Herzlich Willkommen!
Vatersein
Vatersein – von Michaela Glöckler
Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/
BEGLEITER VON MUTTER UND KIND SEIN
Welche besondere Aufgabe hat der Vater innerhalb der jungen Familie?
Wie wichtig ist es, dass das Kind von seinem Vater bei egal welchen Komplikationen auf seinem Weg begleitet wird?
Die Rolle des Begleiters
Das Allerwichtigste im Hinblick auf die Vaterrolle erscheint mir, von Anfang an eine Beziehung zum Kind herzustellen und des Weiteren die Beziehungskette nicht abreißen zu lassen. Manchmal kann der Vater in voller Chirurgenmontur sogar beim Kaiserschnitt dabei sein und die Geburt mit verfolgen. Man hat heute so viele Möglichkeiten.
Der Vater ist vor allem ein Begleiter von Mutter und Kind. Das ist seine Rolle, auch schon in der Schwangerschaft. Bereits da braucht die Mutter womöglich mehr Unterstützung. Nicht alle Frauen machen das mit links. Deshalb ist es ideal, dass die Eine in anderen Umständen ist und der Andere das auch will, sich ebenfalls auf das Kind freut und den ganzen Prozess liebevoll begleitet, indem er für Unterstützung und Erleichterung sorgt. Das Begleiten ist eine selbstlose Rolle. Man ist nicht die Hauptperson, sondern spielt ganz klar eine Nebenrolle. Durch die Befruchtung hat der Vater jedoch den Anstoß gegeben für alles Weitere und damit optimalerweise auch den Willensentschluss für das Kind gesetzt. Er entwickelt zunehmend Verantwortungsgefühl und Selbstlosigkeit, indem er immer wieder fragt:
Was braucht ihr?
Und nicht:
Was hätte ich jetzt gerne?
Selbstreflexion und Selbstlosigkeit
Diese väterliche Haltung bedarf genauso des Trainings wie vieles andere. Es braucht ein höheres Maß an Selbstreflexion, wie man das gut hinbekommen kann. Wenn der Mann unterstützend zur Seite steht, kann die Frau das Äußere loslassen und sich ganz auf das Kind konzentrieren. Die Mutter ist ja bis hin zur Zusammensetzung der Milch in einer Symbiose mit dem Kind, um ihm die Milch zur Verfügung stellen zu können, die es braucht. Da gibt es noch so etwas wie eine unsichtbare Nabelschnur zwischen den beiden. Das erfordert Kraft und Zuwendung. Wenn dann niemand auf sie als Mutter schaut, hat sie nicht so viel Kraft für ihre Aufgabe.
Es ist eine Gnade, wenn man sich als berufstätiger Vater die nötige Zeit für die Unterstützung von Mutter und Kind nehmen kann, das können nicht alle. Die Lebensumstände der Menschen sind sehr unterschiedlich. Aber wenn man als Eltern das Ideal kennt und weiß, was ein Kind braucht und man es liebt, findet man für jede Situation den besten Weg. Wenn man so ein Leitideal nicht hat und sich durch diese oder jene Aussage verunsichern lässt, weil man selbst keine Haltung und Meinung dazu hat, ist das für das Kind nicht gut.
Vgl. Podcast „Im Gespräch mit Dr. Michaela Glöckler: Vatersein, Haltung moderner Eltern, Ideale und Kompromisse“, März 2024
DIE AUFGABE DES VATERS IM ERSTEN JAHRSIEBT DER KINDLICHEN ENTWICKLUNG
Was ist die Rolle des Väterlichen beim kleinen Kind?
Drei Aspekte des Väterlichen
Vatersein ist ein biologisches, seelisches und geistiges Phänomen. Diese drei Aspekte des Väterlichen fallen nicht immer zusammen – weder zeitlich noch räumlich. Es gibt Väter, bei denen sich die Rolle des Väterlichen im Biologischen erschöpft. Andere wiederum haben mit dem Biologischen gar nichts zu tun, weil sie nicht die leiblichen Väter sind, und sie erfüllen trotzdem voll die Aufgabe der seelischen Vaterschaft. Darüber hinaus gibt es eine geistige Dimension, von der man zwar heute noch den Eindruck hat, dass sie eine geringe Rolle spielt, die aber dennoch eine wesentliche Komponente des Vaterseins ist.
