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Männliche und weibliche Konstitution
Männliche und weibliche Konstitution – von Michaela Glöckler
Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
UNTERSCHIEDE VON MANN UND FRAU IM KÖRPERLICHEN BEREICH
Welche körperlichen Unterschiede weisen Mann und Frau auf?
Inwiefern haben diese mit ihrem unterschiedlichen Denken und Fühlen zu tun?
Wie lassen sich die Unterschiede von Körper, Seele und Geist von Mann und Frau entwicklungsphysiologisch erklären?
Enger Zusammenhang zwischen körperlicher Konstitution und Seelenleben
In körperlicher Hinsicht sind Mann und Frau elementar verschieden. In seelisch-geistiger Hinsicht gibt es ebenfalls signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern. So besitzt das Denken des Mannes eine deutlich andere Arbeitsdynamik und einen anderen Duktus als dasjenige der Frau. Eine Frau kann sich durch Übung manches von der typisch männlichen Denkart aneignen, so wie es umgekehrt auch für den Mann möglich ist, die weibliche Denkart bis zu einem gewissen Grad zu erlernen. Dennoch gibt es typische Unterschiede zwischen dem männlichen und dem weiblichen Seelenleben, weil die seelische Entwicklung eng mit der körperlichen Konstitution zusammenhängt und dort die Verschiedenheit evident ist.
FRAU | MANN | |
Muskulatur | weniger | mehr |
Fettansatz | mehr | weniger |
Körpergröße | weniger | mehr |
Verknöcherung des Kehlkopfes | keine | liegt vor |
Körpergewicht | weniger | mehr |
Geschlechtsorgane | auf Empfangen und Reifen-Lassen hin orientiert | auf Geben und Entwicklung-Anstoßen hin orientiert |
Brust | auf Geben hin orientiert, wandel- und verletzbar | auf Zurückhalten hin orientiert, stabil |
Entwicklungsphysiologische Besonderheiten
Bis zur siebten Woche der Embryonalentwicklung sind der weibliche und der männliche Körper äußerlich völlig gleich gebildet, beide sind männlich-weiblich veranlagt. Erst in der sechsten bis achten Woche „obliteriert“ die jeweils entgegengesetzte Geschlechtsanlage, d.h. sie bildet sich zurück: Jetzt kommen die Geschlechtschromosomen im männlichen und weiblichen Organismus so zur Wirksamkeit, dass das jeweils andere Geschlecht sich wieder zurückbilden muss und nur kleine Rudimente vom anderen Geschlecht im eigenen Organismus zurückbleiben. Diese Rudimente (Reste) der Organanlagen des anderen Geschlechts erinnern zeitlebens daran, dass der Mensch eigentlich androgyn bzw. männlich-weiblich veranlagt ist. Die potentielle Möglichkeit, das andere Geschlecht zu entwickeln, bleibt sogar so effizient erhalten, dass sie zeitlebens z.B. durch Hormongaben aktiviert werden kann. Wird eine Frau bei bestimmten Formen der Krebserkrankung mit männlichen Sexualhormonen behandelt, entwickelt sie eine tiefere Stimme und der Kehlkopf kann verknöchern, wenn die Dosierung nicht niedrig genug gehalten wird. Sie kann dann auch normalen Bartwuchs entwickeln, wohingegen die Brustentwicklung zurückgeht – die männlichen sekundären Geschlechtsmerkmale dominieren mehr und mehr. Dasselbe ist auch bei einem Mann zu beobachten, wenn er eine Östrogentherapie erhält. Er feminisiert, d.h. das Muskelgewebe nimmt zugunsten eines typisch weiblichen Fettansatzes ab.
Interessant ist nun, dass zu der Zeit in der Embryonalentwicklung (7. Woche), in der das jeweils andere Geschlecht sich zurückbildet, gleichzeitig die Großhirnbläschen aussprossen, die die Grundlage für das spätere Denkorgan bilden. Die Großhirnentwicklung vollzieht sich also parallel zur Rückbildung des entgegengesetzten Geschlechtes! Das Gehirn weist schon bald nach der Geburt kaum weitere zelluläre Neubildung auf. Die Nervenzellen können nicht nachwachsen und sind noch dazu sehr empfindlich gegenüber Sauerstoffmangel. Sie können leicht absterben oder degenerieren – ganz im Gegensatz zu den Fortpflanzungsorganen, die ständig neue Zellen bilden und diese zur Reife bringen; hier findet eine intensive zelluläre Aktivität statt. Betrachtet man diesen Tatbestand nun im Zusammenhang mit der Metamorphose der Wachstumskräfte in Gedankenkräfte, muss man sich fragen, was mit den zurückgestauten Fortpflanzungskräften des jeweils anderen Geschlechtes geschieht, die physisch nicht zur Ausreifung der Organe verwendet werden.
