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Trauma – Ursachen und Behandlung

Aus Geistesforschung
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Trauma – Ursachen und Behandlung – von Michaela Glöckler

Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/

QUELLE EINES WÜRDIGEN UMGANGS MITEINANDER

Woher wissen wir, wie es sich anfühlt, würdevoll behandelt zu werden?

Woher stammt dieses uns eigeborene Wissen?

Jedes Trauma verletzt den Menschen nicht nur physisch-seelisch, sondern auch in seiner Menschenwürde. Deshalb möchte ich zuerst unser aller Bezug und Sinn für Würde näher beleuchten.

Würde als Urprinzip menschlicher Erfahrung

Würde hat ganz grundsätzlich mit Respekt vor der Freiheit und Autonomie des Anderen zu tun, mit der Wahrung seiner Grenzen und Freiräume. Gerald Hüther beschreibt in seinem Buch über die Würde,[1] dass jeder Mensch, egal, woher er stammt, wo er lebt oder aus welcher spirituellen oder materialistischen Orientierung er kommt, durch das, was er als Embryo im Mutterleib als Grundgeste erlebte, einen Sinn für Würde entwickelt hat. Aus diesem Erleben von Gewürdigt-worden-Sein entspringt unser aller tiefinneres „Wissen“, was wohltuend und wahrhaft gesund ist. Das christliche Konzept menschlicher Würde basiert auf den drei Idealen von Freiheit, Wahrheit und Liebe als urmenschlichen Gesundheitsquellen. Im Laufe des Lebens, manchmal sogar schon im Verlauf von Schwangerschaft und Geburt, wird dieses ursprüngliche Empfinden bei vielen Menschen mehr oder weniger zugeschüttet und überdeckt und kann dann oft erst mit therapeutischer Unterstützung wieder freigelegt werden.

Aus der Embryologie, aber auch aus der Biologie wissen wir heute, dass die Embryonal­entwicklung mit der Bildung von inneren und äußeren Sinnesorganen einhergeht, die in einem fein abgestimmten Zusammenspiel miteinander kommunizieren. Alle lebenden Systeme, alle Zellen, alle Organe, Organsysteme sind in Resonanz miteinander, der ganze Körper ist resonanzfähig. Wenn man sich den kleinen Finger verletzt hat, nimmt der ganze Körper das wahr und stellt sich darauf ein, versucht das verletzte Organ zu schonen bzw. die Funktion zu ersetzen und passt die Bewegungsabläufe entsprechend an. Das ist nicht nur bei Verletzungen so, das betrifft alle Lebensbereiche: Der ganze Körper muss z.B. auch an allem Anteil nehmen, was wir an Nahrung zu uns nehmen und reagiert entsprechend darauf. Denn in einem lebendigen Organismus hängt alles mit allem zusammen.

Neurobiologische Grundlage der Würde

Rudolf Steiner sagt, dass ein kleines Kind ganz Sinnesorgan sei, dass sein gesamter Körper diverse Sinneseindrücke aufnimmt. Das ist schon beim Embryo im Mutterleib so, wo der Körper des Kindes unglaublich offen und in Resonanz mit der mütterlichen Umgebung ist. Diese Resonanzfähigkeit beschränkt sich nicht nur auf die bekannten äußeren Sinnesorgane, sondern erstreckt sich auf die gesamten Organ- und Zelloberflächen, die alle sensitiv und wahrnehmend sind für das, was in der Nachbarschaft geschieht.

Was ist nun die wichtigste Erfahrung, die der Embryo im Mutterleib macht?

Dass er in jedem Augenblick bekommt, was er braucht. Ihm wird seitens des mütterlichen Organismus reine Güte, reine Hingabe zuteil, pure Selbstlosigkeit. Der mütterliche Uterus ist für ihn der Lebensraum, während die Plazenta das Ernährungsorgan ist, durch die das werdende Menschenkind alles erhält, was es für seine Entwicklung braucht. Wenn man versucht, sich dieses hoch komplexe Geschehen im Detail klarzumachen, steht man vor einem unvorstellbaren Wunder.

Gerald Hüter baut auf diese geheimnisvollen intrauterinen Vorgänge seinen Würdebegriff auf. Sie sind für ihn die neurobiologische Grundlage der Würde. Jeder Mensch hat dieses würdevolle, perfekt auf ihn abgestimmte Versorgt-Werden neun Monate lang erlebt, dieses Erleben hat sich seinem Organismus als Urerfahrung tief eingeprägt. Umgekehrt lässt uns diese Erfahrung auch deutlich erkennen, wenn uns etwas Unwürdiges widerfährt, das gegen das Leben, unsere Grenzen und unsere Individualität gerichtet ist.

Deshalb kommt es in der Trauma-Therapie darauf an, einen bewussten Schulungsweg einzuschlagen, der an dieses Urerlebnis des Guten anschließt. Das Erleben des Bösen ist nicht nur destruktiv für Leib und Seele, es weckt auch den Sinn für das Gute. Diesen Sinn gilt es systematisch zu pflegen und zur Entwicklung zu bringen. Im 1. und 5. Kapitel des Buches von Rudolf Steiner „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“[2] wird ein solcher möglicher Weg aufgezeigt.

Vgl. Vortrag zum Chirophonetik-Treffen in Erlangen, März 2019


[1] Gerald Hüther, „Würde: Was uns stark macht - als Einzelne und als Gesellschaft“.

[2] Rudolf Steiner, „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“, GA 10.

URSACHE UND HEILUNG VON TRAUMATA

Weshalb sind heute so viele Menschen traumatisiert?

Worin ist die Ursache zu finden?

Was kann ihnen zur Heilung verhelfen?

Resilienz schaffende Pädagogik

Rudolf Steiner sprach bereits zu seinen Lebzeiten davon, wie nährend und Resilienz schaffend es wäre, wenn die das Kind umgebenden Menschen – ALLE, nicht nur die Eltern – ihm nach der Geburt mit der gleichen selbstlosen Hingabe begegnen und ihm jeweils (nur das) zukommen lassen würden, was es in den jeweiligen Lebensabschnitten im Zuge seiner Entwicklung braucht. Auf diesem Prinzip eines altersgemäßen Lehrplans bauen auch die Waldorfpädagogik und der Waldorflehrplan auf. Im 1. Vortrag der Allgemeinen Menschenkunde[1] sagte Rudolf Steiner sinngemäß: Wir brauchen eine Erziehung, die nicht auf den Egoismus baut, bei der es um Altruismus in der Pädagogik, um selbstlose Hingabe der Pädagogen an den heranwachsenden Menschen geht, indem sie dem Kind nahebringen und zur Verfügung stellen, was es gerade nötig hat an Nahrung, Pflege, Raumgestaltung und Spielangeboten. Rudolf Steiner engagierte sich für eine am Kind orientierte Pädagogik, die jedem Kind mit der inneren Frage begegnet, was es an Talenten und Aufgabenstellungen mitbringt, und was der Pädagoge beitragen kann, damit es sich seinem Schicksal gemäß optimal weiterentwickeln kann.

Traumatisierende Gesellschaft

Eine solche Pädagogik passt sich dem Kind an und ist das Gegenteil von den übergriffigen Methoden und Ideen von Staat und Wirtschaft, die mit ihren Erziehungsplänen vorgeben, was die Kinder wissen müssen, welche Tests sie im Laufe von Schule, Ausbildung bzw. Studium zu bestehen haben, um der Norm zu entsprechen. Die Kinder und jungen Menschen werden von klein auf gnadenlos in eine von wirtschaftlichen Interessen gesteuerte Bildungswelt hineingezwungen, um als angepasster, gut lenkbarer Staatsbürger und Konsument ein Leben in gesellschaftlicher Konformität zu führen.

So gesehen bewirkt bereits das normale Schulsystem an sich eine seelische Traumatisierung bei allen, die es durchlaufen haben und weiterhin müssen. Das Schultrauma ist ein zentrales Trauma, das alle Menschen betrifft. Gerald Hüther drückt das expressis verbis in seinem Buch auch so aus,[2] er geht in einer Weise mit dem heutigen Bildungswesen ins Gericht, wie man sich das schon vor 40 Jahren gewünscht hätte.

Diese gesellschaftsbedingte Grundtraumatisierung wirkt sich bei vielen so aus, dass sie am Ideal der Menschlichkeit, der Ehrlichkeit, der echten Liebe und Freiheit zweifeln bis verzweifeln, weil sie denken, diese Qualitäten gäbe es sowieso nicht mehr, weil alle Welt korrupt, lieblos und respektlos miteinander umgeht, weil Mobbing in der Schule und Kämpfe am Arbeitsplatz zugenommen haben, aber auch Sexismus, Sadismus und all das Schreckliche, von dem die Medien ständig berichten.

Auch Morde, die Kinder sich im Fernsehen ansehen müssen, wirken traumatisierend. Wie viele Pornos sehen sie schon in jungen Jahren! Es ist entsetzlich, wie viele seelische Traumatisierungen über die Sinne von klein auf stattfinden! Wenn man bedenkt, was sich da alles an Negativ-Eindrücken auch über die digitalen Medien und aggressiven Computerspiele ablagert, bräuchten im Grunde heute alle Kinder eine heilende Erziehung: altersentsprechende Tätigkeiten und bewusste Beziehungspflege, um das, was sie tagsüber aufnehmen müssen, etwas kompensieren können.

Trauma durch Überwältigung und Abspaltung

Viele fragen sich:

Was veranlasst Menschen sich gegenseitig seelisch zu traumatisieren, indem sie so tun, als ob sie besser oder schöner etc. als andere wären?

