Ernährung und Verdauung

Aus Geistesforschung

Ernährung und Verdauung – von Michaela Glöckler

Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/

GRUNDLEGENDES ZUR ERNÄHRUNG

Was ist wichtig zu beachten im Hinblick auf Ernährung?

Welche Rolle spielen die Wesensglieder bei der Verdauung?

Was ist unter physischer, seelischer und geistiger Nahrung zu verstehen?

Allgemeine Aspekte zur Ernährung

In der anthroposophischen Ernährungstherapie kommen neben dem Fokus auf Inhaltsstoffe, Komposition und Schmackhaftigkeit der Nahrung weitere Aspekte in Betracht. Diese sind sowohl für eine gesunde Ernährung hilfreich als auch im Krankheitsfall. Sie ergeben sich aus der Betrachtung der menschlichen Konstitution:

  • Jahreszeitlich verfügbare Nahrungsmittel bevorzugen, möglichst frisch und schonend zubereitet
  • Maßvoll und mit Genuss essen – in Dankbarkeit für den Erhalt des Lebens
  • Nahrungsmittel aus artgerechter Pflanzen- und Tierhaltung und nachhaltig biologisch-dynamisch bewirtschafteter Boden

Beteiligung der Wesensglieder am Verdauungsprozess

Ernährung ist immer auch Transformation, Verwandlung. Alle vier Wesensglieder sind dabei beteiligt:

· Aufgabe der physischen Organisation

Die physische Organisation nimmt die Stoffe, aus denen unsere Ernährung besteht, auf.

· Aufgabe der ätherischen Organisation

Jenseits der Darmpassage wird die Nahrungssubstanz durch Aufnahme in das Pfortader-Blut, das zur Leber führt, in den Lebenszusammenhang der ätherischen Organisation aufgenommen.

· Aufgabe der astralischen Organisation

Die astralische Organisation sorgt dafür, in den gesamten Verdauungskanal Verdauungsfermente ausgeschieden werden. Indem das Blut mit den Nahrungsstoffen durch die Nieren fließt, kommt es in den Bereich der seelischen Funktionsdynamik dieses Organsystems von Ausdehnung und Zusammenziehung, Konzentration und Verdünnung. Dadurch werden die Nahrungsstoffe „durchseelt“.

· Aufgabe der Ich-Organisation

Jetzt werden sie dem Einfluss der Ich-Organisation zugeführt, die für deren Abbau sorgt indem sie diese so erwärmt, dass sie „geisttragend“ werden und nicht mehr materiell darstellbar sind. An dieser Aufnahme in den Wärmezustand ist maßgeblich das Herzorgan beteiligt.

Metamorphose der Wachstumskräfte in Gedankenkräfte

Im Herzen findet die Metamorphose der Wachstumskräfte in Gedankenkräfte statt. Denn hier kommt das Lebenskraft tragende Blut am Ende jeder Diastole für Bruchteile von Sekunden zum Stillstand, bevor es durch die neuerliche Systole bzw. Herzmuskelkontraktion wieder in die großen Körperschlagadern der Aorta und des Truncus Pulmonalis ausgeworfen wird. Dieser kurze Stillstand des Blutes ist für den ätherischen Organismus wie ein kleiner Sterbeimpuls für einen kleinen Teil des Blutes, indem seine zirkulierende Lebensregsamkeit jäh unterbunden wird. Im Zusammenspiel von ätherischer, astralischer und Ich-Organisation löst sich Lebenskraft aus dem Körper, um sich in leibfreies seelisch-geistiges Potential umzuwandeln, das jetzt für unser Denken zur Verfügung steht.

Literatur zum Thema Ernährung

Rudolf Steiner hat diese geistig-physische Ernährungsphysiologie in den ersten fünf Kapiteln des Buches „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“[1] dargestellt und empfohlen, jede ernste Erkrankung im Kontext der Therapie auch ernährungstherapeutisch zu begleiten, um die durch den Krankheitsprozess herabgestimmte Vitalität durch diätetische Maßnahmen zu unterstützen.

Ein umfassendes Grundlagenwerk zu dieser krankheitsbezogenen, detaillierten anthroposophischen Ernährungstherapie steht noch aus. Es gibt aber bedeutende Pioniere wie Gerhard Schmidt, Udo Renzenbrink und Petra Kühne, die schon zu wesentlichen Grundaspekten der Ernährung, zu Ernährungsempfehlungen bei verschiedenen Krankheitsbildern sowie zu der therapeutischen Anwendung einzelner Nahrungsmittel publiziert haben.

Dr. med. Otto Wolff, der Altmeister der Anthroposophischen Medizin schrieb nach dem Zweiten Weltkrieg – eine vielgelesene Einführung mit dem Titel: „Was essen wir eigentlich?“.[2] Auch sein mehrbändiges Werk, das auf der Grundlagenarbeit von Friedrich Husemann beruht und den Titel trägt: „Das Bild des Menschen als Grundlage der Heilkunst“[3] ist in diesem Zusammenhang sehr lesenswert.

Durch den Ernährungsvorgang wird die substanzielle Struktur der Organe und Organsysteme kontinuierlich im „Fließgleichgewicht“ gehalten und im Laufe der Jahre immer wieder vollständig ausgetauscht. Das heißt, die in der Körpersubstanz wirksamen und dirigierenden vier organisierenden Kraftsysteme bleiben identisch, wohingegen die Nahrungsstoffe kommen und gehen.

Verhältnis von physischer, seelischer und geistiger Nahrung

Von der Kindheit bis ins hohe Alter vollzieht sich so ein Wandel, auch in der Art und Weise, wie sich physische und geistige Nahrung zueinander verhalten.

  • In der Kindheit überwiegt die Bedeutung der physischen Ernährung.
  • Im Alter brauchen wir vor allem geistige Ernährung.
  • Die seelische Nahrung ist lebenslang gleichbleibend wichtig: Gefühle des Friedens, der Dankbarkeit, der Liebe und Zuversicht, des Mutes und der Hoffnung – insbesondere aber der Demut und Verehrung gegenüber der Wahrheit – wirken aufbauend und Leben erhaltend.

Ein Praxisbuch zu einer dieserart seelischen und geistigen Ernährung für die verschiedenen Lebensalter im Zusammenhang mit der jeweils physischen steht ebenfalls noch aus. In der genannten Literatur finden sich jedoch schon diverse Anregungen dazu.

Maßvolles Essen

  • Muss der Körper zu viel verdauen, erlahmt die seelisch-geistige Aktivität. Müdigkeit und vermehrtes Schlafbedürfnis sind die Folge.
  • Wird zu wenig und überwiegend leicht Verdauliches gegessen, sind erhöhte Wachheit, auch Nervosität und etwas „außer sich sein“ die Folge. Oft wird dies verstärkt durch Einschlafstörungen und ein damit verbundenes chronisches Schlafdefizit.

Durch möglichst regelmäßiges und maßvolles Essen für ein altersentsprechendes Gleichgewicht zwischen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit zu sorgen, ist eine lebenslange Aufgabe.

Diesen Zusammenhang differenziert zu erarbeiten, erscheint mir vor allem im Hinblick auf die Zukunft notwendig. Gibt es doch einerseits den Umstand, dass ein Großteil der Menschheit zu viel isst, jeder neunte Mensch dennoch abends hungrig ins Bett geht. Und nur wenige können sich eine biologisch wertvolle und nachhaltig angebaute Nahrung leisten. Hier ist ein Bewusstseinswandel, eine umfassende Neuorientierung nötig, die auch die Erziehungsfragen miteinschließen kann, die zu einem Verständnis der geistigen Ernährung beitragen. Denn „der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das aus dem Mund Gottes geht“.[4]

Geistige und physische Ernährung unterstützen einander. Entscheidend ist, dass der Gesunderhaltung der Böden und des Saatguts mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung zukommt. Daher gibt es bedeutsame Initiativen, wo auf dem Boden der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie die Belange der biologisch-dynamischen Landwirtschaft und der Saatgutforschung voll integriert sind, wie z.B. in der Lebensgemeinschaft Bingenheim.[5]

Vgl. „Kindersprechstunde, Ein medizinisch-pädagogischer Ratgeber. Erkrankungen, Bedingungen gesunder Entwicklung, Erziehungsfragen aus ärztlicher Sicht“


[1] Rudolf Steiner/Ita Wegman, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen, GA 27.

[2] Otto Wolff, Was essen wir eigentlich?, Praktische Gesichtspunkte zur Ernährung.

[3] Otto Wolff, Das Bild des Menschen als Grundlage der Heilkunst,

[4] Neues Testament, Matthäus, 4, 4.

[5] Die Lebensgemeinschaft Bingenheim ist ein anthroposophischer Lebensort für Menschen mit einer "geistigen Beeinträchtigung". Sie bietet Naturkostprodukte aus eigener Erzeugung im Naturkostladen Allerleirauh und verschiedene Werkstätten an.

ERNÄHRUNG UND GEDANKENLEBEN

Wie wirkt sich unsere Ernährung auf unser Denken aus?

Welche Faktoren müssen dabei berücksichtigt werden?

Materialistisches Denken als Ernährungsproblem

Im Folgenden seien ein paar Aspekte zur Bedeutung der Ernäh­rung für das Gedankenleben hervorgehoben: Gesund gewachsene Pflanzen, die selber starke Wachstums- und Bildekräfte enthalten, verlangen dem Menschen eine stärkere Anstrengung der Verdauungsarbeit ab als überzüch­tete, mit Pflanzenschutzmitteln behandelte, weniger robuste Indi­viduen. Gesunde, vielseitige Ernährung bewirkt so eine differen­zierte Anregung aller Verdauungsvorgänge. Dies hat jedoch nicht nur leibliche Gesundheit zur Folge, sondern wirkt sich auch aus auf die Aktivität und Disposition zum schöpferischen Denken.

Rudolf Steiner wurde einmal von Ehrenfried Pfeiffer gefragt, warum es so schwer sei, die materialistischen Denkgewohnheiten in unserer Zeit zu überwinden. Seine Antwort war: „Das ist ein Er­nährungsproblem.“ Leicht verdauliche, einseitige Kost führt nicht nur zu einer gewissen Trägheit der Verdauungsorgane, sondern ver­anlagt auch zur Trägheit des Gedankenlebens. Wer nur denken kann, was sich durch die Sinneswahrnehmungen gleichsam wie von selber aufdrängt und den Verstand ausschließlich zum Kombinieren von Sinneseindrücken verwendet, kommt an die schöpferischen Möglichkeiten seines Denkens nicht heran.

Wer ein aktives, von der Sinneserfahrung losgelöstes Denken praktizieren möchte, muss sich innerlich mehr anstrengen – was durch bereits in frühen Jahren gut aktivierte Verdauungsprozesse gefördert werden kann. Und so kann deutlich werden, in welch hohem Maße die bewusste Pflege des wachsenden, sich entwickelnden Körpers durch Ernährung, einen guten Schlaf-Wach-Rhythmus und angemessene hygienische Bedingun­gen die spätere seelisch-geistige Entwicklung unterstützen kann.

Regeneration durch geistige Ernährung

Andererseits geben in der zweiten Lebenshälfte ein aktives Gei­stesleben und eine gleichsam „geistige Ernährung“ die notwendige Anregung, um die nachlassenden Regenerationsprozesse im Körper zu unterstützen. Schon in der Lebensmitte ist die Art und Weise, wie wir denken und wie wir uns selbst erziehen, entschei­dend dafür, wie stabil unser Gesundheitszustand ist. Dafür sind nicht allein die leibliche Versorgung und das Essen ausschlaggebend. Man kann sogar die Ernährung vorübergehend vernachlässigen oder infolge starker Beanspruchung durch die tägliche Arbeit über längere Zeiten überhaupt auf regelmäßige Mahlzeiten verzichten, wenn genügend Begeisterung und innere Motivation für die Arbeit da ist.

Im letzten Lebensdrittel muss allerdings ein neues Gleichgewicht zwischen körperlicher und seelischer An­strengung gefunden werden, damit nicht das eine auf Kosten des anderen zu sehr in den Vordergrund tritt und eines der beiden beeinträchtigt wird. Je älter man jedoch wird, umso entscheidender ist die „geistige Ernährung“ für die Gesundheit.

  • Je mehr die Gedanken eines Menschen über sich selbst und die Welt den inneren und äußeren menschlichen Entwicklungsgesetzen folgen, umso gesünder wird er sein.
  • Je unmenschlicher und lebensfremder die Gedanken eines Menschen sind, umso stärker kränken sie den natürli­chen Lebenszusammenhang, zu dem sowohl das Körperleben als auch das Gedankenleben gehören.

Beide sind letztlich ganz auf das Menschliche hin orientiert. So gesehen hat jede Krankheit einen doppelten Aspekt, dem man mit folgenden Fragen auf die Spur kommt:

Wie konnte der Leib diese spezifische Kränkung erfahren, warum reichten die Regenerationskräfte nicht aus?

Und welche Gedanken, welche bewussten Tätigkeiten sind jetzt nötig, um den Heilungsverlauf entsprechend zu unterstützen?

Sie geben dem Gespräch zwischen Arzt und Patient eine über das Physische hinausgehende Dimension und eröffnen neue Möglichkeiten, Entwicklung zu begleiten.

Vgl. Kapitel „Zusammenhänge der menschlichen Denktätigkeit“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart

VERDAUUNG UND EGOISMUS

Inwiefern ist die Verdauung ein Bild für den Egoismus?

Warum nennt Steiner die Verdauung als „Herd des Bösen“?

Verdauung ist gesunder Egoismus

Es gibt kein wahreres, stimmigeres Bild für den Egoismus als die Verdauung: Der physische Leib wird dadurch gebildet, dass die Natursubstanzen sich durch die Stoffwechseltätigkeit des Menschen verwandeln lassen in körpereigene Substanz. Der physische Leib des Menschen ist somit ein Ergebnis der verarbeiteten

  • mineralischen
  • tierischen
  • pflanzlichen
  • und, im Falle der Muttermilch, auch der menschlichen Welt.

Denn auch die Muttermilch wird zerstört und in körpereigene Substanz umgewandelt.

Das heißt, alle vier Naturreiche werden in einer Weise verarbeitet, dass jeder Mensch seinen eigenen Körper daraus aufbaut. Sprich: Eine gute Verdauung geht mit einer kompletten Zerstörung der Natur einher. Das ist reinster physiologischer Egoismus, den wir brauchen, um überhaupt leben zu können.

Verdauung als Herd des Bösen

Doch Rudolf Steiner nennt die Verdauung auch „Herd des Bösen“, denn in der Verdauung sind Kraft und Potential vorhanden, alles zu zerstören. Dem physiologischen Zerstörungsprozess des Verdauens verdankt der Mensch das instinktive Wissen, wie er die ganze Welt zerstören kann bzw. wie er perfide Waffen erfinden kann, die den „overkill“ umsetzen.

Wir sprechen in der Medizin auch vom biologischen Ego mit all seinen Sensibilitäten, einemstraff organisierten System. Dazu gehört auch das Immunsystem mit seinen Immunbarrieren usw. Über die freiwerdenden Bildekräfte aus dem gesunden Ego-System der Verdauung, nachdem sie es gebildet haben, strahlt beim gesunden Kind Egoismus nun auch ins Seelische hinein, allerdings unbewusst, das wäre das Normale.

Durch Erlebnisse der Traumatisierung und Schädigung, durch jede Form der Ängstigung wird dieser Egoismus jedoch bewusst, indem das verwundbare Selbst angesprochen. Dadurch wird der zunächst unbewusste Egoismus zunehmend verstärkt – mit leidvollen Auswirkungen für die betroffenen Kinder und ihr soziales Umfeld. Und auch für ihre Erzieher sind diese Kinder eine große Herausforderung.

Ob Erziehung zur Selbstlosigkeit gelingt oder nicht, hängt also von der Art ab, wie mit dem Kind vonseiten seiner Umwelt umgegangen wird.

Vgl. „Ängste im Jugendalter und ihre Überwindung“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013

STOFFWECHSEL UND DENKEN

Inwiefern ist die offene Lemniskate Symbol für den Menschen?

Worauf beruht der unmittelbare Zusammenhang von Stoffwechsel und Denken?

Offene Lemniskate als Symbol der menschlichen Konstitution

Der Merkurstab der Mediziner ist eine offene Lemniskate. Kein Symbol kann die polare Funktionsdynamik des Ätherischen besser zum Ausdruck bringen als die offene Lemniskate. Sie bildet als stehende, nach oben hin offene Acht die menschliche Grundkonstitution ab, die der Natur des Menschen zugrunde liegt. Die körperbezogene Wirkung der ätherischen Organisation und die dem Gedankenleben dienende Wirkung haben eine entsprechend entgegengesetzte Orientierung.

  • Der untere Teil steht für den physischen Leib mit den unbewussten inneren Stoffwechselprozessen, wo die leibgebundenen Ätherkräfte als Triebe und Instinkte wirken. Wir laufen Gefahr, uns von unserem leibgebundenen Willen, unserem Instinkt-, Trieb- und Begierde-Leben, überwältigen zu lassen.
  • Der obere Teil steht für den geistigen Menschen, den Geist und das bewusste Gedankenleben, das stark nach außen gerichtet ist und wo die leibfreien Ätherkräfte wirken. Wir sind als denkende Wesen in der Lage, unsere Gedankenfreiheit, auf der Freiheit an sich beruht, für egoistische Zwecke zu missbrauchen.
  • Am Umschlagpunkt zwischen beiden steht das zwischen innen und außen Vermittelnde der Seele mit ihren Gefühlsregungen, auf die wir nur bedingt bewussten Einfluss haben. Die aus dem oberen und unteren Teil einstrahlenden Kräfte können dabei destruktiv auf unsere Gefühle, unsere seelische Mitte, einwirken.

Alle destruktiven Neigungen entspringen also einerseits unserem Stoffwechsel, andererseits negativen Wahrnehmungsinhalten über die Sinne sowie egoistischem Denken. Auch die egoistisch ausgelebte Sexualität gehört dazu: Destruktivität und Sexualität sind dann unlöslich miteinander verbunden. Das wird verstärkt von den Bildern, die besonders diese Bereiche ansprechen, wie es in der heutigen Sex- und Spaßindustrie geschieht. Diese von oben und unten kommenden, fehlgeleiteten Kräfte regen das destruktive Potential im Menschen an und wirken sich auch kränkend auf das Seelische aus. Wenn wir diese Zusammenhänge begreifen, können wir verstehen, warum so viele böse Neigungen und so viel Egoismus in die Seele einstrahlen.

Wechselwirkung von Denken und Verdauung

Das hat Konsequenzen, die einem ätherischen Gesetz folgen, auf dem das spirituelle Krankheitsverständnis der Anthroposophischen Medizin gründet: Was sich in der einen Hälfte der Lemniskate nach innen richtet, wechselt im Kreuzungspunkt die Richtung und geht nach außen – und umgekehrt. Der unmittelbare Zusammenhang zwischen gesundem und krankem Denken und Stoffwechsel lässt sich anhand davon gut verdeutlichen als ätherische Prozesse, die einander bedingen.

Wenn es uns beim Denken, repräsentiert vom oberen Teil der Lemniskate, also überhaupt nicht um Erkenntnis von Wahrheit geht, sondern wenn alle Gedanken nur um uns selbst kreisen bzw. es uns nur um die Ansammlung von Informationen geht, um möglichst viel Input und Wissen, wenn wir uns quasi gedanklich „zumüllen“ und nicht gewillt sind, selber zu denken und zu urteilen, indem wir uns der Welt öffnen, hat das unmittelbare Auswirkungen auf die Verdauung. Denn dann werden die Stoffwechselprozesse unseres Köpers aufgrund der polar arbeitenden Natur des Ätherleibes ebenfalls in entgegengesetzter Weise aktiv werden: Wir werden für Krankheitserreger offen sein und so eine Immunschwäche entwickeln.

Umgekehrt haben unsere Ernährung und unsere Lebensgewohnheiten auch immense Auswirkungen darauf, ob unser Gedankenleben sich über das rein Materielle aufzuschwingen in der Lage ist.

Frieden schaffen durch Selbstüberwindung

Um dem vorzubeugen, dass etwas Gutes am falschen Platz geschieht und dadurch „böse“ wird und schädigende Auswirkungen hat, müssen wir im Laufe unserer menschlichen Entwicklung lernen, diese drei Bereiche vom Ich aus in der richtigen Art zu beherrschen und zu kultivieren und so für Gleichgewicht und Frieden sorgen.

· Die Zerstörungskräfte im Darm befrieden

Nehmen wir das Beispiel der Verdauung: Im unbewussten Stoffwechselleben gelingt uns das weitgehend durch eine gesunde rhythmische Art, mit den Lebensvorgängen, mit unseren Ess- und Schlafgewohnheiten sowie der Fortpflanzungsmöglichkeit umzugehen. Die Stoffwechselprozesse dienen dazu, unseren Leib gesund zu erhalten. Dazu gehören Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sowie die Atmung. Alle Nahrung wird im Verdauungstrakt komplett zerstört, damit der Mensch sie verdauen und daraus menschliche Substanz aufbauen kann. Solange diese Zerstörungskräfte sich auf die Verdauungsarbeit beschränken, haben wir keine Probleme: Denn die Natur muss in uns Mensch werden (= verdauen), damit wir einen gesunden Körper, ein starkes biologisches Ego, aufbauen können.

· Die Zerstörungskräfte im Gehirn befrieden

Das Gedankenleben kann als eine Art umgekehrter Ernährungs- oder Verdauungsprozess angesehen werden. Denn wenn wir im Denken aktiv und geistig beweglich sind, wollen wir die Zusammenhänge der Welt wirklich verstehen. Dazu müssen wir aus uns herausgehen und zum anderen hingehen, müssen wir uns der Wahrheit der Dinge annähern, müssen sie uns zu eigen machen, uns ganz mit ihr verbinden. Erkennen ist so gesehen spirituelle Empathie, geistige Kommunion: Man identifiziert sich mit dem, was man verstehen will. Wenn ich z.B. denke 2 + 2 = 4, muss ich diesen Prozess mit- und nachvollziehen, sonst verstehe ich ihn nicht. Das bedeutet: Der Mensch muss im Denken zur Welt werden (= erkennen), wenn er zu wahrheitsgemäßen Erkenntnissen kommen will.

Innerer Friede durch geistige Arbeit

Auf diese Weise müssen wir fortwährend die destruktiven Einstrahlungen in unser Denken und Fühlen durch innere geistige Arbeit ausgleichen und befrieden, indem wir uns bis ins Gefühl hinein mit der Wahrheitswelt verbinden. Wer sich mit edlen, guten, sinnvollen Zielen emotional verbindet, kann seinen Egoismus in den Dienst des Guten stellen. Rudolf Steiner formuliert es sinngemäß so: Der sich befreiende, auf sich selbst gestellte, autonome Mensch, der nicht ständig etwas für sich braucht, kann zur Verfügung stehen, kann seinen ganz individuellen Kulturbeitrag durch die Überwindung des Bösen in sich leisten.

Man erkennt den Freiheitsgrad von Menschen an ihrer Verfügbarkeit – das ist ein spirituelles Gesetz: Je freier ich bin, desto souveräner kann ich meine individuellen Fähigkeiten, anstatt sie auf Selbstoptimierung auszurichten, instrumentalisieren und für die Dinge einsetzen, die mir wesentlich sind. Ich entscheide dann selbst, wofür ich mich engagieren will und wo nicht.

Vgl. „Ich im Netz. Was geschieht mit uns im Internet?“, Amthor Verlag, Heidenheim 2015

VERDAUUNG UND TRANSSUBSTANTIATION

Was ist das tiefe Geheimnis von Verdauung?

In welcher Verbindung steht der Verdauungsvorgang zur Transsubstantiation?

Was vollzieht sich während der Transsubstantiation und Kommunion innerhalb des Gottesdienstes wie z.B. der Menschenweihehandlung?

Verwandlung durch Hingabe

Wer auf den Zusammenhang zwischen religiöser Hingabe, Willen und Stoffwechseltätigkeit aufmerksam geworden ist, hat damit den Schlüssel in der Hand zum Verständnis körperlicher, seelischer und geistiger Verwandlung.

Wenn wir die Nahrungsaufnahme betrachten, ist es ganz offensichtlich, dass sich alle drei Naturreiche dem Menschen hingeben:

  • das Mineralreich in den Salzen und Spurenelementen wie Kupfer und Magnesium,
  • das Pflanzenreich in der ganzen Vielfalt von Obst, Getreide und Gemüse,
  • das Tierreich in dem Fleisch, den Eiern und Milchprodukten, die wir verzehren.

So wie das Mineral die Lebensgrundlage der Pflanze ist und die Pflanze die des Tieres, so sind alle drei durch ihre Hingabe die Lebensgrundlage des Menschen.

Natur wird Mensch

Die Naturwesen, die sich als Mineral, Pflanze und Tier dem Menschen opfern, werden in menschliche Substanz verwandelt, werden Mensch. Unbewusst lebt in der Natur eine tiefe Sehnsucht nach dem Menschen und dem Menschlichen und so ist alles darauf eingerichtet, dass der Mensch werden kann: dass er durch die Natur ernährt wird, dass er sie aber im Ernährt-Werden auch mitnimmt in das selbstbewusste menschliche Erleben. Der menschliche Stoffwechsel leistet unausgesetzt diese Verwandlungsarbeit.

Welche Sehnsucht lebt unbewusst, halbbewusst oder vollbewusst im Menschen?

Goethe hat diese Sehnsucht in wunderbarer Weise zum Ausdruck gebracht, als er sich im hohen Alter nochmals in inniger Liebe einem jungen Mädchen zuwandte und dann in der Marienbader Elegie folgenden Vers schrieb:

In unsers Busens Reine wohnt ein Streben,

Sich einem Höhern, Reinern, Unbekannten

Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben,

Enträtselnd sich den ewig Ungenannten;

Wir heißen's: fromm sein! - Solcher sel'gen Höhe

Fühl' ich mich teilhaft, wenn ich vor ihr stehe.

Hingabe an das höhere Reich der Gedankensphäre

Auch der Mensch möchte immer mehr Mensch werden: Er erlebt nur zu deutlich, wie viel ihm dazu noch fehlt. Um sich zur vollen Menschlichkeit hin entwickeln zu können, braucht der Mensch die Fähigkeit, die Mineral, Pflanze und Tier haben, wenn sie sich an das nächsthöhere Naturreich, und damit dem Menschen, hingeben: Er braucht die Fähigkeit der Hingabe an ein höheres „Reich", dem er sich „opfern" kann.

Dieses höhere Reich erscheint jedoch nicht mehr in sinnlich sichtbarer Form als Naturreich, denn die Natur hat im Menschen ihren Abschluss, ihre Krönung gefunden. Dieses höhere Reich tritt in der Gedankensphäre in Erscheinung in Form von unsichtbaren, aber dafür denkbaren idealen Realitäten. Im Denken können wir die Ziele unserer Entwicklung, unserer Zukunft, erfassen. Wir können uns denkend daran orientieren und uns ihnen begeistert hingeben.

Die religiösen Vorstellungen aller Religionen sind erfüllt von Bildern der Vollkommenheit, von Zukunftsperspektiven, Wandlungsmotiven und moralischen Werten. Das Motiv vom Opfer, das gebracht werden muss, wenn die Verwandlung in eine geistergebene, höhere menschliche Natur gelingen soll, ist dabei von zentraler Bedeutung.

Verdauung ist Transsubstantiation

Wie oben ausgeführt ist der sich im Leib vollziehende Verdauungsprozess bereits ein Transsubstantiationsprozess. Denn die aufgenommene Nahrung wird verflüssigt, in den ganzen Organismus aufgenommen und schließlich im Stoffwechsel-Verbrennungsprozess in Wärme verwandelt. Wärme ist bereits die Brücke zwischen dem Physischen und dem Geistigen. Physische Wärme ist schon nichts Stoffliches mehr, kann jedoch noch mit dem Thermometer gemessen werden. Wir kennen Wärme aber auch als rein seelische und geistige Wärme, als Begeisterung. Durch die Verdauung wird also die Substanz Träger der menschlichen Seelen- und Geisteswärme.

Rudolf Steiner beschreibt den Zusammenhang der Wesensglieder mit den Elementen folgendermaßen:

  • Das Ich, bzw. die Ich-Organisation mit ihren Gesetzen, korreliert mit der Wärme
  • der Astralleib mit den Luftprozessen des Organismus
  • der ätherische Leib mit den Flüssigkeiten
  • und der physische Leib mit den festen Substanzen [1]

So gesehen vollzieht sich geistige Kommunion in jedem Menschen, wenn sich Substanz verwandelt und so dem menschlichen Ich dient.

Rudolf Steiner sagt in „Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung“: „Das Wahrnehmen der Idee in der Wirklichkeit ist die wahre Kommunion des Menschen." [2]

Transsubstantiation innerhalb des Gottesdienstes

Der Prozess der Transsubstantiation wird im Geschehen am Altar allgemeinmenschlich-objektiv vollzogen und sichtbar und hörbar gemacht, indem Brot und Wein als Träger geistiger Wirkungen mit bestimmten Gedanken, Gefühlen und Handlungsimpulsen durchdrungen werden. Am Altar wird letztlich sichtbar gemacht, was das wahre Wesen der Verdauung ist: die Vergeistigung der Substanz zum Träger heiligster Gedanken, Gefühle und Taten.

Nimmt der Mensch diese so vergeistigte Substanz durch die Kommunion in sich auf, bedeutet das eine Stärkung seiner eigenen Verwandlungsfähigkeit und seiner Verbundenheit mit dem Ziel menschlicher Entwicklung.

Vgl. „Welchen Auftrag hat die Religion in Erziehung und Heilkunst?“ aus „Die Heilkraft der Religion“, Stuttgart 1997


[1] z.B. Rudolf Steiner, Geisteswissenschaft und Medizin, GA 312.

[2] Rudolf Steiner, Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung. GA 2.

VERDAUUNG UND IMMUNSYSTEM

Welchen Einfluss hat die Verdauung auf das Immunsystem?

Wie hängen Verdauung und Immunsystem zusammen?

Was Immunschwäche hervorruft

Wenn der physische Körper gut verdaut, arbeitet unser Immunsystem ausgezeichnet. Immunität resultiert aus der Fähigkeit des Körpers, alles zu transformieren und abzuweisen, was nicht dem eigenen biologischen System entspricht. Immunität ist Egoismus pur – im körperlichen Bereich. Immunität ist Ausdruck der Kraft der Identifikation mit uns selbst. Unser Körper wird in dem Moment krank, in dem diese Selbstidentifikation gestört ist: Der Körper, der erfüllt sein sollte von gesundem Egoismus, wird selbstlos, wird krank.

Eine Autoimmunreaktion tritt auf, wenn der Körper denkt, er selbst wäre etwas Fremdes und sich daraufhin selbst zerstört. Das ist ein Zeichen der Entfremdung seiner selbst.

  • Immunität ist biologischer Egoismus.
  • Immunschwäche oder Krankheit ist biologischer Altruismus.

Wenn der Mensch krank wird, gedeihen plötzlich jede Menge Bakterien und Keime im Organismus. Der Körper öffnet sich der Welt und wird ein Tummelplatz für Fremdprozesse und Parasiten, für Geschwülste, „kleine Bäume“ und „Pflanzen“. Wasser sammelt sich in den Beinen. Die Wärme isoliert sich und erzeugt Fieber. Der Mensch öffnet sich, wird sozial und selbstlos – im Äußeren. Der Körper verliert dadurch seine biologische Integrität und Identität, seinen gesunden biologischen Egoismus.

  • Ein egozentrischer Geist stimuliert den biologischen Altruismus und schwächt das Immunsystem.
  • Eine weltorientierte Geisteshaltung fördert die Verdauung. Eine gesunde Verdauung wiederum, fördert eine gesunde altruistische Geisteshaltung.

Vgl. Vortrag „Die Gesetzmäßigkeiten des Merkurstabs“, 25.09.2007

ZUCKERSTOFFWECHSEL UND DIABETES MELLITUS AUS SICHT DER AM

Welche Rolle spielt die Ich-Organisation beim Zuckerstoffwechsel?

Wie sind die anderen Wesensglieder daran beteiligt?

Welche Sicht hat die Anthroposophische Medizin auf die Ursachen von Diabetes mellitus?

Vermenschlichung durch Ich-Organisation

Zu Beginn von Kapitel VIII von „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“[1] wird das Autonomieprinzip jedes lebendigen Organismus betont. Es besagt, dass alles, was von außen als Nahrung aufgenommen wird, sich der Natur des aufnehmenden Organismus fügen muss. Im Falle des Menschen bedeutet das, dass sie sich dem integrierenden und regulierenden Prinzip der Ich-Organisation beugen muss.

In Bezug auf die Verwandlung von Kohlenhydraten in Zucker formuliert Rudolf Steiner es so: „Wo Zucker ist, da ist Ich-Organisation; wo Zucker entsteht, da tritt die Ich-Organisation auf, um die [...] Körperlichkeit zum Menschlichen hin zu orientieren.“[2] Diese Funktion der Ich-Organisation steht im Zentrum des gesamten Verdauungsgeschehens und hat mit dem physischen Kraftsystem zu tun.

Schrittweise Verwandlung der Kohlenhydrate in Glukose

Im Falle der Kohlenhydrate geht dieser Prozess von der Nahrungsaufnahme bis zur Bereitstellung von Glukose für die Energiegewinnung im gesamten Organismus. Die Glukose ist der zentrale Baustein im Zellstoffwechsel und Grundlage für den Aufbau aller organischen Substanzen.

Ø  Im Mund: durch Speichel-Amylase

Die Kohlenhydrat-Verdauung der komplexeren Stärkemoleküle aus Nahrungsmitteln wie Kartoffeln und Getreide beginnt mit der Produktion von Speichel-Ptyalin (alpha-Amylase) beim Kauen. Es wird durch den hohen Salzsäuregehalt im Magen jedoch wieder deaktiviert.

Ø  Im Magen: durch Salzsäure, und Luft

Die Vorbereitung für den weiteren enzymatischen Abbau findet im Magen statt. Durch die starke Ansäuerung und die Durchmischung mit Wasser und etwas Luft lassen die langkettigen und stark verknäulten Amylose- und Amylopektin-Moleküle der Stärke aufquellen und werden durch die damit verbundene enorme Oberflächenvergrößerung für die weitere enzymatische Aufspaltung gut angreifbar.

Ø  In Zwölffingerdarm und oberem Dünndarm durch alkalisches Milieu

Das alkalische Milieu im Zwölffingerdarm und oberen Dünndarm bewirkt dann wieder die Aktivierung des Pankreas-Ptyalins bzw. der Pankreasamylase für die definitive Aufspaltung der so im Magen vorbereiteten Stärkesubstanz in Zucker.

Geschmacksrichtungen und Wesensglieder

  • Der süße Geschmack ist nach Rudolf Steiner Anregung für die Tätigkeit der Ich-Organisation.
  • Der saure Geschmack bedeutet eine entsprechende Anregung des Astralleibes,[3] dessen Domäne im Magen der hohe Gehalt an Salzsäure ist.
  • Das alkalische (bittere) Milieu hingegen ist das Arbeitsgebiet der ätherischen Organisation.[4]
  • Der Salzgeschmack hingegen hilft dem physischen Leib sich konsolidiert zu halten. So geben auch Geschmacksvorlieben der Patientinnen und Patienten einen wichtigen Hinweis auf die konstitutionellen Gegebenheiten der Wesensglieder.[5]

Ursachen und Symptome von Diabetes mellitus

Die Absätze 9–14 von Kapitel VIII sind dem Krankheitsbild Diabetes gewidmet – jedoch nicht, wie in der Schulmedizin üblich, als ‚Insulinmangelsyndrom‘, sondern als von der Ich-Organisation nicht bewältigte Zuckerverarbeitung. Was sie im Zellstoffwechsel sozusagen ‚liegen lassen‘ muss, verbleibt im Blut und muss vom Astralleib verarbeitet werden, der den Zucker aber nur ausscheiden kann, was er dann über den Urin auch tut.

· Schwäche der Ich-Organisation durch Kopflastigkeit und Stress

Als Ursache für diese Schwächung der Ich-Organisation wird angegeben: „Es befördert alles die Zuckerkrankheit, was die Ich-Organisation aus der in die Körpertätigkeit eingreifenden Wirksamkeit herausreißt: Aufregungen, die nicht vereinzelt, sondern in Wiederholungen auftreten; intellektuelle Überanstrengungen; erbliche Belastung, die eine normale Eingliederung der Ich-Organisation in den Gesamtorganismus verhindert. Das alles ist zugleich damit verbunden, dass in der Kopforganisation solche Vorgänge stattfinden, die eigentlich Parallelvorgänge der geistig-seelischen Tätigkeit sein sollten; die aber, weil diese Tätigkeit zu schnell oder zu langsam verläuft, aus dem Parallelismus herausfallen. Es denkt gewissermaßen das Nervensystem selbständig neben dem denkenden Menschen.“[6]

Typisches Stresssymptom ist, dass man bei dem, was man denkt und tut, nicht mehr ganz dabei ist. Auch sprechen viele Betroffene schneller als sie denken – ebenfalls Zeichen einer eingeschränkten ‚Ich-Präsenz‘ und Geistesgegenwart, die innere Ruhe und Konzentration voraussetzen. Hier werden die psychosomatischen Ursachen für die diabetestypischen neurodegenerativen Prozesse verortet.

Für Steiner jedenfalls waren auch Erziehungseinflüsse evident: „Aber wer nun den ganzen menschlichen Lebenslauf überblickt, der findet, daß manche Diabetes davon herkommt, daß das Gedächtnis in unrichtiger Weise zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife entweder belastet worden ist oder sonst in unrichtiger Weise behandelt worden ist.“[7]

Gegenwärtig sind die Auswirkungen traumatischer Kindheitserfahrungen (early toxic stress) auf die Gesundheit im späteren Leben dokumentiert und scheinen der Steinerschen Sichtweise Recht zu geben.[8] Zu den wesentlichen Elementen der Anthroposophischen Medizin gehört jedenfalls die lebensgeschichtliche Betrachtung des Patienten, deren Bedeutung auch hinsichtlich anderer Erkrankungen nicht zu unterschätzen ist.

· Furunkel durch Dysfunktion zwischen AL und ÄL

Die entzündlichen Begleiterscheinungen in Form der Furunkelbildungen führen Steiner und Wegman auf die von der astralischen Organisation nicht genügend beherrschte ätherische Organisation zurück. Denn um die ätherische Organisation vom Astralleib aus zu dirigieren und die ihm eigenen Differenzierungsprozesse im Ätherischen vorzunehmen, braucht es wiederum die zureichende Integration der astralischen Organisation in den Funktionszusammenhang der Ich-Organisation.

Methodisch Wegweisendes

Methodisch weist dieses Kapitel somit klar den Weg zur krankhaften Symptomatik, wie sie aus der oben geschilderten Ganzheit herausfällt.

Bei jeder sportlichen Tätigkeit und muskulären Aktivität der Ich-Organisation wird Glukose aus dem Blut aufgenommen, wodurch der Blutzucker gesenkt wird. Umgekehrt kommt es zu einem Blutzuckeranstieg, wenn sich die astralische Organisation bewusstseinsmäßig engagiert. Die Ich-Organisation hat gegenüber der astralischen Wirksamkeit – in Form von Bewegung und Bewusstsein – eine regulierende und integrierende Funktion, die sie über das Blut als ihrem ureigenen Instrument wahrnimmt.

An keiner Stelle wird in Kapitel VIII an den damals aktuellen Stand der Diabetes-Forschung angeknüpft.[9] Dieses Voraussetzen der naturwissenschaftlichen Ergebnisse und des aktuellen Standes von Wissen und Erfahrung auf medizinischem Gebiet und die Fokussierung auf das in methodischer Hinsicht Wegweisende als Grundduktus von „Grundlegendes…“,[10] zeigt sich auch hier in aller Deutlichkeit.

Diabetes Typ 1 und Typ 2

Die beiden Diabetesformen Typ 1 und Typ 2 waren zur Zeit der Veröffentlichung des Buches bereits phänomenologisch differenziert. So wurde von Étienne Lancereaux (1829–1910) zwischen einem ‚mageren‘ und einem ‚fetten‘ Diabetes mellitus unterschieden und damit auf die später als Typ 1 und Typ 2 bekannten Diabetesformen gewiesen.

Medizinhistorisch wurde hingegen erst viel später nach Zusammenhängen des Diabetes zum intestinalen Microbiom gesucht. Für den Diabetes mellitus Typ 2 und das Metabolische Syndrom sind diese zwischenzeitlich gut dokumentiert, für den Typ 1 stellen sich noch zahlreiche unbeantwortete Fragen.[11]

· Ursachen für Typ 1

Die Ursachen für den Typ-1-Diabetes sind komplex und noch nicht ausreichend verstanden. Neben einer genetischen Disposition gibt es unterschiedlich gesicherte Risikofaktoren wie durchgemachte Infektionen, Stilldauer, Lebensgewohnheiten, Lichtexposition (Vitamin D3-assoziiert) und auch psychische Faktoren. Vorgeburtlich prädisponierende Faktoren sind eine präkonzeptionelle mütterliche und väterliche Adipositas. Ebenso geht ein höheres Alter der Mutter mit einem erhöhten Diabetes-Typ-1-Risiko einher.

Angst und depressive Symptome werden bei Patienten mit Typ-1-Diabetes vermehrt angetroffen.[12] Sie haben selbstverständlich sehr verschiedene Ursachen und lebensgeschichtliche Auswirkungen auf den Erkrankungsverlauf, machen aber darauf aufmerksam, dass in der Behandlung auch auf die seelische Ebene zu achten ist. Die gegenwärtig bereits gut etablierte Psychodiabetologie hat medizinhistorische Vorläufer. Steiner und Wegman jedenfalls weisen schon früh auf diese seelische und geistige Dimension der Erkrankung hin.

· Ursachen für Typ 2

Inzwischen sind die Auswirkungen seelischer Stress-Faktoren für den Typ-2-Diabetes vielfältig bestätigt worden durch die Forschungen im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert. Beispielsweise führen Stressbelastungen zu anhaltenden Blutzuckererhöhungen bei Patienten mit Diabetes.[13]

· Für beide Charakteristisches

Beide Erkrankungen stehen aber nicht isoliert und getrennt nebeneinander. So kommt die für den Typ-2-Diabetes charakteristische Insulinresistenz auch beim Diabetes mellitus Typ 1 vor, wie dessen Insulinmangel auch den Typ-2-Diabetes begleiten kann.

Vgl. „Einleitung zu Band 15, Schriften zur Anthroposophischen Medizin, Kritische Edition der Schriften Rudolf Steiners“, frommann-holzboog Verlag, Stuttgart 2025[14]


[1] Rudolf Steiner, Ita Wegman, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst, GA 27, S. 44.

[2] Ebenda.

[3] Auch die beim Essen mitaufgenommene Luft, welche die so genannte Magenblase bildet, ist aus anthroposophischer Perspektive für die astralische Organisation bei ihrer Arbeit im Magen wesentlich, da sie bei der Durchmischung der Nahrungsmittel eine wichtige Rolle spielt.

[4] Die Bedeutung der Bitterstoffe für die menschliche Gesundheit hat in den letzten Jahrzehnten durch die Entdeckung der Bitterstoffrezeptoren, über die bekannten im Mund hinaus, auch im Bereich der Haut, der Lunge und des Darms zunehmend Beachtung gefunden (Vgl. Hänsel und Sticher 2010). Steiner hat ihre Bedeutung für die Aktivierung der ätherischen Kräfte im Rahmen seiner medizinischen Vorträge immer wieder hervorgehoben.

[5] Vgl. Kohlhase u. a. (2018), 13–22.

[6] Siehe FN 1, S. 45f.

[7] Rudolf Steiner, Die pädagogische Praxis vom Gesichtspunkte geisteswissenschaftlicher Menschenerkenntnis. Die Erziehung des Kindes und jüngeren Menschen, GA 306, S. 28.

[8] Vgl. Danese und McEwen (2012, 29): „A series of classic papers from the Adverse ChildhoodExperiences (ACE) Study started a prolific area of investigation by uncovering the link between retrospective reports of childhood adversities and risk for age-related disease including cardiovascular disease and type-2 diabetes in individuals from a health maintenance organization“.

[9] Medizinhistorisch erfolgte 1922 die erste Behandlung eines Kindes mit Insulin. 1923 erhielten Frederick Banting (1891–1941) und John MacLeod (1876–1935) den Nobelpreis für die Entdeckung des Insulins (Siehe Mehnert und Schulz 1994). Allerdings stellte der Ungar Nicolae Paulescu (1869–1931) bereits 1916 aus Inselzellen der Rinderbauchspeicheldrüse ein wässriges Extrakt (‚Pankrein‘) her und behandelte zuckerkranke Hunde (Vgl. Lehmann und Seufert 2015).

[10] Vgl. FN 1.

[11] Vgl. Siljander u. a. (2019), 512–521.

[12] Vgl. Köstner u. a. (2022), 197–207.

[13] Vgl. Moberg u. a. (1994), 247–251.

[14] In Band 15 der SKA findet sich auch das umfangreiche Literatur- und Referenzverzeichnis. Wer den Inhalt weiter vertiefen möchte, kann sich dort darüber informieren.

PROTEINSTOFFWECHSEL UND ALBUMINURIE AUS SICHT DER AM

Welche Rolle spielt die Ich-Organisation beim Proteinstoffwechsel?

Wie ist der Astralleib daran beteiligt?

Welche Sicht hat die Anthroposophische Medizin auf die Ursachen von Albuminurie?

Ätherisches Kraftsystem und Proteinstoffwechsel

Während in Kapitel VIII von „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“[1] das Verhältnis der Ich-Organisation zum physischen Kraftsystem mit dem Zuckerstoffwechsel im Zentrum stand, ist es in Kapitel IX ihr Verhältnis zum ätherischen Kraftsystem und dem hier zentral stehenden Proteinstoffwechsel. Leitsymptom einer dysfunktionalen Ich-Organisation im Bereich der ätherischen Bildekräfte ist die Albuminurie, die pathologische Eiweißausscheidung über die Nieren.[2]

„Das Eiweiß ist diejenige Substanz des lebenden Körpers, die von seinen Bildekräften in der mannigfaltigsten Art umgewandelt werden kann, so dass, was sich aus der umgeformten Eiweißubstanz ergibt, in den Formen der Organe und des ganzen Organismus erscheint. Um in solcher Art verwendet werden zu können, muss das Eiweiß die Fähigkeit haben, jede Form, die sich aus der Natur seiner materiellen Teile ergibt, in dem Augenblicke zu verlieren, in dem es im Organismus aufgerufen wird, einer von ihm geforderten Form zu dienen.“[3]

Unterschiedliche Aufgaben und Wirkfelder des Eiweißzerfalls

Es ist also eine vornehmliche Eigenschaft des Eiweißes im Organismus, dass es jederzeit bereit ist, in seine Bestandteile zu zerfallen:

  • zum einen in die 20 proteinogenen Aminosäuren, die dem Aufbau des Eiweißes im Organismus dienen,
  • zum anderen aber auch in die die Aminosäuren konstituierenden Elemente: Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff und Schwefel.
  • Daneben gibt es noch gut 250 weitere Aminosäuren, die Zucker und keine Proteine bilden.

Dieser Zerfall vollzieht sich an unterschiedlichen Orten im menschlichen Organismus:

Ø  In den Nerven/Sinnesorganen

Wie in Kapitel VI beschrieben, dient der Eiweißzerfall der Bewusstseinsbildung. Der Eiweißzerfall findet organbezogen spezifisch in den Nerven/Sinnesorganen statt und bedarf zu seiner Regeneration des Schlafes.

Ø  Im Verdauungstrakt

Im Verdauungstrakt hingegen dient der Eiweißzerfall dem daraufhin folgenden Aufbau des körpereigenen artspezifischen Eiweißes und dem damit verbundenen spezifischen Immunsystem als dem Instrument der Ich-Organisation im Ätherischen.

Proteinstoffwechsel und Ich-Organisation

„Es ist nun notwendig, dass der Mensch, um das Nahrungs-Eiweiß gesund zu verdauen, eine so starke Ich-Organisation habe, dass alles für den menschlichen Organismus notwendige Eiweiß in den Bereich des menschlichen Ätherleibes übergehen kann. Ist das nicht der Fall, so entsteht eine überschüssige Tätigkeit dieses Ätherleibes. Der erhält nicht genug von der Ich-Organisation vorbereitete Eiweißubstanz für seine Tätigkeit. Die Folge davon ist, dass die auf die Belebung des von der Ich-Organisation aufgenommenen Eiweißes orientierte Tätigkeit sich des Eiweißes bemächtigt, das noch fremde Ätherwirkungen enthält.“[4]

Die entscheidende Vorbereitung für den Eiweiß-Aufbau durch die Ich-Organisation ist, so gesehen, die vollkommene Abtötung der aus dem Nahrungsmittel stammenden, noch vorhandenen ‚fremden‘ Ätherwirkungen. Das fremde Leben muss sterben, damit das eigene Körperleben gesund aufleben kann: „Alles, was in den Bereich der Ich-Organisation kommt, erstirbt.“[5] Das bedeutet: Die in den aufgenommenen Nahrungsmitteln noch vorhandenen ‚ätherischen Fremdwirkungen‘ müssen überwunden und zum Austreten aus dem Organismus gebracht werden.

Zusammenwirken von Ich-Organisation und AL

Dem dienen laut Steiner und Wegman die Abbauvorgänge, bei denen die astralische und die Ich-Organisation zusammenwirken:

  • Während die astralische Organisation Lebendiges nur ablähmen könne,
  • sei es Aufgabe der Ich-Organisation, die Sterbeprozesse zu beherrschen und die Eiweißsubstanz in ihre anorganischen Bestandteile zu zerlegen.

Erst dann komme die Eiweißsubstanz unter die Einwirkung des menschlichen physischen Leibes, „der in seiner Form ein Ergebnis der menschlichen Ich-Organisation ist“[6] Die physische Organisation als ganzheitliches Gestaltungsprinzip unterscheide sich von der anorganischen Natur außerhalb des menschlichen Organismus dadurch, dass in ihr die Gesetze, die die anorganische Materie beherrschen, sich der Tätigkeit der Ich-Organisation fügen und die von ihr bestimmten Gestaltungen annehmen müssen.

Proteinabbau und Peptidbindungen im Detail

Das mit der Nahrung aufgenommene Eiweiß wird im Magen primär von dem/der im Fundus sezernierten Pepsin/Peptidase (auflösendes Enzym) angegriffen und dann weiter durch die Pankreas-Peptidase (pepsis, altgriechisch: Verdauung) in Peptone zersetzt. Unter Pepton versteht man ein Gemisch aus Aminosäuren und Aminosäureverbindungen, d.h. Peptiden.

Der Proteinabbau geschieht über Endopeptidasen, deren maßgeblicher Vertreter das Trypsin ist. Diese Eiweiß abbauenden Enzyme können die Proteine an bestimmten Stellen spalten und in Aminosäuren zerlegen – je nach Darmregion in verschiedene Peptidbindungen. Unter Peptidbindung versteht man die Verbindung zweier Aminosäuren und mehr – bis hin zu hochkomplexen Eiweißstrukturen.[7], [8]

Mit Recht hat man die enorme Vielfalt an Eiweißstoffen und deren komplexe Strukturen mit einem biochemischen Alphabet verglichen. Denn die 20 Aminosäuren – vergleichbar den Buchstaben im Alphabet – können diese enorme Vielfalt an Substraten zustande bringen. Dabei lässt sich diese Vielfalt aus den Aminosäuren ebenso wenig erklären, wie sich ein Gedicht aus den Buchstaben erklären lässt, aus denen seine Worte zusammengesetzt sind – geschweige denn der ganze Kulturreichtum menschlichen Schrifttums.

Albuminurie als Folge von unzureichendem Proteinabbau

Bei unzureichendem Proteinabbau durch die astralische und die Ich-Organisation gelangt noch mit Fremdleben behaftetes Eiweiß in das Blut und muss ausgeschieden werden. In „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“ heißt es zum Eiweißmetabolismus: „Nun sind die Kräfte, die im Menschen die Ausscheidung bewirken, an den Bereich des astralischen Leibes gebunden. Indem dieser bei der Albuminurie gezwungen ist, eine Tätigkeit auszuführen, auf die hin er nicht orientiert ist, verkümmert seine Tätigkeit für diejenigen Stellen des menschlichen Organismus, an denen sie sich entfalten sollte. Das ist in den Nierenepithelien. In der Schädigung der Nierenepithelien ist ein Symptom vorhanden für die Ablenkung der für sie bestimmten Tätigkeit des astralischen Leibes. Man sieht aus diesem Zusammenhange, wo die Heilung bei der Albuminurie einsetzen muss. Es ist die Kraft der Ich-Organisation in der Pankreasdrüse, die zu schwach ist, zu verstärken.“[9]

Das Besondere an dieser Sichtweise ist, dass hier primär das Wesensgliederwirken geschildert wird. Deren dysfunktionales Zusammenwirken bringt die Krankheitssymptome hervor. Therapeutische Ansätze zeigen – wo vorhanden – ebenfalls nur den prinzipiellen Ansatz für eine Wiederherstellung des harmonischen Zusammenwirkens an. Es liegen inzwischen aber gediegene internistische Expertisen vor.[10]

Vgl. „Einleitung zu Band 15, Schriften zur Anthroposophischen Medizin, Kritische Edition der Schriften Rudolf Steiners“, frommann-holzboog Verlag, Stuttgart 2025[11]


[1] Rudolf Steiner, Ita Wegman, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst, GA 27, S. 44.

[2] Für dieses Kapitel verdanke ich dem Internisten und Mitbegründer des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe, Matthias Girke, wertvolle Hinweise.

[3] Siehe FN1, S. 47.

[4] Siehe FN1, S. 49.

[5] Siehe FN1, S. 48.

[6] Ebenda.

[7] Jede Aminosäure hat ein sogenanntes Aminoende in Form einer Stickstoff/Wasserstoff-Verbindung (NH) und ein Carboxylende in Form einer Kohlenstoff/Sauerstoff-Verbindung (CO). Das Besondere dabei ist nun, dass das Carboxylende sauer reagiert und das Aminoende basisch. D.h., die Eiweißstruktur verhält sich wie ein ‚lebendiges Salz‘, da Salze aus der Verbindung von Säuren und Laugen herauskristallisieren, wie beispielsweise das Kochsalz aus Natronlauge und Salzsäure. Dieser salzähnlichen Struktur verdankt das Eiweiß auch seine Fähigkeit, das Säure/Basengleichgewicht im Blut zu unterstützen, da es dadurch ausgleichende Puffereigenschaften besitzt. Ähnliche Eigenschaften besitzt auch der Schwefel als sogenanntes amphoteres Element, weswegen er sich sowohl leicht mit Säuren als auch mit Laugen verbinden kann und selber nicht zu den klassischen Laugen- oder Säurebildnern gehört. Schwefelhaltige Aminosäuren spielen daher eine entscheidende Rolle im aktiven Bezirk von Enzymen, weil sie leicht die verschiedensten Bindungen eingehen können. (Vgl. Zeeck 2020, 266–275).

[8] Insulin ist beispielsweise ein Peptidhormon, das aus zwei Peptidketten besteht, die durch Disulfidbrücken (S-S/Schwefel) miteinander verbunden sind und eine komplexe Tertiärstruktur bilden.  

[9] Siehe FN1, S. 50.

[10] Vgl. Girke (2020) u. Girke u. a. (2020).

[11] In Band 15 der SKA findet sich auch das umfangreiche Literatur- und Referenzverzeichnis. Wer den Inhalt weiter vertiefen möchte, kann sich dort darüber informieren.

FETTSTOFFWECHSEL UND DIE „TRÜGERISCHEN LOKALEN SYMPTOMENKOMPLEXE“ AUS SICHT DER AM

Welche Rolle spielt die Ich-Organisation beim Fettstoffwechsel?

Wie wirkt sich eine geschwächte Ich-Organisation auf die anderen Wesensglieder aus?

Was sind laut Steiner und Wegman geeignete Präventions- und Therapiemaßnahmen?

Die Rolle der Ich-Organisation bei der Verdauung

In Kapitel VIII von „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“[1] wurde bereits auf die verschiedenen Bereiche des Verdauungssystems Bezug genommen, in denen die drei Grundnahrungsmittel Kohlenhydrate, Eiweiß und Fette primär verarbeitet werden:

  • Bei den Kohlenhydraten begann die Verdauungsarbeit bereits im Mund,
  • beim Eiweiß im Magen.
  • Bei den Fetten erfolgt die Aufspaltung in Glycerin und Fettsäuren erst im oberen Dünndarm, wo die Pankreasenzyme ihre volle Wirksamkeit entfalten.

Ø  Ich-Organisation und Kohlenhydratstoffwechsel

Aus anthroposophischer Perspektive hat die Ich-Organisation mit dem Kohlenhydratstoffwechsel sozusagen die meiste Arbeit – einschließlich der zentralen Rolle, die die Glukose als Hauptenergielieferant im Zellstoffwechsel spielt.

Ø  Ich-Organisation und Eiweißstoffwechsel

Dann folgen die Eiweiße und ihre Beherrschung im Dienst von Aufbau, Gestaltbildung, Regeneration, körpereigener Abwehr. Häufigste Symptomatik, wenn dies nicht regelhaft verläuft, ist der allergische Formenkreis. Der allergischen Reaktionsbereitschaft liegt die im vorigen Kapitel geschilderte Dysfunktionalität der Ich-Organisation im Ätherischen ebenfalls zu Grunde, so dass sich die Eiweiße nicht vollständig genug zur ‚eigenen‘ Körpersubstanz umwandeln können. Gegen die dadurch noch vorhandenen Fremdwirkungen wehrt sich das Immunsystem dann in Form der allergischen Reaktion.

Ø  Ich-Organisation und Fettstoffwechsel

Allergische Reaktionen kommen bei den Fetten so gut wie nicht vor. Bei der Verdauung dieser Substanz hat die Ich-Organisation sozusagen ‚am wenigsten Arbeit‘. Die Pflanzen bilden ihre Öle und Fette als Speichersubstanz im Samen. Dieser ist zwar Träger des Erbgutes, hat jedoch noch kein eignes Leben, weswegen er auch unter geeigneten klimatischen Bedingungen nahezu unbegrenzt haltbar ist. Hier ist am wenigsten ‚Fremdes‘ zu überwinden. Die Fette dienen im tierischen und menschlichen Organismus zum einen der Bildung von Depotschutz und Speichersubstanzen. Zum anderen sind sie – je nach Kettenlänge der Fettsäuren im dreigliedrigen Organismus – unterschiedlich am Stoffwechselgeschehen beteiligt:

  • Die kurzkettigen, hoch ungesättigten Fettsäuren bis zu einer Kettenläge von C 14 sind hochgradig stoffwechselaktiv.
  • Die langkettigen bis C 24 kommen fast ausschließlich im Nervensystem vor als maßgeblicher Bestandteil der Cerebroside, die in den Markscheiden (Myelin) in Form der Glycosphingolipide für Stabilität und Isolierung der Nervenbahnen sorgen.
  • Die mittelkettigen bis C 18 nehmen hingegen als Hauptbestandteil gesunder Nahrungsfette eine mittlere Stellung ein. Sie spielen sowohl als Depotfett eine Rolle, können aber auch in ungesättigt-stoffwechselaktiver Form im ganzen Körper vorkommen.[2]

Wärme durch Fettverbrennung

Allen Fetten ist gemeinsam, dass bei ihrem ‚Verbrennen‘ im Zellstoffwechsel zu den Endbausteinen Kohlendioxid und Wasser mehr als doppelt so viel Wärme frei wird, als dies bei Kohlenhydraten und Eiweißen geschieht, nämlich 9,3 kcal pro Gramm (kcal/g) im Gegensatz zu jeweils 4,1 kcal/g beim oxidativen Abbau von Kohlenhydraten und Eiweiß. Im tierischen Organismus wird die Wärmebildung durch ihren artspezifischen Astralleib harmonisch geregelt, so wie auch die Depot- und Stoffwechselaktivität der Spaltprodukte des Fettes.

Im menschlichen Organismus ist das anders. Hier hat die Ich-Organisation nach Steiner und Wegman die Aufgabe, dem Fettstoffwechsel insgesamt die „Orientierung zum Menschlichen hin“ zu ermöglichen – durch Zurückhaltung bzw. Überwindung der animalischen Natur: durch Beherrschung des Astralleibes durch die Ich-Organisation.

Bekannt ist auch der hohe Wärme- und Energieverbrauch im Nerven/Sinnesbereich als Grundlage der Bewusstseinsbildung, weswegen auch das Tragen von Mützen und Hüten zum Schutz vor Kälte und Wind nicht nur eine wichtige Unterstützung des Wärmeorganismus und damit der Funktionalität der Ich-Organisation ist. Es unterstützt auch die bewusste seelisch-geistige Tätigkeit im Milieu der seelischen und geistigen Wärme gemäß Kapitel V.

Die Bedeutung des Fettanteils der Muttermilch

In Abs. 5 des X. Kapitels kommen die Autoren zum zweiten Mal neben dem Kapitel VII auf die Bedeutung der Muttermilch zu sprechen. Der Fettanteil in der Muttermilch dient nicht den Bildeprozessen im eigenen Körper, sondern dem Wesen des Ungeborenen. Es ist eine vollkommen ‚vermenschlichte‘ Substanz, die so auch die Bildekräfte der Ich-Organisation der Mutter, die in der Wärme leben, direkt aus der warmen Mutterbrust in den warmen Körper des Säuglings überträgt. Mit dieser ununterbrochenen Wärmekette ist ein Höchstmaß an Muttermilchqualität verbunden und die bestmögliche Ernährung in der ersten Zeit außerhalb des Mutterleibes. Die dringenden Empfehlungen anthroposophischer Ärzte und Hebammen zum Stillen gehen auch auf diesen Zusammenhang zurück[3] ebenso die Erfolge der ‚Rooming in‘-Praxis in den Kinderabteilungen anthroposophischer Krankenhäuser.[4]

„Trügerische lokale Symptomenkomplexe“

Da die Ich-Organisation über den jeweiligen Wärmezustand der Organe ihre Integrationsarbeit leistet, muss sie sich dabei auf die Wärmebildung im Fettstoffwechsel stützen. Und je nachdem, in welchem Organ es – aus welchen Gründen auch immer – zu einer Über- oder Unterversorgung mit Wärme kommt, treten die in der Kapitelüberschrift genannten „trügerischen lokalen Symptomenkomplexe“ auf, denen die drei letzten Absätze des Kapitels gewidmet sind.

· Adipositas durch „parasitäre Wärmeherde“

An erster Stelle wird in Abs. 6 eine Fettaufnahme genannt, die die Ich-Organisation nicht in den von ihr beherrschten Stoffwechselvorgängen ‚aufzehren‘ kann. Dann bleiben Fettreserven im Körper liegen, die nicht in gesunder Wärmewirkung durch Aufnahme in die Aktivität der Ich-Organisation aufgehen können. Steiner und Wegman nennen sie „parasitäre Wärmeherde“, die in der Lage sind, die Lebensvorgänge anderer Organe zu „beirren“.[5] Ein ‚Zuviel‘ an Wärme bedeutet aber die Neigung zu entzündlichen Prozessen.

Rudolf Steiner beschreibt in diesem Zusammenhang für die Lehrer der Waldorfschule auch die Bedeutung der Gliedmaßenaktivität für die gesunde Entwicklung: „Unsere Glieder sind in hohem Grade geistig, und sie sind es, welche an unserem Leib zehren, wenn sie sich bewegen. Und der Leib ist darauf angewiesen, in sich dasjenige zu entwickeln, wozu der Mensch eigentlich veranlagt ist von seiner Geburt an. Bewegen sich die Glieder zuwenig oder bewegen sie sich nicht entsprechend, dann zehren sie nicht genug am Leibe.“[6]

Inzwischen ist auch bekannt, dass Adipositas zur vermehrten Infiltration des Fettgewebes mit Entzündungszellen führt.[7]

Durchwärmende Bewegung

Kommt es demgegenüber zu einer vermehrten Aktivität der Ich-Organisation in Bewegung und körperlicher Aktivität, so bilden sich diese parasitären Entzündungsprozesse zurück. Willensaktivität, Bewegung und Lebensstilinterventionen können daher die Krankheitsprogression und die CRP-Spiegel positiv beeinflussen.[8] Zwischenzeitlich ist auch wissenschaftlich mehrfach dokumentiert, dass Bewegung die chronische Entzündung reduziert: Die bewegungsaktive Wesensgliederwirksamkeit im Stoffwechsel-Gliedmaßen-System führt die chronische Inflammation mit ihrer nachfolgenden reaktiven Sklerotisierungstendenz heilsam in die Wärme.[9] Auch die Bedeutung der Ernährung für die kognitiven Prozesse konnte inzwischen herausgearbeitet werden.[10], [11]

· Neigung zur Verhärtung und Versteifung durch Wärmeverminderung

In Abs. 7 wird das Umgekehrte geschildert: Was geschieht, wenn es der Ich-Organisation nicht möglich ist, über ihre Stoffwechselaktivität hinaus auch noch genügend Wärmeentwicklung bereitzustellen, „um die Muskel- und Knochen-Mechanik in Ordnung zu halten“[12]. Die Folge einer solchen Wärmeverminderung bedeutet die Neigung zur Verhärtung und Versteifung sowie zum Brüchigwerden der Knochen (z.B. Osteoporose).

· Neigung zu „überreichlicher, den Organismus überlastender Nahrungsaufnahme“

Im letzten Absatz wird als Folge der parasitären Wärmeherde und ihres Einflusses auf die Stoffwechselorgane die Neigung zu „überreichlicher, den Organismus überlastender Nahrungsaufnahme“[13] beschrieben. Damit ist sowohl die Veranlagung zu Adipositas gemeint (Übergewicht) als auch eine lokale Überversorgung eines Organgebietes auf Kosten einer Unterversorgung eines anderen. Das auf diese Weise unterversorgte Organ erleidet dadurch Einbußen in seiner gesunden Funktionsfähigkeit – z.B. kann ein Ungleichgewicht entstehen zwischen der Gallenabsonderung in der Leber und der Sammlung und Konzentrierung in der Gallenblase im Verhältnis zur Sekretionsleistung der Bauchspeicheldrüse. Zu den dadurch möglicherweise entstehenden Krankheitsbildern gehören auch die Arteriosklerose/koronare Herzkrankheit sowie Krebserkrankungen.

Es ist schon lange bekannt, dass hier drei Prozesse aufeinanderfolgen:

  1. eine entzündliche Neigung,
  2. auf die der Organismus z.B. mit Fettablagerungen in den Blutgefäßen reagiert (Atherosklerose),
  3. die dann in eine manifeste Sklerose übergehen kann.

Wo sklerotische Erscheinungen auftreten, wird sichtbar, dass Substanzen aus dem Leben herausfallen, sodass dadurch mineralisierende Zerfallsprozesse am falschen Ort auftreten können. Die ätherische Organisation kann das physische Organ nicht mehr zureichend beleben und beginnt in ihrem eigenen Bereich zu wuchern, was zu pathologischem Zellwachstum einer beginnenden Krebserkrankung führen kann, das von der astralischen Organisation entsprechend nicht mehr genügend differenziert und von der Ich-Organisation integriert werden kann.[14]

Prävention durch Stärkung des Wärmeorganismus in Kindheit und Jugend

Den Pädagogen gegenüber berichtet Steiner, wie sie der Neigung, parasitäre Wärmeherde zu entwickeln, im heranwachsenden Kind dadurch entgegenwirken können, dass sie im Grundschulalter auf lebendig-künstlerische Art unterrichten und die Wissensinhalte nicht intellektuell-definitorisch-kühl vortragen. Dann kann die sukzessive stattfindende Metamorphose der astralischen Kräfte zwischen dem 7. und 14. Lebensjahr so erfolgen, dass sich dieses freiwerdende Gefühlsleben warm und mit Sympathie an die neuen Gedanken anschließen kann. Dadurch wird dann zugleich die Fähigkeit der Ich-Organisation unterstützt, den Wärmeorganismus auch vom Seelisch-Geistigen aus in seiner regulierenden Wirkung differenziert zu handhaben.[15]

Diese positive Wirkung, die das Gedankenleben in Verbindung mit dem Gefühl in Form von Idealismus und Begeisterung auf den Wärmeorganismus haben kann, spielt auch auf dem anthroposophischen Schulungsweg eine zentrale Rolle, weswegen die Grundübung dazu bereits im ersten Kapitel von „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“ steht: „Jede Idee, die dir nicht zum Ideal wird, ertötet in deiner Seele eine Kraft; jede Idee, die aber zum Ideal wird, erschafft in dir Lebenskräfte.“[16]

Vgl. „Einleitung zu Band 15, Schriften zur Anthroposophischen Medizin, Kritische Edition der Schriften Rudolf Steiners“, frommann-holzboog Verlag, Stuttgart 2025[17]


[1] Rudolf Steiner, Ita Wegman, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst, GA 27, S. 51.

[2] Siehe auch die Beschreibung des Fettstoffwechsels bei Wolff (2013), 119–188.

[3] Vgl. Glöckler u. a. (2024b).

[4] Das Gemeinschaftskrankenhaus in Herdecke – 1969 eröffnet – war das erste in Deutschland, wo die Mutter/Kind-Einheit auf der Geburtshilfestation Standard war und alles geschah, um das Stillen und die Mutter/Kind-Einheit zu fördern, aber auch das Dabeisein-Können der Väter bei der Geburt.

[5] Siehe FN1, S. 52f.

[6] Rudolf Steiner, Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik, GA 293, S. 196.

[7] Adipozyten produzieren proinflammatorische Zytokine wie z.B. TNF-α, Interleukin-1, Interleukin-6, MCP (Monocyte Chemoattractant Protein). Dabei ist der Entzündungsmarker CRP (C-reaktives Protein), der finnischen Diabetes-Präventionsstudie zufolge, der beste Prädiktor für die Progression zum manifesten Diabetes bei Patienten mit gestörter Glukose-Toleranz. Damit verbindet sich mit dem vor allem visceralen, weißen Fettgewebe ein chronischer Entzündungswärmeprozess parasitärer Art.

[8] Vgl. Martin und Weiß (2008), 30–40; Belalcazar u. a. (2010), 2297–2303.

[9] Nieß und Thiel (2017), 112–126.

[10] Vgl. Witte u. a. (2009), 1255–1260.

[11] Die hier zusammengestellten Referenzen 247–250 sind der Publikation „Innere Medizin“ von Girke entnommen: Siehe Girke (2020), 597–736.

[12] Siehe FN 1, S. 53.

[13] Ebenda.

[14] Vgl. Girke (2020), 345–351.

[15] Siehe FN 8, S. 210 f.

[16] Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, GA 10, S 28.

[17] In Band 15 der SKA findet sich auch das umfangreiche Literatur- und Referenzverzeichnis. Wer den Inhalt weiter vertiefen möchte, kann sich dort darüber informieren.

DIE ZWIENATUR DES MENSCHEN

Was ist unter Zwienatur des Menschen zu verstehen?

Wie erklärt sich dadurch der Zusammenhang von Denken und Verdauung?

Selbsterkenntnis zur Verwandlung in etwas Neues

Der mittelalterliche Mystiker Meister Eckehart prägte diesen Satz: „Wäre ich ein König und wüsste es nicht, ich wäre kein König.“ Es genügt nicht, ein wunderbares, von Gott geschaffenes Menschen-Ich zu sein, wenn ich mich nicht als Ich erfassen kann.

Um jedoch mein Ich in seiner Wesenhaftigkeit erfassen zu können, muss ich das Eingeschlossen-Sein in einen ganz individuellen Leib, den ich mir selber bilde, erleben. Erst wenn ich mich durch das Eingebunden-Sein in die Naturgesetze selbst gebildet habe, kann das Geistige frei vom Naturgesetz werden und das Ich in der Freiheit des Denkens erwachen. Dann kann ich mit derselben Lebenskraft, die der „alten Schöpfung“ der Natur zugrunde liegt, an der neuen Schöpfung im reinen, freien Denken arbeiten – diesmal befreit vom Gesetz der Natur.

Stoffwechselbetonter und erkenntnisgestützter Anteil

Seine Zwienatur macht sich dem Menschen auf seelisch-geistiger Ebene ständig bemerkbar: Er muss zwischen seinen Interessen und denen seiner Umwelt das zweischneidige Schwert des Ich führen, muss mit den Kräften des Verbindens und des Trennens umgehen lernen, muss lernen sich zu verbinden und sich zu trennen.

Der Mensch ist auch als denkender Mensch und als körperliches, stoffwechselbetontes Wesen eine Zwienatur – da kommt der medizinische Aspekt zum Tragen:

  • Den körperlich-stoffwechselbetonten Aspekt nennen wir das unbewusste Körper­leben.
  • Den erkenntnisgestützten Aspekt nennen wir Geistesleben oder Gedankenleben, das bewusste Körperleben.
  • Es gehört zu den wichtigsten Forschungsergebnissen Rudolf Steiners, den Zusammenhang zwischen dem unbewussten Stoffwechsel, zu dem auch die Fähigkeit zur Regeneration gehört, und der bewussten Gedankentätigkeit entdeckt und beschrieben zu haben.
  • Wenn der Mensch verdaut, nimmt er die Stoffe ganz in sich hinein, absorbiert sie und verwandelt sie in sich selbst.
  • Wenn der Mensch nachdenkt, ist er nicht bei sich, sondern „ganz bei der Sache“, wie wir so schön sagen. Er konzentriert sich und wird von dem Thema, das zu durchdenken ist, völlig absorbiert. Wenn ich „zwei plus zwei ist vier“ denke, bin ich in meinem Bewusstsein bei den Zahlen und nicht bei mir und meinen persönlichen Angelegenheiten.

Denken versus Verdauung

Gedankenarbeit und Erkenntnisarbeit verlaufen also polar zur Verdauungstätigkeit: Im Verdauen wird die Welt Mensch, beim Erkennen wird der Mensch Welt. Je mehr ich bei der Sache bin, je mehr ich mein Denken zur Berührungsfläche werden lasse mit der Welt, umso stärker werde ich im Geistigen, desto mehr komme ich von mir los – dank der wunderbaren ätherischen Regenbogenbrückenkräfte. Dann bin ich gesund.

Wenn bestimmte Ziele jedoch nicht angestrebt und deshalb auch nicht erreicht werden, wenn es so ist, wie es in der Apokalypse heißt, dass die Menschen sich nicht ändern, dass sie in ihrer Entwicklung stehen bleiben, dass sie nichts tun und nicht vom Fleck kommen, wenn es irgendwann solche Formen annimmt, wie es symbolisiert wird durch „die Hure Babylon“, dass alle Güter der Welt im Dienst des Egos stehen, dann werden alle möglichen Leiden und Schmerzen die Folge sein.

Wir sind der alten Gesetzmäßigkeit, die uns ausführlich erklärt wird im Buch der Apoka­lypse, noch nicht zur Gänze entwachsen. Diese Gesetze bilden immer noch den Grundstock unserer Natur. Es wird auch deutlich gemacht, dass jeder selbst den Schlüssel in der Hand hat, um dem entgegen zu wirken.

Vgl. Zusammenstellung von Vorträgen über „Die sieben Siegel der Apokalypse“, 2007

SUBSTANZSTRÖME BEI AUFBAU UND ABBAU

Welche Umwandlungsschritte erfährt die Nahrungssubstanz im Zuge der Verdauung?

Wie agieren Substanzen im Bereich des Physischen, Ätherischen, Astralischen und unter dem Einfluss der Ich-Organisation?

Einander entgegengesetzte Substanzströme

In der menschlichen Konstitution finden entsprechend den jeweiligen Gesetzeszusam-menhängen der ätherischen, astralischen und Ich-Organisation drei sehr unterschiedliche Umwandlungsschritte der durch die Nahrung aufgenommenen und dann vom Organismus weiterverarbeiteten Substanzen statt.

In „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst…“ sprechen die Autoren von zwei verschiedenen „Substanzströmen“:[1] Die im Wachzustand durch die astralische und Ich-Organisation initiierten abbauenden Substanzströme sind dem Aufbaugeschehen, das durch den Ätherleib besorgt wird, entgegengesetzt. Das erklärt die Notwendigkeit, Schlafphasen und Wachphasen abwechseln zu lassen:

  • Im Schlaf überwiegt der Aufbau durch das Ätherische, wodurch die aufbauenden Lebensprozesse wie Wachstum und Regeneration erstarken.
  • Im Wachen überwiegt der Abbau, indem Astralleib und Ich-Organisation ihre Aktivität entfalten, wodurch wir Bewusstsein erlangen.

Bereits in der 1918 erschienenen zweiten Auflage von „Die Philosophie der Freiheit“,[2] begründete Rudolf Steiner philosophisch, dass dem Entstehen von Bewusstsein (Astralleib) und Selbstbewusstsein (Ich-Organisation) Abbauprozesse zugrunde liegen (müssen). Das führte er auch in seinem Vortragswerk immer wieder aus.[3] In „Erweiterung der Heilkunst…“[4] wird dieses Geschehen von der körperlich-substanziellen Seite aus im Verlaufe der einzelnen Kapitel des Buches eingehend beschrieben.

Verhältnis von Substanzwirkung und jeweiliger Kräftewirkung

Was für das anthroposophische Substanzverständnis und die damit verbundene Art der Arzneimittelfindung und -herstellung wichtig ist, wird in Kapitel 1 auf den Punkt gebracht: Die Substanzen ändern ihre ‚Wesensoffenbarung’ und damit ihre Wirkung je nachdem, mit welchem Kräftebereich und Gesetzeszusammenhang (Wesensglied) sie es in Mensch und Natur zu tun haben:

  • Im physischen Kräftebereich zeigen Substanzen ihre mineralischen Materialeigen-schaften im Kontext der Aggregatzustände.
  • Im ätherischen Kräftebereich entfaltet sich der ganze Reichtum biochemischer Prozesse in der Bildung sekundärer Pflanzenstoffe und artspezifischer Eiweißkonfi-guration bei Mensch und Tier – was die offenkundigste Auswirkung von Ernährung ist.
  • Im astralischen Kräftebereich zeigen sich die katabolen (abbauenden), degenerativen Prozesse, die Bewusstsein ermöglichen.
  • Wohingegen im Kräftebereich der Ich-Organisation die Substanz Geist tragend wird, was aber körperlich bedeutet, dass sie abstirbt. Ein Hinweis auf die Bedeutsamkeit dieses Todesprozesses sind die Jesusworte: „Der Mensch lebt nicht von Brot allein, …“.[5]

Man wird bei einer solchen Betrachtung an das Novalis-Wort erinnert: „Wenn ein Geist stirbt, wird er Mensch – Wenn d[er] Mensch stirbt, wird er Geist.“[6]

Gesundheit als Gleichgewicht zwischen Auf- und Abbau

Gesundheit liegt vor bzw. tritt ein, wenn die Substanzprozesse in den jeweiligen Kräfte-bereichen sich das Gleichgewicht halten können. Je mehr dieses Gleichgewicht gestört ist, desto eher treten Krankheitserscheinungen auf.

Die prozessorientierten Arzneimittel der anthroposophischen Pharmazie haben daher primär die Aufgabe regulierend zu wirken, indem sie das Gleichgewicht wiederherstellen.[7] Sie unterstützen dabei die integrierende Kompetenz der Ich-Organisation.

Vgl. „Einleitung zu Band 15, Schriften zur Anthroposophischen Medizin, Kritische Edition der Schriften Rudolf Steiners“, frommann-holzboog Verlag, Stuttgart 2025[8]


[1] Rudolf Steiner, Ita Wegmann, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst…“, GA 27, S. 28 f.

[2] Vgl. dazu die Zusätze zur 2. Auflage von Rudolf Steiner, „Die Philosophie der Freiheit“ von 1918.

[3] Z. B. Rudolf Steiner, „Geschichtliche Notwendigkeit und Freiheit. Schicksalseinwirkungen aus der Welt der Toten. Geistige Wesen und ihre Wirkungen, Band III“, GA 179, S. 122–125.

[4] Siehe FN 1.

[5] Neues Testament, Matthäus Kap. 4, 4.

[6] Novalis (2013), S. 436.

[7] Vgl. Pedersen und Meyer (2017).

[8] In Band 15 der SKA findet sich auch das umfangreiche Literatur- und Referenzverzeichnis. Wer den Inhalt weiter vertiefen möchte, kann sich dort darüber informieren.