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Mysterien und Initiation

Aus Geistesforschung

Mysterien und Initiation – von Michaela Glöckler

Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/

ÜBER DIE ALTEN MYSTERIEN

Was sind die Charakteristika der alten Mysterien?

Welchen Zweck hatte die Geheimhaltung von Wissen?

Alte Mysterienstätten als Führungszentren

Aus den alten vorchristlichen Mysterien, wie es zum Beispiel die ägyptisch-babylonischen, die samothrakischen, griechischen und die großen hibernischen Mysterien waren, wissen wir durch historisch überlieferte Dokumente und die eindrücklichen Schilderungen Rudolf Stei­ners,[1] wie von diesen Mysterienstätten aus das kulturelle, politische und praktische Leben der Völker geleitet und bestimmt wurde.

Das Erwachen des historischen und philo­so­phi­schen Bewusstseins vom achten Jahrhundert vor Christus an ging Hand in Hand mit dem Verfall oder aber mit der Schließung dieser alten Kulturzentren: Die Säkularisierung und damit „Entspiritualisierung“ von Wissenschaft und Kultur begann. Damit traten auch demo­kratische, republikanische und anarchistische Bestrebungen auf, die sich bis heute immer weiterverbreiten.

Geheimhaltung von Wissen als Schutz

„Mysterion“ ist ein griechisches Wort und heißt „Geheimnis“. Es war das Schlüsselwort der alten Zeit.[2] Die sogenannten Mysterienstätten waren geheimnisvolle Orte. Zu verraten, was dort passierte, bedeutete Verrat an den Mysterien. Das Schweigen, die Geheimhaltung, diente in erster Linie dem Schutz von Unmündigen, da wirkliche Wahrheiten eine bestimmte Reife in der Persönlichkeitsentwicklung voraussetzen, um überhaupt ver­standen und positiv verarbeitet werden zu können. Auf Verrat von Mysterienwissen stand die Todesstrafe. Deswegen wissen wir so wenig von den alten Mysterien und das, was wir wissen, beruht auf Verrat. Man muss sich fragen, ob das so ganz authentisch sein kann, wenn es von Menschen kommt, die sich versündigt haben, die die Bedeutsamkeit des Ganzen nicht richtig verstanden haben, die nicht richtig dazugehörten.

Wir wissen, dass Sokrates den Schierlingsbecher trinken musste, weil man ihm vorwarf, er hätte Verrat am Mysterium begangen. Tatsache war aber, dass er selbst auf die Wahrheit gekommen war. An ihm kann man sehen, dass in dieser Zeit das Geheim­haltungsprinzip der alten Mysterien zu Ende ging.

Übergang zu einer neuen Mysterienkultur

Dann folgte die Dekadenzzeit der alten Mysterien und warf die Frage nach einer neuen Mysterienkultur auf.

Was ging da historisch und menschheitsgeschichtlich zu Ende?

Wir wissen aus zwei Gründen wenig von den alten Mysterien:

  • Einmal wegen der Angst der Mysterienschüler, als Verräter betrachtet zu werden,
  • zum anderen aber, weil christliche Fanatiker alles Mysterienhafte ausgerottet haben, da es als heidnisch, böse, nicht christlich galt.

Die damalige Kulturgemeinschaft wurde von Oberpriestern und Königen geleitet, die Visionäre waren und wussten, was in 10, 20, 50, 100 Jahren gebraucht, wo die Entwicklung hingehen würde. Mit dem Thema Zukunft sind jedoch viele Menschen überfordert – sie wollen die Zukunft nicht kennen, haben auch Angst davor und halten deshalb fest an Vergangenheit und Gegenwart.

Wer will wirklich etwas von der Zukunft wissen und sich womöglich von Dingen und In­hal­ten trennen, die ihm lieb sind?

Um also nicht alle gegen sich aufzubringen, durften die Herrscher ihre Ziele nicht verraten. Sie regierten aus einem spirituellen Anspruch heraus und hatten „den Draht nach oben“.

Initiation in die Geheimnisse der Entwicklung

An den Mysterienstätten wurde ein Initiationsweg beschritten, auf dem man in die Geheimnisse der Welt- und Menschheitsentwicklung eingeweiht wurde. Man bekam vermittelt, was man für die kulturelle Entwicklung brauchte. Die großen Staatsmänner der alten Zeit wie die uns bekannten Pharaonen – „Pharao“ heißt Priester, oberster Lehrer, Staatsmann und auch Heilkundiger – bekamen vermittelt, was ihre Kultur brauchte an Lehre, an Therapie, an Führungs-Know-How, an Impulsen, das Leben optimal zu gestalten. All das wurde an den Mysterienstätten gelehrt und war der herrschenden Klasse vorbehalten, war nicht für das Volk gedacht. Deswegen durfte man es dem Volk auch nicht verraten.

Die Tempel, selbst diejenigen in Ägypten – obwohl wir sie heute alle sehen und besuchen können – waren so gut verborgen, dass manchmal nur die Pforten sichtbar waren. Dort kamen nur Schüler hin, die aus Herrscherfamilien stammten, selten auch aus dem einfachen Volk. Sie empfingen einen Ruf, hatten ein Erweckungserlebnis. Beispielsweise sagte ihnen eine innere Stimme: „Gehe immer diese Straße geradeaus und dann wirst du jemanden finden, der dich weiterführt.“ D.h. man kam auf geheimnisvollen Wegen an die Tempelpforte, die einem in solchen Fällen aufgetan wurde, und dann wurde man als Schüler angenommen.

Die alten Mysterien, sagt Rudolf Steiner, waren „Weisheitsmysterien“, und Wissen kann verraten werden.

Mit der Mysterienkultur geht immer auch die Möglichkeit, verführt zu werden, einher. Aus diesem Grunde bestand die Aufgabe der alten Mysterien darin, das Erkenntnisleben unpersönlich und überpersönlich zu gestalten, alles subjektive Wollen und Wünschen radikal auszuschalten, sich ganz leer zu machen für die Inspiration der geistigen Welt. Das individuelle Ich wurde durch die Initiation ausgeschaltet, damit man dem reinen Götterdenken – so war das Ideal – folgen und im Sinne Gottes handeln konnte, im Sinne des Tempels und der Volksgemeinschaft. Man wurde eingeweiht in die Volksseele, in einen Religionsstrom, in etwas Gruppenhaftes. Das Individuelle musste dabei ganz zurücktreten. Zepter, Krone und die Bekleidung sind Ausdruck davon: Das Individuum wurde darunter zur Gänze versteckt, war nicht interessant.

Vgl. Vortrag von Dr. med. Michaela Glöckler am Pflegekongress 2010


[1] Rudolf Steiner, Mysteriengestaltungen, GA 232, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1998a.

[2] Wir kennen diesen Begriff heute als Staatsgeheimnis und Betriebsgeheimnis. Diejenigen, die die Führung und Leitung in einem Lande, in einer Gegend oder einem Weltreich innenhaben, hüten Geheimnisse, Staatsgeheimnisse. Die Geheimdienste sind die Nachfahren der alten „Geheimniskrämer“. Es gibt also noch immer eine „Geheimniskultur“, zu der Verrat, Angst und Strafe gehören, wenn man gegen die Regeln verstößt.

ERNEUERUNG DER MYSTERIEN

Was bedeutet „Erneuerung der Mysterien“?

Wie könnte eine neue Spiritualisierung des Kulturlebens heute aussehen?

Erwachen zur Wahrheit, die befreit

Mit dem Erwachen des historischen und philosophischen Bewusstseins ab dem achten Jahrhundert vor Christus begannen die alten Mysterienstätten dekadent zu werden und wurden nach und nach geschlossen. Die Säkularisierung und damit die „Entspiritualisierung“ der Wissenschaft, nahmen ihren Anfang. Zugleich traten auch demokratische, republikanische und anarchistische Bestrebungen auf.

Die Prophetie des Johannesevangeliums begann sich mehr und mehr zu erfüllen, die eben nicht nur für eine Elite der Herrschenden, sondern für jeden einzelnen Menschen gilt: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“[1].

Durch diese Entwicklung wurden aber auch die intimsten Geheimnisse der alten Mysterien an die Öffentlichkeit gebracht: der Weg, wie der einzelne Mensch Erkenntnis der Wahrheit und individuelle Freiheit erlangen kann. Die Aufforderung, sich als Menschenwesen zu erkennen und die Mitte zu finden zwischen allen Extremen, was ja die zentrale Lehre der alten Mysterien war, wurde nun immer mehr zu einem allgemeinen Kulturgut. Rudolf Steiner nannte diese neue Kultur eine „Mysterienkultur des Willens“ im Gegensatz zur alten „Mysterienkultur des Wissens und der Weisheit“.

Metamorphose des Prinzips der Geheimhaltung

Das Prinzip der Geheimhaltung, in den alten Mysterien zentraler Bedingung der Pflege des Weisheitsgutes, erfuhr im Rahmen der Mysterien-Erneuerung eine Wandlung im Sinne einer Metamorphose. Denn einerseits kennen die neuen Mysterien des Willens kein Geheimnis mehr – was ja ganz und gar dem Zeitgeist entspricht: Die „gesamte Weisheit der Welt“, inklusive der Gesamtausgabe Rudolf Steiners, ist im Internet zu finden und steht jedem zur Verfügung. Geheime Dokumente aus den Schaltzentralen der Macht, z.B. Protokolle von geheimen Banker-Konferenzen, werden plötzlich mutig von jemandem publiziert. Allerorten wird Transparenz gefordert. Hier gilt, was Rudolf Steiner in seinem Schulungsbuch schreibt, dass man jedem Fragenden Rede und Antwort stehen müsse.

Andererseits sagt er aber auch, dass man zu schweigen hätte, wenn nicht nach den esoterischen Inhalten gefragt würde.[2]

Das zentrale Element der neuen Mysterien ist, dass das, was man tut, öffentlich sichtbar wird und es als kulturell wertvoller Beitrag auch sein sollte. Jetzt kommt es nicht mehr auf wie auch immer geartetes Wissen an, sondern auf die Realisierung von Ideen und Vorhaben. Wird das Gute gewollt und getan, offenbart es sich der Welt und bedarf keiner Geheimhaltung mehr.

Aufforderung an den Willen

Die neuen Mysterien sind Mysterien des Willens, Mysterien der Gestaltung des sozialen Lebens. Ihnen liegt die freie Entscheidung des einzelnen Menschen zugrunde, der seinen Willen in den Dienst des anderen und auch der Gemeinschaft stellen kann. Der Philosoph Johann Gottlieb Fichte (1762 - 1814) hatte dies so formuliert: „Der Mensch kann, was er soll; und wenn er sagt: ich kann nicht, so will er nicht.“

In diesem Sinne „erneuerte“ Mysterien sind daher „christliche Mysterien“. Sie knüpfen an das Christus-Ereignis an, das Rudolf Steiner aus dieser Einsicht heraus immer wieder auch das Mysterium von Golgatha oder das Christus-Mysterium genannt hat. Die Nachfolge Christi kennt keine Besserwisserei oder Lust auf äußeren Einfluss und Machtentfaltung. Sie kennt nur Aufforderungen an den Willen des Menschen und zwar an den f r e i e n Willen. Dass das so ist, kann man schon an diesen spezifisch christlichen Aufforderungen erkennen:

„Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen.“[3] Aufforderungen dieser Art kann man nur freiwillig befolgen – sie widersprechen dem „normalen Empfinden“.

Das Individuum als Liebeträger

In seinem öffentlichen Vortrag zur Apokalypse des Johannes am 17. Juni 1908 in Nürnberg führt Rudolf Steiner dazu aus: „Je mehr der Mensch individuell wird, desto mehr kann er Liebeträger werden. Wo das Blut die Menschen zusammenkettet, da lieben die Menschen aus dem Grunde, weil sie durch das Blut hingeführt werden zu dem, was sie lieben sollen. Wird dem Menschen die Individualität zuerteilt, hegt und pflegt er den Gottesfunken in sich, dann müssen die Impulse der Liebe, die Wellen der Liebe, von Mensch zu Mensch gehen aus freiem Herzen heraus. Und so hat der Mensch mit diesem neuen Impuls das alte Band der Liebe, die an das Blut gebunden ist, bereichert. Die Liebe geht nach und nach über in die geistige Liebe, die von Seele zu Seele fließt, die zuletzt die ganze Menschheit umfassen wird mit einem gemeinschaftlichen Band allgemeiner Bruderliebe. (...) Während so die frühere Einweihung eine Einweihung in die Vergangenheit, in uralte Weisheit ist, geht die christliche Einweihung dahin, dem Einzuweihenden die Zukunft zu enthüllen. Das ist das Notwendige, dass der Mensch nicht nur eingeweiht wird für seine Weisheit, für sein Gemüt, sondern dass er eingeweiht wird für seinen Willen. Denn dadurch weiß er, was er tun soll, dass er sich Ziele setzen kann für die Zukunft. Der sinnliche Alltagsmensch setzt sich Ziele für den Nachmittag, für den Abend, den Morgen. Der geistige Mensch vermag aus den geistigen Prinzipien heraus ferne Ziele sich zu setzen, die seinen Willen durchpulsen, seine Kräfte lebendig machen. So der Menschheit Ziele setzen, das heißt im wahren, höchsten Sinn, im Sinn des ursprünglichen christlichen Prinzips, das Christentum esoterisch erfassen. So hat es derjenige verstanden, der das große Prinzip der Einweihung des Willens geschrieben hat, der die Apokalypse geschrieben hat. Man versteht die Apokalypse schlecht, wenn man sie nicht versteht als den Impulsgeber für die Zukunft, für das Handeln, für die Tat.“[4]

Gemeinschaftsbildend tätig

Wer diese Wende in der Mysterienkultur durchschaut, kann verstehen, warum es Rudolf Steiner so wichtig war, beginnend 1902, als er die deutsche Sektion der Theosophischen Gesellschaft übernahm, Formen der Gemeinschaftsbildung zu inaugurieren und zu pflegen. Auch wenn auf diesem Gebiet so manches missglückte, wie beispielsweise der Versuch zur Stiftung einer Gesellschaft für theosophische Art und Kunst,[5] so hat ihn das doch nie abhalten können, in dieser Richtung weiterzuarbeiten.

Und als immer mehr Menschen zu ihm kamen, die Hinweise und Hilfen suchten für eine Erneuerung der verschiedenen beruflichen Arbeitsfelder, so wirkten die neuen Berufsideale für die Pädagogik, die Medizin, die Krankenpflege, die Heilpädagogik, das priesterliche Wirken, die Land­wirtschaft, die künstlerischen Tätigkeiten und die wissenschaftlichen Bestrebungen stets gemeinschaftsbildend, indem sich die Menschen einer bestimmten Berufsgruppe mit diesem erneuerten Berufsideal verbanden und bestrebt waren, es zu realisieren.

Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015


[1] Neues Testament, Johannes 8, 32.

[2] Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, GA 10, Dornach 1992, S. 87.

[3] Neues Testament, Matthäus 5, 44.

[4] Rudolf Steiner, Die Apokalypse des Johannes. Vortrag vom 17. Juni 1908 in Nürnberg, GA 104, Dornach 1985, S. 38 u. 41.

[5] Siehe Rudolf Steiner, Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der Esoterischen Schule 1904-1914, Ansprache vom 15. Dezember 1911 (vormittags). GA 264, Dornach 1984.

FRAGE NACH EINER ERNEUERTEN MYSTERIENMEDIZIN

Wie kam es zur Erneuerung der Mysterienmedizin durch Rudolf Steiner?

Welcher Schicksalsmoment führte dazu?

Schicksalhafter Sommer 1923

Der Sommer 1923 stellte Rudolf Steiner vor äußerst schwierige Entscheidungen, weil noch nicht klar war, was mit dem abgebrannten ersten Goetheanum und mit der Anthroposophischen Gesellschaft geschehen sollte. Man kann nicht einfach weiter machen, wenn das Lebenswerk verbrennt in einer Nacht. Rudolf Steiner stand vor der Frage:

Was sagt mir das alles?

Soll ich jetzt hier eine Zäsur machen?

Rudolf Steiner besprach sich mit engen Freunden. In dieser Situation spielte eine Frage, die Ita Wegman ihm in diesem Sommer stellte, eine entscheidende Rolle.

Es gibt eine berührende Schilderung von Ita Wegman, laut der Rudolf Steiner ihr sagte, dass er überlege, die Gesellschaft ihre eigenen Wege gehen zu lassen und eine Art Orden zu gründen, sich mit wenigen kompetenten Menschen zurückzuziehen und intensiv mit ihnen zu arbeiten. Daraufhin erwiderte Ita Wegman sinngemäß: „Aber Herr Doktor, Sie können die Anthroposophische Gesellschaft doch nicht allein lassen!“

Zukunftsweisende Fragen

In einem anderen Gespräch in England fragte sie ihn:[1]

Warum wird das Mysterien­hafte in der Medizin nicht mehr auf den Vordergrund gesetzt und in eine Form gegossen?

Warum müssen die medizinischen Kurse so intellektuell gegeben werden?

Ist es nicht möglich, eine medizinische Myste­rienschule zu begründen?

Sie beschrieb später, worum es ihr genau ging:

„Das Mysterienprinzip ist, dass man bildhaft denken lernt, dass die Geschehnisse im ganzen Weltall in Bildern aufgenommen werden, so auch das Heilen im Kosmos und das Heilen im Mikrokosmos, das nur ein Bild ist des Makrokosmischen. In Meditationen müssen die Bilder dann zusammengefasst werden.“[2]

Diese Frage nach einer Mysterienmedizin, bekannte Rudolf Steiner später gegenüber seinem Freund Willem Zeylmans van Emmichoven, dem holländischen Arzt und Generalsekretär der Anthroposophischen Gesellschaft,  wäre die Parzivalfrage für ihn gewesen, die ihm die Möglichkeit gegeben hätte, die sogenannte „Weihnachtstagung“ zur Neubegründung der Anthroposophischen Gesellschaft abzuhalten und die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft als das zu begründen, was sie heute ist – eine esoterische, öffentliche Einrichtung.

Freiheit und Liebe als Führer

Ein Eingeweihter kann nur handeln, wenn ein anderer ihn darum bittet. Er kann nicht von sich aus handeln, aus einem noch so edlen Geltungs- und Missionsdrang heraus – das wäre mit der Freiheit seiner Mitmenschen nicht vereinbar. Eine Handlung ist nur dann freilassend, wenn nach ihr gefragt wird, wenn sie also erwünscht ist. Der christliche Eingeweihte ist dazu angehalten, die Ideale von Freiheit und Liebe in allen Lebenslagen als Führer zu nehmen und die Suche nach der Wahrheit immer in den Dienst von Freiheit und Liebe zu stellen.

Es reicht jedoch nicht, dass jemand sagt: „Du genießt aber große Freiheiten!“ Wenn ich mich selbst nicht frei fühle, bin ich nicht frei. Ich muss meine Freiheit fühlen können. Wissen und Können ist nicht Fühlen. Es gibt viele Menschen, die viel können, viel wissen und nichts damit anfangen können, weil sie lustlos sind oder gar depressiv. Ihr Wissen und ihr Können ist ihnen nichts wert. Und dann gibt es andere, die u.U. nur wenige Begabungen und vielleicht sogar eine körperliche Behinderung haben, aber voller Lebensfreude sind, weil ihnen alles, was sie wissen und können, viel bedeutet. Das entscheidet sich im Gefühl.

Rudolf Steiner reagierte auf Ita Wegmans Frage nach der Mysterienmedizin, indem er sich entschied,

  • erstens die Anthroposophische Gesellschaft neu zu begründen,
  • zweitens eine Hochschule als Aufgabe für diese Gesellschaft zu gründen,
  • und drittens begann er in den Vorträgen über „Mysteriengestaltungen“ (GA 232) darüber zu sprechen, was die alten Mysterien wie die der Megalithkultur usw. ausmachte. Ein halbes Jahr lang, bis Ostern, hielt er immer wieder Vorträge über Einzelheiten aus der Mysterien-Geschichte.

Stiftung zahlreicher Gemeinschaften

Das Entscheidende an dieser Stelle ist jedoch nicht die Vermittlung von neuem Wissen, sondern das, was Rudolf Steiner anschließend tat: Er stiftete Gemeinschaften – Berufsgemeinschaften, Arbeitsgemeinschaften. Aus heutiger Sicht kann man erkennen, dass er schon vorher damit anfing: Er begründete einen Lehrerkreis im Rahmen der ersten Waldorfschule, einen Priesterkreis und schuf damit die Voraussetzung zur Begründung der Christengemeinschaft.

Er berief einen esoterischen, internen Ärztekreis, bestehend aus sieben Ärzten, denen er große Schicksalsaufgaben übergab. Sie sollten sich mit den großen Mysterien und Kulturströmungen der Menschen auseinandersetzen, sprich: mit dem gesamten Menschheitsschicksal.

Darüber hinaus beriet er Ita Wegman und gab ihr wichtige Impulse: Als Leiterin der Medizinischen Sektion stiftete sie diverse Berufsgruppen, von der Heilpädagogik über die Krankenpflege zur Pharmazie und zur Kunsttherapie. Jede Berufsgruppe sollte unter sich ein geistiges Gut pflegen und sich damit anschließen an die Inspirationssphäre des Raphael.

Kriterien einer neuen Mysterienmedizin

Die neue Mysterienmedizin entsprach den folgenden wegweisenden Kritierien:

  1. Zum einen handelt es sich um eine Medizin, die – wie Rudolf Steiner es schon im vierten Vortrag des ersten Jungmedizinerkurses formuliert – „... das Ganze des Heiles der Menschheit im Auge hat“[3] und sich nicht damit begnügt, in Gesundheits- und Krankheitsfragen nur auf den individuellen Menschen hinzublicken.
  2. Zum anderen handelt es sich dabei um Mysterien der Tat, zu denen der Mut des Heilens und der unbesiegliche Karma-Wille, wie Rudolf Steiner dies im Jungmedizinerkurs[4] ausführte, die Richtung weisen.
  3. Die dritte Grundorientierung wird deutlich, wenn wir auf die Zusammenarbeit Rudolf Steiners mit Ita Wegman hinblicken – im gemeinsamen Schreiben des Buches „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen“ sowie in den vielen gemeinsamen Patientenbesprechungen: Mysterien des Willens sind zugleich auch Mysterien der Zusammenarbeit.

Die neuen Mysterien können sich nur verwirklichen, „wenn sich viele zur rechten Stunde vereinigen“[5]. Das Einzel-Ich ist in seiner Entwicklung so weit gekommen, dass es selbst entscheiden lernen kann und muss, welchem Wissen es sich öffnen und vor welchem es sich verschließen möchte. Anstelle von Schweigen oder Geheimhaltung haben die neuen Mysterien ein Willensziel: meditative Kraft zu konzentrieren, um stärker wirksam sein zu können.

Vgl. Vortrag von Dr. med. Michaela Glöckler am Pflegekongress 2010


[1] J. E. Zeylmans van Emmichoven, Wer war lta Wegman, Band 2, Heidelberg, 1992. Seite 216.

[2] Ebenda.

[3] Rudolf Steiner, Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst 4. Vortrag, GA 316.

[4] Ebenda.

[5] J.W. Goethe, Märchen von der schönen Lilie und der grünen Schlange.

AUF DEM WEG ZU EINER NEUEN MYSTERIENKULTUR

Wie kam es zu einer neuen Mysterienkultur rund um Rudolf Steiner?

Wer bzw. was gab den Ausschlag dazu?

Pionierinnen einer neuen Mysterienkultur

Da wir mit diesen Ansätzen zur Verwirklichung einer neuen Mysterienkultur immer wieder am Anfang stehen und sowohl individuell als auch sozial noch viel Mühe haben zu verstehen, worum es dabei geht, brauchen wir Orientierung. So ist es hilfreich, zu studieren, welche Persönlichkeiten diese Impulse bereits verstanden, aufgegriffen und soweit wie möglich verwirklicht haben. Neben Rudolf Steiner waren die ersten Persönlichkeiten dieser Art seine engsten Mitarbeiterinnen Marie Steiner, Edith Maryon und Ita Wegman.

Marie Steiner stellte bereits am Anfang des Jahrhunderts die Frage nach dem spezifischen christlich-esoterischen Schulungsweg des Abendlandes. So wurde sie zur Mitbegründerin und Pflegerin der gesamten anthroposophischen Arbeit als dem Fundament eines christlichen Mysterienwesens.

Edith Maryon hatte in herausragender Weise Haltung und Charakter einer Schülerin und Mitarbeiterin dieses Mysterienwesens auf dem Gebiet der bildenden Kunst und in sozialer Hinsicht.

Ita Wegman hingegen stellte ganz konkret die Frage nach der Erneuerung der Mysterien für die Medizin. Das war das entscheidende Moment, das Rudolf Steiner veranlasste, an Weihnachten 1923/24 die Neubegründung der Anthroposophischen Gesellschaft und der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft als öffentliche esoterische, d.h. als Mysterien-Schule vorzunehmen. Wegman empfand, dass das neue Mysterium das Mysterium der individuellen Tat ist und sah klar, dass eine menschenwürdige Medizin nur auf solchem Mysterienboden entwickelt werden kann.

Wie kann ich die Zukunft gestalten?

Zu den Medizinstudenten hatte Ita Wegman 1932 auf deren Frage: „Was kann uns die Zukunft noch geben?“ geantwortet: „Man kann die Frage auch anders stellen, man kann fragen: Wie kann ich die Zukunft gestalten?“

Mit diesem Wort, dass wir nicht fragen sollen, was die Zukunft uns noch geben wird, sondern vielmehr, wie wir die Zukunft gestalten können, zeigte sich Ita Wegman als vollbewusst im Willensstrom des durch das Christentum erneuerten Mysterienwesens weiterwirkend, auch nach Rudolf Steiners Tod. Sie steht vor uns als ein Mensch, der in sich die Umwendung vom alten zum neuen Mysterienwesen aus tiefer innerer Einsicht vollzogen hat und dann in ihrem weiteren Leben demgemäß leben und handeln konnte.

Es kann heute nicht primär die Aufgabe sein, immer noch nach mehr und nach „neuem Wissen“ zu verlangen, obwohl es willkommen ist, wenn durch Fleiß und genaue Untersuchungen neues Wissen zu Tage tritt. Was vielmehr gebraucht wird, Kultur werden muss und im Sinne der neuen Mysterien nottut, ist, dass man dasjenige, was man weiß, auch tut. „Weiß“ doch die gegenwärtige Menschheit bereits viel mehr, als sie pflegen und umsetzen kann.

Die große Aufgabe besteht darin, nur ein Weniges von dem, was an Einsicht und Wissen in Bezug auf die Welt- und Lebensverhältnisse bereits vorliegt, tatsächlich zu verwirklichen und fruchtbar zu machen für die weitere Entwicklung von Mensch und Erde. Im Tun, im Verwirklichen der Weisheit, die individuell erkannt und herzlich gefühlt wird und dann in liebevolles Tun übergeht, liegt das Wesen dieser neuen Mysterien. Entsprechend führt Rudolf Steiner das auch in seinen Vorträgen zur Apokalypse des Johannes für unsere Epoche aus.

Vgl. „Raphael und die Mysterien von Krankheit und Heilung“, Medizinische Sektion am Goetheanum 2015


CHARAKTERISTIKA DER NEUEN MYSTERIEN

Woran erkennt man die neue Mysterienkultur?

Inwiefern unterscheidet sie sich von der alten Mysterienkultur?

Was die neuen Mysterien auszeichnet                                          

1. Direkte Geistberührung

Hauptcharakteristikum einer Mysterienkultur ist, dass man den direkten Anschluss an die geistige Welt sucht, die direkte Offenbarung ohne einen Priester oder einen anderen Menschen als Vermittler: Es geht um authentische, individuelle Geistberührung. Wir sprechen heute von „Spiritualität“. Es gibt verschiedene Übungswege zur individuellen spirituellen Erfahrung. Das wichtigste Kriterium ist aber immer der Mut, sich ohne Guru, ohne Vermittlung, ohne, dass einen jemand fest an der Hand hält, der geistigen Welt gegenüber zu stellen.

Man sucht sich zwar Weggefährten und möglicherweise auch einen Lehrer – aber einen solchen, der Hilfe zur Selbsthilfe gibt und seine Schüler nicht von sich abhängig macht. Ich spreche jetzt von den christlichen Mysterien. Wahrhaft christliche Lehrer werden ihre Macht und ihr Wissen nie missbrauchen, sondern alles in ihrer Macht Stehende im Dienst von Freiheit und Liebe zum anderen tun.

2. Bedingungslose Brüderlichkeit

Das setzt bedingungslose Brüderlichkeit voraus, durch die die so viel zitierte „Augenhöhe“ erst entstehen kann – denn wir Menschen sind im Grunde alle unterschiedlich, sind einander nie gleich und damit auch nicht „auf Augenhöhe“.

Das schönste Beispiel dafür finden wir in der christlichen Mysterienkultur selbst. Bevor Johannes, der Evangelist, das Johannesevangelium schrieb, verfasste er die Apokalypse, als junger Literat sozusagen. Das Johannesevangelium ist sein Alterswerk, sein Jugendwerk ist die Apokalypse, die auch ganz jugendlich-visionär engagiert geschrieben ist. Darin stellt er sich vor als der Repräsentant einer neuen Mysterienkultur, die von Freiheit und Liebe lebt und nicht von Angst und Geheimnis. „Apokalypsis“ heißt Enthüllung, Offenbarung – das Gegenteil von Geheimnis, Verhüllung und Geheimhaltung.

Die Willens-Mysterien können sich nur ereignen, wenn ich weiß, was ich will, und dafür muss sich mir erst einiges offenbaren. Dafür brauche ich eine Orientierung, sonst kann ich gar nicht richtig wissen, was ich will. Im besten Fall höre ich von zwanzig Optionen und suche mir eine aus. Ich brauche viele Informationen, viel „Offenbarung“, um dann sagen zu können: Jetzt mache ich für die nächsten zehn Jahre das, dann kann ich wieder neu schauen.

3. Starkes Ich und Aushaltekraft

Johannes, der Apokalyptiker, stellt sich also mit folgenden Worten vor und charakterisiert damit auch die neuen Mysterien: „Ich“ (man merkt, er ist ganz selbstbewusst, ganz authentisch, ganz stark), „Johannes, euer Bruder und Schicksalsgefährte, sowohl in allen Prüfungen, als auch im inneren Königtum und in der ausharrenden Kraft, die wir als die mit Jesus Verbundenen besitzen, war auf der Insel Patmos.“[1] Ich war auf der Insel Patmos, - wie? - als euer Bruder und Weggefährte, ich war für euch da.

Und wodurch sind wir seine Brüder und Gefährten?  

Dadurch, dass wir alle unser inneres Königtum suchen und unseren Willen in Geduld und ausharrendem Mühen üben und stählen in dieser Welt. Diese Aushaltekraft haben wir, weil wir mit Jesus verbunden sind.

Charakteristika der christlichen Mysterien

Die Charakteristika der christlichen Mysterien sind also:

  • Ein starkes Ich im Aushalten und Tun,
  • Bruder sein allen, die suchend sind,
  • und das Leben so gestalten, dass es mit der höchsten Geistesführung, mit dem Jesus-Christus-Prinzip, verbunden ist.

Eine neue Mysterienkultur zu pflegen bedeutet, Verantwortung zu übernehmen für das Leben und die Entwicklung. Das, was früher die Eingeweihten und Führer der Menschheit wie z.B. die Pharaonen gemacht haben, muss heute jeder einzelne übernehmen. Die menschliche Kultur entwickelt sich heute nur über den einzelnen Menschen weiter: Durch viele Wassertropfen entsteht ein Fluss, der die Wüste wieder zum Erblühen bringen kann, der in die Abgründe der Kulturlosigkeit wieder Menschlichkeit sät.

Vgl. Vortrag von Dr. med. Michaela Glöckler am Pflegekongress 2010


[1] Neues Testament, Offenbarung 1, 9.

CHRISTLICHE MYSTERIEN – KULTUR DER VERANTWORTUNG UND MITGESTALTUNG

Inwiefern sind die neuen Mysterien des Willens christlich zu nennen?

Neue Mysterien helfen dem Ich „zu sich“ zu kommen

Angesichts der Tatsache, dass die Menschen ihr Schicksal zunehmend selbst in die Hand genommen haben und selbst wählen, wem sie die Führungsaufgabe in Gemeinde und Staat zusprechen, kann das Besondere eines erneuerten Mysterienwesens nicht darin liegen, alte Formen geistiger Übermacht oder geheimen Wissens, mit dessen Hilfe die Unwis­senden beherrscht werden können, wieder aufleben zu lassen. Auch das Schaffen neuer geheimer Eliten würde keinen Fortschritt, sondern vielmehr einen Rückschritt bedeuten und die Tatsache, dass Christus auf der Erde erschienen ist, ignorieren.

Die neuen Mysterien müssen das sich individualisierende, verunsicherte, irrende Menschen-Ich respektieren und ihm helfen, „zu sich“ zu kommen.

· Verantwortung übernehmen

Erst dann kann vom befreiten Menschen-Ich das neue Mysterium ausgehen: dass viele Einzelne beginnen, sich in Freiheit für die großen Menschheitsangelegenheiten zu interessieren und aus eigener Initiative Mitverantwortung für das Ganze zu übernehmen. Die Zukunft der Menschheit wird zunehmend davon abhängen, dass der einzelne lernt, auf individuelle Art mit der Weisheit dieser Welt umzugehen, selbst tätig zu werden.

Die Individualität, der Einzelne, braucht mit Blick auf die Zukunft ein neues Ent­wick­lungsmotiv. In Goethes Märchen heißt es: „Ein einzelner hilft nicht, sondern wer sich mit vielen zur rechten Stunde vereinigt.“[1] Während die alten Volks- und Familien­gemein­schaften durch einzelne „Oberhäupter“ geleitet und bestimmt wurden, müssen die neuen Gemeinschaften dadurch entstehen, dass sich viele freiwillig „zur rechten Stunde“ zusammenfinden. Es hängt vom – freien – Willen vieler Einzelner ab, ob „das Gute“ ge­sche­hen kann.

· Das soziale Leben mitgestalten

Die neuen Mysterien sind aber auch Mysterien der Gestaltung des sozialen Lebens auf der Grundlage der freien Entscheidung des einzelnen Menschen, seinen Willen in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Das Neue, das in Zukunft zunehmend eine führende Rolle spielen wird, besteht also darin, dass kompetente Individuen sich freiwillig, aus eigenem Willen, zu Arbeits-, Initiativ- und Kulturträgergemeinschaften zusammenschließen.

Das kann man an der weltweiten Entwicklung der „Nichtregierungsorganisationen“ (NGO) in den letzten fünfzig Jahren erleben: In diesen Gemeinschaften lernt man sich als Individuum, das eine eigene Meinung hat, zu Gunsten von größeren, wichtigeren Aufgaben zusammenzuschließen – darin liegt Zukunft. Solche Gruppierungen brauchen die Staaten heute als Gegenüber, damit sie überhaupt noch regierungsfähig sind in einer Zeit, in der die Politik immer mehr zur Handlungsunfähigkeit verurteilt ist, weil die Wirtschaft demokratisch nicht zugänglich ist, aber Macht hat, in großem Umfang die gesellschaftlichen Verhältnisse zu prägen. Die Politik ist heute ohnmächtig, weil nicht sie die Macht des Geldes hat und weil diejenigen, die sie haben, sich der demokratischen Kontrolle entziehen.

Das muss ausgeglichen werden durch eine ausreichende Anzahl an initiativen Menschen, die individuelle Kulturleistungen erbringen – auch in der Wirtschaft. Unsere Zeit braucht selbstverantwortliche Menschen, die sich dafür engagieren, dass Kinder und Jugendliche zu „vernünftigen“ Menschen heranwachsen können. Auch das ist Aufgabe der neuen Mysterien, denn davon hängt die Zukunft der Menschheit ab; daran entscheidet sich, ob es gesellschaftlich weiter bergab geht oder entschieden bergauf.

Vgl. Alte Mysterienstätten und neue Sozialkultur, in: Meditation in der Anthroposo­phi­schen Medizin, 1. Kap., Berlin 2016


[1] Johann Wolfgang Goethe, Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie.

INITIATION DURCH DAS LEBEN

Was bedeutet Initiation?

Das lateinische Wort ‚initiare’ bedeutet ‚anfangen’. Wer den Initiationsweg beschreitet, fängt ganz bewusst ein neues Leben an.

Verantwortung für die eigene Entwicklung übernehmen

Genau dasselbe macht jeder von uns auf seine individuelle Art, wenn er sich in der ernstesten Stunde seines Lebens entschließt, die Verantwortung für die eigene Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen und sie nicht mehr zu delegieren an das Schicksal, an das Erbgut, an Freunde und Verwandte, an Autoritäten, die für einen zuständig und daran ‚Schuld‘ sind, dass man dieses oder jenes Problem hat. Es gibt Menschen, die machen andere für ihr ganze Biografie verantwortlich: Sie wissen genau, wer diese Schwäche und jenes Problem in ihrem Leben verursacht hat.

Im Rahmen einer Biografiearbeit oder Psychotherapie ist es eine mühevolle Arbeit, diesen Menschen verständlich zu machen, dass sie selbst über einen Rucksack verfügen, in den sie alles zurückholen können, was sie an andere delegiert und ihnen aufgebürdet haben an Schuldzuweisungen und Problemprojektionen. Es geht darum, sich das alles selbst in den eigenen Rucksack zu stecken und zu sagen: „Das bin ICH, das gehört zu MIR. Das sind MEINE Entwicklungschancen. Das ist meine Lebensinitiation.“ Denn jedes Problem ist der Vorbote einer zukünftigen Befähigung, die es zu erringen gilt.

Diesen Weg der Einweihung durch das Leben kann jeder gehen. Er zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch „Wie erlangt man Erkenntnisse der Höheren Welten?“.[1]

Drei Aspekte biografischer Schulung

Hinzu kommt die bewusste Schulung, die immer drei Aspekte und die dazugehörigen Fragestellungen beinhaltet:

1.    Persönlicher Aspekt:

Wo stehe ich gerade?

Was steht an ganz persönlichen Reifungsschritten an?

2.    Beruflicher Aspekt:

Welche Fähigkeiten brauche ich, um meinen Beruf gut auszuüben?

3.    Menschheitlicher Aspekt:

Welche Entwicklungsschritte stehen für die Menschheit an?

Was ist die entwicklungsmäßige Antwort auf die Herausforderungen der heutigen Zeit?

Vgl. Vortrag „Vom Wesen der Heileurythmie als Herzorgan der Anthroposophischen Medizin“, 1. Weltkonferenz für Heileurythmie am Goetheanum, 30.05. 2008


[1] Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der Höheren Welten?, GA 10.