Diese unmenschlichen Verhaltensweisen kommen laut Hüther von dem Bindungsverlust, der von Geburt an stattgefunden hat, sie sind unmittelbare Folge der traumatisierenden Erziehungs- und Begegnungsumstände, die den Menschen seit Generationen widerfahren.

Ein Trauma ist immer ein Erlebnis des Überwältigt-Werdens von einem fremden Willen, wobei der eigene Willen außer Kraft gesetzt wird. Ein Trauma-Patient ist in größeren oder kleineren Regionen seines Wesens betäubt, entfremdet, abgespalten von der Ganzheit seiner Identität, von seinem eigenen Wollen. Er hat erlebt: „Ich wurde nicht gewollt, man wollte mich auslöschen!“ Ein Trauma ist die Begegnung mit dem Nicht-gewollt-Werden, mit dem Gegenbild des guten Willens, mit dem zerstörenden Willen.

Heilender Umgang mit Traumata

Wann immer Trauma diagnostiziert oder therapeutisch bearbeitet wird mit Kunst- und Gesprächstherapie, über medikamentöse Interventionen oder weitere traumatherapeutische Angebote, sind wir konfrontiert mit der existentiellen Betroffenheit des Patienten, des Jugendlichen, des Kindes. In kaum einem anderen Bereich ist der Wille so stark betroffen wie in diesem: Auf der einen Seite die totale Ohnmacht beim Patienten angesichts des traumatischen Erlebnisses, auf der anderen Seite der Wille zu helfen beim Therapeuten und Pädagogen, der die Aufgabe hat, den Willen zur Gesundung bei den Betroffenen zu mobilisieren, indem er ihn mit seinem Helferwillen in eine optimale Synergie bringt.

Im therapeutisch-pädagogischen Prozess sind die folgenden drei Willensinstanzen unsere Partner:

  • Wir können mit dem Engel arbeiten, können versuchen die Engelperspektive einzunehmen, um mit dem Patienten zu erarbeiten, warum der Engel hier nicht helfen durfte. Die daraus erwachsende Einsicht kann sehr Trost spendend sein.
  • Wir können ein tieferes Verständnis für die biographische Signatur des Patienten entwickeln, der jetzt in einer Art Körpergefängnis Neurosen, Zwänge und/oder Psychosen erleidet oder die Folgen eines Traumas durchlebt.
  • Wir können den zum Selbstbewusstsein erwachenden Menschen empathisch begleiten auf seinem Heilungsweg und ihm dabei mithilfe unseres therapeutischen Instrumentariums zur Seite stehen.

Vgl. Vortrag zum Chirophonetik-Treffen in Erlangen, März 2019


[1] Rudolf Steiner, Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik, 1. Kapitel, GA 293.

[2] Gerald Hüther, Würde: Was uns stark macht - als Einzelne und als Gesellschaft.

THERAPEUTISCHE GRUNDPRINZIPIEN ZUM UMGANG MIT TRAUMATA

Welche therapeutischen Grundprinzipien müssen im Umgang mit traumatisierten Menschen beachtet werden?

Respekt vor der Individualität des Patienten

Patienten und Klienten sind aufgrund ihrer krankheitsbedingten Bedürftigkeit immer in der schwächeren Position – ein Umstand, dem man als Therapeut durch die innere Haltung entgegenwirken kann. Drei Gesten helfen uns, mit Patienten auf Augenhöhe umzugehen:

· Danken für das Vertrauen

Die erste Geste besteht darin, dafür zu danken, dass dieser Mensch mir das Vertrauen entgegenbringt, ich könnte ihm helfen. Dankbar zu sein für diesen großen Vertrauensbeweis.

· Interesse zeigen

Die zweite Geste zeigt sich durch bedingungsloses Interesse für den anderen und Offenheit für Inspiration in Bezug auf das, was er an Hilfestellung braucht. Entsprechend bereite ich mich vor.

· Sachlich-nüchterner Umgang

Die dritte Geste drückt sich durch einen möglichst ehrlichen, sachlichen, heilig-nüchternen Umgang mit dem Patienten oder Klienten aus. Solch ein sachorientierter freilassender Umgang ist eine Wohltat für jeden, der Hilfe braucht.

Diese Art der Vorbereitung eines Therapeuten ist eine wichtige Voraussetzung für eine gelingende therapeutische Intervention. In der Chirophonetik[1] arbeitet man nicht als Psychotherapeut, sondern als Körpertherapeut. Und trotzdem finden auch Gespräche statt. Bei tiefsitzenden Traumata ist möglicherweise die Zusammenarbeit mit anderen therapeutischen Disziplinen zu suchen, um gemeinsam auszuloten, auf welcher Ebene und durch welche therapeutischen Interventionen der Patient Zugang zu den eigenen Ressourcen bekommt.

Zugang zu eigenen Ressourcen finden helfen

Mit Trauma meinen wir ein Schockerlebnis, das sich so tief in den Körper eingeprägt hat, dass es zu einer Art pathologischer Organbildung in Form einer Abkapselung im Organismus kommt. Immer, wenn wieder eine ähnliche Situation auftritt, wird der Betroffene getriggert, bekommt Schweißausbrüche, Panik, Herzrasen, auch die erlebte Angst steigt wieder auf. Dadurch wird das Trauma nicht nur nochmals erlebt, sondern jeder neue Angstzustand führt auch zu einer Retraumatisierung. Indem die traumatische Urerfahrung wieder und wieder wachgerufen wird, geschieht eine Vertiefung des ursprünglichen Traumas.

Grundsätzlich muss man sagen: Ganz ausradieren lässt sich ein solches Trauma nicht, denn, was der Körper sich einmal als Erfahrung tief eingeprägt hat, kann man nicht ungeschehen machen. Es ist ja tatsächlich geschehen.

Die Betroffenen können sich aber zu dem Erlebten in ein immer souveränes Verhältnis setzen – zum einen durch Verständnisarbeit, aber auch durch neue Erfahrungen. Das ist ja das Großartige an der Körperarbeit, dass dem Körper durch reine Laut- und Bewegungsformen, die er wahrnimmt und aufnimmt – sei es durch Berührung seitens eines Therapeuten wie in der Chirophonetik oder durch (rhythmische) Massage, sei es als eigenes Tun wie in der Heileurythmie[2] und Sprachgestaltung[3] – kompensatorisch gesunde Erfahrungen geschenkt werden. Diese pflanzen dem Körper gleichsam neue Erinnerungen an heilende Impulse, Berührungen, Bewegungen und Empfindungen ein.

Deswegen wird in der Traumabehandlung auch immer mit Rhythmischer Massage[4], mit Bädern, mit Eurythmie, mit Rezitation, mit Sprachgestaltung guter Inhalte, mit Kunsttherapie, Musiktherapie, aber eben auch mit Chirophonetik gearbeitet, um dem Körper kontinuierlich neue gesunde, gute Einprägungen zu geben und so die oft verschütteten Gesundheitskompetenzen freizulegen und zu verstärken. Auf diesem Wege kann der traumatisierte Mensch lernen, mit seinen Verletzungen souveräner umzugehen. Auch lernt er im Zuge dessen die eigenen Zustände besser einzuschätzen. Er lernt zu spüren, dass er Angst hat – ohne dass die Angst ihn hat. Das macht einen Riesenunterschied.

Vgl. Vortrag zum Chirophonetik-Treffen in Erlangen, März 2019


[1] Chirophonetik ist eine anthroposophische Therapie und Sprachtherapie, bei der mit Sprache und Berührung behandelt wird. Sie wurde von dem Heilpädagogen und Sprachtherapeuten Dr. phil. Alfred Baur (1925 – 2008) in Zusammenarbeit mit seiner Frau Dr. med. Ilse Baur auf der Grundlage der anthroposophischen Menschenkunde und Medizin Rudolf Steiners entwickelt. (Gesehen am 17.03.2023: https://www.chirophonetik.de/chirophonetik-158.html)

[2] Heileurythmie ist eine Bewegungstherapie, die bereits seit 100 Jahren erfolgreich angewandt wird. Neben ihrer vielfältigen Indikation bei akuten, chronischen und degenerativen Erkrankungen wird Heileurythmie zur Prävention unter den Gesichtspunkten der Salutogenese sowie zur Prophylaxe und Nachsorge eingesetzt. (Gesehen am 17.03.2023: http://www.berufsverband-heileurythmie.de/CMS/?WAS_IST_HEILEURYTHMIE%3F)

[3] Sprachgestaltung ist ein künstlerisches Ausdrucksmittel zur Förderung der Sprache in Bereichen der Kunst, der Pädagogik und der Therapie. Sie wurde von Rudolf Steiner und seiner Frau Marie Steiner-von Sivers in den 1920er Jahren entwickelt. (Gesehen am 17.03.2023: https://de.wikipedia.org/wiki/Sprachgestaltung)

[4] Rhythmische Massage nach Dr. med. Ita Wegeman und M. Hauschka ist eine Erweiterung der Klassischen Massage nach den Erkenntnissen der Anthroposophischen Medizin und eine zeitgemäße Form mit ganzheitlichem Ansatz. (Gesehen am 17.03.2023: http://www.rhythmische-massage.de/index.html)

RHYTHMUS UND LEBEN STUDIEREN

Inwiefern hängen Rhythmus und Lebensprozesse zusammen?

Wie lassen sie sich studieren?

Laut der anthroposophischen Menschenkunde ist der Ätherleib (ätherischer Organismus) „Sitz“ unseres Körpergedächtnisses, das auch einen unbewussten organbezogenen Anteil hat. Unser ätherischer Organismus ist die Summe aller Vitalitäts- und Selbstheilungskräfte. Er ist ein wunderbar komplexes System, dessen Charakteristik ich mit dem folgenden Beispiel veranschaulichen möchte:

Wo alles mit allem zusammenhängt

Als Schulärztin in Witten gab ich vor langer Zeit als Vertretung in einer zwölften Klasse die große Biologieepoche zum Thema „Evolution der Arten". Der schönste Moment in dieser Epoche war, als ich die jungen Leute fragte, was denn der Unterschied zwischen etwas Lebendigem und etwas Totem wäre. Nach einer halben Stunde Rätselraten wurden Vorschläge gemacht, die aber alle nicht so recht „ins Schwarze“ trafen. So eine Klasse von Zwölftklässlern, etwa 35 junge Leute, ist auch ein Resonanzkörper. (Auch wenn ich euch jetzt so gegenüberstehe, sind wir in Resonanz, je nachdem, was ihr aufgreifen könnt von dem, was ich sage. Das lässt sich gar nicht vermeiden. Wo immer Menschen in Beziehung treten, entsteht sofort Resonanz, nehmen wir uns gegenseitig wahr.)

Der Resonanzkörper in der Klasse machte sich so bemerkbar, dass eindeutig spürbar war, wie ein Vorschlag von allen angenommen wurde. Ein Vorschlag folgte dem anderen und fand kaum Beifall, bis plötzlich eine junge Frau sagte: „Ich glaube, der Unterschied zwischen etwas Lebendigem und etwas Totem ist der, dass etwas Lebendiges immer einen Umkreis braucht, aus dem und für den es lebt. Das Tote braucht das nicht.“ Nach ihren Worten herrschte eine wortlose, aber deutlich spürbare Zustimmung in der Klasse. Dabei bekam ich Gänsehaut. Niemand sagte etwas, aber alle waren sich einig, dass es so ist. Besser kann man es nicht sagen, auch nicht kürzer.

Tatsache ist: In der Schöpfung hängt alles mit allem zusammen. Wir nennen das heute ökologisches Gleichgewicht. Nicht nur, was wir der Erde antun, hat seine Auswirkungen. Die Menschen, die Tiere, die Pflanzen, die Mineralien, die Technik, alles hat eine Wirkung, alles bewirkt etwas, wird Teil unseres Evolutionsprozesses. Träger dieses ganzheitlichen Evolutionsgeschehens ist das Ätherische, ist die Lebenswelt.

Rhythmus trägt Leben

Als der Chemiker Hauschka Rudolf Steiner die berühmte Frage stellte: „Können Sie mir erklären, was Leben ist? Wie kann man das Leben studieren?“, sagte Steiner ganz lapidar: „Studieren Sie die Rhythmen. Rhythmus trägt Leben.“ Das Leben zwischen dem ersten und dem letzten Atemzug läuft rhythmisch ab, nach zeitlichen Rhythmen gegliedert.

Das Vorbild für alle Rhythmen ist nicht auf der Erde, sondern am Himmel zu finden: Sonne und Mond sind unsere Zeitgeber für Tag, Woche, Monat, Jahr, durch das Dreiecks-Verhältnis, das Triangulum, von Sonne, Mond und Erde. Die Planeten-Rhythmen mischen bei unseren Biorhythmen auch noch mit. Das heißt, nicht nur bildlich gesprochen, dass das Leben, das Ätherische aus der Planetensphäre, also vom Himmel, stammt, und eben nicht der Erde und den Genen zu verdanken ist. Erde und Gene sind „nur“ in Resonanz mit diesen wunderbaren rhythmischen Gesetzen. Da Rhythmen Lebensträger sind, wirken auch alle Behandlungen, die wir durchführen, umso kraftvoller, je bewusster wir mit den Rhythmen umgehen. Konkret wäre es sinnvoll, wenn Therapeuten sich fragen:

Was mache ich zwei Monate lang, was mache ich ein Jahr lang, was mache ich ganz intensiv mal nur eine Woche?

Je nachdem, wie tief unser Rhythmusverständnis als Therapeut und unser menschen­kundlicher Bezug dazu ist, können wir unser fachspezifisches Vorgehen ganz gezielt unter diesen Aspekten einsetzen. Die ätherische Organisation, das Leben selbst, können wir nicht sehen. Wir können nur die Lebensäußerungen studieren in ihrem rhythmisch, zeitlich, prozesshaften Ausdruck. All diese Prozessqualitäten zusammengenommen mitsamt ihrer komplexen Zeitstruktur bilden den ätherischen Organismus.

Vgl. Vortrag zum Chirophonetik-Treffen in Erlangen, März 2019

ENTSTEHUNG UND HEILUNG VON TRAUMATA

Wie entstehen Traumata und wie können sie geheilt werden?

Bewusstes und unbewusstes ätherisches Wirken

Wir verdanken Rudolf Steiner die wunderbare Einsicht, dass der ätherische Lebensorganismus mehrere Anteile hat, die bewusste und unbewusste Prozesse steuern, die man auf den ersten Blick nicht als zusammengehörig erkennen würde. Diese Doppelnatur des Ätherischen möchte ich im Folgenden näher erläutern und in einem zweiten Schritt darstellen, was die beiden Anteile bei Tag und Nacht bewirken. Auf der Grundlage der Zusammenhänge, die uns die anthroposophische Menschenkunde aufzeigt, lässt sich der Grund für die nachhaltige Einprägung von Traumata gut verstehen und auch das Funktionieren des Organ-Gedächtnisses für traumatische Ereignisse begreifen. Auch können wir vor diesem Hintergrund die Wirkung der vielfältigen therapeutischen Ansätze in der Trauma-Arbeit nachvollziehen.

· Unbewusstes ätherisches Wirken

Die unbewusste Komponente des Ätherischen liegt unserer Fähigkeit zur Organresonanz, der Sensitivität der Organe füreinander, aber auch dem Nachtlernen zugrunde. Man hat mittlerweile gut erforscht, dass in der Nacht jene Einprägungen erfolgen, die unser Langzeitgedächtnis ausmachen. Damit wird in der heutigen Lernpsychologie immer bewusster umgegangen und auch Rudolf Steiner berücksichtigte diese Tatsache in der Waldorfpädagogik.

Was man bei Tage tut und erfährt, das betrifft auch traumatische Erfahrungen, prägt sich dem Organismus erst nachts so richtig ein, viel tiefer als im Wachzustand. Dieses „Einprägen“ geschieht mithilfe des unbewussten Anteiles des Ätherleibs.

Deswegen ist die goldene Regel der Notfall-Pädagogik, nach einer Katastrophe so schnell wie möglich vor Ort aktiv zu werden. Je schneller man gegenreguliert, je nachhaltiger und besser der Erfolg. Auch wenn sich jemand vor den Zug wirft, wird mit dem Lokführer sofort psychotherapeutisch zu arbeiten begonnen. Da gibt es inzwischen ein Team, das sofort mobilisiert wird und ihn noch vor der ersten Nacht hochprofessionell betreut. Man arbeitet zwar mit diesem Prinzip, aber man kennt den Ätherleib nicht. Wer ihn jedoch kennt, kann dieses Wissen gezielt einsetzen in Therapie und Pädagogik.

· Bewusstes ätherisches Wirken

Den bewusst arbeitenden Ätherleib kann man beobachten, wenn man das eigene Denken beobachtet und bei sich und anderen feststellt, welche die Macht Gedanken haben. Es war Rudolf Steiners tiefgreifendste menschenkundliche Entdeckung, dass der Mensch sein Denkvermögen den ätherischen Kräften verdankt. Es ist allgemein bekannt, dass Gedanken Kraft haben. Wir sprechen von „rettenden Gedanken“, oder von Gedanken, die uns durchs Leben getragen haben. Auch destruktive, fixe Gedanken können die Betroffenen vollkommen paralysieren und in Panik versetzen.

Rudolf Steiner stellte nun die Hypothese auf, dass Gedanken so mächtig sind, weil sie verwandelte Lebenskräfte sind – leibfrei gewordene Lebenskräfte, die der Körper nicht mehr braucht, weil sie dort ihr unbewusstes Werk an Wachstum und Regeneration schon vollbracht haben. Dieses geheimnisvolle Geschehen ist ein kontinuierlicher lebenslanger Prozess.

Polare Tätigkeiten des Ätherleibes

Um uns zu veranschaulichen, wie die unbewussten, leibgebundenen Kräften und die bewussten, leibfrei gewordenen Kräfte des Ätherleibes als Doppelheit zusammenhängen und -wirken, verwendete Rudolf Steiner eine stehende offene Lemniskate. Sie hat eine nach oben hin offene Hälfte und eine untere in sich geschlossene Hälfte.  

Im Folgenden möchte ich genauer schildern, wie es unter dem Blickwinkel der polaren Doppelnatur des Ätherischen zu Traumatisierungen kommt, wie aus einer Außenwahrnehmung, aus einem bewussten Erlebnis, eine unbewusste Innenwahrnehmung und in sich abgekapselte Erinnerung wird. Mit unserem bewussten Sein, das wir leibfrei gewordenen Kräften verdanken, wenden wir uns der Welt zu. Von dort „draußen“ wirken über die Sinne traumatisierende Einflüsse und Eindrücke auf uns ein und verursachen körperlich-seelische Verletzungen, die zu nächtlichen Einprägungen im Schlaf führen. Zum besseren Verständnis möchte ich diese Zusammenhänge kurz näher ausführen.

· Ätherwirken bei Tag

Bei Tag ist der Teil der Wachstumskräfte, die der Körper nicht braucht, wie aus dem Körper herausgehoben, ist leibfrei tätig und bildet die geistige Gedanken-Aura, die sich am Gehirn reflektiert. Menschenkundlich korrekt gesehen, ist das Gehirn ein Gedanken-Reflexionsorgan. Wenn das Gehirn organisch krank ist, kann es nicht mehr gut reflektieren und dann entstehen die demenziellen Krankheitsbilder. Bei Tage prägen sich die Sinneseindrücke nur den leibfreien Ätheranteilen ein und allenfalls noch den ebenfalls leibfreien Gefühlen.

· Ätherwirken bei Nacht

In der Nacht vereinigen sich die gesamten Ätherkräfte wieder und werden zur Regeneration hereingeholt in den Körper. Deswegen hören wir beim Einschlafen auf, bewusst zu denken. Unser Bewusstsein erlischt, auch die Sinneswahrnehmung hört auf. Sinneseindrücke zu sammeln, ist nur mit Hilfe unserer ätherischen Kräfte möglich, jede Sinnestätigkeit ist im Grunde ein ätherisches Tasten in die Welt hinaus. In der Nacht wenden sich alle Ätherkräfte nach innen und kümmern sich um den Wiederaufbau dessen, was bei Tag abgebaut wurde. Die moderne Schlafforschung hat herausgefunden, dass wir nur schlafen müssen, weil wir unser Nerven-Sinnessystem das braucht.

Man hat im Rahmen eines Experimentes Hunde ganz fürchterlich gequält, zuerst mit Nahrungsentzug, dann mit Licht, dann mit Geräuschen, zum Schluss mit Schmerzreizen, und hat sie so lange wachgehalten, wie es nur irgend ging, bis sie tot umgefallen sind. Man hat sie dann seziert und untersucht, um herauszufinden, welche Organe besonders unter der Schlaflosigkeit gelitten haben: Nur die Sinnesorgane und Nervensystem waren zerstört, die anderen Organe waren in Ordnung.

Erkenntnis durch Abbau

Man hat mit diesen traurigen Mitteln bewiesen, was Rudolf Steiner immer wieder betonte: dass unser Nervensystem mitsamt den Sinnesorganen tagsüber ätherisch abbaut, was die Grundbedingung dafür ist, dass wir rein geistige Erlebnisse haben können. Die organische Lebenstätigkeit wird bei diesem Spiegelungsvorgang ständig zurückgedrängt, weswegen wir ermüden. Irgendwann können die Sinnesorgane nichts mehr aufnehmen, uns fallen die Augen zu und wir schlafen ein. Wenn dann die gesamten Ätherkräfte in den Körper zurückgehen, bringen sie natürlich alle Eindrücke dessen mit, was wir bei Tage gedacht, erlebt und beobachtet haben. Je nachdem, um welche Erlebens-Dynamik es sich gehandelt hat, haben diese Eindrücke zu einem bestimmten Organ mit einer entsprechenden Funktionsdynamik einen besonderen Bezug und gehen in der nächtlichen Regenerationsphase dorthin, lagern sich dort ab.

Regeneration durch wahrheitsgemäße Gedanken

Unsere ätherische Organisation hat als Kräftepool

  • zum einen das Kontinuum der mitgebrachten Lebenskräfte aus der embryonalen Entwicklung zur Verfügung
  • und zum anderen all die Modifikationen, die dadurch entstehen, dass der ätherische Bewusstseinsträger des Denkens jeden Tag Anderes und Neues erlebt. Das Erlebte bringt den Ätherleib in eine bestimmte Regsamkeit, denn unser Gedankenleben ist eben auch eine Art von Leben.

In der Nacht vereinigen sich Gedankenleben und Körperleben, während Seele und Geist sich ganz vom Körper trennen: In dem Moment, in dem der Ätherleib in den Körper einzieht, lässt er die Beziehung zu Astralleib und Ich, anthroposophisch gesprochen, los, sodass diese sich in den Makrokosmos ausdehnen und sich in der astralen Welt an den dort wirkenden Impulsen erfrischen und erneuern können.

Unseren Ätherleib müssen wir eigenaktiv durch gute Gedanken, durch meditative Arbeit, durch Gebet, durch Authentizität und Ehrlichkeit, die wir bei Tage aufbringen, regenerieren helfen. Eine solche Praxis erfrischt ihn und uns, indem sie über Nacht Gesundheitskräfte in den Körper einziehen lässt.

Somit wird verständlich, warum Verlogenheit, korruptes Verhalten und Materialismus uns Lebenskräfte rauben und Krankheitsdispositionen verstärken. Rudolf Steiner geht in seinem Diskursus für Ärzte und Priester,[1] die er im September 1924 für die beiden gemeinsam gehalten hat, sogar soweit, dass er sinngemäß sagt: Wenn die Menschen wüssten, dass sie sich nachts nicht nur gesund, sondern auch krank schlafen können, würden sie nicht so viel schlafen. Eine ernste Tatsache humorvoll ausgedrückt.

Vgl. Vortrag zum Chirophonetik-Treffen in Erlangen, März 2019


[1] Rudolf Steiner, Das Zusammenwirken von Ärzten und Priestern, Pastoral-Medizinischer Kurs, GA 318, Dornach 1994.

SINNFINDUNG ALS WEG DER HEILUNG

Inwiefern wirkt es heilend, ein traumatisierendes Erlebnis als sinnvoll für die eigene Entwicklung erkennen zu können?

Was kann den Betroffenen zu einer solchen Sinngebung verhelfen?

Etwas, das sich im eigenen Schicksal ereignet hat, kann man nicht ungeschehen machen. Das ist aus einer höheren Perspektive auch gar nicht wünschenswert, denn ich weiß von einigen, die in einer Traumabehandlung waren oder die selbstständig ihr Trauma verarbeitet haben, dass sie später zugeben, ohne dieses problematische Ereignis wären ganz viele Dinge in ihrem Leben anders gelaufen.

Trauma als Beginn eines spirituellen Weges

Sehr oft ist eine Traumatisierung der Anlass dafür, einen spirituellen Weg zu beschreiten. Auch gibt es keinen guten Trauma-Therapeuten, der nicht irgendeine spirituelle Orientierung hätte, sei es eine buddhistische oder christliche oder noch anders geartete spirituelle Ausrichtung. Es spielt keine Rolle, woran sich jemand spirituell orientiert, aber dass er es tut, ist wichtig, weil nur ein spirituelles Menschenverständnis auf die nötigen Gesundheitskräfte hinzuweisen und sie freizulegen vermag. Einem materiellen Menschenbild erschließen sie sich nicht, weil es zu kurz greift, das tiefere und höhere Wesen des Menschen nicht erfassen kann. Dabei geht es um transzendente Begriffe, um Ideale, die in der materialistischen Weltsicht nicht vorkommen. Unsere Vorstellungen von Gott, Engeln und Heiligen sind alle ideeller Natur. Gott wird in den Religionen mit Wahrheit und Liebe gleichgesetzt. Dass Gott auch Freiheit ist und gewährt, können viele religiöse Ausrichtungen noch nicht erkennen. Nur für das Christentum, wenn man es richtig versteht, ist Freiheit ein Ideal.

Annahme und Verstehen des Geschehenen

Unter dem Aspekt der Heilkraft der Wahrheit, ist es für den Heilprozess wesentlich, dass die Betroffenen lernen, ihr Trauma als zu ihrem Schicksal gehörig anzunehmen – einfach aufgrund der Tatsache, dass es stattgefunden hat. Keinesfalls wäre es klug, alles zu verdrängen, denn dann rumort es in der Tiefe und erzeugt immer weitere pathologische Auswirkungen.

Zur Verarbeitung eines Traumas gehört in einem weiteren Schritt, dass die Betroffenen sich fragen, wie sie einer zukünftigen Traumatisierung vorbeugen können, damit sich das Geschehene nicht wiederholt.

Erst durch das Verständnis für das Geschehene bekommt es einen Sinn. Solange man ein Trauma nicht verstanden hat, kann man weder einen Sinn darin finden, noch verzeihen. Beides gehört jedoch zusammen. Die Sinnhaftigkeit zu finden, ist so beglückend, dass man dann auch die Kraft zum Verzeihen aufbringt. Das Verstehen ist der Weg dahin.

Das Wort Sinnhaftigkeit stammt aus der Terminologie von Aaron Antonowsky.[1] Er nennt drei Quellen für das Kohärenzgefühl (sense of coherence), das uns den großen Zusammenhang von Denken, Fühlen und Handeln erleben lässt:

  1. Man muss etwas verstehen können (denken).
  2. Man muss es als sinnhaft empfinden können (fühlen).
  3. Man muss es handhaben können, muss konstruktiv und sinnstiftend damit umgehen (tun).

Das Gefühl von Sinnhaftigkeit

Ich muss zudem das Gefühl haben, dass etwas, das ich verstehe, auch für mich Sinn macht. Zum Beispiel kann ich noch so oft versuchen zu verstehen, dass dieser Triebtäter das gemacht hat, weil er ein Triebtäter ist. Das hilft mir nur nicht weiter, solange es für mich persönlich keinen Sinn macht, dass mir das passiert ist.

Es geht immer um Herzenskultur, um ein wirkliches Verstehen. Deswegen sagt Goethe: Man versteht nur, was man auch liebt. Er wusste das bereits. Antonowsky hat diesen Umstand gründlich erforscht und wissenschaftlich belegt: Ohne Gefühl der Liebe, des innerlichen Beteiligtseins, kann ein Mensch nicht wirklich verstehen. Es braucht ein Gefühl von Sinnhaftigkeit.

Goethe sagt auch: „Wenn ihr es nicht fühlt, ihr werdet es nicht erjagen“. Rudolf Steiner schreibt in der Theosophie:[2] „Nur durch das Gefühl bekommt ein Gedanke Bedeutung für das Individuum.“ Das ist wie ein Bonbon, das man sich auf der Zunge zergehen lassen kann: Nur durch das Gefühl bekommt der Gedanke Bedeutung für das Individuum.

Keine Erkenntnis ohne Gefühl

Manche meinen, im Buch „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“[3] ginge es nur um das Denken. Das stimmt nicht, das ganze Buch ist dem Gefühl gewidmet. Dort wird vom Pfad der Verehrung und dem Tor der Demut gesprochen und gesagt, dass der Geistesschüler ohne diese Gefühle keinen Millimeter weit in der Erkenntnis kommt. Weil sie das Gefühl vernachlässigen, erleben viele, dass sich trotz Üben nichts bei ihnen tut. Sie überlesen den Anfang, üben irgendetwas und wundern sich, dass das nicht funktioniert. Es geht bei dem Weg der Erkenntnis um eine gigantische Gefühlserziehung. Erst dann bekommt das Erkannte Bedeutung und macht Sinn für mich. Es geht um diese selbstlose Liebe, von der Goethe spricht. Im Gefühl wird der große Lebenszusammenhang spürbar, dass alles mit allem zusammenhängt.

Wie decke ich das Herz wieder auf

Wenn jemand nicht fühlt, dass er oder sie etwas kann, fühlt er oder sie sich trotzdem nicht gut. Wie viele Depressive kriegen von ihrem nicht professionellen Umfeld gesagt: Du bist doch so toll, hast doch einen so schönen Mann oder Frau oder tolle Kinder und einen Beruf und einen guten Job. Du hast ein Auto, Mensch, warum bist du denn nicht glücklich? Warum bist du nicht zufrieden, du kannst doch so viel? Das fühlt der Betreffende aber nicht und deshalb ist es, als wäre es nicht vorhanden. Man muss sich einfühlen können, warum jemand nicht fühlt, was er ist und hat. Wir als Therapeuten müssen fragen:

Wo muss ich bei diesem Menschen ansetzen, dass er Zugang zu einem gesunden Gefühl für sich selbst findet?

Wie decke ich das Herz wieder auf?

Das ist hier die zentrale Frage.

Vgl. Vortrag zum Chirophonetik-Treffen in Erlangen, März 2019


[1] Begründer der Salutogenese, der Lehre von Gesundheit, die im Gegensatz zur Pathogenese, der Lehre von Krankheit, in der Medizin steht.

[2] Rudolf Steiner, Theosophie, GA 9.  

[3] Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der Höheren Welten? GA 10. 

STÄRKUNG DES GESUNDEN IM UMGANG MIT TRAUMA

Wie komme ich an Geschehen aus der frühen Kindheit, also tief vergrabene Traumata, heran?

Unser Gedächtnis ist im Körper verankert. Alle Tageserlebnisse prägen sich in der Nacht tief in den physischen Organismus ein. Das gilt für alle Ereignisse, nicht nur für Traumatische. Das Problem in der Traumabehandlung ist nun, dass traumatische Erlebnisse entweder schon vor dem 3ten Lebensjahr stattgefunden haben und damit nicht erinnerbar sind, und/oder dass sie so sehr abgespalten wurden, dass man an das eigentliche Trauma nicht herankommt, auch wenn Patient und Therapeut erkennen, dass sie es bei „Störungen“ mit den Folgeerscheinungen eines Traumas zu tun haben. Auch bereits ältere Menschen haben ihr Trauma oft so tief vergraben, dass es nicht mehr hochzuholen und zu bearbeiten ist.

Vertrauen in das Gesunde im Menschen

Es gibt jedoch immer die Möglichkeit Trauma-Folgen zu bearbeiten, indem wir beim Gesunden im Menschen ansetzen und darauf aufbauend neue gesundende Erfahrungen hinzufügen. Gerald Hüther sagt, dass es in jedem Menschenleben in der Embryonalentwicklung eine Phase gab, in der alles „in Ordnung“ war, in der der Embryo sich als rundum versorgt erlebte. Das bedeutet, vor jeder noch so früh stattfindenden Traumatisierung, erhält jeder Mensch im Zuge der Schwangerschaft eine urgesunde Einprägung, die ihn unmittelbar und existenziell die Würde seines Seins erleben lässt. Daran können wir ein Leben lang anknüpfen als an eine Urerfahrung des Guten, selbst wenn diese im weiteren Schicksalsverlauf wie verschüttet wurde. Ist die Erinnerung an das Trauma – wie in den meisten Fällen – nicht mobilisierbar, kann man mit diesem gesunden Ursprung arbeiten, sofern beide, Therapeut und Patient, in das jedem zugängliche Gesunde vertrauen.

Dieses Vertrauen zu erwerben und zu vertiefen, ist eine Aufgabe, der sich beide stellen müssen. Damit der Patient Vertrauen in sich und den Heilungsprozess entwickeln kann, muss auch der Therapeut sein Vertrauen in sich und den Patienten vertiefen. Das ist wesentlicher Bestandteil der therapeutischen Beziehung. Der Therapeut entwickelt sich für den Patienten weiter, verdankt ihm quasi seine Weiterentwicklung und kommt dadurch mit ihm auf die gleiche Augenhöhe. Gelingt es dem Therapeuten, Lebenszuversicht auszu­strahlen und zu verkörpern – nicht nur davon zu reden – durch die Entwick­lungs­arbeit, die er an sich selbst verrichtet, dann fühlt sich der traumatisierte Mensch bis in unbewusste Bereiche hinein liebevoll berührt. So kommt er seinem eigenen Höheren Wesen wieder leichter näher, das durch das traumatische Erlebnis wie heraus geschockt wurde und dadurch nicht mehr zugänglich war. Heilung ist immer eine Form von Ganzwerdung, ein Prozess der Identifikation des Menschen mit allen seinen Anteilen:

  • mit seinem Höheren Wesen,
  • aber auch mit den abgespaltenen verwundeten Teilen.

Deshalb ist die richtige Haltung im Umgang mit traumatisierten Menschen so entscheidend.

Zukunftshoffnung vermitteln

Jedes Trauma ist ein der Vergangenheit entspringendes Ereignis und kann als solches am besten durch den Blick in die Zukunft geheilt werden. Ein ressourcenorientierter Kunstgriff besteht darin, die traumatische Störung umzudeuten als Aufgabe, als zukünftige Stärke, die es durch Überwindung der „Störung“ zu entwickeln gilt. Der Bereich, in dem der Patient aktuell Schwierigkeiten hat, ist auch der Bereich, in dem er besondere Fähigkeiten entwickeln kann und wird, weil er sich schicksalsmäßig vorgenommen hat, genau dort etwas zu lernen und zu üben. Man kann sagen, ein Mensch ist

  • unruhig, damit er aus sich heraus Ruhe zu entwickeln lernt,
  • aggressiv, damit er Frieden zu stiften lernt,
  • ängstlich, damit er mutig den Gegebenheiten des Lebens begegnet.

Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Eine wie auch immer geartete Störung als Schattenwurf einer künftigen Befähigung aufzufassen, weist den Weg in eine heilsame Lösung, zu der immer auch das Verstehen und Verzeihen des traumatischen Geschehens gehören.

Vgl. Vortrag zum Chirophonetik-Treffen in Erlangen, März 2019

TRAUMATHERAPIE ALS MODERNER WEG ZUR WAHREN IDENTITÄT

Inwiefern verhilft Trauma dem Menschen zu seiner wahren Identität?

Was ist unter der wahren Identität zu verstehen?

Das Trauma der Individualisierung

An dieser Stelle möchte ich den Bogen spannen zwischen den Uranfängen der Menschheit und ihren zukünftigen Entwicklungszielen. Das Ur-Trauma der Menschheit ist die Individualisierung, die Entdeckung des Eigenwillens, die mit dem Sündenfall ihren Anfang nahm, gefolgt von der Vertreibung aus dem Paradies.

Seit der Neuzeit befindet sich die Menschen weltweit in einem verstärkten Individualisierungsprozess, im Zuge dessen sie früher oder später aus kollektiven Werte-Zusammenhängen, aus dem Familienverband, aus der Nestwärme sozialer Verbindungen herausfallen – entweder aus eigenem Entschluss oder aber durch oft schmerzliche Erfahrungen, die sie regelrecht aus dem Bisherigen heraus „kicken“. Dazu gehören auch alle traumatischen Erfahrungen. Im großen Zusammenhang begriffen sind sie nötige Geburtswehen für einen Prozess, der sich nicht aufhalten lässt: Wir müssen hinausgeworfen werden aus dem Paradies!

Man kann sagen, der Sündenfall ist heute auf der Bewusstseinsebene angekommen. Wir müssen in ein neues Bewusstsein erwachen – DAS erleben wir als traumatisch. Das Trauma ist nur Werkzeug für einen nötigen Prozess. So hart das klingen mag: Wer nicht freiwillig im Rahmen einer Selbstschulung durch Todesprozesse zu gehen lernt, wird, sofern es sein oder ihr Schicksal ist, in dieser Inkarnation an die Schwelle der Einweihung zu kommen, durch Trauma, Krankheit und Not dahin geführt.

Trauma als Initiation

Inwiefern lassen sich traumatische Erfahrungen als Initiationserfahrungen auffassen?

„Initiare“ heißt anfangen – es geht nicht um das Ende oder etwas Endgültiges, sondern um einen Anfang, sprich: um den Punkt, an dem der Mensch sich zum ersten Mal wirklich selbst begegnet. Eine solche Selbstbegegnung wird auch durch ein Trauma hervorgerufen, durch eine Art Trennungserlebnis, durch das der oder die Betreffende ganz auf sich selbst zurückgeworfen ist. Die traumatische Situation bewirkt, dass man sich wie „am Ende“ fühlt und begreift, dass nichts mehr sein wird wie früher. So schmerzlich diese Erkenntnis sein kann, sie bietet auch die Chance, gerade dadurch einen neuen Anfang zu setzen für ein ganz neues zweites Leben – im christlichen Kontext oft „zweite Geburt“ genannt. Gelingt es den Betroffenen – aus sich heraus oder mit therapeutischer Hilfe – dieses traumatische Erlebnis umzudeuten als Geburtsschmerz im Zusammenhang mit der Seelen- und Geistgeburt, ist das ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Heilung.

Am Schmerz erwachen

Schmerz im Sinnendasein lockert das Geistig-Seelische: Wo etwas physisch zerbricht, wird das Geistig-Seelische frei. Damit beginnt ein neues Leben. Alles, was ab diesem Zeitpunkt geschieht, steht im Zeichen des „Trotzdem-ja-zum-Leben-Sagens“, wie Viktor Frankl[1] es in seinem berühmten Werk nennt. Dazu kann sich jeder und jede nur selbst ermächtigen. Auf die Frage – „Warum bist du damals nicht untergegangen, sondern konntest weitermachen?“ – würde die Antwort lauten: „Weil ich an diesem absoluten Nullpunkt meine Freiheit entdeckt habe, alles, was fortan in meiner Entwicklung geschieht, selbst zu verantworten.“

Die Geburt des wahren Selbst lässt sich nicht herleiten aus Familie, Herkunft, bürgerlicher Erziehung, sozialer Anerkennung, gesellschaftlicher Akzeptanz, einem tollen Job, einer guten Partnerschaft. Das sind lauter Identifikationsflächen von außen. Den zu sich selbst Erwachten wurde dieses Außen so total genommen, dass sie zum ersten Mal die Chance verspürten, ganz aus sich heraus weiterzuleben und ihr Außen aus diesem Bewusstsein heraus selbst zu gestalten.

Entwicklungsbogen verstehen lernen

Im Gespräch mit Patienten kann man nur von diesen initiatorischen Aspekten sprechen, wenn sie danach fragen. Aber als Therapeuten, die aus der Anthroposophie heraus arbeiten wollen, brauchen wir ein großes umfassendes Schicksalsverständnis: Wir müssen verstehen, dass die erste Menschenschöpfung den Menschen als „sehr gut“ vorausgedacht hatte, und dass wir im Schutze der göttlichen Begleitung, die ebenfalls „sehr gut“ und total zuverlässig ist, lernen dürfen, den Entwicklungsweg, der mit dem Sündenfall beginnt, mit uns selbst und unseren Mitbrüdern und Mitschwestern durch alle Höhen und Tiefen des Lebens zu gehen, sodass am Ende der Zeit möglichst jeder „sehr gut“ geworden ist und zu sich sagen kann: Mir haben zwar viele geholfen, aber einiges habe ich selbst auch „sehr gut“ gemacht. Damit wäre unsere Identitätsfindung vollendet.

Identitätsstiftende Zusammenarbeit

Ich hoffe, dass diese Gedanken, die sehr fragmentarisch sind, dazu beitragen werden in den kommenden Jahren eine fundierte anthroposophische Traumatherapie zu entwickeln, zu der Ärzte, Kinderärzte, Psychologen, Biografiearbeiter, Kunsttherapeuten, Pädagogen ihren Beitrag leisten. Ich habe den Eindruck, dass dieser Therapiebereich wie kein anderer die Initiationswissenschaft braucht, um zufriedenstellende Ergebnisse zu erzielen.

Vgl. Vortrag „Traumatherapie als Instrument gesunder Identitätsbildung“, Dornach am 10. Januar 2010


[1] Viktor E. Frankl,... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager.

VERARBEITUNG VON GEWALT UND KRIEG

Wie kann man Erfahrungen von Gewalt und Krieg begegnen?

Mit einem Trauma konstruktiv umgehen

Viele Kinder leiden heute an dem so genannten Post Traumatic Stress Syndrom, das durch frühe Gewalteinflüsse, durch Missbrauchssituationen und Übergriffe hervorgerufen wird. Tief in ihrem Körper sitzt die Erinnerung an das Erlebnis, von einer fremden Macht überwältigt worden zu sein. Die Angst vor Überwältigung kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Sie ist Bestandteil der individuellen Konstitution der Betroffenen und damit Teil ihres Schicksals geworden. Das müssen wir als Pädagogen und Therapeuten wissen. Wir müssen zudem davon ausgehen, dass in einer Schulklasse viele Kinder bereits Gewaltübergriffe erlebt haben – das war nach dem ersten Weltkrieg, als Steiner die Waldorfschulen gründete, auch schon der Fall. Das ist kein Privileg der heutigen Zeit.

In meinem Buch „Gesundheit durch Erziehung“[1] gehe ich näher darauf ein, wie man durch Erziehung, zum Beispiel durch richtig verstandene Waldorfpädagogik, solchen frühkindlichen Schädigungen gesunde Erfahrungen hinzufügen kann. Denn gegen Gewalterfahrungen gibt es nur ein Heilmittel – dass die Betroffenen die Möglichkeit bekommen, andere Erfahrungen zu machen, die an den gesunden Urgrund im Menschen appellieren. Oft entsteht daraus der Impuls, dazu beizutragen, dass die guten Erfahrungen in der Welt sich vermehren. Viele, die ihr Stress- und Trauma-Syndrom positiv bearbeiten konnten, wählten später helfende Berufe, weil sie genau wissen, worauf es ankommt, wenn sie anderen dabei helfen, mit ihrem Trauma zurecht zu kommen. Das kann für jeden anders aussehen, diesbezüglich sind wir sehr verschieden. Auch unterscheiden wir Menschen uns sehr in Bezug auf das, was wir ertragen und was wir nicht ertragen können, was wir abfangen und verarbeiten können und was nicht – dessen müssen wir uns als Therapeuten bewusst sein.

Trauma und Schicksal

Alle Interventionen beim Verarbeiten von Gewalt und der Angst vor Gewalt zielen darauf ab, den Patienten zu helfen, den bestmöglichen Zugang zu ihren eigenen Ressourcen zu finden. Auch haben viele Traumatisierte mit der Sinnlosigkeit des Erlebten zu kämpfen. Wenn es ihnen gelingt, neues Vertrauen in das eigene Schicksal zu fassen, ist das eine Ressource, die nie mehr versiegt. Auf dem Weg dahin gibt es nichts Besseres, als eine heilende Beziehung zu erleben, in der man einem anderen zu vertrauen lernt. Gewalttraumata heilen nur aus, wenn vertrauenswürdige Beziehungen aufgebaut werden können.

Ein Trauma ist immer auch eine ganz persönliche schicksalsbedingte Angelegenheit. Dazu möchte ich zwei Beispiele nennen:

- Folteropfer als Embryo

Es ging kürzlich durch die Presse, dass ein Mann von einem Gericht eine Entschädigungssumme in Millionenhöhe zugesprochen bekam, weil er im Mutterleib Folteropfer war. Seine Mutter war schwer gefoltert worden, er hat es überlebt als Fötus, hatte in der Folge aber bis zu seinem 10. Lebensjahr so starke Ängste, dass er ständig in Behandlung war. Und auch seine weitere Biografie stand ganz im Zeichen dieses Traumas. Das wurde zuletzt anerkannt, weil die Wissenschaft inzwischen so weit ist, dass sie das anerkennen konnte. Das unbewusste Miterleben der Qualen seiner Mutter wurde zu seinem Schicksal. Seiner Mutter ging es im weiteren Leben vergleichbar gut – sie hatte diese massiven Probleme nicht.

- Resilienz trotz Trauma der Mutter

Ein anderes Bespiel aus meiner Familie mit einer ähnlichen Konstellation. Die Russen kamen gegen Ende des 2. Weltkriegs nach Berlin, wo der größte Teil meiner Familie bis heute lebt. Die Frauen wurden alle vergewaltigt. Eine davon, eine schwangere Frau, wurde sechsmal hintereinander vergewaltigt. Vor ihren Augen, im Beisein ihrer Kinder wurde ihr Mann erschossen – sie erlitt also ein äußerst schweres Trauma und hat deshalb sogar überlegt, das Kind abzutreiben, aus Angst, es würde schwere Schäden davontragen. Sie hat es aber behalten – und es war das harmonischste ihrer Kinder. Es hatte dieses Trauma nicht angenommen. Das gibt es eben auch.

Daran wird das Schicksalhafte deutlich: Der eine geht durch Schrecknisse und Gefahren hindurch und lässt sich nicht berühren davon, sondern wird dadurch stark, bewusst und kompetent und einem anderen widerfährt vergleichsweise wenig und er ist sein Leben lang schwer beeinträchtigt.

Persönliche Botschaft hinter einem Trauma

Hinter jedem Trauma verbirgt sich eine persönliche Botschaft. Je stärker sich ein Ereignis auswirkt, umso größer ist die Aufforderung, daran zu wachsen, umso deutlicher der Hinweis auf ein Defizit. Die Schicksalsführung bringt dem Menschen das Thema in dieser Form nahe. Deswegen ist bewusste innere Schulung das beste Mittel gegen Angst vor Krieg und Gewalt. Dabei lernt man, dass Krieg und Frieden in Wahrheit in der Seele jedes einzelnen Menschen beginnen. Man könnte auch rückschließen: Kriege sind die Projektionen von allem, was im Menschen nicht bereinigt und in friedliche Übereinstimmung gebracht wurde.

Wer die persönliche Schicksalssprache versteht und die Aufgabe aufgreift, dessen Leben wird dadurch an Sinnhaftigkeit, Ernst und Bedeutung zunehmen. Viele Menschen können durch die Arbeit an sich selbst erkennen, dass sie dieses schwere Erlebnis gebraucht haben für ihre eigene Entwicklung.

Vgl. Vortrag „Angst in Krankheit und Gesundheit“, 14. Februar 2007

 


[1] Vergriffen, aber noch gebraucht erhältlich.

HILFE IN EINER TRAUMATISIERENDEN ZEIT

Warum haben immer mehr Kinder Anpassungsstörungen?

Warum entwickeln viele kein gesundes Körpergefühl mehr und zeigen autistische Züge?

Wie können wir als Pädagogen und Therapeuten hier heilende Impulse setzen?

Traumatisierung als Weltproblem

Gegenwärtig gibt es nur noch wenige Kinder und Jugendliche, denen traumatische Erlebnisse erspart bleiben. Überall auf der Welt, egal wo, stehen drei Probleme ganz im Vordergrund: das traumatisierte Kind, das unangepasste, beziehungsgestörte Kind und die Zunahme autistischer Züge – das ist selbst in Indien ein Riesenthema. Man muss heute davon ausgehen, dass jedes dritte, vierte Kind traumatisiert ist.

  • Auf der einen Seite kommt es zu Traumatisierungen durch Gewaltbereitschaft zu Hause, durch Vernachlässigung und durch sexuellen Missbrauch.
  • Aber auf der anderen Seite wirkt es traumatisierend auf Kinder, die Erwachsenen selbst als ängstlich, mutlos und ohne Zukunftsperspektive zu erleben. Das ist äußerst erschreckend für Kinder.

Dabei hängt der Schweregrad der Traumatisierung nicht nur von dem Ereignis als solchem ab, z.B. miterleben zu müssen, wie ein Mitschüler misshandelt oder die Mutter vom Vater zusammengeschlagen wird, wie das eigene Erleben von sexuellen Übergriffen oder wie all die grausamen Ereignisse, die über die Medien an sie herangetragen werden und die sie nicht verarbeiten können. Diejenigen, denen solche eindeutigen Grausamkeiten erspart bleiben, sind oft „einfach“ einer Atmosphäre der Ruhelosigkeit und des Desinteresses ausgesetzt. Auch hier sind Angststörungen und Bindungsprobleme, Misstrauen in die Welt und das Leben, innerer und äußerer Rückzug und die Tendenz zur Abhängigkeit von tröstenden und beruhigenden Substanzen oder Mechanismen wie vorprogrammiert.

Der Grad der Traumatisierung hängt zusätzlich vom jeweiligen Lebensalter der Betroffenen und ihrer Resilienz-Fähigkeit ab, der Fähigkeit mit Destruktivem und Schmerzhaftem umzugehen. Lebensalter und Resilienz sind auch entscheidend für das notwendige therapeutische Vorgehen. Dazu braucht es Erwachsene im Umfeld der Kinder, die in der Lage sind, gezielt therapeutische Gegenmaßnahmen ergreifen zu können.

Gewaltbereitschaft als Folge des Materialismus begreifen

Die von Dauerstress bestimmte kulturelle Gestimmtheit unserer heutigen Zeit muss als eine Folge des Materialismus angesehen werden, den wir bereits in der vierten und fünften Generation erleben. Sie trägt entscheidend dazu bei, dass Gewaltbereitschaft, Aggressivität und Egozentrik unter den Menschen wachsen, was sich als Tendenz zeigt, andere wirklich schädigen zu wollen, die Wut an ihnen auszulassen und destruktiv und übergriffig zu werden. In der Regel leben Menschen aneinander vorbei, haben keine Ruhe, keine Zeit, keine Lust, stellen aber hohe Ansprüche an ihre Kinder, üben viel Kritik, geben ihnen wenig positive Zuwendung. Auch Eltern und Lehrer, werden oft übermäßig von ihren Verpflichtungen, von allem, was sie tun müssen, was auf ihrer Agenda steht, motiviert.

Das können die meisten Kinder nicht einfach so wegstecken oder gar verarbeiten: Diese Gestimmtheit genügt, sie zu traumatisieren und ist ein wesentlicher Grund für die hohe Sensibilität, die wir heute schon bei kleinen Kindern vorfinden. Sie sind viel wacher im Ich, viel kundiger – nicht nur technisch, sondern auch problemkundig, doch diese Probleme überfordern sie und machen sie krank. Aus alledem „retten“ sich Kinder, indem sie Anpassungsstörungen, sogenannte Verhaltensstörungen, entwickeln, die im Grunde hauptsächlich Ausdruck ihrer traumatischen Begegnungen mit der Welt sind.

Das Schlimmste daran ist, dass sich Kinder und Jugendliche über das negative Urteil des sozialen Umfeldes selbst auch als unangepasst erleben. Sie fühlen sich zudem abgelehnt, was bei ihnen zu Wut und Hass und zu noch stärkeren Abweichungen führt. Dadurch verstärkt sich die negative Reaktion und führt zu noch mehr Hass und Verzweiflung. Und so schraubt sich die Traumatisierungs-Spirale hoch, bis das Kind zu einem Therapeuten oder Heilpädagogen gebracht wird. So wie mit Kindern heute umgegangen wird, kann man froh sein, dass die Auswirkungen nicht noch viel schlimmer sind, z. B. auch mit Blick auf die neue Armut – doch die Zeitbombe tickt!

Therapeutische Grundvoraussetzungen

Als Pädagogen und Therapeuten müssen wir verstehen, wie sich die Zeitqualität auf die jungen Menschen heute auswirkt, wie sehr sie unter der Angst und Orientierungslosigkeit der Erwachsenen leiden, unter deren Unverständnis, Gereiztheit und Gehetzt-Sein.

  • Solange wir einerseits meinen, all das beträfe nur die anderen, wäre ihr Problem, nicht unseres,
  • solange wir uns andererseits beklagen, wie furchtbar es heute auf der Welt zugeht und dass eigentlich alles ganz anders sein müsste,

sind wir noch nicht fähig, das Zeitschicksal in seiner Bedeutung zu begreifen. Dann fehlt uns das Verständnis für unsere Zeit, unsere Mitmenschen, vor allem aber die Empathie für die Kinder unserer Zeit. Um ihnen in ihren Nöten beistehen und sie therapeutisch begleiten zu können, müssen wir in der Tiefe verstehen, warum alles ist, wie es ist, und gar nicht anders sein kann.

Gesunde Entwicklungsbedingungen und -verläufe, wie wir sie aus der Waldorfpädagogik kennen, sind nirgendwo zu finden. Man muss jedoch das Gesunde kennen, wenn man helfen will. Man muss um die Ressourcen und die Entwicklungsrichtung wissen, und um das, was dem Kind guttut und was ihm bei alledem hilft, seinen Willen seinem Schicksal gemäß zu entwickeln. Ohne die Kenntnis dessen, was zu einer gesunden Entwicklung beiträgt, kann man weder pädagogisch noch therapeutisch begleiten. Am Trauma, dem sogenannten Bösen, werden wir wach für das Gute, für neue Ressourcen, auch in uns selbst. Wenn wir uns daran orientieren, werden wir Schritt für Schritt wissen, was das Kind für seine Heilung braucht.

Vgl Vortrag „Zukunft wollenGegenwart gestalten“, Stuttgart, 14.10.2006

DER THERAPEUTISCHE FÜNFSTERN

Welche Aspekte umfasst der therapeutische Fünfstern?

Inwiefern korreliert er mit der menschlichen Konstitution?

Fünf Aspekte für Interventionen

Wir müssen als Pädagogen und Therapeuten bei unseren pädagogisch-therapeutischen Interventionen fünf Aspekte im Auge behalten, die mit den fünf Ebenen des Menschseins zusammenhängen, um heilende Impulse setzen zu können:

1. DAS ENTWICKLUNSALTER (PHYSISCHE EBENE):

Dieser Aspekt betrifft die physische Entwicklung des Kindes von Jahr zu Jahr. Instinkt, Trieb, Begierde äußern sich jedes Jahr anders, je nachdem, wie die Wesensglieder reifen – das ist die eine Seite.

Die andere Seite ist, dass auch ein Erwachsener aufgrund eines Traumas seelisch in seiner Entwicklung in einem bestimmten Alter wie steckenbleiben kann. Aufgabe des Therapeuten ist es auch hier, den Klienten dort abzuholen, wo er sich seiner Reife nach befindet und ihn zu weiteren Reifeschritten zu veranlassen. Das setzt die genaue Kenntnis menschlicher Entwicklungsprozesse voraus.

Bei einem Fünfjährigen kann man mit den Mitteln der Ablenkung von Schmerz arbeiten. Auch sollte man ihm nonverbal vermitteln: ‚Ich weiß um das Schreckliche, das du erlebt hast, und ich verarbeite es in gewissem Sinne für dich, damit du es mithilfe deiner inkarnierten Wesensglieder nachahmen kannst.‘ Dazu muss der Therapeut sich in das traumatisierende Erlebnis so einfühlen, dass er dessen Auswirkungen für die Biografie des Kindes erahnen kann – nicht nur die pathologischen Folgeerscheinungen, sondern auch die Entwicklungsaufgabe, die dadurch gegeben ist. So kann er das Trauma anstelle des Kindes verarbeiten. Dabei ist es hilfreich, mit den folgenden Fragen in die Nacht zu gehen:

Was willst du, dass ich dir tun soll?

Wie lenke ich dich am besten auf das Gute in dieser Welt?

Wie kann ich das Schändliche, das dir widerfahren ist, so einordnen, dass ich den Sinn darin stellvertretend für dich erkenne?

Denn so ein Ereignis prägt die ganze Biografie dieses Kindes. Das kann als tragisch angesehen werden, kann aber auch als schicksalsgegebene Möglichkeit zur Entwicklung besonderer Stärken verstanden werden

Ein Neunjähriger hat habituell die Haltung, seine Umwelt ständig dahingehend zu überprüfen, ob sie den eigenen Ansprüchen genügt. Viele Erwachsene stecken in diesem Stadium fest. Egal, ob ich mit einem Erwachsenen in diesem Stadium oder mit einem Neunjährigen arbeite, muss ich wissen, wie und unter welchen Bedingungen ein Neunjähriger den Reifegrad eines Zehnjährigen erreicht. D. h. ich kann die normale kindliche Entwicklung als Inspirationsquelle nehmen, um mir für diesen Patienten Nacht für Nacht Übungen einfallen zu lassen. Ich muss dabei aber immer an der Realität überprüfen, ob ich richtig liege – denn das Entscheidende ist das Ergebnis, nicht meine Vorstellung.

Beim Jugendlichen dagegen kommt es ganz darauf an, in ein Gespräch zu kommen, bei dem er die Führung übernimmt. Der Therapeut sollte ihm alles sagen, was er wissen will, sollte sogar auf seine unausgesprochenen latenten Fragen vorsichtig eingehen, wenn er spürt, dass der Jugendliche etwas wissen will, was er noch nicht formulieren kann.

Wenn es um jugendliche Aggressionen geht, wenn Jugendliche sich und andere hassen und verletzen möchten, wäre es therapeutisch zielführend, sie aus diesem Zustand aggressiver Selbstbezogenheit heraus zu locken und in ein kreatives Miteinander zu führen. Wollen sie diese Aufgabe erfüllen, lernen sie aus sich heraus neue konstruktive Lösungen, mit ihren destruktiven Neigungen umzugehen. Hier kann man sehr gut mit erlebnispädagogischen Angeboten und mit Theaterspielen arbeiten – also in Gruppenzusammenhängen. Sie fühlen sich als einzelne dann nicht so exponiert.

2. DER PROZESS, DIE ZEITGESTALT (ÄTHERISCHE EBENE):

Bei diesem Aspekt geht es um die prozessorientierte Frage:

Welche Zugangsart, welchen Prozess wähle ich, um an den Gewohnheiten des jungen Menschen zu arbeiten?

Im Rahmen der Therapie entwickelt sich durch den Charakter und die gewohnheitsmäßige Gestimmtheit eines Therapeuten beim Miteinander-Arbeiten eine gemeinsame Ätherhülle. Selbst ein schwer autoaggressiv gestimmter junger Mensch ist im optimalen Fall während der therapeutischen Sitzung ein anderer Mensch, weil der Therapeut ihn ganz in seine positiv gestimmte Ätherhülle aufnimmt.

Damit das gelingt, muss der Therapeut die Problematik seines Patienten selbst tief empfunden und durchschaut haben. Denn der Zugang zum anderen ist immer das liebevolle Verständnis. Dazu brauchen wir im therapeutischen Team ausführliche Kinder- bzw. Fallbesprechungen. Wenn wir einen Menschen verstehen, können wir ihn weißmagisch-ätherisch beeinflussen, indem wir ihm von unseren Äther- oder Lebenskräften schenken, wissend, dass sich diese Kräfte wieder erneuern lassen durch meditative Arbeit. Der Ätherleib ist ein unbewusster Liebesleib, der, so wie das Leben selbst, alles integriert und immer Gleichgewicht zu schaffen versucht.

3. DIE THERAPEUTISCH-PÄDAGOGISCHE BEZIEHUNG (ASTRALE EBENE):

Rudolf Steiner sagte, eine künstlerische Betätigung bereite immer Freude, egal, wie oft man schon gemalt, Musik gemacht usw. hat. Kunst, als Instrument der Selbstwirksamkeit ausgeübt, bewirkt durch die Freude am Tun eine positive Beziehung des Patienten zu sich selbst und seinem Tun. Der Unterricht und auch jedes andere therapeutisch-pädagogische Angebot sollte Freude machen und wird es auch, wenn es künstlerisch aufgebaut ist, wenn es genug Spielraum für Eigenaktivität und Kreativität lässt. Das ist die eine Seite.

Wichtig ist auf dieser Ebene andererseits die Beziehungsqualität zwischen Therapeuten bzw. Pädagogen und Kind unter dem Aspekt, was es jeweils braucht. Der Therapeut muss sich bei jedem Kind fragen:

Muss ich hier klar und strukturiert sein?

Muss ich ganz zugewandt sein oder eher neutral-distanziert?

Soll ich dem Kind den Freiraum geben, sich selbst eine Tätigkeit auszusuchen, oder muss ich die Aufgabe von Anfang an stellen?

Das sind alles Qualitäten, die der Therapeut situativ und individuell ganz bewusst einsetzen muss, damit die therapeutische Beziehung gelingt.

Gefühle, die jede Beziehung prägen, definiert Rudolf Steiner in der „Allgemeinen Menschenkunde“ als „zurückgehaltenen Willen“. Solange man etwas nur fühlt, tut man im Physischen noch nichts. Therapeut wie auch Pädagoge haben die Aufgabe, ihr Gefühlsleben so zu gestalten, dass es heilsam wirken würde, wenn sie alles täten, was sie fühlen. Eine gute Beziehung herzustellen ist eine große Herausforderung im Umgang mit traumatisierten Menschen, liefert aber gleichzeitig den Schlüssel zum Erfolg.

4. DIE METHODE (ICH-ASPEKT):

Für die Auswahl der geeigneten Methode ist entscheidend, worin der Therapeut den Patienten auf seinem Entwicklungsweg unterstützen möchte. Dazu muss er wissen:

  • ob er an sich selbst,
  • oder mehr an den Schicksalsumständen
  • oder an der Grundsituation der Menschheit, also an menschheitlichen Themen leidet.

Bei einer endogenen Depression z.B., die mit dem Betroffenen ganz persönlich zu tun hat, muss vollkommen anders vorgegangen werden, als wenn klar ist, dass der Ehemann oder das schwierige Kind oder Mobbing im Beruf die Auslöser für die Depression sind. Der Therapeut holt idealerweise jeden da ab, „wo ihn sein Schuh am meisten drückt“ und wählt auch seine methodische Herangehensweise entsprechend aus.

5. DIE SPIRITUELLE ORIENTIERUNG (GEISTIGER ASPEKT):

Der fünfte Aspekt ist die spirituelle Orientierung, aus der heraus der Therapeut arbeitet. Das betrifft auch seine Ideale. Chr. Morgenstern sagte: „Wer vom Ziel nichts weiß, kann den Weg nicht finden.“ Das gilt auch, wenn der Weg das Ziel ist. Zu sagen, man müsse das Ziel nicht kennen, wenn der Weg das Ziel ist, wäre wirklichkeitsfremd. Ich muss das Ziel benennen können, denn erst wenn ich das Ziel kenne, kann ich meine Kräfte sammeln und gezielt darauf ausrichten. Nur weil man „Zielwissen“, sprich: Ideale, missbrauchen kann, sollte man nicht darauf verzichten Ideale zu haben.

Rudolf Steiner benützte den Begriff „Methodologie“, um darzulegen, dass Lehrer immer das jeweilige Entwicklungsziel eines Kindes im Blick haben sollten. Sie sollten genau wissen, worauf sie hinauswollen und entsprechend vorbereitet in den Unterricht gehen. Der Unterricht selbst aber sollte reiner Prozess sein, abgestimmt auf die besonderen Fragen und Aufnahmefähigkeit der Schüler. Ziel und Weg gegeneinander auszuspielen halte ich für unangebracht und ineffizient.

Ideale als Ressource

Konkrete Ideale und Ziele zu haben, ist hoch spirituell. Wem es gelingt, ein Ideal zu formulieren und im Lichte dieses Ideals, wie erwärmt von der Sonne des Zukünftigen, ganz kleine Schritte zu gehen, wird eine grundlegende Zufriedenheit mit seinem Leben empfinden, wie sie nur im Licht eines Ideals entstehen kann. Ein solcher Umgang mit Zielvorstellungen wirkt befeuernd und Mut machend auf jedes Kind und jeden Jugendlichen, wenn sie ihn bei ihren Therapeuten, Lehrern und Bezugspersonen erleben.

Woher soll denn der Frieden kommen, wenn nicht aus der im Ideal bereits enthaltenen Vollendung, aus der Ganzheit, aus dem Ziel? 

Das Ideal höchster Menschlichkeit, das Wahre Selbst, das Ziel aller Entwicklung, ist ja immer schon DA und schenkt uns Frieden, indem es jeden unserer Schritte liebevoll begleitet, auch wenn wir uns noch so sehr am Anfang unserer Reise wähnen und uns von Herausforderung zu Herausforderung bewegen und immer wieder Fehler machen. All das dient uns und stärkt die Verbindung zu dem, worauf wir hinauswollen. Dank unseres Ideals werden wir uns gemäß unseren Möglichkeiten durch alles hindurch weiterentwickeln und unserem Ziel näherkommen.

Vgl. „Traumadiagnose und Traumatherapie – zur therapeutischen Dimension der Erlebnispädagogik“, 2017