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Elternsein heute
Elternsein heute – von Michaela Glöckler
Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
GEBURT UND ENTWICKLUNGSBEGLEITUNG AM LEBENSANFANG
Was ist der wichtigste Rat für junge Eltern?
Welchen Einfluss hat die Art und Weise, wie ein Kind auf die Welt gekommen ist, auf das zukünftige Leben, ob über eine Spontangeburt oder ob die Geburt mit Schmerzmitteln durch PDA begleitet wird oder ob ein Kaiserschnitt vorgenommen wird?
Und wie beeinflusst die Art, wie die Geburt verläuft die Mutter-Kind-Beziehung und die weitere Entwicklung des Kindes?
Das Kind in Ehrfurcht empfangen
Mein erster und wichtigster Rat an junge Eltern ist, eine freudig-erwartungsvolle Beziehung zu dem neuen Erdenbürger zu pflegen – das Kind in Ehrfurcht zu empfangen. Es ist ein vollkommen fremder Mensch, der mit riesengroßem Vertrauen zu den Eltern kommt. Die Eltern sollten das Kind fragen:
Wodurch haben wir das verdient?
Sind wir mit unseren Schwächen der beste Start ins Leben für dich?
Es gibt ein Leitmotiv von Rudolf Steiner:
„Das Kind in Ehrfurcht empfangen, in Liebe erziehen und in Freiheit entlassen.“
Ein Kind ist niemals Besitz seiner Eltern. Diese müssen von Anfang an wissen, dass sie es eines Tages gehen lassen müssen, dass sie mit ihren Erwartungen nicht über seinen Weg bestimmen sollten – z.B. im Alter manches zurückzubekommen, also auf das eigene Wohl bedacht zu sein. Das ist eine Haltungsfrage. Deshalb würde ich das als Erstes ansprechen.
Da kommt ein fremder Mensch in bedingungsloser Liebe – sonst würde er nicht kommen, sonst könnte er das Vertrauen nicht aufbringen – und jetzt ist er gespannt, wie die Eltern darauf reagieren. Die Psychologie sagt heute übereinstimmend mit anderen Wissenschaften, dass eine sichere Bindung zu den Hauptbezugspersonen die allerwichtigste Voraussetzung für Gesundheit und Lebensfreude für die ganze Biografie ist.
Auf gute Bindung achten
Deshalb empfehle ich, dass das Kind in den ersten drei Jahren, in denen die Hauptentwicklung des Gehirns stattfindet und es noch völlig abhängig ist von der Führung durch die Umgebung, bei einem Elternteil zuhause bleiben darf und nicht an eine Einrichtung abgegeben werden muss. Wenn es andererseits nicht anders geht, als das Kind in eine Fremdbetreuung abzugeben, muss man sich so einfühlen in das Kind, dass man nie Ort und Person gleichzeitig wechselt, sondern ihm Zeit lässt, sich gut an die neue Situation zu gewöhnen. Für ein Kind bedeutet der Wechsel von dem vertrauten Ort und der Bezugsperson maximalen Stress durch kompletten Erinnerungsverlust. Es dauert mindestens eine Woche, bis ein Kind sich einigermaßen an eine völlig neue Umgebung angepasst hat.
Aus diesem Grund gibt in den Kinderkrippen die sogenannte Eingewöhnungszeit. Optimalerweise kommt die Erzieherin erstmal ins Elternhaus, sieht wie die Mutter das Kind pflegt, wie die Familie lebt. Sie versucht, etwas von der vertrauten Umgebung des Kindes in sich in Erinnerung zu behalten. In einem nächsten Schritt kommt die Mutter an den fremden Ort, die Krippe, mit und fungiert dort als sicherer Hafen für das Kind. Wenn es sich an den neuen Ort gewöhnt hat, während die Mutter es dort noch versorgte, übernimmt die neue Bezugsperson aus der Krippe schrittweise die Pflege. Wie lange diese Eingewöhnung dauert, ist von Kind zu Kind unterschiedlich. Das eine lässt sich erstaunlich schnell eingewöhnen, es strahlt Zufriedenheit aus und fühlt sich wohl in der Einrichtung. Ein anderes Kind braucht mehrere Wochen dafür. Das sollte individuell gehandhabt werden. In jedem Fall müssen Kinder eingewöhnt werden und dürfen nicht einfach nur abgegeben werden. Das ist eben auch eine Haltungsfrage.
Geburt als Schicksalsfrage
Wenn wir nun ganz an den Anfang zur Geburt gehen, ist es wichtig sich bewusst zu machen, dass Kinder früher oft an Komplikationen bei der Geburt gestorben sind. Heute dürfen wir sie trotz Komplikationen ins Leben begleiten. Wenn das gelingt, gehört das zum Schicksal des Kindes dazu. Da bahnt sich gleich zu Anfang eine Signatur an, die ausdrückt: Ich setze mich mit Widerständen auseinander, ich setze mich durch, auch wenn ich kein pflegeleichtes, spontan geborenes Kind bin. Das Spannende ist, dass diese Kinder oft sehr energische Typen sind, die gleich bei der Geburt zeigen, dass Hindernisse sie nicht von ihrem Weg abhalten.
