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Muttersein

Aus Geistesforschung
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Muttersein – von Michaela Glöckler

Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/

FRAU- UND MUTTERSEIN IM 20. JAHRHUNDERT

Welche Wurzeln hat das Selbstverständnis der heutigen Frauen und Mütter?

Das Jahrhundert der Emanzipation

Das Thema „Selbstverständnis” hat einen zeitgeschichtlichen Hintergrund. Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Emanzipation. Man stelle sich vor, dass in Deutschland erst im Jahr 1908 an der Berliner Universität die erste Frau zum Staatsexamen zugelassen wurde. In diesem so hoch zivilisierten Deutschland war die akademische Bildung der Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch ein Tabu und es gab wissenschaftliche Abhandlungen darüber, ob Frauen überhaupt zu höherer Bildung fähig seien und welche Auswirkungen ihre Anwesenheit in den Hörsälen auf die Arbeitsmoral der Studenten habe. Zieht man diese Verhältnisse in Betracht, kann man Ita Wegman bewundern, die sich 1905 zum Medizinstudium entschloss und in Zürich immatrikulierte – was eine Voraussetzung dafür war, dass sie zusammen mit Rudolf Steiner am Goetheanum die anthroposophische Medizin begründen konnte.

Dieser Aufbruch der Frau setzte sich dann nach dem Ersten Weltkrieg verstärkt fort, gefördert auch durch die Erfahrungen des Krieges. Da wurde evident, dass Frauen zwar nach wie vor gewisse physische, seelische und geistige Unterschiede zu Männern aufweisen, dass sich diese Unterschiede aber nicht auf Intelligenz, soziale Kompetenz und das Spektrum der meisten Berufe erstrecken.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es dann gar kein Halten mehr. Und nicht zuletzt trug auch die Pille ihren Teil zur Selbstbestimmung der Frau bei, wobei ich nicht sagen möchte, dass es nicht auch mehr selbstbestimmte Formen der Empfängnisregelung gibt.

Heutige Überforderung

Die Emanzipation hat den Frauen zwar erstmals in der Menschheitsgeschichte die Möglichkeit gebracht, ihr Leben selbst zu planen und zu gestalten; dennoch ist auch heute für Frauen immer noch schwierig, ein wirklich selbstbestimmtes Leben zu führen. Das ist wahrscheinlich einer der Gründe dafür, dass gegenwärtig der Alkoholismus bei Frauen so stark ansteigt. Waren früher unter den Alkoholikern höchstens 5 bis 10 Prozent Frauen, so sind es nach den neuesten Statistiken gegenwärtig bis zu 30 Prozent. Diese dramatische Zunahme hat viele Gründe. Einer ist aber sicher in der Komplexität des Überfordert-Seins zu suchen, die mit der multifunktionalen Rolle der Frau zusammenhängt: als Mutter, die sich vielen Erwartungen gegenüber behaupten muss, als Ehefrau, als Partnerin und nicht zuletzt als „sie selbst“.

Vgl. „Die Würde des kleinen Kindes“, 2. Vortrag, Kongressband Nr. 2, gelbes Heft

MUTTERSEIN ALS BERUF

Ist Muttersein ein Beruf?

Die geringe Wertschätzung des Berufs der Mutter wirft grundsätzliche Fragen zum Muttersein in der heutigen Gesellschaft auf.

Unterschätzter Beruf „Mutter“

Blickt man auf die Arbeit, die eine Mutter von morgens bis abends zu leisten hat, damit das Kind alles bekommt, was es braucht, und nicht nur leiblich versorgt ist, sondern auch seelisch ange­regt und getragen, so kann man nur sagen: Muttersein ist ein anstrengender Beruf ohne geregelte Arbeitszeiten und ohne festen Fe­rienplan. Würde diese Arbeit mit einem angemessenen Stundenlohn hono­riert, wäre der Beruf der Mutter sicher einer der bestbezahltesten Dienstleistungsbe­rufe der Gegenwart.

Und damit ist das größte Problem bereits beim Namen genannt: In einer Zeit, in der eine Leistung, die nichts ko­stet, auch nichts gilt, und in der überall nur auf den Profit geschaut wird, ist es selbstverständlich, dass dem Beruf der Mutter nicht die gesellschaftliche Wertschätzung zuteilwird, die ihm vom Arbeitsaufwand und der Leistung her zukommen müsste.

Ganz abgesehen da­von muss jede Mutter zur Bewältigung der täglichen Probleme Antworten auf Fragen suchen, was ebenfalls Zeit und Kraft kostet: Sie muss sich weiterbilden in Erziehungsfragen, in psychologischen Fragen, in Ernährungsfragen, in sozialhygienischen Fragen und vielem mehr. Auch hierfür stehen keine Hilfen und Mittel bereit. Was die Mutter tut, muss sie aus eigenem Antrieb und ohne entspre­chende Unterstützung und Honorierung von außen tun. Wie viel leichter ist demgegenüber jeder andere Beruf!

Forderung nach einem Gehalt für Mütter

Es gehört zu den größten sozialen Problemen der Gegenwart, dass im materialistischen Wertsystem nur das anerkannt wird, was auch Geld kostet. Wer mit solchen Wertvorstellungen aufgewachsen ist, läuft Gefahr, den Mutterberuf als minderwertig anzusehen, weil er nicht bezahlt wird. Es hat zwar immer wieder Initiativen gegeben, die gefordert haben, dass Mütter für ihr Muttersein und für ihre jahrelange Tätigkeit ein Gehalt beziehen sollten. Diese Forderung konnte jedoch in der noch immer weit­gehend von Männern geprägten Kultur und Politik nicht durchge­setzt werden.

Das Leben von Mutter und Kind wäre zweifellos ein anderes, wenn Mütter aus Steuergeldern ein gewisses Grundge­halt beziehen würden, das ihnen andere Möglichkeiten geben würde, ihr Leben zu gestalten – könnte eine Mutter z.B. eine Haushilfe bezahlen, hätte sie neue Möglichkeiten der Freizeitge­staltung, Zeit für eine kleine Erholungsreise, für dies oder jenes, was das Leben erleichtern kann und die Lebensqualität erhöhen. In vielen Einzelfällen könnte soziales Elend abgebaut werden, das dadurch entsteht, dass manche Männer, nur weil sie die Familie finanziell erhalten, glauben, den Ablauf des Familienlebens bestimmen zu können. Damit haben sie häufig ein Druckmittel in der Hand, das Frauen daran hindert, sich von ihnen zu trennen, aus Angst vor einem sozialen Abstieg und dem Angewiesen-Sein auf So­zialhilfe. Es gehört auch heutzutage immer noch großer Mut dazu, sowohl diesen Weg zu gehen und mit sehr wenig Geld auskommen zu müssen, als auch den Kompromiss einzugehen und berufstätige alleinerziehende Mutter zu werden.

Wenn eine Frau unabhängig von ihrem Ehemann ein entsprechen­des Gehalt bezöge, würde das nicht nur ihre persönliche Freiheit und Lebensqualität erhöhen, sondern ihr auch gesellschaftlich eine ganz andere Stellung und Wertschätzung einräumen. Muttersein würde als ein attraktives Berufsangebot angesehen werden, was sicher auch dazu beitragen würde, dass die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche aus sozialen Gründen drastisch abnähme. Eine Fülle von Problemen, die aus dem gekränkten Selbst­bewusstsein von Müttern resultieren, die in dem Empfinden leben – „Mein Beruf gilt nichts. Ich kann arbeiten, wie ich will. Meine Arbeit wird nicht anerkannt.“ – würde durch eine solche Regelung beseitigt.

Selbstverständlich gibt es auch unter den gegenwärtigen Bedin­gungen Frauen, die „nur“ Mütter sind, die diesen Beruf bewusst bejahen und mit Freude ausüben, die mit den damit einhergehenden Problemen genauso umgehen, wie mit Problemen in anderen Berufen. Und es gibt auch Ehemänner, die die Arbeit ihrer Frauen honorieren und Kinder, die froh und dankbar dafür sind.

Erfahrung einer Mutter

Eine Mutter erzählte auf meine Frage, worin sie den Sinn ihres neuen Berufes sieht (sie war vor ihrem ersten Kind berufstätig gewe­sen): „Der Sinn des Mutterberufs ist doch das Kind selbst.“ Auf die Frage, wie sie das meinte, antwortete sie: „Wissen Sie, es ist unglaublich schön, von Anfang an zu erleben, was es heißt, Mensch zu werden – und sich bewusst zu werden, was da alles dazugehört! Davon hatte ich keine Ahnung!“ Und dann berichtete sie von einer Fülle von Einzelheiten. Interesse, Glück und Freude strahlten aus ihren Augen. Sie schloss ihre Antwort mit den Worten: „Dieser Beruf gibt mir das schöne Gefühl, nicht umsonst zu leben. Man engagiert sich für die Zukunft, wenn man einem Menschen gute Startbedingungen schafft.“

Sicher wird jede Mutter auf eine solche Frage hin etwas anderes sagen. Aber an diesem Einzelfall zeigt sich auch etwas Charakteri­stisches: Eine Mutter, die bereits berufstätig war und sich dann mit vollem Bewusstsein entschließt, „nur“ Mutter zu sein, steht mit einer ganz anderen Sicherheit und Selbstverständlichkeit in diesem Beruf. Sie findet den Sinn und die Anerkennung in der Tätigkeit selbst und sucht sie nicht von au­ßen.

Vgl. Kapitel „Die alleinerziehende Mutter“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart

WEITERBILDUNG UND BEZAHLUNG FÜR MÜTTER

Warum bezahlt man Mütter nicht dafür, dass sie eine pädagogische Weiterbildung absolvieren und dann 80% des Gehalts einer pädagogischen Kraft bekommen, wenn sie ihr Kind zuhause betreuen?

Mütter als Fachkräfte anerkennen

Ein brennendes Themenfeld ist für mich die Kinderbetreuung als Beruf. Jedes Kind hat per Gesetz den Anspruch auf einen Kita-Platz. Bedingt durch den andauernden Fachkräftemangel, lässt sich das jedoch nicht umsetzen, oder nur unter schweren Qualitätseinbußen.

Eine pädagogische Weiterbildung für Mütter würde ihr nicht nur helfen, ihre Rolle besser auszufüllen. Sie stünde ihr auch als Qualifikation in ihrem beruflichen Portfolio zur Verfügung. Das wäre ein großer Gewinn für die Volksgesundheit! Man würde sich viele der Folgekosten z.B. für Therapien, Rehas und sogar Jugendgefängnisse sparen können, wenn man den Start ins Leben mit viel mehr Liebe und Bewusstsein – auch von Staats wegen – begleiten würde. Wenn man Mütter (und Väter) motivieren würde, diese Rolle für ein paar Jahre bewusst wahrzunehmen, indem man ihnen dafür ein Gehalt bezahlt und auch eine Rente. Sie hätten unter diesen Voraussetzungen weitaus bessere Bedingungen für den Übergang in einen anderen Beruf. Man hat sich im Zuge der Kinderbetreuung in so viele Fragen hineingearbeitet, auch in Führungs- und Organisationsfragen, und ist dabei zu einer Fachkraft geworden.

Ich weiß von vielen Müttern, die dazuverdienen müssen, dass sie leiden, weil sie ihre Kinder abgeben müssen, weil der Mutterberuf nicht bezahlt wird. Das finde ich äußerst ungerecht, unmenschlich und unseriös und vor allem typisch für unsere heutige Zeit: Jedes Gebiet wird immer nur isoliert angeschaut und niemals das Ganze, der Gesamtzusammenhang, in dem die Detailfragen stehen, in den Blick genommen.

Vgl. Podcast „Im Gespräch mit Dr. Michaela Glöckler: Vatersein, Haltung moderner Eltern, Ideale und Kompromisse“, März 2024

DEN MUTTERBERUF BEJAHEN LERNEN

Wie kann eine Mutter ihr Mutterdasein bejahen lernen, auch wenn sie sich nicht bewusst dafür entschieden hat?

Wie findet sie zu einem gesunden Selbstbewusstsein?

Wenn Mütter unter ihrem Dasein leiden

Mütter, die den Mutter-Beruf nicht aufgrund eines Kinderwunsches oder einer bewussten Entscheidung für die Familie ergriffen haben, erleben und benennen eine Fülle von Konflik­ten und Problemen: Sie empfinden ihre Kinder oft als lästig, leiden unter der Arbeit, die sie machen. Es gibt Zeiten, in denen diese Mütter nur das Negative sehen können und ihre eigentlichen Lebenswünsche als nicht erfüllt betrachten.

Sie sind mit der Schwierigkeit konfrontiert, eine Lebenswende, die sie nicht bewusst herbeigeführt haben, im Nachhinein bejahen zu müssen. Eine Frau, die gegen ihren Willen oder ganz ungeplant ein Kind bekommt und sich entschließt, es zu behalten, braucht Zeit, bis dieser Entschluss wirklich ihr eigener geworden ist. Sie wird im­mer wieder Phasen haben, in denen sie denkt, dass sie es schon geschafft hat, um dann doch wieder verzweifelt dazusitzen und sich zu fra­gen, wie sie alles bewältigen soll. Das als Beispiel für die Schwierigkeit, sein Schicksal anzunehmen.

Man kann Mutter sein, ja sogar mehrere Kinder haben, ohne diese Situation innerlich anzunehmen. Schafft man es jedoch, zu der Situation, in der man sich befindet, wirklich ja zu sagen, so gelingt der Mutter-Be­ruf und die Kinder finden die Geborgenheit und die warme und herzliche Atmosphäre, in der sie am besten gedeihen können.

Den Zwiespalt in der Seele überwinden

Sich mit den Lebensrealitäten zu identifizieren und daraus das Beste zu machen, ist das Schwerste, aber auch das Schönste, was man im Leben erreichen kann. Dichter wie Goethe haben dies als die „sauerste aller Lebensproben“ bezeichnet und die Selbstüberwindung, den inneren Sieg, als den höchsten menschlich-moralischen Wert dargestellt. Gelingt es, den Zwie­spalt in der Seele durch einen solchen inneren Sieg zu überwinden, bekommt das Kind von einem Tag auf den anderen eine neue Mutter. Jetzt ist sie nicht nur leiblich die wirkliche Mutter des Kindes, sondern auch seelisch und geistig. Kann sie so zu ihrem Kind stehen, spielen andere Faktoren wie Berufstätigkeit oder Partnerlosigkeit für das Kind eine untergeordnete Rolle. Denn es hat, was es braucht: einen Menschen, der es bejaht und es im wahrsten Sinne des Wortes beim Namen ruft, der es haben will. Aber auch die Mutter hat, was sie zum Leben braucht: Sie ist eins mit sich selbst und daraus resultiert ein gesundes Selbstbewusstsein.

Viele Menschen haben heute ein gekränktes Selbstbewusst­sein. Das äußert sich darin, dass sie mit sich uneins sind und dadurch wie  gespalten sind in ihrer Identität: Die Identität, die sie haben, empfinden sie als wertlos und diejenige, die sie gerne hätten, wird in ihren Wunschvorstellungen überbewertet. Das wirkliche Selbst ist zwischen diesen beiden Möglichkeiten in einer tiefen Verunsicherung befangen. Im Hin- und Herpendeln zwischen Wunsch und Wirklichkeit regt sich das eigentliche Selbst, das nach einer wirklichen Identifikationsmöglichkeit sucht. Zustände dieser Art kön­nen durch eine ungewollte Schwangerschaft, durch das Auseinan­dergehen einer Partnerschaft, durch eine plötzliche Krankheit oder durch ein anderes Schock-Erlebnis ausgelöst werden.

Wertvolle Bejahung des eigenen Schicksals

Diese schweren Erlebnisse sind jedoch oft der Beginn eines Prozesses, den man zu allen Zeiten „zweite Geburt“ genannt hat: Man lernt, sich selbst zu akzeptieren und sich dadurch noch einmal neu hervorzubringen. Denn mit der Bejahung des eigenen Schicksals beginnt ein zweites Leben.

Damit sind wir noch einmal bei dem Gedanken, der eingangs erwähnt wurde: dass alles, was leiblich geschieht, seelisch und geistig durch einen freien Entschluss, den jeder nur sel­ber fassen kann, nachgeholt und gelernt werden muss. Dieser Pro­zess der notwendigen zweiten Geburt im späteren Leben zeigt, dass der Mutterberuf eigentlich der Ur-Beruf ist, durch den man das Menschwerden lernen kann. Hierin liegt die überpersönliche, allge­mein menschliche Botschaft des Mutterberufes: aufgerufen zu sein, sich seelisch und geistig weiterzuentwickeln, sich selbst neu hervorzu­bringen und zu verwirklichen.

Vgl. Kapitel „Die alleinerziehende Mutter“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart

DIE BERUFSTÄTIGE MUTTER

Was braucht das Kind, und was kann die Mutter ihm davon unter den gegebenen Umständen ihrer Berufstätigkeit ge­ben?

Wichtige Bejahung der gegebenen Situation

Ist eine Mutter selbst berufstätig, hat sie zwei Berufe und kann für keinen ganz da sein. Kann sie die damit verbundenen Kompromisse bejahen, lassen sie sich durchaus mit der gesun­den Entwicklung des Kindes vereinbaren. Voraussetzung ist aller­dings, dass oben genannte Frage an erster Stelle steht.

Ganz sicher müssen die mütterlichen Aufgaben auf meh­rere Personen verteilt werden, weil die Mutter durch ihre Abwesen­heit selbst nicht alles Nötige leisten kann. Kann sie dazu stehen und andere Menschen voll in den Lebensalltag ihres Kindes mit einbezie­hen und dann auch deren Eigenarten mittragen, so erlebt das Kind Geborgenheit und Sicherheit.

Einziges Hindernis ist der Anspruch mancher Frauen, eben doch alles selber tun zu wollen und nicht bereit zu sein, sich die Betreuung des Kindes mit anderen Menschen zu teilen. Sie bemerken dann nicht, dass die ungenügende Betreuung, die Hetze und die Unzufriedenheit darüber, nicht alles zu schaffen, für das Kind viel schäd­licher sind, als eventuelle Eigenarten anderer Pflegepersonen. Deswegen ist es entschei­dend, zu der Lebenssituation, in der man steht, ganz ja zu sagen.

Fremdbetreuung als wertvolle Ergänzung akzeptieren

Hat sich eine Mutter aufgrund bestimmter äußerer Zwänge oder aus eigenem Wunsch zur Berufstätigkeit entschieden, ist es ganz wich­tig, dass sie auch bereit ist, die Konsequenzen aus ganzem Herzen zu tragen: Wenn eine andere Person gewisse Mutterfunktionen übernimmt, muss an dem damit verbundenen Konkurrenzproblem gearbeitet werden. An­statt zu fragen – „Wen mag das Kind lieber, wem gehört das Kind jetzt wirklich?“ – und zu versuchen, es zu verwöhnen und damit an sich zu binden, wäre es notwendig, dass die Mutter die andere Bezugsperson voll in ihr eigenes Leben und das des Kindes mit einbezieht, und sich in erster Linie darüber freut, dass ihr Kind bekommt, was es braucht.

Diese Doppelrolle verlangt der berufstätigen Mutter etwas ab, was nicht berufstätige Mütter erst später lernen müssen: ihr Kind nicht als Eigentum anzusehen, sondern vielmehr als einen Menschen, der ihr vorübergehend zur Pflege und Förde­rung überantwortet wurde. Indem sie ihr Kind von einem anderen Menschen betreuen lässt, muss sie von Anfang an äußerlich etwas tun, was sie seelisch mit vollziehen muss: Sie muss einsehen, dass das Kind nicht ihr, sondern der Welt gehört. Kann sie das begreifen und zulassen, hat sie den mütterlichen Ego­ismus und auch das Problem von Neid und Eifersucht überwunden. Sie wird dadurch fähig, die Mitverantwortung anderer Menschen zuzulassen und gemeinsam mit ihnen um das Kind herum einen Freiraum entste­hen zu lassen, in dem es sich entwickeln kann. Anstatt seelischen Spannungen, dem Konkurrenzempfinden und Verwöhnt-Werden ausgesetzt zu sein, lebt das Kind jetzt in einer liebevollen Atmosphäre, die ihm Geborgenheit vermittelt.

Die Doppelrolle als Mutter und Berufstätige hat aber auch ei­nen Vorteil. Für die berufstätige Mutter ist es selbstverständlich, wenn das Kind oder die Kinder größer sind, wieder den Anschluss an das Leben außerhalb der Familie zu finden.

Vgl. Kapitel „Die alleinerziehende Mutter“, Elternsprechstunde, Glöckler, Michaela, Verlag Urachhaus, Stuttgart

DIE ALLEINERZIEHENDE MUTTER

Welche besonderen Herausforderungen hat die alleinerziehende Mutter zu meistern?

Welche Chancen hat sie als Alleinerziehende?

Vielzahl an Veröffentlichungen

Es gibt heute eine kaum mehr überschaubare Literatur zum Thema „Mutter“ bzw. „Mutter und Kind“. Dies macht deut­lich, wie vielgestaltig die damit zusammenhängenden Erfahrungen, Probleme und Perspektiven sind und wie unterschiedlich deren psychologische oder philosophische Interpretation. Einmal werden mehr die sozio-kulturellen Strukturen der Mutter-Kind-Beziehung herausgestellt in ihrer spezifischen Bedeutung für die spätere Bio­graphie. Dann wieder werden neue Lebensformen vorgestellt der „Mütter ohne Männer“, in denen die Frauen zu Wort kommen, die sich zwar ein Kind wünschen, das Zusammenleben mit einem Mann jedoch problematisch finden und lieber mit zwei oder drei anderen Müttern und deren Kindern eine Wohngemeinschaft bilden wollen. Natürlich werden auch die „Mütter mit Beruf“ in der Literatur be­schrieben und beraten. Ihnen wird Hilfestellung geleistet mit dem Ziel, die mit der Doppelbelastung verbundenen Vorurteile und Selbstzweifel zu überwinden.

Die Vielzahl der Veröffentlichungen und die darin aufgezeigten und beschriebenen Probleme machen auch deutlich, dass der Beruf der Mutter, so menschheitsalt er auch ist, in unserer Zeit neu über­dacht und in seiner sozialen Bedeutung neu verstanden werden muss.

Die Beantwortung der Frage, was Kinder brauchen, kann eine Hilfe sein in der Vielfalt der Probleme, die mit dem Alleinerziehen verbunden sind, eine Orientierung zu finden für die innere und äußere Lebensgestaltung.

Wichtige Identifikation

Unter den alleinerziehenden Müttern gibt es sowohl die hauptberuf­liche als auch die nebenberufliche Mutter. Meist lebt die hauptberuf­liche Mutter mit sehr wenig Geld und die nebenberufliche Mutter in etwas besseren Verhältnissen. Gelingt es der Mutter, sich mit ihren jeweiligen Lebensumständen zu identifizieren, so wachsen die Kin­der in dieser Situation meist glücklicher auf als in einer Familie, wo häufig Zank und Streit herrscht. Identifiziert sie sich mit ihrem müt­terlichen Beruf und schafft sie es, mit dem Wenigen, was sie hat, auszukommen, so ist das natürlich für das Kind ein Segen. Aber auch für sie selbst ist es die entscheidende Hilfe, denn so findet sie eher Freunde und Anschluss an andere Familien, die ihr dann auch bei der Bewältigung ihrer Lebenssituation helfen können.

Wer miterlebt, wie problematisch die Atmosphäre in vielen Fa­milien der Gegenwart ist, der freut sich über jedes Kind, das eini­germaßen unbehelligt und harmonisch aufwachsen darf. Auch wenn das Fehlen des Vaters natürlich ein Faktor im Leben des Kin­des ist und die Mutter Sorge tragen muss, dass die väterlichen Funk­tionen von ihr und anderen Menschen übernommen werden, so kann sie sich doch auch immer wieder sagen, dass eine solche Art zu leben auch zum Wohl des Kindes ist. Denn es gibt ungezählte Kin­der, die gerade in der Dreierbeziehung Vater-Mutter-Kind kein ge­sundes und harmonisches Existenzgefühl entwickeln können, da sie immer wieder in die zermürbenden Spannungen zwischen den El­tern einbezogen werden. Ein ungebrochenes Gefühl der Geborgen­heit kann so nicht entstehen.

Vorteile des Alleinerziehens

Demgegenüber kann die alleinerziehende Mutter in keine Dis­kussion über Erziehung, Schule, Ferienaufenthalte, Anschaffungen zu Hause verwickelt werden, die Anlass für Zank und Streit geben könnten. Das Kind erlebt, dass die Mutter tut, was sie für richtig hält, und dieses eindeutige Handeln schafft Sicherheit und Ver­trauen. Die alleinerziehende Mutter kann dem Kinde etwas ge­ben, was andere Mütter gemeinsam mit ihrem Partner sich oft mühsam erst erarbeiten müssen.

Begegnet man im späteren Leben Halbwaisen oder den vielen Er­wachsenen, die infolge des Krieges ohne Vater aufgewachsen sind, so findet man unter ihnen oft besonders harmonische Menschen, die dankbar auf ihre Kindheit zurückblicken.

Ein Mann erzählte mir einmal, dass er seinen Vater nur als Kleinkind erlebt hat, aber den­noch durch seine ganze Kindheit hindurch nie das Gefühl hatte, ohne Vater zu sein, denn die Mutter habe während des Krieges noch auf seine Heimkehr gewartet und viel von ihm erzählt. Als dann die Todesnachricht kam, sei besonders viel vom Vater gesprochen wor­den. Alle Bilder seien angeschaut worden, und die Mutter habe ge­sagt, dass er nun einen Vater im Himmel habe.

Den abwesenden Vater weiterhin wertschätzen

Ein Vater im Himmel ist natürlich etwas anderes als ein Vater auf der Erde. Das väterliche Element jedoch, das sich im Wahrgenommen-Werden ausdrückt, bleibt erhalten. Solch ein Beispiel kann auch den Alleinerziehenden helfen, die ihren Partner zunächst geliebt haben, aber dann Gründe hatten, sich zu trennen.

Gelingt es der Mutter, dem Kind den Vater so zu schildern, wie er war, als sie ihn liebte und das Kind bekom­men hat, so wächst das Kind doch in einer väterlichen Atmosphäre auf. Man kann dann auch eine Erklärung dafür finden, warum der Vater jetzt nicht mehr da ist, die der Wahrheit entspricht. Entweder braucht ihn jetzt ein anderer Mensch (eine andere Frau vielleicht) mehr, weswegen er jetzt dort lebt. Oder er lebt in einer anderen Stadt oder einem anderen Land und kann eben nicht kommen, weil er dort arbeitet. Schwieriger wird es allerdings, wenn eine Besuchsregelung be­steht und der Vater immer wieder mit dem Kind zusammen ist.

Uneinigkeit vermeiden

Hier ist es wichtig, dass die Mutter die Ausflüge zum Vater bejaht und so integriert, wie die berufstätige Mutter die Mitfürsorge eines anderen Menschen integrieren muss. Darf das Kind beispielsweise beim Vater fernsehen und bei der Mutter nicht, so ist es nicht sinn­voll, dem Kind Vorhaltungen zu machen, warum es wieder beim Vater ferngesehen hat, oder diese Tatsache zu ignorieren. Vielmehr ist es hilfreich, sich vom Kind erzählen zu lassen, was es beim Vater erlebt und gesehen hat. Das gibt dem Kind die Möglichkeit, das passiv am Bildschirm Aufgenommene noch einmal aktiv zu repro­duzieren und sich dadurch auch mehr davon zu distanzieren. Der Mutter gibt es die Möglichkeit, Anteil zu nehmen an dem, was das Kind erlebt hat, und das eine oder andere vielleicht in den kommen­den Tagen noch verarbeiten zu helfen und auszugleichen. Für das Kind ist es entscheidend, dass es in dem Empfinden leben darf, dass jeder der Erwachsenen gibt, was er geben kann, und dass sich das im Leben sinnvoll verbinden lässt. Viel schädlicher als eventuelle nega­tive Einflüsse des einen oder anderen Partners ist es, wenn das Kind Uneinigkeit und seelische Spannung erlebt.

Zum Abschluss sei noch etwas angefügt, das für jede Muttersitua­tion förderlich sein kann. Im Anschauen der Probleme, die man in der jeweiligen Lebenssituation hat, wird oft vergessen, dass diesen Problemen auch eine Fülle von unproblematischen und positiven Tatsachen gegenübersteht. Da, wo dies nicht empfunden wird, ist es sinnvoll, systematisch nach diesen positiven Tatsachen zu suchen. Sowohl die Hausfrau als auch die berufstätige wie die alleinerzie­hende Mutter haben ihre Vor- und Nachteile. Gelingt es, beides gleichgewichtig zu sehen, so wird es auch leichter, die für die eigene Entwicklung fruchtbaren Gesichtspunkte festzustellen und das Le­ben für das Kind, aber auch für sich selbst, sinnvoll zu gestalten.

Vgl. Kapitel „Die alleinerziehende Mutter“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart

UNTERSTÜTZUNG FÜR STUDIERENDE MÜTTER

Warum werden junge Frauen motiviert, zuerst einen Beruf zu erlernen und zu ergreifen und dann eine Babypause einzulegen?

Warum geht die Motivation nicht in die andere Richtung?

Diskriminierung junger Mütter

Frauen bekommen nach einer Berufstätigkeit viel mehr Geld in der Elternzeit, 80 % ihres Gehalts, während Studentinnen nur 300 Euro zustehen. Das veranlasst viele Frauen, zuerst einen Beruf zu erlernen oder ein Studium zu absolvieren, bevor sie ein Kind einplanen.

Die Erfahrungen als Mutter sind für den Arztberuf jedoch sehr wichtig, insofern sehe ich es als Gewinn, wenn eine junge Frau, die bereits Mutter ist, Medizin studiert. Man hat ja auch trotz Baby immer wieder Zeit zum Lernen, sodass man als Studentin nicht ganz rauskommt aus dem Studium.

Das Wunderbare an der Gegenwart ist, dass man sich als studierende bzw. berufstätige Eltern die passende Betreuungsaufteilungsvariante aussuchen kann, sodass nicht die Eine 100% für das Kind da sein muss, während der Andere Karriere im Beruf machen kann. Das lässt sich meist bewerkstelligen, wenn beide das wollen, geht aber häufig mit einem Verzicht auf Konsum einher.

Die Freude, den anderen zu unterstützen

Grundsätzlich möchte ich jungen Eltern einen etwas unbequemen Gedankenanstoß geben. In Beziehungen, egal welcher Art, sind wir dazu aufgerufen, ein Bewusstsein für die Dimension der Autonomie, Authentizität und Freiheit eines anderen zu entwickeln, egal, ob dieser andere unser Partner, unser Kind oder einfach ein Mitmensch ist. Auch wenn der Weg des Partners oder der Partnerin Herausforderungen mit sich bringt, ist es doch wertvoll und wichtig, ihn oder sie in ihren oder seinen Intentionen zu unterstützen und damit die Möglichkeit zu geben, sich weiterzuentwickeln.

Aus dem Ringen darum, einem anderen Menschen zu helfen, er selbst zu werden und sein Leben führen zu können, kann eine tiefere Freude erwachsen, als wenn man selbst bekommt, was man braucht.

Vgl. Podcast „Im Gespräch mit Dr. Michaela Glöckler: Vatersein, Haltung moderner Eltern, Ideale und Kompromisse“, März 2024

LEBENSQUALITÄT UND MUTTERSEIN

Was ist Ausschlag gebend für die Lebensqualität von Müttern?

Welchen Beitrag können Betreuungseinrichtungen dabei leisten?

Die eigene Rolle als Mutter finden

In der Kindersprechstunde hatte ich oft mit Müttern zu tun, die hochidealistisch waren und eigentlich „alles richtig machen” wollten, jedoch mit ihrem Schicksal, ein Kind zu haben, nicht wirklich fertig wurden. Sie wurden von Gewissenskonflikten und Schuldgefühlen bis hin zu Depressionen geplagt, weil sie für sich selbst eine andere Lebens- und Arbeitsperspektive wünschten. Sie hatten sich schon einmal ein Kind gewünscht – aber nicht gerade jetzt!

Es kann aber auch vorkommen, dass eine Mutter sieht, wie wir mit ihrem Kind in der Kinderkrippe arbeiten und wie sinngebend und befriedigend das ist. Möglicherweise wird sie eines Tages zur Krippenleitung sagen: „Ich habe bei euch gelernt, wie schön das Muttersein ist; ich nehme jetzt meinen Kleinen nach Hause und sorge ab morgen selber für ihn.“ Über solch eine Wendung sollten wir uns mit ihr freuen.

Es kann sogar sein, dass die „Supermutter“ von nebenan, die immer hochmütig auf die anderen Mütter heruntergeschaut hat, die ihre Kinder in die Krippe brachten, eines Tages selbst mit ihrem Kind kommt mit der Bitte, es aufzunehmen, weil sie inzwischen erkannt hat, dass es auch ein Akt der Selbstlosigkeit sein kann, das eigene Kind in professionelle Hände zu geben, wenn man für sein eigenes Leben eine andere berufliche Orientierung sucht. Auch in diesem Fall sollten wir uns freuen und uns bemühen, das Kind so zu betreuen, wie es den Vorstellungen dieser Mutter am besten entspricht.

Hauptsache zufrieden und ausgeglichen

Hier zeigt sich ein wunderbarer Zug der Anthroposophie: Man kann aus der Anthroposophie heraus auf der einen Seite sagen, dass es für das Kind ideal wäre, wenn es in den ersten drei Jahren zu Hause bei der Mutter bleiben könnte, weil es sich da am wohlsten fühlt. Genauso kann man auf der anderen Seite auch diesen verzweifelten Müttern tiefen Trost spenden und vermitteln, dass es für das Kind wichtiger ist, am Morgen und am Abend, an den Wochenenden und in den Ferien eine zufriedene, glückliche, engagierte, wenn auch vielleicht etwas gestresste Mutter zu haben, als den ganzen Tag eine mit sich und ihrem Schicksal hadernde, letztlich unzufriedene, alles perfekt machen wollende Hausfrau. Denn wenn zu Hause kein frohes, liebevolles, lebensbejahendes Klima herrscht, in dem das Kind oft angelächelt wird, dann ist es viel besser, dass es in eine Kinderkrippe geht, wo es motiviert und professionell versorgt wird. Je individueller und optimaler Anthroposophie in die Lebenspraxis, z.B. in Form von Familienkultur, umgesetzt wird, umso besser für Familie und Kinderkrippe.

Es wäre wunderbar, wenn wir an die Krippen Elternschulen angliedern könnten, in denen Mütter, die sich für das Muttersein als Beruf interessieren, die Möglichkeit haben, diesen Beruf zu erlernen, während Mütter, die sich für einen anderen Beruf entschieden haben, ihm guten Gewissens nachgehen können, weil sie ihr Kind in eine gut geführte Krippe bringen.

Diesen Müttern sollen wir vermitteln, dass wir diese Arbeit gerne machen. Was das Wochenende betrifft, sollten wir sie bitten, einige der guten Ideen und Gewohnheiten beizubehalten, damit für das Kind eine gewisse Kontinuität und Geborgenheit auch an den Tagen erhalten bleibt, an denen es nicht in der Krippe ist. Man sagt den Müttern dann jeweils so viel, wie sie umsetzen können – nicht zu viel und nicht zu wenig und so taktvoll, aber auch so ehrlich wie möglich.

Vgl. „Die Würde des kleinen Kindes“, 2. Vortrag, Kongressband Nr. 2, gelbes Heft