Herzlich Willkommen!

Liebe

Aus Geistesforschung
Version vom 6. April 2025, 18:53 Uhr von Katharina Offenborn (Diskussion | Beiträge) (Übertragen von Inhalten von Anthroposophie-lebensnah)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Liebe – von Michaela Glöckler

Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/

LIEBE ZU ALLEN WESEN – DIE WELT IST GUT

Wie können wir heutzutage mit gutem Gewissen davon sprechen, dass die Welt „gut“ ist?

Warum ist das so wichtig für kleine Kinder?

Ein liebevolles Verhältnis zu allem aufbauen

Was das kleine Kind genau so dringend wie Muttermilch braucht, ist, dass Eltern und Erzieher zu allem, was um sie herum ist, in ein liebevolles Verhältnis treten. Rudolf Steiner fasste das, was aus der Liebe zu allen Wesen hervorgehen kann, in die Worte: „Die Welt ist gut.” Was mit den besten Herzenskräften, in innerster Ehrlichkeit und größter Liebe getan wird, wird mit Sicherheit gut werden.

Als Rudolf Steiner einmal gefragt wurde, wie man sich einen Engel vorzustellen habe, sagte er sinngemäß:

„Meditieren sie ihn so, wie Sie ihn zunächst erfassen können. Vielleicht so, wie er auf einer alten Ikone dargestellt wird – als eine kraftvolle, aufrechte Gestalt, die aber leicht ist und Flügel hat. Die Flügel sollen deutlich machen, die Gestalt ist ätherischer Natur, hat kein Gewicht. Sie ist leicht und beflügelt wie ein Gedanke. Und dann die Augen! Fühlen Sie: Der Engel schaut Sie an. Fangen Sie einfach an,sich einen Engel, wie Sie ihn auf Bildern sehen, zu vergegenwärtigen. Dann wird der Engel selbst Ihnen helfen, dass Ihre Vorstellungen immer passender werden. Denn Engel sind Wirklichkeiten, die mithelfen, dass unsere Vorstellungen so werden, wie sie ihrem Wesen nach sind.”

Das gilt für die Wirklichkeit im Allgemeinen. Was wir für Kinder, Eltern und Kollegen aus Liebe tun, wird alle weiterbringen, denn die Wirklichkeit hilft mit.

Vgl. „Die Würde des kleinen Kindes“, 3. Vortrag, Kongressband Nr. 2, gelbes Heft

DAS DREIGLIEDRIGE WESEN DER LIEBE

Auf welchen Ebenen wirkt Liebe?

Wie lassen sie sich differenzieren?

Wirkung von Liebe in Geist, Seele und Leib

Die drei Bereiche der offenen Lemniskate des Merkurstabs sind ein Abbild von Geist, Seele und Leib des dreigegliederten Menschen. In allen dreien wirkt sich Liebe aus.

- Den anderen sein lassen, wie er ist – Liebe im Geistigen

Liebe im Geistigen entspricht dem oberen Teil der offenen Lemniskate. Im dreigliedrigen Menschen lebt die Liebe, das Wesen der Liebe, auf unterschiedliche Weise: Im Geist und in der Erkenntnis lebt die Liebe davon, dass jeder so sein darf, wie er ist. Dass einer dem anderen gegenübersteht und fragt: Wer bist du? Ich will dich verstehen.

Auf die Frage nach dem wichtigsten Wert in ihrem Leben nennen junge Leute heutzutage meist die Ehrlichkeit. Liebe, auch wenn sie mit der schönsten Sexualität verbunden ist, kann ohne das Gefühl verstanden zu werden und ohne das Bemühen zu verstehen, nicht wirklich Liebe genannt werden. Denn auf geistigem Gebiet lebt die Liebe über das Verstehen und Verstanden-Werden.

Ich erinnere mich an eine Hochzeit in der Christengemeinschaft, in der der Priester seine Ansprache an das Brautpaar mit folgenden Worten anfing: „Liebes Brautpaar, die zur Wahrheit wandern, wandern allein.“  Totenstille im Saal. Am Ende sagte er:

„Die Wahrheit, deretwegen sich das Heiraten lohnt, zu der man ganz allein unterwegs ist, kann auch der andere Mensch sein. Es lohnt sich, ein Leben lang zu versuchen, die Wahrheit des anderen zu verstehen. Doch auf diesem Weg geht jeder allein. Je mehr man jedoch von dieser Wahrheit zu verstehen beginnt, desto weniger fühlt man sich allein.“

Das entspricht dem Begriff von „Geselligkeit“, den Rudolf Steiner für das nachtodliche Leben entwickelte: Dadurch, dass man auf Erden bestimmte Erkenntnisse erwirbt und bestimmte Erlebnisse hat, erwirbt man sich fürs Nachtodliche die Möglichkeit zur Geselligkeit, zur Gemeinschaft mit anderen.[1]

- Eins im Kreuzungspunkt zwischen Sympathie und Antipathie – Liebe im Gefühl

Liebe im Gefühl entspricht dem Kreuzungspunkt, dem mittleren Bereich der Lemniskate: Dieses Kreuz erscheint sogar im Trauritual. Zwei Menschen aus ganz verschiedenen Richtungen treffen sich in einem Punkt, im „Ja“. Dieses „Ja“ ist das einzig Verbindende, alles andere ist offen. Keiner der beiden weiß, was auf sie zukommt. Nach dreißig Jahren weiß man es schon ein bisschen besser und trotzdem weiß man noch längst nicht alles.

Im Gefühlsbereich hält sich die Liebe der beiden, jenseits von Sympathie und Antipathie, in diesem Kreuzungspunkt die Waage. In diesem Punkt sind die beiden eins.

- Gemeinschaft wollen – Liebe als Willensakt

Liebe als Willensakt entspricht dem unteren, geschlossenen Teil der Lemniskate: Wenn man sich liebt, ist man eine Willensgemeinschaft. Man will dasselbe, obwohl man vielleicht ganz unterschiedlicher Meinung ist. Obwohl man ganz unterschiedlich fühlt über dies und das, kann man sich trotzdem entscheiden, zusammen leben zu wollen: Je mehr man sich im Willen eins weiß, desto liebevoller wird die Gemeinschaft. Auch wenn man im Äußeren wenig zusammen unternimmt und macht – wenn man fühlt, der andere steht hinter einem, er will, dass man macht, was man macht, kann man sich unterstützt fühlen.

Die Willenseinigkeit bildet die Liebe im Physischen ab. Der Sexualakt, der Fortpflanzungsakt, ist dafür das physische Sinnbild: Im Physischen, im Stoffwechsel, im Willen, müssen die beiden eins sein, nicht zwei.

In der Erkenntnis dagegen, müssen es zwei sein, sonst ist es keine Liebe. Jeder Mensch findet auf seine Art zur Wahrheit. In der Wahrheit wird das Getrennte dann wieder eins.

Vgl. Vortrag „Die Gesetzmäßigkeiten des Merkurstabs“ vom 25.09.2007


[1] Rudolf Steiner, Okkulte Untersuchungen über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt. GA 140, Dornach 2003, S. 130.

LIEBE ALS ENTWICKLUNGSMOTIV

Wie hängen Sympathie, Antipathie und Liebe zusammen?

Was unterscheidet Sympathie und Liebe?

Welche Bedeutung hat Liebe für die Entwicklung?

Liebe als Vermittler zwischen Sympathie und Antipathie

Unser Gefühlsleben, unser Seelenleben, bewegt sich im Spannungsfeld von Sympathie und Antipathie. Wer Sympathie mit Liebe verwechselt, kennt die Liebe nicht und wird eines Tages schmerzlich erwachen, dann nämlich, wenn Sympathie in Antipathie umschlägt. Liebe kann nie in Antipathie umschlagen. Liebe vermittelt zwischen den Gegensätzen von Antipathie und Sympathie. Letztere gehören zur menschlichen Konstitution und wir können froh sein, dass wir auf alles, was uns begegnet, mit Sympathie oder Antipathie reagieren dürfen.

Was wir aber erst entwickeln müssen, ist die Liebe. Durch Liebe wird Antipathie immer objektiver und differenzierter: Sie können an der Art Ihrer Antipathie ablesen, wie weit Ihre Liebe entwickelt ist. Hat sie sich bis zu einem gewissen Grad entfaltet, reduziert sich Ihre Antipathie immer mehr auf das, was tatsächlich böse, destruktiv und problematisch ist. Und auch Ihre Sympathien verändern sich immer mehr dahingehend, dass sie Ihnen sagen, was wahr, schön und gut ist.

Die Liebe wächst in dem Ausmaß, in dem wir daran arbeiten, dass Sympathien und Antipathien nicht mehr bloß Selbstbehauptungsstrategien triebhafter Natur sind, sondern zu Wahrnehmungsorganen werden für das Leben. Liebe entwickeln bedeutet also, an seinen Sympathien und Antipathien so zu arbeiten, dass sie uns helfen, objektiv zu urteilen, damit wir frei mit ihnen umgehen können.

Schulungsweg der Mitte für Erzieher

Das ist der Schulungsweg der Mitte, den vor allem der Erzieher gehen muss, der mit kleinen Kindern zu tun hat. Denn im Umgang mit kleinen Kindern, aber auch im Umgang mit Eltern von kleinen Kindern sind viele naturhafte, triebhafte Emotionen mit im Spiel: Schuldgefühle, Neid, Ärger, Verdächtigungen und anderes mehr. In dieses Durcheinander bekommen wir nur dann Ordnung, wenn wir an der Reinigung und Objektivierung unseres eigenen Seelenlebens arbeiten. Erst dadurch werden wir fähig, ein gesundes Selbstbewusstsein aufzubauen und beispielsweise einen Anderen zu bewundern, ohne ihn zu beneiden, oder etwas scharf zu verurteilen, ohne lieblos zu werden. Denn erst wenn ein Mensch spürt, dass er nicht gehasst oder verachtet wird, kann er unser Urteil annehmen. Die Möglichkeit, im Sozialen wirklich gedeihlich zu arbeiten, steht und fällt mit der Entwicklung von Liebefähigkeit.

Vgl. „Die Würde des kleinen Kindes“, 2. Vortrag, Kongressband Nr. 2, gelbes Heft

LIEBE ALS KULTURAUFGABE

Was kann uns helfen, die Herausforderungen des Erziehens trotz des eigenen Unvermögens zu meistern?

Liebe kompensiert Unvermögen

Das Leitbild der Krippenarbeit erscheint außerordentlich anspruchsvoll und kaum zu erfüllen. Ein Krippenerzieher oder auch eine junge Mutter kann dabei schnell das Gefühl bekommen, diesem hohen Anspruch nicht gerecht werden zu können. Wer diese Spannung nicht aushält, bekommt Schuldgefühle, wird deprimiert oder nimmt, was noch schlimmer ist, die lockere Haltung des Laissez-faire an. Man weist mit allen möglichen Ausreden das Anstrengende von sich. Es gibt aber eine Fähigkeit, die alles Unvermögen kompensieren kann – die Liebe.

Die Natur hat es so eingerichtet, dass eine Mutter ihr Kind instinktiv liebt. Da Gott wusste, wie schwer alles andere ist, hat er der Liebe eine wunder­volle Naturseite gegeben, die uns im Blut sitzt und uns für einander anziehend macht, auch wenn wir nicht sehr weit entwickelt und unmoralisch sind. Diese Art von Liebe funktioniert schon, wenn man ein Baby nur sieht – man muss schon sehr hart gesotten sein, um beim Anblick eines Säuglings nicht wenigstens ein bisschen zu lächeln. Wir haben eine natürliche Liebebereitschaft kleinen Kindern, dem anderen Geschlecht und immer mehr auch dem eigenen Geschlecht gegenüber (was auch nicht weiter schlimm ist). Auf diese natürliche Liebe, die sehr individuell ist, können wir uns bis zu einem bestimmten Grad verlassen. Wenn diese Liebe versagt, versagen unsere menschlichen Instinkte. Dann stehen wir bereits am Rande der Kriminalität, des Missbrauchs, der Unmenschlichkeit; dann brauchen wir bereits Hilfe in Form von Therapie.

Natürliche Liebefähigkeit weiterentwickeln

Nun muss sich diese natürliche Liebefähigkeit aber weiterentwickeln zu einer seelischen Liebes­fähigkeit, die unabhängig von der Naturgrundlage ist. Wenn ich ein fremdes Kind wie mein eigenes erziehen will, brauche ich diese Seelenkultur.

  • Auf geistiger Ebene ist Liebe identisch mit Wahrheit und Weisheit. Da sprechen wir davon, dass wir mit dem Herzen verstehen.
  • Seelisch gesehen kann Liebe Herr über Antipathien und Sympathien werden; sie überwindet Neid, Eifersucht und Hass, aber auch fanatische Sympathie. Sie löst sozusagen die Emotionen auf, har­monisiert sie und schafft eine ehrliche, objektive menschliche Beziehung.
  • Auf körperlicher Ebene äußert sie sich als Instinkt, Trieb, Neigung, Empfindung und ermöglicht uns einen direkten Zugang zuein­ander, der unabhängig ist von unserer geistig-seelischen Entwicklung.

Vgl. „Die Würde des kleinen Kindes“, 1. Vortrag, Kongressband Nr. 2, gelbes Heft

LIEBE ALS KRAFT DER SELBSTÜBERWINDUNG

Inwiefern hilft Liebe uns bei der Selbstüberwindung?

Liebet eure Feinde

Zum Thema Liebe würde ich gerne etwas vorlesen. Es gibt eine ganz kurze Anleitung im Matthäusevangelium im 5. Kapitel, wo Jesus sinngemäß sagt: Es ist doch eigentlich nicht schwer, einen anderen Menschen zu lieben, wenn man ihn mag. Das tun auch die Sünder, die Diebe, die Mörder. Das ist überhaupt nichts Besonderes. Und dann spricht er über das wirklich Besondere:[1]

„Zu euch, die ihr mich fürchtet, sage ich: Liebet eure Feinde. Erweiset Wohltat denen, die euch hassen. Segnet, wenn man euch flucht. Betet für die, die euch beschimpfen. Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, biete auch die andere dar. Verweigere dem, der dir den Mantel nimmt, auch deinen Rock nicht. Jedem, der dich bittet, gib und fordere nicht zurück, was dir genommen wird. Denn wenn ihr diejenigen liebt, die euch lieben, verdient ihr dafür Dank?“

Liebe als Fähigkeit, die über Sympathie hinausgeht

Mit diesen Worten wird die Liebe als Fähigkeit beschrieben, sich gerade nicht nach den eigenen Sympathien zu richten, sondern sich auf den Zustand der Welt auszurichten, die Liebe nötig hat, die Liebe lernen muss, der durch Liebe geholfen werden kann. Dieses Motiv spielt in der Todesnähe oft eine große Rolle.

Die Verwandlung von Feindschaft in Liebe am Lebensende kenne ich aus den Berichten sehr vieler Menschen. Das sympathieunabhängige Motiv der Liebe kann einem dabei helfen, sich umzupolen.

  • Auf der einen Seite die normale selbstbezogene Liebe, die wir alle gut kennen und auch genießen, die ja auch wunderschön ist, aber ihre Grenzen hat.
  • Auf der anderen Seite die „umgepolte“, durch Selbstüberwindung geborene Liebe, die wir Menschen, die uns hassen oder missverstehen, schenken können.

Wer das einmal getan hat, wer in Liebe für einen „verfeindeten“ Menschen gebetet hat, fühlt sich danach vollkommen anders und erlebt auch den anderen Menschen vollkommen anders, als wenn er sich den üblichen reaktiven Gefühlsmustern überlassen hätte.

Vgl. Vortrag „Die spirituelle Dimension der Todesnähe“, 14.09.2007


[1] Neues Testament, Matthäus 5, 39-44.