Interessante Arbeitshypothese
Die Arbeitshypothese, dass die volle Lebenstätigkeit des jeweils anderen Geschlechts, das im eigenen männlichen bzw. weiblichen Körper nicht zur Ausprägung kommt, als leibfrei aktive Gedankenkompetenz zur Verfügung steht, macht durchaus Sinn: Beobachtet man daraufhin das eigene Denken und das des Partners oder Freundes anderen Geschlechts, so entdeckt man, wie der andere funktionell dieselbe Dynamik in seinem Denken hat, die man selber körperlich auf sexueller Ebene auslebt.
Wie sonst wäre es verständlich, dass Frauen so viel lieber Shoppingtouren machen als Männer, sich durch die Sinne anregen lassen, was sie kaufen wollen, ungerne Einkaufszettel schreiben und die Spontaneität weit mehr lieben als der Mann?
Oder warum alle großen Philosophien von Männern entwickelt wurden?
Nur dank ihrer im Denken wirksamen weiblich-genitalen Funktionsdynamik sind Letztere in der Lage, ein System in Ruhe reifen zu lassen und gedanklich mehr nach innen orientiert zu sein. Das Interessante an einer solchen Betrachtung ist, dass alles, was einen oft als „typisch anderes“ am anderen stört, der Funktionsdynamik des eigenen Geschlechts entspricht – in Form von gedanklicher Tätigkeit.
Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 6. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997
METAMORPHOSE DER WACHSTUMSKRÄFTE IM HINBLICK AUF MANN UND FRAU
Was sagt der Zusammenhang von Denken und Wachstumskraft über den Unterschied von Mann und Frau aus?
Wie zeigen sich die Unterschiede bereits in der Embryonalentwicklung?
Unterschiedlicher Leib-Seele-Zusammenhang
Dem Leib-Seele-Zusammenhang verdanken wir u.a. die Fähigkeit, unser Seelenleben und unsere Art zu denken und zu empfinden lebenslang immer weiter zu entwickeln. Wir sind in der Lage, durch die Art unseres Denkens zerstörend oder aufbauend auf unseren Leib zurückzuwirken und ihn über längere Zeiträume in seinen Funktionen zu beeinflussen.
Dieser Leib-Seele-Zusammenhang, der sich bei Mann und Frau unterschiedlich gestaltet, hilft uns, die Verschiedenheit von Mann und Frau in körperlicher und seelischer Beziehung zu verstehen. Alle psychologischen Studien und Abhandlungen darüber können kein wirkliches Verständnis bewirken, wenn man diese Zusammenhänge nicht gleichzeitig berücksichtigt. Im Folgenden gehe ich näher darauf ein, wie sich die Unterschiede im Physischen bereits in der Embryonalzeit herausbilden und welche Auswirklungen das auf die anderen Wesensebenen hat.
Entwicklung der Fortpflanzungsorgane beim Embryo
Jeder Mensch hat 22 Chromosomenpaare (Autosomen) und dann noch zwei spezielle, die sein Geschlecht bestimmen. Nun könnte man annehmen, dass sich gleich von Anfang der Embryonalentwicklung an zeigt, ob der Embryo ein Junge oder ein Mädchen wird. Die Natur macht es jedoch seltsam umständlich: Beim 3-4 Wochen alten Embryo können Sie die folgenden Entwicklungsstadien beobachten:
- Die sogenannten Urkeimzellen beginnen in die Region der zu bildenden Fortpflanzungsorgane einzuwandern und die Entwicklung der Keimdrüsen zu induzieren (zu veranlassen): Bei beiden Geschlechtern bilden sich genau dieselben Gewebestränge als doppelgeschlechtliche Anlage aus. Bis zum Ende des zweiten Lebensmonats behält die Keimdrüsenanlage das gleiche Aussehen.
- Dann erst beginnt die sichtbare Differenzierung in ein männliches und ein weibliches Geschlecht. Dabei bildet sich die bereits angelegte Keimdrüse des entgegengesetzten Geschlechtes wieder zurück: Beim Mädchen bleiben von den sogenannten Wolf‘schen Gängen und bei den Jungen von den Müller‘schen Gängen nur kleine Rudimente im Umkreis der Fortpflanzungsorgane zurück.
Jeder Mensch trägt diese Rudimente vom entgegengesetzten Geschlecht in sich – gleichsam als organische Erinnerungen an die Embryonalzeit.
