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Wille und Willensschulung

Aus Geistesforschung

Wille und Willensschulung – von Michaela Glöckler

Auszüge aus Büchern und Vorträgen von Michaela Glöckler; Erstveröffentlichung auf https://www.anthroposophie-lebensnah.de/home/

ÜBERSICHT ÜBER DIE NEUNGLIEDRIGE WILLENSNATUR

A Vergangene Willensentwicklung:

1. INSTINKT – Ich-Offenbarung durch den physischen Leib

2. TRIEB Ich-Offenbarung durch den Ätherleib

3. BEGIERDE – Ich-Offenbarung durch den Astralleib

B Gegenwärtige Willensentwicklung:

4. Empfindungsseele: vom Ich umgearbeiteter Astralleib

5. MOTIVVerstandesseele:  vom Ich umgearbeiteter Ätherleib

6. Bewusstseinsseele: vom Ich umgearbeiteter physischer Leib

C Zukünftiges Willenspotential Wille, der Zukünftiges schafft:

7. WUNSCHGeistselbstAstralleib als ganz bewusst gewordenes Ich-Instrument

8. VORSATZLebensgeistÄtherleib als ganz bewusst gewordenes Ich-Instrument

9. ENTSCHLUSSGeistesmenschphysischer Leib als ganz bewusstes Ich-Instrument                                                                                  


Vgl. Vortrag „Traumatherapie als Instrument gesunder Identitätsbildung“, Dornach 10.01.2010

ETAPPEN DER WILLENSENTWICKLUNG

Wie entwickelt sich der Willen, die Fähigkeit zum Tun, beim Kind?

Wie motiviert man Kinder, etwas bewusst zu wiederholen und damit ihren Willen zu schulen?

Entwicklung individuell und als Menschheit

Ein Blick auf die Stadien der kindlichen Entwicklung zeigt, dass hier im Kleinen verläuft, was sich in der Menschheitsentwicklung im Großen abgespielt hat: Im Altertum empfand sich der Großteil der Menschen noch als von äußeren Autoritäten gelenkt. Erst mit dem Auftreten des Christentums erfolgt bewusstseinsgeschichtlich der Übergang vom „Du sollst" zum „Ich will" in Erfüllung des „einzigen Gebotes", der Liebe.[1]

Besonders anschaulich wird dieser Übergang im Gleichnis von der Ehebrecherin.[2] Von Männern vor Gericht gezerrt, wird die Ehebrecherin Jesus vorgestellt mit der Frage, ob sie für ihr Vergehen im Sinne des Moses gesteinigt werden soll oder nicht. Jesus fordert die Ankläger auf, dem äußeren Gesetz nur zu folgen, wenn das eigene Innere damit übereinstimmt: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie." Darauf ziehen sich die Umstehenden einer nach dem anderen betroffen zurück. Als Jesus mit der Frau allein ist, entlässt er sie freundlich mit einer Aufforderung, ihre Willenserziehung selbst in die Hand zu nehmen.

Bedeutung von Wiederholung für die Willensentwicklung

In der „Allgemeinen Menschenkunde“[3] am Schluss des 4. Vortrags, in dem Rudolf Steiner nur über Willenserziehung und Willensentwicklung spricht, sagt er: „Das, was den Willen am besten schult, ist die bewusste Wiederholung.“

Intelligenz zeigt sich der allgemeinen Auffassung nach darin, dass man etwas einmal erklärt bekommt und den Zusammenhang sofort begreift und sofort damit glänzen kann. Das ist das Gegenteil von dem, was Willenserziehung durch Wiederholung erreichen will. Hier geht es um die Entwicklung von Ausdauer und Konzentration beim Tun. Jedes intelligente Kind möchte Tätigkeiten ungern wiederholen, weil es sie schon kennt und Bekanntes zu wiederholen langweilig findet.

Entwicklungsphasen hin zur Reife

- Nachahmungsphase – Vorschulzeit

In der Nachahmungsphase der Vorschulzeit lässt sich der Wille des Kindes durch ein Vorbild, das nachgeahmt werden kann, von außen anregen und weitgehend leiten. Wenn ein Erwachsener im Umkreis des Kindes Tätigkeiten fröhlich und gerne verrichtet, wirkt das so magisch, dass das Kind immer mitmachen will. Das geht beim gesunden Kind wie von selbst.

- Autoritätsphase – Schulzeit

In der Autoritätsphase der Schulzeit sind bereits in hohem Maß Sympathie oder Antipathie dem Erwachsenen gegenüber entscheidend dafür, ob das Kind tut, was es lernen oder machen soll, oder nicht. Durch Liebe – bzw. Angst – lässt sich das Kind am leichtesten zu Handlungen bewegen. Gefühle, nicht mehr nur Vorbilder sind es, die jetzt zur entscheidenden Motivation werden. In dieser Phase muss eine persönliche Beziehung zum Erwachsenen vorhanden sein, damit das Kind ins Tun findet. In dem Alter lassen Kinder gerne ihr Instrument liegen, weil sie keine Lust mehr haben zu spielen, und fangen an schlechte Gewohnheiten auszuagieren.

Wenn in der Schule ein Lehrer, der aufgrund seiner Beziehung zu ihnen eine Autorität darstellt für seine Schüler und sie gerne von ihm lernen, zu ihnen sagt – „Du machst in diesem Schuljahr den Tafeldienst.“ „Und du kümmerst dich um die Blumen.“ „Du kümmerst dich darum, dass es unter den Bänken ordentlich aussieht.“ „Du machst mit dem und dem aus der und der Klasse den Toiletten-Check.“ – werden sie mitziehen. Die Kinder erledigen ihre Aufgaben dem Lehrer zuliebe.

Das ist Waldorfpädagogik. Rudolf Steiner wollte, dass sich der Wille bis ins Physische hinein festigt durch bewusste Wiederholung – am besten ein ganzes Jahr hindurch. Jedes Kind sollte deshalb ein Jahr lang eine bestimmte Aufgabe übernehmen. Und er schenkt ihnen den bejahenden, aufmunternden Blick. Sogar der intelligente Verstand sieht ein, dass es kein Fehler ist, so etwas mitzumachen.

- Phase der inneren Autorität – Jugendzeit

In der Phase der inneren Autorität im Jugendalter beginnt der Jugendliche selbst Dinge zu tun, die ihm wichtig sind. An diesem Punkt beginnt die Selbstschulung des Willens. Erst jetzt sind die Heranwachsenden unabhängig genug von ihrer Umgebung, um sich selbst durch eigene Einsicht leiten lassen zu können, d.h. selbst zu bestimmen und zu begründen, was sie tun und lassen möchten – auch wenn die Umgebung etwas anderes nahelegt. Man lernt, nicht nur zu „re-agieren” oder sich von Gefühlen leiten zu lassen. Es ist jetzt die eigene Urteilskraft, die die Führung übernehmen kann.

Solange Kinder in ihrem Handlungsvermögen noch abhängig sind vom Vorbild oder von Lust und Unlust, sind sie noch nicht mündig, noch nicht „willensreif". Fühlen und Denken müssen erst eine bestimmte Reife erlangt haben, um den eigenen Willen motivieren und lenken zu können.

Erzieher als Stellvertreter auf Zeit

Damit ist dem Erzieher die Richtung gewiesen: „auf Zeit" eine Art Stellvertreter der Persönlichkeit des Kindes zu sein, der sich an der Reife und dem Alter des Kindes orientiert. Absoluten Gehorsam zu verlangen oder zu drohen, ist genauso unangebracht wie die Bereitschaft, sich vom Kind tyrannisieren zu lassen und den eigenen Willen dem Willen des Kindes unterzuordnen. Willenserziehung sieht also in den einzelnen Epochen der Kindheit unterschiedlich aus – je nach Reifegrad der kindlichen Persönlichkeit.

Die Liebe zum Erwachsenen und sein Einfluss als Vorbild sind die entscheidenden Faktoren, die dem Kind Antrieb zum Handeln sind. Auf dieser Grundlage, nicht aber durch Beurteilungen wie Lob oder Tadel, wächst bei ihm die Liebe zum eigenen Tun.

Vgl. „Willensschulung – eine Notwendigkeit in Pädagogik und Selbsterziehung“, Kapitel: „Motivation und Willenserziehung im Kindes- und Jugendalter“, gesundheit aktiv


[1] Neues Testament, Joh. 13, 34.

[2] Ebenda, Kap. 8, 1-11.

[3] Rudolf Steiner, Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik, GA 293.

AUFBAU DER WILLENSSTUFEN AUFEINANDER

Wie vollzieht sich der stufenweise Aufbau des Willens?

Wie sind die Wesensglieder an der Willensentwicklung beteiligt?

Wie hängen unsere normalen Seelenfähigkeiten von Denken, Fühlen und Wollen mit den höheren Erkenntnisfähigkeiten zusammen?

Um die höheren Willensstufen erreichen zu können, werden immer die unteren Wesensglieder als Arbeitsinstrument benötigt.