Es sei jetzt einmal davon ausgegangen, dass sich diese drei Möglichkeiten in einer Person vereinigen, was voraussetzt, dass eine verbindliche Beziehung gegenseitiger Zuneigung zwischen Vater und Mutter besteht, in der beide sich auf ein Kind freuen und es auch bekommen.
Wahrnehmende Anteilnahme des Vaters
In den ersten Jahren ist die Bedeutung des Vaterseins noch stark mit seiner biologischen Rolle verbunden. In biologischer Hinsicht ist der Vater zwar derjenige, der den Anstoß zur Schwangerschaft gibt, diese jedoch nicht auszutragen hat. Durch die Tatsache, dass er weder zum Austragen des Kindes noch zur Milchbildung befähigt ist, ist er körperlich ungebunden und frei, an diesem ganzen Prozess mehr von außen Anteil zu nehmen. Eine entscheidende Voraussetzung für das Gedeihen der Familie, liegt in dem bewussten Aufgreifen seiner Möglichkeiten als Vater in Form von liebevoller Anteilnahme und Wahrnehmung von Mutter und Kind. Die Mutter spürt, ob der Vater sie im Bewusstsein trägt oder nicht und ob er innerlich Anteil nimmt oder nicht. Das Kind bekommt seine Haltung durch seine enge Beziehung zur Mutter ebenfalls mit.
Dabei spielt der Beruf keine große Rolle: Der Vater kann als Diplomat beispielsweise monatelang von zu Hause fort sein, er kann als Vertreter in der Wirtschaft ein reiner „Wochenend-Papa“ sein, er kann in einem Restaurant tätig sein und morgens lange ausschlafen, um am Spätvormittag schon wieder zu verschwinden – ganz unabhängig von der Dauer und Häufigkeit seiner An- oder Abwesenheit spürt die Mutter den Grad seiner inneren Beteiligung an ihr und dem Kind. Hier kommt es nicht auf viele Worte an, sondern darauf, ob er seiner Freude und Anteilnahme an dem Kind Ausdruck verleihen kann oder nicht. Dieses wahrnehmende Anteilnehmen ist im Grunde die wichtigste Aufgabe des Vaters in der ersten Zeit. Darüber wird in vielen großen Biographien rückblickend mit Dankbarkeit gesprochen.
Innere Verbundenheit
Besonders schön ist die Schilderung von Jacques Lusseyran in seiner Autobiographie.[1] Was er als das Glück seiner Kindheit empfand, war das Gefühl des Getragen-Werdens vom elterlichen Bewusstsein: „Meine Eltern – das war Schutz, Vertrauen, Wärme. Wenn ich an meine Kindheit denke, spüre ich noch heute das Gefühl der Wärme über mir, hinter mir und um mich, dieses wunderbare Gefühl, noch nicht auf eigene Rechnung zu leben, sondern sich ganz mit Leib und Seele auf andere zu stützen, welche einem die Last abnehmen.“ Dieses Empfinden in der Wärme zu leben, nährt sich aus dem Erlebnis der Anwesenheit eines liebevoll wahrnehmenden Bewusstseins.
Was hat ein Kind von einem Vater, der fast nie da ist, den es nur hin und wieder sieht?
In dem Fall ist es entscheidend, wie stark die Mutter innerlich mit dem Vater verbunden ist. Wenn die Mutter spürt, dass der Vater sie wahrnimmt und innerlich mitnimmt, fühlt sich das Kind von Harmonie und Dankbarkeit umhüllt. Erwähnt die Mutter gegenüber ihrem Säugling oder Kleinkind im Laufe des Tages immer wieder auch den Vater, indem sie ihn in den Ablauf des Tages mit einbezieht, so ist er für das Kind anwesend, auch wenn er als Person abwesend ist. Das Kind empfindet trotzdem seine Nähe. Auch wenn die Mutter mit dem schon etwas älteren Kind viel vom Vater spricht – „Weißt du, was der Papa jetzt macht? Weiß du, wo der Papa jetzt ist? Jetzt kaufen wir dies für den Papa, jetzt machen wir für den Papa das Bett“ – erlebt das Kind, dass der Vater in alles mit einbezogen ist.
Eine Kindheitserinnerung an den Vater
Eine Frau erzählte mir einmal eine entsprechende Kindheitserinnerung. Ihr Vater war Lehrer und in verschiedenen sozialen Zusammenhängen sehr engagiert und wenig zu Hause. Morgens und abends sahen die Kinder ihn selten, zum Mittagessen jedoch häufiger. Sie waren mehrere Geschwister und sie erinnerte sich noch genau daran, dass ihre Mutter, wenn sie wusste, dass der Vater zum Mittagessen nach Hause kommen würde und schon spät dran war, die Kinder ausschickte, um zu schauen, ob sie ihn schon sehen könnten. Wenn er sich dann in der Ferne zeigte, rannte die kleine Mannschaft ihm entgegen. Das laute „Er kommt!“, mit dem die Kinder das Haus verließen, signalisierte der Mutter, dass es nun an der Zeit war, das Essen nochmals warm zu machen.
Die Mutter hätte ja auch sauer sein können, weil der Ehemann schon wieder zu spät dran war, wo er ohnehin fast nie da war und sich viel zu wenig für die Kinder interessierte und am Familienleben kaum noch teilnahm. Wie anders war das Nachhause-Kommen für die ganze Familie, dass stattdessen ein gemeinsames Essen in freudiger Atmosphäre stattfand, bei dem die Eltern sich gegenseitig die Vorkommnisse des Tages erzählten, wichtige Mitteilungen machten über dieses und jenes und noch verabredeten, wie der Abend und der morgige Tag sich gestalten würde. Nichts ist für Kinder wichtiger, als das Interesse der Eltern aneinander zu erleben. Diese Art der Vaterschaft, die das Kind über die Verbindung der Mutter mit ihm erlebt – wie sie sein Leben akzeptiert und mitträgt und ihn dabei liebhat – bleibt etwa bis zum ersten Schulalter bestehen. Auch wenn er davor schon eine starke Beziehung zu seinem Kind hatte – die Hauptfigur in der frühen Kindheit war doch die Mutter.
Vgl. Kapitel „Der Vater in der Erziehung“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart
[1] Jaques Lusseyran, Das wiedergefundene Licht.
DIE AUFGABE DES VATERS IM ZWEITEN JAHRSIEBT DER KINDLICHEN ENTWICKLUNG
Welche Aufgabe hat der Vater bei Sieben- bis Vierzehnjährigen?
Der Vater als Vorbild und Inspirator
Ab dem Schulalter wird der Vater neu erlebt als ein Mensch, der dem Kind vieles zeigen kann, was es bisher nicht wusste und konnte. Das Interesse der Kinder für seinen Arbeitsbereich nimmt zu und er wird bis zur Pubertät in der ganzen Art und Weise, wie er im Leben steht und das Leben meistert, immer wichtiger. Die Kinder erleben unter Umständen auch, dass der Vater gut planen kann und seinen Plan zügig durchführt, dass er schnell entscheidet und überhaupt entschlussfreudig ist. Jetzt ist es nicht mehr so entscheidend, welches Bild die Mutter vom Vater hat. Vielmehr kehrt sich das jetzt um: Nun wirkt auf die Kinder, welches Bild der Vater von der Mutter hat.
Viele Schwierigkeiten, die im Schulalter in der Familie auftreten, haben ihre Ursache darin, dass man sich der Bedeutung dieser Zusammenhänge nicht bewusst ist. Meist hat sich im Laufe der ersten sechs bis acht Jahre in der Ehe eine gewisse Routine eingespielt. Jeder ist mit seinem Alltag voll ausgelastet. Man spricht über viele Dinge nicht mehr, man hat sich daran gewöhnt, dass alles so ist, wie es ist. Es gibt keinen Grund für Streit, und wenn es ihn einmal gibt, so hat man sich auch daran gewöhnt als etwas, das zu einer „guten Ehe dazugehört“.