Mögliche Entwicklung beider Organanlagen
Warum verbringt der Embryo die ersten zwei Monate damit, alles doppelt anzulegen und es dann wieder rückgängig zu machen?
Wir müssen diese naiv klingende Frage stellen, um dem Verständnis näher zu kommen. Denn zwei Monate von neun sind eine ganz schöne lange Zeit!
Eines kann man unmittelbar an dem Vorhandensein der Rudimente ablesen: In jedem Menschen steckt die Potenz, beide Organanlagen, die männliche und die weibliche zu bilden: D.h. mit hohen Dosen von Testosteron lässt sich daher auch zeitlebens bei der Frau das Auftreten der männlichen sekundären Geschlechtsmerkmale provozieren und das Umgekehrte mit Östrogenen beim Mann: Sein Bartwuchs geht dann zurück, die Brust fängt an zu wachsen und es bildet sich der typisch weibliche Fettansatz. Die Frau dagegen bekommt eine tiefere Stimme, ihre Skelett-Muskulatur wird stärker, es tritt der männliche Behaarungstyp auf, die Brust schwindet und der Bartwuchs beginnt. Normalerweise regelt der genetisch festgelegte Stoffwechsel, dass der Mensch sich körperlich nicht „doppelt“ verausgabt und zum Zwitter wird.
Ein niederes Tier, z.B. der Bandwurm, der zeitlebens zweigeschlechtlich ist, sich also selbst befruchten kann, verbraucht den größten Teil seiner Energie bei diesem Selbstbefruchtungsvorgang und hat ein winzig kleines Nervensystem.
Metamorphose der gegengeschlechtlichen Fortpflanzungskräfte
In diesem Zusammenhang ist es interessant zu sehen, dass beim Menschen und den höheren Säugetieren während der Embryonalentwicklung genau parallel zum „Verzicht“ auf die Ausbildung des entgegengesetzten Geschlechtes die Großhirnbläschen aussprossen: Die Ausbildung der Großhirnhemisphäre und die Differenzierung der Keimdrüsen fallen also in denselben Zeitraum der Embroynalentwicklung. Was im 1. Buch Mose mit dem Sündenfall als Bild geschildert wird – dass die Geschlechtertrennung zusammenfällt mit der Bewusstseinsentwicklung – zeigt sich hier als biologische Tatsache.
Rudolf Steiners geisteswissenschaftliche Forschung besagt, dass wir den Impuls zur Gehirnentwicklung dem Verzicht auf die Reproduktionskraft des anderen Geschlechtes verdanken: Wenn sich beim Embryo z.B. körperlich eine weibliche Anlage ausbildet, also auf die Wachstumskraft der männlichen Anlage verzichtet wurde, dann machen die nicht benutzten männlichen Fortpflanzungskräfte eine Metamorphose durch und werden zu Gedankenkräften, die beim Aufbau des Großhirns mitwirken. Das wollen wir als Arbeitshypothese nehmen und auf dieser Grundlage die Unterschiede von Mann und Frau in leiblicher und seelischer Hinsicht beleuchten:
- Der Mann ist in der Regel etwas schwerer, hat stärkere Muskeln, eine tiefere Stimme, ein etwas schwereres Gehirn. Das männliche Fortpflanzungshormon Testosteron mit seiner anabolen, den Eiweißaufbau stimulierenden Wirkung spielt hierbei eine wesentliche Rolle.
- Frauen sind dagegen leichter gebaut, werden als das „schwache Geschlecht“ bezeichnet, und haben im Durchschnitt (im Einzelnen stimmt das natürlich nicht, das ist selbstverständlich) etwas weniger körperliche Kraft, sind ein bisschen weicher, ein bisschen zarter und nicht so „ganz da“ wie die Männer.
Vgl. Vortrag, „Die männliche und weibliche Konstitution“, 1987
MÄNNLICHES UND WEIBLICHES DENKEN
Gibt es typisch weibliches und typisch männliches Denken?
Was sind die Unterschiede und worauf lassen sie sich zurückführen?
Denken mit den nicht aktiven Reproduktionskräften des anderen Geschlechts
Rudolf Steiner erkannte, dass der Mensch mit den geistig gebliebenen, sich nicht physisch betätigenden Reproduktionskräften geistig produktiv und reproduktiv wird. Diese Reproduktionskräfte dienen von vornherein dem Denken. Ohne das Gesetz von der Metamorphose der Wachstumskräfte in Gedankenkräfte zu kennen, kann man den klassischen Unterschied im Seelenleben und Denken von Mann und Frau zwar detailliert beschreiben, nicht aber wirklich verstehen.
Denn die Grunddynamik im Denken der Frau rührt von den körperlich nicht aktiven männlichen Reproduktionskräften her – und umgekehrt.[1]
Man halte sich vor Augen, was die männlichen Fortpflanzungsorgane tun: Die Samenzellen werden im Hoden zur Reife gebracht, werden dann ausgestoßen und es werden wieder neue gebildet. Es ist eine große Produktivität vorhanden, die jedoch nicht regelmäßig erfolgt, sondern den äußeren Umständen angepasst ist, d.h. diese Arbeitsleistung ist umweltbezogen. Das ist bei den Fortpflanzungsorganen der Frau nicht der Fall: Unabhängig von den äußeren Umständen entwickelt sich einmal im Monat ein Ei zur vollen Reife heran, während sich die Uterusschleimhaut auf die Einnistung des Eies vorbereitet.
- So stehen dem Mann für sein Denken die körperlich nicht benützten Kräfte der weiblichen Fortpflanzungsorgane zur Verfügung.
- Umgekehrt verfügt die Frau geistig über die schöpferische Potenz des Mannes, die dieser physisch verwirklicht hat.
Auf diesem Tatbestand beruhen die klassischen Unterschiede im Denken von Mann und Frau, die in ihrer spezifischen Eigenart – von individuellen Ausprägungen und Lernmöglichkeiten selbstverständlich abgesehen – etwas beleuchtet werden sollen.
Auswirkungen auf das Miteinander
Ein Beispiel: Sie kommt vom Einkaufen und er wundert sich, dass sie Dinge mitbringt, die nicht verabredet waren. Auch schreibt sie nie Einkaufszettel, da sie ja „in etwa“ weiß, was sie besorgen will. Sie hat Freude daran, den Einkauf spontan, umweltoffen und von außen angeregt zu tätigen. Sie hingegen wundert sich, dass er in der Regel exakt nur das besorgt, was er sich vorgenommen hat oder was auf dem Zettel stand, den er sich zu ihrer geheimen Belustigung immer wieder schreibt, um auch nichts zu vergessen.
Ein ähnliches Verhalten liegt auch bei Urlaubsplanungen vor oder bei Problemen, die besprochen werden müssen. So kann es vorkommen, dass die Partner ein bestimmtes Problem im Prinzip zu Ende besprochen und für sich gelöst haben. Er ist dankbar, dass das jetzt ein für alle Mal besprochen und klar ist. Plötzlich kommt sie, vielleicht angeregt von irgendeinem Ereignis, mit einer ganz neuen Idee und möchte das Ganze doch noch einmal von vorne durchsprechen. Er kann das nicht verstehen, weil für ihn die Sache erledigt war, und sie meint, dass neue Gesichtspunkte dazugekommen sind, die sie beim Gespräch neulich noch nicht bedacht hat.
Auch wenn er sich darauf einlässt und wirklich nochmals von vorne beginnt, kann er nie sicher sein, für wie lange das Gesprächsergebnis gültig ist. Oder: Er kommt nach Hause, hat einen anstrengenden Tag hinter sich und freut sich, dass er einen ruhigen Abend genießen kann, während sie darauf erpicht ist, jetzt etwas zu unternehmen. Auch hier prallen unterschiedliche Seelenarten aufeinander, und die Frage ist nicht, wer sich mit seinen Bedürfnissen durchsetzt, sondern ob man die elementare Verschiedenheit und Bedürftigkeit der jeweils andersgeschlechtlichen Konstitution versteht und sie in die eigene Vorgehensweise einbeziehen bzw. sie berücksichtigen kann. Oft hilft auch schon, wenn der andere sich ehrlich wahrgenommen und verstanden fühlt – auch wenn es momentan nicht zu einer Einigung kommt.
Die Andersartigkeit lieben lernen
Männer können lernen, sich vorzustellen, dass das, worauf sie im physischen Bereich oft stolz sind – ihre männliche Potenz – genau das ist, was sie an dem „typisch weiblichen Denken“ und dem dadurch geprägten Verhalten manchmal ärgert, manchmal auch erfreut: Spontaneität, Offenheit, das Anregende und die Fähigkeit, sich von allem Möglichen gefangen nehmen zu lassen. Die Frau kann diese enorme seelische Energie auch bündeln und auf bestimmten Punkten beharren, auf die sie – „bohrend“ – immer wieder zurückkommt. Oder etwas muss auf der Stelle geschehen oder besprochen werden. Dieses Nicht-locker-Lassen, bis man das Ziel erreicht hat, ist eine seelische, typisch männliche Kraft, die der Frau konstitutionell gegeben ist. Daher fällt es ihr auch schwerer, schwierige Dinge erst einmal auf sich beruhen oder Urteile reifen zu lassen. Die Fähigkeiten, die sie körperlich besitzt, fehlen ihr bis zu einem gewissen Grad geistig und müssen von ihr bewusst erlernt werden.
Männer haben dagegen ebenfalls geistig zur Verfügung, was ihnen körperlich fehlt: Empfänglichkeit für Anregungen, die Fähigkeit sich abzuschließen, etwas reifen zu lassen, zu warten und bei der Sache bleiben zu können. Damit haben sich gedanklich aber auch die Tendenz zu Enge und Sturheit, können und wollen nicht so ohne weiteres auf Fremdes und Andersartiges eingehen. Für den Mann ist es leichter im Gedanklichen treu zu sein als für die Frau, die dafür im Körperlichen eher treu sein kann.
Das partnerschaftliche Zusammenleben von Mann und Frau wird vor allem dann fruchtbar und schön, wenn beide die Andersartigkeit des Partners nicht nur bejahen und einbeziehen, sondern auch lieben lernen. Dann wird der Mann sich nicht abweisend verhalten, sondern sich geistig anregen lassen und das von ihr Kommende ernst nehmen, es weiterführen und helfen, es zur Reife zu bringen. Umgekehrt wird es der Frau dann leichter fallen, seine ruhigeren und ordnenden Fähigkeiten zu respektieren und sie auf ihre Art für sich selbst zu erwerben.
Bereicherung durch einander ergänzende Qualitäten
Das Sprühende, Anregende, aber auch Unstetere in der Gedankenführung kann eine wunderbare Ergänzung sein zu der Fähigkeit des Mannes, Gedanken ruhig und konsequent ausreifen zu lassen. Deswegen ist es für jedes Gespräch, bei dem um echte Erkenntnis gerungen wird, eine Bereicherung, wenn sich Männer und Frauen daran beteiligen.
Auch wenn im Lauf des Lebens bedingt durch Lernprozesse die individuelle Komponente des Seelenlebens die gattungsmäßige Bedingtheit immer mehr überlagert und verwandelt, bleibt doch eine gewisse Grundfärbung zeitlebens bestehen. Überspitzt könnte man zusammenfassen:
- Das weibliche Seelenleben ist generell umweltoffener, wahrnehmender, farbiger, phantasievoller und beweglicher. Die seelische Reaktion des Mannes ist verlässlicher, vorhersehbarer, konstanter und zentrierter.
- SIE hat die Einfälle – ER das Durchhaltevermögen.
- Und da man sucht, was einem fehlt, findet man oft bei IHR die Sehnsucht, sich aufgehoben, gehalten, gestützt zu fühlen – was ihrer körperlichen Veranlagung ihrer Fortpflanzungsorgane entspricht. Umgekehrt hat ER die Neigung und den Wunsch, aus dem Gewohnten auszubrechen und sich neu anregen zu lassen – wie es seinen Fortpflanzungsorganen entspricht.
Die Erfahrung zeigt, dass keiner von beiden das im anderen findet, was er selber ist. Jedoch kann das Bewusstsein für die persönlichen Eigenheiten gerade am Erleben der Andersartigkeiten des anderen erwachen.
Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 6. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997
[1] Diese Zusammenhänge sind ausführlich wiedergegeben in: Glöckler, M., Die männliche und weibliche Konstitution. Stuttgart, 3. Aufl. 1992.
MÄNNLICHES UND WEIBLICHES FÜHLEN UND WOLLEN
Worin wurzeln entwicklungsphysiologisch die Unterschiede zwischen Mann und Frau?
Wie äußern sie sich konkret im Alltag und im Miteinander?
1. Typische Unterschiede im Gefühlsbereich
Auch im Gefühlsbereich finden wir typische Unterschiede zwischen Mann und Frau. Besonders charakteristisch ist, dass das Gefühlsleben der Frau ein einheitlicheres Gepräge hat als das des Mannes, weil es stärker an das Gedankenleben angeschlossen ist, wohingegen es beim Mann mehr an den Willen und die Tätigkeit der Sinnesorgane gebunden bleibt:
- So ist die Frau seelisch abhängiger von dem, was sie gerade denkt. Probleme können bei ihr viel schneller zu seelischen Verstimmungen führen als beim Mann, wenn es ihr nicht gelingt, die Sache gedanklich zu ordnen. Das Gefühlsleben der Frau spiegelt die Einheitlichkeit, die Ordnung, den Zusammenhang und die Überschau, die das Gedankenleben braucht. Unklares wird nicht geschätzt.
- Im Gegensatz dazu hat das Gefühlsleben des Mannes aufgrund seiner unmittelbareren Anbindung an das Sinnliche verschiedene Bezirke, die er voneinander abgrenzen kann. Daher fällt es ihm auch leichter, gefühlsmäßig „ein Auge zuzudrücken“ oder etwas „wegzustecken“ und vom übrigen Seelenleben zu isolieren.
Unter diesem Gesichtspunkt leuchtete mir ein, was ein Kollege zu mir sagte: „Wie gut, dass die Seele (das Gefühlsleben) des Mannes ‚Taschen‘ hat. Darin kann man bestimmte Dinge verschwinden und auf sich beruhen lassen, bis sie sich beruhigen. Frauen müssen sich das dagegen mühsam erarbeiten.“
Das Seelenleben der Frauen gleicht ihren Handtaschen, in denen „alles“ „drin“ ist – allerdings nicht einzeln untergliedert, sodass es manchmal dauert, bis der Autoschlüssel gefunden wird. Im weiblichen Seelenleben hängt alles stärker miteinander zusammen und voneinander ab. Daher können Frauen auch auf eigentlich harmlose Dinge mit intensivem seelischem Engagement reagieren. Sie wirken viel emotionaler, als sie eigentlich sind. Dagegen bewahren sie – wenn es wirklich gefährlich wird oder um etwas geht –, plötzlich in bewundernswerter Weise die Ruhe, weil sie das Wesentliche im Auge haben und so alles „Unebene“ vernachlässigen können. Allein das zu wissen und im Umgang miteinander zu berücksichtigen, trägt viel zu einer harmonischen Partnerschaft bei.
2. Unterschiede im Willensbereich
Im Willensbereich sind ebenfalls gewisse Unterschiede zu erleben. Motivation hat zwei Standbeine:
- Begeisterung und Sympathie für eine Sache (Gefühl)
- Einsicht (Denken).
Das Willensvermögen der Frau ist stark vom Fühlen geprägt. Die Motivation, dieses oder jenes zu wollen, ist bei ihr weitestgehend Gefühlssache. Der Mann lässt sich lieber vom Denken leiten. Er verlässt sich nicht gern auf sein Gefühlsleben, das er mehr körperlich-persönlich empfindet; er muss etwas einsehen können, damit er motiviert ist.
Die Frau hingegen muss nicht alles einsehen, wenn oder gar bevor sie etwas tut. Ihr Gefühlsleben ist durch die stärkere Verbindung mit dem Gedankenleben umfassender und objektiver. So kann sie sich für Dinge begeistern, die ihr gefühlsmäßig klar sind, auch wenn noch nicht alle Faktoren, die zur Sache gehören, bewusst bedacht und verstanden sind. Sie vertraut ihrem Gefühl, da sie den starken Anschluss an das Gedankenleben empfindet und so auch die Weisheit des Gefühlslebens erlebt, die oft über das rational Überlegte hinausreicht. Sie kann sagen: „Ja, wenn du warten willst, bis du alles verstanden hast, bleiben wichtige Dinge ungetan! Man muss doch jetzt und hier handeln! Siehst du das denn nicht ein ...“
Das Einsehen allein reicht dem Mann nicht aus, er möchte auch verstehen, während die Frau aus einer unmittelbaren Gefühlsreaktion heraus schon handeln kann – und oft auch durch das Leben und die Tatsachen Recht bekommt.
Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 6. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997
GEMEINSAMKEITEN VON MANN UND FRAU AUF GEISTIGER EBENE
Was sind die Gemeinsamkeiten von Mann und Frau auf geistiger Ebene?
Gemeinsamkeit trotz Verschiedenheit suchen
Es gehört zu den Daseinsrätseln, dass zwei Menschen, die physisch und seelisch so unterschiedlich veranlagt sind, überhaupt Gemeinsamkeit erleben können, dass es eine Ebene des Begegnens gibt, die sich unabhängig von Alter und Geschlecht nur auf das rein Menschliche bezieht. Wenn jedoch dieses Allgemein-Menschliche die individuell-persönliche Verbindung und das, was man voneinander kennt und weiß, nicht genügend durchzieht und trägt, kann die Unterschiedlichkeit der seelischen und körperlichen Konstitution, wie sie zwischen männlich und weiblich, aber auch zwischen Jugend und Alter vorliegt, entscheidend dazu beitragen, die Beziehung zu stören. Sämtliche Schwierigkeiten, die zu Konflikten führen, erwachsen aus der Verschiedenheit der Beteiligten.
Dieses Allgemeinmenschliche, das Mann und Frau immer verbinden kann, betrifft die Ich-Natur, die allen Menschen gemeinsam ist[1]. Ob Mann, Frau oder Kind – alle sagen zu sich selber „ich“. Wenn Eltern und Erzieher das Ich des Kindes vom ersten Lebenstag an ernst nehmen, geschieht das aus einer Einstellung zum Kind, die für seine ganze weitere Entwicklung eine entscheidende Hilfe und Stütze sein wird. Wenn es gelingt, bei allem zu empfinden – „Hier ist ein Mensch zu mir gekommen, der von mir erwartet, dass ich ihm helfe, möglichst gut und kräftig zu sich selbst und zu seiner Lebensaufgabe zu finden“ –, ist die Grundlage für ein starkes Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit geschaffen. Der im Kind schon anwesende spätere Erwachsene, der sich noch genauso wenig kennt, wie ich ihn kenne, wartet Monat für Monat und Jahr für Jahr darauf, mehr von sich zu erfahren und genauer zu wissen, warum er sich in diesen Lebenszusammenhang begeben hat. Dieses Kind ist nicht mein Besitz, dieses Kind ist Teil meines Lebens und will mit meiner Hilfe lernen, seine Weiterentwicklung in die Hand zu nehmen.
Wenn eine solche Einstellung vorherrscht, ist der Lebensraum in Elternhaus und Schule von einer Haltung geprägt, die trotz klarer Hilfestellung und, wo nötig, auch Führung doch immer einen Freiraum schafft, der es dem Kind erlaubt, möglichst viele Erfahrungen „selbst“ zu machen.
Die Ich-Natur, ein zweischneidiges Schwert
In der Partnerschaft führt eine solche Einstellung dazu, dass sich beide mit dem Trennenden und auch mit dem Verbindenden, das mit diesem „Selbst“, mit dieser Ich-Natur, verbunden ist, auseinandersetzen. Denn das Ich ist im wahrsten Sinne des Wortes ein zweischneidiges Schwert. In der Apokalypse des Johannes wird von Christus gesagt, dass aus seinem Munde ein zweischneidiges Schwert hervorgeht. Es gibt kein treffenderes Bild, um die Doppelnatur des Ich zu charakterisieren. Liegt es doch im Wesen des Ich begründet,
- dass einerseits jeder einzelne Mensch zu sich selbst „ich“ sagt,
- und dass andererseits alle anderen Menschen das auch tun, so dass es sich um den allgemeinmenschlichsten Begriff handelt.
Im Ich liegt nicht nur die Möglichkeit, sich vollständig abzuschließen, auf sich selbst zu besinnen und sich zu isolieren – und das auch zu brauchen, um zu sich kommen zu können –, in ihm ist auch die Fähigkeit veranlagt, sich nicht nur Freunden und Bekannten, sondern letztlich der ganzen Menschheit angehörig und verbunden zu fühlen. Um das eine wie auch das andere zu können, bedarf das Ich geeigneter Arbeitsinstrumente – diese stehen ihm in den Seelenfähigkeiten von Denken, Fühlen und Wollen zur Verfügung.
1. Gedankliche Auseinandersetzung mit der Zweischneidigkeit
Wir können das Denken für zweierlei benützen:
- uns über uns selbst klar zu werden und uns von unserer Umwelt zu distanzieren
- uns über die Welt aufzuklären und uns unseres Zusammenhangs mit ihr bewusst zu werden.
Ebenso kann es dazu verwendet werden, uns über das, was uns mit dem Lebens- bzw. Ehepartner verbindet oder von ihm trennt, bewusst zu werden und es normal zu finden, dass es diese beiden Seiten auch in der Partnerschaft geben muss, weil es sich um ich-begabte Menschen handelt. Es kann nicht nur das Verbindende geben.
2. Zweischneidigkeit im Fühlen
Entsprechend verhält es sich mit dem Fühlen:
- Es ist wohltuend, sich hin und wieder ganz in sich selber zu verschließen und die damit verbundene Einsamkeit, verbunden mit Lebensfreude und/oder Trauer als Stärkung des Selbstbewusstseins zu erleben.
- Und es ist wohltuend, sich über die Mitleidsfähigkeit auch wieder eng mit anderen Menschen, Schicksalen, Aufgaben und wichtigen Zeitfragen verbunden zu fühlen.
Diese gefühlsmäßige Anteilnahme aneinander ist eine entscheidende menschenverbindende Kraft, deren Stärke einem oft erst bewusstwird, wenn eine Beziehung zu zerbrechen droht und man spürt, wie viel Kraft man aus dem Gefühl der Gemeinsamkeit bezogen hat.
3. Zweischneidigkeit im Handeln
Auch auf der Handlungsebene gibt es beide Möglichkeiten: etwas ganz für sich alleine zu tun oder für und mit dem anderen. Will man nun in Ehe und Partnerschaft das Gemeinsame pflegen, insbesondere das stärkende Zusammengehörigkeitsgefühl, gelingt das umso anhaltender, je mehr es seine Wurzeln im Verständnis des menschlichen Ich hat.
Christus sagt von seinem Wesen, seinem „Ich“: „Ich bin die Wahrheit“ und: „Ich bin unter euch, wenn ihr einander liebt“ und: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen“, was bedeutet: Ihr werdet mich (die Wahrheit) erkennen, und das wird euch – euer Ich – befreien und zu sich selbst führen.
Kann man in einer Partnerschaft verabreden, diese drei Ich-Qualitäten – Wahrhaftigkeit, Liebe und Freiheit– zu üben, so hat man sich auf geistiger Ebene im Wesentlichen verbunden. Dann lebt man in einem gemeinsamen Entwicklungsstrom und fühlt die Nähe des anderen in jedem Augenblick, in dem man sich auf dieses Versprechen und die damit verbundene innere Arbeit besinnt. Denn jene drei Eigenschaften dienen der Charakterbildung und Entwicklung von Mann und Frau in gleicher Weise, und sie sind auch das, was für die Erziehung der Kinder die entscheidende Orientierung gibt. Diese drei Qualitäten machen die Würde des Ich aus, begründen, erhalten und pflegen sie.
Wenn Wahrheit, Liebe und Freiheit fehlen
Auch wenn der Entschluss, diese Qualitäten zu üben, nicht gemeinsam gefasst wurde und als etwas Verbindendes angesehen werden kann, wird man doch immer wieder auf sie stoßen und vor allem ihre Abwesenheit schmerzlich bemerken.
· Schmerzliches Fehlen von Wahrheit
Wie störend und unterminierend wirkt sich eine auch noch so verborgene Verlogenheit auf eine Partnerschaft bzw. Ehe aus! Wie oft führt das sogenannte Mitleid mit dem anderen dazu, ihm wichtigste Dinge, z.B. die Freundschaft mit einem neuen Menschen, zu verheimlichen bzw. zu verharmlosen, anstatt daran zu arbeiten, diese neue Beziehung konstruktiv und unter Mitarbeit des anderen in den gegenwärtigen Schicksalszusammenhang zu integrieren. So manche „Nebenbeziehung“ würde andere Formen annehmen und für alle Beteiligten zum größeren Gewinn gereichen, wenn von Anfang an offen über sie gesprochen werden könnte.
· Lieblosigkeit
Entsprechend ist es mit den vielen kleinen und großen Lieblosigkeiten, die eine Beziehung belasten können. Hier steht der Mangel an gegenseitiger Anerkennung an vorderster Stelle. Wie sehr ist man versucht, dem anderen gegenüber seine Stärke auszuspielen, ständig auf diesem und jenem Gebiet in geheimer Konkurrenz zu sein oder aber die Fähigkeiten des anderen zu wenig wahrzunehmen und zu bestätigen. (Hierzu gehört auch die Fähigkeit, dass der andere es schon so lange mit einem aushält...)
· Das Fehlen von Freiheit
Welche Belastung stellt Unfreiheit in jeder Beziehung dar! Sehr oft ist es dieses Fehlen von Freiheit, das den einen oder anderen Partner dazu verleitet, sich geheime Spielräume zu suchen, in die der andere nicht hineinreden kann, wo Kontrolle nicht möglich ist.
Damit wird deutlich, dass die empfindlichsten Störfaktoren und Belastungen einer Partnerschaft auf dem Mangel an Ich-Präsenz beruhen, dem Mangel an Wahrhaftigkeit, Liebe und Freiheit. Gelingt es nicht, auf dieser geistigen Ebene zur Gemeinsamkeit zu finden und sich des gemeinsamen Wollens in Richtung der drei Ideale bewusst zu werden, fehlt der Beziehung der entscheidende Halt in Krisenzeiten, wenn es seelisch und körperlich einmal nicht so gut klappt. Umgekehrt kann natürlich auch Harmonie in der körperlichen und /oder seelischen Beziehung lange Jahre Gemeinsamkeit schenken, auch wenn man sich geistig nie richtig verständigen konnte und den anderen eigentlich noch nicht gefunden hat.
Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 6. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997
[1] Vgl. Rudolf Steiner, Theosophie. GA 9.