Entwicklung der mittleren drei Willensstufen

Für die mittleren drei Willensstufen bedeutet das:

  • Aus der Arbeit am Astralleib, indem der Mensch seine Astralität individualisiert, entwickelt sich die Empfindungsseele.
  • Aus der Arbeit am Ätherleib, indem der Mensch selbst zu denken lernt, entwickelt sich die Verstandesseele.
  • Und aus der Arbeit am physischen Leib, indem der Mensch lernt, selbst verantwortlich zu sein für alles, zu dem er einen Bezug hat im Physischen, entwickelt sich die Bewusstseinsseele, die „Verantwortungsseele“. Man kann sagen: Die Bewusstseinsseele eines Menschen ist so weit entwickelt, wie sein Verantwortungsgefühl reicht.

Entwicklung der höheren drei Willensstufen

Für die höchsten drei Willensstufen bedeutet das:

  • Wenn der zur Empfindungsseele entwickelte Astralleib vollständig Instrument des Ich geworden ist, wird er Geistselbst.
  • Wenn der zur Verstandesseele entwickelte Ätherleib vollständig Instrument der Ich-Organisation geworden ist, wird er Lebensgeist.
  • Wenn der zur Bewusstseinsseele entwickelte physische Leib ganz und gar unter der Herrschaft des Ich steht, ist er zum Geistesmenschen erwacht. 

Basis und Entwicklung der höheren Erkenntnisfähigkeiten

Die Entwicklungsstufen sind weit gespannt und umfassen auch die höheren Erkenntnisfähigkeiten: Imagination, Inspiration und Intuition. Sie sind bereits im ganz normalen Denken, Fühlen und Wollen anwesend, sind nicht weit weg, sind ganz in der Nähe, sind eben nur in Entwicklung begriffen:

  • Denken ist eine abgeschattete Imagination,
  • Fühlen ist eine abgeschattete Inspiration,
  • Wollen ist eine abgeschattete Intuition.

Abgeschattet deshalb, weil der Mensch in Bezug auf diese Seelenfähigkeiten noch nicht voll zu seinem Ich erwacht ist. Es ist noch nicht seine Identität, die da arbeitet.

Der anthroposophische Identitätsbegriff wird durch die Schlange symbolisiert, die sich in den Schwanz beißt. Sie ist ein Bild davon, dass der Wille, der sich regt, eines Tages zu sich sagen wird: „Das bin ich und nicht jemand anders.“

Damit das Ich sich jedoch selbst erkennen kann, muss der Mensch tätig sein: Ohne Tätigkeit kann sich das Ich nicht wahrnehmen.

Vgl. Vortrag „Traumatherapie als Instrument gesunder Identitätsbildung“, Dornach am 10. Januar 2010

MOTIVATION UND WILLENSERZIEHUNG

Wie kann das Kind Willensstärke, Mut und Identitätserleben entwickeln?

Was können Erwachsene dazu beitragen, dass es den Herausforderungen seines ganz eigenen Lebens gewachsen ist? 

Am Widerstand lernen

Beim Menschen geht nichts „von selbst". Alles muss gelernt oder weiterentwickelt werden, selbst so „natürliche" Dinge wie Essen, Schlafen, Wachen und der Umgang mit der Sexualität. Die genetische Ausstattung, das „Instinktprogramm", bedarf der Ergänzung durch Lernprozesse und liebevolles „Dabeisein", wenn das Kind immer wieder neu erlebt, wie viel es noch „nicht kann" und was es alles noch zu lernen gibt und was manchmal auch so mühsam und frustrierend erscheint. Die Motivation ist dabei Gefühlssache, das Üben und das Können sind Willenssache.

Menschen entwickeln und benehmen sich nicht „automatisch" intelligent und menschenwürdig. Der Willen bildet und entwickelt sich durch die Herausforderung von außen: Am Widerstand, am Erfahren von Grenzen, werden die eigenen Kräfte erprobt und neue Fähigkeiten erworben.

Goldene Regeln der Entwicklung

Dabei gibt es drei goldene Regeln:

1. „Bewusste Wiederholung stärkt den Willen“

So knapp hat Rudolf Steiner in seinen pädagogischen Vorträgen über die „Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik”[1] die Grundmaxime jeder Willenserziehung benannt. Gerade das, was dem Intellekt so schnell langweilig wird – die Wiederholung – ist für den Willen die Grundlage seiner Stärke, Stabilität und Kraft. Der gute Pianist weiß, wie schon das Unterlassen von bestimmten Fingerübungen an ein, zwei oder drei Tagen sein Spielvermögen insgesamt beeinträchtigt, wohingegen jede Wiederholung es verbessert. Bei der Willenserziehung kommt es gerade nicht auf das Einmalige an, sondern auf die Treue zu den vielen kleinen Schritten, an deren Ende dann die gewünschte Fähigkeit steht.

So hat es auch keinen Sinn, einmal sein Augenmerk auf die Willenserziehung zu lenken, um dann die vielen guten Regeln, die man eingeführt hat, bald wieder schleifen zu lassen.  Auch hier gilt: Weniger ist mehr. Lieber wenige Dinge konsequent über Jahre hinweg üben, als längere Zeit das Leben so vor sich hingehen zu lassen und dann plötzlich innerhalb weniger Wochen zu versuchen, alles Mögliche umzukrempeln. Wie oft schwächen wir den Willen, wenn wir eigene Entschlüsse nicht verwirklichen oder Fremdbestimmungen nicht bewusst in eigene umwandeln können. Wer viel aufgrund von Fremdbestimmung erlebt, beginnt früher oder später an sich zu zweifeln und traut sich auch später bestimmte Dinge nicht zu.

2. „Ich kann, was ich will"

Gut überlegen, was man lernen möchte, beobachten, was das Kind zu tun versucht – und das dann so lange üben bzw. das Kind geduldig darin unterstützen, bis das Ziel erreicht ist. Das Gefühl – Ich habe Kraft, ich gebe nicht auf! – ist wichtig für jede Form der Willensschulung.

3. „Jede Entscheidung ist besser als keine"

Entscheidungen zu treffen ist für viele Menschen schwierig. Kinder brauchen aber auch hier ein nachahmenswertes Vorbild. Da hilft nur sich klarzumachen, dass im Zweifelsfall jede Entscheidung besser ist als keine. Man probiert eine mögliche Lösung des Problems aus und sieht dann, ob man sich richtig entschieden hat oder wie man diese Entscheidung zur richtigen machen kann. Und wenn man sich wirklich falsch entschieden hat, war es zumindest eine Lernerfahrung – dann besteht neuer Handlungsbedarf. Fehler einzusehen und aus ihnen zu lernen, ist ebenso nachahmenswert wie jeder Akt der Entscheidung. Für Kinder ist es eine Wohltat, entscheidungsfreudige und selbstbewusste Erwachsene zu erleben und vorerst noch nicht selbst Entscheidungen treffen zu müssen, deren Tragweite sie ja ohnehin weder überschauen noch in ihren Konsequenzen tragen könnten.

Zur Entscheidung eines erwachsenen, mündigen Menschen gehört:

  • Wissen, worum es geht (Kompetenz),
  • Abwägen des Für und Wider (Urteilsfähigkeit)
  • Bereitschaft, die Konsequenzen zu tragen (Verantwortung).

Werden diese Fähigkeiten Kindern vorgelebt und von ihnen miterlebt, so entwickeln sie sich bestmöglich auch beim Kind. Versucht man sie zu früh vom Kind zu fordern, so können sie nicht in Ruhe reifen.

Vgl. „Willensschulung – eine Notwendigkeit in Pädagogik und Selbsterziehung“, Kapitel: „Motivation und Willenserziehung im Kindes- und Jugendalter“, gesundheit aktiv


[1] Rudolf Steiner, Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik, GA 293.

AGGRESSION UND WILLE

Warum ist das Aggressionspotenzial bei Kindern heutzutage oft so hoch?

Wie lässt sich damit umgehen?

Kinder im Vorschulalter und in den ersten Schuljahren begegnen sich aufgrund ihres altersentsprechenden Bewegungs- und Tätigkeitsdranges oft auch körperlich, indem sie einander drängeln, schubsen, kneifen, Spielsachen wegnehmen oder Ähnliches. Was wir „Aggressionspotenzial“ oder auch „Angriffsbereitschaft“ nennen, ist Ausdruck des Willensvermögens des Kindes – wenn es auch noch nicht bewusst und sozial verträglich gehandhabt wird. Willens- und Aggressionspotenzial sind identisch.

Was Aggression mindern hilft

So ist es wichtig, unruhigen, zur Aggressivität neigenden Kindern zu helfen, ihr Aktivitätspotenzial geführt und integriert zu benutzen. Oft bedarf es richtiggehender Überlegungen oder auch der Zusammenarbeit mehrerer Elternhäuser, um hier Abhilfe zu schaffen und den Kindern genügend Gelegenheit für körperliche Tätigkeit in Haus, Garten oder in handwerklichen Bereichen zu geben.