Die Frage, ob Kaiserschnitt oder nicht, ist für die Eltern eine sehr sensible Frage. Denn was die Mutter fühlt und denkt, wirkt sich unmittelbar auf das Kind aus, ist für es genauso real, wie das, was sie tut. Was sich also für die Mutter und die Eltern gut anfühlt, fühlt sich auch für das Kind gut an. Wenn eine Mutter Angst hat, keine Schmerzen und kein Leid ertragen will, wird das Kind diese Ängstlichkeit miterleben. Sie wird von ihm nachgeahmt. Wohingegen, wenn eine Mutter sagt: „Liebes Kind, ich halte diese Schmerzen und diese Angst nicht ohne Hilfe aus, aber ich freue mich wahnsinnig auf dich!“, ist durch diese Haltung schon viel gewonnen. Wichtig ist, dass Eltern ehrlich reflektieren, welche Art Umgebung sie aufgrund der eigenen Gestimmtheit für das Kind abgeben.
Wenn sie das ernst nehmen, werden sie zu besseren Menschen, weil sie dann viel bewusster und kontrollierter leben. Wer ein Baby zu Hause hat, wird sich womöglich nicht so schnell besaufen. Das nur als ganz harmloses Beispiel. Wenn die geliebte Bezugsperson ihr Ich ausschaltet oder partiell nicht mehr ganz bei sich ist, ist das kein gutes Vorbild, entsteht dadurch keine gute Atmosphäre.
Wie ein Kleinkind wahrnimmt
Da das Gehirn noch im Aufbau ist und die Sinnesorgane noch unreif sind, können Kinder die physische Welt noch gar nicht rein über die Sinne wahrnehmen. Es dauert drei Monate, bis der Blick sich überhaupt auf einen Punkt fokussieren kann. Davor schwimmen die Augen und suchen im Umkreis der Eltern. Die Kinder sehen aber noch die Aura eines Menschen, wie sie es aus der spirituellen Welt, aus der sie kommen, gewöhnt sind. Insofern können sie den physischen Leib mit ihren Sinnen noch nicht als etwas Begrenztes sehen. Sie befinden sich noch im Übergang von der geistigen zur physischen Welt. Für sie sind wir geistige, von einer Aura umgebene Wesen. Sehr junge Kinder haben ihre basalen Sinne noch nicht ausgebildet und strampeln deshalb noch unkoordiniert, können auch noch nicht greifen.
Man muss sich in so ein neugeborenes Wesen wirklich hineinversetzen, um das zu verstehen: Einerseits erleben Neugeborene eine Bewusstseinsverdunkelung und andererseits erleben sie noch einen Nachklang von der Seelen- und Geisteshelligkeit, aus der sie kommen. Dieses geistige Licht suchen und finden sie optimalerweise in den Erwachsenen ihrer Umgebung wieder. Rudolf Steiner sagt, die Kinder kommen aus einer guten geistigen Welt und denken, auf der Erde geh es auch gut zu. Deswegen haben sie das Vertrauen, dass sie trotz ihrer Hilflosigkeit aufgefangen werden bei der Geburt.
In der Zeit der Nachahmung im ersten Jahrsiebt finden die sensorische Reifung und die Intelligenzentwicklung statt, in der das Intelligenz- und Willensfundament für die ganze Biografie gelegt wird. Nie mehr bewegt man sich so viel, wie in den ersten sieben Jahren, nie mehr wächst das Gehirn so stark wie in dieser Zeit. Deshalb ist jede Bewegung, die intelligent nachgeahmt wird, eine positive Reizstimulierung fürs Gehirn.
Schutz bieten vor zu vielen und den falschen Reizen
Es ist wichtig, sich als Eltern bewusst zu sein, dass man die Umgebung für das Kind darstellt, an der es sein Gehirn formt und seine Sinne schult. Man sollte im Umkreis des Kindes deshalb nicht zu viele sensorische und vor allem keine falschen Reize anbieten, möglichst nur Analoges, sollte das Kind nicht maschinellen Geräuschen aussetzen oder Medien, die ständig im Hintergrund laufen.
Als Kinderärztin hörte ich oft, wenn Eltern nachts den Notruf betätigten, sehr laut den Fernseher, das Radio oder einfach Musik laufen. Ich musste die Eltern bitten, leiser zu drehen, um sie überhaupt verstehen zu können. Was soll ein Kind mit solch einer Geräuschkulisse anfangen! Das ist eine Reizüberflutung, zumal es sich auch um keinen analogen Input handelt, der mit dem analogen Gehirn in konstruktive Resonanz gehen könnte. Das machen sich die meisten Menschen nicht klar, dass so etwas eine übergriffige technische Stimulation darstellt, da die Geräusche vom Kind nicht mit aktivem Lauschen und gerichteter Aufmerksamkeit selber ergriffen, sondern wie hineingerammt werden in seinen Organismus. Aktives Lauschen ist etwas völlig anderes. Wir konditionieren auf diese Weise die Gehirne der kleinen Kinder darauf zu reagieren, zu nehmen, was kommt, aber nicht auf Eigenaktivität, Initiative, Selbstentdeckung, Suchen. Das ist das Gegenteil von Autonomietraining.
Vgl. Podcast „Im Gespräch mit Dr. Michaela Glöckler: Vatersein, Haltung moderner Eltern, Ideale und Kompromisse“, März 2024
VERANTWORTUNG DER ELTERN
Welche Verantwortung trägt man als Eltern in allen Bereichen wie Schulbildung, soziales Miteinander, Ernährung, aber auch bei der Gabe von Vitamin K gleich nach der Geburt und in Bezug auf Impfungen?
Warum sieht es so aus, als würde diese Verantwortung den Eltern zunehmend abgenommen? Will man es ihnen von Staats wegen leichter machen oder dadurch mehr Kontrolle darüber haben?
Selbstverständliches hinterfragen
· Zum Thema Vitamin K
Nur ein winziger Bruchteil an Kindern ist blutungsgefährdet. Für diejenigen, die es betrifft, ist eine Gehirnblutung selbstverständlich hochdramatisch. Deswegen werden jetzt Hunderttausende von Babys mit etwas behandelt, das die Blutgerinnung fördert und strukturiert.
Als Anthroposophische Mediziner haben wir uns die Forschungsfrage gestellt, was wir da eigentlich tun. Wir machen die Vit. K-Prophylaxe zwar mit, hinterfragen uns aber gleichzeitig. Das Vit. K wurde erst im 20. Jdt. entdeckt – vorher lebte die gesamte Menschheit ohne. Wir sollten uns wach damit beschäftigen, welche Vorteile und Nachteile es diesbezüglich gibt.
· Zum Thema Impfungen
Es lohnt sich für interessierte Eltern, das umfangreiche Kapitel zum Impfen in der Kindersprechstunde[1] zu lesen, die gerade wieder überarbeitet wird. Wir wollten, dass Eltern sich gründlich über ihre eigene Verantwortung aufklären können, denn ohne Einwilligung der Eltern darf der Arzt nicht impfen. Die Eltern haben also die Verantwortung für diesen Schritt und leben mit den Konsequenzen, falls es Impfschäden gibt bzw. zu einer Erkrankung mit schwerem Verlauf kommt, nicht der Arzt. Das ist wie bei jeder OP, wo der Patient dem Arzt einen Freibrief unterschreiben muss, dass er um die Risiken weiß.
Ein Bereich, in dem wir nicht durchdringen bei der Pharmalobby, ist unsere Forderung nach Einzelimpfstoffen und nicht, dass man 5-6 Impfungen in eine Ampulle packt. Nirgendwo in der Natur gibt es das, dass ein Mensch sich an mehreren Krankheiten gleichzeitig ansteckt. Das ist eine unnatürliche Situation für den Körper, der er damit ausgesetzt wird. Diese Art zu impfen entspringt einer gewinnorientierten pharmazeutischen Haltung, die weder die Menschenwürde noch die Integrität eines so kleinen Geschöpfes respektiert.
In der Schweiz gab es bis vor Kurzem noch einen Einzelimpfstoff für Masern, der jetzt aber auch vom Markt genommen wird. Die Haltung, die da dahintersteckt, finde ich nicht konstruktiv. Da sind Gesellschaft, Pharmaindustrie und Gesundheitswesen komplett übergriffig. Deswegen empfehlen wir auch, den Zeitpunkt der Impfungen gut abzuwägen und diese erst durchzuführen, wenn das Kind das erste Lebensjahr vollendet hat und das Immunsystem soweit gereift ist, dass es mit dieser Bazillen-Überforderung besser umgehen kann.
Vgl. Podcast „Im Gespräch mit Dr. Michaela Glöckler: Vatersein, Haltung moderner Eltern, Ideale und Kompromisse“, März 2024
[1] Michaela Glöckler, Wolfgang Goebel & Karin Michael, Kindersprechstunde, Stuttgart 2021.
ZEITGEISTIGE HERAUSFORDERUNGEN FÜR ELTERN
Wie ist der Trend zu bewerten, „white noises“ zur Beruhigung des Kindes einzusetzen, um die Haushaltsgeräusche, die das Kind bereits im Bauch mitbekommen hat, zu nützen?
Kindgemäße Beurteilung von Trends
In dem Moment, in dem man die Aufmerksamkeit des Kindes bindet, hat es keine Wahrnehmung mehr für seine Quellen des Unwohlseins. Das ist manchmal notwendig und angebracht. Mit dem Schnuller z.B. richtet man die Aufmerksamkeit des Kindes auf das Saugen. Das Gleiche versucht man jetzt über andere Sinne, um Wohlfühlen zu stimulieren. Diese Idee kann ich gut nachvollziehen. Das Instrument halte ich jedoch für nicht alters- und entwicklungsgerecht.
Das Kind ist ein analoges Wesen, weshalb die Stimulation nicht technikbasiert sein sollte, sondern aus der analogen Umwelt kommen sollte. Deshalb hat man früher – und das kann man heute wieder lernen – Wiegenlieder gesungen, gesummt oder Leier gespielt, bis das Kind eingeschlafen ist. Beim Sprechen und Singen erlebt das Kind wirklich Gefühle wie im Mutterleib, weil es über die fortlaufenden Vibrationen den vertrauten Sprachklang der Bezugsperson hört. Sprache lässt sich ja bis in den Blutfluss messen. Daran ist das Kind aus der Schwangerschaft gewöhnt, das beruhigt es.
Zeit füreinander nehmen
Ein weiterer Aspekt ist: Zeit füreinander zu haben. Das ist nicht nur für die Partnerschaft wichtig im Hinblick auf eine längere Beziehung, sondern ist vor allem auch für die ersten paar Jahre mit dem Kind wichtig. Es geht nicht darum, dass man den Dauerbetreuer abgibt, ganz im Gegenteil: Man muss vielmehr ein gesundes Gespür dafür entwickelt, wann das Kind Nähe braucht, um soziale Anwesenheit zu „trinken“ wie die Muttermilch, und wann es selbstzufrieden ganz für sich ist und übt, zunehmend für sich zu sein. Das wird meist völlig falsch gehandhabt. Auf der einen Seite Overprotection, Bespaßung und der Trend, das Kind überallhin mitzunehmen, und auf der anderen Seite eine Art Vernachlässigung aus Mangel an Präsenz und angemessener Zuwendung. Das sind jetzt die Extreme.
Man muss als Eltern erspüren lernen, was jedes Kind individuell braucht. Manche Kinder wollen einfach nicht bespaßt werden, sondern sich lieber in aller Ruhe dem widmen, was gerade wahrzunehmen ist – in ihnen und um sie herum. So nehmen sie die Geräusche der Umgebung wahr, sei es den Verkehrslärm in der Stadt, das Vogelgezwitscher, wenn man ländlich wohnt, oder die Gespräche und Küchengeräusche. Sie lauschen von sich aus den Geräuschen des Lebens, das ist stimmig und sinnvoll.
Vgl. Podcast „Im Gespräch mit Dr. Michaela Glöckler: Vatersein, Haltung moderner Eltern, Ideale und Kompromisse“, März 2024
ZWISCHEN SCHUTZBEDÜRFNIS UND SCHICKSALSVERTRAUEN
Wie können Eltern einen Schutzraum für das Kind und seine Entwicklung bilden?
Wie können sie traumatisierende Erfahrungen heilend begleiten?
Vertrauen in das Schicksal des Kindes haben
Wenn aus Schicksalsgründen bestimmte Ereignisse und Unfälle passieren müssen, können Eltern weder davon wissen noch es verhindern. Die Zukunft kommt dem Menschen wie entgegen und das Kind träumt sich in sie hinein, weiß auch noch nichts von, was kommt. Deshalb halte ich es für das Allerwichtigste, das Urvertrauen, das das Kind uns entgegenbringt, mit dem Schicksalsvertrauen in den Schutzengel dieses Kindes zu erwidern. Eltern sollten sich jeden Anflug von Angst und Sorge verbieten. Denn jedes Kind hat sein Schicksal, das kann von niemandem geändert werden, auch wenn man das noch so sehr möchte. Das Schicksal ist im Grunde das Heiligtum jeder Biografie.
Das geht soweit, dass wir uns klarmachen müssen, dass wir unsere Individualität, unser Ich, unser Sosein, unserem Schicksal verdanken und nicht den Genen und den Milieueinflüssen. Das weiß man spätestens seit den 90er Jahren. Mir hat ein Buch von Robert Plomin und Judy Dunn die Augen dafür geöffnet.[1] Ich hatte in meinem Studium noch gelernt, dass wir uns selbst zur Hälfte den Genen und zur Hälfte dem Milieu, in dem wir aufwachsen, verdanken. Die beiden Autoren erkannten, dass das nicht stimmt, da Geschwister, die ja dasselbe Erbgut und Milieu teilen, sogar eineiige Zwillinge sich sehr unterschiedlich entwickeln aufgrund ihres Schicksalsweges.
Die Epigenetik hat uns gezeigt, dass sich das Erbgut verändern kann. So weiß man, dass Fieber immunstimulierend wirkt und dass das Immunsystem das Erbgut verändern kann – positiv oder negativ, je nachdem wie der kindliche Organismus damit umgehen kann.
Respekt und Interesse gegenüber dem Schicksal des Kindes
An solchen Punkten erkennt man, dass das Schicksal ein Heiligtum ist. Es ist eine Haltungsfrage zu fragen:
Wie werde ich ein guter Schicksalsbegleiter und werde nicht übergriffig, sondern habe Respekt vor dem Schicksalsweg meines Kindes?
Dazu ein persönliches Beispiel: Im Jugendalter hatte ich einen ziemlichen Durchhänger, weil ich glaubte, dass aus mir nichts werde. Dann fragte ich meinen Vater, was er von mir erwartete und er antwortete: Nichts. Dann muss er mein erschrecktes Gesicht gesehen haben und ergänzte: „Aber ich bin gespannt, was mal aus dir wird.“ Über diese Worte erlebte ich die Haltung des In-Freiheit-Entlassen-Werdens nach der Pubertät. Der Erwachsene muss in dieser Phase den Übergang schaffen und seine Vorschläge und Ratschläge zurückhalten. Auf Fragen sollte ehrlich geantwortet werden, aber Eltern sollten nicht ungefragt ständig in das Schicksal ihres Kindes hineinfunken, auch nicht in bester Absicht.
Konstruktiver Umgang mit negativen Erfahrungen
Ein Gedanke noch zum Umgang mit negativen Erfahrungen: Aus der Trauma-Forschung weiß man, dass traumatischen Erfahrungen so schnell wie möglich positive Erfahrungen an die Seite gestellt werden sollten. Deshalb sind Trauma-Teams in allen Kriegs- und Krisengebieten unterwegs, um traumatisierten Kindern positive Erlebnisse anzubieten, vor allem durch künstlerisches kreatives Tun in einem spielerischen Kontext. Durch kreative Eigenaktivität lernt das Gehirn das Negative zu kompensieren.
Jeder von uns muss im Leben schlimme und gute Erlebnisse verdauen. Wer ohne Frustrationstoleranz und ohne Kompensationsmöglichkeiten aufwächst, weil alles Schlechte von ihm ferngehalten wird, wird nicht gut begleitet. Das bedeutet aber nicht, dass wir künstliche Stressoren setzen sollten – das wäre genau das Falsche. Aber wenn das Schicksal etwas Traumatisches vorgesehen hat und das Kind es erlebt, ist das Schicksal.
Das Wichtigste ist hier die Haltung des Schicksalsbegleiters, der Vertrauen in das Schicksal des Kindes hat, das sich das offensichtlich so kompliziert ausgesucht hat. Ich kann nur versuchen, den Schaden zu minimieren, aber aus einer vertrauensvollen, das Schicksal bejahenden Haltung heraus. Und nicht aus einer ängstlichen Attitüde, damit das Kind nicht die Ängstlichkeit nachahmt, sondern vielmehr das Schicksalsvertrauen.
Urvertrauen und Schicksalsvertrauen
Der Begriff Urvertrauen kommt aus der Psychologie und bezeichnet das Vertrauen, das Kinder brauchen und nur entwickeln können, wenn sie sich in einer sicheren menschlichen Beziehung beheimaten. Ohne das entsteht kein Urvertrauen. Es entwickeln zu können, bringen Kinder als Begabung mit, aber sie können es nur, wenn die Bedingungen stimmen. Die muss man als Erwachsene schaffen.
Schicksalsvertrauen muss man sich als Erwachsener selbst erarbeiten. Die meisten Menschen haben vor ihrem eigenen Schicksal Angst und noch mehr vor dem ihres Kindes, weil sie mit sich und ihrem Leben nicht im Reinen sind. Deshalb ist ihr Fokus auf das gerichtet, was alles passieren könnte. Ich übertreibe jetzt bewusst. Man projiziert die eigene Schicksalsängstlichkeit ins Kind und an dieser Stelle wird es einem möglicherweise bewusst. Deshalb braucht es auch hier die Fähigkeit zur Selbstreflexion, um das Verhältnis zum eigenen Schicksal zu klären, z.B. über Biografiearbeit.
Allem voran wäre es wichtig, das Schicksal aus dem Zufallsgefängnis zu befreien. In der Wissenschaft wird anstelle der Individualität der Faktor X gesetzt und anstelle des Schicksals der Zufall, weil Geistiges ja nicht existiert: Wir kommen aus dem Urknall und enden im Wärmetod – einfacher kann man ein Weltbild nicht stricken! Ich wundere mich immer, dass so etwas anerkannt wird. Das ist alles nicht bewiesen, sind Projektionen von irgendwelchen Experimenten, haben aber null Bezug zur Realität und zum realen Entwicklungsgeschehen dieser Schöpfung, in der wir leben. Aber man darf natürlich so denken! Ich bin auf dem Gebiet für Freiheit und freue mich über jeden Materialisten, der sich die Erzählung so strickt, wie es seiner Gesinnung entspricht.
Meine Erzählung ist eine andere. Ich finde es wichtig eine spirituelle Blickrichtung zu haben. Ich sehe den Durchgang durch die Materie auf der Erde als einen Weg zur Entwicklung von Freiheit, Liebe und Autonomie – und zur Entwicklung von Bewusstsein, wer ich als Mensch überhaupt bin. Wir müssen unsere eigene Identität doch erst bestimmen lernen. Wenn man das ein wenig überschaut, entwickelt man Vertrauen in das eigene Schicksal. Dann hat man auch die freudige, erwartungsvolle und auch durchaus schützende Haltung, da wo man es vermag, in das Schicksal des Kindes.
Vergangenes und zukünftiges Schicksal
Das sogenannte Schicksal ist in manchen Situationen tatsächlich zwingend. Z.B. befindet sich der Mensch von der Empfängnis an in einer bestimmten Lebenssituation und kann nicht daraus ausbrechen. Er kann ja nicht in einen anderen Mutterleib wechseln. In dieser Situation hat man keine Entscheidungskompetenz. Kurz gesagt: Das Schicksal aus der Vergangenheit gibt uns die Bedingungen für unser Dasein vor. Wie ich aber damit umgehe in der Gegenwart und im Hinblick auf die Zukunft, wird nicht vom Schicksal bestimmt. Wer das nicht merkt, macht sich zum Opfer seiner Vergangenheit und gibt damit seine Zukunft schaffende Freiheit und damit auch sich selber auf.
Goethe hat das sehr gut erkannt, da es im „Faust“ immer darum geht, wie man den Augenblick lebt: Bin ich ganz gegenwärtig, bin ich mein Schicksalsgestalter. Deswegen haben wir Menschen Ideale, durch die wir Zukunft antizipieren. Aus diesen Idealen, wie man werden will, was man tun, was man der Welt geben, was man den Kindern und der Frau geben will – das ist alles Zukunftsmusik. In der Gegenwart brauche ich aber diese wunderschöne Zukunftsmusik, um den Augenblick konstruktiv verarbeiten zu können im Hinblick auf diese Zukunft. Mein Startkapital dabei ist jedoch meine Vergangenheit.
Vgl. Podcast „Im Gespräch mit Dr. Michaela Glöckler: Vatersein, Haltung moderner Eltern, Ideale und Kompromisse“, März 2024
[1] Judy Dunn, Robert Plomin, Warum Geschwister so verschieden sind, Stuttgart 1996.
FÜHRUNGSEIGENSCHAFTEN VON ELTERN
Inwiefern brauchen Eltern Führungseigenschaften?
Ist Führung im Rahmen des Familienlebens überhaupt nötig?
Entwicklungsvorsprung zum Wohle des Kindes nützen
In der Familie ist die Führungsfrage ständig Thema, auch wenn viele Eltern ihre Überlegenheit dem Kind gegenüber nicht (mehr) leben wollen. Sie sehen sich von vornherein als Partner und stellen sich mit dem Kind auf eine Stufe, wollen es freilassen und nehmen deshalb ihren naturgegebenen Vorsprung nicht wahr, den sie durch das höhere Alter, die damit verbundene Lebenserfahrung und die intellektuelle und gefühlsmäßige Reife besitzen. Damit verhindern sie aber, dass ihre Kinder den in ihrer Elternfunktion gegebenen notwendigen hierarchischen Aspekt erleben. Als Eltern verabsäumen sie, ihren Kindern gute Vorbilder zu sein im Hinblick auf konstruktive Führungsqualitäten. „Mutter“ und „Vater“, „Mami“ und „Papi“ werden zu „Heike“ und „Ralf“.
In der Erziehung kommt es sehr wohl auch darauf an, sich menschlich auf eine Ebene mit den Heranwachsenden zu stellen. Trotzdem sollten Eltern und Erzieher aber den Vorrang, den sie durch ihre bereits erworbenen Fähigkeiten haben, zum Wohl des Kindes nützen. Es führt früher oder später zu Konflikten, wenn Kinder nicht lernen, dass es neben der notwendigen Gleichstellung auf der menschlichen Ebene auch noch eine Hierarchie der Fähigkeiten gibt. Wenn ich etwas nicht kann, bin ich auf der Ebene nicht gleichberechtigt. Der Fähigere muss dann die Sachentscheidung treffen.
Fehlende Grundlage für Konfliktfähigkeit
Dass Kinder diese sachdienliche Führungsqualität erleben und verstehen bzw. beurteilen lernen, ist die entscheidende Grundlage dafür, dass sie selbst konstruktive Führungsqualitäten und zugleich auch Konfliktfähigkeit entwickeln. Denn ein Kind, das diese Qualitäten nicht wahrnehmen kann, weil seine Eltern alles ablehnen, was nur von weitem nach Autorität, Führung oder Macht aussieht, kann sie auch nicht nachahmen. Diese Kinder ahmen dann einen Erwachsenen nach, der im Umgang mit ihnen „nicht weiß, was er will“, sondern sie fragt. Natürlich ist es wichtig, dass Wünsche des Kindes, wenn nur irgend möglich, Berücksichtigung finden sollten, aber nicht in existentiellen und pflegerischen Belangen, zu denen z.B. auch die Ernährung und dem Wetter gemäße Kleidung gehören.
Denn ein Kind erwirbt Sicherheit und Vertrauen, wenn die Erwachsenen den Tagesablauf bestimmen, wenn es feste Essens-, Schlafens-, Spiel- und Ruhegewohnheiten gibt und auch die Ernährung auf dem basiert, was der Erwachsene als gesund und richtig ansieht. Bieten Eltern diesen Rahmen nicht, in dem das Kind gute Gewohnheiten ausbilden kann, kommt es beim Kind zu einer fundamentalen Verunsicherung, die verhindert, dass es Selbstsicherheit und ein gutes Selbstbewusstsein entwickelt. Diese Kinder eignen sich meist problematische Verhaltensweisen an – z.B. aufgrund der Erfahrung, dass sie, wenn sie nur laut genug schreien, alles bekommen, was sie wollen.
Gerade diese Haltung führt im späteren Leben dazu, dass Konflikte geschürt statt entschärft werden, weil die nötige Besonnenheit und Objektivität im Urteil fehlen. Viele Erwachsene verwechseln lautstarkes Äußern der eigenen Wünsche mit einem gesunden Selbstbewusstsein. In Wirklichkeit ist ein solches Verhalten Ausdruck von Frustration und einem eher schwachen Selbstbewusstsein. Wer nie gelernt hat, sich an Maßstäben zu orientieren und Grenzen zu respektieren, hatte auch nicht die Möglichkeit, dadurch Stärke zu entwickeln. Die Betreffenden verfügen auch im späteren Leben nicht über diese Fähigkeiten und werden infolgedessen auf Grenzen, Probleme oder Konflikte anspruchsvoll, unzufrieden und streitlustig reagieren.
Eltern, die sich als selbstverständliche Sachautorität und als wirklich „Erwachsene“ im Umgang mit den Tagesangelegenheiten zeigen, bieten ihren Kindern das nötige Vorbild und die entscheidende Hilfestellung für den Erwerb von Führungseigenschaften.
Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 10. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997
DIE AUFGABE DER ELTERN NACH DER PUBERTÄT
Welche Rolle spielen die Eltern nach der Pubertät?
Offen sein für Gespräche
Nach der Pubertät verändert sich die Beziehung des Jugendlichen zu seinen Eltern. Mit der spezifisch väterlichen und mütterlichen Rollenverteilung ist es vorbei. Die Jugendlichen brauchen zwar immer noch Geborgenheit, Nahrung und ein einigermaßen harmonisches Familienklima, aber sie sind nicht mehr so abhängig davon im Hinblick auf die eigene Entwicklung. Sie erwarten auch nicht mehr so viel von den Eltern, deren Grenzen und Schwächen sie so nach und nach kennengelernt haben. Der Jugendliche erwartet nun mehr von sich selbst, von Freunden, von Lehrern, folgt eigenen Zielen und Vorbildern. Natürlich braucht er auch noch in gewissem Ausmaß Hilfe und Führung, aber er ist zunehmend in der Lage, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.
Vater und Mutter haben nun dieselbe Aufgabe: Gesprächspartner zu sein, wenn Fragen aufkommen – auch dann, wenn die Jugendlichen sie nicht recht formulieren können. Eine große Bereicherung und Hilfe ist es, wenn sie bei wichtigen Gesprächen unter Erwachsenen zugegen sein und zuhören dürfen. Wenn sie erleben, dass die Erwachsenen auch nicht so leicht mit Problemen fertig werden, dass die Eltern auch Fragen haben und um Antworten ringen. Entscheidend ist, dass der Jugendliche erlebt, dass sich seine Eltern gegenseitig ernst nehmen, einander zuhören und auch ihm gegenüber eine offene und fragende Haltung einnehmen.
Entschiedenheit und Interesse zeigen
In dieser nachpubertären Zeit wird die soziale Grundeinstellung und damit einhergehend ein feines moralisches Empfinden für menschliche Beziehungen ausgebildet. Jugendliche bekommen sehr genau mit, was sich zwischen Mutter und Vater, aber auch überhaupt zwischen Erwachsenen abspielt.
Es ist wichtig für die Jugendlichen zu erleben, dass Eltern trotz offener Fragen im Leben ihre Orientierung gefunden haben und wissen, was sie wollen und was sie für richtig halten – und dass sie auch darüber sprechen. Erleben Jugendliche auf der einen Seite Entschiedenheit und auf der anderen Seite Offenheit für andere Entscheidungen und Ansichten, fühlen sie sich ernst genommen und unterstützt. Durch Gespräche, in denen es nicht darum geht, recht zu haben oder recht zu behalten, sondern in denen Themen gemeinsam bewegt und mit Interesse verfolgt werden, erwirbt der Jugendliche geistige Selbständigkeit.
Jugendliche sehnen sich nach der Pubertät danach, ihre Eltern auch als Menschen kennenzulernen. Ebenso wie sie auf der Suche nach sich selbst sind, sind sie auch auf der Suche nach der eigentlichen Persönlichkeit ihrer Eltern. Deshalb ist es wichtig, dass sie die Meinung der Eltern zu hören bekommen, ohne dem Zwang ausgesetzt zu sein, sich dieser Meinung anschließen zu müssen. Sie halten der Ansicht der Eltern gern ihre eigene entgegen – im Sinne des gegenseitigen Kennenlernens. Entsteht daraus ein Meinungsstreit, ist der Jugendliche enttäuscht und zieht früher oder später die Konsequenz, dass man „mit den Alten nicht vernünftig reden kann“. Lernen Eltern und Jugendliche sich bei diesem Meinungsaustausch gegenseitig besser kennen und anerkennen, so sind die „Alten schwer in Ordnung“.
Vgl. Kapitel „Der Vater in der Erziehung“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart
GEISTIGE ENTWICKLUNG DES JUGENDLICHEN UNTERSTÜTZEN
Wie können Eltern die geistige Entwicklung ihrer Kinder unterstützen?
Raum für eigenständige Entwicklung geben
Im geistigen Bereich können Eltern nur heilsam wirken, indem sie nach der Pubertät freien Raum geben für die eigenständige Entwicklung geistiger Fähigkeiten des Jugendlichen, indem sie für Gespräche zur Verfügung stehen, ohne indoktrinierend oder manipulierend in seine Freiheit einzugreifen. Der Geist des Menschen wird auf gesunde Weise gefördert, wenn man ihm Fragen stellt und ihn so zur Eigentätigkeit aufruft – was mit jeder Frage geschieht. Mutter und Vater müssen zum fragenden Gesprächspartner werden.
Wenn dann die Kinder eigene Wege zu gehen beginnen, müssen die Eltern weitere geistige Eigenschaften beweisen, die in dieser Phase nötig sind: Vertrauen und Treue. Sie müssen vermitteln: „Was auch geschieht, du kannst immer zu mir kommen.“ Das ist eine geistige Kraft, eine Beständigkeit, bei der Sympathie und Antipathie zu schweigen haben, bei der es um eine ganz andere innere Dimension des Durchhaltens geht.
Besonders in dieser Phase des Miteinanders sind wir aufgerufen, ein Bewusstsein für die Dimension der Autonomie, Authentizität und Freiheit des anderen zu entwickeln. Auch wenn der Weg oder das Verhalten des Jugendlichen uns Sorgen machen oder sogar Schmerzen bereiten, ist es doch wertvoll und wichtig, ihn in seinen Intentionen zu unterstützen und ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu entwickeln. Aus dem Ringen darum ihm zu helfen, er selbst zu werden und sein Leben führen zu lernen, kann eine tiefe Freude und Nähe erwachsen.
Wir leben in einer Zeit, in der man bereits deutlich sehen kann, was geschehen wird, wenn Mütter und Väter sich dieser Verantwortung, für die Gesundheit ihres Kindes zu sorgen, nicht bewusst sind. Wir sind zunehmend mit der Suchtproblematik konfrontiert. Den Prognosen nach soll der Konsum von Drogen über die Jahre noch zunehmen. Die Hauptursachen für das Suchtverhalten in unserer Zeit, wie sie sich aus Gesprächen mit Betroffenen für uns herauskristallisierten, sind allem voran fehlende Geborgenheit und Akzeptanz. Viele Süchtige erzählen, sie hätten kein richtiges Zuhause gehabt.
Geborgen in der geistigen Heimat
Das richtige Zuhause für Erwachsene und Kinder ist das Geborgen-Sein in einer geistigen Heimat, die einem nicht verloren gehen kann. Nur diese religiöse Grundstimmung, dieses selbst errungene Existenzvertrauen, kann die Geborgenheit geben, die der Mensch braucht, um später einen starken, sicheren, inneren Existenzbezug zu haben. Es geht eben nicht nur darum, in den Arm genommen zu werden.
Eine weitere Ursache für Suchtverhalten ist der Mangel an Liebe, der besonders in der Schulzeit erlebt wird, wenn das bewusste Leben beginnt. All das Unkünstlerische, das Lieblose, das Unmenschliche, alles, was von der Abwesenheit des Menschlichen zeugt, lässt in den Kindern eine innere Leere entstehen und die Sehnsucht nach einer innigen Verbindung mit der Welt, die sie dann mithilfe von Drogen zu erfüllen suchen.
Oft treten auch bohrende Zweifel im dritten Jahrsiebt auf, aber auch Fragen, wie es im späteren Leben ständig geschieht, auf die wir keine Antwort wissen. Nur wenn in der Gefühls- und Willensschicht ein tragender, liebevoller, hoffnungsreicher Grund gelegt wurde, hält man die quälenden Zweifel, diese Erkenntnisschmerzen aus. Viele greifen, um diese Qual zu betäuben, eben auch zur Droge.
Die heutigen Zivilisationserscheinungen machen Müttern und Vätern, uns Pädagogen, uns Ärzten und Therapeuten, die wir „um das werdende Menschentum herum“ sind, deutlich, dass wir einen ungeheuer bedeutsamen Auftrag zu erfüllen haben. Dieser Auftrag kommt nicht von uns – er wird uns von den Kindern gegeben.
Auf sie zu hören und das ernst zu nehmen, was die Kinder uns durch ihr ganzes Verhalten nahebringen, ist eine der wichtigsten Aufgaben auf dem therapeutischen Schulungsweg der Eltern. Wenn wir ihn ernst nehmen und bereit sind, von den Kindern zu lernen und auch selbst wieder wie die Kinder zu werden, indem wir in einem höheren Sinn neu denken, sprechen und handeln lernen, dann lernen wir auch, Repräsentanten und Helfer des großen Weltenheilands zu werden, den die Kinder ja suchen, wenn sie in dieses Leben kommen und durch den sie erst die Möglichkeit bekommen, Angehörige einer zukunftsfähigen Menschheit zu werden.
Vgl. Vortrag „Der therapeutisch-heilende Auftrag der Mutter“, Dornach, 16. und 17.05.1992