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Angst
Angst - von Michaela Glöckler
Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
Die Botschaft der Angst
Was ist die Botschaft der Angst?
Was will unsere Angst uns sagen?
Sinn und Gefahr von Angst
Angst und Sorge sind jedem Menschen bekannt. Nehmen sie überhand, so wirken sie sich schädigend auf das seelische und körperliche Leben aus.
Angst hat jedoch eine wichtige Funktion im Menschenleben. Sie lässt den Menschen aufmerksam werden, macht ihn angespannt und wach. Wenn man beispielsweise von einer neu aufgetretenen Krankheit hört, beginnt man sogleich darüber nachzulesen und sich sachkundig zu machen. Weiß man dann, wie sie einzuordnen ist und wie man sich schützen kann, ist die Angst vor der Krankheit durch Einsicht in die Zusammenhänge weitgehend abgebaut. Die Angst hatte die Funktion, diesen Erkenntnisprozess auf den Weg zu bringen. Das heißt also: Angst weckt auf, Wachheit führt zur Erkenntnis und die Erkenntnis beruhigt wiederum die Angst. Wie viele Menschen würden stumpf dahinleben, wenn sie keine Angst hätten und sich nicht um irgendetwas sorgten! Führt Angst jedoch nicht zur Erkenntnis, besteht die Gefahr, in der Angst gleichsam steckenzubleiben, ihr ausgeliefert zu sein. Das führt zur seelischen Zerrüttung und zur Krankheit.
Wer sich zum Beispiel verzehrt in der Angst vor Umweltgiften oder der künstlichen Radioaktivität, wird weder für sich noch für die Umwelt etwas Hilfreiches bewirken können. Wer jedoch diese Gegenwartsprobleme zum Anlass nimmt, grundsätzlich über das eigene Leben und die Weltverhältnisse nachzudenken, wird dadurch motiviert, an einer Veränderung der Kulturverhältnisse und einer Überwindung dieser Krise unserer Zivilisation mitzuarbeiten (vgl. Bewusstseins(seelenzeitalter: Bewusster Umgang mit Not und Zerstörung). Angst kann immer Anlass für einen Lernschritt sein. Jede Angst, jede Ängstlichkeit, ist im Grunde Vorbote einer zukünftigen Erkenntnis. Wer mit großen Ängsten zu kämpfen hat, kann daran ermessen, zu welch umfassenden Erkenntnissen er kommen könnte. Für ihn gilt herauszufinden, was er sich an Erkenntnissen erwerben muss, um diese Ängste auflösen und überwinden zu können.
Hilfe vom Engel
Hierbei können Engel helfen (vgl. Engel: Bedeutung der Engel für uns Menschen). Denn wenn die Erkenntnis nicht ausreicht und die Angst bestehen bleibt, können die bereits geschilderten Verzweiflungsmomente auftreten. Wer sich in diesen Augenblicken ins Bewusstsein rufen kann, dass es nichts gibt, was den Menschen geistig vernichten kann, dass selbst Tod und Geburt tiefmenschliche Vorgänge sind, die zu unserem Leben dazugehören, der kann die Nähe des Engels empfinden. Daran können Vertrauen in das eigene Schicksal und Liebe zur Entwicklung erwachen. Es gehört nun einmal zum Menschenleben dazu, durch Extremsituationen zu gehen. Ohne Sterben und Vergehen könnte nichts Neues entstehen. Verwandlung ist nur möglich, wenn das zuvor Bestehende sich hingibt und opfert. Wenn das Vertrauen in die eigene Existenz erwacht, in die Wandlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, in die Fähigkeit, zu sterben und wieder geboren zu werden, kann sich eine nie gekannte Dankbarkeit gegenüber dem Schicksal regen, die bewirkt, dass die Angst schwindet (vgl. Schicksal und Karma: Ich-Erleben und Schicksalsgestaltung). Dann spürt man die schützenden Schwingen seines Engels um sich herum. Man ist wie abgeschirmt von dem, was einen vorher bedrängte. Wenn die Existenzangst schwindet, wird die positive Wirkung der Angst erlebbar – dass sie zur Erkenntnis führen will.
Wenn man mit seinen Ängsten nicht fertig wird, ist es daher hilfreich, sich regelmäßig über einen längeren Zeitraum hinweg ganz bewusst am Abend eine Viertelstunde Zeit zu nehmen und sich mit der Engelwelt zu beschäftigen. Man kann damit beginnen verschiedene Engeldarstellungen miteinander zu vergleichen und der Frage nachzugehen:
Was hat dieser Maler wohl von den Engeln gewusst?
Was hat ihm daran gefallen?
Welche moralischen Qualitäten liegen darin verborgen?
Wer das tut, merkt sehr bald, wie ihm sein Engel näherkommt und neue Ruhe und innere Sicherheit vermittelt (vgl. Engel: Wege zum Engel).
Vgl. Kapitel „Engel“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart
Die Aufgabe der Angst
Hat Angst eine Aufgabe hinsichtlich der Entwicklung des Menschen?
Körperliche, seelische und geistige Angstreaktionen
Das ist eine sehr schöne Frage, denn Angst hat eine Aufgabe. Ich möchte Wege aufzeigen, wie wir mit unserer Angst konstruktiv umgehen können, wie wir lernen können, immer besser damit zurechtzukommen.
Die körperlichen Angstreaktionen sollen uns vor Gefahren schützen. Ein kleines Beispiel: Wenn mir etwas ins Auge fliegt, kneife ich reflektorisch die Augenlider zusammen, sodass nichts eindringen kann. Ich bin dann dankbar dafür, dass der Lidschlag mich vor einem gefährlichen Objekt geschützt hat, bevor es die Netzhaut irritieren oder sogar verletzen konnte. Die Angst löst eine physiologische Schutzreaktion aus.
In unserer Seele erleben wir Angst als äußerst unangenehm, so sinnvoll sie auch sein mag. Es gibt eine große Vielfalt an Angstreaktionen – ich kenne einige davon aus eigenem Erleben. Was vom wissenschaftlichen Standpunkt aus für mich als Ärztin so faszinierend ist, sind die Symptome, die der Mensch zeigt, wenn er Angst hat. Es gibt kaum ein Krankheitssymptom, das nicht von der Angst ausgelöst werden könnte.
Geistig weckt uns Angst auf für Probleme und Defizite, die wir haben. Wenn wir keine Angst hätten, würden wir uns für bestimmte Fragen gar nicht interessieren. Angst erregt unsere Aufmerksamkeit, wirft Fragen auf, und wenn wir ihnen nachgehen, damit arbeiten und Antworten finden, führt das dazu, dass sich unser Bewusstsein erhöht und erweitert. Sie ist eine Begleiterscheinung von Entwicklung.
Sinn und Aufgabe von Angst
Die Aufgaben der Angst im Zusammenhang mit der Entwicklung des Menschen lassen sich so zusammenfassen:
- Die erste Aufgabe besteht darin, dem Menschen zu helfen, immer wacher zu werden. Angst möchte uns auf Neues, noch nicht Gedachtes und Gelebtes aufmerksam machen.
- Die zweite Aufgabe besteht darin, den Menschen herauszufordern, die eigene Identität wirklich zu befestigen, sie denken und erfahren zu lernen, sodass er begreift: Ich bin in dieser Welt, wurde hier geboren und sterbe hier, aber ich komme aus einer anderen Welt, in der ich den Zerfallsprozessen aus Raum und Zeit nicht unterworfen bin (vgl. Identität und Ich: Das Ich als Kern der Persönlichkeit).
Es geht darum, sich im Zuge der Identitätsbildung klar zu machen, mit welcher Dimension man als Mensch umgeht durch die Tatsache, dass man denken kann. Man muss die Macht der unsichtbaren, rein spirituell fassbaren Gedanken ganz neu entdecken, die Macht der Gedanken, die überräumlich und überzeitlich in sich selbst bestehend vorhanden sind. Ich kann den Gedanken meines eigenen Wesens denken, kann im Denken mich selbst erleben als ein übersinnliches, rein spirituelles, energetisches Wesen (vgl. Denken: Denken als Brücke zwischen der Sinneswelt und der Welt des Geistigen).
Wenn diese Identitätsbildung gelingt, ist die zweite Aufgabe der Angst erfüllt: Uns Menschen, die in einer Welt des Vergänglichen leben, in Beziehung zu bringen mit der Welt des Unvergänglichen, und uns aufzufordern, darin unser wahres Wesen zu entdecken.
Erlösung von Todesangst
Der bereits verstorbene Psychiater Bernard Lievegoed erzählte uns jüngeren Ärzten gerne, wie er die Angst vor dem Sterben verlor. Er saß im 2. Weltkrieg mit seinen Kameraden im Schützengraben, als eine Granate kam und seinen Freund innerhalb von Sekunden vernichtete. Er selbst wurde nur ganz leicht verwundet, stand aber unter Schock. Er befand sich in einem gelockerten Zustand, war ganz sensibel und weit offen und sah plötzlich am Horizont eine Lichtgestalt, die sich näherte. Für ihn sah es so aus, als wäre sie bis zu den Knien in der Erde versunken, als würde sie durch die Erde schreiten. Sie näherte sich seinem Freund, nahm ihn in die Arme. Bernard Lievegoed sah seinen Freund ganz klar, lebendig und unversehrt mit dieser Lichtgestalt langsam auf den Horizont zugehen.
Er sagte, dass dieses Erlebnis ihn lebenslang davor beschützt hätte, sich vor dem Tod zu fürchten – ein klassisches Beispiel eines persönlichen Schicksalserlebnisses, das den Betroffenen in sich selbst bestärkte.
Vgl. Vortrag „Angst in Krankheit und Gesundheit“, 14. Februar 2007