· Ausreichend Bewegung

Dabei sei eines nicht vergessen: das ganz normale Gehen. Wie vielen Kindern konnte schon dadurch für ihr Willensvermögen und ihre Konzentrationsfähigkeit geholfen werden, dass man sie täglich einen etwa halbstündigen Schulweg machen ließ. Sie sehen auf diesem Weg die immer gleichen Dinge und lernen so, einen bestimmten Weg in wechselnden Jahreszeiten neu zu erleben. Indem man teils dieselben, teils andere Menschen trifft, wird der Weg zu einer täglichen Übung, Ausdauer und Willensstärke durch das wiederholte Sehen des Gleichen zu steigern, das sich jedoch täglich immer wieder etwas anders darstellt. So lernt das Kind, sich auf ein und dasselbe zu konzentrieren. Zudem ist Gehen eine körperliche Betätigung, die zu den gesündesten gehört, die es gibt. In einem Zeitalter, in dem die Kinder mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln in die Schule gefahren werden, ist das regelmäßige Gehen für viele eine Seltenheit geworden, sehr zum Nachteil für die körperliche Stabilität und Willenserziehung, aber auch für die damit verbundene Aktivierung des Immunsystems.

· Miteinander sprechen

Ein zweites wichtiges Element zur Erziehung insbesondere aggressiver Kinder ist der Aufbau einer Sprech- und Erzählkultur in der Familie. Sie lebt von dem Interesse, das man an einander hat oder bewusst entwickelt. Am besten beginnt man, indem man etwas vorliest und anschließend darüber spricht. Dann kann man darauf achten, dass es immer wieder Gelegenheiten gibt, die das Entstehen von Gesprächen fördern: beim Autofahren, beim Essen, in der Küche, beim Fernsehen, im Treppenhaus, am Bach, etc. Fragen sind die besten Auslöser für ein Gespräch oder wenn man das Interesse des Kindes oder Jugendlichen für ein Thema gewinnen kann.

Sich verbal auseinander zu setzen, sich zu streiten und wieder zu vertragen, sind die besten Mittel, um angestaute Aggressionen abzubauen.

Vgl. „Willensschulung – eine Notwendigkeit in Pädagogik und Selbsterziehung“, Kapitel: „Motivation und Willenserziehung im Kindes- und Jugendalter“, gesundheit aktiv

STRAFE UND BELOHNUNG

Wie lernt man als Erzieher, sich in dem Spannungsfeld von Strafe und Belohnung zum Wohl des Kindes zu bewegen?

Situationsgerechter Umgang mit Grenzen

Trifft der Wille des Kindes auf eine von den Eltern gezogene Grenze, bäumt er sich auf und erlebt sich schmerzhaft in Opposition. Schauen wir jedoch dem kindlichen Tätigkeitsdrang zu oder erlauben etwas, was sonst verboten ist, so kann er sich frei entfalten und die Kinder sind zufrieden, da sie „ihren Willen" bekommen haben. Nachgeben und Widerstand bieten, versprechen, bitten, ablenken und drohen – wie vieles spielt sich zwischen diesen Extremen ab. Eins ist klar: Prinzipien helfen hier nicht weiter – vielmehr geht es um die Kunst situationsgerechten Verhaltens.

Überall im Leben, unter Kindern und Erwachsenen, stoßen unterschiedliche Intentionen aufeinander.

Wer hat wem etwas zu sagen?

Wer muss sich nach wem richten?

Wer hat „die Macht"?

Letztere ist eine der sensibelsten Fragen des modernen Lebens überhaupt, da im Zeitalter der Gleichberechtigung und Mitbestimmung das Bedürfnis nach Freiheit und nach dem Recht auf Selbstbestimmung wächst[1]. Und dennoch: Das Leben ist voll von Grenzen, Aufgaben, Notwendigkeiten.

Hier aber spielt das Vorbild des Erwachsenen eine entscheidende Rolle. Wenn der Erwachsene selbst gerne arbeitet und das Kind teilhaben lässt an der eigenen Freude, wenn er Dankbarkeit und Anerkennung spürbar zum Ausdruck bringt – nicht demonstrativ, sondern dem Wert der Arbeit angemessen –  handelt er aus Liebe zur Handlung. Diese Haltung übernimmt das Kind dann aus Liebe zum Erwachsenen.

Was unsachgemäßes Belohnen bzw. Strafen anrichten

Welchen Schaden richtet unsachgemäßes Belohnen bzw. Strafen an?

Sowohl beim Loben als auch beim Strafen sollten bestimmte Kriterien wie das Alter und die Erfordernisse der aktuellen Situation berücksichtigt werden. Unsachgemäßes Belohnen führt zu einer selbstbezogenen Lebenseinstellung. Kinder tun die Dinge dann nicht mehr um ihrer selbst willen, sondern in erster Linie, weil sie Anerkennung, Ehre oder finanziellen Gewinn davon haben.

Unsachgemäße Bestrafung führt zu der Einstellung, dass Fehlverhalten und Fehler als solche schlecht bzw. „böse" sind, dass man normalerweise „lieb zu sein hat" und keine Fehler machen darf. Aus Erfahrung zu lernen, an Fehlern und Unvollkommenheiten zu arbeiten, ja Fehler machen zu dürfen, wird dann nicht als spezifisch menschlich erlebt. Das Kind oder der Jugendliche ist bestrebt, einen Schein von Unfehlbarkeit und moralischer Vollkommenheit um sich herum aufzubauen, der zur Fassade werden muss, da Lernen und Menschwerden ohne Fehler, Versagen, Irrtümer nicht möglich ist.

Über Willenserziehung nachzudenken und sie als gleichrangig mit Intelligenzförderung zu handhaben, ist heute mehr denn je Aufgabe von Elternhaus und Schule.

Vgl. „Willensschulung – eine Notwendigkeit in Pädagogik und Selbsterziehung“, Kapitel: „Motivation und Willenserziehung im Kindes- und Jugendalter“, gesundheit aktiv


[1] Vgl. Michaela Glöckler, Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung. Grundlagen einer Erziehung zur Konfliktbewältigung, 3. Aufl., Stuttgart 2008, J. Mayer Verlag.

BEISPIELE FÜR STRAFEN UND BELOHNEN

Im Vorschulalter

FRAGE: Was tun, wenn ein knapp Dreijähriger trotz Verbot eine besonders schöne Blumenvase untersucht, bis sie in Scherben liegt?

ANTWORT: Wenn Mamas Lieblingsvase durch Unachtsamkeit kaputtgegangen ist, lernt der Dreijährige am besten zu erleben, „was er getan hat", wenn er sieht und mitempfindet, wie sie jetzt traurig ist und schweigend die Scherben zusammensucht und das Ganze in Ordnung bringt. In diesem Alter muss sich die Mutter aber auch sagen, dass Verbote wie – „Das darfst du nicht anfassen, das könnte kaputtgehen" – nicht altersgerecht sind. Kostbare Vasen sollten nicht in Reichweite des Kindes stehen. Denn was die Mutter schätzt und gerne anfasst, möchte das Kind auch gerne „haben". Ist es jedoch nicht erreichbar, so wählt es in seiner Phantasie einen Ersatz und spielt dann damit, als wäre es die kostbare Vase.

Im Vorschulalter ist nonverbale Erziehung angesagt. Es wirkt das am besten, was getan wird. Die Vase so hinzustellen, dass nichts passieren kann, bedeutet: Das darfst du nicht anfassen. Die Logik der Tatsachen – und nicht Erklärungen  – überzeugen am besten. Je eindeutiger und sicherer der Erwachsene handelt (und nicht redet, begründet, erklärt und sich endlos wiederholt), umso weniger wird ein Kind dieses Alters selbst argumentieren und provozieren. Es lernt am Erleben der sachbezogenen und sinnvollen Handlungen selbst geschickt und sachdienlich tätig zu sein. Auch der Vierjährige, der Geld aus der Schublade nimmt, tut es meist, weil er die Mutter so oft dabei beobachtet hat. Es handelt sich hier also um Nachahmung und nicht etwa um Stehlen. Ähnliches gilt für das „Stehlen" von Spielsachen. Ein Kind hat in diesem Alter noch nicht gelernt, dass die Welt ihm nicht ganz gehört. Es bedarf noch der regulierenden Anwesenheit des Erwachsenen, der hilft, die Spielsachen der Freunde am Ort zu belassen, wenn es nach Hause geht.

FRAGE: Was macht man, wenn Kinder beim Essen herumschmieren und lachend über Tisch und Stühle klettern, obwohl die Mutter sie „zur Ordnung" ruft?

ANTWORT: Auch hier liegt das Problem bereits in der Tatsache, dass das Wort der Mutter nicht mehr gilt. Wahrscheinlich ist es zu oft vorgekommen, dass die Eltern bei anderen Unarten am Ende doch immer – lachend oder erlahmend – nachgaben und mit ihren Ermahnungen erfolglos blieben. Vielleicht liegt es auch daran, dass einer der Partner dem anderen öfters zugerufen hat: „Ach, lass ihn doch machen." Der geschilderten Situationen können die Eltern nur Herr werden, wenn sie sich über ein gemeinsames Vorgehen einigen oder fachkundigen Rat einholen.

FRAGE: Was aber tun, wenn ein Fünfjähriger lügt?

ANTWORT: Er weiß bereits genau, dass er es war, der etwas getan hat. Hier wird der Erwachsene zunächst seine Betroffenheit zum Ausdruck bringen. Er wird sich aber auch klarmachen, dass das Kind es eigentlich nicht gewesen sein will. Und diese Einsicht will das Kind auch am Erwachsenen, an der Art, wie er reagiert, erleben. Es braucht den klaren vertrauenden Blick und das Durchschauen der Lüge für seine weitere Entwicklung.

Eltern, denen die Hand häufiger ausrutscht, werden sich sagen: Wenn ich mich gehen lasse, tue ich eigentlich dasselbe wie mein tobendes und provozierendes Kind. Sie sollten sich energisch vornehmen, dem Kind ruhig und bestimmt die nötigen Grenzen aufzuzeigen, es aber nicht schutzlos den eigenen Emotionen und Affekten auszusetzen, die immer nachteilig auf die Entwicklung des Kindes wirken. Jeder Schreck wirkt sich bis in die vegetativen Funktionen seiner Organe hinein aus. Außerdem hat das Kind etwas erlebt, das ganz und gar nicht vorbildlich war, das in keinem Verhältnis stand zu den „Vergehen“, um die es ging. Bei nächster Gelegenheit wird es die Eltern nachahmen und selber zu schlagen anfangen. Das Unrecht, das ihm widerfahren ist, wird es „weitergeben". Später, als Erwachsener, fragt es sich unter Umständen, warum bei ihm die Hand so locker sitzt.

FRAGE: Wie steht es mit dem Loben?

ANTWORT: Durch Bestätigung und Lob fühlt sich das Kind in seiner Persönlichkeit bzw. Identität gestärkt. Im Erleben der Freude darüber, dass etwas gelungen ist, erfährt es etwas über die Wirkung seiner Handlung.

„Wenn wir auf dem Gipfel angekommen sind, gibt es einen Saft!" Hier wirkt bei der Wanderung eine Vorstellung beschwingend auf die ermüdeten Glieder der Familie. Diese Art von Belohnung hat auch tatsächlich etwas mit der vorangegangenen Anstrengung zu tun und gibt nicht zuletzt auch der Freude Ausdruck, ein Ziel erreicht zu haben.

„Wenn du schnell ins Bett gehst, gibt's noch eine Geschichte." Auch das ist stimmig, weil es sonst zu spät ist zum Vorlesen.

Betontes und übertriebenes Loben ruft beim Kind dagegen unbewusst ein leises Erstaunen darüber hervor, dass es sich so lobenswert verhalten hat. Es hätte also auch anders handeln, sich anders verhalten können, als es das selbstverständlich getan hat. Dem Kind wird seine Tat als etwas Besonderes hingestellt, während es selbst ganz damit verbunden war. Das bewirkt eine Distanzierung, die im Vorschulalter besonders ungünstig ist.

Im Schulalter

Ab dem Schulalter kann man das Kind schon selbst mit überlegen lassen, auf welche Weise ein angerichteter Schaden wieder gutgemacht werden kann. „Ins Gewissen zu reden" ist dabei nur sinnvoll, wenn das Innenerleben des Kindes so weit entwickelt ist, dass es seine persönliche Gewissensstimme empfindet. Das ist selten vor dem zehnten Lebensjahr der Fall. Außerdem bildet sich das Gewissen gerade durch die Art und Weise, wie Lebenserfahrungen in Glück und Pech, Schaden und Nutzen verarbeitet werden.

Nicht „Moralpredigten" sind es, die das Gewissen wecken, sondern die Begegnung mit der Wirklichkeit, mit Tatsachen.

Hat ein Achtjähriger eine Scheibe eingetreten, setzt man zunächst gemeinsam ein Stück Pappe oder einen Vorhang ein, wodurch das Fenster zwar provisorisch verschlossen, der Schaden aber immer noch sichtbar ist. Das Kind erlebt, dass man nicht mehr hindurchschauen kann. Auch hier wird sich die Mutter überlegen, was die Voraussetzungen waren, unter denen das Unglück geschah, und prüfen, was sie hätte anders machen können. Dann wird die neue Scheibe möglichst im Beisein des Kindes eingesetzt. Es kann auf diese Weise erleben, wie viel Aufwand und Arbeit eine solche Angelegenheit mit sich bringt.

Ein weiteres Beispiel: Das Mittagessen ist angekündigt und es fehlt ein Kind beim Essen. Erhitzt vom schnellen Laufen kommt es mit einer Viertelstunde Verspätung an und berichtet atemlos, dass es unbedingt das Völkerballspiel noch habe zu Ende spielen wollen. Das ist eine andere Situation, als wenn sich die Kinder bereits daran gewöhnt haben, dass die Mutter häufig zum Essen ruft und dann doch jeder kommt, wann er Lust hat, da ihre Worte offenbar bei den Kindern kein Gewicht mehr haben. Im erstgenannten Fall hat das Kind durch die Art seiner Erzählung zum Ausdruck gebracht, dass es deutlich weiß, dass es eigentlich pünktlich zum Essen hätte zu Hause sein müssen. Ist jedoch durch häufige Inkonsequenz der Erwachsenen das Thema schon „ausgeleiert", so ist es nötig, gemeinsam einen neuen Anfang mit klaren Regeln zur Bildung neuer Gewohnheiten zu machen – einschließlich der dann eintretenden Konsequenzen. Im Schulalter machen die Kinder selbst gerne Vorschläge, was zum Ausgleich für das Zu-spät-Kommen getan werden muss.

Auch über sinnvolles Belohnen im Schulalter sollten sich Eltern und Erzieher Gedanken machen: „Wenn du mir noch das Brot besorgst, darfst du dir auch ein Eis kaufen." Hier besteht kein Zusammenhang zwischen der Tat und der Belohnung.

Schon etwas anders ist es, wenn sich die Situation folgendermaßen darstellt: „Hol mir bitte noch das Brot vom Bäcker." Marion fällt es sichtlich schwer, sich von ihren Puppen zu trennen. Als sie wiederkommt, erlebt sie die Freude der Mutter über eine geleistete Hilfe. Vielleicht findet sie am nächsten Tag ein neues rotes Schleifchen im Haar ihrer Puppe.

Wenn Kinder einen dringenden Wunsch haben, sollte dieser immer ernst genommen werden. Das kann einmal so aussehen, dass der Gegenstand dringend benötigt wird – z.B. ein Scharnier für eine Tür am Schrank – und deshalb bald gekauft werden sollte. Ein anderes Mal wird man auf den Geburtstag verweisen oder auf Weihnachten, weil „wir es da vielleicht schaffen können“. Oder man wird eine Metamorphose des Wunsches anstreben. So könnte aus einer heiß ersehnten Pistole ein neuer Ball oder eine Zielscheibe mit Wurfpfeilen werden. Es passt jedoch nicht zum Wesen des Wunsches, dass seine Erfüllung zur „Belohnung" oder seine Nichterfüllung zur „Strafe" gemacht wird.

FRAGE: Ist „Geldverdienen" eine angemessene Belohnung?

ANTWORT: Wird Geschirrspülen, Aufräumen, Einkaufen und Ähnliches mit Geld honoriert, erziehen wir die Kinder zu einer sozialen Fehlhaltung, nämlich zu der Ansicht, dass man nicht primär deshalb arbeitet, um den anderen zu helfen und ihnen eine Freude zu machen, sondern um des eigenen materiellen Vorteils willen. Meist erfüllen sich die Kinder dann von „ihrem Geld“ Wünsche, von denen sie annehmen müssen, dass diese von den Eltern nicht ernst genommen oder nicht erfüllt würden. Die Folge davon ist, dass ein Kind unbewusst von der Gesinnung durchdrungen wird, dass jeder sich selbst der Nächste ist, wenn es um die Erfüllung persönlicher Anliegen geht, und dass von anderen diesbezüglich nicht viel zu erwarten ist. Erfährt das Kind jedoch, dass seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche von den Eltern wahrgenommen werden und die eigene Arbeit den anderen nützlich ist, wird der Grund gelegt zu einer neuen Sozialauffassung: Wir helfen uns gegenseitig durch unsere Arbeit. Die anderen interessieren sich für unsere Lebensbedürfnisse. Unsere heute noch ganz auf das Ausleben des Egoismus gegründete Lebenseinstellung könnte sich auf diesem Wege langsam wandeln.

Etwas anderes ist es natürlich, wenn z.B. auf eine größere Anschaffung hin „gespart" werden muss. Hier das Kind mit einzubeziehen und ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass Geld „verdient" werden muss, um etwas kaufen zu können, ist etwa vom zehnten/elften Lebensjahr an durchaus eine wichtige Überlegung und Erfahrung. Ab diesem Zeitpunkt kann dann auch „Geldverdienen" mit einer Arbeit verbunden werden, die das Kind vorher gerne bzw. den anderen zuliebe – ohne an Geld zu denken – getan hat. Dass Arbeit freiwillig getan und dennoch bezahlt werden kann, ist ein wichtiges Paradox, das sich bewusst zu machen lohnt.

Im Jugendalter (in und nach der Pubertät)

FRAGE: Wie handhabt man als Pädagoge Verhaltenskorrekturen im Jugendalter?

ANTWORT: In diesem Alter wird die „Strafe" oder der „gerechte Ausgleich" zu etwas, das die Jugendlichen sich selbst auferlegen sollten.

Den Erwachsenen kommt zunehmend eine beratende und helfende Funktion zu. Es geht jetzt darum, dass sich die Jugendlichen ihre Lern- und Arbeitsziele selbst setzen und aus Fehlern und Fehlverhalten entsprechende Konsequenzen ziehen. Stellt der Vierzehnjährige seine Stereoanlage auf volle Lautstärke, so kann das eine Provokation sein – oder aber Gedankenlosigkeit. Denn er weiß, dass Zimmerlautstärke verabredet wurde. Jetzt gilt es, freundlich-sachlich darauf aufmerksam zu machen, dass es zu laut ist. Ist er uneinsichtig und provoziert weiter, so kann man ankündigen, dass nochmals darüber gesprochen werden muss, und man lässt es im Augenblick auf sich beruhen. Wichtig ist, dass er, wenn das Problem im „Familienrat" dann zur Sprache kommt, die Möglichkeit hat, selber an der neuen Regelung mitzuarbeiten. Ist die Situation insgesamt schon sehr verfahren, sodass kaum mehr Vereinbarungen getroffen und eingehalten werden, gelingt die Bearbeitung der Problematik nur mit Hilfe eines neutralen Dritten bzw. eines Familientherapeuten. Eine Dreizehnjährige, die zu Hause alles herumliegen lässt, darf das in ihrem eigenen Zimmer tun, nicht jedoch in der Wohnung. Auch hier ist es nötig, klare Absprachen zu treffen, die von Zeit zu Zeit kontrolliert, aufgefrischt oder optimiert werden.

An Stelle der „Strafe" steht in diesem Alter die persönliche Einsicht und Korrektur des eigenen Verhaltens; als „Belohnung" empfunden wird die Freude und Dankbarkeit der Umgebung, dass „es klappt".

Gerade jugendliche Pubertierende brauchen Lob und Anerkennung für so genannte Selbstverständlichkeiten – auch wenn es nur ein Lächeln ist oder ein kleines Zeichen, dass man ihr Bemühen wahrgenommen hat. Sind Gewalttätigkeiten vorgekommen, so überlegt man gemeinsam, welche Freude oder Hilfe dem Geschädigten zukommen soll. Wurde etwas gestohlen oder beschädigt, sind der Rückgabemodus und die Wiedergutmachung gefragt. Immer aber sind solche Vorkommnisse auch Signale, dass der Jugendliche das Gespräch, den engeren Kontakt, vermisst oder Enttäuschungen mit sich herumträgt, die er nicht verarbeiten kann. Dann empfiehlt es sich, jemanden zu suchen, der mit ihm sprechen kann. Eltern sind in solchen Situationen oft nicht mehr die „richtigen“ Ansprechpartner.

Vgl. „Willensschulung – eine Notwendigkeit in Pädagogik und Selbsterziehung“, Kapitel: „Motivation und Willenserziehung im Kindes- und Jugendalter“, gesundheit aktiv

WILLE UND KÜNSTLERISCHES SCHAFFEN

Welche spezifische Dynamik liegt dem menschlichen Willensle­ben zugrunde?

Welches Organsystem hängt direkt mit dem Willen zusammen?

Kraftentfaltung, reine Intensität und Begierde, sind kennzeichnend für das Willensleben. Hier haben wir es mit der Kraft der menschlichen Wesenheit zu tun, die sich einerseits als Zerstörungspotential, andererseits als Kreativität und Lernfähigkeit ausdrücken kann. Im Gegensatz zur Vielfalt der Gedanken und dem Reichtum an Gefühlsstimmungen haben wir es hier mit schlichter Konzentriertheit zu tun: mit Kraftentfaltung und Tatbereitschaft schlechthin.

Organe und Willen

Im Hinblick auf den Zusammenhang von Leib und Willensleben folgt in erster Linie das Verdau­ungssystem der Gesetzmäßigkeit des Willens: Hier wird verbrannt und gearbeitet und der gesamte Körper mit der Kraft versorgt, die den aus den Nahrungsstoffen gewonnenen Substanzen innewohnen.

Das Willensleben ist der Erde mit ihrer Schwerkraft innig verwandt, überwindet letztere aber im Erwerb des aufrechten Ganges. Dennoch sind die Organe des Bauchraumes und die Beine für die Erdenschwere besonders anfällig:

  • Die Nieren können ab­wärts wandern, der Uterus kann sich senken, auch der Magen kann mehr oder weniger stark nach unten hängen.
  • Das Herz dagegen ist im Brustraum eingebettet zwischen rechten und linken Lungenlappen und wird durch die Atemtätigkeit rhythmisch immer wieder der Schwere enthoben. Außerdem herrscht im Brustraum der sogenannte Donders-Druck.
  • Das Gehirn schwimmt im Gehirnwasser und ist dadurch in noch höherem Ausmaß dem Ein­fluss der Schwere entzogen. Das besondere Empfinden von Leichtigkeit im Zusammenhang mit dem Gedankenleben ist ein Ausdruck davon.

Kunstschaffen als Arbeit am Willen

Eurythmie und Sprache, aber auch Tanz- und Schauspielkunst geben dem Menschen die Möglichkeit, seinen Willen künstlerisch zu gestalten. An der Sprachbildung orientierte Bewegungen wie die Eurythmie sind reine Offenbarungen des Menschlichen und arbeiten mit dem vollen Umfang menschlicher Bewegungsfähigkeit: Wird bewusst damit gearbeitet, erfährt der Wille eine Erweiterung und Vertiefung seiner menschlichen Wesensäußerungen. Das bedeutet, Menschen, die sich willensschwach fühlen und nicht in der Lage sind auszuführen, was sie sich vorgenommen haben, können durch systematisches Üben von Eurythmie und Sprache ihr Willensvermögen neu in die Hand bekommen. Das hat sich in der Psychotherapie bei Antriebs- und Willensstörungen schon vielfach bewährt. Dabei werden hohe Anforderungen an den Therapeuten gestellt, weil bei Willensschwäche und Antriebsarmut starke Widerstände seitens der Patienten zu überwinden sind.

Wesensglieder und Kunst

Rudolf Steiner präzisiert das in seiner Darstellung des Zusammenhangs der menschlichen Wesensglieder mit den künstlerischen Bildeprozessen:

  • Die Gesetze der Architektur entsprechen denen des physischen Leibes;
  • die Gesetze der Plastik denen des Ätherleibes;
  • diejenigen der Malerei und Musik entsprechen dem Astralleib
  • und die Sprache dem Ich.

Der menschliche Körper wird von den Gesetzen und Kräften dieser Wesensglieder aufgebaut. Sie bilden auch die Grundlage des individuellen Seelenlebens sowie den Quellort künst­lerischen Schaffens.

Vgl. KapitelWie sind Leib, Seele und Geist in Gesundheit und Krankheit verbunden?“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart

TRAUMATISIERTER WILLE UND SEINSEBENEN

Wodurch kann der Wille eines Menschen traumatisiert werden?

Welche Einfallstore für Störungen gibt es?

Wie wirken sich diese aus?

Störungen der Willensentwicklung in Bezug auf die Seinsebenen

Nachfolgend eine Zusammenstellung über die Folgen einer gestörten Willensentwicklung auf den unterschiedlichen Ebenen und damit der Identitätsbildung durch eigenes Tun:

· Auf der physischen Ebene

Wenn ein Kind schon bei der Organbildung auf der physischen Ebene nicht seinen Instinkten folgen kann, sondern von den nötigen Erfahrungen abgehalten und damit von sich selbst abgeschnitten wird, ist das im Physischen wie ein Todeserlebnis, als ob ihm ein Organ ausgerissen würde – eine Erfahrung, die dem Verlust der Existenz gleichkommt. Die Folge davon ist Angst, tiefe Existenz- und Verlustangst. Sie begleitet den Menschen durchs ganze Leben.

· Auf der ätherischen Ebene

Auf der ätherischen Ebene wird das Trauma als Lähmung erlebt. Die Folge davon ist Depression, ein Kraftmangelerlebnis – das Gegenteil von einem Lebenskräfteüberschuss. Introversion, traurige Stimmungen sind typisch für Traumatisierungen, die das Ätherische ergreifen. Das nur als Blickrichtung für die eigene Arbeit.

· Auf der astralen Ebene

Wenn der Wille auf der astralen Ebene außer Kraft gesetzt wird – Trauma ist ja immer ein Erlebnis des Außer-Kraft-gesetzt-Werdens des eigenen Willens, ein Überwältigt-Werden von fremdem Willen – erleben wir das als Demütigung. Das weckt Aggressionen.

· Auf der Empfindungsseelenebene

Wenn wir auf der Empfindungsseelenebene blockiert werden, erlischt die Freude am Dasein. Es entsteht Lustlosigkeit. Die Empfindungsseele ist unsere „Lust-Seele“, unsere „Freude-Seele“. In dem Bereich ist viel traumatisch deformiert oder gar nicht entwickelt.

· Auf der Verstandesseelenebene

Wenn Menschen auf der Verstandesseelenebene blockiert werden, wenn sie nicht lernen dürfen selbst wahrheitsorientiert zu denken, reagieren sie mit Anpassung, wiederholen nur, was schlauere Leute sagen und reden so, wie es die Umwelt von ihnen erwartet. Sie sind immer auf dem neuesten Stand dessen, was man in den Medien sagt, was man heute weiß.

· Auf der Ebene der Bewusstseinsseele

Wenn die Bewusstseinsseele in ihrer Entwicklung blockiert wird, entsteht das Burn-out-Syndrom, DAS Krankheitsbild der Bewusstseinsseele, dann kommt man nicht durch die Sinnesanschauung zur Geistesoffenbarung. Man ist von den geistigen Kraftquellen abgeschnitten und muss früher oder später ausbrennen.  Das wird noch epidemische Ausmaße annehmen. Damit ist auch klar, warum hier ein Stopp ist: Wenn man ausgebrannt ist, geht die Willensentwicklung nicht weiter.

Vgl. Vortrag „Traumatherapie als Instrument gesunder Identitätsbildung“, Dornach am 10. Januar 2010

SINN VON WILLENSWIDERSTÄNDEN

Was ist mit Willenswiderstand gemeint?

Welche Rolle spielen Willenswiderstände in der Entwicklung?

Welche Herausforderungen und Chancen eröffnen sich dadurch?

Formen und Sinn von Willenswiderständen

Der unbewusste Wille senkt sich im Rahmen der Inkarnation tief in den Leib hinein. Er regt sich schon beim Säugling und entfaltet sich unbewusst durch Instinkt, Trieb und Begierde und spielt seine Rolle in dem Bewusstseinsdrama, das den Menschen dazu veranlasst, sich mit seinem Körper abzumühen, sich über Widerstände zu ärgern und das Schicksal deshalb anzuklagen.

Schon vom Erbstrom her kann die Veranlagung zu eine Allergie-Komponente vorhanden sein, wie z.B. Schwerhörigkeit mit 60 oder früher Haarausfall. Es können auch alle möglichen anderen Stigmata veranlagt sein, die den Willen behindern. Denn bestimmte Entwicklungen sind nicht mehr möglich, wenn jemand allergisch ist: Z.B. kann ein Allergiker nie Astronaut werden. Diese Limitationen bieten einen Willenswiderstand.

Will man nicht nur anklagen, sondern verstehen, gilt es herauszufinden, wofür solch ein Widerstand gut ist.

Könnte es nicht sein, dass ein bestimmter Widerstand einem Menschen gegeben wurde, weil in diesem Leben in genau diesem Bereich erwachen will?

Könnte der Widerstand nicht sogar ein positiver Ausdruck des Wollens seines eigenen Höheren Ich sein?

Schicksal bestimmende Dreiheit von Willensmächten

Das Höhere Ich eines Menschen inkarniert sich nicht. Es kommt einem von außen entgegen durch das gegebene Schicksalsumfeld, aber auch durch Herausforderungen wie die genannten besonderen leiblichen Veranlagungen. Es wirkt durch den Menschen, der mich sexuell missbraucht oder auch anders schädigt. All das soll uns nicht zum Schaden gereichen, sondern ist „inszeniert“ und gewollt im höheren Sinn.

In alledem lässt sich eine Dreiheit von Willensmächten erkennen:

  1. Unbewusst untersteht alles, was mit dem Inkarnationsgeschehen zusammenhängt, vom Instinkt bis zum Atman, einer Art geistiger Lebensführung, die solange unbewusst und damit unbemerkt bleibt, bis man sich die Zusammenhänge klar macht.
  2. Unbewusst ist auch der Schicksalswille, der Widerstandswille, der den Menschen begrenzt, ihn fokussiert, aber dadurch auch führt – der Schutzengel-Wille, der an bestimmten Stellen schützt und an anderen den Schutz verweigert, weil er sagt: „Das muss jetzt sein! Da kann und darf ich dich in deinem eigenen Interesse nicht schützen, auch wenn es dir Leiden verursacht.“
  3. Damit hängt die schwierigste Lektion für den Traumapatienten zusammen, die Antwort auf seine Frage zu finden: Warum war ich in dieser Situation nicht geschützt?
  4. Das sich selbst entwickelnde Selbst- und Weltbewusstsein dieses einmaligen Menschen in dieser speziellen Inkarnation muss und darf sich zwischen den oben genannten beiden Willensfronten selbst finden lernen.

Partner im therapeutischen Prozess

Im therapeutischen Prozess mit Menschen, die den oben genannten Fragen auf den Grund gehen wollen, sind alle drei Willensinstanzen unsere Partner:

  • Wir müssen aus einem tieferen Verständnis für die Lebensführung heraus Mitgefühl empfinden angesichts der Willensbehinderungen des inkarnierten Menschen, der in seinem Körpergefängnis z.B. Zwangserkrankungen erleidet, psychotische Erfahrungen machen oder sonst etwas erleben muss.
  • Wir müssen mit dem Engel arbeiten, müssen versuchen die Engelperspektive zu verstehen, damit wir den Menschen darüber trösten können, dass der Engel hier nicht helfen durfte, und auch, warum er es nicht durfte.  
  • Wir müssen uns brüderlich neben den zum Selbstbewusstsein erwachenden Menschen stellen, der den Erdenweg geht, um mit ihm zusammen durch den therapeutischen Prozess das Allerbeste aus seiner Situation zu machen.

Das wäre das therapeutische Schicksalsszenario, in dem wir uns mit unseren Patienten bewegen.

Vgl. Ausführungen aus Seminargruppe 5 an der Kunsttherapietagung 2010 in Dornach

BEEINFLUSSUNG DES WILLENS IM PHYSISCHEN LEIB

Wie kann man therapeutisch Einfluss nehmen auf den physischen Aspekt des Willens?

Wie kann man Instinktmuster positiv verändern?

Im Physischen Leib äußert sich der Wille über die Instinkte des Menschen.[1] Das bedeutet, dass im Physischen jeder Mensch quasi vom einjährigen Kind in sich bestimmt und gesteuert wird, weil sich die Instinktmuster in dieser frühen Lebensphase bilden. Um therapeutisch am Instinktprogramm zu arbeiten, muss man sich deshalb in den Einjährigen hineinversetzen.

Störungen auf der Instinktebene

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass auch alle Störungen auf dieser Willensebene im ersten Lebensjahr veranlagt werden wie die meisten exogenen Psychosen, auch Autismus, Schizophrenie, Borderline. Die ganzen tiefsitzenden Depersonalisationsstörungen haben ihren Ursprung in den ersten zwei Lebensjahren.

Bei Patienten,

  • die in ihrem physischen Leib nur Angst haben,
  • die den Körper nur als Gefängnis erleben,
  • die zwanghaft sind,
  • die sich in ihrer Haut nicht wohl fühlen, die aber auch nicht „aus ihr herauskönnen“,
  • die immer anders sein wollen, als es ihrem Selbsterleben entspricht,

gibt es mehrere Möglichkeiten therapeutisch vorzugehen.

Schrittweises therapeutisches Vorgehen

Im Folgenden ein paar prinzipielle Gesichtspunkte zur therapeutischen Arbeit mit der untersten Willensschicht.  

1. Körpergefühl positiv verstärken

In einem ersten Schritt sollte der Therapeut dem Patienten helfen, sich mit Übungen, die das Bewusstsein umgehen, stärker in seinem Körper zu spüren. Das pathologische Muster muss unterbrochen werden, damit ein Freiraum geschaffen wird für gesunde Reaktionen.

Darüber hinaus kann der Therapeut schauen, dass sein Patient eine Rhythmische Massage bekommt oder ein Ölbad nimmt, damit er sich in seinem physischen Leib entspannter fühlt – und wenn es nur für 20 Min. ist. Er muss sich nicht wohl fühlen, aber empfinden, dass „die Gefängnistüren offenstehen“, soll erleben können, dass der Körper sein Zuhause und nicht nur ein Albtraum ist.

2. Pathologische Instinktmuster unterbrechen

Wenn es dem Therapeuten gelingt, das eingefahrene pathologische Instinktmuster für Momente zu unterbrechen und einen Freiraum zu schaffen für etwas Neues, wird das primäre Instinktprogramm dadurch verändert.

3. Neue Organe veranlagen

Der nächste Schritt ist, die Bildung neuer Organe zu veranlagen. Es wäre ratsam, sich mit einer Heileurythmistin zusammen zu tun, die an der Kohärenz des Körperausdrucks arbeitet, z.B. an der Aufrichte: Körperschema, Körperorientierung, mithilfe der Fünfsternmeditation „Standhaft stelle ich mich ins Dasein, sicher schreite ich die Lebensbahn“. Dazu würde ich heileurythmisch-sprachtherapeutische Körperübungen machen.[2] Dadurch werden neue Organe veranlagt, selbst wenn der Patient sich nicht wohlfühlt, wenn er die Übungen macht.

Der Therapeut soll sich nicht näher darauf eingehen, wenn ein Patient Angst hat und sich nicht wohl fühlt. Er soll ihn vielmehr ablenken wie ein einjähriges Kind. Man kann auf zwei Arten mit einem Einjährigen umgehen:

  • Man kann ihm entweder fröhliche Dinge vormachen, wodurch es Lust bekommt mitzumachen, sich mitzufreuen und mitzulachen – kurz: mit seinem Potential etwas zu machen.
  • Wenn es schreit und leidet, nimmt man es hoch und bringt es an einen anderen Ort und lenkt es ab.

4. Gesunde Reaktionen provozieren

Es geht darum, gesunde Reaktionen im Leib zu provozieren – entweder durch Nachahmung oder durch Ablenkung: Das sind die zwei methodischen Grundrichtungen.

Die Rolle des Therapeuten bei Störungen auf der Instinktebene

Beiden Vorgehensweisen gemeinsam ist die Rolle des Therapeuten als „Macher“, als Motor und Motivator: Er tut, tut, tut und tut. Er hat die Rolle des Erwachsenen im Umgang mit einem kleinen Kind inne, das sich an ihm orientiert.

Der Therapeut muss den Patienten im guten Sinn des Wortes überwältigen, muss ihn wie mit in die eigene Aura hineinnehmen, muss ihn durch die Therapie tragen und ihm dabei neue Erfahrungen ermöglichen. Er darf sich durch keine Reaktion des Patienten irritieren lassen und sollte das Ausdiskutieren auf später verschieben, um die Tür für Neues offenzuhalten.

Vgl. Ausführungen in Seminargruppe 5, Dornach, Kunsttherapietagung 2010


[1] Rudolf Steiner, Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik, 4. Vortrag, GA 293.

[2] Stehend, Füße geschlossen, Hände vor dem Herzen haltend.

Rechtes Bein öffnen ca. 30 cm nach rechts - Standhaft stell ich mich ins Dasein.

Linkes Bein ebenso nach links - Sicher schreit‘ ich meine Lebensbahn.

Arm öffnet sich nach links in die Horizontale - Liebe hege ich in meinem Wesenskern.

Arm öffnet sich nach rechts in die Horizontale - Hoffnung präge ich in all mein Tun.

Beide Arme zusammennehmen und die Hände ganz locker an die Stirn legen - Vertrauen lege ich in all mein Denken.

Arme öffnen: sich in den Fünfstern stellen - Diese Fünf geben mir das Dasein.

Zusammenspringen und die Arme nach vorne, Richtung Ziel, strecken - Diese Fünf führen mich ans Ziel.

Alles Lösen.

Worte und Übung nach Rudolf Steiner, zusammengefasst von Sonja Zausch, s.zausch@inclusivesocial.org.

BEEINFLUSSUNG DES WILLENS IM ÄTHERISCHEN

Wie kann der Wille auf ätherischer Ebene positiv beeinflusst werden?

Wie kann man therapeutisch auf die Willensebene von Trieb, Neigung und Gewohnheit Einfluss nehmen?

Im Ätherischen zeigt sich der Wille als Trieb bzw. durch unsere Neigungen und Gewohnheiten.[1] Auf der Ebene des Ätherleibs geht es in der Therapie um die Orientierung am Prozess. Das möchte ich am Beispiel der Sprachtherapie näher erläutern.

Die Triebsphäre von Sprache

Zur Triebsphäre der Sprache gehören die Laute an sich, der Lautstrom, der ja der ätherische Bildestrom ist, der im Urbeginn Himmel und Erde und auch uns Menschen gestaltet hat. Diese weltenschaffende Bildekompetenz ist uns Menschen geschenkt und eingeboren als ätherische Willenskompetenz, als Trieb, uns auszudrücken.

Der Trieb ist etwas ganz Reines. Er macht den Menschen erst sprachfähig. Er entspricht dem Impuls, überhaupt etwas sagen zu wollen. Dieser reine „Sprach-Trieb“ ist als ätherische Willenskompetenz etwas ganz Keusches, wie Pflanzliches, das den Menschen drängt und treibt, sich zu äußern, unabhängig von Lust und Unlust (astralische Willensebene), unabhängig vom Inhalt (Ich-Ebene des Willens).

Auf dieser Ebene geht es um die Bildung der Laute an sich, um die Artikulation und den Luftstrom bei der Bildung der Konsonanten und Vokale.

Über das Bewusstsein die eigene gesunde Triebnatur erfassen

Im Folgenden möchte ich noch auf den Einfluss des Astralleibes auf den Ätherleib näher eingehen, da wir die Bewusstseinskraft des Astralischen brauchen, um die unbewusste Ätherwelt unserem Bewusstsein überhaupt zugänglich machen zu können. Es ist eine Gnade, dass uns der Sprachorganismus geschenkt ist. Denn erst Wort und Sprache verhelfen uns dazu, uns der heiligen Gedankenwelt so anzunähern, sodass sie uns verständlich wird. Durch sie können wir uns den Gedankenkosmos und die gesamte ätherische Welt erschließen.

Solange man nur Gedanken hat, sie aber nicht für sich selbst formulieren kann, gehören sie einem nicht. Erst wenn man Gedanken auszusprechen lernt, bekommen sie Bedeutung für das eigene individuelle Wesen. Da gilt der Satz aus der „Philosophie der Freiheit“:[2]„Durch das Gefühl bekommt der Gedanke Bedeutung für das Individuum.“ Denn die Sprache hat ihren Sitz im Gefühl und durch die Sprachfähigkeit wird der Gedanke gefühlt und formuliert und bekommt so Bedeutung für das Individuum - und auch für das soziale Miteinander. Die Magie des Wortes beruht somit auf der Magie des Gefühls. Über Wort und Gefühl erwacht unser Bewusstsein für die Ätherwelt.

Das wird nirgendwo so schön geschildert wie in dem Zyklus übers Lukasevangelium von Rudolf Steiner.[3] Er sagt dort sinngemäß: Es gibt nichts in der Ätherischen Welt, was dem Menschen nicht bewusst werden könnte. Er schildert dort Astralleib und Ätherleib wie Deckel und Topf. Der Astralleib hätte die Aufgabe, dem Menschen das Ätherische bewusst zu machen. Das sind die höchsten Triebe, weil im Ätherischen die Ganzheit dieser Welt, der Sinn allen Lebens, lebt. Wenn man sich allein darüber bewusstwird, hat man die eigene gesunde Triebnatur erfasst. Das ist heiliger Boden.

Den Willen im Ätherischen therapeutisch beeinflussen

In der Therapie geht es darum zu hören, wie die aus dem Ätherischen vorsichtig an das Bewusstsein heranbrandende Sprachkompetenz bei genau diesem Menschen geartet ist. Wir haben es ja vielfach mit sprachlosen Menschen zu tun, die zum einen seelisch sprachlos sind, aber auch physisch gehemmt in ihrer Sprachkompetenz. Beim Trauma hat sich der Sprachtrieb ganz nach innen zurückgezogen. Entsprechend versucht der Therapeut

  • einerseits auf die Lautbildung, die Artikulation der Laute, Einfluss zu nehmen. Er schaut, ob und welche Laute der Patient nicht richtig bilden kann.
  • Andererseits achtet er auf und arbeitet mit der Atmung bei der Sprachbildung.
  • An der Triebnatur des Patienten zu arbeiten heißt aber auch, bei ihm den Trieb zu sprechen zu wecken.

Alle Übungen, die dem Patienten helfen, gewohnheitsmäßige Sprachbildungsdefizite zu verbessern, sind wertvoll, weil sie die ätherische Willenskompetenz positiv verstärken. Dazu gehört die klare Aussprache von Vokalen, eine gesunde Regulierung des Atemstroms sowie die saubere Aussprache von Konsonanten.