Die Gefahr dabei ist, dass die Kinder eher einer Atmosphäre neutraler Gleichgültigkeit ausgesetzt sind und Gefühle von Dankbarkeit und Freude, die die Eltern früher füreinander hegten, nicht mehr so oft empfinden können.
Bedeutsames Interesse des Vaters für die Mutter
Die Kinder werden selbständiger, gehen in die Schule und schwärmen jetzt vielleicht für einen Lehrer oder einen Klassenkameraden und nehmen das häusliche Geschehen weniger wichtig. Der Vater löst sich unter Umständen innerlich mehr und mehr aus dem Familiengeschehen heraus, wodurch die Atmosphäre freundlicher Neutralität noch verstärkt wird. Für das Familienklima, besonders aber für die spätere Entwicklung der Kinder in sozialer Hinsicht ist es wichtig, dass sie erleben, wie der Vater sich gerade jetzt zunehmend für das Wohlergehen und das Tun und Lassen der Mutter interessiert – insbesondere auch wenn sie durch eigene Berufstätigkeit zusätzlich gefordert ist.
Denn die Mutter hat es in der Pubertätszeit ihrer Kinder deutlich schwerer als der Vater. Sie erlebt, dass sie nicht mehr so gebraucht wird wie früher, obwohl sie nach wie vor im Dienst ihrer Familie voll eingespannt ist. Und hier ist nun die Haltung des Vaters entscheidend. Nimmt er das, was die Mutter leistet, einfach nur als selbstverständlich hin, ohne ihr immer wieder seine Dankbarkeit für die Alltagsverrichtungen zu zeigen, so erleben die Kinder nicht nur die abgekühlte Familienatmosphäre, sondern entwickeln auch ein negatives Mutterbild: Sie sehen die Mutter als jemanden, der sich im täglichen Einerlei erschöpft, der keine besondere Rolle spielt, über den aber verfügt werden kann. Die Mutter sorgt für regelmäßiges Essen, ausreichenden Schlaf, die Durchführung der Hausaufgaben und einen geregelten Tageslauf. Sie ist es zumeist, die die Kinder zu dieser oder jener Tätigkeit veranlasst und immer wieder auch etwas verbieten muss. Man hat sich an die Mutter, an ihr Dasein und ihre ständige Hilfe, gewöhnt und empfindet all ihre Leistungen als etwas Selbstverständliches.
Neuen Schwung ins Familienleben bringen
Ergreift der Vater jetzt die Initiative, kann das Familienleben neuen Schwung bekommen. Er zeigt, dass er die Leistungen der Mutter sehr wohl schätzt und mit Dankbarkeit beantwortet und sagt beispielsweise zu den Kindern: „Einen Nachmittag in der Woche machen wir etwas zusammen. Erst räumen wir das Notwendige zu Hause auf und dann unternehmen wir etwas. Die Mami braucht einen freien Nachmittag, damit sie auch einmal ungestört etwas für sich tun kann.“ Oder die Kinder erleben, wie hin und wieder ein Wochenende zur Entlastung der Mutter eingeführt wird. Oder sie sehen, wie der Vater dafür sorgt, auch wenn nur wenig Geld vorhanden ist, dass stundenweise eine Hilfe ins Haus kommt.
Da der Vater derjenige ist, der – wenn die Mutter nicht arbeitet – durch das berufliche Leben die Verbindung zur Umwelt herstellt, wird er in diesen Jahren für die Kinder und ihre Fragen nach den verschiedenen Lebensbereichen immer mehr zur zentralen Figur. Was er sagt, hat Gewicht, und die Art, wie er in dieser Zeit der Mutter begegnet, prägt die Kinder für ihr ganzes Leben: Gerade in dem Alter, in dem die Kinder die Geschlechtsdifferenzierung am eigenen Leibe erleben und die Frage nach der Identifikation mit dem eigenen Geschlecht in den Vordergrund tritt, ist es wesentlich, wie sie das Vater- und das Muttersein vorgelebt bekommen.
Vgl. Kapitel „Der Vater in der Erziehung“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart