Herzlich Willkommen!
Anthroposophie
Anthroposophie – von Michaela Glöckler
Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
AUFGABE DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT
Was ist die Aufgabe der Anthroposophischen Gesellschaft?
Braucht die Welt die Anthroposophische Gesellschaft in einer Zeit, in der die Anthroposophie vom Ansatz her längst zu den Zivilisationsprinzipien gezählt wird?
Aufgaben laut Weihnachtstagung
Die Anthroposophie ist heute „da“. Das Wesen „Anthroposophie“ wirkt weltweit in sehr, sehr vielen anthroposophischen Einrichtungen, Schulen, therapeutischen und heilpädagogischen Einrichtungen, nicht nur in anthroposophischen Kreisen. Die anthroposophische Bewegung breitet sich weiter aus, so dass keiner mehr überblicken kann, wo überall die Anregungen Rudolf Steiners aufgegriffen wurden und werden.
In den Statuten der Weihnachtstagung werden drei Aufgaben der Anthroposophischen Gesellschaft genannt:
1.Geistige Aufgabe – Pflege des Geistesgutes:
Das anthroposophische Geistesgut zu pflegen auf einem örtlichen, sachlichen oder beruflichen Felde.
2. Soziale Aufgabe – Repräsentant sein, Gruppen bilden:
Repräsentant zu sein der Allgemeinen Gesellschaft, vor Ort dazustehen, sodass sich hier neue Mitglieder finden können und Menschen sich gerne einer solchen Gruppe anschließen oder angeregt werden, eine solche Gruppe zu bilden, nachdem sie Mitglied geworden sind.
3. Beitrag zur Humanisierung der Kultur/Arbeit der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft
Rudolf Steiner richtete 1923/24 die Hochschule ein, formulierte die Prinzipien der Anthroposophischen Gesellschaft und übernahm selber die Leitung. Nach seinem frühen Tod 1925 stellten sich viele die Frage, in welcher Weise er, der so viel über die Verbindung der Lebenden mit den Verstorbenen gesprochen hat, jetzt selber „von drüben“ zu uns Nachgeborenen und seinem Werk steht. In seinem Schulungsbuch „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten"[1] bietet er dem Leser im Nachwort an, das Buch wie ein Gespräch zu nehmen, das der Verfasser mit dem Leser führt. So hängt es von jedem Einzelnen ab, in welcher Form und mit welcher Intensität er an einer solchen Gemeinschaft Lebender und Verstorbener arbeiten will. Es verändert sich die Lebenshaltung, wenn man im Bewusstsein der Todesschwelle lebt.
Ungebrochene Aktualität
Man hört unter Freunden, jüngeren und älteren, immer wieder die Frage, ob diese Worte, die 1924 gesagt wurden, heute genauso gelten wie damals, noch dazu, wo die Geschichte der Gesellschaft seit Rudolf Steiners Tod von vielen Schwierigkeiten belastet war.
In der heutigen Zeit geht es angesichts von alledem mehr denn je um diese beiden Aufgaben: Lassen Sie uns einmal das Gedankenexperiment machen, es gäbe die Anthroposophische Gesellschaft nicht, sondern wir lebten als Anthroposophen mit der Gesamtaufgabe in völlig freier Weise und hätten nur die Arbeitszusammenhänge auf beruflichem Felde oder ganz privat vor Ort. Es gibt ja viele Anthroposophen, die sich nicht der Gesellschaft angeschlossen haben. Stellen wir uns einfach einmal vor, das wäre überall so.
Was würde unserer Zeit dann fehlen?
Man kann anhand dieses Gedankenexperiments empfinden, dass gerade das fehlen würde, was unsere Gegenwart braucht, um eine gedeihlichere, heilsame, sozial gesündere Zukunft vorzubereiten.
Vgl. „Aufgaben und Ziele heutiger Zweigarbeit“, Farrach 1993
[1] Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, GA 10.
DIE BERECHTIGUNG DER ALLGEMEINEN ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT IM 21. JAHRHUNDERT
Worauf gründet die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft?
Welche wichtige Aufgabe hat sie heutzutage?
Persönliche Erfahrungen vorneweg
Mit diesem Beitrag möchte ich der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass die „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“ (AAG) ihrer Aufgabe im 21. Jahrhundert in einer Weise gerecht werden kann, wie es Rudolf Steiner bei ihrer Begründung auf der Weihnachtstagung 1923/24 im Hinblick auf die Zukunft veranlagt hat.
Seit meinem 16. Lebensjahr ist die Anthroposophie für mich ein unentbehrlicher Begleiter geworden. Mit ihrer Hilfe konnte ich mir die vielen Fragen, die mich als Jugendliche in der Nachkriegszeit und angesichts des atomaren Wettrüstens in Amerika und Russland beschäftigt haben, so beantworten, dass ich trotz Holocaust und Weltuntergangsszenarien das Leben auf der Erde liebgewinnen konnte. Mit 18 Jahren hatte ich eine Gastkarte, um die Mitgliedervorträge im Rudolf-Steiner-Haus in Stuttgart besuchen zu können. Mit 21 wurde ich dann Mitglied der „Anthroposophischen Gesellschaft“ und zwei Jahre später auch in der „Freien Hochschule für Geisteswissenschaft“.
Zweifel an der Berechtigung der AAG
In der Begegnung mit Freunden und Bekannten, KommilitonInnen und BerufskollegInnen habe ich jedoch immer wieder erlebt, dass die Begeisterung für Anthroposophie sehr oft kein Grund war oder ist, auch Mitglied in der Anthroposophischen Gesellschaft zu werden. Zumal es zahlreiche offene esoterische Fragen, aber auch Fragen im Hinblick auf das sogenannte Konstitutionsproblem mit seinen verschiedenen Facetten gibt.
Wer will schon Mitglied in einer Gesellschaft werden, die ihre eigene Identität infrage stellt und immer wieder Zeit und Kraft investiert in Diskussionen über die oben in aller Kürze angedeuteten Fragen?
Es stimmt, dass nach dem Tod Rudolf Steiners 1925 vieles geschehen ist, das diese Zweifel und Fragen untermauern mag. Das Protokoll der vierten außerordentlichen Generalversammlung des „Bauvereins“[1] gibt jedoch – so wie die Vorläuferdokumente – klare Auskunft über die Gegebenheiten wie auch die Anmeldung für das Handelsregister, die Rudolf Steiner und die anderen Vorstandsmitglieder am 8. Februar unterschrieben haben auch. Darin wird der Name des Vereins des Goetheanum der freien Hochschule für Geisteswissenschaft/„Bauverein“ abgeändert in „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“. Womit klar belegt ist, dass der ehemalige „Bauverein“ jetzt Träger des Namens der zu Weihnachten begründeten Gesellschaft ist.
Plädoyer für die Wichtigkeit der Existenz und Aufgabe der AAG
Da ich zutiefst davon überzeugt bin, dass die Anthroposophische Gesellschaft in der gegenwärtigen Zeit eine zentrale Aufgabe hat, die dringend erfüllt werden muss im Hinblick auf die Herausforderungen der Zukunft, haben mich die vielen Gründe, die gegen eine Mitgliedschaft ins Feld geführt werden, schmerzlich berührt. All diese kritischen Einwände und Argumente haben mir jedoch auch geholfen, immer klarer zu verstehen, welche wichtige Rolle die AAG innehat, nicht zuletzt als Träger und Förderverein der „Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum“. Die vielen Gegenargumente, ja Gegnerschaften, weisen zudem darauf hin, dass es hier um etwas Wesentliches geht.
Auch ist es für mich im Sinne einer freien Meinungsbildung stimmig, dass „Fürs“ und „Widers“ in gleicher Weise existieren. Denn wir sind erst dadurch wirklich frei, uns ganz aus eigener Motivation heraus für eine Mitgliedschaft zu entscheiden.
Vgl. „Die Aufgabe der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft im 21. Jahrhundert“, Sept. 2023, Akanthos Akademie Edition Zeitfragen
[1] Rudolf Steiner, Die Konstitution der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft und der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft. Der Wiederaufbau des Goetheanum, GA 260a S. 559 ff.
DAS BESONDERE DER WEIHNACHTSTAGUNG VON 1923/24
Warum wird diese Weihnachtstagung so in den Vordergrund gestellt?
Was geschah im Ätherischen, nachdem das erste Goetheanum einer Brandstiftung zum Opfer gefallen war?
Was veranlasste Rudolf Steiner, die „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“ zu gründen?
Nach dem Brand des ersten Goetheanum
Das Einmalige dieser Tagung hängt damit zusammen, dass im Jahr zuvor das von Rudolf Steiner erbaute erste Goetheanum einer Brandstiftung zum Opfer gefallen war. Das Ergebnis einer zehnjährigen Zusammenarbeit von Bauleuten und KünstlerInnen aus 17 Nationen wurde in der Silvesternacht 1922/23 vernichtet. Auf der Erde blieb eine Brandruine zurück.
In der geistigen Welt erschien aufsteigend von der Erde ein übersinnlicher ätherisch-geistiger Tempelbau, der seitdem dort zugänglich ist. So wurde dies von vielen erlebt, die damals Zeitzeugen waren. Mir hat es die Heileurythmistin Isabella de Jaager nahegebracht, deren Mann als Bildhauer am ersten Goetheanum mitgewirkt hatte. Sie sagte: „Der Bau ist jetzt in der geistigen Welt – seither können wir uns geistig mit ihm in Verbindung halten".
So wird auch verständlicher, warum Steiner den zweiten Goetheanumbau als „physisches Symbolum“ des ersten Goetheanum bezeichnete. Der ursprüngliche Tempelbau, „das Haus des Wortes“ ist jetzt zwar den physischen Blicken entzogen – es bleibt aber geistig bestehen, was in Liebe aufgebaut wurde. Steiner sagte dazu auf der Weihnachtstagung: „Wir stehen da als Goetheanum in der Seele, als seelisches Goetheanum, das natürlich möglichst bald den äußeren Bau haben muss.“[1]
Notwendigkeit einer Gesellschaft mit geistigem Inhalt
Durch die Brandkatastrophe war zudem deutlich geworden, dass die 1912/13 aus der Theosophischen Gesellschaft hervorgegangene „Anthroposophische Gesellschaft/AG“ nicht die Kohärenz und Stoßkraft besaß, um für die Kulturwirksamkeit der Anthroposophie ein geeignetes Instrument zu sein. So stand das Jahr 1923 für Rudolf Steiner unter folgenden Fragestellungen:
Wie kann und soll es mit der Gesellschaft und der Hochschule weitergehen?
Was bedeutet diese Zäsur in Folge der Brandkatastrophe für die anthroposophische Arbeit?
Ist überhaupt der Wille zum Wiederaufbau des Goetheanum da?
Wie wird aus dem „Chaos zusammenhangloser Gruppen“ der bestehenden AG „eine Gesellschaft mit geistigem Inhalt“ und ausstrahlende Kulturwirksamkeit?[2]
Gründe für eine Neubegründung der Gesellschaft
Drei Tatsachen waren es, die Rudolf Steiner bewogen, die Initiative zur Neubegründung der Gesellschaft zu ergreifen und sich zu entschließen, nicht nur selbst geeignete Vorstands-mitglieder vorzuschlagen, sondern auch selber den Vorsitz der Anthroposophischen Gesellschaft zu übernehmen:
1. Die Gründung von anthroposophischen Landesgesellschaften in diversen Ländern.
2. In der Schweiz, in Deutschland und darüber hinaus erkannte man die Notwendigkeit, sich finanziell für den Wiederaufbau des Goetheanum zu engagieren.
3. Ein entscheidendes Drittes war aber ein Gespräch, das Rudolf Steiner und Ita Wegman im Sommer 1923 in Penmaenmawr/England im Rahmen des „Vortragszyklus über Initiationserkenntnis“[3] hatten.
Dort fragte sie ihn, ob es möglich sei, die medizinischen Mysterien alter Zeit zu erneuern – in einer neuen, zeitgemäßen Form. Dies sei für ihn, so Steiner später zu dem holländischen Arzt Willem Zeylmans van Emmichhoven, „die Parzival-Frage“ gewesen, die es ihm ermöglicht hätte, die Weihnachtstagung in der Form durchzuführen, wie dies dann geschehen sei.[4]
Alle, die an dieser Tagung teilnahmen, bemerkten unmittelbar, dass hier keine „schöne weihnachtliche Tagung“ vor sich ging. Vielmehr wurden sie Zeugen einer Inaugurationstat Rudolf Steiners: der Begründung eines neuen Mysterienwesens, ja, eines „Welten-Zeitenwende-Anfangs“.[5]
Vgl. „Die Aufgabe der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft im 21. Jahrhundert“, Sept. 2023, Akanthos Akademie Edition Zeitfragen
[1] Rudolf Steiner, Die Weihnachtstagung zur Begründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft 1923/24, GA 260, S. 121.
[2] Rudolf Steiner, Briefe an die Mitglieder, 5. Mitgliederbrief, S.33.
[3] Rudolf Steiner, „Initiationserkenntnis“, GA 227.
[4] J. Emanuel Zeylmans van Emmichhoven, Wer war Ita Wegman? Bd.II, S. 216f.
[5] Siehe FN 1, S. 281.