Umgang mit und Bedeutung des Lautes S als Beispiel

Dazu möchte ich ein Beispiel nennen. Ein Schauspieler machte mich darauf aufmerksam, dass es heute kaum noch Menschen gibt, die das „S“ in seinem vielen Formen richtig aussprechen können. Seitdem merke ich, dass er Recht hat, selbst in Bezug auf Sprachgestalter: Kaum einer, mich inbegriffen, beherrscht das „S“ in allen Varianten.

Das heißt, wir haben alle heutzutage habituell mit diesem ahrimanischen Laut ein großes Problem. Das „S“ ist

  • ein Willenslaut (und damit ein Leibeslaut).
  • Als Blaselaut ist es Ich-Essenz pur (und damit ein Geisteslaut).
  • Es ist aber auch der Merkurlaut.

Unsere Probleme mit dem „S“ deuten darauf hin, dass es uns an Bewusstsein der eigenen Identität fehlt: Wir Menschen wissen nicht mehr, dass wir „Merkure“, Vermittler zwischen Himmel (Geist) und Erde (Leib), sind.

Vgl. Ausführungen in Seminargruppe 5, Dornach, Kunsttherapietagung 2010


[1] Rudolf Steiner, Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik, 4. Vortrag, GA 293.

[2] Rudolf Steiner, Die Philosophie der Freiheit, GA 4.

[3] Rudolf Steiner, Das Lukas-Evangelium, Ein Zyklus von zehn Vorträgen, gehalten in Basel vom 15. bis 26.September 1909, GA 114.

BEEINFLUSSUNG DES WILLENS IM ASTRALISCHEN

Wie kann der Wille auf astraler Ebene positiv beeinflusst werden?

Wie kann man therapeutisch auf die Willensebene der Begierde Einfluss nehmen?

Im Astralischen zeigt sich der Wille als Begierde.[1] Sobald der an sich reine Trieb mit Emotionalität und Persönlichem aufgeladen wird, entsteht Begierde oder Ablehnung: Darauf habe ich Lust, darauf nicht – das ist rein astralisch. Damit geht die ganze Heiligkeit der Triebe „den Bach hinunter“. Rudolf Steiner spricht vom „Niederen der Triebe“, wenn der Astralleib sie herabzieht, niemals jedoch von niederen Trieben.

Bewusstsein durch Sprache

Dem Astralleib verdanken wir die Befähigung zu Sprache und Bewusstsein. Das heißt, wir brauchen die Bewusstseinskraft des Astralischen, um die unbewusste Ätherwelt unserem Bewusstsein überhaupt zugänglich machen zu können. Doch erst Sprache verhilft uns dazu, mit der Gedankenwelt so umzugehen, sodass sie uns verständlich wird. Solange man nur Gedanken hat, sie aber nicht für sich selbst formulieren kann, gehören sie einem nicht. Erst wenn man Gedanken auszusprechen lernt, bekommen sie Bedeutung für das eigene individuelle Wesen.

Denn die Sprache hat ihren Sitz im Gefühl und durch die Sprachfähigkeit wird der Gedanke gefühlt und formuliert und bekommt so Bedeutung für das Individuum – und auch für das soziale Miteinander. Da gilt der Satz aus der „Philosophie der Freiheit“:[2] „Durch das Gefühl bekommt der Gedanke Bedeutung für das Individuum.“ Die Magie des Wortes beruht somit auf der Magie des Gefühls. Über Wort und Gefühl erwacht unser Bewusstsein für die Ätherwelt.

Den Willen im Astralischen therapeutisch beeinflussen

In der Sprachtherapie geht es darum zu hören, was genau dieser Mensch aufgrund seiner Art mit Sprache umzugehen, braucht. Viele Menschen sind heutzutage sprachlos oder sprachgehemmt,

  • weil sie seelisch sprachlos sind,
  • oder, weil sie physische Sprachbildungsdefizite haben,
  • oder weil sich, wie es beim Trauma der Fall ist, ihr Sprachtrieb ganz nach innen zurückgezogen hat.

Je nachdem, wird es nötig sein, mit der physischen, ätherischen oder astralischen Sprachkompetenz zu arbeiten.

Wirkweisen von sprachtherapeutischen Übungen

Man kann dabei auf dreierlei Art vorgehen:

  1. Reine Sprachübungen machen wie „Hum, Ham, Hem“ und Ähnliches,[3] durch auch die die physischen Sprachwerkzeuge geschult werden.
  2. Oder man nimmt ein Simile, einen schmerzerfüllten Satz, in dem sich der Patient ganz und gar wiederfindet. Es gibt ja Gedichte über die Katastrophen dieser Welt, die ihm aus der Seele sprechen und seinen Schmerz ausdrücken, wie es die Werke des Expressionismus tun.
  3. Oder der Therapeut nimmt ein sprachtherapeutisches Heilmittel, einen „heiligen Satz“, bei dem der andere, wenn er ihn hört, denkt: „Das wäre wirklich schön!“  Es sollte ein Satz sein, den er tief empfinden und lieben kann, selbst wenn er denkt, dass er das nicht umsetzen kann in seiner Lebenswirklichkeit.

Egal, ob es sich um reine Sprachübungen, ein Schmerz-Simile oder ein sprachtherapeutisches Heilmittel handelt, wirken die Übungen auf die vier Willensebenen des Menschseins:

  • auf der physischen Instinktebene,
  • der ätherischen Triebebene,
  • der astralischen Begierdeebene.
  • Gleichzeitig wird auch die Ich-Ebene in ihrer integrierenden Heilkompetenz angesprochen.

Je nach Bedarf und Betroffenheit des Patienten, lassen sich von einem Therapeuten, der mit diesen Wirkensweisen auf den Willen vertraut ist, passende Übungen zusammenstellen.

Vgl. Ausführungen aus Seminargruppe 5, Dornach, Kunsttherapietagung 2010


[1] Rudolf Steiner, Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik, 4. Vortrag, GA 293.

[2] Rudolf Steiner, Die Philosophie der Freiheit, GA 4.

[3] https://www.goetheanum.org/fileadmin/srmk/2021/RB-74-ONLINE-1.pdf?vgo_ee=6g4QshRnku5TzuLat8%2F%2BLtrazap58mFhGNJ%2FxXHubKk%3D, ges. 21.12.2023.

WILLENSFRAGEN

Darf ein Erwachsener einem Kind seinen Willen aufdrängen oder hat er sich nicht vielmehr nach dem Willen des Kindes zu richten?

Verantwortung des Erwachsenen in Konflikten

Diese Frage wird in einem anderen Licht gesehen, sobald der Erwachsene ein­sieht, dass es nicht um das Durchsetzen „seines“ Willens geht, sondern darum, dass mit dem Kind in einer bestimmten Situa­tion Sinnvolles und Notwendiges geschieht. Herrscht beispiels­weise kaltes Wetter, würde sich das Kind erkälten, wenn es leicht bekleidet nach draußen ginge. In dem Fall ist es sinnvoll, das Kind auch dann anzuziehen, wenn es dagegen protestiert. Es wäre keine Lö­sung, das Kind, um dem Konflikt zu entgehen, einfach in der Wohnung zu lassen. Auch hier gilt, dass das Motiv einer Hand­lung über deren moralische Qualität entscheidet. Genießt der Er­wachsene seine Macht, werden seine „Anweisungen“ vom Kind anders empfunden, als wenn er aus Liebe zum Kind und seiner Gesundheit handelt.

So gesehen geht es gar nicht um einen Machtkonflikt, sondern um einen Sach-Autoritäts-Konflikt. Die Autorität, die hier die Entscheidung fällt, ist ganz objektiv – in dem genannten Fall das Wetter draußen – und beide, der Erwachsene und das Kind, richten sich danach. Der Unter­schied zwischen dem Erwachsenen und dem Kind liegt nur darin, dass der Erwachsene den ganzen Vorgang bewusstseinsmäßig über­schaut und klare Richtlinien für die nötige Handlung angeben kann, das Kind hingegen noch nicht.

Drei Aspekte von Autorität

Bei den meisten Alltagskonflikten kön­nen diese drei Aspekte hinsichtlich Autorität und Führung entdeckt werden:

  1. die Sachautorität der Dinge und Vorgänge,
  2. die auf Macht gegründete Autorität des Erwachsenen
  3. die Willkür-Au­torität des Kindes.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Der Wille bedarf in jedem Lebensalter einer klaren Führung. Zunächst lässt sich das Kind durch ein Vorbild und die Bereitschaft, sich durch seine Sinneswahrnehmungen zu Handlungen motivieren. In der Zeit bis zur Pubertät lässt es sich durch das Wort der Erwachsenen und durch seine Sympathie zu ihnen leiten. Ist das gelungen, ist der Grund gelegt für eine Erziehung zur Freiheit, die den Heranwachsenden befähigt, nach der Pubertät seinen Willen, sprich die eigenen Handlungen, durch selbstständiges Denken zu lenken.

Vgl. Kapitel „Aggression und Aggressivität im Kindesalter“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart