müssen lernen und die verzweifelten Menschen lehren, dass es eigentlich nie und nimmer darauf ankommt, was wir vom Leben noch zu erwarten haben, vielmehr lediglich darauf: was das Leben von uns erwartet! Zünftig philosophisch gesprochen könnte man sagen, dass es hier also um eine Art kopernikanische Wende geht, so zwar, dass wir nicht mehr einfach nach dem Sinn des Lebens fragen, sondern dass wir uns selbst als die Befragten erleben, als diejenigen, an die das Leben täglich und stündlich Fragen stellt – Fragen, die wir zu beantworten haben, indem wir nicht durch ein Grübeln oder Reden, sondern nur durch ein Handeln, ein richtiges Verhalten, die rechte Antwort geben. Leben heißt letztendlich eben nichts anderes als: Verantwortung tragen für die rechte Beantwortung der Lebensfragen, für die Erfüllung der Aufgaben, die jedem Einzelnen das Leben stellt, für die Erfüllung der Forderung der Stunde.“[3]

Erkennen, was der Mitwelt nottut

Rudolf Steiner bemerkte einmal: „Diese Änderung der Menschheit, dieses Gleichgültigwerden der Menschheit gegenüber den großen Schicksalen des Daseins, das ist die auffälligste Erscheinung. Es prallt ja alles ab von der Menschheit heute. Die umfassendsten, einschneidendsten, intensivsten Tatsachen nimmt man auf wie eine Sensation. Sie wirken nicht erschütternd genug. Und das rührt nur davon her, weil der immer stärker und stärker werdende intelligente Egoismus die Interessen der Menschen einengt.“[4]

Den Sinn meines Lebens kann ich offenbar nicht finden, indem ich bloß mich frage, was „ich will“, sondern indem ich auch wahrnehme, was meiner Mitwelt nottut. Dazu braucht es aber auch einen entsprechenden Blick auf die Welt, eine adäquate Weltanschauung. Bedingungen in der Schule dafür zu schaffen, dass die Heranwachsenden in die Lage versetzt werden, sich ihren eigenen Blick auf die Welt zu erarbeiten, ist die vornehmste Aufgabe der Waldorfpädagogik. Weltinteresse wecken kann eine Lehrer*innenschaft aber nur, wenn sie selbst mitten im Leben steht. Rudolf Steiner formulierte dies in wünschenswerter Klarheit:

„Richtiges Menscheninteresse für das ganze Leben ist nicht möglich, wenn nicht ein richtiges Weltinteresse erregt worden ist beim fünfzehn-, sechzehnjährigen Menschen.“[5]

All dies sind wesentliche Hintergrundfragen für den Technologieunterricht und einen altersentsprechenden Umgang mit den digitalen Endgeräten im Elternhaus und in der Schule.

Die Lehrplanempfehlungen im Überblick

Tabellarisch zusammengefasst:

  • Erste Kindheit: selbst erfundene Geschichten erzählen – ohne jegliches Medium
  • Vorschulzeit: den Kindern regelmäßig vorlesen, die Erwachsenen leben den Kindern den Umgang mit Büchern vor.
  • Erste Klasse: schreiben und lesen lernen.
  • Ab der zweiten und dritten Klasse: Freude am Schreiben und am Lesen fördern durch eine Klassenbibliothek, Lesekreise usw. Das Lesen zu Hause intensiv unterstützen.
  • Ab der vierten und fünften Klasse: in Buchbeständen recherchieren lernen, öffentliche Bibliotheken kennenlernen.
  • Siebte oder achte Klasse: das 10-Finger-System auf der Tastatur beherrschen lernen.
  • Achte oder neunte Klasse: anhand von Praktikumsberichten die vielfältigen Möglichkeiten eines Textverarbeitungsprogramms kennen- und beherrschen lernen.
  • Zehnte Klasse: Typografie⁄Schriftschnitt: Erstellen einer eigenen Schriftart.
  • Ende der Schulzeit: Wo sachlich sinnvoll, Gebrauch von Informationstechnologie und Textverarbeitung in der Schule und zu Hause.

Geschichte der Medien nachvollziehbar machen

An diesem Aufbau des Curriculums wird ein weiterer prinzipieller Gedanke deutlich: Ein entwicklungsorientierter Lehrplan lässt die Kinder zugleich mit ihrer eigenen Entwicklung die Geschichte der Medien nachvollziehen. Die Kinder lernen die Möglichkeiten der Schrift von allen Aspekten her verstehen und vor allem können sie diese auch aktiv beherrschen. Eine solche Vorgehensweise ermöglicht eine umfassende Medienkompetenz, die nicht nur auf digitale Medienträger beschränkt ist. In den ersten fünf Schuljahren beginnt die Medienpädagogik mit der Beherrschung der Handschrift.

Zudem muss die Fähigkeit, konzentriert und verständig zu lesen, gut geübt werden. Auch die Recherche in Buchbeständen sollten die Kinder kennengelernt haben.

In der sechsten Klasse sollte den Kindern eine erste Einführung gegeben werden, wie das Internet prinzipiell funktioniert, wo die Chancen seiner Nutzung liegen, vor allem aber auch, auf welche Risiken man zu achten hat. Da oft schon in diesem Alter, leider auch schon früher, erste Erfahrungen mit Cybermobbing gemacht werden, muss diese Frage unbedingt thematisiert werden, vor allem auch, wie und wo man sich im Ernstfall Hilfe holen kann. Treten schon in den ersten Schuljahren soziale Probleme auf, sollten sie immer im Schulzusammenhang aufgegriffen und thematisiert werden.

Kommen die Schüler*innen in die siebte und achte Klasse, ist es sinnvoll, dass sie lernen, wie man mit zehn Fingern blind auf der Tastatur schreibt. Die Jahresarbeit am Ende der achten Klasse oder der erste Praktikumsbericht in der neunten Klasse sind dann Gelegenheiten, bei denen man zusammen mit den Schüler*innen erarbeitet, wie man die vielfältigen Funktionen eines Textverarbeitungsprogramms sinnvoll und kreativ nutzen kann.

In der zehnten Klasse kann man den Jugendlichen zeigen, wie man eine eigene Schriftart herstellt. Sie lernen, wie man eine individuelle Schrifttype produziert, die beispielsweise der eigenen Handschrift ähnelt. Sie können dann ihre Texte individuell formatieren.

Im elften und zwölften Schuljahr können dann die Möglichkeiten der Informationstechnologie überall da in den Unterricht einbezogen werden, wo es die Sache erfordert.

Fazit: Entwicklung first – Digitalisierung second!

Belastung durch Elektrosmog minimieren

Nicht angesprochen ist in diesem Kontext die Frage nach einer möglichst elektrosmogarmen Schul- und Klassenzimmer-Umgebung. Ratschläge dazu finden sich in dem mehrfach zitierten Ratgeber: Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt. Die gesundheitlichen Langzeitfolgen der gepulsten Mikrowellenstrahlung sind zwar noch nicht zureichend erforscht; was jedoch bis jetzt vorliegt, mahnt zur Vorsicht, insbesondere im Wachstumsalter. Es sei dazu auf die sehr informative Website diagnose-funk.org[6] verwiesen. Dort werden auch alternative Technologien vorgestellt, wie etwa die Nutzung von Licht als Datenüberträger, die jedoch noch nicht marktreif sind. Es ist dringend zu wünschen, die flächendeckende Versorgung mit 5G zu verlangsamen und womöglich auszusetzen, bis die gesundheitlichen Risiken eingehender erforscht und mögliche Alternativen zur Datenübertragung weiter entwickelt sind.

Vgl. „Schule als Ort gesunder Entwicklung“, März 2020, ISBN: 978-3-939374-76-3


[1] Viktor Frankl: Das Leiden am sinnlosen Leben. Freiburg, Basel, Wien 1991, S. 76.

[2] Viktor Frankl: Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie. Bern, Stuttgart, Wien 1982, S. 11.

[3] Viktor Frankl: ... trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. München 2002, S. 124 f.

[4] Rudolf Steiner: Die Erziehungsfrage als soziale Frage. Die spirituellen, kulturgeschichtlichen und sozialen Hintergründe der Waldorfschul-Pädagogik. Dornach 17. August 1919. GA 296. Verlag der Rudolf Steiner Nachlassverwaltung, Dornach 1960, S. 106.

[5] Rudolf Steiner: Erziehung und Unterricht aus Menschenerkenntnis. GA 302a. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1993, S. 84.

[6] www.diagnose-funk.org